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Durch alles, was sie an diesem Tage hatte durchmachen müssen, konnte Anna in der Nacht kaum Schlaf finden; dabei glaubte sie in einem fort irgendwelche Schritte im Heckenweg, dann wieder auf der Dorfstraße und ganz dicht am Hause zu vernehmen. Sie horchte mit klopfendem Herzen; doch das ganze Haus war in tiefem Schlaf befangen, selbst die Kinder greinten nicht. Die Nacht war dumpf, wenn auch hell, und die Sterne funkelten zum Fenster herein; hin und wieder begannen die Bäume zu rauschen, und gegen Mitternacht stand ein Wind auf, der ab und zu anschwoll und wieder abflaute.
In der Stube war es drückend heiß, von der Stelle unter dem Bett, wo die Enten nächtigten, stieg ein übler Dunst auf, aber Anna war zu faul, das Fenster zu öffnen. Der Schlaf war ganz von ihr gewichen, das Federbett brannte sie und die Kissen schienen unter ihrem Kopf zu glühen; sie warf sich auf ihrem Lager hin und her; eine Unruhe überkam sie immer stärker, verschiedene Gedanken wimmelten in ihrem Kopf herum wie Ameisen in einem aufgewühlten Haufen. Immer wieder brach ein heißer Schweiß aus ihr hervor, ein solches Beben überkam sie, daß sie sich gar nicht mehr beherrschen konnte; sie sprang plötzlich aus dem Bett und ging barfuß und im Hemd mit einer Art, die ihr gerade unter die Hände gekommen war, auf den Hof hinaus.
Alle Türen standen sperrangelweit offen, und über allem lag die unergründliche Stille des Schlafes ausgebreitet. Pjetrek lag vor dem Stall und schnarchte; die Pferde kauten ihr Futter und klirrten hin und wieder mit den Ketten; und die Kühe, die man für die Nacht nicht festgebunden hatte, hatten sich hier und da auf dem Hof hingelagert und käuten wieder, ihre feuchten Mäuler unausgesetzt bewegend, während sie ihre schweren gehörnten Köpfe nach ihr hinwandten, sie mit den schwarzen rätselhaften Augäpfeln ansehend.
Sie kehrte wieder ins Bett zurück und blieb mit weit geöffneten Augen und ängstlich hinaushorchend still liegen; denn es kamen Augenblicke, in denen sie ihren Kopf verwettet hätte, daß irgendwelche Stimmen und dumpfe, ferne Schritte sich ganz deutlich vernehmen ließen.
»Vielleicht schlafen sie bei den Nachbarn nicht und reden noch miteinander!« versuchte sie sich einzureden; als aber die Fenster kaum etwas graues Tageslicht hindurchzulassen begannen, erhob sie sich und trat, nachdem sie Anteks Schafpelz rasch übergeworfen hatte, vors Haus.
Aus der Galerie stand Witeks Storch mit dem Kopf unter dem Flügel auf einem Bein und schlief, und vom Heckenweg sah man das weiße Gefieder der Gänse, die sich zu einem Haufen zusammengeduckt hatten.
Die Wipfel der Bäume ragten schon aus der Nacht heraus, ein dichter Tau tröpfelte von den Blättern und fiel leise aufklatschend ins Gras, es wehte eine frische, erquickende Kühle.
Kriechende, nebelblaue Dünste umhüllten die Felder, aus denen die hin und wieder auf dem Feld stehenden höheren Bäume emporragten; ihre Kronen hoben sich wie dichte schwärzliche Rauchgebilde vom Himmel ab.
Dann begann der Weiher aufzuschimmern wie ein großes, blindes Auge, um das die Dunkelheit wie ein Flor lag; die Erlenbüsche an seinen Ufern flüsterten leise und ängstlich miteinander, denn rings war noch alles vom Schlaf befangen, in grauer, undurchdringlicher Trübe und Stille versunken.
Anna setzte sich auf die Mauerbank, und gegen die Wand gelehnt, nickte sie ein wenig vor sich hin und merkte kaum, daß sie doch auf ein paar Paternoster lang eingeschlafen war; denn als sie wieder zu sich kam, war die Nacht schon ganz verblaßt, und im Osten entzündeten sich die leuchtenden Morgenröten wie ferne Brände.
»Wenn sie bei Kühlwerden aufgebrochen sind, dann müssen sie jeden Augenblick da sein!« dachte sie, auf den Weg hinausschauend; sie fühlte sich so erquickt durch diesen kurzen Schlummer, daß sie nicht mehr ins Bett zurückkehrte, und um die Zeit bis Sonnenaufgang schneller hinzubringen trug sie die Kinderkleider nach dem Teich, wo sie sie etwas durchzuwaschen begann.
Und der Tag erhob sich immer schneller; schon krähte irgendwo ein Hahn auf, und gleich darauf hörte man in der Nähe andere mit den Flügeln schlagen und laut rufend sich mit den ganzen Hähnen des Dorfes messen. Dann stimmten, aber nur erst vereinzelt, die Lerchen ihr Singen an, und aus dem dämmrigen Umkreis begannen sich allmählich die geweißten Wände, die Zäune und die leeren taufeuchten Wege herauszuschälen.
Anna wusch wütend drauflos; als aber irgendwo in der Nahe leise Schritte vernehmbar wurden, duckte sie sich erschrocken auf ihrer Stelle nieder und sah sich eifrig um; irgendeinen Schatten sah man von dem Gehöft der Balcereks sich fortschleichen und sich heimlich lauernd an den Bäumen entlang vorbeischieben.
»Natürlich einer, der bei der Maruscha gewesen ist, wer aber wohl?« Sie starrte ihm nach, ohne etwas mehr zu unterscheiden, denn der Schatten war plötzlich spurlos verschwunden. »So eine Stolze, hat so viel Dünkel über ihre Schönheit, und wer hätte gedacht, daß die des Nachts die Burschen einläßt?« dachte sie entrüstet, und schon entdeckte sie den Müllersknecht, der heimlich von dem anderen Ende des Dorfes herübergelaufen kam.
»Der kommt gewiß von der Schenke, von der Magda! Rein wie die Wölfe treiben sie sich hier bei Nacht umher. Was nicht alles passiert!« Sie seufzte tief auf, denn auch ihr kroch ein begehrliches Gefühl über die Glieder, so daß sie sich mehrmals wohlig reckte; da aber das Wasser etwas kühl war, so ging es rasch vorüber, und sie begann mit leiser Stimme, die voll Sehnsucht war, zu singen: »Wenn die Morgenröten steigen!«
Das Lied floß ganz dicht über das taufeuchte Gras dahin und ging in den rosigen Morgen auf.
Es war die Zeit zum Aufstehen gekommen; das Klirren sich öffnender Fenster wurde laut, Pantinen hörte man aufklappen, und verschiedene Stimmen erwachten.
Anna breitete die ausgewaschenen Kinderkleider über den Zaun und ging daran, ihre Leute zu wecken; sie waren aber noch so schlaftrunken, daß sie, kaum daß sie den Kopf erhoben hatten, gleich wieder aufs Lager zurücksanken, ohne zu begreifen, was man von ihnen wollte.
Sie wurde ganz ärgerlich, denn Pjetrek schrie sie von oben herab an:
»Dazu ist es noch viel zu früh, hundsverdammt nochmal! Ich schlaf' bis die Sonne kommt!« und er rührte sich nicht von der Stelle.
Die Kinder fingen an zu greinen, und Fine maulte kläglich:
»Laß mich doch noch, Hanusch! Ich hab' mich doch kaum erst hingelegt.«
Sie beschwichtigte die Kinder, trieb das Geflügel aus den Schweineställen hinaus, und nachdem sie noch ein Paternoster lang gewartet hatte, als schon kurz vor Sonnenaufgang der Himmel ganz erglüht war und der Weiher im Morgenrot aufleuchtete, erhob sie ein solches Geschrei, daß sie alle aufstehen mußten. Dann herrschte sie auch sofort den Witek an, der noch ganz verschlafen sich an den Hausecken herumrekelte.
»Wenn ich dir ein paar harte drüberziehe, dann wirst du schnell aufwachen! Warum hast du, Mißgeburt, nicht die Kühe an die Krippen festgebunden! Willst du, daß sie einander in der Nacht die Bäuche mit den Hörnern aufschlitzen?«
Er murrte etwas dagegen, so daß sie ganz wütend auf ihn lossprang; zum Glück hatte er gleich Reißaus genommen; dann machte sie sich hinter Pjetrek her.
»Die Pferde nagen an den leeren Krippen, und du liegst hier bis in den Tag hinein!«
»Schreit doch nicht so wie 'ne Elster vorm Regen. Das ganze Dorf wird es noch hören!« brummte er.
»Laß sie es hören! Sie können wissen, was du für ein Faulpelz und Tagedieb bist! Warte du, wenn erst der Hofbauer zurück ist, der wird dich 'rankriegen, das wirst du sehen! Fine, he!« rief sie wieder in der anderen Ecke des Hofes »die Rote hat ganz harte Euter, melk' ordentlich, daß du nicht wieder die Hälfte der Milch drin läßt! Und beeil' dich damit, im Dorf treibt man schon die Kühe zur Weide. Witek, nimm hier das Frühstück ... und gleich hinaustreiben und laß mir nicht die Schafe zurück, wie gestern, sonst werd' ich dir kommen!« So erteilte sie ihre Befehle und hantierte selbst bald hier, bald da herum; sie streute den Hühnern ein paar Handvoll Futter hin, trug den vor dem Haus herumquiekenden Schweinen einen Kübel Futter hinaus, machte für das Kalb, das man von der Mutter getrennt hatte, einen Eimer Drank zurecht, warf den Enten gekochte Grütze hin und trieb sie sodann aus den Weiher. Witek bekam noch einen Puff in den Rücken und mußte dann mit seinem Brot im Sack losziehen. Sie hatte selbst den Storch nicht vergessen und stellte ihm einen eisernen Topf voll alter Kartoffeln auf die Galerie hinaus, so daß er herangeschlichen kam, klapperte und mit seinem langen Schnabel hineinstoßend, Kartoffel nach Kartoffel herunterschluckte. Sie war überall da, dachte an alles und wußte für alles einen Rat.
Und als Witek die Kühe und Schafe fortgetrieben hatte, machte sie sich gleich an Pjetrek heran, da sie es nicht mit ansehen konnte, wie er ohne Arbeit herumlungerte.
»Du sollst den Stall ausmisten! Die Kühe haben es jetzt da drinnen zu heiß in der Nacht und besudeln sich wie die Schweine.«
Die Sonne ging gerade in der Ferne auf und umfaßte die Welt mit ihren heißen, glühenden Blicken, als die Kätnerinnen, die zum Abarbeiten kamen, allmählich zu erscheinen begannen.
Anna trieb Fine zum Schälen der Kartoffeln an, gab dem Kind die Brust, und nachdem sie die Beiderwandschürze umgetan hatte, sagte sie:
»Gib hier auf alles acht! Sollte aber Antek zurückkommen, dann schickst du gleich zu mir nach dem Kohlfeld 'rüber. Kommt nun schnell, Frauen, solange noch der Tau liegt und es noch nicht heiß ist; wir wollen den Kohl etwas behacken, und nach dem Frühstück gehen wir dann wieder an die Arbeit von gestern.«
Sie führte sie hinter die Mühle auf die tief gelegenen Wiesen und Moore, die noch ganz silbrig von Tau und niedersinkenden Nebeln waren. Die Torferde schwankte unter den Füßen, als ob man über Lederriemen ginge, und war an verschiedenen Stellen so naß, daß der Fuß einsank; sie mußten solche Stellen umgehen. In den Furchen zwischen den Beeten, die tief wie Gräben waren, stand mit grünem Entenkraut wie mit Schimmel bedecktes Wasser.
Auf den Kohlfeldern war noch kein Mensch zu sehen; die Kiebitze kreisten über den Beeten, und mit wiegendem Schritt stelzten die Störche, nach Nahrung ausspähend, hier und da umher. Es roch nach feuchter Moorerde, und der herbe Geruch von Kalmus und Ried, von denen ganze Büschel um die alten zerfallenen Torfgruben wuchsen, erfüllte die Luft.
»Schönes Wetter, aber es scheint mir, daß es Hitze geben wird,« ließ sich eine der Kätnerinnen vernehmen.
»Gut, daß der Wind etwas kühlt.«
»Weil es noch früh ist, aber der trocknet noch schlimmer aus wie die Sonne.«
»Man erinnert sich schon lange nicht, ein so trockenes Jahr gehabt zu haben!« redeten sie miteinander, sich an die Arbeit auf den erhöhten Kohlbeeten machend.
»Wie der gewachsen ist, manche Köpfe setzen schon an.«
»Wenn sie nur die Raupen nicht auffressen. Bei solcher Dürre, da können sie noch ordentlich drüber herfallen.«
»Das können sie. In Wola haben sie ihn schon zuschanden gefressen.«
»Und in Modlica, da ist er ganz vertrocknet, sie mußten frischen pflanzen.«
Sie unterhielten sich und lockerten dabei mit den Hacken die Erde, die sie an beiden Seiten einer jeden Furche, wo das Unkraut stark wucherte, aufwarfen. Gänsedisteln waren dort mächtig aufgeschossen, und Huflattich und Disteln wuchsen dicht wie ein Wald.
»Was der Mensch nicht sät und nicht braucht, das gedeiht üppig,« bemerkte eine, die Erde von den Wurzeln einer ausgerissenen Unkrautstaude abklopfend.
»Das ist wie alles Böse! Die Sünde sät niemand aus, und die ganze Welt ist voll davon.«
»Weil sie sich gut vermehrt. Du liebe Güte! Solange der Mensch auf der Welt ist, haben wir die auch. Man sagt doch: ohne Sünde gäbe es kein Lachen, oder auch: wenn nicht die Sünde, dann gäbe es keinen Menschen mehr! Die muß wohl zu irgendwas nötig sein, grad wie dieses Unkraut, denn beide hat der Herr Jesus geschaffen,« redete die Gusche, wie sie das gerne so tat.
»Der Herr Jesus sollte das Böse geschaffen haben! Sieh einer! Der Mensch aber, der ist wie ein Schwein, alles muß er mit seinem Rüssel besudeln!« sagte Anna streng, so daß sie schwiegen.
Die Sonne war schon höher gestiegen, und die Nebel ganz weggesunken, als erst die anderen Frauen aus dem Dorf aufs Feld kamen.
»Fleißige Gesellschaft! Die warten, bis der Tau wegtrocknet, um sich die Klumpen nicht erst naß zu machen,« höhnte Anna.
»Nicht jeder ist so auf die Arbeit erpicht, wie ihr!«
»Denn nicht jeder braucht sich so zu sorgen wie ich!« seufzte sie tief auf.
»Wenn der Eure nach Hause kommt, dann werdet ihr euch ausruhen können.«
»Ich habe ein Gelübde gemacht, nach Tschenstochau zu gehen, wenn er nur wiederkehren wollte. Der Schulze hat ihn auf heute angemeldet.«
»Der weiß es doch vom Amt, da muß es wohl wahr sein. Aber dieses Jahr will viel Volk nach Tschenstochau. Die Organistin, sagt man, will auch gehen, sie hat gesagt, daß der Pfarrer selbst den Pilgerzug führen wird!«
»Wer soll ihm denn seinen Bauch tragen!« lachte Gusche auf. »Selbst wird er ihn doch ein solches Stück Wegs nicht schleppen können. Der verspricht nur, wie immer.«
»Ich bin nur paarmal hingewesen; wenn ich aber könnte, ging' ich immer mit,« seufzte Philipka, die jenseits des Weihers wohnte.
»Auf das Faulenzen geht jeder gierig aus.«
»Mein Jesus!« sprach die andere mit Wärme weiter, ohne auf die Sticheleien zu achten. »Das ist ja, als ob der Mensch zum Himmel ginge, so leicht und gut fühlt man sich unterwegs. Und was man da alles von der Welt sieht:, und was man alles zu hören kriegt und sich satt beten kann! Nur paar Wochen sind es, und es scheint einem, als ob er für ganze Jahre sich der Mühen und Sorgen entledigt hatte. Man fühlt sich danach, als ob man neu geboren wäre!«
»Das ist wahr, das ist Gottes Gnade, die einen so stärkt! Versteht sich,« bestätigten einzelne.
Vom Dorf her auf einem Fußpfad am Fluß, der zwischen Schilf und Erlengestrüpp hindurchlief, kam irgendein Mädchen zu ihnen hingelaufen. Anna beschattete die Augen mit der Hand gegen die Sonne, sie konnte aber nichts erkennen; erst ganz in der Nähe sah sie plötzlich, daß es Fine war, die lief, was sie laufen konnte, schon von weitem rufend und mit den Armen winkend:
»Hanusch, Hanusch! Der Antek ist wieder da!«
Anna schmiß die Hacke beiseite, richtete sich auf und wollte im ersten Drang wie ein Vogel davonjagen, doch sie bezwang sich sofort, ließ den hochgeschürzten Beiderwandrock herab; und obgleich es sie vorwärts riß, und obgleich ihr das Herz in der Brust fast zersprang und sie kaum Atem holen und kaum ein Wort sagen konnte, sprach sie ruhig, als wäre nichts geschehen:
»Arbeitet hier allein, und zum Frühstück kommt ins Haus.«
Sie ging langsam und ohne sich zu eilen davon und fragte unterwegs Fine nach allem aus.
Die Frauen sahen sich an; sie waren ganz betroffen über ihre Ruhe.
»Nur vor den Augen der Leute tut sie so ruhig. Damit man sie nicht auslacht, daß sie es eilig zu ihrem Mann hat. Ich würd' dabei nicht so sein!« sagte Gusche.
»Ich auch nicht! Wenn der Antek nur nicht zu neuen Liebschaften Lust kriegt ...«
»Die Jaguscha hat er doch nicht mehr gerade unter der Hand, da vergeht ihm vielleicht die Lust nach ihr.«
»Ach du liebe Güte! Wenn den Mann ein Weiberrock in die Nase sticht, dann läuft er und wenn es bis ans Ende der Welt ist.«
»Das ist auch wahr, daß selbst das Vieh nicht so auf das Schadenmachen versessen ist, wie manch ein Mannsbild ...«
Sie schwatzten miteinander, ohne kaum mehr an ihre Arbeit zu denken; und Anna ging immer gleichen Schritts weiter, wie mit Absicht einzelne, die ihr in den Weg kamen, anredend, obgleich sie nicht wußte, was sie sprach und was ihr geantwortet wurde, denn im Sinn hatte sie nur das eine, daß Antek zurück sei und auf sie warte.
»Und ist er mit Rochus gekommen?« fragte sie, immer wieder auf dasselbe zurückkommend.
»Versteht sich, mit Rochus! Ich hab' es euch doch schon gesagt.«
»Wie sieht er denn aber nur aus?«
»Weiß ich denn, wie? Er ist eben gekommen, da hat er gleich an der Tür schon gefragt: wo ist denn Anna! Ich sagt' es ihm und bin gleich, so schnell ich nur laufen konnte, zu euch gelaufen, das ist alles, was ich weiß!«
»Hat er nach mir gefragt! Daß dir der Herr Jesus ... daß dir ...« Die Freude raubte ihr die Sprache.
Sie erblickte ihn schon von weitem; er saß mit Rochus auf der Galerie, und als er sie kommen sah, ging er ihr durch den Heckenweg entgegen.
Sie kam immer langsamer, immer schwerfälliger auf ihn zu, indem sie sich immer wieder am Zaun festzuhalten versuchte, denn die Knie knickten ihr ein, der Atem versagte ihr, das Weinen würgte sie, und im Kopf hatte sie einen solchen Wirrwarr, daß sie nur noch hervorstottern konnte:
»Bist du wirklich zurück! ...« Die Tränen spülten den Rest der freudigen Worte hinweg.
»Das bin ich, Hanusch! Das bin ich wirklich!« Er preßte sie fest an seine Brust, sie herzlich und voll Güte an sich ziehend. Sie drängte sich schon ganz außer sich an ihn, glückselige Tränen flossen reichlich über ihre erblaßten Wangen, und ihre Lippen bebten; sie war ganz voll Hingabe wie ein sehnsüchtiges Kind.
Lange konnte sie nichts sagen, was hatte sie auch reden sollen und wie alles aussprechen, was mit ihr vorging! Sie wäre doch am liebsten vor ihm auf die Knie gefallen, hätte ihm jedes Stäubchen aus dem Weg geräumt; aber es entriß sich ihrer Brust nur hin und wieder ein Wort und fiel wie ein schweres Samenkorn, wie eine duftende Blüte nieder; ihr warmes Herzblut schien aus jedem zu zucken, und die treuen, hingebungsvollen Augen, voll des grenzenlosen Liebens, blickten zu ihm auf, und ihre ganze Seele vertraute sich seinem Willen und seiner Gnade an.
»Mager bist du aber geworden, Hanusch!« redete er, ihr liebkosend über das Gesicht streichend.
»Wie soll ich denn auch nicht ... so viel hab' ich durchgemacht, so lange gewartet ...«
»Die Frau hat sich überarbeitet,« ließ sich Rochus vernehmen.
»Seid ihr auch da! Ich hab' gar nicht an euch gedacht!« Sie ging auf ihn zu und küßte seine Hände; er aber sagte scherzend:
»Kein Wunder! Ich hab' euch versprochen, ihn herzubringen; da habt Ihr ihn denn auch wieder! ...«
»Das hab' ich! Das hab' ich!« rief sie, mit plötzlichem Staunen vor Antek stehenbleibend, denn er war weiß und zart im Gesicht geworden und sah ganz herrschaftlich aus; und so kräftig und wohlgestaltet war er, gerade als wäre es ein anderer, daß sie es gar nicht begreifen konnte.
»Hab' ich mich denn geändert, daß du mich so anguckst?«
»Das wohl nicht, aber du kommst mir doch anders vor.«
»Warte nur, wenn ich ins Feld arbeiten gehe, werd' ich gleich wie früher.«
Sie lief in die Stube, um das jüngste Kind zu holen.
»Du hast ihn noch nicht gesehen!« rief sie, den schreienden Jungen heraustragend, »sieh nur, er gleicht dir, wie ein Tropfen dem andern.«
»Das ist ein tüchtiger Kerl!« Er wickelte ihn in den Schoß seines Kapottrockes und begann ihn zu schaukeln.
»Rochus hab' ich ihn genannt! Komm Pjetras, geh' du auch schön zum Vater!« Sie hob den Älteren etwas, so daß er, vor sich hin plappernd, auf die Knie des Vaters zu klettern begann. Antek umarmte beide in einem seltsam zärtlichen Gefühl.
»So ein paar liebe Kerle, meine herzigen Püppchen! Wie der Pjetras gewachsen ist, na, na, und wie er sich da was zusammenredet!«
»Das ist schon so, und durchsetzen will er alles, und klug ist er; wenn er die Peitsche zu fassen kriegt, dann knallt er gleich los und jagt die Gänse 'raus.« Sie hockte zu ihnen nieder. »Pjetras, sag' mal: Papa! Sag' doch.«
Er murmelte natürlich irgend etwas und plapperte dann noch allerlei in seiner Art, den Vater an den Haaren zerrend.
»Fine, wo bleibst du denn? Komm doch her,« sagte Antek.
»Ich trau' mich nicht,« kicherte sie verschämt.
»Dumme, komm doch her!« Er zog sie in geschwisterlicher Zuneigung zärtlich an sich. »Jetzt mußt du in allem auf mich hören, wie sonst auf Vater. Hab' keine Angst, ich werd' schon nicht bös sein, Unrecht soll dir durch mich nicht werden.«
Das Mädchen brach in ein klägliches Weinen aus und fing an, über den toten Vater und Bruder zu reden.
»Als mir der Schulze von seinem Tode gesagt hat, da hab' ich mich gerad' so gefühlt, als ob mir jemand eins mit der Runge über den Schädel gelangt hätte; es ist mir ganz wirr davon im Kopf geworden. So ein lieber Kerl, mit dem hab' ich mich immer gut verstanden. Und wer hätte das gedacht! Ich hab' mir das im Kopf zurechtgelegt, wie wir uns in unseren Grund und Boden hätten teilen können; und selbst an eine Frau für ihn hab' ich gedacht.« Er klagte leise und so schmerzlich bewegt, daß Rochus, um die anderen auf weniger traurige Gedanken zu bringen, sich von seiner Stelle erhob und rief:
»Ihr könnt euch hier fein was erzählen, mir aber spielt schon der Magen einen auf.«
»Um Gottes willen, ich hab' es ganz vergessen. Fine, fang' doch mal die zwei gelben Hähnchen. Schipuchny! Schip – Schip – Schip! Oder vielleicht erst Eier oder Brot? Es ist ganz frisches da, und die Butter ist von gestern. Schneid' ihnen die Köpfe ab und steck' sie in kochend Wasser! Ich mach' sie euch gleich fertig. Was bin ich doch für eine Dumme, um das zu vergessen!«
»Laß die Hähne für später, Hanusch, und mach' uns was Deftiges zurecht, etwas von unserer Kost. Es ist mir das städtische Essen schon so über geworden, daß ich mich gerne an eine Schüssel Kartoffeln mit Barschtsch heransetzen würde,« lachte er froh. »Nur für Rochus könntest du was anderes zurechtmachen.«
»Gott bezahl's! Ich hab' gerad nach demselben Lust!«
Anna machte sich eifrig daran, alles zu bereiten. Da aber die Kartoffeln schon im Topf kochten, so holte sie nur noch aus der Kammer die Wurst für die Suppe.
»Die hab' ich für dich aufbewahrt, Antosch. Die ist noch von dem Mastschwein, das du noch vor Ostern hast schlachten lassen.«
»Na, na, das ist ein gehöriges Stück, aber mit Gottes Hilfe werden wir schon damit fertig werden. Hale, Rochus, wo sind denn unsere Geschenke?«
Der Alte schob ihm ein großes Bündel zu, aus dem Antek verschiedenes herauszunehmen begann, um einem jeden etwas zu überreichen.
»Hier, Hanusch, das ist für dich, wenn du irgendwann mal einen weiten Weg vor hast.« Er reichte ihr ein Wolltuch, gerade solches, wie die Organistin eins hatte; es war ganz schwarz mit roten und grünen Streifen.
»Für mich! Daß du an mich wirklich gedacht hast, Jantosch,« rief sie in überfließender Dankbarkeit.
»Na, wenn nicht Rochus mich noch gemahnt hätte, dann hätte ich es fast vergessen; da sind wir denn zusammen hingegangen und haben alles eingekauft.«
Er hatte ordentlich was zusammengekauft, denn er gab seiner Frau noch ein Paar Schuhe und ein hellblaues gelbgeblümtes seidenes Kopftuch. Fine bekam auch ein ähnliches, nur daß es grün war, und außerdem noch eine Krause und zwei bunte Glasperlenschnüre mit langen Bändern zum Zubinden; für die Kinder brachte er Pfefferkuchen und Mundharmonikas mit; selbst der Schmiedin hatte er etwas mitgebracht, denn er legte etwas noch in Papier Eingewickeltes beiseite; nicht einmal Witek und den Knecht hatte er vergessen.
Sie schrien auf vor Staunen über all diese Herrlichkeiten und begannen sie zu besehen und freudig anzuprobieren; der Anna flössen die Tränen über das vor Freude gerötete Gesicht, und Fine faßte sich immer wieder vor Staunen an den Kopf.
Rochus lächelte dazu und rieb sich die Hände, und Antek pfiff nur immer wieder vor sich hin.
»Ihr habt euch eure Geschenke redlich verdient; der Rochus hat mir erzählt, wie das hier in der Wirtschaft alles fein glatt gegangen ist. Laßt man gut sein, ich hab' es nicht wegen dem Bedanken gebracht,« rief er, sie sich abwehrend, denn sie waren auf ihn gestürzt, um ihn zu küssen und zu umarmen.
»Ich habe nicht mal im Traum daran gedacht, daß du so viele Herrlichkeiten mitbringst,« murmelte Anna gerührt und setzte sich hin, die Stiefel anzupassen. »Sie sind ein bißchen eng, die Füße sind mir vom Barfußgehen dick geworden, aber für den Winter werden sie gerade recht sein.«
Rochus begann, sie über das Dorf und verschiedene Angelegenheiten auszufragen; sie erzählte alles durcheinander und machte sich so eifrig mit der Zubereitung des Essens zu schaffen, daß sie bald eine Schüssel reichlich mit Fett übergossener Kartoffeln und eine große Schüssel Barschtsch, in dem wie ein großes Rad die Wurst schwamm, vor sie hinstellte.
Sie gingen eifrig ans Frühstücken.
»Das ist mir ein Essen,« rief Antek lustig dazwischen, »die Wurst riecht fein. Nach solchem Schmaus fühlt man schon ein Gewicht im Bauch. Haben die mich da im Kriminal gefüttert, daß sie der Teufel hol'!«
»Der Arme, Hunger hat er leiden müssen.«
»Versteht sich, zuletzt konnt' ich das schon gar nicht mehr essen.«
»Die Männer haben hier erzählt, die geben so zu essen, daß ein hungriger Hund da nicht mal 'ran mag; ist es denn wahr?«
»Wahr ist es schon, aber das Schlimmste ist, daß man da so eingesperrt sitzen muß. Solange es kalt war, da ging es noch; als aber die Sonne zu wärmen anfing und man erst mal frische Erde zu riechen bekam, da dacht' ich, daß ich schon rein vom Fleck weg verrückt werden sollte. Die Freiheit hat mir selbst besser gerochen wie diese Wurst, ich wollte mich schon an die Fenstergitter heranmachen, man hat mich nur gestört.«
»Ist es denn auch wahr, daß sie da schlagen?« fragte sie ängstlich.
»Das tun sie! Denn da sind auch solche Räuber, die aus reiner Gerechtigkeit jeden Tag ihre Tracht Prügel verdienten. An mich traute man sich nicht mal mit einem kleinen Finger 'ran. Wenn so ein Biest das einmal bei mir hätte ausprobieren wollen, dann hätt' ich ihm gleich mal eine ordentliche Prise unter die Nase gehalten!«
»Versteht sich, wer hätte auch so viel Kraft haben sollen wie du, wo du doch so stark bist?« bestätigte sie, ihn freudig bestaunend und auf seine leiseste Bewegung achtend.
Sie beeilten sich mit dem Essen und gingen dann gleich in die Scheune, wo ihnen Anna in der Banse die Federbetten und Kissen zurechtgemacht hatte.
»Du lieber Gott, die will uns rein noch zu Grieben schmelzen,« lachte Rochus.
Sie sagte nichts mehr und lehnte das Tor an, denn jetzt erst merkte sie, wie sehr sie mitgenommen war; sie erholte sich einen Augenblick und ging dann in den Garten, Petersilie zu jäten. Eine Weile sah sie sich da rings um und brach mit einmal in ein heftiges Weinen aus. Sie weinte und weinte vor Freude, weil die Sonne sie so fein auf den Rücken wärmte, weil die grünen Bäume über ihrem Haupt sich wiegten, weil die Vögel sangen und alles duftete und blühte und weil ihr so wohl und so still und auch so selig zumute war wie nach der heiligen Beichte oder selbst besser noch.
»Daß du das alles bewirkt hast, mein Jesus!« seufzte sie vor herzlicher, schier unaussprechbarer Dankbarkeit über so viel Gutes, das ihr zuteil geworden war, und hob die tränenfeuchten Augen himmelwärts.
»Und daß das nun alles sich gewendet hat!« staunte sie voll Glückseligkeit und fühlte sich fast wie im Himmel selber; und die ganze Zeit, daß sie schliefen, ging sie fast bewußtlos vor Glück umher. Sie wachte über die Scheune, wie eine Glucke, die für ihre Küchlein zu sorgen hat, und brachte die Kinder weit in den Obstgarten hinaus, daß sie nur ja nicht schrien. Das ganze Vieh, das draußen herumlief, trieb sie aus dem Hof hinaus, ohne darauf zu achten, daß die Schweine in den Frühkartoffeln wühlten, und daß die Hühner die aufgehende Gurkensaat zerscharrten. Sie hatte die ganze Welt vergessen und guckte nur immer wieder zu den Schlafenden ein.
Und der Tag wurde ihr so unerträglich lang, daß sie sich schon gar nicht zu helfen wußte. Die Frühstückszeit war vorübergegangen, die Zeit des Mittagessens war vorbei, und sie schliefen noch immerzu. Sie trieb die Leute an die Arbeit, ohne sich darum zu kümmern, was da ohne sie gemacht wurde. Sie wachte ununterbrochen und lief immerzu zwischen der Scheune und dem Wohnhaus hin und her.
Hundertmal holte sie ihre Geschenke hervor, besah sie und rief immer wieder:
»Wo gibt es einen Zweiten, der so fürsorglich und so gut ist?«
Schließlich aber lief sie ins Dorf, die Frauen aufzusuchen, und wessen sie nur ansichtig wurde, dem schrie sie schon von weitem zu:
»Wißt ihr es schon. Meiner ist wieder da. Er schläft jetzt in der Scheune.«
Ihre Augen, ihr Gesicht lachten, und es kam von ihr ein solcher Hauch von Seligkeit und Freude, daß sich die Frauen alle wunderten.
»Dieser Galgenstrick hat sie wohl behext, oder was soll das? Sie ist ja ganz närrisch.«
»Die wird sich bald wieder überheben und die Nase hoch tragen, ihr werdet es schon sehen!«
»Laß den Antek erst wieder seine alten Geschichten anfangen, dann wird ihr schon das Maul wieder weich werden,« besprachen sie sich miteinander.
Sie hörte natürlich nichts von diesem Gerede; und als sie wieder heimgekommen war, machte sie sich eifrig an die Zubereitung eines reichlichen Mahls. Da sie aber auf dem Weiher Gänse schreien hörte, lief sie wieder rasch hinaus, um sie mit Steinen zum Stillschweigen zu bringen, so daß daraus fast ein Zank mit der Müllerin entstanden wäre.
Sie hatte gerade das Vesperbrot den Leuten ins Feld geschickt, als die Männer aus der Scheune kamen; sie trug das Mittagessen vor dem Haus im Schatten der Bäume auf und hatte selbst Schnaps und Bier besorgt, und zum Nachtisch stellte sie noch ein halbes Sieb reifer Kirschen hin, die sie vordem von der Wirtschafterin des Pfarrers geholt hatte.
»Ein reichliches Mittagessen, gerad wie auf einer Hochzeit,« scherzte Rochus.
»Der Hausherr ist doch heimgekehrt, ist denn das nicht ein großes Fest?« entgegnete sie und machte sich in einem zu um sie zu schaffen, selbst aber aß sie kaum etwas.
Nachdem sie zu Ende gespeist hatten, ging Rochus gleich ins Dorf, versprach aber, gegen Abend wiederzukommen, und Anna wandte sich schüchtern an ihren Mann:
»Willst du nicht die Wirtschaft ansehen?«
»Schon gut! Das Feiern hat nun ein Ende, man muß jetzt an die Arbeit gehen! Mein Gott, ich hätt' gar nicht gedacht, daß mir so schnell das Väterliche zukommen sollte!«
Er folgte ihr aufseufzend nach; sie führte ihn zuerst in den Stall, wo ihnen drei Pferde entgegenschnaubten, und hinter einer Umzäunung trieb sich noch ein Fohlen herum; dann gingen sie in den leeren Kuhstall, in die Scheune und besahen das frische Heu; Antek sah selbst in die Schweineställe und in den Schuppen ein, wo verschiedene Ackergeräte waren und sonstiges Wirtschaftsinventar aufbewahrt wurde.
»Man muß die Britschka auf die Tenne schieben, sonst trocknet das Holz bei der Hitze ganz aus.«
»Als wenn ich das nicht schon hundertmal dem Pjetrek befohlen hätte? Und er will gar nicht hören.«
Sie begann die Ferkel und das Geflügel zu locken und prahlte mit dem reichen Zuwachs; als er alles besehen hatte, erzählte sie ihm ausführlich über alle Feldarbeiten, wo und was gesät war und wieviel von jeder Sorte; dabei sah sie ihm eifrig und erwartungsvoll nach den Augen; er aber hatte sich alles im Kopf zurechtgelegt, fragte mal nach diesem, mal nach jenem und sagte zum Schluß:
»Es ist kaum glaublich, daß du das alles hast allein fertig kriegen können.«
»Für dich könnt' ich noch viel mehr tun,« flüsterte sie heiß, mächtig erfreut über sein Lob.
»Du bist mir wirklich ein Held, Hanusch! Das hätt ich gar nicht von dir gedacht, daß du so eine bist.«
»Es war eben nötig, da hat man seine Klumpen nicht geschont.«
Er besah selbst den Obstgarten, der schon voll halbreifer Kirschen hing, und die Beete, auf denen Zwiebeln, Petersilie und Saatkohl wuchsen.
Sie waren schon auf dem Rückweg, als er an der väterlichen Seite vorbeigehend, durchs offene Fenster hinein sah.
»Und wo ist denn die Jagna geblieben?« Mit erstaunten Augen überflog er die leere Stube.
»Wo denn sonst! Bei der Mutter ist sie! Ich hab' sie 'rausgejagt.«
Er zog die Augenbrauen zusammen, überlegte eine Weile und, sich eine Zigarette anzündend, warf er ganz wie nebenbei hin:
»Die Dominikbäuerin ist ein böser Hund, die läßt uns das nicht ohne Prozeß durchgehen.«
»Die sind schon gestern zum Gericht mit der Klage gegangen.«
»Von der Klage bis zum Urteil ist ein weiter Weg. Man muß das aber gut durchdenken, daß sie uns nicht eins aufspielt.«
Sie erzählte ihm, woraus der Zank gekommen war und wie es sich zugetragen hatte, vieles dabei natürlich übergehend; er unterbrach sie nicht, fragte sie nicht aus, runzelte nur hin und wieder die Stirn und blitzte mit den Augen. Erst als sie ihm die Verschreibung übergab, lachte er bissig auf und meinte:
»Die ist gerad' so viel wert, daß du damit hinter die Scheune laufen kannst.«
»Das ist doch aber dasselbe Papier, was der Vater ihr gegeben hat.«
»Und gilt doch nur so viel, wie ein zerbrochener Stecken! Hatte sie es beim Notar abgeschrieben, dann wär' das was wert gewesen. Die hat dir das nur zum Hohn hingeschmissen.«
Er zuckte die Achseln, nahm Pjetrusch auf den Arm und wandte sich nach dem Torweg.
»Ich seh mir mal die Felder an und bin bald wieder da!« warf er schon im Weggehen hin, so daß sie zurückblieb, obgleich es sie sehr verlangte, ihm nachzugehen; er aber sah, am Schober vorbeigehend mit schiefem Blick nach der Stelle herüber, wo jetzt der hoch mit Heu angefüllte neue Bau stand.
»Mathias hat ihn wieder zurechtgemacht. Allein an Stroh haben sie an die drei Diemen fürs Dach gebraucht,« rief sie ihm noch vom Torweg nach.
»Schon gut, schon gut,« brummte er, denn er war nicht neugierig, das zu hören, und ging über das Kartoffelfeld nach dem Feldrain zu fort.
In diesem Jahr war diesseits des Dorfes fast lauter Winterkorn gesät, darum begegnete er auch unterwegs nicht vielen Menschen, und wenn er mit einem zusammentraf, begrüßte er ihn kurz und ging rasch vorüber. Er verlangsamte immer mehr seine Schritte, der Pjetrusch war ordentlich schwer auf seinem Arm, und die heiße, stille Luft machte ihn seltsam müde. Mal blieb er stehen, mal setzte er sich, und unterließ es nicht, jedes Ackerbeet besonders in Augenschein zu nehmen.
»Ho! Ho! Der Hederich würgt den Flachs ab!« rief er, vor den blauen Flachsbeeten stehen bleibend, die mit gelben Flecken durchwachsen waren, »sie haben ihr einen unsauberen Samen gegeben, und sie hat ihn nicht durchgesiebt!«
Danach blieb er bei der Gerste stehen; sie war etwas mager geraten und sah brandig aus, und man konnte sie kaum zwischen den Disteln, den Kamillen und dem Sauerampfer herauskennen.
»Die ist zu naß gesät! Wie ein Schwein hat er den Acker zerwühlt. Daß dir, Biest, die Glieder krumm werden für solche Bearbeitung! Und wie das Aas hier geeggt hat, lauter Schollen liegen noch da und alles voll Quecken!«
Er spie wütend aus und ging auf ein großes Roggenfeld zu, das wie flutendes Wasser in der Sonne wogte und, immer wieder mit den schweren Halmen aneinander raschelnd, sich zu seinen Füßen neigte. Eine tiefe Freude erfüllte ihn, denn es war schier gewachsen, hatte starkes Stroh, und die Ähren hingen an den Halmen wie schwere Peitschenschnüre.
»Das ist ja der reine Wald! Das ist noch Vater seine Saat! Besseren haben die im Gutshof auch nicht!« Er zerrieb eine Ähre zwischen seinen Fingern: das Korn war wohlgeraten und groß, obgleich es noch weich war. »In zwei Wochen wird es Zeit, daß es unter die Sense kommt. Wenn wir nur keinen Hagel kriegen!«
Aber am längsten ließ er seine Augen auf dem Weizen ruhen: er wuchs nicht gleichmäßig, bildete Wirbel und Buchten; aber aus den dunklen, gleißenden Schäften schälten sich große dichte Ähren heraus.
»Da wird man ein gutes Teil ernten können! Man muß ihm nur hier und da wieder etwas Luft schaffen. Der ist auf dem Hügel gesät, und doch scheint ihm die Sonne nichts geschadet zu haben! Das gibt reines Gold!«
Er war langsam hügelan gegangen, bis dahin, wo man die schwarze Wand des Waldes sich aufrecken sah. Das Dorf blieb tief im Grund hinter ihm liegen, es war wie in Obstgärten getaucht; ununterbrochen schimmerte zwischen den Häusern der Weiher zu ihm herauf, und hier und da blitzte ein Fenster im Sonnenlicht.
Irgendwo am Friedhof schnitt man Klee, die Sensen blinkten über der Erde wie bläuliche Blitze; irgendwo anders sah man die Frauen in ihren roten Kleidern arbeiten und Herden weißer Gänse auf einem schmalen Streifen Brachland weiden; hinter dem Dorf auf den grünen Kartoffelfeldern bewegten sich die Leute hin und her wie wandernde Ameisen, und höher noch in weiter Ferne zeichneten sich Dörfer, einsame Gehöfte und vorgebeugte Bäume an sich dahinwindenden Wegen ab, und alles war wie in eine bläuliche Wasserflut getaucht.
Eine tiefe Stille kam hochher über das Land gezogen, das Flimmern der erhitzten Luft blendete die Augen, und eine glühende Hitze lag über allem ausgebreitet. Durch den weißlichen bebenden Glast sah er einen einsamen Storch fliegen, langsam kam er daher, sich schwer auf trägen Flügeln wiegend, und ein paar erschöpfte Krähen flügelten schräg über das Feld.
Die Lerchen sangen irgendwo im Unsichtbaren, der glühende Himmel wölbte sich hoch und rein, und nur ganz vereinzelt war auf den blauen Himmelsfeldern ein weißes Wölklein zu sehen.
Dicht über dem Land aber strich ein leiser, trockener Wind dahin, er torkelte wie ein Trunkener vor sich hin und versuchte nur manchmal, sich mit einem hellen Pfeifen aufzurecken, so daß die Vögel erschrocken aufflatterten, oder er warf sich plötzlich aus dem Hinterhalt ins Getreide, wirbelte darin herum, wühlte es auf bis zum Grund und verlor sich bald wieder irgendwohin; die erregten Kornfelder aber summten lange noch vor sich hin, als wollten sie sich über den Kobold beklagen.
Antek blieb am Wald an einem Brachfeld stehen, und es kam ihn ein neuer Ärger an.
»Noch nicht umgepflügt! Die Pferde stehen ohne Arbeit, der Dünger verbrennt sich im Haufen, und der denkt nicht einmal daran! Daß dich! ...« fluchte er los und wandte sich am Wald entlang gehend in der Richtung des Kreuzes, das am Pappelweg stand.
Er fühlte sich müde, in seinem Kopf war ein Brummen, und der Staub brannte ihn in der Kehle, er setzte sich am Kreuz im Schatten der Birken nieder, legte den schlafenden Pjetrusch auf seinen Rock nieder, und sich hin und wieder den Schweiß aus dem Gesicht wischend, versann er sich und sah in die Weite.
Die Sonne senkte sich schon über die Wälder, und die ersten ängstlichen Schatten schossen unter den Bäumen hervor und schoben sich auf die Getreidefelder zu. Der Wald raunte etwas vor sich hin mit seinen von der Sonne überglühten Wipfeln, und das dichte Unterholz aus Haselbüschen und Espen zitterte wie im Fieber. Die Spechte hämmerten eifrig an ihren Stämmen herum, und irgendwo aus der Ferne kam Elsterngekreisch. Manchmal blitzte zwischen den bemoosten Eichenstammen ein Häher auf, als hätte jemand ein regenbogenfarbenes Wollknäuel durch die Luft geschleudert.
Eine Kühle wehte aus den dunklen, stillen Waldtiefen, die nur hier und da wie von Sonnenkrallen zerrissen waren.
Es duftete nach Pilzen, Harz und sumpfigen Dünsten.
Plötzlich schnellte ein Habicht aus dem Wald auf, beschrieb schräg über die Felder einen Bogen, blieb eine Weile unbeweglich in der Luft hängen und schoß wie ein Blitz ins Getreidefeld hinab. ...
Antek sprang auf, um ihn fortzuscheuchen, doch es war schon zu spät; Federn flogen auf, und der Räuber schwang sich in die Luft, eine Schar Rebhühner lockte sich mit ängstlichen Stimmen, und ein aufgescheuchter Hase jagte blindlings querfeldein, daß ihm nur so der weiße Spiegel blitzte.
»Wie der sich das abgepaßt hat! So'n Räuber!« murmelte er, sich niedersetzend, »was soll er denn auch anders tun? Auch der Habicht muß ja leben, das will doch selbst so ein elender Regenwurm. Das ist schon solche Einrichtung in der Welt!« sann er, deckte das Gesicht von Pjetrusch zu, um das die Bienen eifrig summten und schaute einer zottigen Hummel nach, die unermüdlich von Blüte zu Blüte flog.
Er sann darüber nach, wie er vor kurzem noch sich nach Freiheit sehnte und wie ihm die Seele aus Sehnsucht nach diesem Land fast verdorrt wäre!
»Was die mich gequält haben, die Biester!« fluchte er auf; dann aber blieb er unbeweglich sitzen, denn gerade vor ihm steckten ein paar Wachteln ihre ängstlichen Köpfe aus dem Roggen hervor; sie lockten sich mit ihren Rufen und versteckten sich gleich wieder, denn ein ganzer Spatzenschwarm fiel über die Birken her, ließ sich auf den Sand nieder, und unter einem wütenden Geschirp fingen sie an, sich miteinander zu balgen und aufeinander loszuhacken, bis sie plötzlich jäh verstummten und sich erschrocken niederduckten, denn der Habicht fing wieder an zu kreisen und schwebte so tief, daß sein Schatten über die Ackerbeete strich.
»Der weiß euch beizukommen, Krakeelerbande! Gerad so ist es auch mit den Menschen! Bei manch einem kann man mehr durch Drohen herausbekommen, als durch Bitten,« sann er.
Bachstelzen zeigten sich nebenan auf dem Weg, sie wackelten mit den Schwänzlein und trieben sich dicht bei ihm herum, kaum aber hatte er die Hand gerührt, so flogen sie auf die andere Seite des Straßengrabens.
»Die Dummen! Nur ein weniges und ich hatte eine für Pjetrusch gefangen.«
Ein paar Krähen kamen aus dem Wald geschlichen und marschierten die Ackerfurchen entlang, sich mit den Schnäbeln alles, was zu erreichen war, herauspickend; als sie aber den Menschen witterten, fingen sie an, mit geneigten Köpfen nach ihm auszulugen und ihn behutsam zu umgehen, immer näher heranhüpfend und ihre häßlichen Räuberschnäbel aufsperrend.
»Ihr werdet euch nicht an mir mästen!« Er warf nach ihnen mit einem Erdklumpen, und sie flüchteten leise wie Diebe.
Da er aber nach und nach ganz in Gedanken versank und wie leblos da sitzenblieb, in die Welt hineinstarrend und ihren Stimmen mit ganzer Seele lauschend, begann jegliches Getier frech über ihn herzuziehen; Ameisen krochen über seinen Rücken, Schmetterlinge setzten sich immer wieder in sein Haar, Marienwürmchen versuchten auf seinem Gesicht herumzuklettern, und grüne dicke Raupen krochen an seinen Stiefeln hoch, dann wieder zwitscherten ihm ein paar Waldvöglein dicht über seinem Kopf etwas zu, und ein Eichhörnchen, das vom Wald herübergeschlichen kam, hob den rostroten Schweif und blieb einen Augenblick unschlüssig stehen, ob es nicht auf ihn springen sollte; er aber wußte schon gar nichts mehr von all dem, was um ihn herum geschah, denn er versank immer tiefer in irgendeinem Mächtigen, das kam und aus dieser grenzenlosen Erde strömte und seine trunkene Seele mit unaussprechlichen Wonnen füllte.
Es schien ihm, als ob er mit dem Wind über die Getreidefelder strich; als ob jedes Schimmern der zarten feuchten Gräser aus ihm selber käme; als ob er mit dem rieselnden Bach über warmen Sand, über die Wiesen flösse, auf denen der Duft der Heuernte lag; und wieder war es ihm, als flöge er hoch oben mit den Vögeln durch die Welt und riefe mit unerklärlicher Macht der Sonne etwas zu; dann wieder wurde er zum Rauschen der Felder, zum Murmeln des Waldes, zur Kraft und zum Drange jeglichen Wachstums und zur Allgewalt der in Singen und Freude gebärenden heiligen Erde. Und dennoch fühlte er sich selbst und fühlte doch in sich die ganze Welt: das, was einer sieht und fühlt, was einer ertastet und begreift und auch das, was man gar nicht verstehen kann und was manche Seele nur erst in der Stunde des Todes erschaut und was doch im Menschenherzen sich zusammenballt, anschwillt und ins Unbekannte hinausdrängt und süße Tränen erpreßt und mit unstillbarer Sehnsucht wie mit einem Stein beschwert.
Das zog über ihn her wie Wolken, daß, ehe er es begriffen hatte, schon anderes kam und immer Neues und noch Unerklärlicheres.
Er war wach und doch streute der Schlaf seinen Mohn über ihn aus und führte ihn von ungefähr über Schicksale hinweg durch die Weiten der Verzückung, so daß er sich zuletzt schon ganz so fühlte wie zur Zeit, da der Priester während des Hochamts das heilige Sakrament erhebt, wenn die Seele sich hinausschwingt und wie betend nach Engelsgärten wallt, Himmeln und Paradiesen der Glückseligkeit entgegen.
Er war doch hart und nicht rasch bereit zu Zärtlichkeiten, aber in diesen seltsamen Augenblicken wäre er am liebsten zu Boden gestürzt, hätte sich mit heißen Lippen an die Erde festgesogen und die ganze Welt umarmt.
»Das ist nichts anderes, als daß die Luft mich so angreift!« verteidigte er sich, die Brauen runzelnd und die Augen mit der Faust reibend; aber konnte er denn dagegen ankommen, konnte er denn in seinem Inneren die Seligkeit dämpfen, die ihn erglühen machte?
Er fühlte sich doch wieder auf seinem Grund und Boden, auf Ahn und Urahns Scholle und unter den Seinen; da war es kein Wunder, daß seine Seele sich freute und daß jeder seiner Herzschläge in die Welt freudig und machtvoll hinauszurufen schien:
»Da bin ich wieder! Ich bin und bleibe da!«
Er raffte sich zusammen, in sich schon bereit, dem neuen Leben entgegenzutreten und den Weg zu gehen, den schon der Vater gegangen war, den Ahn und Urahn gegangen waren, und so wie sie stemmte er seine breiten Schultern unter die Last des Lebens und war willig, sie unerschrocken und unermüdlich zu tragen, bis auch sein Pjetrusch einst an die Reihe kommen würde ...
»Das muß schon so sein! Der Junge nach dem Alten, der Sohn nach dem Vater immer so fort, einer nach dem anderen, solange es dein Wille ist, barmherziger Jesus,« sann er streng.
Er stützte seinen tiefgebeugten, schweren Kopf auf die Hände, denn es drängten verschiedene Gedanken und Erinnerungen auf ihn ein; und eine harte strenge Stimme, wie die Stimme seines Gewissens, begann ihm solche bitteren und schmerzlichen Wahrheiten vorzuhalten, daß er sich demütig vor ihr niederbeugte, alle seine Schuld und seine Sünden bekennend ...
Sie fiel ihm schwer, diese Beichte, und gar nicht leicht war ihm diese Demut, aber er überwand seinen Trotz, drückte seinen Stolz und seinen Ehrgeiz nieder und überschaute sein ganzes Leben mit dem unerbittlichen Blick des Sichbesinnens; jeder seiner Taten sah er jetzt auf den Grund und nahm sie unter das strenge Gericht seines Verstandes.
»Dumm war ich, das ist alles! In der Welt muß alles seine Ordnung haben! Versteht sich, der Vater hat es klug gesagt: wenn alle in der gleichen Richtung fahren, da geht es einem solchen schlecht, der vom Wagen fällt, der wird unter die Räder kommen! Und zu Fuß kann man die Pferde auch nicht einholen! Daß doch jeder Mensch zu allem erst mit seinem eigenen Verstand kommen muß! Das kommt manch einem teuer zu stehen!« dachte er wehmütig, und ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen.
Vom Wald her hörte man die Kuhklappern und das Gebrüll der heranziehenden Herden.
Er nahm Pjetrusch auf und ging am Rand des Pappelwegs entlang, die Herden an sich vorbeilassend, die von den Waldweiden kamen.
Der Staub wirbelte unter den Hufen auf und hob sich in einer Wolke bis über die Pappeln hinaus, und in den roten Dünsten des Abends sah man die schweren, gehörnten Köpfe sich wiegen, Schafe sich drängen, die von den Hunden umkreist wurden, Schweine, unter Peitschenhieben aufquiekend, sich vorwärts trollen und Kälber blökend nach ihren Müttern suchen; ein paar Hirten ritten hinterdrein, und der Rest folgte zu Fuß, mit den Peitschen knallend, miteinander lustig redend, sich allerhand zurufend; und einer sang selbst, daß es weit vernehmbar war.
Antek war schon hinter ihnen zurückgeblieben, als ihn der Witek plötzlich bemerkte und angelaufen kam, um ihn zu begrüßen und seine Hand zu küssen.
»Bist du aber gewachsen!« sprach er den Jungen wohlwollend an.
»Das ist wahr, denn die Hosen, die ich zum Herbst gekriegt habe, reichen mir jetzt nur bis an die Knie.«
»Brauchst keine Angst zu haben, die Bäuerin wird dir schon neue geben! Ist denn für die Kühe genug Futter auf den Weiden?«
»Wie soll da wohl genug sein? Die Hitze hat das Gras ganz ausgebrannt; wenn die Bäuerin nicht im Stall nachfüttern täte, dann würden sie ganz die Milch verlieren. Laßt mich doch mal den Pjetrusch mit aufs Pferd nehmen,« bat er.
»Hale, er wird sich nicht halten können und fällt noch herunter!«
»Ich hab' ihn doch schon oft auf der Jungstute reiten lassen! Ich werd' ihn auch festhalten, er will doch so gern 'rauf.« Er nahm ihn und setzte ihn auf einen alten Klepper, der mit gesenktem Kopf hinterher trottete, Pjetrusch griff mit den kleinen Händen nach der Mahne, strampelte mit den nackten Beinen und krähte vergnügt auf.
»Was das für ein strammer Kerl ist, mein lieber Bursch!« lächelte Antek, und gleich darauf ging er über den Feldrain auf den Weg zu, der zwischen den Scheunen hindurchlief.
Die Sonne war gerade untergegangen und den ganzen Himmel überzog leuchtendes Gold, das mit blassem Grün vermengt war; der Wind hatte sich ganz gelegt, das Korn ließ seine schweren Ähren hängen, und über die taufeuchten Wiesen kamen lärmende Stimmen vom Dorf herüber, und ein Lied klang von irgendwo aus der Ferne.
Antek ging langsam vorwärts, denn die Erinnerungen lasteten auf ihm; Jaguscha kam ihm in den Sinn, er sah ihre blauen Augen vor sich auftauchen, ihre schimmernden Zähne und die roten vollen Lippen, die er plötzlich so dicht vor sich fühlte, daß er zusammenzuckte und stehenblieb. Wie lebendig stand sie vor ihm auf, er rieb sich die Augen, versuchte sie aus der Erinnerung zu verbannen, aber sie ging wie zum Trotz neben ihm Hüfte an Hüfte, ganz wie einst, und ihre Nähe schien wie einst ihn mit einer wohligen Glut zu umhüllen, so daß ihm das Blut zu Kopf schoß.
»Vielleicht hat sie auch gut getan, daß sie sie aus dem Hause gejagt hat! Wie ein Splitter hat sie sich in mir festgesetzt, ganz wie ein böser Splitter. Aber was war, das kommt nicht wieder,« seufzte er mit seltsam bedrücktem Herzen auf. »Das geht nicht mehr.« Und sich gerade reckend, sagte er streng zu sich:
»Aus ist es mit der Hundehochzeit!« Er trat schon gerade durch die Umzäunung ein.
Auf dem Hof ging es lebhaft zu; man war dabei, die abendlichen Wirtschaftsarbeiten zu verrichten. Fine melkte die Kühe vor dem Stall und sang mit heller Stimme und Anna knetete Klöße in einem Topf.
Aytek sagte irgend etwas dem Pjetrek, der gerade die Pferde tränkte, und ging hin, die väterliche Seite zu besehen, Anna kam ihm gleich nachgelaufen.
»Man muß die Stube hier in Ordnung bringen, dann können wir hierher übersiedeln. Ist Kalk da?«
»Ich hab' ihn damals noch auf dem Jahrmarkt gekauft; gleich morgen bestell' ich den Stacho, dann kann er die Stube ausweißen. Das ist schon recht, denn hier paßt es sich besser für uns.«
Er überlegte etwas und ging von Ecke zu Ecke.
»Bist du im Feld gewesen?« fragte sie schüchtern.
»Das bin ich, alles ist gut, Hanusch, das hätt' ich alles selbst nicht besser machen können.«
Sie wurde ganz rot vor Freude über sein Lob.
»Der Pjetrek aber könnte lieber die Schweine hüten, anstatt den Grund und Boden zu bearbeiten! So'n Schmierfink!«
»Das weiß ich selber gut genug! Ich hab' schon herumgehorcht, ob ich nicht einen anderen kriegen könnte.«
»Ich werd' ihn schon zwischen die Finger nehmen, und. wenn er nicht gehorcht, dann jag' ich ihn in alle Winde!«
Sie wollte noch etwas sagen, aber die Kinder fingen an zu schreien, und sie mußte zu ihnen hin; Antek aber wandte sich nach dem Hof, prüfte alles aufmerksam und mit solcher Strenge, daß, obgleich er nur hin und wieder ein Wort fallen ließ, es den Pjetrek jedesmal kalt überlief; und Witek, der Angst bekommen hatte, ihm unter die Augen zu kommen, ließ sich nur irgendwo aus dem Hinterhalt sehen.
Fine melkte schon die dritte Kuh und sang immer lauter:
Steh, mein Grauchen, still,
wenn ich dich melken will!
»Du brüllst, als ob dir einer die Haut abzöge!« schrie er sie an.
Sie brach jäh ab; da sie aber trotzig und unnachgiebig war, so fing sie gleich darauf wieder an zu singen, aber schon leiser und etwas ängstlich:
Die Mutter hat dich bitten lassen,
Du möchtest ihr viel Milch ablassen.
Steh, mein Grauchen, still!
»Du könntest deinen Mund halten, der Bauer ist doch da!« wies sie Anna zurecht, die den Drank für die letzte Kuh herantrug. »Hier wird jetzt gleich wieder alles in Ordnung kommen,« fügte sie noch hinzu.
Antek nahm ihr den Zuber aus den Händen, und ihn vor die Kuh stellend, sagte er lachend:
»Schrei los, Fine, da laufen die Ratten schneller aus dem Haus ...«
»Ich tu' schon, was mir paßt!« knurrte sie eigensinnig und wie um Streit zu suchen; als sie aber fortgegangen waren, verstummte sie gleich und schmollte nur noch vor sich hin.
Anna machte sich jetzt bei den Schweinen zu schaffen und schleppte so eifrig die schweren Eimer mit dem Schweinefutter heran, daß er sie mitleidig ansah und sagte:
»Das können die Jungen tragen, das ist für dich doch viel zu schwer! Warte nur, ich will dir eine Magd mieten, denn die Gusche hilft dir doch kaum so viel, als was der Hund sich zusammenbellt. Wo steckt sie denn heute?«
»Zu ihren Kindern ist sie gelaufen, sie will mit ihnen Frieden schließen. Eine Magd würd' ich schon brauchen, nur kostet das so viel. Ich würde es schon selbst fertig kriegen, aber wenn du meinst ... dann tue ich es ...« Fast hätte sie ihm die Hand geküßt vor Dankbarkeit und fügte dann freudig hinzu:
»Auch mehr Gänse könnte man dann halten und einen zweiten Masteber zum Verkauf!«
»Wir sitzen nun auf unserem Hof, da wollen wir denn auch hofbäuerlich wirtschaften, gerad' wie es unser Vater getan hat!« sagte er nach längerem Nachsinnen.
Nach dem Abendessen ging er vors Haus, denn die Bekannten und Freunde begannen sich einzufinden, um ihn zu begrüßen und sich an seiner Rückkehr zu freuen.
Mathias war mit Gschela, dem Bruder des Schulzen, gekommen und dann noch Stacho Ploschka, Klemb mit seinem Sohn, der Vetter Adam und verschiedene andere mehr.
»Wir haben auf dich gewartet wie der Habicht auf den Regen!« sagte Gschela.
»Diese Wölfe, die haben mich da gehalten und gehalten! Wegkommen konnte man ja nicht!«
Sie setzten sich auf die Mauerbank ins Dunkel, nur Rochus saß unter dem Fenster im Licht, das im breiten Strahl bis in den Obstgarten fiel.
Der Abend war still, warm und sternenklar, zwischen den Bäumen blitzten die Lichter der Häuser, der Weiher murmelte hin und wieder etwas, als seufzte er, und an den Hauserwänden genossen die Leute die wohltuende Abendkühle.
Antek fragte nach verschiedenen Dingen, wurde aber von Rochus unterbrochen:
»Wißt ihr, daß der Natschalnik Natschalnik: russischer Beamter, Kreisvorsteher, entspricht ungefähr dem deutschen Landrat. befohlen hat, daß Lipce in zwei Wochen eine Versammlung abhalten soll, um eine Schule zu bewilligen?«
»Was geht uns die Schule an, laß die Väter darüber beratschlagen!« ließ sich der junge Ploschka vernehmen; doch der Gschela schimpfte auf ihn ein und sagte:
»Auf die Väter alles abzuschieben und sich selbst den Bauch besonnen lassen, das ist leicht! Weil keiner von den Jungen sich den Kopf zerbrechen will, darum sieht es im Dorf so aus.«
»Wird mir Meiner Grund und Boden abschreiben, dann will ich mich auch gern sorgen.«
Sie begannen darüber heftig zu streiten, bis Antek sich einmischte:
»Dagegen kann man nichts sagen, eine Schule ist in Lipce nötig, aber für dem Natschalnik seine sollte man nicht einen Pfennig bewilligen.«
Rochus pflichtete ihm bei und redete auf sie ein, denn er wollte sie dagegen aufstacheln, so daß sie schließlich ganz ängstlich wurden.
»Beschließt ihr einen Silberling pro Morgen, dann lassen sie euch später einen Rubel zuzahlen. ... Und wißt ihr nicht noch, wie es mit dem Beschluß über das Gerichtsgebäude gegangen ist? Die haben sich nicht schlecht mit eurem Geld gemästet. Die Bäuche sind ihnen dabei gut gewachsen!«
»Ich steh' schon dafür ein, daß die Gemeinde das nicht beschließt,« flüsterte Gschela, sich an Rochus heransetzend, der ihn darauf beiseite nahm, ihm allerlei heimlich und mit wichtigem Gesicht auseinandersetzte und ihm dann auch verschiedene Bücher und Schriften zusteckte.
Die anderen redeten inzwischen noch dies und das, aber schon etwas träge und unlustig, selbst Mathias war heute mißmutig; er mischte sich wenig ins Gespräch und folgte Antek aufmerksam mit den Augen.
Sie wollten schon auseinandergehen, denn man mußte doch bei Tagesanbruch an die Arbeit, als der Schmied angelaufen kam; er klagte darüber, daß er erst jetzt vom Gutshof gekommen wäre und fluchte auf das ganze Dorf.
»Was hat euch denn wieder gestochen?« fragte Anna durchs Fenster.
»Was? Man schämt sich rein, es zu sagen! Dummköpfe sind sie, diese unsere Bauern, das ist die Sache! Der Gutsherr redet zu ihnen wie zu Menschen, wie zu Hofbauern, und die ..., gerade wie die Gänsehirten! Schon haben sie sich alle mit ihm auf dasselbe geeinigt; als es aber zum Unterschreiben gekommen ist, da kratzt sich der eine über den Schädel und brummt: ich weiß noch nicht, und der andere sagt: ich muß noch die Frau fragen; und der dritte fängt an zu winseln, daß man ihm noch die Wiese zugeben soll. Fang' nun einer mit denen was an! Der Gutsherr ist so böse geworden, daß er gar nicht mehr von einer Einigung mit sich reden lassen will; er hat selbst verboten, das Vieh von Lipce in den Weidewald hineinzulassen, und wenn einer es tut, dann wird Beschlag aufs Vieh gelegt.«
Sie erschraken über diese unerwartete Neuigkeit und fluchten auf die Schuldigen; dabei gerieten sie untereinander immer mehr in Uneinigkeit, bis Mathias schließlich traurig sagte:
»Das kommt alles davon, daß das Volk verirrt und verdummt ist, die reinen Schöpse, und niemand ist da, der es zur Vernunft bringen könnte!«
»Hat es denn der Michael nicht genug jedem für sich erklärt?«
»Was da, Michael! Der jagt hinter seinem eigenen Profit her und hält zum Gutshof; da versteht es sich, daß ihm das Volk nicht traut. Die hören zu, aber folgen werden sie ihm nicht ...«
Der Schmied sprang auf und setzte hitzig auseinander, wie es ihm einzig nur um das Wohl des Dorfes zu tun wäre, und wie er selbst von seinem Eigenen etwas zusetzte, um nur eine Einigung zu erzielen.
»Wenn du es selbst in der Kirche schwören würdest, so glaubte dir hier doch niemand,« knurrte Mathias.
»Dann laß es einen anderen versuchen, wir werden sehen, ob er das fertig bringt!« rief der Schmied.
»Versteht sich, daß ein anderer das in die Hand nehmen muß.«
»Aber wer? Vielleicht der Priester oder der Müller?« ließen sich höhnende Stimmen vernehmen.
»Wer? Der Antek Boryna doch! Und wenn der das Dorf nicht zur Vernunft bringen kann, dann müßte man schon der ganzen Geschichte den Buckel zudrehen ...«
»Was, ich? Wer wird auf mich da hören?« stotterte Antek verlegen.
»Du hast den Verstand und bist jetzt der Erste im Dorf, da werden alle dir folgen.«
»Das ist wahr! Natürlich! Du bist der einzige dazu! Wir gehen mit dir,« redeten sie eifrig auf ihn ein. Aber dem Schmied war etwas nicht recht bei der Sache; er drehte sich unruhig hin und her, zupfte an seinem Schnurrbart und fing an, giftig zu lachen, als Antek sagte:
»Die Töpfe werden nicht von Heiligen gedreht, ich kann's ja versuchen, wir können in diesen Tagen noch darüber reden.«
Sie fingen an auseinanderzugehen, und jeder nahm ihn noch einmal beiseite, um ihm zuzureden und ihm zu sagen, daß er ihm folgen würde; der Klemb aber meinte:
»Über dem Volk muß immer einer stehen, der Verstand und Macht und den ehrlichen Willen hat.«
»Und der, wenn es nötig ist, einem ein paar über die Rippen langen kann!« lachte Mathias.
Sie gingen auseinander, unterm Fenster blieben nur noch Antek und der Schmied; Rochus aber kniete auf der Galerie, in seine Gebete vertieft.
Sie sannen jeder für sich, in tiefem Schweigen beieinander sitzend.
Man hörte nur Anna in der Stube herumhantieren; sie klopfte die Betten, zog neue Bezüge über und wusch sich lange, wie zu einem großen Fest; und danach, wahrend sie sich das Haar am Fenster kämmte, sah sie immer ungeduldiger hinaus und spitzte eifrig die Ohren, denn der Schmied fing an, ihm leise von der Sache abzuraten, er würde ebensowenig mit dem Dorf zurechtkommen, und der Gutsherr wäre ihm schlecht gesinnt.
»Das ist nicht wahr! Er hat für ihn bei Gericht gebürgt!« rief Anna durchs Fenster.
»Wenn ihr das besser wißt, können wir ja über was anderes reden ...« Er war giftig wie ein gereizter Hund.
Antek erhob sich und fing an, sich schläfrig zu recken.
»Das will ich dir nur noch zum Schluß sagen: man hat dich nur bis zur gerichtlichen Verhandlung freigelassen, nicht wahr? Du wirst dich an andere Geschäfte binden und hast noch keine Ahnung, zu was sie dich verurteilen werden ...«
Antek ließ sich wieder auf der Bank nieder und versank so in Nachdenken, daß der Schmied, ohne eine Antwort bekommen zu können, schließlich nach Hause ging.
Anna machte sich in einem zu am Fenster zu schaffen, hin und wieder auf Antek sehend; er schien sie nicht zu hören, bis sie schließlich ängstlich und fast bittend sagte:
»Komm' doch, Jantosch, es ist Zeit, schlafen zu gehen ... Du hast heute genug hinter dir ...«
»Ich komme, Hanusch, ich komme schon ...« Er erhob sich schwerfällig von seinem Sitz.
Sie begann sich rasch auszuziehen, während ihre bebenden Lippen das Gebet flüsterten.
»Und wenn sie mich zu Sibirien verurteilen, was dann?« sann er kummervoll, in die Stube tretend.