Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechzehntes Kapitel.

Ueber öffentliche Promenaden.

Wenn ich ein Verzeichniß von den Mitteln zur Erhaltung der Gesundheit, oder auch zu ihrer Wiedererlangung verfassen sollte, so würde ich eine mässige Bewegung wo nicht oben an setzen, doch wenigstens den wieder zur Mode werdenden Lebenstinkturen und andern Präservativmitteln vorziehen.

Ich würde auch gar nicht befürchten, deswegen getadelt zu werden, da nun selbst die vernünftigern Aerzte, wenn alle Simplicia und Komposita der Apothecke nicht mehr fruchten wollen, eine mässige Bewegung zu Pferd, oder eine Lustreise verordnen. 216

Jeder kann freylich nicht Lustreisen machen, oder sich Reitpferde halten; indessen giebt es noch eine dritte Art von gesunder Bewegung, und die ist eine mässige Promenade zu Fuß.

Der Staat, dessen Pflicht es ist, für die Gesundheit seiner Bürger zu sorgen, hat deswegen eigne öffentliche Bewegungsplätze bestimmet, wo sich jeder zur Erhaltung seiner Gesundheit so viel Präservativmittel holen kann, als ihm beliebt. Allein diese öffentliche Promenaden sind nicht immer zweckmässig angelegt. So kenne ich Städte, wo man, um eine mässige Bewegung zu machen, unmässig weit gehen muß; in andern sind die öffentliche Spazierpläze nicht nur eine viertel Meile von der Stadt entfernt, sondern die Spaziergeher müssen, bevor sie den Belustigungsort erreichen, so unendlich viel von Sonnenhize und Staub dulden, daß ihnen zu einer mässigen Bewegung selten Kräfte genug 217 übrig bleiben, und so geschieht es dann, daß sich manche auf so einer zum Besten ihrer Gesundheit unternommenen Promenade oft den Tod holen. In mancher Stadt nehmen die Herren und Damen auch ihre Pferde mit auf die Promenade, und erregen durch ihr Reiten und Fahren so einen gewaltigen Staub, daß man fast glauben soll, ihre Absicht wäre, die armen Fußgänger auf immer aus diesen öffentlichen Spaziergängen zu vertreiben – Und so etwas kann ihnen auch wirklich nicht fehl schlagen; denn wer wird in die Länge ein Präservativmittel für seine Gesundheit an einem Orte holen, wo er, statt reiner Luft, Staub athmet, und wo ihm die Erfrischungen, wie Sodoms Aepfel, im Munde zu Staub werden? Doch dieser Staub hat selbst für die Fahrenden seine grossen Unbequemlichkeiten: denn er zwingt sie, die Gläser an ihren Wägen aufzuziehen, und ihre eignen oft nicht gesündeste 218 Ausdünstungen einzutauchen; ist es aber eine Pirutsche, so laufen sie fast Gefahr zu ersticken, sie sehen weder sich, noch was bey ihnen vorbey fährt, noch die Schönheiten der Natur, die sie mit Staub zudecken.

Wenn es doch für eine gewisse Gattung von Menschen auf einem Spaziergang gefahren seyn muß, so könnte so etwas ja auch im Schritte geschehen; allein die Geschäfte sind bey den meisten zu dringend, und dann fahren ja nur die Bürgermeister der Reichsstädte im Schritt: es wird also ventre à terreAls ich noch die Ehre hatte, mit Damen öfters in Gesellschaft zu seyn, hörte ich sehr oft sagen, daß es heut oder gestern Abends ventre à terre durch die Gässen der Stadt gieng. Da man einem Geistlichen keine Frage übel nimmt, so bat ich um eine Erklärung dieser Ausdrücke, worauf man mir auch mit aller Gelassenheit den Bescheid gab, daß diese Redensart nichts anders sagen wolle, als die Pferde so zum Laufen anstrengen, daß sie mit dem Bauch das Pflaster berühren. So reich die deutsche Sprache auch an sich ist, so fand ich doch keine Benennung, die die ganze Kraft dieses französchen ventre à terre ausdrückt; denn selbst das Wort halsbrecherisch drückt kaum die Hälfte davon aus. 219 darauf los gejagt, ohne Achtung für einen öffentlichen Belustigungsort, ohne Schonung für den zu Fuß gehenden Mitbürger, ohne Schonung gegen sich selbst.

Doch wenn diese Promenaden auch nicht mit allen diesen Unbequemlichkeiten verbunden wären, so können sie schon blos wegen ihrer Entfernung nie zu einem zweckmässigen Spaziergange dienen.

Ich will mich mit Herrn Obermayer in keinen Streit einlassen, ob dann an unsrer Klosterverfassung gar nichts nachahmungswürdig sey; aber ich denke immer, daß die Idee, bey jedem Kloster einen Spaziergarten anzulegen, den Klöstern Ehre mache, und einen Beweis abgebe, wie sehr die Vorgesetzten für die Gesundheit ihrer Untergebenen sorgen. 220

Man wird leicht erraten, warum ich dieses Beyspiel anführe; indessen weiß ich wohl, daß bey der ökonomischen Bauart der meisten Hauptstädte, wo die Häuser, gleich den wayland holländischen Häringen in ihren Tonnen, dicht von allen Seiten aneinander kleben, sich freylich dergleichen Hausgärten nicht anbringen lassen; indessen giebt es doch nicht leicht eine Stadt, die nicht einen ihrer Hauptpläze zur öffentlichen Promenade entbehren könnte. Aber dieser öffentliche Spaziergang müßte mit schattichten Bäumen besetzt, von Wägen gesichert, und so angelegt seyn, daß man ihn unter halbgedeckten Seitengängen auch bey unfreundlichem Wetter, und besonders zur Winterszeit, wo der menschliche Körper einer stärkern Bewegung bedarf, geniessen könnte.

Bey so einer wohl eingerichteten Promenade würden dann viele Einwohner, denen entweder die Zeit zu kurz ist, 221 oder die ihre Gesundheit zu sehr lieben, um einer gesunden Kommotion wegen eine Stunde durch ungesunden Staub nach den entlegenen Spaziergängen zu wandeln, nicht mehr gezwungen seyn, die schmuzigen, stinkenden Gässen auf und nieder zu trippeln, sich mit Koth besprizen zu lassen, und den Schnuppen zu holen.

Die Politicker dürften sich dann zur Unbequemlichkeit der übrigen Fußgeher nicht mehr an die Ecksteine, oder Kaufmannsbutiquen hinpflanzen, und zum Nachtheil ihrer Lungen die Stimme nicht überspannen, um das Gerassel der Wägen zu überschrein; endlich würden auch die Damen diesen ruhigen Spaziergang gewiß bequemer finden, als die von Wägen wimmelnde Strasse, wo sie weder ihre eigne Stimme noch die Zweydeutigkeiten ihrer Begleiter hören, und oft nicht sicher sind, von einem Sänftenträger oder einem Trunkbolde – 222 sammt der Papina oder Vaniglia ins Koth geworfen zu werden.

Damit aber besonders die Gesundheit der Damen von dieser öffentlichen Promenade Vortheil ziehe, wäre mein Wunsch, daß sie ja nicht, wie es itzt ihre Gewohnheit ist, wie Pariserpuppen darauf erschienen; denn sie würden sich dadurch nur wechselweise zur Eifersucht reizen, und also, statt eines erheiterten Gemüthes, Mismuth und Vapeurs von dieser Gesundheitspromenade nach Hause bringen.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Eine öffentliche Promenade mit verschiedenen durchgeschnittenen Alleen, deren entzückende Aussicht aber von Staub verhüllt ist.223
  2. Durch diese Alleen wird in gestrecktem Lauf geritten und gefahren, und dadurch Wolken von Staub aufgetrieben, die eine halbe Sonnenfinsterniß machen.
  3. Ein Herr fährt im Solitäre gegen die Hauptallee, und sieht nicht vor lauter StaubEs könnte also außer der Vertreibung der Fußgeher wohl noch andere Beweggründe zum Staubmachen geben., daß seine theure Gemahlinn mit einem Glücksritter in der Pirutsche die Allee heraufjagt.
  4. Ein lüftiger Accessist reitet seinen Papa, der zu Fuß geht, halb über den Hauffen, weil dieser den Herrn Sohn aber vor Staub nicht erkennen konnte, läßt er es dabey bewenden, daß er ihm ein paar Schurken, und schlechte Kerl nachwirft.
  5. Im Gebüsche sieht man verschiedene Spaziergeher, die ihre Sacktücher vors Maul halten.
  6. Etwas seitwärts sitzt ein Hausknecht mit einer Köchinn bey einer Bouteille Bier im Gras. 224
  7. Verschiedene Herren Meister sitzen, weil eben ArbeitstagIch gönne gewiß Jedermann sein Vergnügen, und kann es daher gerne sehen, wenn Leute von allen Klassen auch auf Spaziergängen Erfrischungen zu sich nehmen, und meinetwegen auch, so wie Herr Obermayer uns Geistlichen vorwarf, ihr zu Haus angefangenes Mittagmahl auf der Promenade fortsetzen; nur müssen sie bey vollen Gläsern und fetten Kapaunen nicht auf magre und böse Zeiten schimpfen, sonst glaubt man entweder, daß sie scherzen, oder daß es ihre eigne Schuld sey, wenn für sie böse Zeiten sind. ist, an einem Tisch herum. Sie zanken mit dem Wirth, daß er Pfeffer auf die gebratenen Hühner gestreut habe. Der Wirth versichert, daß es kein Pfeffer, sondern blos Staub wäre, den ihm der Wind in die Küche trieb.
  8. Eine Dame, die mit Sechsen durch eine Seitenalle herauf jagt, zieht die Gläser auf, und ärgert sich über den abscheulichen Staub, den nach ihrer Meinung der Pöbel von Fußgängern erregt. 225

 


 


 << zurück weiter >>