Wilhelm Heinrich Riehl
Die Lehrjahre eines Humanisten
Wilhelm Heinrich Riehl

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Drittes Kapitel.

»Melancholie steigt auf aus dickem Geblüt. Da hilft kein Purgieren und Aderlassen.‹ Auf ein Jahr bei einem Lebzelter in die Lehre zu gehen, ist ein probateres Mittel. Alle Kräfte Himmels und der Erden wirken zusammen, um einen einzigen Menschen so zu machen, wie er ist; dennoch macht sich ein Magister, der Lehrjunge wird und Stiefel schmiert und Wasser trägt, zu einem anderen Menschen, als er gewesen, trotz Himmel und Erden.

Mit eigener Willensstärke soll ich mich erlösen aus meinem Trübsinn. Aber Wille ist ja nur bewußte Lebenskraft. Ich suche die verlorene Lebenskraft wieder; wie kann ich sie durch den Willen gewinnen, der nur aufkeimt aus der Lebenskraft, der in ihr enthalten ist und eins mit ihr. – So schrieb ich vor einem Jahre. Jetzt füge ich hinzu: Als der Meister vor mir stand und drohte, die Gesellen mir zur Seite und mich vexierten, der Scholarch hinter mir und ermahnte, Judith vorüberschwebte und grüßend lächelte – da machten sie mir die Willensstärke, die ich aus mir selber nicht zu schöpfen vermochte. Das Leben außer uns zeugt die neue Lebenskraft in uns, daß wir dann erst aus uns selber einen neuen Willen gebären können.

Paracelsus hat recht, wenn er schreibt, des Menschen Wille könne so stark werden, daß einer durch den Geist allein, durch bloßes inbrünstiges Wollen, ohne Schwert einen anderen steche. Ich habe es vorgeschmeckt, als der Blick des bösen Gesellen aus Franken mein Blut stocken machte.

Aber auch durch die bloße Willenlosigkeit können wir uns selber leiblich töten. Ich war krank, weil ich nicht mehr wagte, gesund sein zu wollen. Mein Blut ward dick und träge, weil ich mich nicht ermannen konnte, ihm rascheren Fluß zu gebieten. In Jahresfrist wäre ich gestorben an Willenlosigkeit wie ein anderer am Fieber.

Ein fünfzigjähriger Mann, der Leib und Geist schlaff hängen läßt, ist binnen zwei Jahren siebzig alt; ein Siebziger, der immer in Kraft und Arbeit jung hat bleiben wollen, ist ein Mann in seinen besten Jahren.

Indem ich aber meinen Leib errettete von dem Siechtum der Willenlosigkeit, ist meine Seele darin gefangen geblieben. Aus Willensschwäche verdingte ich mich zur Pilgerfahrt, bereute den Pakt aus Willensschwäche, brach ihn und betrog die edeln Ritter aus Willensschwäche; ich belog den Lehrherrn, den Bürgen, die Gesellen, die ganze ehrsame Lebzelterzunft; eine Lüge gab die andere; um nicht als Lügner erfunden zu werden, log ich, daß ich, Magister Johannes Piscator, der als Jünger zu den Füßen der größten Gelehrten gesessen, als ein Autochthone des Wissens unterrichtslos in den Werkstätten großgewachsen sei; ich belüge heute noch die ganze Stadt, ganz Schwabenland, da ich mich als ein Wunderspiel der Natur anstaunen lasse, als den echten Lehrjungen, der aus sich selber ein großer Humanist geworden – alles aus Willensschwäche! Noch kurze Frist, und mir droht bei gesundem Leibe abermals der Tod an dem Fieber der Willenlosigkeit –«

So schrieb Johannes Piscator, der hypochondrische Philosoph, am 1. März 1562, das Selbstgespräch parodierend, mit welchem er an demselben entscheidenden Tage vor einem Jahre seine schriftlichen Meditationen abgebrochen hatte.

Er führte jedoch, wie wir sehen, diesmal die Betrachtungen nicht zu Ende; denn es war ihm zu qualvoll, seine ganze Beichte schriftlich zu machen. Er warf die Feder weg und versteckte das Papier – aus Willensschwäche.

Da trat Judith ins Zimmer. Es war eben an einem der friedlichen Sonntagnachmittage; das ganze Haus war ausgeflogen, die beiden jungen Leute fanden sich allein.

Sie grüßte mit besonderer Wärme; Piscator war verlegen. »Ihr seid mir böse,« begann sie, »denn seit vielen Wochen redet Ihr kaum mehr ein Wort mit mir. Das Lebzelterkind ist Euch wohl zu gering geworden und zu einfältig in ihrem Gespräch, jetzt, wo täglich vornehme Leute kommen, um den Lehrjungen zu bewundern, der über Nacht als ein Gelehrter aus dem Boden aufgewachsen ist. Sonst nanntet Ihr mich Eure Beschützerin und gabt mir manchmal ein Wort der Dankbarkeit; jetzt habt Ihr freilich größere Gönner.«

»Ihr thut mir schweres Unrecht, Judith,« entgegnete Johannes. »Sonst dachte ich, wenn es einmal offenkundig werde, daß ich doch noch mehr sei und Besseres wisse und könne, als ein ungeschickter, verspotteter Lehrjunge, dann wolle ich Euch erst recht gut werden und vor Euch treten in gerechtem Selbstgefühl, Euch danken für alle Güte in begeistertem Wort, Euch sagen, was ich nie bis dahin Euch zu sagen gewagt – – und jetzt, wo ich Anerkennung über das Maß täglich finde und meinem Ehrgeiz eine stolze Zukunft aufgeht, jetzt stehe ich beschämt vor Euch und kann nicht reden; ich kann Euch nicht mehr ins Auge sehen. Der ungelehrte Lehrjunge war heiter und fand sein Wort, der gelehrte Lehrjunge ist in Trübsinn verstummt.«

»Und warum waret Ihr heiter, da es Euch schlecht erging, und seid traurig, da Euer Glück aufgeht?«

»Das werde ich seiner Zeit enthüllen – nur jetzt nicht, Judith. Allein warum waret Ihr so still betrübt, als ich ins Haus kam, und wurdet insgeheim immer betrübter – ich merkte es wohl, da es sonst keiner merkte; – und seit einem Monat seid Ihr heiter und werdet immer heiterer?«

»Das werde ich Euch seiner Zeit enthüllen, Freund – nur jetzt nicht.«

Meister Furtenbacher trat in die Stube. »Dein Vater ist hier in Augsburg angekommen,« rief er unserem Johannes entgegen. »Die Kunde von der Gelehrsamkeit, welche Vetter Notthaft bei dir aufgedeckt, ist auch nach Schweinfurt gedrungen. Da ließ es dem alten Manne nicht länger Ruhe, und er hat sich auf den weiten Weg gemacht, um die Wunderdinge, die man sich von seinem Sohne erzählt, mit eigenen Augen zu schauen. Judith, richte ein gutes Abendessen in der oberen Stube, der Schulmeister von Schweinfurt wird unser Gast sein.«

Der Meister hatte kaum seine Freudenbotschaft beendet – dem armen Piscator klang sie fürchterlich ins Ohr, – als die Thüre abermals aufging und der Scholarch eintrat, glühend vor Eifer und in fliegender Hast.

»Jetzt habe ich meine Schuldigkeit gethan als Bürge und kann mein Patronat in Ehren niederlegen,« rief er. »Seit länger als zwei Monaten kenne ich kein anderes Geschäft, als wegen dieses Burschen« – er deutete auf Piscator – »den Leuten einzuheizen. Wahre Brandsignale habe ich für dich, Freund, über das ganze gelehrte Deutschland hin ertönen lassen, – an drei Universitäten habe ich deine philosophische Abhandlung de fato eingesandt und dein Gedicht Neptunus triumphans. Von der Untersuchung ›über das Schicksal‹ sind die Wittenberger so tief ergriffen worden, daß sie dir hiermit das Ehrendiplom eines Doktors der Philosophie senden. Meister Furtenbacher! einen Lehrjungen, der Doktor ist, habt Ihr doch in Eurer ganzen Zunft noch nicht gehabt. Ihr müßt den Piscator jetzt wahrlich aus der Lehre lassen, sonst heißt er binnen acht Tagen in der ganzen Stadt der Lebkuchendoktor. – Der Neptunus triumphans hat in Heidelberg triumphiert, und besonders hat die Schilderung des Seesturms« – Piscator lächelte – »einen solchen Sturm der Bewunderung erregt, daß Kurfürst Friedrich den Lebzelterjungen einladen läßt, nach Heidelberg zu kommen, um seinem Gelehrtenkreise einen neuen Edelstein einzufügen – einen rotglühenden Rubin vom Backofen, einen Rauchtopas vom Feuerherde der Crescenz. Endlich suchen die Ulmer einen Gelehrten für ihr Gymnasium. Die Proben deiner Leistungen, der Ruhm deines Namens ist auch nach Ulm gedrungen. Hier übergebe ich dir den Bestallungsbrief, den du nur zu unterschreiben brauchst. Es ist diese Berufung freilich die minder glänzende, und die Ulmer mögen wohl geahnt haben, daß auch andere Leute das Licht meines neu entdeckten Sternes über sich leuchten lassen möchten. Es sind daher drei achtbare Bürger persönlich herübergekommen, um dich im Namen des Rates nach Ulm einzuladen und dir die Vorzüge eines gelehrten Amtes in ihrer Vaterstadt mit recht grüner Farbe zu malen. Was nun die Wahl zwischen Heidelberg und Ulm betrifft –«

»Die Wahl ist entschieden!« rief Piscator. »Ich gehe nach Ulm. Jetzt will ich den verfluchten Ulmer Geldsäcken erst recht zeigen, wer ich bin! Vor einem Jahre haben sie mich verhungern lassen, jetzt holen sie mich im Triumph zurück! Laßt ihre Deputation nur vorkommen. Zäh soll sie mich finden wie Lappleder, aber zuletzt werde ich dennoch nachgeben und mitgehen nach Ulm.«

»Der Junge ist vor Freude übergeschnappt,« rief der Scholarch. »Was phantasierst du von Ulm? Was haben dir die ehrenwerten Ulmer Bürger Leids gethan, daß du so auf sie schiltst? Gib mir die Hand, Freund – sein Puls ist fieberfrei! trinke einen Becher kalten Wassers und dann laß uns die Sache schrittweise und bedächtig durchsprechen. Als alter Hausfreund und zwanzigjähriger Sonntagsgast, Vetter Furtenbacher, habe ich mir herausgenommen, die Ulmer Deputation auf heute abend in Euer Haus zu laden. Ich hoffe, Ihr werdet ihnen ein Glas Wein nicht versagen.«

Der Alte nickte seine Zustimmung.

Nun aber erhob sich Johannes Piscator: »Ich will die Stricke des Betruges zerreißen. Ich bin nicht Gerhard Piscator von Schweinfurt: der Gesell aus Franken hat recht gehabt, da er mich der Namensfälschung bezichtigte. Ich bin Johannes Piscator aus Beutelsbach, und Herr Kaspar Notthaft entsinnt sich vielleicht noch, daß ich vor zehn Jahren schon wegen meines frühreifen Wissens bekannt wurde. Man fütterte mich auf mit Schmeicheleien, um mich, da ich ernstlicher Arbeit mich hingab, schier verhungern zu lassen. In dieser Not verschrieb ich mich zur Löwensteinischen Pilgerfahrt, und als mich das Ding gereute, tauschte ich mein Schreiben mit einem abenteuernden Lebzelterjungen, dem echten Gerhard Piscator. Dieser ist nach Jerusalem gegangen, ich ging nach Augsburg. Hier habe ich den Segen des Hauses erkannt, die Heilkraft der strengen Zucht und Ordnung meines werten Meisters. Nicht Lebkuchen backen, aber leben habe ich gelernt. Bei aller Weisheit war ich vordem ein scheuer, geängsteter Mensch gewesen. Hier habe ich erfahren, daß die Ergebung in den Willen Gottes und ein christlicher Wandel uns alle gemeinsam hinaushebt über irdische Bekümmernis. Ich habe noch nicht ganz ergründet, warum man gerade beten und in die Kirche gehen muß: aber ich sehe, es ist doch gut, zu beten und in die Kirche zu gehen. Mein ehrwürdiger Bürge hat mir gezeigt, wie man ein Humanist und ein Christ zugleich sein kann. Verzeiht mir alle meine Lügen – ich hatte nichts Böses im Schilde, und in Reue, Scham und Verlegenheit that ich Buße fort und fort. Doch wer kann immer widerstehen, die Leute anzuführen, wo sie danach dürsten, angeführt zu werden? Da ich noch als Magister lehrte, verschmähten sie meine Gelehrsamkeit; ich bin ein Lebzelterjunge geworden, und nun will man meine Weisheit mit Gold aufwägen. Und die Ulmer gar, die den Magister haben fortlaufen lassen, schicken nun eine Deputation, um den Lebzelterjungen zurückzuholen. Dennoch haben diese Schwernöter nicht unrecht: der Lehrjunge ist mehr wert als der Magister.

»Nun habe ich mit Euch noch ein Wort zu reden, Judith. Ihr fragtet vorhin, warum ich so ungesellig, so undankbar, so trübsinnig geworden in den letzten glücklichen Wochen? Ich versprach seiner Zeit darauf zu antworten: diese Zeit ist da. Seht, als ich meinen werten Bürgen durch das Märchen von meiner Selbsterziehung doppelt belogen und betrogen hatte, kam ein solches Bewußtsein meiner eigenen Unwürdigkeit über mich, daß ich nicht mehr wagte, die Augen vor Euch zu erheben. Ich konnte auch nicht mehr mit Euch sprechen und scherzen; ich war krank am Geiste. Jetzt bin ich wieder gesund; denn ich bin wahr geworden und will es bleiben. Jetzt ist mir auch die Zunge gelöst, daß ich sagen kann, was ich bis dahin niemals über die Lippen zu bringen vermochte. Ich liebte Euch schon lange im stillen, Judith; der strenge, sittenreine Geist dieses Hauses schloß mir den Mund, daß ich, der ich als ein Lügner mich eingeschlichen, dir, der Wahrhaftigen und Reinen, meine Liebe nicht gestehen konnte. Jetzt bekenne ich sie wahr und frei, wie ich selber nun wieder wahr und frei bin.«

Judith senkte das Haupt. Man sah, sie war bewegt; das Weinen stand ihr nahe. Sie erwiderte: »Ihr habt meine Frage über Euren Trübsinn beantwortet. Ich will nun auch mein Versprechen lösen und Euch Rede stehen, weshalb ich, da Ihr hieher kamet, im stillen traurig war, in den letzten Wochen aber so fröhlich. Denn auch hierauf ist die Antwort jetzt an der Zeit. Vor zwei Jahren besuchte ich in Nürnberg meinen Oheim, den Lebzelter Sturm; dort lernte ich den Gerhard Piscator, den echten Piscator, kennen. Ich fand ein Gefallen an dem wilden Burschen, der lange nicht so weisheitsvoll ist wie Ihr, Johannes, aber doch eine treue, gute, edle Seele. Wir schieden mit dem stillen Gelöbnis der Liebe. Dem ungestümen Gerhard aber war die Werkstatt und fast die Welt zu eng, und die vierjährige Lehrzeit nebst den daranhängenden Gesellenjahren eine Hölle in Ewigkeit. So zog er ziellos aus, sein Glück zu versuchen. Es war mir bitterer Kummer, denn ich hielt ihn nun für einen verlorenen Mann. Da traf er auf der Ulmer Landstraße mit Euch zusammen. Aus Trotz und Verzweiflung ging er statt Eurer nach Jerusalem. Der Brief, den Ihr an Crescenz überbrachtet, schloß einen anderen ein, worin Ihr als ein schwacher, gutmütiger Mensch meinem Schutze empfohlen waret. Ich bat den Vetter Notthaft, daß er sich aus Menschenfreundlichkeit Eurer annehme und Bürgschaft leiste. Gerhards Bitte, Euch zu beschützen, habe ich redlich erfüllt. Ich that es um so eifriger und wärmer, weil es der einzige und letzte Wunsch war, den er mir ans Herz gelegt. So gefahrvoll Gerhards Pilgerfahrt sein konnte, war ich doch anfangs getröstet, denn ziellos, arbeitlos im Reiche auf gut Glück auszuziehen, schien mir für einen Mann von seiner Art noch viel gefahrvoller. In den ersten Wochen kamen Briefe. Die Maske des Gelehrten hatte nur für wenige Tage vorgehalten, allein die Ritter fanden Gefallen an dem lustigen Burschen. Plötzlich versiegte alle Kunde von den Pilgern. Da ward ich so betrübt im stillen. Doch mit dem neuen Jahre kam auch neue Nachricht von Alexandria, von Venedig. Mit furchtbaren Leiden, mit Hunger und Pest hatten die Wanderer zu kämpfen, und auf dem Rückweg in Syrien und Aegypten den Angriff räuberischer Horden zu bestehen. Gerhard, der in Nürnberg allemal der letzte am Backofen, war immer der erste im Kampf. Der Bürgermeister von Kairo hatte die beiden Grafen von Löwenstein samt dem Erblandmarschall von Pappenheim festhalten und in den Turm werfen lassen, weil sie einen Kameltreiber geprügelt. Es wütete aber die Pest so gewaltig in der Stadt, daß ein Gefängnis so gut wie ein Grab war. Da gelang allein der Klugheit und Schmeichelkunst meines Gerhard, was vielleicht keinem Doktor und Magister gelungen wäre, daß er den Bürgermeister überredete, die Gefangenen freizulassen. Um solcher Thaten willen ward Gerhard den Herren wert wie ein leiblicher Bruder. Die Grafen von Löwenstein nahmen ihn als Feldhauptmann in ihre Dienste, und mit Ehren reich geziert ist der abenteuernde Lebzelterjunge als ein gestandener Mann zurückgekehrt. Auf der Pilgerfahrt fand er dasselbe, was der gelehrte Johannes Piscator im stillen Lebzelterhause gefunden hat. Um Euch aber die Fahrten und Abenteuer Gerhards vollständig zu erzählen, braucht es einen ganzen langen Abend. Seht, Johannes, seit Gerhard wieder in Venedig gelandet, ward ich heiter und immer heiterer; seit gestern ist er nun gar hier in der Stadt, – und da Ihr, lieber Vater, den Schulmeister von Schweinfurt zum Abendessen geladen habt, damit er seinen Sohn wiederfinde, so wird es doch wohl nötig sein, daß ich auch für Gerhard ein Gedeck in der oberen Stube auflege.

»Der Alte wird ein kurioses Gesicht machen,« meinte Notthaft, »wenn er seinen verlorenen Sohn, der schon einmal Küfer, Schlosser und Lebzelterjunge gewesen, als großen Humanisten zu begrüßen glaubt und findet statt dessen einen Löwensteinischen Feldhauptmann, Kreuzfahrer und Türkenbezwinger, der sogar den Bürgermeister von Kairo überlistet hat.«

Dem Meister Furtenbacher begann es zu schwindeln. »Betrug überall,« rief er, »in Kairo und in Augsburg! So hat mich also der Lehrjunge mit Reden hintergangen und die Tochter mit Schweigen. Aber dieser ganze Lebkuchen voll bitterer Mandeln ist noch nicht ausgebacken. Judith! Lege immerhin auch für deinen Gerhard ein Gedeck auf. Ist die Gesellschaft beim Weine versammelt, dann sollen alle Parteien reden, und ich will morgen alle Glieder der Familie Furtenbacher einberufen, damit wir eine Entscheidung treffen.«

»Da wird wenig mehr zu entscheiden sein, wo zwei solche Helden wie Judith und dieser Pilger schon entschieden haben,« meinte der Scholarch und schlich zur Seite, indes er den Magister bei der Hand nahm. »Wir haben beide Lehrgeld bezahlt, Kollega,« sprach er leise.

Piscator lächelte. »Ich verstehe Euch. Als Ihr mich bei meinem ersten Besuch mustertet und so behaglich gelächelt habt über meine Erscheinung –«

»Da wollte ich sehen,« nahm ihm der Scholarch das Wort aus dem Munde, »ob Ihr mir niemals Eifersucht schaffen könntet. Denn bei Gott, wäret Ihr nicht so häßlich gewesen, ich hätte niemals Bürgschaft für Euch geleistet. Ich gestehe, ich selbst bin verliebt in das Teufelsmädchen; doch das ist nun vorbei. Wir zwei Schulmeister wollen zum Rückzug blasen vor dem palästinensischen Ritter.«

»Und ich blase morgen zu Felde gegen Ulm!« rief laut sich ermannend der Magister. »Jetzt, wo ich wahr geworden, und frei und gesund, fühle ich mich erst als den rechten Ritter des Humanismus, der wahren und freien menschlichen Gesittung. Zuerst will ich jedoch heute abend noch einmal beim Wein in der oberen Stube die Ulmer Deputierten ärgern. Aus einem dicken Donaunebel wird mir Ulm als mein Ithaka aufsteigen. In Wehmut verlasse ich dieses Haus, von dem ich einst am Backofen träumte, es sei mir auf meinen Irrfahrten eine Insel der Phäaken. Es ist mir mehr gewesen. Aber ich werde scheiden von diesem gastlichen Dach, wie damals im Traume, mit dem heimlichen Gedanken des Wiedersehens und mit den Versen des göttlichen Sängers, wie ich sie vor mir hinsprach, als mich ein Rippenstoß des Altgesellen aus dem Schlummer weckte:

                      – – »jungkräftig müss' ich den Meister
Wiederfinden im Haus' und wohlbewahret die Tochter!
Lebt und waltet in Freude, und segnende Götter verleihn Euch
Tugend und Heil; und nie sei hier einheimisch das Unglück!«

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