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Der Betteltoni

Der Betteltoni! – Hab' ihn nie anders nennen hören. Er wohnte drei Stunden dorfab in einer kleinen, ärmlichen Chaluppe, die an einem riesigen Schieferfelsen klebte – wie ein Schwalbennest. Hart an der Hütte zog sich ein gelber Streifen Feldes. Der war dem Toni zu eigen. Wenn der bestellt und besorgt war, dann pflegte er sich im Dorfe zu verdingen. Die Leute kannten ihn alle – und stießen sich an, wenn er mit schwerfälligem, schleppenden Schritt, die großen Kinderaugen ins Weite gerichtet, daherkam. Er aber kümmerte sich wenig um sie – und sah sich nicht einmal nach den rothwangigen Dirnen um, die dem drolligen Burschen laut nachkicherten! Der Betteltoni hatte nur zwei Wesen ins Herz geschlossen, und für die sorgte er tüchtig: den Miko, den alten Gaul, den er noch vom Vater selig her besaß – und sein Mütterchen.

Heute munkelte man im Dorfe Tonis Mutter sei tod. Und wirklich! In der Chaluppe draußen stand im untersten Gelass über zwei Stühlen eine schwarze Truhe. Sie war bereits verschlossen und die leichtsinnigen Sonnenstrahlen des blauen Sommertages flochten goldene Ranken um das silberne, große Kreuz, das auf dem Deckel gemalt war. Kaum einen Schritt davor saß Toni. Die Ellenbogen auf die Knie, das knochige Kinn in die rothen Fäuste gestemmt. Thränen standen ihm hell in den Augen; er dachte an die kleine Frau mit den tausendfaltigen, grauen Wangen, dem trippelnden Gang – und wie sie so immer kleiner geworden war und immer zittriger und kindischer... So brütete der Bursche.

Glock Zwölf erhob er sich. Er hatte einen Wunsch der Toten zu erfüllen: Unten im zweitnächsten Dorf, war sie geboren worden, die Mutter, – dorthin sollte er sie auch auf dem Gottesacker zu Ruhe bringen...

Er machte ein Kreuz über Stirn und Brust. – Dann streckte er die breiten Arme nach rechts, nach links, gähnte, – und sann nach: Also, den Miko einspannen in den Streuwagen, die Truhe drauf – und dann überland fahren. – Er zählte an den dicken Fingern: eine Stund', zwei, drei, vier – fünf... Teufel, dass das dem Gaul nur nicht zu viel wird... Und er zählte noch mal. Ja, es waren fünf Stunden... Toni machte ein sehr besorgtes Gesicht. Dann aber brummte er etwas. Es muss! Es muss! Er kann ja dann unten, wenn die Mutter den Frieden hat, übernachten und morgen früh erst heim... Er nickte sich verständnisvoll zu. Dann zog er den Streuwagen heraus, schürte den dürren, langhaarigen Braun an, holte die schwarze Kiste und legte sie quer auf das Gefährt. Ist ja gar nicht schwer – dachte er ...

Eine halbe Stunde später war der Toni mit seinem Fahrzeug mitten im sonnigen schwülen Staub der baumlosen Landstraße. Es ging langsam vorwärts, ganz langsam. Die paar Bauern, die dem traurigen Zuge begegneten hielten an und entblößten den Kopf. Die Weiber knieten am Straßenrand hin. Der Betteltoni bemerkte sie gar nicht; er war tief in Gedanken. – Jetzt, jetzt bist du ganz allein, sagte er sich nur noch der Miko; und in seinem Hirn trat jetzt abwechselnd bald die arme Mutter, bald der Gaul in den Vordergrund, diese beiden Wesen die in dem Mittelpunkte seines Daseins standen ... Es war doch recht, recht traurig ...

Ein Ruck riss ihn auf. Miko stand still. Sein langhaariger Rücken glänzte. Ja, es hat eine Hitze! Toni wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Dann seufzte er: Noch nicht die Hälfte des Wegs, noch lang nicht ...

Geh, Miko, geh, öa Hot!

Miko strengte sich an mit gesenktem Kopf.

»Öa Hot!«

Weiter gings – sehr langsam.

Es hat eine Hitz! brummte der Bursch noch einmal. Dann senkte er den Blick von dem schimmernden Blau des wolkenlosen Himmels zum blendend weißen Staub der Landstraße.

Auch ihn begann die große Hitze müd zu machen. Er zog die Füße lässig nach. Große Wolken wallten hinter seinen Schritten auf.

Er dachte eine große Weile an gar nichts.

Er schaute über die weiten mattgrünen Kartoffelfelder bis an die blauen Berge ...

Dann fiel ihm wieder die tote Mutter bei.

»Öa Hot, Miko, öa hot!«

Er faltete die Hände – und sprach ein Gebet – ganz leise. Der Staub aber machte ihm den Hals trocken.

Er verstummte.

Da, Miko stand schon wieder.

Er strich ihm mit der Hand über den Hals.

Sein fein brav, Freunderl, in einer Stund sind wir im ersten Dorf; dort bekommst Wasser, Wasser...

Öa Hot!

Weiter. –

Im ersten Flecken da drunten, da hats schon die Hälfte. Dann wird's ja auch Abend und kühler...

Wird schon gehen...

Miko aber zog aus Leibeskräften.

Heut' schien ihm das Fahrzeug gar so schwer.

Lang hatte er so was nicht ziehen müssen.

Was mags denn wohl sein.

Dünger wieder mal.

Und er wandte den Kopf ein wenig.

Hatte er rechts das weit vorstehende Ende des Sarges erblickt?

Miko war klug.

Seine großen Augen sahen jetzt sehr traurig aus und er stampfte mit den dünnen Füßen fest in den weißen Staub hinein...

*

Das erste Dorf war vorbei.

Wirklich – es wurde kühler. Miko durch klaren Trank erfrischt ging einen lahmen Trab. – Der Betteltoni, dem die Weiber im Dorf das Herz schwer gemacht hatten – weinte...

Indessen stand die Sonne schon hart auf der Kante der Berge. Durch die Felder ging ein schmeichelndes, müdes Summen und Surren. Über den niedrigen Kartoffeln hin taumelten dufttrunkene Weißlinge irrten über die Straße herüber und rasteten mit wippenden Flügeln eine kleine Weile im durchsonnten Sande. – Auf der andren Seite wogten hohe Ähren; blaue Kornblumen und rother Mohn unterbrachen die Fläche, die aussah wie ein großer goldgleißender Schild besetzt mit Saphiren und Rubinen.

Ruck!

Miko stand.

Er hatte sich zu viel zugemuthet. Der Trab war ihm an den Athem gegangen.

»Öa Hot!«

Micko rührt sich nicht.

»Tsch! Tsch! Micko!«

Miko streckt den Hals weit vor, hebt den einen Vorderfuß – – – –

Umsonst.

»Na, Mikerl, schau' eine Stund' noch ...«

Wieder ein vergeblicher Versuch.

Toni seufzt. Er tritt zum Kopf des Thieres und fasst es beim Zügel. Dabei streicht er ihm fort über den Rücken, den ein Teig aus Staub und Schweiß deckt.

Komm, komm! Gehen wir!

Öa Hot! Öa Hot. Hü Hot! Hü Hot!

Gott sei Dank.

Langsam, ganz langsam ...

Toni dachte wieder an die Tote.

Dem Miko, dem soll jetzt die ganze Liebe zutheil werden. Wenn sie nicht mehr ist ...

Eine halbe Stunde später.

Miko ächzt.

Durch die knöcheligen Beine geht ein Zittern.

Toni springt herzu; »No, Mickerl, no ...«

Er thut ihm schön ...

Er fühlt wie das Thier bebt...

»Gott im Himmel« was jetzt?

Eine furchtbare Hilflosigkeit fällt dem armen Toni bleischwer und kalt aufs Herz. Da die Mutter tod und jetzt auch noch der Miko ...

»Bekommst gutes, gutes Futter!

Nur die paar Schritte noch: ...«

Alles umsonst.

Dem Toni ist's zum Weinen.

Weit und breit kein Mensch!

Dass die Mutter auch hat müssen so einen Wunsch haben. –

»Armer Miko ... nur die paar Schritte«, muntert er wieder auf.

Öa ... Öa ...

Vergeblich. –

Der Gaul hält sich kaum auf den Beinen. Sein Aug ist matt.

Der Toni kann das nicht anschauen. Es thut ihm zu weh. – Er schluchzt wie ein Kind.

Das(s) die Mutter hat müssen... fällt ihm fort ein...

Und spät ist es auch. Heut kann er nimmer zum Herrn Pfarrer, – da kann er erst morgen früh... er murrt einen Fluch.

Endlich kommt ihm ein Gedanke.

Er nimmt die Truhe selbst auf die Schultern.

So...

Öa Hot, Hü! Hü! Hü!

Jetzt gehts.

Für zehn Minuten.

Dann wieder: Halt.

»Miko!« Ein Schreck durchzuckt den Toni.

Der Miko liegt da. –

Herr Gott!

Der bestürzte Bursch stellt den Sarg beiseite in den Straßengraben.

Dann springt er zu.

Er betet, spricht zu, weint und tröstet – alles durcheinander.

»Miko, mein Mikerl, sei gut, sei brav...«

Er kniet bei dem Pferde.

»Wenn ich dich so bitt... wenn ich dir sag, – Mikerl!«

Und er bringt ihn wieder auf.

Öa Hot! – Glücklich geht es fort – freilich ganz langsam...

»O, mein guter Miko« betheuert der Bursch in einem fort. – Und er geht nebenher zieht den Wagen mit – und denkt nur an seinen armen matten Freund. – – –

Aber der Wagen war leer und auch Toni trug keine Truhe mehr...

»Mikerl, sehr brav nur paar Minuten... nur paar Minuten.«

*

So kam er ins Dorf. Die Leute wunderten sich was der Betteltoni da wollte mit dem leeren Gefährt. Aber keiner fragte ihn. – Beim ersten Bauer stellte der Bursch ein. Im Stall brach der Braune wie tod zusammen.

Toni weinte.

Er wandte alle Mittel an, das Thier zu sich zu bringen.

Lange vergeblich.

Endlich hob Miko ein wenig den Kopf. Ganz wenig nur. Aber das war dem Burschen schon ein großer Trost. – Er hub wieder seine Betheuerungen an: »Alles sollst du haben, Mikerl, alles«... Dabei rieb er dem Thier die Füße unaufhörlich – bis spät in die Nacht.

Dann übermannte ihn die Müdigkeit. –

Er schlief. Auf der weichen Streu hart neben dem Thiere...

*

Der Toni erwachte; rieb sich die Augen. Wo war er? Nichts fiel ihm ein als Miko!

Da, ein Knecht hatte ihn schon versorgt.

Miko stand und ließ sich das frische Futter trefflich schmecken!

»Miko« jubelte der Bursch.

Und der Braun wieherte.

Der Betteltoni war schier verrückt vor Glückseligkeit – er hatte seinen Miko wieder!

»Miko, Miko« sang er unaufhörlich.

Sein Gastgeber schüttelte den Kopf.

Der Bursch aber ließ sich nicht beirren in seiner Freude. – Jetzt heißt eilen sagte er sich. Solangs noch morgen ist heimfahren, damit du nicht in die Hitze hinein kommst... und lachend schürte er den Gaul an ...

*

Heut gings leicht.

Ein Lied auf den Lippen fuhr der Bursch in den blauen Morgen hinaus. Er schaute rechts und links in die Felder die thaufrisch in heiterem Grün sich weit hinstreckten bis an die Hügelketten. Er hörte auf das Zwitschern und Trillern von dem die Lüfte tönten, und lachte über die goldenen Ähren die sich so ehrerbietig vor dem übermütigen Frühwind neigten. Sein ganzes Herz war voll Jubel: Miko, Miko, rief er ein über das andere Mal. Das ging vorwärts!

In vier Stunden kaum würde er daheim sein, – sicher – und wie wird die Mutter lachen... wenn er ihr...

Er dachte nicht aus.

Etwas durchzuckte ihn...

Was war das schwarzes dort im Straßengraben?

»Hö, Miko, halt! Er brachte kaum den Ruf aus der Kehle. Er zerrte am Zügel. Sprang ab, lief herzu ...

Da unter grünem Kraut der Sarg mit dem großen, silbernen Kreuz.

Mutter ...

Und er legte den Sarg quer über, wandte den Wagen und fuhr langsam zum Dorf zurück – der arme Betteltoni.

Halb von Thränen erstickt klang es: »Öa Hot! Öa Hot! ...«


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