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Rom 1825

In jedem Menschenleben treten Perioden ein, von wo aus sich, wie die Knotenpunkte an einem Pflanzenstengel, neue Entwicklungen erschließen, welche entweder die äußeren Verhältnisse und Schicksale oder die innere Geistesrichtung für lange Zeit, vielleicht für das ganze Leben bestimmen. Eine solche Wendung meines Lebens trat z. B. ein, als der teure Arnold durch einen Irrtum zu meinem Vater geführt wurde, seine Neigung mir schenkte und mich schließlich zu weiterer künstlerischer Ausbildung nach Rom schickte, wodurch ich aus Verkümmerung gerettet wurde.

Ebenso hatten für mich die letzten Stunden des Jahres einem schon längere Zeit empfundenen Trieb zu seiner Entfaltung verholfen, ohne daß ich mir dessen im Moment bewußt gewesen wäre.

Der erste Sonnenstrahl, den der Neujahrsmorgen in mein Kämmerchen schickte, und das helle Glöckchen von San Isidoro, dessen Kirchlein über die Gärten in mein Fenster schaute, weckten mich aus einem tiefen Schlaf. Ich erwachte plötzlich mit dem Gefühl eines so unaussprechlichen Glückes, welches mir geworden, erfüllt mit Frieden und Freude, daß ich mich wie neugeboren fühlte und die ganze Welt an mein Herz hätte drücken mögen! Wie ein Blitz durchdrang mich das Bewußtsein: »Ich habe Gott, ich habe meinen Heiland gefunden! Nun ist alles gut, nun ist mir ewig wohl!«

So bedeutsam, wie das Neujahr 1825, hatte mich vorher noch keins begrüßt; denn diesmal hatte es seinen Zuruf »das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!« vollständig wahr gemacht.

Hatte ich es früher in den besten Momenten doch nur bis zur Ahnung eines höchsten Wesens bringen können und in Stunden der Begeisterung zu dem gehobenen Gefühle: »Überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen!«, so geschah es jetzt, daß – nicht nur fern über den Sternen sondern nahe im eigenen Herzen und Gewissen die Stimme des Vaters zu mir gesprochen hatte: »Ich bin der Herr, dein Gott, wandle vor mir und sei fromm!« und die Stimme eines Menschensohnes: »Wer mich siehet, der siehet den Vater; komm und folge mir nach!« Wie anders als jene Ahnung war nun die zuversichtliche Gewißheit des Glaubens, die sich nicht nur in einzelnen Momenten kundgibt, sondern als ein lebendiger Born, aus und in das ewige Leben quellend, die Seele gesund erhält und alle Morgen neu ist.

Doch empfinde ich hier lebhafter als je, wie unvermögend Worte sind, Tatsachen des innern Lebens zur Anschauung zu bringen. Sie sollen wohl auch nichts anderes, als Zeugnis ablegen, wo und wie man den Schatz gefunden hat.

Was hatte denn aber diese glückliche Umwandlung bewirkt; wie war ich so plötzlich zu diesem Glauben gekommen? – Kaum wüßte ich es zu sagen; denn das Nachtgespräch mit den neuen Freunden hatte mir durchaus nichts andemonstriert, denn »glauben geschieht ja so wenig durch Gründe, wie schmecken und sehen«, sagt Hamann; aber den vollen Eindruck hatte ich empfangen, daß diese Freunde gefunden, was ich halb unbewußt so lange gesucht hatte, und daß sie einfach ihres Glaubens lebten.

Eine Reihe an sich unscheinbarer Lebenseindrücke, welche in den letzten Monaten sich häuften, hatten den Boden empfänglicher gemacht, und das Samenkorn war zur rechten Zeit hineingefallen. »Und als die Zeit erfüllet war« (nicht früher und nicht später) heißt es auch im Leben des ärmsten Menschenkindes.

Gegen Mittag ging ich zu Oehme, den ich bedeutend besser und bereits außer dem Bette fand. Ich erzählte ihm meine etwas abenteuerliche Nachtfahrt und wie ich zu Maydells Wohnung gelangt war, die drei lieben Freunde beisammen getroffen, und was ich bei ihnen gefunden hatte. Wir hatten aber verabredet, jeden Sonnabend in gleicher Weise zusammenzukommen, und Oehme freute sich, daß seine Gesundheit es ihm erlauben werde, an nächsten Samstag dabei sein zu können. Denn auch bei ihm war seit geraumer Zeit ein religiöses Bedürfnis rege geworden, und hatte er in diesem größere Klarheit und Bestimmtheit zu gewinnen ein herzliches Verlangen.

Diese Abende waren denn auch bald in Gang gebracht und wurden uns so lieb, daß wir uns die ganze Woche darauf freuten und keiner sich jemals davon abhalten ließ. Heiteres und ernstes Gespräch über Kunst und Literatur und vorzugsweise über Gegenstände des christlichen Glaubens fesselten uns so, daß wir nie vor Mitternacht uns trennen konnten.

Als Oehme nach einiger Zeit wieder ausgeben konnte, wanderte ich mit ihm des Nachmittags zur Villa Massimi. Wir waren lange nicht dort gewesen und wußten, daß Schnorr dort wieder an seinen Ariostobildern malte.

Für uns jüngere Maler war es stets eine Hauptfreude, von Zeit zu Zeit nach der Casa Bartholdy oder nach den (damals noch unvollendeten) Malereien der Villa Massimi zu wallfahrten, in ersterer die Geschichte Josephs von Cornelius, Veit und Overbeck, in der andern die Bilder zu den drei großen Dichtern Italiens, von Veit, Overbeck und Schnorr zu bewundern. Es waren diese beiden Stätten gleichsam die Frühlingsgärten der neuen deutschen Kunst, in welchen sie ihre ersten, duftigsten Blüten entfaltet hatte.

Wir trafen Schnorr noch auf dem Gerüst, fleißig bei seiner Arbeit beschäftigt. Er malte eben in einem der Zwickelbilder an der Decke den Krieger (in der Erstürmung von Biserta), welcher sich auf die Mauerzinne schwingt. Es ging ihm mit einer Sicherheit von der Hand, daß es eine Freude war, zuzusehen. So erzählte er, wie er das vorhergehende figurenreiche Bild in zehn Tagen gemalt habe, und diese Leichtigkeit des Schaffens erhielt ihn frisch und fröhlich und wurde von allen Künstlern bewundert.

Dies letzte Bild – es war noch etwas dunkel, weil es noch nicht völlig aufgetrocknet war – gefiel mir ganz besonders durch die Lebendigkeit der Komposition. Es stellte den Rinaido dar, welcher, am Abend mit seinen Reitern über das Blachfeld stürmend, die geschlagenen Heiden vor sich hertreibt. Der mit Wolkenstreifen zart bedeckte Abendhimmel, von welchem sich die herrlichen, ritterlichen Gestalten dunkel abheben, ist mir jetzt (nach fünfzig Jahren) in frischer Erinnerung. Vielleicht empfand man in jener Periode der Romantik die Schönheit dieser Bilder lebendiger als jetzt, wo die Richtung der Zeit und des Geschmacks eine so ganz andere geworden ist. Wir brauchten uns in diesen Geist nicht erst zu »versetzen«, wir saßen nicht nur, wir leibten und lebten darin und konnten uns Herrlicheres gar nicht denken! Schnorr war hier so recht in seinem Elemente; keiner hätte den Ariost mit dieser überquellenden Phantasie so wiederzugeben vermocht als er. Die hohe Anmut in den weiblichen Gestalten, den Heldinnen des Gedichts, der Bradamante, Isabella, Marfisa und Flordelise, war die Bewunderung aller, die sie sahen.

Da Schnorr mit seinem heutigen Pensum bald fertig war und er uns bat, so lange noch zu verweilen, um dann mit ihm nach Hause zu gehen und einen neuen Karton anzusehen, an welchem er beschäftigt war, so hatten wir Zeit, auch die andern beiden Säle mit Muße zu betrachten. Im Dantezimmer war erst die Decke fertig, das Paradies, von Veit gemalt. In der Tat eine Reihe himmlischer Gestalten! Besonders ergreifend war mir der Ausdruck im Gesicht der Beatrice, die vor Dante schwebende schöne Gestalt. Es lag darin ein Etwas, welches vielleicht die Musik, aber keine Menschenworte auszudrücken vermögen, und ich erinnerte mich stets dieses aufleuchtenden himmlischen Blickes, wenn ich die Stelle las:

Öffne die Augen und sieh mich, wie ich bin;
Du hast geschaut Dinge, daß du mächtig geworden bist,
mein Lächeln zu ertragen!

(a sostener lo riso mio.) Dante, Par. 23. G.

Im Tassozimmer war mein Lieblingsbild, die Taufe Clorindens. Am Rande eines Waldes liegt ausgestreckt am Boden die sterbende Clorinde; der Helm ist abgenommen, und das lange, blonde Haar umfließt das schöne, todbleiche Gesicht. Tankred kniet vor ihr in ernster Haltung, die geliebte Feindin aus seinem Helme mit dem Taufwasser netzend. Die schwarze Rüstung des Ritters gegen den goldenen Abendhimmel macht eine eigentümliche, feierliche Wirkung; die Gruppe ist so einfach, rührend hingestellt, die Landschaft und Färbung des Ganzen hat etwas so Feierliches, daß ich mich ganz besonders davon angezogen fühlte.

Als nun der Taufe heil'ge Sprüch' erklangen,
Sah sie von Lust verwandelt himmelwärts,
Wie neu belebt, als spräche sie zufrieden:
Der Himmel öffnet sich, ich geh' in Frieden.
Das schöne Blaß im weißen Angesichte
Gleicht Veilchen, unter Lilien ausgestreut;
Und wie ihr Blick hängt an des Himmels Lichte,
Blickt er auf sie herab voll Huld und Leid.
Zum Pfand, daß sie auf jeden Groll verzichte,
Hebt sie die nackte, kalte Hand und beut
Sie statt der Wort' ihm dar – so geht zum Hafen
Der Ruh' die Huldin ein und scheint zu schlafen.

Tasso.

Während unserer Rundschau war Schnorr mit seinem stürmenden Kriegsmann fertig geworden, legte Pinsel und Palette beiseite, und wir gingen, über hiesige Kunstgegenstände und insbesondere über unsere Bestrebungen sprechend, den weiten Weg bis zum Kapitol, wo Schnorr im Palazzo Caffarelli wohnte, welcher der preußischen Gesandtschaft gehörte. Er hatte in dem oberen Stockwerk ein etwas niedriges, aber sehr großes Zimmer von Bunsen eingeräumt bekommen, mit der herrlichsten Aussicht, die Rom bieten konnte. Denn man übersah das ganze Campo Vaccino mit Kolosseum bis zum Lateran und darüber noch die blaue Kette der Sabinerberge.

Bei unsern Gesprächen unterwegs gab Schnorr Veranlassung, daß wir die Verabredung trafen, alle vierzehn Tage mit Zuziehung von Wagner zusammenzukommen und eine beliebige kleine Komposition mitzubringen, welche dann jedem Anlaß zum Aussprechen seiner Gedanken geben solle. Könne er auch selbst wegen seiner drängenden Arbeiten keine neue Zeichnungen mitbringen, so werde er doch von eigenen früheren Arbeiten manches vorzeigen können, was uns noch unbekannt sei. Natürlich gingen wir freudigen Herzens auf diesen Vorschlag ein und hatten damit einen zweiten Verein gewonnen, zur Förderung unserer künstlerischen Interessen, während der erste mehr auf das geistige Leben und christlichen Sinn zu wirken bestimmt war.

Jetzt führte uns Schnorr vor einen Karton, seine neueste Arbeit, welche er zwischen den Malereien in der Massimi vorgenommen hatte: Die Heimkehr der Nausikaa. Die freundliche Königstochter, von ihrem Wagen die Maultiere lenkend, kommt mit ihren Jungfrauen vom Brunnen, wo sie die Wäsche hatten, und der dort aufgefundene Mann – Odysseus, folgt ihnen bescheiden. Der Weg führt durch ein junges Wäldchen nach der Königsburg. Die Situation ist so anmutig naiv, so heiter, friedlich und erregt durch den ehrerbietig folgenden Fremdling eine Art spannendes Interesse, daß wir höchlich erfreut und erbaut die schöne Arbeit betrachteten und Schnorrs großes Talent hier auf einem ganz neuen Gebiete bewundern mußten.

Es war ihm damals vom Kronprinzen von Bayern in Aussicht gestellt worden, in dem neuerbauten Residenzschloß in München einige Säle mit Bildern aus der Odyssee zu schmücken, und dazu war diese Komposition der erste Versuch.

Daß dieser Plan nicht zur Ausführung gekommen ist – es wurden ihm freilich dafür die Nibelungen aufgetragen –, habe ich oft bedauert, denn gerade für die Odyssee hatte Schnorr eine ganz vorzügliche Begabung. Das anmutige und phantasiereiche Gebiet der Poesie war doch sein Bereich, ja eigenste Natur. Und welchen Anlaß zu den köstlichsten Landschaftsbildern würde gerade dieser Stoff ihm dargeboten haben, wozu er ja ein Talent besaß wie kein zweiter deutscher Maler und welches bedeutend zu verwenden ihm niemals ein Anlaß geboten wurde

Noch besahen wir uns ein unvollendetes Ölgemälde von Horny: ein Kastanienwald, in den die Abendsonne hineinscheint, mit Landleuten, welche aus der dunklen Waldestiefe heraufsteigen, und mehrere vortreffliche Studienbilder von Fohr und Horny, welche in die eigentümliche Schaffensweise dieser zu früh verstorbenen Künstler einen interessanten Einblick gewährten.

Wir hatten einen Nachmittag mit den reichen Eindrücken der in der Gegenwart blühenden deutschen Kunst verlebt, und es ist gar nicht zu sagen, in welcher Fülle in dieser und anderer Art Bedeutendes und Großes fast täglich uns nahe trat, von welchem vollen Strom das Lebensschifflein getragen wurde!

Nun fehlte es bei mir zwar nicht an Empfänglichkeit des Aufnehmens; die Förderung durch all diesen Reichtum würde aber wohl eine größere gewesen sein, hätte ich eine bessere Vorbildung und damit ein tieferes Verständnis gehabt.

In derselben Zeit hatte sich noch eine dritte Verbindung gebildet, und zwar durch die Bekanntschaft Richard Rothes, welcher damals Prediger an der preußischen Gesandtschaftskapelle war.

Als ich eines Sonntags mit Schnorr und Maydell aus der Kapelle kam, trafen wir am Kapitol mit Rothe zusammen, und ich wurde durch die beiden Freunde mit ihm bekannt gemacht. Wir hatten eben eine seiner mächtig wirkenden Predigten gehört, und die Herzen waren noch warm davon; es freute mich deshalb sehr, dem so begabten und liebenswerten Mann näher zu kommen. Dies geschah noch mehr durch sein freundliches Anerbieten, daß, wenn es für mich Interesse habe, an seinen kirchenhistorischen Vorträgen teilzunehmen, welche er jeden Dienstagabend in seiner Wohnung halte, ich ihm willkommen sein würde. Da Schnorr und die anderen Freunde dieselben ebenfalls besuchten, so war mir das um so willkommener, weil damit unser kleiner Kreis immer neue Vereinigungspunkte fand und sieh inniger zusammenschloß.

Welch ein Glück ist es doch, welcher Segen ruht auf einer Verbindung mit so herzlieben Freunden in dieser frischen Jugendzeit, wenn sie gemeinsam nach den idealsten Zielen streben! In einer Umgebung, welche die reichsten, bedeutendsten Anregungen bietet, und durch nichts beengt, genügsam und deshalb um so sorgenfreier, durchleben sie einige Jahre goldener Freiheit, und die Erinnerung daran durchduftet wie ein Blumengeruch das ganze Leben und trägt Poesie in die Prosa oder Schwüle, welche spätere Jahre unvermeidlich mit sich bringen und bringen müssen, wenn der Mensch sich tüchtig entwickeln soll!

Natürlich versäumte ich nicht, am nächsten Dienstag mit Oehme an diesen Vorträgen teilzunehmen, und so bildeten wir für diesen und den folgenden Winter den Stamm der kleinen, oft wechselnden Zuhörerschaft.

Die Geschichte der Kirche des ersten und zweiten Jahrhunderts und ihrer hervorragenden Persönlichkeiten war ja ein sehr interessanter Stoff, und wenn der Vortrag auch manchmal für uns Maler zu wenig Fleisch und Bein hatte und wir zuweilen mit abstrakten Dingen – wie z. B. Darlegung gnostischer Lehrsysteme – regaliert wurden, so entschädigte uns dafür die freie Unterhaltung nachher um so mehr, welche die ihm näher Befreundeten (und dazu wurde ich sehr bald auch gezählt) um den Teetisch versammelte. Hier waltete auch die jugendliche, freundliche Frau, und ich hatte zum ersten Male seit langer Zeit den Eindruck einer einfachen deutschen Häuslichkeit, welche mich – des vielen Wirtshauslebens mit den immer sich wiederholenden Kunstdisputen müde – recht wohltuend berührte.

Rothe war damals ungefähr sechsundzwanzig Jahre alt. Schlicht und anspruchslos in seiner Erscheinung, atmete sein ganzes Wesen eine Liebe und Demut, eine Wahrhaftigkeit und Treue, die von ihrem lautem Ursprung damit zeugten, daß sie so fern von jedem äußeren Schein, so frei von aller Manier waren; und erkannten wir die Tiefe und den Gehalt seines reichen Geistes in seinen Predigten, so gewann er die Herzen je länger je mehr durch sein einfaches, herzliches Wesen. Kurz: alles in ihm war die Frucht seines mit Gott in Christo verborgenen Lebens.

Eine Stelle aus einem seiner Briefe aus dieser römischen Periode war mir recht bezeichnend für sein eigenstes Wesen. Er schreibt:

»Er (Christus) gehört einem immer mehr zum unentbehrlichen Hausbedarf; es wird einem so zumute, als ob das Leben mit ihm und in ihm eine ganz natürliche Sache wäre; das Bewußtsein, mit einem solchen Leben etwas Absonderliches vor anderen Leuten zu haben, tritt immer mehr zurück; und je mehr eben hierdurch Christus in uns eine Gestalt gewinnt, desto mehr verliert unser Tun und Lassen, unser äußeres und inneres Leben alle eigentliche Form und Manier, nähert sich der Wahrheit überhaupt, die man, wie den Geist, wie das Licht, nicht sehen, nicht fassen, nicht greifen kann, die keine Form hat und die sich doch überall, wo sie ist, ihrer Kraft nach bezeugt, desto mehr wird unser ganzes inneres und äußeres Leben in Christo einem Trank reinen, frischen Quellwassers ähnlich, das keinen Geschmack und keine Farbe hat, aber erquickende und belebende Kraft. Dies ist ohngefähr der Gang, den der Herr hier in Rom mit mir genommen hat.«

So weit auch der Weg von meiner Wohnung zum Kapitol war, so versäumte ich jetzt selten, des Sonntags eine Predigt von ihm zu hören. Auch diese waren fern von aller rhetorischen Kunst, keine Spur von Phrase oder poetischen Blumen oder von Gefühlserregung. Die Gedankenkette senkte sich tief auf den Grund des göttlichen Wortes und förderte den reichen Schatz zutage, auf dessen lebendige Aneignung und Verwendung er hinwies. Die milde Herzenswärme, die über das Ganze sich breitete, und der tiefe Inhalt hielten gefesselt, wenn die Predigten öfter auch länger dauerten, als ihm selbst lieb war. Denn manchmal währten sie bis zur Mittagsstunde, wo dann der Magen, als ein Teil des »natürlichen Menschen«, seine heidnische Stimmung wie Fausts Pudel durch lautes Knurren zu erkennen gab.

Die höchst einfache Gesandtschaftskapelle in einem Parterrelokal des Palazzo Caffarelli war früher, wie ihr Urbild in Bethlehem, ein Stall gewesen. Vier weiße Wände, ein Altartisch mit Kruzifix und zwei Leuchtern, einige Reihen Stühle samt der kleinen Hausorgel in einer Ecke bildeten das prosaische Interieur. Ein Sängerchor, größtenteils aus Künstlern bestehend, hatte sich um die Orgel gruppiert, wo Schnorr quasi als Kantor an der Spitze, Hoff, v. Hempel, Koopmann mit ihren trefflichen Stimmen ihm zur Seite standen.

Eine auffallende Figur war der – übrigens sehr tüchtige – Orgelspieler, namens Freudenberg. Lang und mager, mit einem höchst humoristischen Gesicht, zeichnete er sich durch seinen zeisiggrünen, langschößigen Frack, etwas zu kurz geratenen Nankinghosen und ein Paar Schuhe aus, welche einen Wettlauf nach Syrakus mit den Seumeschen Rappen gar siegreich würden bestanden haben. Diese Gestalt war mir lebhaft im Gedächtnis geblieben, ohne daß ich etwas Weiteres über ihn gewußt hätte; deshalb war es für mich eine angenehme Überraschung, als ich vor einigen Jahren die höchst ergötzliche Selbstbiographie dieses originellen, humoristischen Mannes und tüchtigen Organisten, welche nach seinem Tode herausgekommen war, zu lesen bekam. (Freudenberg starb als Oberorganist an der Hauptkirche zu St. Elisabeth in Breslau 1869.)

Die protestantische Gemeinde in Rom war eine stets wechselnde, denn außer den Familien des preußischen, hannoverschen und holländischen Gesandten waren es Gelehrte, Künstler und einige den Winter in Rom verweilende deutsche Familien, welche des Sonntags sich hier einfanden. Die einfache, ja nüchterne Lokalität machte einen starken Kontrast gegen die Pracht der römischen Kirchen und ihre pomphaften Gottesdienste. Die altehrwürdige Kirche Ara Coeli in der Nachbarschaft, welche auf den Fundamenten des kapitolinischen Jupitertempels steht, stand in dieser Beziehung wohl in einem ähnlichen Verhältnisse zur kleinen Protestantengemeinde, wie vor achtzehnhundert Jahren der Tempel zu den versteckten oder nur geduldeten Lokalen der ersten kleinen Christengemeinde.

Es macht doch oft einen recht betrübenden Eindruck, wenn man allenthalben innerhalb der Christenheit soviel Zwiespalt und Trennung erblickt in ihren höchsten, teuersten Überzeugungen. Aber kommt es denn nicht daher, daß sie ihren gemeinsamen Glauben, der eine Kraft Gottes zur Seligkeit ist und dessen Wahrhaftigkeit sich in der Beweisung des Geistes und der Kraft dokumentieren soll, der begrifflichen Formulierung desselben nachsetzen? Und ist denn nicht gerade dieses –die Formulierung in Begriffen – das Menschliche an der Sache? Das Göttliche aber ist ja die Kraft, die uns selig macht.

Aber Gott sei Dank, zu allen Zeiten und unter allen Völkern hat es solche gegeben, die sich in Einigkeit des Geistes verbunden gefühlt haben an ihrem Oberhaupt Jesus Christus, solche, welche den goldenen Spruch St. Augustins sich zur Regel machten: »Im Notwendigen Einheit, im Zweifelhaften Freiheit, in allem Liebe!«, und diese sind es, welche die zu allen Zeiten gleiche »unsichtbare Kirche« bildeten, welche die wirklich katholische, d. i. die allgemeine, die eine und wahre Kirche Christi ist, diejenige, von welcher das apostolische Glaubensbekenntnis redet: Eine heilige, allgemeine Kirche und Gemeinschaft der Heiligen, hier und dort oben!«

Sonderbar kann es wohl erscheinen, daß ich als Katholik so unbefangen und ausschließlich den protestantischen Gottesdienst und religiösen Gesellschaften mich anschloß, ohne das leiseste Bedenken dagegen zu spüren.

Allein wenn ich mich erinnere, daß ich zwar protestantisch getauft, aber nach damaligem Landesgesetz in der Religion des Vaters, also katholisch, wie die Schwester nach der Mutter protestantisch, erzogen wurde und später in vollständigstem Indifferentismus dahinlebte, so wird dies weniger befremden. Nicht die Frage nach der Kirche war es, was mich seit langem bedrängt hatte, sondern die Frage nach einer festen, göttlichen Wahrheit, ja nach dem lebendigen Gott selbst. Da ich dies nun bei meinen protestantischen Freunden gefunden hatte, trachtete ich danach, mit ihnen gemeinsam weiter zu pflegen, was das Glück meines Lebens geworden war.

Zuweilen besuchte ich die glänzenden Gesellschaftsabende des preußischen Gesandten Bunsen, in welchen bedeutende Persönlichkeiten, Deutsche, Engländer und Franzosen, die sich gerade in dieser Zeit in Rom aufhielten, angetroffen wurden. Ich erinnere mich z. B. des aus den Freiheitskriegen berühmten Generals v. Dörnberg mit Frau und sehr schöner Tochter, welche letztere von den Künstlern als das Ideal einer deutschen Jungfrau im Gegensatz zu den schönen Römerinnen gepriesen und bewundert wurde, des feinen Kunstkenners Legationsrat Kestner (der Sohn von Lotte – Werther), des Dichters Kopisch, der Familie Parthey, des Hofmalers Hensel (der Bruder der durch schöne geistliche Lieder bekannten Luise Hensel), Kapellmeister Reißiger u. a. – Manchmal hörte ich da schöne altitalienische Gesangstücke vortragen, die Baini, der Kapellmeister der Sixtinischen Kapelle, Bunsen mitgeteilt hatte. Beide verkehrten viel, miteinander, denn Bunsen war damals eifrig mit liturgischen Arbeiten beschäftigt.

*

Ich wende mich jetzt zu unseren Kompositionsabenden, bei denen Schnorr den Vorsitz führte oder unseren Zensor machte. Sie waren Veranlassung, daß manche hübsche Zeichnung entstand; denn ein jeder tat sein Bestes, um von Meister Schnorr ein Lob einzuernten. Dies war nun freilich nicht allzuschwer; denn es lag nicht in Schnorrs Art, eine scharfe Kritik zu üben, im Gegenteil suchte er jeder dieser Arbeiten die gute Seite abzugewinnen und nur sehr schonend vorgekommene Schwächen oder Fehler anzudeuten, wodurch er den Schüchternen ermutigte, aber minder dem Geförderten nutzte.

Handelte es sich dagegen um ein Kunstprinzip, dann trat er mit großer Bestimmtheit hervor. So hatte Oehme eine vorherrschende Neigung zu sogenannten Stimmungsbildern. Seine Vesper auf dem Orgelchor, welche er zu Weihnachten gemacht hatte, und anderes trugen diesen Charakter. Oehme war ein Nachtfalter, welcher am liebsten in Dämmerung und Nacht herumflatterte. Von einer solchen Richtung wollte Schnorr durchaus nichts wissen: Die Sprache der Natur, wie sie der Maler zu erfassen habe, liege in ihren Formen, in den Gestaltungen der Bäume und Gebirge, der Wolken und Gewässer, in dem Aufbau und harmonischen Zusammenklang der Linien usw, nicht aber im Unbestimmten, in Nacht und Nebel.

Man muß sich erinnern, daß namentlich die Dresdner jüngeren Maler von den originellen Landschaften Friedrichs sich mächtig angezogen fühlten und in ähnlicher oder doch verwandter Weise ihm zu folgen suchten. Auch Oehme gehörte zu diesen, und ich selbst suchte eine kurze Zeit mir einzureden, daß in diesen symbolisierenden Naturbildern das Höchste für die Landschaftsmalerei errungen sei: wo z. B. ein Kreuz mit einer Dornenkrone auf einer Felsenspitze im Walde steht und ein Lichtstrahl gerade hinter der Dornenkrone durch den Nebel bricht, was denn ohngefähr den Spruch: »Durch Kreuz zum Licht« illustrieren würde. Mehrere Versuche in dieser Art, welche ich machte, mißlangen aber so vollständig, daß ich – obwohl mit einiger Verzweiflung – immer wieder auf den bisher eingeschlagenen Weg zurückkehrte. Und das war ein Glück für mich; denn jene dämmernde, mysteriöse Richtung war mir nur durch Reflexion angeflogen und meiner innersten Natur nicht entsprungen; denn ich hatte meine Lust an der klaren Form, an Sonnenschein und bunter Tageshelle.

Oehme fügte sich nun in Rom, so gut er konnte, der herrschenden Ansicht und malte einige heitere italienische Landschaften, mit welchen er aber nur wenig über die Vedute hinauskam. Seine schönsten Bilder waren späterhin stets Stimmungsbilder ganz eigentümlicher, hochpoetischer Art. Man könnte ihn den Lenau unter den Malern nennen. So siegte bei ihm zuletzt ebenfalls die tiefangelegte Künstlernatur über die theoretische Ansicht, und seine Begabung hat er stets im edelsten Sinne verwendet.

Weit wirksamer und erfolgreicher als unsere Kunstdispute waren die Eindrücke, welche Schnorrs Werke hinterließen. So brachte er eines Abends in zwei Bänden seine Landschaftszeichnungen mit, welche denn mit dem größten Interesse betrachtet, ja bewundert wurden. Am meisten Vorteil zog ich selbst davon, denn da die kleine Versammlung bei mir abgehalten wurde, so vertraute Schnorr mir diesen Schatz auf längere Zeit an, und so manche liebe Stunde saß ich nun über diesen Blättern im genußreichsten Betrachten, verfolgte jede Linie mit den Augen, sah, wie das verschiedene Laubwerk gemacht war, studierte überhaupt das Machwerk derselben, weil dieses mir so besonders wohlgefiel, und suchte mir vieles davon anzueignen.

Diese schönen Landschaften waren mit den anmutigsten Figuren geschmückt, die er bald dem Volksleben, bald der Mythe oder dem italienischen Mittelalter entnommen und dem Charakter der Landschaft angepaßt hatte. Sie gehören gewiß zu den lieblichsten und eigentümlichsten Schöpfungen Schnorrs.

Fern von aller konventionellen Form, allem künstlichen Pathos, atmen sie den ganzen Zauber, die liebliche Unschuld der Natur, wie sich diese in einem kunstgebildeten Geiste spiegelt. Eben weil sein Sinn durch ein hohes Stilgefühl ausgebildet war, in welchem ja die ewigen Gesetze des Schönen und Wahren enthalten sind, deshalb durfte er sich auf die freieste Weise einer Nachbildung der Natur überlassen, in ihre feinsten und charakteristischen Einzelheiten eingehen, welche diesen Landschaftsbildern einen so großen Reiz von Naturwahrheit und idealer Kunstschönheit verleihen.

Schnorr zeichnete diese Blätter zuerst mit Bleistift sehr sorgfältig nach der Natur, umzog sie dann zu Hause mit der Feder – setzte dann die Figuren hinein und tuschte die meisten leicht und gewandt mit Sepia, wodurch das Ganze in Haltung kam. Diese Zeichnungen waren damals in zwei Foliobänden aufgezogen, wie er denn in allen seinen Sachen die größte Ordnung und Sauberkeit beobachtete. So ließ er niemals – wie es oft von anderen und auch von mir geschah – Studienblätter und Zeichnungen halb vollendet liegen, sondern vollendete solche Blätter, sobald er Zeit dazu fand, beschnitt sie sauber und zog sie womöglich auf. Diese Ordnungsliebe und gute Pflege seiner Sachen, die manchmal an das Pedantische zu grenzen schien, versetzten den Beschauer beim Betrachten solcher Blätter in eine behagliche Stimmung, und man mußte schon um des äußeren Eindrucks willen Respekt vor Dingen haben, welche so sorgfältig gepflegt wurden.

Diese Zeichnungen sind später, da sie Schnorr nicht vereinzeln wollte, in die Sammlung meines Freundes Ed. Cichorius gekommen. Dr. Jordan hat eine Anzahl derselben vorher in Photographie herausgegeben.

An einem andern Abend brachte Schnorr seine sämtlichen Zeichnungen und Studien zu den Ariostbildern in der Villa Massimi mit, welche uns in einen wahren Freudenrausch versetzten. Schnorr machte da mit uns Bruderschaft, und damit es an der üblichen Libation nicht fehle, gingen wir schließlich noch in eine dämmernde Osteria, wo wir in heiterster Laune noch spät beisammen waren.

*

Schon früher erwähnte ich, daß ich mit Wagner gemeinsam die Rückreise nach Deutschland antreten wollte, und es rückte diese Zeit das Frühjahr – näher heran. Inzwischen hatte sich aber in und außer mir so manches geändert. Ich fühlte, daß, was ich in letzter Zeit gewonnen oder begonnen hatte, nur hier seine weitere Entwicklung finden könne, und ein vorschnelles Abbrechen den ganzen geistigen Erwerb gefährden müsse. Mannigfaltige folgenreiche Beziehungen hatten sich angeknüpft, und durch ein tieferes Eindringen, ein besseres Verstehen römischer Natur wurde mein Streben für ideale oder sogenannte historische Landschaftsmalerei immer mehr gefördert und ins Klare gebracht.

Freilich, wenn ich in der Abenddämmerung noch im Atelier saß und träumte, tauchten die traulichsten Bilder aus der Heimat auf, dunkle Wälder und rauschende Wasser, arme Hütten mit Strohdach, aus denen der blaue Rauch sich an dunklen Nadelholzbergen hinzieht und dergleichen. – Deutsche Natur erschien mir immer als ein einfaches, tiefinniges Bürgerkind, wie Gretchen (im Faust), – die italienische Natur wie eine Jungfrau aus königlichem Geschlechte, eine Iphigenia. Die Bewunderung für den Adel der Königstochter war in mir höher und höher gestiegen, aber meine Liebe war das schlichte Bürgerkind.

Glücklicherweise entschied ich mich aber diesmal nicht für die Stimme der Sehnsucht, sondern folgte andern Erwägungen, die zum Dableiben rieten. Außerdem drängte auch Freund Schnorr in mich, alles, was möglich, aufzubieten, um den Aufenthalt verlängern zu können. »Das hier Gepflanzte müsse tiefer wurzeln, wachsen und erstarken.«

Hauptsächlich kam es jetzt darauf an, daß mir Arnold noch länger die Mittel gewährte. die zu einem längeren Aufenthalt nötig waren. In diesem Sinne hatte ich ihm geschrieben und wartete mit größter Spannung seiner Entscheidung.

Es trat jetzt unerwartet einiges dazu, wodurch meine Absicht erleichtert schien Schnorr brachte eines Tages seinen Landsmann Dr. Hänel aus Leipzig in mein Atelier, um ihm mein Bild zu zeigen, welches in der Ausführung bereits weit vorgerückt war. Es gefiel beiden, und da wir nachher zusammen einen Spaziergang in die Villa Borghese machten, merkte ich wohl, daß Schnorr es ihm zum Ankauf für die Sammlung seines Schwagers, des Barons v. Sternburg, empfohlen hatte. Und so war es auch. Nach einigen Wochen kam die Zustimmung von diesem, die Bestellung wurde festgemacht, und das Bild kam später in die Sammlung (jetzt im Leipziger Museum) – Es war überhaupt das erste Gemälde, welches ich verkaufte; denn die im vorigen Winter gemalte Landschaft (Der Watzmann) hatte ich selbstverständlich meinem väterlichen Freund Arnold überlassen.

Zu derselben Zeit überraschte mich ein Schreiben des Grafen Vitzthum von Eckstädt, unter dessen Leitung die Kunstakademie stand, daß mir zunächst für dieses Jahr eine Pension von hundert Talern angewiesen sei, und zwar infolge der Ausstellung meines Bildes.


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