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An der Donau.

I. Die Führer.

Es war in den ersten Tagen des Januar 1854, und die Wintersonne schien prächtig und heiter auf das prächtige Schauspiel, das sich an beiden Ufern der Donau bei Widdin, dem Viminacium der Römer entwickelt hatte. Unterhalb der Stadt, die mit ihren 25 Minarets, von alten Festungswerken umgeben, sich dicht am Fluß dahinstreckt, führte eine Schiffbrücke zu der hochgelegenen Smurda-Insel, die jetzt von Batterieen starrte. Darüber hinaus, über den etwa 300 Schritt breiten, von einer leichten, aber nicht tragfähigen Eisdecke bedeckten linken Arm des mächtigen Stromes, verlängerte sich die Brücke bis zum hoch emporsteigenden Ufer von Kalafat, das gegenwärtig die stärkste Stellung der türkischen Armee bildete und den Russen den Weg nach Serbien sperrte.

Die Russen hatten einen großen strategischen Fehler begangen, als sie den Übergang der Türken bei Widdin und ihre Festsetzung in Kalafat so leichthin duldeten. Der Fehler rächte sich schwer; denn ihm hauptsächlich war es zuzuschreiben, daß die russischen Streitkräfte während des ganzen Winters und Frühjahrs ihr Augenmerk auf die Sicherung der kleinen Walachei gerichtet halten mußten und so dem Gegner auf dem rechten Ufer Gelegenheit gaben, sich zu kräftigen und die Hilfe der Westmächte abzuwarten. Die Bewachung der Türken bei Kalafat verhinderte fast acht Monate lang alle Operationen an der unteren Donau.

Die Türken hatten den günstig gelegenen Ort mit einer Verschanzung von zirka 6000 Schritt Länge umgeben, die an beiden Enden in einem Fort auslief. Die Verschanzung bildete nach den russischen Stellungen zu einen vorspringenden Winkel und war von 600 zu 600 Schritt durch eine mit schwerem Geschütz besetzte, mit Schanzkörben oder Faschinen gegen das Feuer bekleidete Bastion oder Lünette befestigt. Eine innere Linie von vier Redouten zur Aufnahme der Reserven gab zugleich eine zweite Verteidigungsfront. Auf einer Anhöhe zur Rechten bestrich außerdem eine sehr gut gelegene Redoute die Flanken und auf der Insel, deren Zugang durch einen Brückenkopf geschützt war, befanden sich vier Batterieen, jede von vier bis fünf Stück schwerem Geschütz, deren Feuer im Notfall über die Verschanzungen hinweg trug. Die türkischen Vorposten dehnten sich im Halbkreis um die Verschanzungen auf die Entfernung von zwei bis drei Wegstunden aus und begegneten hier denen der Russen in täglichen kleinen Scharmützeln.

Es war am Vormittag große Besichtigung der Truppen, sowohl in Kalafat als in Widdin gewesen, und die verschiedenen Korps rückten eben wieder in ihre Quartiere. Der Muschir selbst mit seinem ganzen Generalstabe war seit drei Tagen in Widdin anwesend und eben im Begriff, wieder abzureisen. Die Masse des Gefolges und die zahlreiche militärische Begleitung, welche die Straßen und das Konak des Gouverneurs von Widdin, bei dem der Sirdar sein Quartier genommen, füllten, erhöhte das bewegte bunte Treiben. Eine Menge Pferde, prächtig gesattelt, wurden im Konak und vor dem Tore umhergeführt, Arabas mit ihrem weißen Ochsengespann standen zur Seite und die Vorhänge, die sänftenartig das Oberteil umgaben, zeigten, daß sie zur Aufnahme von Frauen bestimmt waren.

In der Tat führte der Muschir während des ganzen Feldzuges an der Donau seine jüngste Gattin, eine Deutsche aus Siebenbürgen, und deren Schwester stets mit sich, indeß die Bujuk-Hanum, die erste Frau, die noch der verstorbene Sultan ihm gegeben, und deren Hand und Einfluß er hauptsächlich seine glänzende Laufbahn und seinen Reichtum verdankte, im Serail und den Harems von Konstantinopel, wie wir bereits gesehen haben, seine Interessen wahrte.

Michael Lattas – dies ist der ursprüngliche christliche Name des Muschirs – war zu Anfang des Jahrhunderts in Illyrien geboren. Er trat in seiner Jugend in den österreichischen Militärdienst und verdankte seine Ausbildung einer militärischen Erziehungsanstalt. Als Feldwebel war er in Zengg in das Bureau des Majors Knecicz kommandiert, der für ihn väterlich sorgte. Hier verwirrte er jedoch die Kassenverhältnisse seines Wohltäters auf die unverantwortlichste Weise, machte bei einem dem Major nahe stehenden Kaufmann in Zara auf seinen Namen Schulden und entfloh mit dem erschwindelten Gelde nach Banjaluka und Sarajevo, wo er nach vielfachem Elend Hauslehrer bei dem Pascha wurde. Dort trat er zum Islam über und kam später mit dem Pascha nach Konstantinopel, wo er auf dessen Empfehlung als Zeichner in einer türkischen Militärschule angestellt wurde, und im Auftrage des früheren Sultans geometrische Wandtafeln für den jungen Prinzen Abdul-Medjid schrieb. Später wurde er dessen Schreiblehrer und machte, von dem guten Herzen des jetzigen Sultans mit Wohltaten überhäuft, die glänzende und rasche Karriere, die ihn an die Spitze der Armee von Rumelien brachte. Den ersten Ruf gewann sich Omer-Bei 1842 in Syrien als Befehlshaber in Libanon und dabei trotz seiner grausamen aber notwendigen Strenge eine solche Popularität, daß die Drusen und Maroniten sich ihn sogar von der Pforte als Häuptling erbaten. Hier scheint zuerst sein rastloser Ehrgeiz geweckt worden zu sein, und verschiedene Anekdoten beweisen, wie er schon damals den ganzen verschlagenen und dennoch heftigen Charakter des Orientalen sich angeeignet hatte.

Wegen seiner Haltung im Libanon zum Pascha ernannt, wurde Omer als solcher nach Albanien und später nach Kurdistan geschickt, um die ausgebrochenen Aufstände zu unterdrücken. Er tat es mit eiserner und blutiger Strenge, und galt von dieser Zeit an am Hofe von Stambul als einer der zuverlässigsten und geschicktesten Diener. Als im Jahre 1848 die Revolution in Bukarest ausbrach, Fürst Bibesco floh und Soliman-Pascha die Bewegung nicht zu unterdrücken vermochte, wurde im September der Groß-Referendar Fuad Effendi als Zivil-Kommissarius und Omer-Pascha als Befehlshaber des Heeres entsandt, das mit den Russen gemeinschaftlich die Fürstentümer besetzte.

Omer-Pascha hatte damals die erste Gelegenheit, die russischen Truppen in der Nähe zu beobachten. Nur von seinem rastlosen Ehrgeiz gespornt, bot er, ganz gegen die geheime Politik seiner Regierung, den Russen, als General Lüders in Transsylvanien einrückte, um die ungarische Revolution zu bekämpfen, seine Hilfe dabei an, und nur die eifrigen Bemühungen Fuads vermochten ihm das Törichte dieses Schrittes endlich klar zu machen. Sofort sprang er zum andern Extrem über, und während er seine erste Gattin nach Konstantinopel sandte, um allen Folgen seiner unüberlegten Politik vorzubeugen, begann er ganz offen seine Feindseligkeit gegen die Oesterreicher und selbst gegen die Russen an den Tag zu legen. Diese wurde noch mehr durch die Vernachlässigung erhöht, die Oesterreich gegen ihn zeigte, indem es ihn bei den zahlreichen Ordensverteilungen überging. Dafür rächte er sich durch die ehrenvollste Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge, als deren Beschützer und Freund er sich von jetzt ab öffentlich zeigte. Ungarn, Deutsche und Polen strömten in Bukarest zusammen und schworen daselbst in dem von Omer bewohnten Palast öffentlich ihren Glauben ab. Jeder der Neubekehrten erhielt drei Dukaten in dem Augenblick, wo er den Fez aufsetzte. Aus den gewandtesten Offizieren bildete sich Omer eine Umgebung, auf die er sicher zählen konnte, und die bald die Aufmerksamkeit Rußlands und Oesterreichs erregte, das im Frühjahr 1853 aus der Flüchtlingsfrage die ersten Veranlassungen zu seinem Auftreten in Konstantinopel nahm.

Dem Skandal in Bukarest machten endlich die Vorstellungen des französischen General-Konsuls ein Ende. Eine Menge Generale und höhere Offiziere aus den bekanntesten Adelsfamilien Ungarns und Polens hatten den Turban genommen. Omer selbst gab ihre Zahl auf 72 an – dazu 6000 Soldaten.

Die spätere Laufbahn Omers ist bekannt. Zum Muschir (Titel aller Staatsminister, – Feldmarschall) von Rumelien, und im April 1850 zum Militär-Gouverneur von Bosnien und der Herzegowina ernannt, unterdrückte er mit der furchtbarsten Strenge und einer Grausamkeit, die mit den älteren Zeiten der türkischen Herrschaft wetteifert, die nationalen Bestrebungen der muselmanischen Bosniaken und Bulgaren, wobei ihm seine Umgebung von dreißig früheren ungarischen und polnischen Offizieren an die Hand ging, nachdem Tahir-Pascha, der bisherige Zivil-Gouverneur von Bosnien, durch Gift beseitigt worden. Iskender-Bey – der Pole Ilinski – war dabei einer seiner tätigsten und glücklichsten Helfer. Nachdem die Rebellion der Beys von Omer völlig unterdrückt worden, erfolgte im Anfang des Jahres 1852 die Entwaffnung der bosnischen Christen, bei der die grausamsten Scheußlichkeiten verübt wurden. Nach Konstantinopel zurückberufen, wurde der Muschir zwar für einige Zeit in Folge der gegen ihn erhobenen Anklagen außer Tätigkeit gesetzt, doch schon das Frühjahr 1853 führte ihn wieder mit vermehrter Macht auf den Schauplatz und gegen die Montenegriner.

Es ist unzweifelhaft, daß der Muschir schon 1849, seit seinem ersten Zusammentreffen mit den Russen an der Donau auf einen großen Krieg mit diesem Erbfeinde seines neuen Vaterlandes rechnete. Von dieser Zeit ab stand er im Divan fortwährend auf der Seite der Kriegspartei und war, trotz seiner sonstigen sehr liberalen Anschauungen und Gewohnheiten, auf das engste mit der alttürkischen Fraktion verbunden. Die bald nach Beginn des Krieges in Konstantinopel verbreitete Geschichte von einem Vergiftungsversuch gegen Omer und die wiederholten Drohungen der Alttürken bei den Aufständen der Ulemas und Softas, daß der Sirdar mit der Armee gegen Konstantinopel rücken werde, wenn der Krieg nicht seinen Fortgang habe, gehörten offenbar mit zu seinen Intriguen. –


Im Tschardak (offene Veranda) der Locanda Alexos, des Slowaken, standen zwei Männer, beide in türkischer Uniform, der eine mit den Tressenabzeichen des Offiziers, der andere in dem einfachen blauen Rock mit dem Fez, ein Hekim-Baschi (Arzt) der Armee, Doktor Welland, den die Ordre seiner Vorgesetzten von Schumla aus nach Widdin geführt hatte, um in den schrecklichen Lazaretten von Widdin, in denen während des Winters an 10 000 Typhuskranke starben, Hilfe zu leisten.

Der Offizier war ein Jüs-Baschi (Hauptmann) vom 3. Bataillon des 4. rumelischen Ordu (Armeekorps), ein Pole von Geburt, Makiewicz, der schon mit Bem übergetreten war und in der türkischen Armee Dienste genommen. Welland hatte ihn durch seine aufmerksame Behandlung von einem der schrecklichen Wechselfieber befreit, die Tausende entnervten, und der Pole, der seinen Dienst noch nicht wieder angetreten, beobachtete mit dem Arzt das eigentümliche militärische Schauspiel.

»Wissen Sie, Doktor,« sagte der Offizier, »daß der Muschir gestern den Ober-Ekmekschi (Bäcker) und zwei seiner Gehilfen hat erschießen lassen? Die Kanaillen verdienten eine zehnfach härtere Strafe als die ehrliche Kugel, denn ihnen und den schurkischen Lieferanten ist es zuzuschreiben, daß ein Fünftel des Heeres in den Lazaretten liegt, aus denen nur für diejenigen ein Weg ins Leben zurückführt, die unter so freundliche und geschickte Hände geraten wie die Ihren.«

»Ich habe davon gehört, und so sehr ich die Sache als Mensch beklage, fühle ich doch die Notwendigkeit eiserner Strenge und hoffe von der kurzen Anwesenheit des Muschirs vielfache Reformen und den besten Erfolg. Ich zweifle keinen Augenblick, daß die Armee bis auf die Baschi-Bozuks herab sich tapfer schlagen wird, aber die Unglücklichen verkommen an der grenzenlosen Unordnung und Nichtswürdigkeit, die in allen Teilen ihrer Verpflegung herrscht. Ich habe das Brot gesehen, das für die Truppen nach Kalafat alltäglich transportiert wird, und muß gestehen, daß unser Vieh von solcher Nahrung erkranken würde. Das Mehl ist mit Rinde, Spähnen, Erde und hundert andern eklen Materialien vermischt; halb ausgebacken, im Innern ein reiner Brei, kommt es aus den Bäckereien, man wirft es in die mit schlammigem Wasser halb angefüllten Boote oder auf durchnäßte Karren, und bringt es so ins Lager. Die wenigsten der Soldaten haben während des ganzen Dezembers ein warmes und trockenes Quartier gehabt, die Strümpfe faulen an ihren Füßen. Alles, was sie erhalten, und es ist wenig genug, ist von der schlechtesten Qualität. Das Lazarettwesen ist in einem so scheußlichen Zustande, daß selbst das vielbesprochene Betrugsystem unserer Gegner schwerlich solche Schrecknisse hervorbringen kann. Von Medikamenten ist fast keine Spur vorhanden, Kalomel oft das einzige, was zu haben ist. Und das ärztliche Personal – daß Gott erbarm! Ich habe selbst einen Unterarzt und einen Apotheker, die mir beide gestanden haben, daß sie der eine ein Schneider, der andere ein bankerotter Kaufmann in ihrer Heimat waren.«

Der Pole lachte.

»Sie werden noch ganz andere Dinge hier kennen lernen, Doktor. Der Unsinn mit den Ärzten kommt davon, weil in den Augen der Türken jeder Franke von Natur aus ein Hekim ist. Und dennoch, trotz der Wahrheit Ihrer Schilderungen, trotz der Tatsache, daß diese Menschen seit mehreren Monaten keinen Sold empfangen haben, mit dessen Hilfe sie bei der Geringfügigkeit ihrer körperlichen Bedürfnisse sich einige Erleichterung verschaffen könnten, ist ihre Aufopferung und ihre Geduld wahrhaft heroisch und erhaben. Sie ertragen alle diese Übelstände mit einer Ergebung, von der unsere europäischen Truppen keine Ahnung haben würden. Auf dem Schlachtfelde oder auf dem harten Lehmboden des Lazaretts, wo auch der Tod zu ihrem Haupte tritt, sie erleiden ihn ruhig und mutig. Es ist ihr Kismet, für den Koran zu sterben, was kümmert es sie, ob es durch die Kugel oder Krankheit geschieht!«

Der Arzt hatte die Erfahrung selbst an hundert Sterbelagern gemacht; – es ist erhaben und empörend zugleich, mit welcher Gleichgiltigkeit der Orientale das schwere Geschäft des Sterbens betrachtet.

»Doch lassen Sie uns den Weg hinauf zur Festung gehen,« unterbrach Makiewicz ihre Betrachtungen. »Der Kriegsrat scheint beendigt und der Zug des Muschirs sich in Bewegung zu setzen. Sobald er über die Schanzen der Irregulären hinaus ist, wird es hier voll genug werden.«

Die beiden, denen sich noch einige andere Offiziere anschlossen, verließen den Tschardak und gingen durch die traurigen Gassen der Stadt, die bei schlechter Witterung einer großen Kloake gleichen und von mephitischen Düften erfüllt sind, nach der Festung, die durch einen Graben von der Stadt abgesondert ist und in der das Serail des Gouverneurs liegt. Hier auf einer Erhöhung postierte sich die Gesellschaft und sah den Zug herankommen.

Eine Abteilung der türkischen Husaren eröffnete ihn; diesen folgte der Muschir mit seiner zahlreichen Begleitung zu Pferde, der sich die Führer der Armee von Kalafat und Widdin angeschlossen. Omer-Pascha stand jetzt im Anfang der Fünfziger. Er ist von mittlerer, etwas gedrängter Gestalt; sein Gesicht ist nur durch den scharfen, unruhigen Ausdruck der Augen von Bedeutung. Seine Manieren sind leicht und sicher und seine Lebendigkeit durchbricht häufig die Schranken der orientalischen Ruhe, die er sich anzueignen gesucht. Im ganzen läßt sein Äußeres den Mann von Bedeutung und Tatkraft nicht verkennen. Er spricht mit Geläufigkeit türkisch, italienisch und französisch und selbst ziemlich gut das Deutsche.

»Sie würden mich verbinden, Kamerad,« sagte einer der jungen Offiziere, ein Sardinier, der erst am Tage vorher von Konstantinopel eingetroffen war, »wenn Sie mich etwas mit den Persönlichkeiten bekannt machen wollten.«

»Sehr gern, Kamerad. Da an der Spitze reitet der Muschir, den Sie bereits bei der Parade kennen gelernt. Ihm zur Seite, der Alte auf dem schönen Araber, ist Sami-Pascha, der Gouverneur dieses schmutzigen Nestes. Pferde und Oglans (Knaben, Pagen, aber leider auch zu andern empörenden Zwecken mißbraucht) sind sein Luxus, er hat Geld genug dazu zusammengescharrt. Er ist ein Grieche von Morea und kam als Kind nach Stambul, wo ihn Mehemed Ali, der Vizekönig, zur glückseligen Würde seines Oglan erhob. Als der schlaue Fuchs, den sein Herr zu allerlei Ämtern verwandte, endlich merkte, daß es mit seinem Gebieter zu Ende ging, brachte er seinen Reichtum in Sicherheit und ging nach London, wo er lange den Stutzer gespielt hat. Auch in Paris hat er sich durch seine Aventüre mit der schönen Jüdin bekannt gemacht, und als er nach einigen Jahren nach Stambul zurückkehrte, gewann er sich durch seinen Verrat an Mehemed das Paschalik von Trapezunt und später von Larissa. Vor vier Jahren wurde er endlich hier in Widdin der Nachfolger Husseins, des Janitscharentöters, und schikaniert seitdem die Österreicher, hält auf seine alten Tage einen Harem, von dem man Wunderdinge erzählt, und ist der schlaueste alte Hund, den ich je gekannt habe!«

»Sie schildern in scharfen Zügen,« lachte der junge Mulassim (Leutnant). »Aber der General oder Pascha an der Rechten des Muschirs?«

»Das ist Achmet-Pascha, Ihr künftiger Oberbefehlshaber, denn der Sirdar hat seinen Generalstabs-Chef, Allah sei's geklagt, nun einmal dazu gemacht, obschon wir unter ihm nichts als Feiertage haben. Er machte seine Studien auf der Ingenieurschule zu Wien und ist ein ganz einsichtsvoller Türke, versteht aber vom Feldlager nichts. Es wäre nicht auszuhalten, wenn Ismaël-Pascha ihn nicht manchmal in Bewegung setzte. Ich denke immer, der Muschir hat ihn deswegen an seine Seite gestellt. Sehen Sie den stolzen Mann da auf dem Rappen, dem einzigen in der ganzen Schaar – sein Blick scheint Feuer zu sprühen, und das tscherkessische Blut in seinen Adern zeigt sich bei jeder Bewegung. Schaut er nicht aus wie ein König unter diesen schmutzigen Moslems?«

Der Doktor lachte.

»Aber Sie sind ja selbst ein solcher geworden, und die halbe Begleitung des Muschirs besteht aus Männern, die den Koran der Bibel vorgezogen haben!«

»Bah! Das ist auch der einzige erträgliche Teil der Gesellschaft. – Da, gleich hinter dem Muschir, sehen Sie den Ferik (Divisions-General) Mustapha-Pascha, die Liva's (Brigade-Generale) Osman-Pascha und Mehemed-Pascha und Nefwik-Bey, Omers Neffe, ein kecker Bursche mit seinen Jägern.«

»Und Graf Ilinski – ich wollte sagen Iskender-Bey, der berühmte Anführer der Irregulären?«

»Da kommt er eben hinterdrein gejagt, als säße der Teufel hinter ihm im Sattel, oder als gelte es, eine Bank von zwanzigtausend Piastern zu sprengen. Er reitet wie ein Kosak und ist am Ende auch einer, nach seiner tartarischen Physiognomie und seinen boshaften Augen zu urteilen. Aber für das Gesindel, das er kommandiert, ist er unbezahlbar. Ich möchte wissen, wie wir mit dieser Sammlung von Spitzbuben, Meuchelmördern und Fanatikern fertig werden sollten, wenn wir Iskender Bey nicht hätten und seine beiden trefflichen Adjutanten, Hidaet-Aga und den Arnautenführer Jacoub-Aga

»Sind sie geborene Türken?« fragte der Sardinier.

»Den Teufel auch! Lassen Sie die beiden die Beleidigung nicht hören, sonst müssen Sie vor die Klinge. Es sind Landsleute von mir, wenn ich auch nur den polnischen Namen des einen kenne. Konstantin von Jacoubowski aus dem Großherzogtum, focht bei Grochowo und Ostrolenka, und lebte dann mit Mikewicz in Paris. In Lemberg im Jahre Achtundvierzig gefangen und amnestiert, ging er nach Italien und half Rom verteidigen. Von den Franzosen von dort vertrieben, hatte er gerade noch Zeit, zu Bem zu stoßen, als der alte Held nach der Walachei zog und vor Halim-Pascha die Waffen streckte. Seitdem steht er im türkischen Dienst und machte mit Omer die Feldzüge in Bosnien und Montenegro mit. Sie sollen einmal sehen, wie er seinen Arnauten mit blanker Klinge ins Gesicht fuchtelt. Die Russen haben ihr Lebtag nicht so viel Schläge bekommen, und als kürzlich einmal bei einem Begegnen der Vorposten Jacoub'a (Jacouba-Aga) den Kosaken zurief, sie sollten zu den Türken desertieren, bei uns hätten sie's besser und kriegten keine Schläge, lachten die Kerle ihn aus und riefen: Du lügst, wir haben selbst gesehen, wie Du prügeln kannst.«

Die Gesellschaft lachte über diese Anekdote.

»Wer ist Hidaet-Aga?« fragte der Doktor weiter.

»O, diesen eben kenne ich nicht und weiß nur, daß er aus einer vornehmen polnischen Familie stammt. Er hat so viel von seinem Vermögen aus dem Schiffbruch der Revolution gerettet, daß er sich im Rosengarten Adrianopel einen ziemlichen Landstrich kaufen konnte und dort in Ruhe lebte. Nur die Freundschaft für Iskender-Bey hat ihn wieder unter unsere Fahnen gezogen und dient er ohne Sold als Freiwilliger, um, wie er sagt, an den Russen eine alte Scharte auszuwetzen.«

»Und der Reiter in der roten Uniform mit dem geschlitzten blauen Dolman, der Bärenmütze und dem Halbmond daran?«

»Hei, das ist der Kolassi (Major) Wersbitzki, der Kommandant der türkischen Kosaken, des tollen Korps, das unsere Rechtgläubigen so sehr verabscheuen. Er reitet neben Depuis, dem Franzosen, und dem Juden Osman'a, dem Adjutanten des Muschirs, einem reichen Bankierssohn aus Temesvar, der gestern die Depesche aus Schumla brachte und den Weg von hundert Stunden in zwei Tagen zurückgelegt hat. Freilich jagte er zwei Pferde zu Tode und das dritte hat er die Nacht verspielt. Wersbitzki hat ihm ein Beutepferd auf Wechsel verkauft, da der alte Jude, sein Vater, noch immer richtig honoriert hat.«

»Aber wer ist der Offizier dort in der fremden Uniform, der neben Lord Worsley und Kapitän Bathurst reitet und mit Herbert Wilson spricht?«

»Ich kenne ihn nicht,« sagte der Pole.

»Da kann ich Auskunft geben, denn es ist ein Landsmann, Oberst Graf Pisani. Ich focht unter ihm bei Novara und seiner Empfehlung verdanke ich die Einstellung in Ihrer Armee.«

»Ist er mit dem Muschir gekommen?«

»Nein, er hält sich seit einigen Tagen bei Sami-Pascha auf, um wichtige Nachrichten abzuwarten, und wird, wie er mir bei meiner Ankunft sagte, noch einige Zeit hier bleiben.«

»Es scheint, der Muschir läßt ihn eben zu sich rufen, er reitet vorwärts. He, Hussein'a« rief er einem jungen Genie-Offizier zu, der eben in ihrer Nähe vorüberritt. »Wie steht's mit dem Kriegsrat, ist der Angriff gegen Krajowa endlich beschlossen?«

»Salem, Jüs-Baschi Mackiewicza,« gab der junge Muselmann zur Antwort; »ich glaube, wir werden selbst von den Moskows aus den Schanzen gejagt. Sie rücken vor und befestigen sich drei Stunden von unseren Vorposten.«

Diese Nachricht erweckte allgemeines Interesse, das nur auf kurze Zeit unterbrochen wurde, als die Araba's (bulgarische Wagen), von schwarzen Sklaven begleitet, mit den Frauen des Sirdars in einiger Entfernung dem Zuge folgten.

» Voilà Madame la Maréchale!« sagte lachend der Kapitän, denn so ließ die jüngste Gattin des Muschirs sich nennen, als sie nach europäischer Sitte unverschleiert in den Gesellschaften erschien. Omer, der bis auf die Bujuk-Hanum, die Sultan Mahmud ihm gegeben, seine Frauen schon mehrmals gewechselt und weggejagt, oder durch den Tod verloren hatte, besaß 1849 in Bukarest ein Töchterchen, Emine, von 5 oder 6 Jahren, das er sehr liebte. Da er dem Kinde Musikunterricht geben wollte, wurde ihm eine junge Sächsin aus Kronstadt empfohlen und bei ihm aufgenommen. Ohne schön und interessant zu sein, verstand sie doch bald, den Muschir zu fesseln, und aus der Lehrerin wurde seine Frau. Zuerst trat sie, wie erwähnt, ganz nach europäischer Sitte und mit großem Glanz auf, als sie jedoch während des gegenwärtigen Krieges Omer wieder nach der Donau begleitete, hatte sie bereits völlig die türkischen Gebräuche angenommen und erschien nur tief verschleiert und von Eunuchen umgeben.

Der Zug war vorüber und die kleine Gesellschaft kehrte daher nach dem Tschardak des Gasthauses zurück, wo sich gewöhnlich die europäischen und selbst viele türkische Offiziere zu versammeln pflegten, obschon Alexo, der Wirt, in dringendem Verdacht als Spion des österreichischen Konsuls und der Russen selbst stand.

Eine bunte Versammlung hatte bereits das Haus und den Vorplatz eingenommen und alle Augenblicke strömten neue Ankömmlinge herbei. Ehe Welland, der in der Locanda selbst sein Quartier genommen, noch sein Zimmer betreten, sprengten zehn, zwanzig Reiter, von der Begleitung des Muschirs zurückkehrend, herbei und warfen sich vor der Veranda von ihren Pferden. Iskender-Bey war an ihrer Spitze und stürmte in das Haus.

»Der Teufel soll mich holen und der Prophet dazu!« schwor der wilde Reiterführer, »wenn mir nicht die Kehle trocken ist wie ein ausgedörrter Schwamm. He, Alexo, Bursche, Wein her, Karten und Würfel, wir müssen nach der Anstrengung im Divan und den Begrüßungs- und Abschiedsreden eine bessere Erfrischung haben als den Kaffee, den der schäbige Filz Sami uns vorgesetzt hat.«

Die Renegaten im Heer scheerten sich herzlich wenig um das Verbot des Korans gegen den Wein, und der edle Ungar, Bordeaux und Rum flossen in Strömen, wenn sie nur zu haben waren. In der Locanda des Alexo fehlte es aber, trotz des bedeutenden Zuspruchs, nie an dem Rebensaft, da er durch die Vermittelung seines Gönners, des österreichischen Generalkonsuls, regelmäßige Ladungen von Orsawa erhielt. Dafür wanderte jede Kunde die der Wein von den Lippen seiner Gäste gelöst alsbald auch ins Haus des Agenten.

Mit der edlen Ungeniertheit des Orients und des Lagerlebens war alsbald – da alle anderen Räume des Hauses gefüllt waren – das große Gemach das Welland im oberen Stock bewohnte, von der wilden Gesellschaft in Beschlag genommen und während der Wirt hin und her eilte, die Gäste mit Getränken zu bedienen, klapperten auf dem Tische bereits die Würfel und flogen nach rechts und links die Karten im Hazard.

Iskender-Bey war ein überaus eifriger und wagender Spieler und seine beiden Freunde und Adjutanten gaben ihm wenig nach. Die Moslems selbst sind keine Freunde des Spiels, sie sind zu geizig dazu.

Während die fremden Offiziere den Weinflaschen zusprachen, oder dem stärkeren Rum, hielten sich die geborenen Türken an den letzteren, den sie wie den Slibowitza (Fusel aus Pflaumen usw.) aus Kannen und Biergläsern durch die Kehle gießen. Der Prophet hat ja nur den Wein verboten, und auch dies Verbot wird jetzt ziemlich öffentlich gemißachtet, wie bei uns die Juden den Schinken verspeisen.

»Nun, Doktor,« sagte Jacoub-Aga, der die Bank hielt, »wollen Sie denn nicht einmal Ihr Glück versuchen? Zum Teufel mit der Kopfhängerei, leben Sie dem Vergnügen! Sie werden der traurigen Beschäftigung des Arm- und Bein-Abschneidens genug haben, ehe zweimal vierundzwanzig Stunden vergehen.«

»Ich hörte bereits davon, Kolassi,« versetzte der Arzt. »Hat man nähere Nachrichten?«

»Die Russen kriechen endlich aus ihren Mauselöchern,« lachte der Bey. »Ihre Tirailleurs stehen bereits bei Czetate und ich glaube, sie haben Lust, sich festzusetzen.«

»Werden wir angreifen?«

»Versteht sich! Morgen rücken wir aus – aber Sebal sie pies! der heutige Tag gehört noch uns. Nur Wersbitzki muß diese Nacht bereits fort, um zu rekognoszieren; das hat der Narr davon, daß er den Koran verachtet.«

»Vorsichtig!« mahnte Hidaet-Aga; »der slovakische Spitzbube macht sich fortwährend hier zu schaffen und lauscht auf jede Silbe.«

»Thorheit!« höhnte der Bey; »Alexo weiß die Sache besser als wir. – Drei Dukaten auf die Dame!«

Ein Reiter sprengte unten vor das Haus und stürmte die Treppe herauf.

»Osman-Aga? Welcher Dämon führt sie zurück?«

»Mashallah, Inshallah, Bismallah und alle Allahs daneben, denn ich bin ein gläubiger Moslem und kein Jude mehr,« lachte der Wildfang. »Der Muschir ist ein prächtiger Mann, er hat mich wieder zurückgeschickt, um ihm nach dem Angriff weitere Kunde nachzubringen! Hussah! Wein her! Wer hält die Bank? Ich muß meine Ringe und meine Uhr von dieser Nacht zurückgewinnen.«

»Ich gebe Revanche,« lachte der Bey und nahm die Karten. »Ah, sieh da, Graf Pisani! Willkommen, Herr Kamerad, bei unserer Unterhaltung. Ich fürchtete schon, Sie liebten weder Wein noch Spiel und belagerten nur das Haremlik des würdigen Sami.«

»Ich überführe Sie von Ihrem Irrtum, Graf,« entgegnete der Oberst, der eben eingetreten war, und warf eine Börse mit Gold auf den Tisch. »Fünf Dublonen auf den Buben hier!«

»Wahrhaftig, der Bursche hat gewonnen. Was, ein Paroli? Ich sehe, Sie verstehen die Sache.«

Das Spiel nahm seinen Fortgang. In allen Ecken des Zimmers lärmte eine Gruppe. Französisch, Türkisch, Italienisch, Polnisch, Ungarisch und alle slavonischen Sprachen flossen in der Unterhaltung bunt durcheinander. Welland hatte sich längst darein ergeben, für den Abend und die Nacht auf die Ruhe verzichten zu müssen, dergleichen kam sehr oft vor; er unterhielt sich auf der Gallerie vor den Fenstern mit Kapitän Maxwell und Master Godkin, den beiden Berichterstattern der Daily News und des Morning Chronicle, ehe er seinen Abendbesuch im Lazarett machte.

Alexo, der Wirt, hatte neuen Bordeaux auf den Tisch der Spieler gepflanzt und dabei war ein bedeutsamer Blick des Sardiniers dem seinen begegnet. Der des Wirtes bejahte und deutete nach der Tür.

»Geben Sie mir jetzt die Bank,« erklärte Pisani und legte seine Uhr neben sich. »Ich bin Ihnen Revanche schuldig und werde sie dreißig Minuten halten, aber keinen Augenblick länger, denn ich habe noch einige Geschäfte. Heran, meine Herren, faites votre jeu!«

Die Offiziere spielten eifrig weiter, denn der Sardinier war im Glück und hatte bereits einen Haufen von Gold und Kaïmes (türkisches Papiergeld) vor sich gehäuft. Osman'a, der Jude, sah mit leidenschaftlichen Blicken und vom Wein erhitztem Gesicht dem Spiele zu. Er hatte schon alles, bis auf das goldgestickte Sattelzeug seines Pferdes, selbst seinen mit den schweren Goldschnüren pikeschenartig gezierten Rock der türkischen Husaren, deren Korps er angehörte, verloren.

»Wollen Sie einen Wechsel auf hundert Dukaten von mir annehmen, Herr Graf?« fragte er endlich hastig. »Mein Vater ist Bankier in Temesvar und wird ihn einlösen, wie meine Kameraden mir bezeugen können.«

Der Sardinier verneigte sich höflich.

»Ich zweifle keinen Augenblick daran, mein Herr, aber ich mache nie dergleichen Geschäfte.«

»Alexo! Schurke, hierher! Zum Henker, wo steckt der Spitzbube?«

Der Slavonier schoß herbei.

»Befehlen die Herren frisches Getränk?«

»Unsinn, Koth! Du sollst mir einen Wechsel diskontieren; ich weiß, Du hast Geld, wenn Du nur willst.«

Der Slovake wand und krümmte sich, wie ein Wurm. Er wußte sehr gut, daß der Adjutant ihm sicher war, aber er hatte ihm bereits, wenn auch zu den höchsten wucherischen Zinsen, am Tage vorher ein Darlehn gemacht.

»O, Aga,« sagte er, »ich bin ein armer Mann und habe bereits zwei Wechsel von Euch in Händen. Wo soll ich all' das Geld hernehmen?«

»Schäbiger Lump!« fluchte der Wüstling. »Wir alle wissen, Du kannst halb Widdin auskaufen, so viel hast Du schon an uns verdient. Ich gebe Dir mein Wort, Du sollst Dein Geld wieder erhalten, noch ehe ich das Nest verlasse. Ich werde morgen zu den Juden gehen und Geld schaffen.«

»Könnt Ihr mir nicht lieber ein Unterpfand geben, Aga? Ich bin ein armer Mann und muß mich sicher stellen. Seine Hoheit der Vali (Gouverneur) gönnt mir ohnehin kaum das Leben.«

»Bah! ich habe nichts, meine Ringe sind fort, meine Uhr auch. Willst Du mein Patent?«

»Was tue ich mit Eurem Patent? das laßt Ihr im Stich, jedermann weiß, daß Ihr der Offizier Seiner Exzellenz des Muschir seid.«

»Nun, Schuft von einem Slavonier,« sagte der Leichtsinnige, in seiner Brieftasche kramend, »hier ist was besseres, das ich höchstens auf einige Tage entbehren kann. Die Generalordre des Muschirs zum Durchlaß auf allen Posten und zur Lieferung von Pferden. Ohne dies Papier kann ich nicht von der Stelle; ist Dir das sicher genug?«

Graf Pisani hatte, während die Übrigen, unbekümmert um die gewohnte Verhandlung, fortpointierten, mit halbem Ohr auf das Gespräch gelauscht. Sein rascher, bedeutsamer Blick traf gedankenschnell den Slavonier und winkte ihm, zuzuschlagen.

»Bei den heiligen Märtyrern, an die Ihr nicht glaubt, Aga,« schwor der Wirt, »ich muß Euch anvertrautes Gold geben und tue es bloß auf Euer ehrliches Gesicht. Laßt das Papier da, Aga, und Ihr braucht Euch nicht zu eilen, ich verwahre es sicher und hoffe, Ihr werdet mich bei den Zinsen nicht vergessen!«

Der junge Tollkopf folgte dem schlauen Händler aus dem Gemach. Wenige Minuten nachher erschien er wieder am Spieltisch, die Taschen voll Gold, und von den Genossen jubelnd begrüßt.

Die Dukaten rollten. Mit beiden Händen auf den Tisch gestemmt, folgten Iskender-Bey und Osman-Aga den Chancen des Spiels. Die Augen funkelten – wilde Ausrufe und Verwünschungen – triumphierendes Lachen auf ihren Lippen – nur der Sardinier spielte wie ein Gentleman.

Osman'a verlor – der kühne Führer der Baschi-Bozuks triumphierte im Gewinn.

»Fünfzig Dukaten!«

Der junge Verschwender schob den ganzen Rest auf das Coeur-Aß.

»Schwarz! Auf den Buben, Kamerad!« rief der Bey.

Die Karten fielen rechts und links – Rot hatte verloren, Schwarz gewonnen. Mit einem grimmigen Fluch hob der Adjutant die nächste Flasche an den Mund und trank sie bis zum Boden leer; Iskender-Bey aber zog das Gold zu seinem Gewinn.

»Wein, Alexo, Champagner! Noch eine Taille, Kamerad?«

Aber der Graf hatte sich bereits erhoben und hielt ihm die Uhr vor.

»Die Zeit ist um, Herr Graf, ich cediere dem Nächsten. – Viel Vergnügen, meine Herren, mich rufen noch Geschäfte; vielleicht finde ich Sie später noch hier und gebe dann weitere Revanche.« –

Er steckte den Goldhaufen, der vor ihm lag, in die Tasche und griff nach dem Kasket. Aber ein jammerndes Geschrei voll Schmerz und Angst fesselte seinen Fuß, und er blieb ein unwillkürlicher Zuschauer der folgenden Szene.

Die Tür des Gemaches wurde aufgerissen, ein bulgarisches Weib und ein Mädchen erschienen auf der Schwelle, weinend und zagend, als sie die vielen Männer sahen. Aber Doktor Welland, der sie führte, zog sie, ihnen Mut einsprechend, herein und gerade auf Iskender-Bey zu. Nursah, der schwarze Sklave des Doktors hatte das Mädchen an der Hand, dessen Gewand zerrissen war, dessen langes blondes Haar, häufig eine große Schönheit der bulgarischen Frauen, ihr wirr herab bis fast auf die Knie niederhing.

»Was Teufel, Doktor, bringen Sie uns da für Gäste? Haben Sie eine Otmitza (Mädchenentführung) gehalten und Braut und Schwiegermutter zugleich erobert? Herbei mit dem Popen!«

Die ganze Gesellschaft brach in ein tobendes Gelächter aus, Welland aber faßte eifrig des Bey's Arm.

»Helfen Sie den Ärmsten, die Schutz bei Ihnen suchen,« bat er, »sie sind geflüchtet aus ihrem Hause, wo Ihre Baschi-Bozuks Mord und Totschlag üben. Mein Neger fand die Weiber jammernd vor der Tür der Locanda und führte sie zu mir.«

»Bah! was wird es sein? – eine Lappalie – das Volk hier ist an Prügel gewöhnt! Warum gehen sie den wilden Teufeln nicht aus dem Wege? Ich kann mich nicht mit der Beschwerde jedes Bauern oder jeder Dirne befassen.«

Die Baba (bulgarische Hausfrau) war vor dem Bey niedergefallen und umfaßte seine Kniee.

»Was gibt's, Weib?« herrschte er ihr auf Türkisch zu.

»O Hoheit, sie morden meinen Mann – sie haben meinen Neffen erschlagen und ermorden sich untereinander!«

Die Stirn des türkischen Guerillaführers verfinsterte sich.

»Wer bist Du, Frau? wo ist Dein Haus?«

»An der Dromoi, (Straße) Hoheit, die nach Belgradzik führt, dem Adlernest der Haiduken. Die Zelte Deiner Krieger liegen keine tausend Gänge davon und mein Mann hält eine Hane (Gasthaus).«

»Aufs Pferd Jacouba«, befahl der Bey »und sieh zu, was es gibt. Meine Kopfabschneider sollen dem Volke wenigstens nicht ans Leben kommen, sie werden morgen bessere Gelegenheit finden, ihre Tollheit zu kühlen. Jage die Hunde in ihre Zelte, und Du, Weib, störe mich nicht länger.«

Er wandte sich wieder zu dem Spiel, während Jacoub-Aga den Säbel umschnallte und das Gemach verließ, indem er sich von dem Weibe noch weiter den Schauplatz des Exzesses beschreiben ließ. Mehrere der jüngeren Offiziere umgaben die hübsche junge Bulgarin, die zitternd und weinend sich an den deutschen Arzt drängte, der sie hereingeführt.

Im Galopp flog ein Reiter vor das Haus, warf sich aus dem Sattel, und man hörte ihn laut nach dem Bey fragen. Es war bereits dunkel geworden, der Retraiteschuß der Festung jedoch, der die Türe schloß, noch nicht gefallen.

Der Führer der Irregulären beugte sich aus dem Fenster.

»Was gibt's? wer fragt nach mir?«

»Der Jüs-Baschi der Kosaken, Mahmud-Aga, läßt melden, daß eine große Anzahl der Irregulären mit seinen Leuten handgemein geworden ist in einer bulgarischen Mehana (Schankwirtschaft) an der Straße nach Nissa. Der Kolassi ist bereits in Kalafat, und der Aga zu schwach, den Kampf zu steuern.«

» Tysiac byci mac mordowalo!« fluchte der Bey in seiner Muttersprache, »das ist ein andres! Zu Pferde, meine Herren, wir müssen die Schufte auseinandertreiben, sonst hauen sie sich gegenseitig in Stücke!« Er sprang die Stiege hinab und rief unter dem Tschardak nach seinem Roß. Mehrere der Offiziere folgten ihm – andere blieben ruhig sitzen, dergleichen Auftritte ereigneten sich zu häufig, ohne ihre Ruhe noch zu stören. Seine On-Baschi's (Unteroffiziere, Ordonnanzen) voran, jagte der Bey davon.

»Hierher, Exzellenz!« flüsterte der slavonische Wirt, indem er die Hand des sardinischen Obersten berührte. »Folgen Sie mir.«

Es ist ein eigentümliches Zeichen des militärischen Verhältnisses in der türkischen Armee, daß außer dem Dienst es weder Offizieren noch Gemeinen auch nur einfällt, den Vorgesetzten als solchen und anders, denn als gleichstehenden Kameraden zu behandeln.

Die beiden unteren Gemächer, die Küche und die Veranda der Locanda lagen voll von Militärs jeder Gattung, zum größten Teil Renegaten, aber auch die Moslems kümmerten sich nicht um die Durchdrängenden. Zechend und spielend, von den Leuten des Kahvedschi bedient, war alles nur mit dem eigenen Vergnügen beschäftigt.

Der Sarde folgte dem Wirt durch den Flur und einen kurzen Gang in ein anstoßendes Hintergebäude und zu einem kleinen, leeren Zimmer.

»Verzeihen Exzellenz,« bat der Slovake, »daß ich Sie hierher führe, aber nirgends im ganzen Hause ist ein Plätzchen, wo man sich ungestört besprechen kann.«

Der Oberst warf das Geld, das er gewonnen, auf den Tisch.

»Hier ist etwas für den Brief der Gräfin, den Du mir gestern sandtest, und die hundert Dukaten, die Du für den Ferman des tollen Aga's ausgelegt. Der Überschuß ist Dein. Gib mir das Papier.«

»Aber wenn es der Aga einlösen will?«

»Bah! – er denkt nicht daran; ich werde dafür sorgen, daß er Beschäftigung genug hat. In drei Tagen kannst Du es außerdem zurück erhalten. Wie steht's mit meinem Auftrag?«

»Exzellenz Befehle sind erfüllt, aber wie ich die Verhältnisse kenne, wird mein Plan der einzig ausführbare sein. Ich habe sichere Kunde, daß eine Anzahl Dorobandschen die Gelegenheit zum Desertieren erlauert. Apollony ist bereit, auf das russische Gebiet zu gehen und die Leute zu führen; es wird Ihnen dafür ein leichtes sein, die Gräfin in ihrem Schloß an der Deszneizia aufzuheben und über die Donau zu bringen. Apollony bürgt mit seinem Kopfe dafür, während auch die keckste Schaar der türkischen Truppen nicht die Hälfte des Weges zurücklegen würde.«

Der Graf schwieg einige Minuten nachsinnend.

»Ist der Mann treu?«

»Wie Stahl und Gold, Exzellenz, ich verschwöre mein Leben für ihn. Er führt die meisten Überläufer.«

»Du weißt,« sagte der Oberst, »daß, wenn die Entführung gelingt, Du 200 Dukaten erhältst und der Walache eben so viel. Betrügst Du mich, – denn ich weiß sehr wohl, daß Du den Russen eben so gut dienst wie mir, – so werde ich dafür sorgen, daß Sami-Pascha Dich eines schönen Morgens an Deiner eigenen Haustür aufhängen läßt. Führe den Mann zu mir.«

Der Wirt verschwand und kehrte bald nachher mit einem jungen Manne zurück, der, obschon in türkischer Offizier-Uniform, doch nur als Volontär in der Armee diente, und – ein geborener Walache – durch seine Bestrebungen, seine Landsleute aufzuwiegeln und auf die türkische Seite herüberzuziehen, sich ausgezeichnet hatte.

»Alexo hat Ihnen von dem Unternehmen bereits gesprochen,« sagte der Graf. »Die eingetretenen Umstände erleichtern die Sache. Das Gut und Schloß der Gräfin Laszlo an der Straße Radovan liegt zwar zwei Meilen innerhalb der russischen Linien, doch wird die Gegend morgen von Truppen entblößt sein. Kennen Sie Schloß Badowitza?«

»Sehr gut, Aga!«

»Desto besser; also hören Sie! Die russischen Truppen haben eine Expedition gegen einen Ihnen gewiß bekannten Punkt, Czetate, etwa drei Meilen oberhalb Kalafat, unternommen, und werden sich dort festsetzen. Ich bin durch einen Brief gestern genau unterrichtet worden, daß auch die Detachements, die in der Nähe von Tschoroy und der Deszneiza stehen, dahin kommandiert sind, das Gut der Gräfin Laszlo also in diesem Augenblicke ohne namhafte Verteidigung ist. Alexo, der Wirt, sagt mir, daß Sie der Dorobandschen, die in jener Gegend stehen, sicher sind. Wir werden morgen die Russen bei Czetate angreifen. Sie müssen die Zeit benutzen, um die Gräfin ohne Aufsehen aufzuheben und nach der Donau zu bringen. Wie sie über dieselbe gelangen, oder zum Lager von Kalafat, ist Ihre Sache. Die Dame, die so schonend wie möglich behandelt werden muß und gegen die ich jede Beleidigung auf das Strengste untersage, wird im Konak Sami-Pascha's hier in Widdin abgeliefert. Ist dies geschehen, so wird Alexo Ihnen sofort die versprochenen 200 Dukaten auszahlen. Sagen Sie mir nun, ob Sie sich das Unternehmen auszuführen getrauen?«

»Es ist ein Kinderspiel, wenn die Entfernung nicht wäre. Ich muß den Strom hinabgehen und an einer anderen Stelle übersetzen, was schwierig ist, da überall noch Eis liegt. Der Weg durch unsere Stellung von Kalafat würde mir einen Tag ersparen, doch sind die Moslems sehr mißtrauisch und ihre Linien stark besetzt!«

»Werden Sie durch die Vorposten der Russen nicht gefährdet sein?«

Der Walache lächelte.

»Ich besitze genügend russische Papiere – für Gold ist da drüben alles zu haben – und kenne überdies die Gegend genau.«

»So kann ich Ihnen die Mittel geben, zu jeder Zeit und wie Sie es für gut finden, bei den türkischen Posten während der nächsten drei Tage ein- und auszupassieren. Hier ist eine Ordre des Muschirs; der Zufall hat mich in ihren Besitz gebracht.«

Apollony untersuchte das Papier.

»Betrachten Sie die Sache als abgemacht, Herr. Spätestens übermorgen abend ist die Dame im Haremlik des Gouverneurs, oder ich habe meinen Kopf verspielt. Aber ich muß etwas Geld im Voraus haben.«

»Alexo wird Ihnen fünfzig Dukaten geben. Noch eins! Die Gräfin muß die Leute entweder für ein türkisches Streifkorps oder für Überläufer halten. Es kommt nur darauf an, daß ihrer Person nichts widerfährt, und Gewalt wird sogar besser sein. Etwas Schrecken und Angst wird ihr nicht schaden, mit ihrer Umgebung machen Sie keine Umstände und betrachten Sie sie als Feinde. Unter keiner Bedingung darf aber die Dame ahnen, daß ihre Entführung von hier aus eingeleitet ist, keine Silbe von meiner Person, verstehen Sie wohl?«

»Ihre Befehle sollen erfüllt werden! Auf übermorgen also.«

Der Oberst nickte.

»Gutes Glück! Alexo, gib ihm das Geld.«


II. Die Völker.

Die Mehana des Bulgaren Gawra befand sich ungefähr zehn Minuten vor dem südlichen Tor Widdins an der Straße nach Nissa und Ternowo, der heiligen Stadt des Landes. Das bulgarische Dorf, zu dem sie gehörte, lag weiter ab von der Straße. Jenseits derselben, hinaus ins Feld nach der Donau zu, erstreckte sich das fliegende Lager der Baschi-Bozuks, die hier die Reserve für die Garnison von Kalafat bildeten.

Die Hane war nicht nach bulgarischer Art gebaut, die ein rundes, bis auf etwa zwei Fuß vom Boden abstehendes Schobendach zeigt, während das Haus selbst tief in die Erde gegraben ist und man auf Stufen dazu heruntersteigt. Sie war vielmehr nach städtischem Muster eingerichtet, einstöckig und mit einer großen, gemeinschaftlichen Hoda (Saal, großes Gemach) versehen, die, zugleich Küche, Wohn- und Gaststube, bis auf zwei kleine Kammern den ganzen unteren Raum der Umfassungsmauern einnahm, und nur die vielen weißen, von der Sonne gebleichten und auf Pfähle gesteckten Ochsen- und Pferdeschädel rings um den Hof verkündeten die bulgarische Wohnstätte. Ein großer, grüner Busch über der Haustür zeigte die Eigenschaft der Schänke an, – mehrere nach bulgarischer Art eingerichtete Ställe – denn jede Art der Haustiere hat hier ihre besondere Wohnung – umgaben das Hauptgebäude.

Gawra, der Wirt und Pferdehändler, galt unter seinen Landsleuten für einen habsüchtigen, aber wohlhabenden Mann, wenn er auch den Gebietern gegenüber letzteres auf alle mögliche Weise zu verbergen suchte und die ganze Wirtschaft daher äußerlich ein verkommenes und liederliches Aussehen zeigte. Der Bulgar unterscheidet sich im ganzen sehr zu seinen Gunsten von allen anderen Rassen der Bevölkerung der transsylvanischen Halbinsel. Er ist fleißig, betriebsam, ehrlich und unverdrossen. Geschickt zu jedem Handel und Gewerk, zu Ackerbau, Viehzucht und Industrie, wäre dies Volk unter einer verständigen und milden Herrschaft der größten Ausbildung fähig, und ihr Land – an den beiden Abhängen des Balkans alle Erzeugnisse des europäischen Südens und Nordens vereinigend – besitzt einen natürlichen Reichtum wie kein anderes. Während an den Abhängen der Donau Buche und Eiche, Platane und Wallnuß die mächtigen Kronen aus den üppigen Buschpflanzen emporstrecken, der wilde Wein sich um ihre Stämme rankt und die Täler fette Weidetriften in Unzahl bieten, thront hoch darüber der Felsengrad des Hämus mit Schluchten und unzugänglichen Bergwänden, in deren Tiefen Schätze edlen Metalls verborgen sind. Rasche, goldhaltige Wässer springen von Fels zu Fels hinab, zur Donau drängend oder jenseits hinüber zu den Küsten des herrlichen ägäischen Meeres. Der Bär, der Luchs und der Adler hausen auf diesen Bergen, der Schakal streift hinab zur Ebene und der stattliche Rothirsch mit dem sechszehnendigen Geweih streift in zahlreichen Heerden durch die Wälder. Der Eber wälzt sich im Sumpf, das wilde Pferd galoppiert durch die Ebene. Sieben Felsenpässe brechen durch die gigantischen Massen der Berge und führen zu einem südlichen Hange, die beiden bekanntesten: das trajanische und das eiserne Tor, von denen das erste nach Sophia, das andere über Kasanlik und Schumla nach Varna und dem Schwarzen Meere mündet, führen zur Landschaft Zagora, die sich vom Meeresstrande bis zum Berge Athos erstreckt, die reichste, üppigste Provinz der Türkei.

Die Tätigkeit und Betriebsamkeit, welche dem Bulgaren inne wohnt, hat ihn die Marutza entlang bis zu den Küsten des ägäischen Meeres, bis an die Tore Konstantinopels getrieben. Überall ist er Ackerbauer, Viehzüchter, Fabrikant, Handwerker und Kaufmann, und es liegt eine unermeßliche Quelle von Zivilisation und Wohlstand in diesem demütigen sinnenden und empfänglichen Volke. Still beugt es seinen Nacken unter dem drückenden Joch des Spahis, der von seinem Fleiße prunkt, seine Töchter entführt und seinen Glauben verhöhnt, und die traurige Klage, die seines Herzens tiefsten Kummer dem selten das Land durchpilgernden Fremdling öffnet, ist der kindlich naive Ruf: »Du bist glücklich, Bruder, in Deinem Vaterlande gibt es nichts als Bulgaren (Christen)!«

Dennoch ist auch dies demütige, gutmütige Volk schon häufig durch die furchtbare Last der türkischen Mißhandlungen emporgerüttelt und ihm die Waffe zum kräftigen, zähen Widerstand in die Hand gezwungen worden. Nur die eigene Gutmütigkeit und die verräterische Schlauheit seiner Gegner haben ihm das Schwert wieder aus der Hand gewunden und das Joch aufs neue auf seinen kräftigen Nacken gelegt.

Im Hane des Wirtes Gawra ging es lebendig her an dem Nachmittage des Tages, der uns in der Locanda des Slovaken Alexo zu Widdin gefunden hat. Der schlaue Handja hatte die Nähe der türkischen Lager benutzt, um einen Handel und Ausschank von Getränken anzulegen, und handelte und verhandelte dabei mit Glück und Gewinn manches Roß, teils aus dem eigenen Stall, teils von der Beute, welche die Irregulären und türkischen Husaren von den Streifzügen über Kalafat hinaus mit zurückbrachten. So strömten denn auch viele nach dem Abzug des Muschirs und nachdem die Truppen von der Besichtigung zu ihren Quartieren in der Palanka Widdins und dem fliegenden Lager zwischen der Heerstraße nach Nissa und dem Strom zurückgekehrt, nach der Mehana.

Das Hane war der gewöhnliche Verkehrsort der Irregulären, seit kurzem aber auch ihrer christlichen Nebenbuhler, der türkischen Kosaken, dieses Korps aus walachischen Freiwilligen und den Flüchtlingen jedes Landes Europa's, die aus irgend einem Grunde sich nicht zu der Annahme des Islams bequemen wollten, denn diese gehört unbedingt zum Eintritt in den türkischen Nizam. Die türkischen Kosaken waren daher von den Moslems nicht nur als Dschaurs verachtet, sondern offen von ihnen gehaßt, und wurden auf alle gefährlichen und verlorenen Posten gestellt, da ihre verwegene Tollkühnheit keine Hindernisse kannte. Mit Groll und Ärger sahen die Baschi-Bozuks sich im Hane des Bulgaren seit einigen Tagen von ihren Gegnern verdrängt, die der Ruf von der Schönheit der beiden Töchter des Wirtes und einige zufällige Pferdekäufe dahin geführt hatten, und mit Ingrimm bemerkten sie, wie her Handja selbst sich weit mehr mit den Dschaurs zu tun machte, deren Geld leichter rollte, als das der geizigen Moslems.

Die Baschi-Bozuks waren heut zahlreicher versammelt als gewöhnlich und füllten nicht allein die größere Hälfte des unteren Hauses, sondern strömten auf dem breiten Tschardak fortwährend ab und zu. Die bunten, wüsten Gruppen, auf dem Boden umherkauernd oder gleich Statuen an der getünchten Wand lehnend, boten einen seltsamen, phantastischen Anblick.

Tobender und lärmender war die Gesellschaft in dem anderen Teil. Hier saßen und standen um zwei oder drei Tische etwa zwanzig der türkischen Kosaken in ihrer kleidsamen Uniform, dem blauen, mit scharlachroten Aufschlägen und eben solchem Futter in den langen aufgeschlitzten Hängeärmeln versehenen Dolman, dem Pelztschako mit dem großen Halbmond von Messingblech daran und den weiten blauen Pantalons mit breiten roten Galons. Dazu die Kartouche und der Säbel in der blinkenden Scheide, obschon auch ihnen die gewöhnlichen Feuerwaffen fehlten, da der strengste Befehl gegeben war, daß außerhalb des Dienstes Flinten und Pistolen nicht getragen werden durften, um möglichst Unheil bei dem heißen Blute der Parteien zu verhüten.

Die Gruppen um den Tisch waren mit Trinken und Spielen beschäftigt. Während bei den Offizieren in der Locanda Alexo's das Pharo die Taschen leerte, klapperten hier die Würfel unter den Verwünschungen, den wüsten Späßen und dem Gelächter der Freiwilligen.

In der Mitte des Gemaches vor dem großen Kamin war die Kula mit einer ihrer Töchter eifrig mit der Kaffeebereitung beschäftigt. Gawra, der Wirt, und ein Neffe von ihm, fast noch ein Knabe, bedienten die Gäste.

An dem Tische, in der Nähe des Kamins saß die Hauptgruppe der Spieler um einen Fremden, der, so sehr er ihnen auch in dem verwegenen und kühnen Aussehen glich, doch keiner der ihren war und nicht die Uniform trug. Es war Sta-Lucia, der korsische Bandit, der nach seinem letzten Verbrechen in Stambul im Heerlager an der Donau Sicherheit gefunden hatte und hier den Diener des sardinischen Obersten spielte.

»Mashallah!« murrte Ali, der Arnaut, zu seinem Nachbar, einem zerlumpten Asiaten, indem er mit dem Mundstück seines Schibuks nach den Spielern deutete, »sieh diese Söhne der ungläubigen Hunde, wie das blanke Gold durch ihre unreinen Hände rollt. Ein weiser Mann hat mir gesagt, daß man durch dieses Spiel aus einem Beschlick (ein kleines Goldstück, fünf Piaster an Wert) im Handumdrehen zwanzig goldene Ghazis erwerben kann.«

Die Augen des Asiaten funkelten lüstern.

»Weißt Du, o Ali, wie man das Geld gewinnt?«

»Ich habe mir sagen lassen, daß man ein Geldstück einsetzt, man wirft die bleiernen Kugeln und erhält so viel Geld, als sie schwarze Punkte zählen.«

»Inshallah! – was für Narren sind diese Christen! Es ist nur ein Gott und Mohamed ist sein Prophet. Ich möchte ihnen wohl ihr Geld abnehmen.«

»Bei meinem Bart,« schwor der Arnaut, »ich habe die gleiche Lust. Aber mein Beutel ist leer.«

Abdallah, der Syrier, nestelte an einem solchen von Ziegenhaar.

»Ich fand bei dem Moskow, den wir bei dem Überfall erschlugen, außer dem Golde auf seinen Schultern zehn Stücke in seiner Tasche. Wenn ich wüßte, daß Allah mein Tun segnen würde, möchte ich einen großen Beschlick in diesem Spiel wagen.«

»Hussah, Schurke von Wirt! Istem teremtete! Rum her, Branntwein!«

»Bergantre! (Hundsfott!) Wo steckt der Bursche, daß er Kaballeros warten läßt?«

»Villao! (Lümmel!) Branntwein her!«

»Kaballeros Euer Spiel! – Acht auf der Tafel.«

»Pesta! Ich werfe mehr! Zehn!«

» Psia twoja mae! Hundsmutter die Deinige! Das Geld ist verloren.«

Der Pole griff sich wild in die Haare und starrte mit funkelnden Augen auf sein verlorenes Geld, das der Spanier ruhig zu dem seinen zog. – –

»Allah sende ihm Unglück! Hast Du es mit Deinen eigenen Augen gesehen?«

»Was lachst Du mir in den Bart, o Beg? Auf mein Haupt komme es. Bin ich ein schlechter Mann oder bin ich eine turkomanische Kuh? Sind das Augen oder sind sie es nicht? Ich habe gesehen, wie er über der Tür seines Hofes die drei Kreuze gemacht hat, die das Zeichen der Christen sind, und die unsere Brüder auf das Krankenlager werfen, bis die Reihe an uns kommt.«

Der Moslem, an den die Rede gerichtet war, schüttelte zur Bejahung sein Haupt.

»Wir wollen den Derwisch Ibrahim herbeirufen, der dort steht, er wird uns sagen, ob dieser aussätzige Bulgar dafür an seine eigene Tür genagelt werden soll!«

»Khaweh, Khaweh! Tschibuk, Khaweh dschetir! Bringt Pfeifen und Kaffee herbei!«

»Höre, Freund Gawra, reiche mir die Guzla (Zither) dort vom Nagel. Wo ist Marutza, Deine Tochter, daß sie mein Lied begleitet? Warum bedient die Moma (Mädchen) Deine Gäste nicht?«

Der Bulgare reichte eifrig dem Italiener die Zither.

»Die Marutza fürchtet sich vor der zahlreichen Gesellschaft, Aga, sie wirtschaftet in den Ställen mit dem Vieh.«

»Schaff sie herbei, pitoccone! (Schurke!) Meinst Du, wir sind hierher gekommen, um Dein schlechtes Gesicht anzuschauen?!«

»En avant, Monsieur Gavra, bringen Sie uns Mademoiselle Marutza!«

»Die Moma! die Moma!« heulte der Chor.

Der Bulgare war bereits demütig verschwunden.

Die Moslems schauten finster auf die Lärmer; um Hadschi-Achmet und den Derwisch hatte sich eine Gruppe gebildet und horchte eifrig den Worten.

»Dieses Schwein von einem Bulgaren tut, als ob wir nicht in der Welt wären. Ich will die Gräber seiner Väter besudeln!«

Der Redner schüttelte verächtlich den Zipfel seiner Jacke.

»Corpo di Bacco! Ruhe da oben! Ich will mein Lied singen!«

Tomasini, der Venetianer, begann, auf der Guzla klimpernd, Orsino's Trinklied aus der Lucretia. Seine Stimme war schön und bald sammelten sich Zuhörer um ihn und klatschten ihm ihren Beifall. Selbst die wilden Kinder der Wüste horchten den übermütigen frischen Klängen.

An dem Tisch des Korsen stand der Baschi-Bozuk, sein Auge haftete gierig auf dem Golde, das vor Sta-Lucia lag.

»Hei, Kamerad, willst Du auch einmal Dein Glück versuchen? Heraus, alter Beduine, mit den Piastern und den blanken Dukaten und Dublonen, die Du zusammengestohlen hast.« Er reichte ihm den Becher.

Der Araber verstand seine Sprache nicht, aber er legte langsam und zögernd einen Imperial aus den Tisch. Seine langen Finger krampften noch ängstlich danach, als der Korse das Goldstück nahm und prüfte.

»Diavolo! Russisches Gold? Hast Du viel dergleichen, pidocchioso?«

Er warf einen Napoleond'or daneben und schob dem gierigen Moslem die Würfel zu. Einige Männer sammelten sich um die Gruppe.

Draußen am halb zusammengebrochenen Hofzaun hinter dem Hause, durch den vorspringenden Stall vor den Blicken verborgen, lehnte Marutza, die älteste Tochter des Hauswirts. Um das reine, ovale Gesicht mit den großen, blauen Augen wallte das Goldhaar bis fast zur Erde hinab, die jungfräulich üppige Gestalt wie mit einem Mantel umgebend. Auf dem Scheitel fehlte zwar die Ringelblume oder die Rose, mit der die Bulgarin sich schmückt, denn die Jahreszeit bot nicht die sinnige Zierde; aber der Mann vor ihr schaute auch nicht nach fremden Blumen aus, wo die Rosen auf den Wangen der Geliebten ihm glühten und aus ihren treuen, melancholischen Augen alle Blüten der Zärtlichkeit ihm entgegen strahlten.

Es war ein kräftiger, junger Mann von trotzig kühnem Aussehen, der glänzend gewichste Schnurrbart lang über die Mundwinkel herniederhängend, auf dem Haupte, das bis auf den langen, in zwei Flechten geteilten Haarbüschel auf dem Scheitel kahl geschoren war, einen slavonischen Hut. Von dicker Wolle war seine ganze Kleidung, die kurze Kutte, der Gürtel, die Beinkleider, die Bänder, womit seine Füße dicht umwickelt waren. Über dem allen war er in einen weiten, filzartigen weißen Mantel gehüllt, der die Waffen in seinem Gürtel verbarg, bis auf die treue Flinte, die im Bereich der Hand lehnte.

»Ich sage Dir, Marutza,« sprach finster der Fremde, »ich dulde es nicht länger, daß Dein Vater Dich den Blicken der Männer preisgibt, von denen seine Habsucht ihren Vorteil zieht, statt Dich, wie es einer Bulgarin geziemt, an der Spindel oder dem Webstuhl in der Kammer zu halten. Mit Maria, Deiner Schwester, mag er tun, was ihm beliebt, aber Du bist meine Braut, wenn Du auch den Schleier oder die Haube nicht trägst, und bei den vierzig Märtyrern, ich hole Dich in der Otmitza, wenn Dein Vater der Sache kein Ende macht.«

»Du tätest besser, Miloje,« entgegnete die Stimme des Alten, der seine Tochter zu suchen gekommen war, hinter ihnen, »Du brächtest Deinen und meinen Hals nicht in Gefahr, indem Du hier umherstreichst, während die Khawassen des Paschas und alle Leute in Widdin wissen, daß ein Preis auf Deinem Kopfe steht.«

»Bah!« sagte der junge Mann verächtlich, indem er die Finger seiner Rechten vor sich spreizte. »Ich fürchte die Schurken nicht. Ich bin ein freier Haiduk, und Sami-Pascha weiß, was er von meinen Brüdern zu erwarten hat, wenn er mir ein Haar krümmt. Mein Vater war ihr Schrecken und bei der Panagia (Heilige Jungfrau), ich werde diese Türken nicht für die Tschorbadschias (Herren des Landes) erkennen, so lange ein Atem in dieser Brust ist.«

»Aber was willst Du hier, wo tausend Augen auf uns gerichtet sind?«

»Mein Weib, Marutza, meine Braut, wie Du meinem Vater gelobt hast. Ich bin von den Bergen herunter gekommen, weil ich gehört habe, daß Du, des schnöden Geldes wegen, Deine Töchter gleich Mägden die Krieger des Großherrn bedienen läßt.«

»Du bist ein Tor, Michael Miloje! Wem anders fällt einst mein Hab und Gut zu, als Dir und dem Mann meiner Tochter Maria! Die Weiber müssen verdienen, so lange sie im Hause sind. Du kannst Marutza doch nicht auf Deine kalten Berge nehmen, und im Paschalik findest Du kein Celo, wo Du Dich niederlassen darfst, ehe nicht der Bann von Deinem Haupte genommen ist. Was können wir tun, wir sind die Knechte!«

»Ha, bei dem Blute meines Vaters, der im Turm von Kamenitza für die Freiheit der Seinen starb,« rief der Haiduk, »sind wir nicht Memmen, daß wir diese Fesseln tragen? Sind unsere Freunde, die Moskowiten, nicht jenseits des Stromes bereit, uns zu Hilfe zu eilen, sobald nur der Kampfruf von unseren Bergen erschallt? Ist der schwarze Zar nicht unser wahrer Vater? Schämt Euch, Gawra, der Ihr in Eurer Jugend mit dem Popen, Eurem Ohm, bei Jarkoî gefochten und vor Nissa gestanden mit meinem Vater, daß Ihr so ganz vergessen habt, was Euer Herz damals entflammte.«

»Törichter Junge,« sagte der vorsichtige Bulgar, sich scheu umblickend. »Ist es nicht schon deshalb, weil ich Gawra heiße, daß ich die Rache der Osmanli's fürchten und ihren Verdacht einschläfern muß? Was weißt Du, was meine Seele denkt! Doch fort mit Dir jetzt, – das Mädchen muß in die Hoda und ihrer Mutter helfen, und Dich schütze der Gott unserer Väter, bis Du so viel erworben hast, daß Du die Braut heimführen kannst. In das Haus, Marutza, oder man wird nach uns spähen.«

Das Mädchen riß sich los und flog über den Hof zur Tscharda. Der junge Haiduk aber faßte des Alten Arm, der ihn gleichfalls verlassen wollte.

»Ist es nur das, Vater Gawra, das gelbe Metall, dessen ich bedarf, um die Braut zu erhalten? Schau her, dessen hab ich genug, mehr als ich brauche, mein Haus zu bauen und ein stattlich Gut frei zu kaufen.«

Er zog aus dem breiten, wollenen Gürtel einen ledernen Beutel und zeigte ihn dem Pferdehändler, – der Beutel wog schwer von Gold.

»Bei dem Blut der heiligen Märtyrer!« fuhr der Alte zurück, »wo hast Du das Geld her, Michael?«

»Ei, laßt Euchs nicht kümmern,« lachte dieser. »Es ist ehrlich erworbenes Geld, das der schwarze Zar seinen tapfern Kindern, den Haiduken, gesandt hat. Aber ich kann nicht von hier, Vater Gawra, und ich will auch nicht. Ich muß jemand erwarten der mich innerhalb dreier Tage in Eurem Hane treffen soll, und Eure Mehana ist ein offenes Haus, ich habe so gut ein Recht, darin zu weilen, wie jeder dieser Soldaten des Padischah.«

Der Bulgar bedachte sich einen Augenblick, – sein Geiz und der Anblick des vielen Goldes, das der Haiduk bei sich führte, siegten über seine Vorsicht.

»Sei es denn,« sagte er, »aber bei der Panagia, bringe mich nicht ins Unglück für meine Güte. Die Soldaten kennen Dich nicht und die Khawassen meiden meine Schwelle, weil sie Schläge von ihnen fürchten. Sei vorsichtig, Michael, und mische Dich nicht in fremde Händel. Du kennst die Gelegenheit und weißt daß die Stiege neben dem Herd zu den Bodenkammern führt. Dorthin zieh Dich zurück, ehe sie auf Dich und Deine Gegenwart merken, ich werde die Weiber zu Dir senden. Gieb mir die Flinte, daß ich sie verberge.«

»Ich kann die Waffe nicht von mir lassen.«

»Narr! Hier würde sie auch wenig sicher sein, diese Moslems sind Diebe, die überall umherspähen.«

Er holte aus dem Stalle eine Schütte Stroh und wickelte das Gewehr hinein. Dann nahm er es unter den Arm und schritt dem Hause zu, dem jungen Knees (Häuptling) winkend, ihm in einiger Entfernung zu folgen.

Drinnen in der Hoda nahm der Lärm immer mehr überhand, je mehr der feurige Branntwein, das Spiel und der Streit die Köpfe erhitzten. Auch die Baschi-Bozuks standen jetzt in einzelnen Gruppen und lebhafterer Verhandlung, und ihre Augen ruhten finster auf Gawra, als er sich mit dem Stroh durch ihre Mitte wand und es in die Kammer hinter dem Herde warf. Um Sta-Lucia und die beiden Bozuks hatte sich ein zahlreicher Kreis gebildet aus Moslems und Christen und schaute aufmerksam oder höhnisch dem Spiel zu. Der Korse hatte, seinen Gefährten einen Wink gebend, dem habgierigen Sohne der Wüste bald den einfachen Mechanismus des Spieles begreiflich zu machen gewußt, teils durch Pantomimen, teils durch türkische Worte. Noch deutlicher wirkte das Beispiel, denn mehrere Kosaken setzten alsbald das Würfeln fort und als Sta-Lucia den Syrier die beiden ersten Würfe gewinnen ließ und ihm die Goldstücke zuschob, glaubte der Bozuk wirklich, sein Kismet wolle es, daß er das Geld des Dschaurs zu dem seinen mache, und mit der Gier eines echten Spielers setzte er das gefährliche Spiel fort. –

Tomasini hatte die Guzla fortgelegt und Marutza, die bei ihm vorbeischlüpfte, am wallenden Gewand ergriffen, während Rodriguez, der Spanier, ihre Hand gefaßt hielt und fünf, sechs andere um das geängstigte Mädchen sich sammelten, ihr den Ausgang versperrend.

»Schöne Marutza,« flüsterte der Italiener, »her zu mir, trink aus meinem Glase! Pesta, Du bist so allerliebst, daß Tomaso Dich besitzen muß, und wenn es sein Leben gälte!«

»Demonio,« schrie der Rival, »der Mann will die Schönheit allein haben! – An mein Herz, schöne Senjora, Rodriguez ist gleichfalls bis über die Augen vernarrt in Dich!«

»Putao!« zischte ein dritter Nachbar und riß das Mädchen an sich. »Halb Part, Kamerad!«

Wie ein Spielball flog sie durch die Hände der rohen Gesellen.

Abdallah, der Syrier, hatte nach wechselndem Verlust und Gewinn bereits sieben seiner blanken Goldstücke in den Händen des überlegenen Christen gelassen. Die Adern seiner Stirn schwollen, krampfhaft zuckten seine Finger nach dem verlorenen Golde.

»Nimm Dich in acht, Kamerad!« sagte mit spöttischem Lachen der Korse und seine Rechte spielte am Griff des Dolches, während die Linke lustig den Würfelbecher schüttelte. »Du vergreifst Dich an fremdem Eigentum. Seid Ihr solche Straccioni's, daß Ihr nicht ein Paar Goldstücke für Euer Vergnügen wagen könnt? – Etwas ordentliches, Freund Muselmann, setze Deinen Rest, hier ist das Gold, was ich gegen halte!«

Der Moslem zauderte – seine Genossen waren stumm, nur die blitzenden Augen zeigten den gierigen Anteil. Dann langsam und zögernd schob Abdallah den Rest seiner erbeuteten Imperials auf den Tisch und der Korse warf klingend und hochmütig drei dagegen. –

»En avant, mes braves! Bringen wir einen Toast auf die schöne Marutza!«

»Allah bila versin! Der Bulgare muß sterben für den Hohn, den er uns angetan!«

Die Worte kreuzten sich mit dem gellenden Hilferuf des Mädchens; Vater und Mutter eilten herbei.

»Cenrinegato!« donnerte es zwischen das wilde Gelächter und eine kräftige Faust stieß den geilen Venetianer zurück, daß er den Boden maß, und riß das Mädchen aus den Armen der Trunkenen. –

Abdallah hatte seinen Wurf getan, – mit Hohngelächter wurde die niedere Zahl begrüßt. Sta-Lucia schüttelte mit triumphierendem Lächeln den Becher und ließ die Würfel rollen.

»Siebzehn! nichts für ungut, Kamerad, die Imperials gehören mir!« Er zog die Goldstücke zu dem Geldhaufen vor sich. –

»Marzocco! Picaro! Filho de puta! Was will der Prostak?« tönten in zehn Sprachen die Flüche durcheinander, und Tomasini sprang vom Boden empor und riß den Säbel aus der Scheide, daß die Klinge blank durch den Qualm und das Dunkel funkelte, das, nur von dürftigem Lampenschein gebrochen, bereits die weite Hoda füllte.

Sta-Lucia schaute hinüber nach dem beginnenden Streit. Diesen Augenblick der Unachtsamkeit benutzte der Syrier, sein Gold wieder zu erhaschen, und seine Hände faßten gierig darnach; drei vier andere nahmen die Bewegung für einen Aufruf zum Raub und fielen über den Geldhaufen des Korsen her.

»Canaglia!« Einen Augenblick funkelte das Stilett des Banditen in der erhobenen Faust, dann fuhr es nieder und nagelte die Hand des unglücklichen Asiaten fest auf den Tisch.

Ein wilder Schrei des Schmerzes und der Wut – gleich einer Schlange wand sich der Mann an dem gefesselten Arm.

»Wallah! Auf die Dschaurs, Ihr Gläubigen!«

Säbel und Handjars blitzten – mitten hinein in den Lärm knallte ein Schuß. – –

Der Haiduk hatte den Mantel von sich geworfen, seine Linke suchte das Mädchen fortzudrängen und zu schützen, während die Rechte ein langes Pistol aus dem Gürtel riß.

»Zurück da, die Moma ist eine ehrliche Jungfrau und meine Braut!«

In dem wüsten Lärmen verklang der Ruf oder wurde mit Hohngelächter beantwortet; seiner Tracht nach hielten ihn die Christen für einen Irregulären, daher der wütende Schrei:

»Er hat Pistolen! Nieder mit dem Schuft, Kameraden!«

Der Irrtum war aber zugleich die Rettung des Haiduken. Während Monsieur Louis, der lustige Pariser, und einige Vernünftigere sich zwischen ihn und den Italiener warfen und einen tollen Streit verhindern wollten, faßte der Portugiese mit frecher Hand die Schulter und das Gewand des Mädchens, ein Ruck und das wollene Kleid riß in Stücke und enthüllte die weiße Brust der Jungfrau.

Der trunkene Lüstling tat jedoch jauchzend nur einen Blick auf die enthüllten Reize – der nächste schon zeigte ihm die weite Mündung eines Pistols dicht vor den Augen und mit zerschmettertem Schädel stürzte er auf seine Gefährten zurück.

Der Schuß gab das Signal zum allgemeinen Kampf, die Baschi-Bozuks warfen sich von allen Seiten auf die gehaßten Christen, und der lang verhaltene Groll brach in ungezügelter Heftigkeit aus. Säbel, Handjars, Dolche und Messer blitzten und färbten sich rot im Blute der Gegner.

Mit den Schlägen des schweren Pistolenkolbens hatte sich der Haiduk, die Braut im Arme, Bahn gebrochen durch das Getümmel, keine der Parteien wußte recht, woran sie mit ihm war und so kam er glücklich bis zu der Treppenleiter, welche neben dem Herd zum Dachgeschoß des Hauses führte, in dem außer den Vorratsräumen zwei Kammern für die Töchter und die Mägde des Hauses sich befanden. Der scharfe Blick des Knees hatte gesehen, wohin der Handja sein Gewehr verborgen und indem er das Mädchen nötigte, die Leiter hinaufzusteigen, hatte er auch bereits die treue Waffe gefaßt und hielt mit ihr Wache am Fuße der Leiter. –

»Bassa manelka! Sollen wir uns von den türkischen Lumpen erschlagen lassen? Hierher, Kameraden!«

Die breite, kräftige Gestalt des ungarischen On-Baschis hatte sich auf einen der Tische geschwungen, und während die Reiter sich um ihn sammelten, regnete es Hiebe von seiner breiten Klinge auf die Köpfe und Schultern der Gegner.

Gawra, der Wirt, an Schlägereien des Gesindels gewöhnt, hatte anfangs die Sache wenig gefährlich genommen und war herbeigeeilt, um sein Kind von den Trunkenen zu befreien. Als aber, noch ehe er das Mädchen erreicht, der Schuß fiel und überall Waffen blitzten, erkannte er die drohende Gefahr und drängte die Baba und ihre jüngere Tochter zur Tür. »Geschwind zur Stadt und hole Hilfe. Die Teufel stecken uns sonst das Haus überm Kopf in Brand.« Die Weiber entflohen, während sie im Umblicken noch sahen, wie eine Anzahl der Baschi-Bozuks sich auf den Wirt selbst warf und der Knabe Jowan zu Boden geschlagen wurde.

»Hinaus mit den verräterischen Hunden! Schlagt sie tot, die asiatischen Spitzbuben!« schrie der Führer der christlichen Freischar, und in geordneter Phalanx drangen sie auf die wilde Horde ein und ihre gewichtigen Hiebe trieben diese durch Fenster und Tür, heulend vor Wut, aus zwanzig Wunden blutend. Doch nur eine Zeit war der Sieg auf der Seite der Christen. Im Tschardak faßten die Moslems, von den Ihren die sich draußen umhertrieben unterstützt, festen Fuß und begannen aufs neue den Eingang zu stürmen. Wie ein Zündfeuer lief die Nachricht von dem begonnenen Streit zu dem nahe gelegenen Lager, und trotz der ausgestellten Wachen begannen bereits neue Banden des Gesindels durch das Dunkel des Abends herbeizuströmen. Vergebens war das Erscheinen mehrerer unteren Offiziere, der Christenhaß und der Groll, der zwischen den beiden Truppenteilen herrschte, loderte in so hellen Flammen, daß an Gehorsam vorerst nicht zu denken war.

Die Kosaken unter dem Kommando des On-Baschi Stephan begannen sich in dem Gemache zu verschanzen, denn bei ihrer geringen Zahl und der größeren Entfernung der Stadt sahen sie sehr wohl die Gefahr ein und daß es galt, sich zu halten, bis Ersatz kam. Mehrere von ihnen waren gleichfalls verwundet, außer der Leiche des Portugiesen lag ein junger Pole zum Tode getroffen am Boden, der Handjar Hussein's des Albanesen hatte seinen Schädel gespalten.

Zwei der Bozuks waren dafür in der Hoda gefallen. Sta-Lucia, der Bandit, der zum großen Teil den Ausbruch des Kampfes mit veranlaßt hatte, war überall und legte mit Hand an die Verbarrikadierung der Tür und Fenster. An den Haiduken dachte keiner mehr, man hatte ihn für einen der Baschi-Bozuks gehalten und glaubte, daß er mit den anderen entwichen. Michael Miloje aber hatte die Gelegenheit benutzt, während der Kampf am Tschardak tobte, und sich mit Marutza in das Bodengeschoß geflüchtet. Seine starke Faust zog die Leiter ihnen nach.

Die wilden Gesellen, der Gefahr trotzend, ließen es dann nach der Sicherung des Einganges ihr erstes Geschäft sein, die Vorräte der Mehana zu plündern und alles Getränk herbeizuschaffen. Ein wüstes Bachanal begann, das jeden Augenblick sich in das letzte Todesstöhnen verwandeln konnte. Durch die Fenster hinaus die Branntweinkrüge schwingend, höhnten sie ihre Gegner.

Eine kurze Pause des Kampfes war eingetreten – wohl an Zweihundert der Irregulären waren jetzt in der Nähe versammelt und auf den braunen, dunklen Gesichtern flammten alle Leidenschaften. Offiziere sprengten neuerdings herbei, – Mahmud-Aga, der Kapitän der Kosaken, unter ihnen, aber vergeblich drohte er, seine Eskadron ausrücken zu lassen, wildes Hohn- und Rachegeschrei antwortete den Bitten und Befehlen.

Kiehnfackeln flammten ringsum, dazu verbreitete der helle Mondschein volle Klarheit. – Die Baschi-Bozuks schienen ihren Haß und ihr Unternehmen geteilt zu haben, denn ein starker Haufe hatte den unglücklichen Wirt nach der hinteren Seite des Hofes geschleppt zu dem dort befindlichen Ausgange und zeigte ihm hier sein Verbrechen: – drei rote, mit Tierblut gemalte Christenkreuze auf dem Querbalken des Tores! Die fanatischen Moslems sahen darin eine Verhöhnung des Halbmondes und Ibrahim, der Derwisch, hetzte die Erbitterten. Unterdeß bereitete die größere Hälfte vor den Stufen des Tschardaks sich zum neuen Angriff vor.

Die Bozuks, welche den Bulgarenwirt trotz seiner Protestationen und seines Flehens am Tor unter den Kreuzen mit ausgespannten Gliedern festgebunden hatten, begannen nun ein teuflisches Spiel zu treiben, das stark an die Martern der Indianerstämme Nordamerikas erinnerte. Ben-Bahoui, der Damascener, hatte es angegeben. Er rief seine Landsleute zusammen, und etwa zehn Schritt vor den Unglücklichen tretend, wog er seinen Yatagan zwischen den Fingern und schleuderte ihn dann in geschicktem Wurf nach dem Unglücklichen, daß die Spitze etwa in Fußweite von seinem Leibe in das Holz fuhr.

»Kreuzigt ihn! kreuzigt ihn!«

Das gellende Hohngelächter der Wilden verschlang den Hilferuf des Gefährdeten.

Ein Zweiter der Bande – ein großer Schwarzer mit dem stumpfen Bullenbeißergesicht der Stämme der Nilquellen – trat vor, den Wurf zu versuchen; die taumelnde Haltung bewies, daß er seine geringen Fähigkeiten im Slibowitza ersäuft hatte. Andere strömten hin und her zwischen den beiden Haufen, den Hohn ihrer Gegner in der Mehana mit der Ladung zu dem blutigen Spiel beantwortend.

»Mashallah! schlagt die Dschaurs tot!«

Die wütende Bande begann jetzt den Sturm gegen die Türen und die Fenster des Hauses.

Der Mohr hob grinsend das schwere Messer zum Wurf – plötzlich warf er auch den andern Arm wild in die Höhe, drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden. Der Knall, der kräuselnde Rauch aus der Dachöffnung der Mehana zeigte, woher der Flintenschuß gefallen.

»Die Hunde haben Feuerwaffen! Wallah! Steckt ihnen das Haus in Brand!« –

Die schwache Tür der Mehana brach vor den Schlägen der Stürmenden, über die Trümmer her wurden die Freiwilligen und die Bozuks aufs neue handgemein.

Wütend über den Tod eines Gefährten, stürzten mehrere der Asiaten mit geschwungenem Handjar auf den unglücklichen Wirt zu, während andere sich bereit machten, das Dach in Brand zu stecken.

Die Gefahr, der Tumult waren aufs höchste gestiegen.

Da hob es sich wie eine dunkle Masse jenseits des fast fünf Fuß hohen Zaunes und sie flog durch die Luft und mitten zwischen die Gruppe der Asiaten; ein braunes schäumendes Roß, das jetzt zitternd von der gewaltigen Anstrengung stand und schnaufte. Und auf dem Roß ein Mann, die breite Brust von dem silberbeschnürten schwarzen Dolman umspannt. Todesdrohung im feuersprühenden Blick, das häßliche, aber energische Gesicht vor Aufregung glühend: Graf Ilinski, Iskender Bey, der Oberst der Irregulären.

» Przekleçie! In Eure Zelte, Ihr Hunde! Fort!«

Seine Rechte spannte den Hahn des Sattelpistols – sie alle hörten deutlich das Knacken, – eine solche Stille war um den Grafen her, als sie ihn erkannt – nach allen Seiten hin verloren viele der Meuterer sich eilig ins Dunkel.

»Wer hat das Aas hier erschossen? Ihr kennt das Verbot, Feuerwaffen bei Euch zu führen! Antwort!«

»Sen ektiar der (Du bist der Herr), o Bey!« sagte endlich, sich zu Boden werfend und seinen Steigbügel küssend, der Damaszener; »der Schuß kam von den Christen her aus der Mehana. Es ist unser Kismet, Deinem Willen zu gehorchen; wir haben keine Flinten.«

»Was tut Ihr mit dem Mann da?«

»Er hat Kot auf unsern Glauben gehäuft. Es ist ein bulgarischer Mistträger – wir wollen ihn strafen.«

»O, Aga,« rief der Unglückliche, »sie warfen mit ihren Yatagans nach mir!«

Der Bey schaute nach dem Tor. »Ungeschickte Hunde, nennt Ihr das einen Wurf? Eine Elle vom Ziel!« Er ritt zum Tor und zog den Handjar, der noch neben dem Leibe des zitternden Bulgaren steckte, aus dem Holz. »Halt still, Prostak!« (Lümmel.)

Er ritt auf fünfzehn Schritt zurück und hob sich im Sattel. Einen Augenblick wog er die schwere Klinge auf der flachen Hand, mit dem Mittelfinger den Knopf des Griffs berührend, dann warf er die Waffe, die zischend die Luft durchschnitt und kaum in Zollweite über dem Kopf des Wirtes tief ins Holz fuhr.

Ein donnernder Beifallsruf der Kinder der Wüste erschütterte die Luft.

Das war die Weise, wie Iskender-Bey diese ungezähmten Seelen gebändigt hatte. Er sagte zu ihnen: »Ich schieße besser als Du, ich werfe den Djerid besser als Du, ich reite besser als Du;« und er schoß besser, er warf besser, er ritt besser und war allen voraus im Kampf. Der Tiger der Wüste beugte sich vor dem polnischen Wolfe und ward sein Knecht.

»Bindet den Mann los!«

Es geschah.

»Und nun fort mit Euch, Schurken und zu Euren Zelten, denn in fünf Minuten lasse ich Alarm blasen, und Inshallah! – ich spieße den, der nicht in seiner Reihe steht. Zum Dank für den Lärm hier sollt Ihr noch diese Nacht marschieren. Du,« er wandte sich zu dem Damaszener, »und zwei dieser Hundssöhne, Ihr bleibt bei dem Mann hier, bis ich nach Euch sende.«

Er wandte das Pferd und ritt nach dem Hause, ohne die Bande auch nur eines Blickes zu würdigen. Gleich begossenen Hunden schlichen sie eilig nach allen Seiten davon.

Am Tschardak der Mehana hatte sich unterdes eine eigentümliche, fast komische Szene abgespielt und dem blutigen Gemetzel ein Ende gemacht.

Während der Kampf tobte und das Blut floß, jagten mit verhängtem Zügel die Adjutanten des Beys, Jacoub-Aga und Hidaët-Aga, in den Hof, und der erstere, ohne alle Rücksicht auf die Niedergetretenen, sein Pferd mitten in den dichtesten Haufen. Im nächsten Augenblick schon regnete es rechts und links, vorn und hinten Hiebe mit dem schweren Kantschuh, den er in der Hand hatte, auf die Köpfe und Schultern der Stürmenden, während das Pferd, von dem tollen Reiter gespornt, rechts und links die Männer zu Boden warf. Erschrocken über den unerwarteten Gruß, stob die Bande, die nicht den Säbel der Christen, wohl aber die ungezählten Prügel des Kolassis fürchtete, bei Seite und geriet hier in die Hände Hidaët-Agas, der sie mit einer gleichen Tracht mit der flachen Säbelklinge empfing. – »Jacoub'a! Jacoub'a Allah! beschütze unsere Köpfe!« heulte es überall, und ehe fünf Minuten vergangen, war der Platz unter dem schallenden, höhnenden Gelächter der soeben noch in blutiger Verteidigung begriffenen Belagerten von dem Gesindel gereinigt.

Zugleich hörte man im Lager die langen gewundenen Hörner der Irregulären in schweren klagenden Tönen die Signale zum Sammeln blasen, und von Widdin her schmetterten Trompeten, und der Rest der Eskadron der türkischen Kosaken unter Führung eines Mulassim trabte heran.

Iskender-Bey kam ruhig aus dem hinteren Teil des Hofes, wo er in so tollkühner und glücklicher Weise im rechten Augenblick erschienen war, zum Tschardak geritten, auf den jetzt die Belagerten – fast die Hälfte mehr oder weniger verwundet – sich herausgedrängt hatten. Ein Baschi-Bozuk lag erschlagen mit weit klaffender Wunde in der Veranda; die Verwundeten hatten ihre Kameraden jedoch mit fortgeschleppt.

»Kolassi Jacoub?«

Der Aga salutierte.

»Wie viel Tote?«

»Ich höre eben, daß einer der Freiwilligen drinnen erschossen, ein anderer schwer verwundet ist. Zwei Leichen der unsern liegen in der Mehana, eine hier.«

»Nur? Ein vierter liegt im Hofe; die Sache ist also gut abgelaufen. Jüs-Baschi Mahmud'a!«

Der Hauptmann der Kosaken, der sich vergeblich bemüht hatte, die Kämpfenden auseinander zu bringen, nachdem er eilige Meldung in die Locanda Alexo's gesandt, trat vor.

»Ich bin der Höchstkommandierende hier, wenn auch Ihre Leute nicht zu den meinen gehören. Lassen Sie die Hallunken dort, die den Handel angezettelt, hervortreten.«

Es geschah.

Einige Augenblicke schwiegen alle, dann entgegnete der On-Baschi:

»Keiner von uns hat nach dem Tagesbefehl Schießgewehr bei sich geführt. Der Erschossene da drinnen ist einer der Unseren.«

»Wer also schoß?«

»Ein Baschi-Bozuk natürlich, Mir-Alai.« (Oberst).

»Narr! Warum sollte der seinen eigenen Kameraden erschießen? – Ruft den Wirt der Mehana aus dem Hofe herbei und seine drei Wächter.«

Die Leute wurden gebracht. Der Bey wandte sich zu dem Damascener.

»Woher kam der Schuß, der den Mohren niederstreckte?«

»Aus dem Hause, Bey! Ich sah selbst den Rauch aus dem Dache steigen.«

»Durchsucht das Haus. – Kannst Du uns Auskunft geben, Wirt?«

»Exzellenz habe Gnade mit Deinem Knecht. Ich habe viele Gäste gehabt, die ich nicht kenne. Man riß mich sogleich zu Boden und schleppte mich in den Hof. Ich weiß nicht, woher der Schuß gekommen, die Angst des Todes war über mir.«

Die beiden Mulassims, die mit On-Baschi das Haus durchsucht hatten, erschienen wieder, Marutza mit sich führend. Der eine trug die Flinte des Haiduken.

»Wer ist das Mädchen?«

»Meine Tochter Exzellenz; sie flüchtete auf den Boden, als der Streit im Hause begann.«

»Habt Ihr niemand weiter gefunden?«

»Niemand, als dies Weib und die Flinte unter dem Stroh verborgen. In der Hoda liegt ein junger Bursche, der Aufwärter des Handja, aber er ist verwundet.«

»Jowan, mein Neffe!«

»Still, Mädchen, Du mußt es wissen, rede die Wahrheit. Wer schoß die Flinte ab auf den Mohren?«

Der Bulgar zitterte.

»Ich, o Aga, tat es. Mein Vater war in Gefahr!«

Der Bey schaute ihr scharf in die schwarzen Augen, die mutig Stand hielten. Das ritterliche Blut des Polen trug den Sieg davon über den Moslem.

»So tatest Du brav, Mädchen, wie ich wünsche, daß meine Tochter an mir tun möge. Doch vermag ich Deinen Vater nicht vor der Strafe zu schützen, weil er gegen den ausdrücklichen Befehl der Regierung Waffen in seinem Hause gehegt hat. Mulassim Hassan, die Ihr in dem Lager bleibt, Ihr werdet morgen den Mann und das Mädchen zu Sami-Pascha führen. Die Todten hier sind meine Sache, versteht mich wohl, nur das Gewehr geht den Pascha und seine Khawassen an. Gute Nacht, Mädchen!«

Sie neigte sich demütig und küßte den Riemen seines Steigbügels.

»Is-Baschi Mahmud'a, führt Eure Leute fort. Nach der Schlacht hören die Burschen da das weitere. Und nun, meine Herren, zu unserem Korps und sorgt dafür, daß keiner der Lebendigen unter dem Vorwande einer Wunde in seiner Reihe fehle. Bei dem Gott Mahomed's und der Christen, ich will den Kerl lebendig schinden, der es wagt! Vorwärts, Jacoub'a!«

Und dem scharrenden Roß die Sporen in die Flanken pressend, flog der wilde Graf im Galopp davon – hinter ihm drein seine Adjutanten.

In langen, verhallenden Tönen bliesen die Hörner zum Aufbruch nach Czetate.


III. Im Gefecht! Czetate.

Der Oberbefehlshaber der russischen Armee hatte beschlossen, die Operationen gegen den linken Flügel der türkischen zu beginnen und diese aus der kleinen Walachei zu verdrängen. Zu dem Zwecke galt es, Kalafat zu cernieren, und General-Leutnant Graf Anrep-Elmpt, der bei dem Einrücken in die Fürstentümer die Avantgarde kommandiert hatte, und jetzt in Krajowa befehligte, erhielt die entsprechenden Ordres. Kalafat liegt in einer kurzen Biegung der Donau nach Nord-Osten, ehe sie sich zur serbischen und ungarischen Grenze wendet. Dem entsprechend bildeten die Russen auf der Basis der Donau die zwei Seiten eines Dreiecks, indem zwei mit einander in Verbindung bleibende Kolonnen von Krajowa aus vorrückten. Das Korps des Generals Dannenberg bewegte sich von Karakal über den Schyl in den Rayon Radowan und lehnte seinen äußersten linken Flügel an die Mündung des Flusses, über die Desneizia hinaus; die fünfte leichte Division des General-Leutnants von Fischbach dagegen besetzte in einem forcierten Marsch die Straße, welche von Kalafat längs des Donauufers gegen Orsowa und das eiserne Tor führt. Radowan bildete somit den Winkel der kombinierten Position. Diese Bewegungen waren in den letzten Tagen des Dezember ausgeführt worden, hatten natürlich die Aufmerksamkeit der Türken erregt, und es war vor der Rückkehr des Muschirs nach Nicopolis in Folge der neuerdings durch die Spione über die Vorwärtsbewegung des Feindes eingegangenen Nachrichten beschlossen worden, die drohende Festsetzung der Russen nördlich von Kalafat bei Czetate um jeden Preis zu verhindern.

Gegen diesen günstig zur Verteidigung und Befestigung gelegenen Ort war die (erste) Infanterie-Brigade des Generalmajors Bellegarde vorgeschoben worden, und Oberst Baumgarten nahm hier Stellung, nachdem bereits am 31. Dezember in der Nähe ein heftiges aber erfolgloses Gefecht stattgefunden hatte. Schweres Geschütz mit Pionieren und Schanz-Arbeitern hatte Krajowa am 2. Januar verlassen, um die Stellung bei Czetate zu befestigen.

Diese Nachrichten waren es, die Oberst Pisani durch die geheime Korrespondenz der Gräfin Laszlo erhalten hatte, die trotz der Kriegsgefahr, und während viele walachische Bojaren im Gegensatz nach Ungarn und Siebenbürgen flüchteten, zu Anfang Dezember von ihren nahegelegenen ungarischen Besitzungen auf einem ihr gehörenden Gute in der Nähe von Radowan und Krajowa in dem von russischen Truppen besetzten Gebiet erschienen war. –

Die Szene, welche wir in dem vorigen Kapitel beschrieben, ereignete sich am Donnerstag, den 5. Januar. Obschon der nächste Tag der Sonntag der Moslems war, hatte man doch nicht zögern wollen, bis die Russen sich stärker befestigt hätten, und der Angriff war für den nächsten Tag bestimmt.

Um 4 Uhr morgens verließen die Türken, 13 Infanterie-Bataillone, 6 Kompagnien Jäger, ein Regiment türkischer Kosaken und zwei starke Abteilungen der berittenen Irregulären mit 28 Geschützen, im ganzen etwa 18 000 Mann stark, die Verschanzungen von Kalafat und rückten gegen Czetate vor. Ismaël-Pascha, der Tscherkesse, kommandierte die Vorhut und das Haupttreffen, unter ihm der Ferik (Divisions-General) Mustapha-Pascha und der Livas (Brigade-General) Osman-Pascha. Achmet-Pascha, der Kommandeur von Kalafat, befehligte die Reserven.

Zwei der türkischen Bataillone mit zwei Kanonen wurden auf der Straße in den Dörfern Maglavit und Gunia zurückgelassen, um die Verbindung mit Kalafat aufrecht zu erhalten. Sieben Bataillone sollten die Reserve bilden. –

Das Dorf Czetate liegt auf einem Hügel, welcher auf mehrere Meilen hin die umliegende Fläche überragt und auf beiden Seiten von Schluchten eingefaßt ist. Die östliche ist von ziemlicher Tiefe, zerklüftet und steil und verliert sich in einen kleinen See, unter welchem sich eine Fläche bis zur Donau erstreckt; die andere, weniger furchtbar, windet sich gegen die Spitze des Hügels hinter dem Flecken, indem sie eine Art Hohlweg bildet, den man jedoch ohne Schwierigkeit von einem Ende zum anderen passieren kann. Die Straße von Kalafat schneidet mitten hindurch, nachdem sie zwischen den Schluchten aufgestiegen ist. Auf der Höhe über dem Flecken, rechts von der Straße, hatten die Russen eine starke Verschanzung aufgeworfen, die für den Fall eines Rückzuges als Zufluchtsort dienen konnte. Vor Czetate und dies deckend, liegt der Weiler Fonton-Banali, den Oberst Baumgarten mit dem Regiment Tobols, einer Schwadron Husaren und einer Abteilung des Donischen Kosaken-Regiments mit 6 Kanonen der leichten Batterie von der 10. Artillerie-Brigade unter Oberst Sagonskinn besetzt hielt. Die Reserve der Position unter General-Major Bellegarde stand, da man einen raschen Angriff keineswegs erwartete, fast zwei Meilen zurück in dem Dorfe Motsesseï.

Der Oberkommandierende, General-Leutnant von Anrep, hatte sein Quartier in gleicher Entfernung zur Rechten in dem Dorfe Boleschti genommen. –

Es war bereits spät am Abend, als eine Ordonnanz einen Offizier weckte, der in einer ärmlichen Hütte des Dorfes auf seinem Mantel schlief, und zu dem General beschied. Kapitän von Meyendorf, dieser war der Offizier, war rasch empor gesprungen und in wenig Minuten bei dem Kommandierenden. Einige Offiziere waren in dem Gemache versammelt. Kosaken hielten am Eingang einen walachischen Bauer, dem die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt waren, am Strick. Der General selbst war offenbar in großer Aufregung und sah wiederholt Briefe durch, die auf dem Tische lagen.

»Gut, daß Sie kommen, Herr Adjutant, es gibt für uns alle zu tun. Wir werden eher Gelegenheit haben, als wir hofften, die Befehle des Fürsten auszuführen und mit den Türken anzubinden. Meine Kosaken haben in der Nähe der Deszneizia diesen Nachmittag bei einer Streifpartie einen Spion aufgegriffen, den Hettmann Poduroff mir soeben zuschickt. Seine Papiere sind von Wichtigkeit und zeigen, daß unsere Stellung bei Czetate vielleicht morgen schon angegriffen wird.«

»Desto besser, Exzellenz.«

»Das mag sein, aber nicht besonders erfreulich ist es, zugleich daraus zu erfahren, daß der Verrat nicht müde wird, in unserem eigenen Feldlager sein Nest zu bauen. Wenn ich mich recht erinnere, kennen Sie die ungarische Gräfin Laszlo, die sich seit Monatsfrist – wie sie angab, um ihr Eigentum in den Kriegsdrangsalen möglichst zu schützen – auf Schloß Badowitza zwischen Radowan und Krajowa aufhält. Ich erinnere mich wenigstens, Sie in Unterhaltung mit ihr gesehen zu haben, als die schöne Dame uns in voriger Woche in Krajowa besuchte.«

Der Kapitän verbeugte sich, um die Röte zu verbergen, die sein Gesicht überflog.

»Ich habe die Ehre, die Frau Gräfin von Wien aus zu kennen und besuchte sie noch vor einigen Tagen mit mehreren Offizieren.« Er verschwieg, daß gerade die Nachricht von ihrer Anwesenheit auf den walachischen Gütern ihn veranlaßt hatte, den Fürsten um den Auftrag der Überbringung von Depeschen an General Anrep und zur Einleitung wichtiger Verbindungen mit dem serbischen und bulgarischen Ufer zu bitten, die ihn jetzt seit vierzehn Tagen im Hauptquartier des westlichen Korps beschäftigten.

»Werden Sie es glauben, Kapitän, daß gerade diese Dame den Spion bei uns gespielt und die Mittelperson abgegeben hat, durch welche der schlaue Fuad fortwährend mit unseren Bojaren verkehrt und uns so manche Verlegenheit bereitet?«

Der Offizier erblaßte, doch suchte er sich rasch zu fassen.

»Unmöglich, Exzellenz,« stotterte er.

»Die Beweise halte ich in der Hand, Herr Kapitän. Hier dieses Paket mit gedruckten Proklamationen an die Bojaren und das Volk trägt die Unterschriften Omers und Fuad-Effendis; dieses Kuvert, das man bei dem Boten fand, enthält Briefe an verschiedene Bojaren, und ein Blatt, offenbar an die Gräfin gerichtet, in welchem man – der Schreiber ist nicht genannt – für die letzten Nachrichten dankt, die sie nach Widdin über unsere kombinierten Bewegungen gegen Kalafat und die neuen Zuzüge unserer Truppen gemacht hat. Der Brief schließt mit der Benachrichtigung, daß der Muschir zwar heute Morgen Widdin verlassen, aber den Befehl geben werde, unsere Linien bei erster Gelegenheit zu durchbrechen, und bittet die Gräfin um weitere Kunde über die Dispositionen. Offenbar hat der Verkehr meiner Offiziere in ihrem Hause, den ihre täglichen Einladungen so sehr beförderten, ihr alle diese Nachrichten verschafft.«

»Und darf ich fragen, was Euer Exzellenz beschlossen haben?«

»Ich muß natürlich Bellegarde und Baumgarten benachrichtigen lassen, auf ihrer Hut zu sein. Sie, Herr Kapitän, beauftrage ich, da Ihnen die Person der Gräfin hinlänglich bekannt ist, morgen bei Tagesanbruch sich mit einem Zug Husaren nach Schloß Badowitza auf den Weg zu machen, die Gräfin zu verhaften und ihre Papiere in Beschlag zu nehmen. Sie liefern die schöne Spionin nach Krajowa ab, wo sie nach meiner Rückkehr ihrer gebührenden Züchtigung nicht entgehen soll.«

»Euer Exzellenz erlauben mir die Bemerkung, die Gräfin ist österreichische Untertanin.«

»Hier ist sie Walachin, Herr Kapitän, und die Oesterreicher selbst haben uns gelehrt, wie man mit diesen ungarischen Damen umspringt. K tschortu! (Zum Henker) ich will sie peitschen lassen wie die Oesterreicher, und sie mit Kosaken über die Grenze bringen, daß das Beispiel allen Weibern künftig die Einmischung in die Politik verleiden soll!«

»Exzellenz, es ist eine Dame – ich war im Hause ihres Oheims täglicher Gast!«

»Eine Spionin ist sie, Herr!« fuhr der General auf, »und als solche verdient sie behandelt zu werden. Was blieb sie nicht in Wien, statt hierher zu kommen und die Verräterin zu spielen? – Aber ich sehe, wie die Sache steht, Sie liegen ebenso gut in den Netzen der schönen Rebellin wie diese Herren hier, die schon allerlei Ausflüchte versucht haben. Ich muß einen weniger galanten Offizier schicken, wenn ich sicher sein will, daß die Dame nicht einen Ausweg findet. Skolimoff – rufen Sie mir den Kapitän der sechsten Sotnie her – ich weiß nicht, wie der Kerl heißt, aber tauglich dazu ist er.«

»Chotumofski, Exzellenz!«

»Bon! Rasch, damit die Sache zu Ende kommt. Sie, Rittmeister Kowaleff, nehmen den Boten mit sich und lassen ihn an dem ersten besten Baum außerhalb des Dorfes aufknüpfen, mit einem dieser Plakate auf der Brust. Es mag den Kanaillen zur Warnung dienen. Herr Kapitän, da Sie die Galanterie dem Dienst vorziehen, muß ich Ihnen eine andere Beschäftigung geben. Sie werden sogleich zu Oberst Baumgarten aufbrechen und ihm die Nachrichten mitteilen, die Sie eben gehört haben, damit er auf seiner Hut ist. Ich werde morgen ihm Verstärkung senden und wahrscheinlich selbst seine Stellung besichtigen.«

Der Kapitän verbeugte sich. Näher zu dem General tretend, fragte er leise:

»Haben Euer Exzellenz keine Botschaft von Alexo, dem Wirt in Widdin?«

»Nein, und deshalb eben hab' ich mich anders besonnen und sende Sie nach Czetate, für den Fall, daß eine solche eintreffen sollte, da Sie der Chiffern kundig sind. Ich weiß nicht, ob man dem Menschen weiter trauen kann, nachdem er uns über diesen Verrat im Unklaren gelassen, aber vielleicht fehlte ihm selbst die Kenntnis davon. Der Bursche, den ich eben condemniert habe, kennt den Wirt nicht. Er ist von dem Gut der Gräfin und hatte, nach seinem Geständnis, nur den Auftrag, am Donauufer vorige Nacht eines Boten von drüben zu harren. Wir werden in den nächsten Tagen von Ihrem Zigeuner Gebrauch machen müssen. Er ist der Zuverlässigste von allen, so jung er ist. Und nun Adieu, Kapitän, und grüßen Sie den Obersten.« Er wandte sich zu einem andern Offizier und Kapitän Meyendorf verließ die Hütte. Draußen begegnete ihm schon der befohlene Kosaken-Offizier, ein alter, graubärtiger Hauptmann mit rohem, finsterm Gesicht.

Der Kapitän schauderte, indem er, in seinen Mantel gehüllt, an ihm vorüber ging, dann setzte er eilig und in tiefem Nachdenken den Weg zu seinem Quartiere fort.

Als der Kapitän in die walachische Hütte, die er mit mehreren anderen Offizieren teilte, zurückkehrte, befahl er der Ordonnanz, sofort seine beiden Pferde zu satteln. Dann ging er und weckte im Stall einen Mann, der dort schlief.

»Steh' auf, Mungo, Du sollst mich begleiten.«

Der junge Zigeuner, dem im Lager von Budeschti am Vorabend der Schlacht von Oltenitza der Offizier das Leben gerettet, sprang sofort empor und schüttelte das Heu, auf dem er gelegen, aus den Haaren. Er hatte seit jener Zeit sich den Russen angeschlossen und, das gefährliche Gewerbe des Leichendiebes und Marodeurs aufgebend, das nicht minder verzweifelte eines Spions angenommen. Da seine Wanderungen ihn nicht allein durch die ganze Walachei, sondern auch häufig in das bulgarische Uferland bis zur serbischen Grenze hin geführt hatten und er das Türkische und Bulgarische geläufig sprach, war er von den russischen Heerführern bereits vielfach zu diesen verächtlichen Diensten, die er mit großer Gewandtheit ausführte, benutzt worden, namentlich zur Unterhaltung einer Verbindung mit den bulgarischen Haiduken und den Resten der alten Hetäre. Obschon der Kapitän wenig Sympathien für ihn empfand, hatte der Bursche seit jener Zeit doch so große Anhänglichkeit an ihn gezeigt und ihm seine Dienstleistungen, wenn er eben nicht anderweitig umherschweifte, so unabweisbar aufgedrängt, daß er sich endlich gefallen ließ, den Zigeuner mit seinem gewöhnlichen Reitknecht die Sorge um seine Pferde teilen zu sehen. Da bei den beschlossenen Bewegungen gegen Kalafat die Anknüpfung und Verbindung mit den russenfreundlich Gesinnten in Widdin und im Hauptquartier des Muschirs von größter Wichtigkeit war, wurde ausdrücklich der junge Zigeuner mit dem Kapitän nach Krajowa gesandt und hatte von hier aus bereits zwei Mal das türkische Ufer und Widdin betreten, wo Alexo, der Wirt, als Agent beiden Parteien mit großer Schlauheit diente.

Die Pferde standen bereit, der Kapitän schwang sich auf, und indem er seinen Reitknecht zurückließ, befahl er Mungo, das zweite Pferd zu besteigen und ihm zu folgen.

Als sie über die Vorposten hinaus auf dem Wege in der Richtung von Czetate waren, ließ der Kapitän sein Roß langsam und achtlos schreiten, in düsteres Nachsinnen verloren. Endlich schien sein Entschluß gefaßt; er hielt den Zügel an und rief Mungo herbei.

»Ich habe gesehen, daß Du ein guter und verwegener Reiter bist. In welcher Zeit glaubst Du, daß ich mit meinem Halbblut die Deszneizia jenseits Radowan erreichen könnte?«

»Wenn Du das Pferd anstrengst, Kapitän, in fünf Stunden.«

»Es ist Mitternacht! Also gegen sechs Uhr. Die Kosaken werden kaum vor dieser Zeit aufbrechen und vor Mittag das Schloß nicht erreichen – sie hat demnach, auch wenn ein Hindernis den Boten verspäten sollte, Zeit genug zur Abreise. Steig' ab, Mungo, und wechsle mit mir das Pferd.«

Der Zigeuner gehorchte stillschweigend.

»Du kannst mir jetzt das Wenige, was ich für die Rettung Deines Lebens in Budeschti tat, wett machen mit einem Dienst, wenn es Dir wirklich ernst mit Deinem Dank ist, wie Du mich so oft versichert hast!«

»Befiehl, Herr, Mungo wird Dir's beweisen, und wenn es sein Leben kostet.«

»Kennst Du das Dorf und das Schloß Badowitza?«

»Ich kenne es nicht, aber ich habe davon gehört in Krajowa. Es wohnt eine vornehme Dame dort, die der Kapitän neulich besucht hat.«

»Wohl, höre mich genau an, denn von Deiner Botschaft und deren Eile hängt Wichtiges ab. Die Dame ist die Gräfin Laszlo, die Herrin des Schlosses. Du reitest, so rasch Du kannst, nach dem Schloß der Gräfin und suchst unter irgend einem Vorwande, ohne daß es ihrer Umgebung und dem Posten, der vielleicht noch im Dorfe liegt, auffällt, zu ihr zu gelangen.«

»Ich werde es.«

»Sobald Du sie siehst, verlange ein geheimes Gehör und sage ihr: der Warner aus dem Prater von Wien lasse sie bitten, noch in derselben Stunde abzureisen und möglichst rasch die ungarische Grenze zu erreichen. Um Mittag würde es zu spät sein. Hast Du die Worte gemerkt?«

Der Zigeuner wiederholte sie.

»Aber, Herr, die Dame wird fragen, wer ihr die Worte sendet, oder wenigstens nach einem Beglaubigungszeichen bei einem Boten, wie ich bin.«

Der Offizier hatte bereits seine Brieftafel in der Hand und reichte ihm ein zusammengeschlagenes, vor dem Abreiten im Quartier geschriebenes Papier.

»Die Vorzeigung desselben wird, wenn die Gräfin einen Beweis fordert, genügen. Zugleich wird es Dir bei den Militärpikets, die Dich anhalten könnten, als Ausweis dienen. Es enthält einfach die Worte: »Mein Diener Mungo reitet in meinen Geschäften nach Krajowa.« – Und nun, Bursche, gib mir einen Beweis Deiner Schlauheit und Treue und schone das Pferd nicht.«

Er reichte ihm das Papier und wandte sein Pferd; doch schon nach wenigen Schritten kehrte er nochmals um und rief den Zigeuner zurück.

»Es ist möglich, daß es morgen ein heißes Treffen gibt und Du mich bei der Rückkehr nicht mehr finden könntest. Nimm diese Börse und meinen Dank für Deine Dienste, und – wenn Du die Gräfin sprichst, sage ihr, sie möge meiner freundlich gedenken.«

Er wandte kurz das Pferd und sprengte davon, während der Zigeuner den Renner nach der entgegengesetzten Richtung spornte. –

Der Morgen war klar, der Himmel wolkenlos, nicht ein Windhauch bewegte die Luft, und als die Sonne aufging, bildete das friedliche Tal der Donau, noch stellenweise mit Schnee bedeckt, und der große Strom, der langsam seine gelben Wässer dahinwälzte, ein Bild des Friedens und der Ruhe, das die blutigen Szenen nicht ahnen ließ, die so rasch folgen sollten.

Bald nach 7 Uhr nahte die türkische Avantgarde dem Weiler am Fuße des Hügels, auf dem Czetate stand.

Ismaël-Pascha mit Iskender-Bey und dem Ferik Mustapha befanden sich an der Spitze der Kolonne. Weder in dem Weiler, noch auf der Höhe von Czetate zeigte sich in dem ersten Licht des Tages eine Spur der Russen.

Die Kolonne machte Halt, der Pascha rekognoszierte einige Augenblicke das Terrain, dann wandte er sich zu seinen Begleitern.

»Halte Deine Bataillone bereit, Mustapha, und lasse Nefwik-Bey mit seinen Jägern vorrücken und sich über das Feld verbreiten. Ich werde ihm selbst meine Befehle geben. Mashallah! ich glaube, die Moskows sind davongelaufen, ehe wir gekommen sind.«

»Du irrst, Pascha,« sagte der Graf, »mein Fernrohr zeigt mir, daß das Dorf besetzt ist und Artillerie dort steht. Wenn Du mir gestatten willst, will ich meine Irregulären an dem Wasser entlang ihnen in den Rücken führen.«

»Allah sende ihnen Verderben! Es geschehe wie Du sagst, Freund Bey, auf Dein Haupt komme es. Wir müssen die Höhe dort gewinnen, wir sind nicht die Esel der Moskows. Wallah! da ist der Neffe des Muschirs. Höre, Bey, Du sollst die Ehre des ersten Angriffs haben. Rücke langsam vor und nimm jene Häuser.«

Nefwik und Iskender-Bey eilten nach verschiedenen Richtungen davon.

Während der letztere, gedeckt durch das Terrain auf der rechten Seite von Czetate, mit seinen beiden Regimentern Irregulärer und sechs Kanonen den kleinen See im Galopp umging, eröffnete sich bereits in der Fronte der Kampf. Die fünf Kompagnieen Jäger unter Befehl Nefwik-Beys breiteten sich rechts und links aus und begannen langsam den Hügel gegen den Weiler hinan zu steigen, zuweilen en tirailleurs feuernd, jedoch ohne eine Antwort hervorzurufen. Sie waren etwa noch 400 Schritt von dem Weiler entfernt, als plötzlich ein einzelner Kanonenschuß donnerte und sofort sich noch zwei andere Geschütze demaskierten und ein scharfes Feuer eröffneten. Das Heckenfeuer der Infanterie fiel ein und von der Spitze des Hügels begannen die vor Czetate aufgefahrenen drei Kanonen mit Paßkugeln und Granaten ihr Feuer, während die am untern Abhang mit Kartätschen schossen. Nur die letzteren taten Schaden, während die ungeschickt gezielten Schüsse der oberen Batterie über die Anstürmenden weggingen und die Granaten in der Luft platzten, noch ehe sie die feindlichen Kolonnen erreicht hatten.

Den Jägern Nefwiks folgte Mustapha-Pascha mit vier Bataillonen Nizam, von Hadschi-Mustapha, dem kommandierenden Offizier der Artillerie, unterstützt. Die türkischen Geschütze – die vorzüglichste Waffe der ganzen Armee – schossen ungleich besser als die russischen, und ihre Paßkugeln schlugen fest und sicher in die Gebäude des Weilers.

Zwei Mal setzten die Jäger unter dem Ruf: »Allah! Allah!« an, zwei Mal wurden sie von den Chargen der Russen geworfen. Wütend spornte Ismaël-Pascha sein schwarzes Pferd gegen den Nizam und trieb ihn gegen die Gebäude, während die türkischen Kanonen der Avantgarde folgten.

Oberst Baumgarten verteidigte die bedrängte Position mit großer Kühnheit gegen den überlegenen Angriff. Die Husaren und ein Bataillon des Regiments Tobolsk waren nach Czetate zurückgesandt und die Uebermacht des Feindes war daher erdrückend. Der Nizam griff den Weiler mit dem Bajonett an und an vielen Punkten focht bereits Mann gegen Mann. Doch noch hielten die Russen tapfer Stand.

Den Hügel von Czetate herab jagte ein Adjutant.

»Major Topoltschann meldet, daß die Kavallerie des Feindes die Position am See umgangen hat und mit einer reitenden Batterie das Dorf im Rücken angreift. Das zweite Bataillon und die Husaren sind bereits im Feuer.«

Die Kunde war entscheidend: die Wegnahme des Dorfes, ehe man sich nach der Redoute auf der linken (rechte russische) Flanke zurückziehen konnte, hätte das Detachement des Weilers gänzlich abgeschnitten.

Der Kommandierende sah die Notwendigkeit des Rückzuges. Major Kolomeïtseff erhielt den Befehl, mit dem ersten Bataillon und den Kosaken denselben zu decken und langsam zu folgen. Der Weiler stand bereits in hellen Flammen, als die drei Geschütze den Hügel hinauf jagten und dort auf der Höhe ihre Gefährten ablösten. An der Spitze des dritten Bataillons durcheilte der Oberst das Dorf und warf sich auf der hinteren Abdachung den Baschi-Bozuks Iskender-Bey's entgegen, von der Schwadron Husaren flankiert, während die Soldaten des ersten und zweiten Bataillons sich in den Häusern zu verschanzen begannen.

Die Irregulären, die bereits einige Vorteile errungen, verloren diese und wichen, obschon die Aga's wütend und auf die eigenen Leute losschlugen.

Der günstige Augenblick war verloren, die Russen hatten das Dorf mit ihrer ganzen Macht besetzt und eröffneten ein furchtbares Musketenfeuer auf die von zwei Seiten vorrückenden Kolonnen.

Achmet-Pascha sandte zwei Bataillone der Reserve zur Unterstützung vor; mit einer doppelt überlegenen Macht wurde das Dorf angegriffen, während die türkische Kavallerie Ordre erhielt, sich in der Schlucht auf der Linken, durch welche quer der Weg von Czetate nach Norden führt, festzusetzen und so den Rückzug zur Redoute abzuschneiden.

Das Gefecht auf den Hügelseiten war überaus blutig; die türkischen Jäger litten furchtbar, und die erste Kompagnie derselben wurde buchstäblich vernichtet. Unter dem wütenden Allahgeschrei stürmte der Nizam das Dorf. Schritt um Schritt mußte durch Blut erkauft werden. Die Russen machten jede Mauer, jede Hütte zu einer Festung. Zweiunddreißig Offiziere wurden hier verwundet, elf davon getötet! Man sah sie ihre Mütze in die Stirne drücken, um den Tod zu finden, lieber als daß sie wichen.

Dennoch drangen die Türken siegreich vor – es war das erste Mal, daß im Angriff der Nizam Lorbeern errang!

An der kleinen Kirche des Orts hielt Oberst Baumgarten mit seinen Offizieren, darunter der Regiments-Adjutant Zagreba, dem das Blut fortwährend am rechten Bein von einem Schuß im Schenkel herabfloß, ohne daß der Tapfere der Verwundung achtete. Auch Major Kolomeïtseff blutete bereits aus zwei Wunden. Zur Seite des Obersten befand sich Kapitän Meyendorf, der seine Dienste als Adjutant angeboten.

Der Oberst wandte sich zu ihm:

»Bellegarde und Graf Anrep lassen lange auf sich warten, Herr; man muß dieses Schießen in Motsetseï gehört haben, und wir schlagen uns schon drei Stunden.«

»Die Position ist unmöglich länger haltbar, Oberst.«

»Ich sehe es und Major Topoltschann hat es mir gleichfalls melden lassen. Es ist Zeit, daß wir unsern Rückzug sichern. Reiten Sie zu Sagoskin und sagen sie ihm, daß er sich fertig hält mit den Geschützen. Die Husaren werden die tête nehmen, die Kosaken die Geschütze flankieren, und das zweite Bataillon soll diesmal die Ehre haben, die Arriere zu bilden. In zehn Minuten müssen wir auf dem Wege sein, und wenn Sie mich das Tuch schwenken sehen, soll Rittmeister Sszamarin mit seinen Husaren im Galopp die Schlucht forcieren. Sie bleiben bei ihm.«

Der Kapitän salutierte, während der Oberst bereits dem Regiments-Adjutanten weitere Befehle gab, und ritt zu der Batterie, die an der anderen Seite der Kirche über die Häuser hinweg, in denen man sich Mann gegen Mann schlug, ein unregelmäßiges Feuer gegen die unterstützenden Kolonnen des Feindes unterhielt.

»Achtung! Kartätschen in die Geschütze! – Die Pferde vor!« – Die Befehle waren in drei Minuten vollzogen.

Die Trommeln schlugen zum Avancieren. Das zweite und erste Bataillon machte eine Charge mit dem Bajonett auf den Feind. –

Der Oberst schwenkte das Tuch, – die Trompeten bliesen zur Attacke und gleich einer Windsbraut galoppierte der Rest der Schwadron Husaren vom Regiment Fürst von Warschau die Straße entlang und stürzte sich in die Schlucht zur Linken. Hinter ihnen drein jagte die Batterie.

Hier hatte sich, gedeckt gegen die russische Artillerie vom Dorf und von der Redoute, die türkische irreguläre Kavallerie aufgestellt mit sechs Geschützen, welche die Straße beherrschen sollten. Der Angriff erfolgte jedoch so rasch und so plötzlich, und die Verwirrung war im Augenblick so groß, daß die türkischen Geschütze nicht ans Feuern kommen konnten, und vier derselben von den Russen genommen wurden. Indem sich die Husaren und Kosaken rechts und links von der Straße ab und auf die Irregulären warfen, gelang es der russischen Batterie, die Schlucht zu passieren und alsbald auf der entgegengesetzten Seite Posto zu fassen, von wo sie den Aus- und Eingang derselben bestreichen konnte.

Zugleich warf sich das dritte Bataillon Tobolsk über die Seiten der Schlucht, während das erste und zweite den Anprall des Nizam, durch dessen Öffnung jetzt die türkischen Kosaken heransprengten, zurückhielten und den Rückzug deckten.

Das Mordio, der Allahruf und das Hurrah der braven Infanterie zwischen dem Donner der Geschütze und dem Knattern der Flinten war sinnbetäubend, das Gemetzel in der Schlacht selbst und auf dem leicht ansteigenden Abhang zur Redoute wahrhaft furchtbar. Das Blut rann, wie Augenzeugen berichten, in kleinen Bächen auf der gefrorenen Erde herunter.

Mit scharfen Hieben trieb der Bey seine Arnauten ins Gefecht, um möglichst den Zug der Russen über die Straße zu durchbrechen.

Zweimal gelang es ihm, zweimal wurde er aufs neue zurückgedrängt.

Als er zum dritten Mal über die Straße brach, schloß sich die Kolonne hinter ihm und etwa dreißig Gefährten. Bereits war das zweite Bataillon auf dem Rückzug, während das erste sich noch heldenmütig jenseits der Schlucht am Rande des brennenden Dorfes schlug, und die russische Artillerie auf der halben Höhe der Redoute Stellung genommen und ihr Feuer eröffnet hatte.

Iskender-Bey, der tapfere Arnautenführer, schien verloren, ringsum die starrenden Bajonette, während die langen Piken der Kosaken und die Säbel der Husaren seinen kleinen Haufen bedrängten. Ein Hieb hatte bereits seinen linken Arm gelähmt, doch der verwundete Löwe schien seine Kraft zu verdoppeln und war überall.

Aber die starrende Mauer der Bajonette, gegen die er sein Pferd spornte, widerstand seiner Tollkühnheit, um ihn fielen die Bozuks, die ihn begleitet, der On-Baschi Hussein, Abdallah der Syrier, kaum Zehn noch hielten Stand.

Da führte der Graf, das verzweifelnde seiner Tat erkennend, gleich wie Roland im Tal von Ronceval, die silberne Pfeife, die er zum Kommandogebrauch an gleicher Kette auf der Brust trug, an die Lippen und drei gellende, schneidende Töne schrillten durch die Luft, über das Kampfgetöse weithin vernehmbar.

Kapitän Meyendorf hatte sich mit den Husaren auf den Trupp geworfen, der den Bey schützte, und sein Degen kreuzte sich mit dem Säbel des Führers.

»Ergeben Sie sich, Graf, Sie sind gefangen.«

»Einem Russen? Niemals! Tysiac byci mae mordowalo!« Sein Hieb sauste zur Seite, doch glücklich parierte der Adjutant, so daß nur die Spitze des Säbels seine Wange ritzte. Von der anderen Seite umdrängten die Husaren den kühnen Polen und kräftige Hände erfaßten ihn.

»Nehmt ihn gefangen – Schonung dem Tapferen!« Da brauste und tobte es heran, gleich einer Sturmesbraut. »Allah! Hurrah!« und rechts und links flogen die Russen zur Seite, Roß und Mann übereinanderstürzend, Lanzen brachen sich Bahn, Handjars und Säbel blitzten: »Hussah, Bey! Jacoub'a ist hier!« und die tolle Arnautenbande mit dem Aga an ihrer Spitze hieb rasend den Führer aus der Gefahr!

Die Redoute war glücklich erreicht, die Geschütze derselben und die Feldbatterie donnerten gegen den Feind und hinüber gegen Czetate; sechshundert russische Krieger deckten den Kampfplatz, über achthundert waren verwundet.

Ismaël-Pascha sammelte die Bataillone, um sie zum Sturm gegen die Redoute zu führen, als ein Adjutant Achmets herbei jagte und das Anrücken der russischen Truppen von Motsetseî meldete.

Es war bereits um Mittag, kaum noch eine halbe Meile entfernt, kamen die Russen gegen die rechte Flanke des Feindes an unter General-Major Bellegarde: Das Jägerregiment Odessa, geführt von General-Major Schigmond, der Rest des Alexandrinskischen Husaren-Regiments Fürst von Warschau, geführt vom Oberst und Flügel-Adjutant Alopäus, eine Feldbatterie von sechs Geschützen und ein Schwarm von Kosaken, im ganzen zwischen 7- und 8000 Mann. Die Infanterie bildete das Mitteltreffen, die Kavallerie und Artillerie war auf den Seiten aufgestellt und ihr Marsch direkt gegen die Kalafater Straße gerichtet, um den türkischen Truppen den Rückzug abzuschneiden.

Die Reserven Achmet-Pascha's, aus fünf Bataillonen bestehend, befanden sich am Fuße des Hügels, und er ließ sie Front machen gegen den anrückenden Feind. Die türkischen Truppen bewiesen hier große Standhaftigkeit, denn die Nachricht, daß der Feind die Rückzugslinie bedrohe, ist auch bei den bestdisziplinierten wohlgeeignet, Verwirrung anzurichten.

An der Seite des Hügels, unter der Schlucht auf der Rechten, war eine Art von alter Fenz, die einen viereckigen weiten Raum einschloß, der von den Einwohnern wahrscheinlich zur Schafhürde benutzt worden war, jedoch schon vor langer Zeit, denn der Graben war halb angefüllt. Dennoch gewährte er noch immer eine günstige Position zur Verteidigung. Die türkische Infanterie unter dem Livas Osman-Pascha entwickelte sich zur Rechten über diese Einzäunung, drei Bataillone in Linie, zwei in Reserve, die rechte Flanke durch eine Batterie von 4 Zwölfpfündern, die linke durch 6 Feldstücke gedeckt. Die Kavallerie aus dem genommenen Czetate wurde zurückgerufen und auf der Linken aufgestellt, das Regiment türkischer Kosaken vor den Irregulären.

Der Anmarsch der russischen Truppen bot einen imposanten Anblick. Nichts konnte die Festigkeit ihres Marsches übertreffen, jede Linie schritt wie ein Mann und alle Distanzen wurden so genau innegehalten, als ob sie in St. Petersburg paradierten. Als sie näher herankamen, ritten vier Offiziere vor, um den Grund zu rekognoszieren und zogen sich dann wieder zurück. Gleich darauf änderten die russischen Reservebataillone ihren Marsch und rückten mit zwei Geschützen gegen die Schlucht vor, machten aber Halt, als sie diese ungangbar fanden. Zugleich eröffnete die russische Artillerie ihr Feuer, und die türkische erwiderte dasselbe.

Es zeigte sich jetzt jener bedeutende Unterschied dieser Waffe in beiden Lagern, der schon zwei Jahre vorher Kaiser Nikolaus gegen den General Wrangel, als dieser Petersburg besuchte, zu den Worten hingerissen: »Das habe ich Ihnen (den Preußen) zu verdanken!«

Die russischen Geschütze feuerten viel zu hoch und ihre Kugeln taten anfangs wenig oder gar keinen Schaden, bis es ihnen endlich gelang, die Distanze zu finden. Die türkische Artillerie dagegen, von Hadschi-Mustapha kommandiert, räumte furchtbar auf unter den anrückenden Kolonnen und riß weite Lücken in die lebenden Mauern. Aber mit jener stoischen Haltung, die der russischen Infanterie eigen ist, schlossen sich im Augenblick wieder die Reihen, und bewegten sich mit derselben Ruhe vorwärts.

Ein türkisches Feldgeschütz wurde demontiert, einen Augenblick ließ das Feuer nach. Dies benutzten die Gegner, um sich zu einer dichten Kolonne zu schließen und zum Bajonettangriff auf die türkischen Linien vorzubereiten. Die Trommeln wirbelten den kurzen Sturmmarsch und die Kolonnen kamen heran.

Aber der Kartätschenhagel der türkischen Geschütze fegte die Spitzen nieder. Zweimal setzten die Russen an, und zweimal siegte die menschliche Natur über den Gehorsam des Kriegers, und sie wurden zurückgedrängt unter dem Allahruf der ermutigt jetzt vorgehenden türkischen Linien; einige Augenblicke waren die russischen Geschütze ohne Deckung und fast in der Gewalt der Moslems, als General-Major Schigmond, selbst verwundet, die Jäger zum dritten Male gegen den Feind führte und die Husaren und Kosaken sich in seine Flanken warfen, ohne daß es den Führern der türkischen Kavallerie gelang, den Angriff aufzuhalten.

Die Türken wurden nach der Straße zurückgeworfen. Zugleich erhielt Achmet-Pascha die Nachricht, daß der General-Leutnant Graf Anrep mit den starken Reserven von Bolischti auf Modlavit (Maglawit) anrücke und so ihn im Rücken bedrohe.

Zwei Stürme Ismaël-Pascha's auf die Redoute waren unterdessen von Oberst Baumgarten zurückgeschlagen worden.

Achmet-Pascha gab den Befehl zum Rückzug nach einem fast achtstündigen Kampf.

So tapfer sich die Türken geschlagen, so traurig zeigten sich jetzt die schlechten Anstalten ihres Heerwesens. Der größte Teil der Verwundeten, über 500 Mann, mußte hilflos auf dem Schlachtfelde zurückgelassen werden. Die Truppen unter Bellegarde zählten eine gleiche Anzahl von Toten und fast das doppelte an Verwundeten; die Türken hatten während des zwiefachen Kampfes gleichfalls über 100 Mann verloren, so daß nach der Schlacht an 3000 Tote und Verwundete auf dem Platze lagen. Der Boden war so mit Leichen bedeckt, daß kaum 48 Stunden hinreichten, sie zu beerdigen.

Um 3 Uhr traten die Türken unbehindert ihren Rückzug an, denn die Munition begann beiden Gegnern auszugehen, und sie erreichten Kalafat, ohne von den Kolonnen des General Anrep angegriffen zu werden. Am nächsten Morgen hatte das letzte Bataillon sein Quartier bezogen. Sie ließen 6 Kanonen in den Händen der Russen zurück, und deren anrückende Übermacht blieb Herr des Schlachtfeldes; aber der Zweck war erreicht, und die Stellung bei Czetate geworfen. –

Es war am anderen Vormittag, als den unter der zerstörten Mauer einer Hütte von Czetate in todesähnlichem Schlaf liegenden Kapitän Meyendorf eine Hand weckte. Vor dem Auffahrenden stand Mungo, der Zigeuner, bleich, erschöpft, kaum sich aufrecht erhaltend.

»Dein Auftrag? sprich, hast Du ihn glücklich ausgeführt?«

Der junge Bursche schüttelte den Kopf.

»Ich kam zu spät. Die Streifwachen hielten mich auf, erst um acht Uhr morgens erreichte ich das Dorf. – Die Dame war fort – das Schloß in Flammen!«

»Es ist unmöglich, – die Kosaken konnten vor Mittag nicht eintreffen!«

»Nicht die Kosaken, Herr, die verräterischen Dorobandschen und ein türkisches Streifkorps überfielen das Dorf, plünderten und führten die Dame gewaltsam mit fort. So erzählten mir die Bauern und Diener.«

»Und Du bist ihrer Spur nicht gefolgt?«

»Ich tat es, Herr. Die Marodeurs, über 200 Mann stark, schlugen sich durch die schwachen russischen Posten und erreichten die Donau unweit Kalafat. Ich kehrte zurück, um Dich zu benachrichtigen. Drei Stunden von hier stürzte Dein Pferd tot zusammen von der Anstrengung – ich machte den Rest des Weges zu Fuß.«

Der Offizier atmete hoch auf.

»Gott sei Dank, was kümmert mich das Pferd!« – Im nächsten Augenblick versank er in tiefes Nachsinnen. »Die Gefahr ist noch nicht vorüber,« murmelte er, »sie darf nicht hierher zurückkehren und muß gewarnt werden, und ich – muß wissen, ob sie in Sicherheit ist!« – Er wandte sich laut zu dem Zigeuner: »Wann soll der Knees der Haiduken mit Dir in Widdin zusammentreffen?«

»Heute oder morgen, Herr!«

»Nimm meinen Mantel, armer Junge, und suche einige Stunden zu schlafen, dann folge mir nach Boleschti, Du wirst der Beutepferde genug und billig finden. Aber höre, versieh Dich wo möglich, ehe Du Dich zur Ruhe legst, mit zwei türkischen Anzügen von den Gefallenen, wir werden ihrer bedürfen. Auf Wiedersehen, Mungo.«

Der Kapitän schritt in tiefen Gedanken davon, sein Pferd zu suchen.



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