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Magenta.

1. Das Ultimatum.

Es war Frühling, Frühling in Italien! In der weiten lombardischen Ebene grünte der Mai in seiner vollen Frische und Pracht; in den Alpen schmolz der Schnee, und die hundert sprudelnden Wässer kamen, entfesselt der langen Haft, von den Bergen und eilten dem Meere zu.

Der Krieg stand vor der Thür, ein Krieg, den man lange vorher kommen sah, und auf den man sich doch nur wenig vorbereitet hatte. Wiederum, wie seit langen Jahrhunderten, sollten die Ebenen der Lombardei den Schauplatz abgeben zu den Kämpfen zwischen Österreich und Frankreich, zwischen der Herrschaft des Germanismus und Romanismus.

Eine eigentümliche Komödie war während des Jahres 1858 und namentlich in den ersten Monaten des darauf folgenden von der gesammten europäischen Diplomatie vor den Augen der Welt aufgeführt worden, die Komödie der Friedens- und Vermittelungsversuche, während doch niemand an den Erfolg glaubte und jeder wußte, daß der Mann an der Seine Krieg wollte.

Der Frieden von Paris, der den Krimkrieg beendete, hatte eine Menge Fragen unerledigt gelassen und mit der Aufnahme Sardiniens in den Kongreß eine neue in das sogenannte europäische Konzert hineingeworfen, die sich nicht so leicht beseitigen ließ, sondern zum Feuerbrand werden mußte.

Der Ehrgeiz des Hauses Savoyen hatte schon 1848 und 49 von einer Krone Italien geträumt und die Lektionen von Custozza und Novara waren höchstens imstande gewesen, für einige Zeit diese Pläne zu unterdrücken, nicht sie zu beseitigen. In dem Grafen Cavour besaß Sardinien einen Minister, der mit dem enthusiastischen Gedanken der Einheit Italiens die Zähigkeit des Fabiers und die Klugheit Macchiavellis verband. Seit dem Beginn seiner politischen Karriere hatte er nie das Ziel: Italien von dem deutschen Übergewicht zu befreien, es zu einem Gesamtstaat zu vereinigen und die Krone Sardinien zur Krone von Italien zu erheben, aus den Augen verloren.

Er war klug genug, zu wissen, daß sein Staat oder das Haus Savoyen dieses Riesenwerk niemals allein durchführen könne, und daß es mächtiger Bundesgenossen dazu bedurfte. Aber er wußte ebenso gut, daß ein mächtiger Bundesgenosse leicht zum Tyrannen des Beschützten wird, und er streckte die Hände daher nach zwei verschiedenen Seiten, nach zwei Mächten aus, von denen eine die andere in Schach hielt, und verband sich, wie schon einmal gesagt, mit dem Bonapartismus und der Revolution.

Moskau und die Beresina waren gesühnt, die Interessen und weit in die Zukunft greifenden Pläne Rußlands und Frankreichs gingen jetzt wieder zusammen aus auf die Vertreibung des germanischen Elements und seiner Macht aus dem Süden Europas, von den Küsten des mittelländischen Meeres!

Von dem Vertrage von Paris ab herrschte offenbar in allen Schritten unverkennbares Einverständnis zwischen dem Kabinett der Tuilerieen und dem von St. Petersburg.

Im Jahre 1857 brach der indische Aufstand aus. Vgl. des Verfassers Roman »Nena Sahib«.

Das war der Schlag, den Rußland gegen das ohnehin erschöpfte England führte!

Der »Kanal von Suez«, diese große Handelsintrigue Frankreichs, legte von der anderen Seite die Axt an die Wurzeln des alten Eichstammes britischer Macht.

Aber noch war es nicht Zeit zu einem direkten Angriff gegen England, man mußte seine unzuverlässige eigennützige Krämerpolitik in Europa erst noch verhaßter machen und seine natürlichen Bundesgenossen auf dem Festland erst einzeln schwächen.

Der erste offene Schlag galt daher Österreich, indem man dem Drängen der italienischen Revolution und des piemontesischen Ehrgeizes nachgab.

Rußland erwies sich damit einverstanden.

Es läßt sich nicht verkennen, daß Österreich hierbei viel verschuldet hatte. Die Politik Schwarzenbergs hatte selbst die alten Traditionen der heiligen Allianz gesprengt und Europa auf neue Bündnisse verwiesen. Mit der österreichischen Besetzung der Donaufürstentümer und der Front gegen Rußland im orientalischen Kriege war Rußland des alten Bündnisses entledigt, und ein Zug tiefer und nachhaltiger Erbitterung wegen solchen Dankes für die ungarische Hilfe ging seitdem durch die Politik des Winterpalastes.

Die Einigkeit Rußlands und Frankreichs zeigte sich zunächst in ihrer Unterstützung der Agitation in den Donaufürstentümern. Das Bestehen der europäischen Türkei, die England und Österreich mit allen Kräften halten wollen, war für sie nur noch eine Frage der Zeit, das Losreißen der Donaufürstentümer und die Stärkung Griechenlands daher höchst wichtig. Österreich und England protegierten die Trennung der Moldau und Walachei, Frankreich und Rußland deren Vereinigung. Die Konvention vom 19. August 1858, in der Österreich scheinbar siegte, war eine bloße Täuschung, denn als der Schützling der Tuilerien, Oberst Cousa, am 12. Januar zum Hospodar der Moldau und am 5. Februar zum Hospodar der Walachei gewählt wurde, war die Vereinigung faktisch hergestellt und Rußland und Frankreich erkannten sie sofort an.

Damit hatte Österreich einen Gegner an der untern Donau.

Der Versuch der Pforte, Montenegro ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen, wurde von der Drohung Frankreichs und Rußlands unterdrückt.

Im Lauf des Jahres 1858 erhob sich eine energische und ungescheute Agitation auf den ionischen Inseln für den Anschluß an Griechenland und die Emanzipation vom englischen Protektorat.

Vergeblich schickte das Kabinett von St. James einen Spezial-Kommissär in Person Gladstones dahin, die Aufregung zu beruhigen. Die Zeit war vorbei, wo man jedes Mitglied des ionischen Parlaments, das seine Stimme gegen die britische Tyrannei erhob, hängen oder mindestens exilieren konnte, wie noch während des orientalischen Krieges geschah; Frankreich und Rußland bewachten sorgfältig jeden Schritt auf den Inseln, und England sah die dritte Station seiner Macht im mittelländischen Meere unter seinen Füßen schwinden.

Rußland trat plötzlich mit der Erwerbung des Hafens von Villafranca als Station für seine Schiffe im Mittelmeer auf.

Unter diesen Umständen mußte die Neujahrsrede des Kaiser Napoleon, der bekanntlich öffentlich nie ein Wort unbedacht und ohne Bedeutung sprach, von jener Wirkung sein, die sie in der That in ganz Europa ausübte.

Der Erbe des verunglückten › Spada d'Italia‹, der König Victor Emanuel warf in der Rede, mit der er am 10. Januar die Kammern eröffnete, offen den Fehdehandschuh hin, indem er erklärte, daß Sardinien für den »Schmerzensschrei« Italiens nicht unempfindlich sei. Zugleich wurden die sardinischen Truppen aus den entfernteren Teilen des Landes, von der Insel Sardinien und der französischen Grenze nach dem Osten gezogen und am Ticino offene Werbebureaus etabliert, welche die fanatisierte Jugend der Lombardei und Venetiens und die Deserteure der österreichischen Truppen anlockten.

Die sardinische Presse, die schon während des ganzen Jahres gegen Österreich polemisiert hatte, wurde zur offnen Kriegstrompete und predigte geradezu den Krieg gegen die Deutschen.

All dies bewies klar, daß Sardinien einen bedeutenden Rückhalt haben mußte.

Dieser dekouvrierte sich bald genug in der Rede Louis Napoleons zur Eröffnung der Legislative am 7. Februar, in der er erklärte, der Zustand Italiens flöße der Diplomatie gerechte Besorgnis ein, aber er hoffe, der Frieden werde erhalten werden, während zugleich die inspirierte Broschüre »Napoleon III. und Italien« die »Berechtigung der Nationalitäten« und die »Revision der Verträge« predigte.

Am 15. Januar war der Prinz Napoleon, der Uhu der Revolution auf dem Vogelherd seines klugen Vetters, in Villafranca gelandet. Der Kaiser verheiratete ihn zur Revanche für das Attentat vom 14. Januar. Am 30.,Januar fand seine Vermählung mit der ältesten Tochter des Königs Victor Emanuel, der sechzehnjährigen Prinzessin Clotilde, zu Turin statt.

Alsbald traten auch die militärischen Rüstungen Frankreichs trotz ihrer geschickten Einkleidung ziemlich offen auf. Kriegsschiffe gingen von Toulon nach Algier, und die Avantgarde der Division Renault landete bereits am 12. Februar in Marseille.

Unter diesen Umständen wählte England die schlechteste Rolle, die es nehmen konnte, die Vermittelung, indem es gänzlich die im Hinterhalt drohende Gefahr dieses Krieges übersah.

In Verbindung mit Preußen, wo der englische Einfluß auch durch die vor kurzem geschlossenen Familienbande überwiegend war und selbst zu einer Karikatur des englischen Konstitutionalismus den besten Anlauf nahm, wurde ein Kongreß von Lord Cowley, der sich von dem Kaiser und seinem Minister des Äußeren, Graf Walewsky düpieren ließ, persönlich in Wien vorgeschlagen. Graf Buol bestritt jedes Recht zur Einmischung in die Verträge Österreichs mit den italienischen Staaten, und verlangte eventuell die Vorlage aller solcher Verträge, also auch des französisch-sardinischen, und wollte Unterhandlungen nur auf Grund der Wiener Schlußakte von 1815 zugeben.

Österreich hatte die ihm drohende Gefahr wohl erkannt und seine Rüstungen begonnen, aber infolge der Unglücklichen Politik der Eifersucht und des Pochens auf die Suprematie in Deutschland versäume es, sich die nötigen Bundesgenossen zu sichern. Die engere Allianz mit den kleinern italienischen Fürsten und die Ausdehnung seines Besatzungsrechtes konnten ihm bei der Stimmung der Bevölkerung nur wenig nützen.

Schon im Januar wurde das III. Armeekorps von Wien nach Italien vorgeschoben, ein zweites sollte folgen. Die Festungen wurden in Stand gesetzt, Anfang März die Beurlaubten eingezogen.

Aber Louis Napoleon war mit seinen Rüstungen noch keineswegs fertig und brauchte mindestens noch sechs bis acht Wochen. Deshalb wurde die Komödie der Kongreß-Unterhandlungen fortgesetzt, indem sich Rußland einmischen mußte.

Mit der bekannten Unverschämtheit der französischen Politik im Ableugnen und Verdrehen der Thatsachen mußte der Moniteur am 5. März jede Rüstung Frankreichs ableugnen und die großen Pferdeeinkäufe in Deutschland, denen erst am selben Tage das Ausfuhrverbot des Zollvereins ein Ziel fetzte, die Bildung der Alpenarmee, die Formierung von hundert neuen Bataillonen und die Überschiffung der Truppen aus Algerien für ganz gewöhnliche Dinge erklären. Ja, man brauchte den Prinzen Napoleon wieder einmal als diplomatischen Prügeljungen und entsetzte ihn als Friedenszeichen seines Dienstes als Minister der Kolonien, indem man unter der Hand verbreitete, er sei der Aufwiegler Sardiniens.

In Wien war man wenigstens klug genug, sich dadurch nicht täuschen zu lassen, und als Lord Cowley am 16. März von Wien nach Paris zurückkehrte, erfuhr er die russisch-französische Intrigue, und daß das Kabinett von Petersburg unterdes einen Kongreß der fünf Großmächte über die italienische Frage vorgeschlagen habe. Österreich forderte, ehe es auf einen solchen eingehen könne, die Entwaffnung Sardiniens. Graf Cavour eilte nach Paris, und als er am 30. März zurückkehrte, wußte er, woran er war, und verlangte die Zulassung Sardiniens zum Kongreß auf gleichem Fuß mit den anderen Mächten. Von jetzt ab bis zum wirklichen Ausbruch des Krieges drehten sich, während alle Teile eilig weiter rüsteten, die diplomatischen Verhandlungen im Kreise um die Frage einer Gesamtentwaffnung, zu der natürlich kein Teil Lust hatte.

In Wien sah man die Gefahr des Verzuges und glaubte sich in Italien stark genug, um die Offensive ergreifen zu können. In den süddeutschen Staaten sprach sich jetzt die Stimme offen für Österreich aus, es galt, Preußen wenigstens für eine bedrohende Stellung gegen Frankreich zu gewinnen und damit auch gegen den Osten, das heißt gegen Rußland sich zu decken, das langsam Truppen gegen die ungarische und galizische Grenze vorschob, und Erzherzog Albrecht, der ritterliche Held von Mortara und Novara, wurde nach Berlin geschickt, um sein Heil dort zu versuchen.

Aber die Vollmachten, die er hatte, waren leider wiederum ungenügend. Statt Preußen wenigstens für diese Gefahr die unbeschränkte Leitung der Angelegenheiten in Deutschland zu überlassen und somit imstande zu sein, seine ganze Kraft auf den Stoß in Italien zu verwenden, fürchtete Österreich damit seinen Einfluß auf die deutschen Südstaaten aufzugeben und wollte auch hier an der Spitze bleiben, Preußens Kraft bloß für Adjutantendienste benutzend. Man empfing daher hier den Erzherzog mit der größten Auszeichnung und gab bei der großen Parade in Potsdam ihm zu Ehren die Parole »Novara«, aber man wich bestimmten Zusicherungen aus, und das einzige, was mit Sicherheit zugesagt wurde, war, daß Preußen für den Schutz der deutschen Rheingrenze Sorge tragen werde.

Österreich wußte aber auch schon aus dieser Zusage Vorteil zu ziehen.

Am 19. April ging von Wien aus eine Note des Grafen Buol an den Premier Sardiniens ab, in der direkt die sofortige Entwaffnung und die Erklärung derselben binnen drei Tagen gefordert wurde, widrigenfalls die österreichische Armee den Ticino überschreiten und in Sardinien einrücken werde.

Die Note blieb in Mailand bis auf weitere Order zur Verfügung des Oberstkommandierenden liegen.

Durch die Daten erklärt sich vieles und durch sie wird auch der gegen Österreich erhobene Vorwurf, den Krieg begonnen zu haben, entkräftet.

Der Kaiser Louis Napoleon hatte schon am 20. alle Vorbereitungen zum Einrücken der Alpenarmee in Sardinien getroffen. Der Einmarsch sollte teils über den Mont Cenis, auf dem Sardinien 4000 Arbeiter zur Freimachung der Passage vom Schnee aufgestellt hatte, teils zu Schiff über Genua erfolgen. Am 23. geschah die Ernennung der Befehlshaber der französischen Korps. An demselben Tage stellte Preußen am Bundestag den Antrag auf Kriegsbereitschaft der deutschen Bundestruppen.

Die Nachricht von diesem Antrag gelangte unzweifelhaft schon mittags nach Paris und Wien.

In Paris erfolgte die Ernennung Pelisiers zum Kommandanten eines Observationskorps am Rhein, in Mailand traf gegen 1 Uhr die telegraphische Order zur Absendung der Note ein. Ein Extrazug brachte den Überbringer nach Turin, um 5½ Uhr wurde das Schreiben dem Grafen Cavour überreicht.

Es liegt sehr nahe, daß Österreich in Verbindung mit ihm den Preußischen Antrag erscheinen lassen wollte.


Es war vier Uhr nachmittags am 26. April, am zweiten Osterfeiertag. Der österreichische Vizepräsident der Statthalterschaft, Baron von Kellersberg, war im Hotel Feder abgestiegen. Er war von einem Offizier Gyulais, dem Rittmeister Baron von Trautmannsdorf, begleitet.

Die Lage der beiden Offiziere während ihrer Mission in Turin war natürlich eine keineswegs angenehme. Aber es galt, die Ehre der österreichischen Armee zu vertreten, und deshalb hatte der Feldzeugmeister gerade die Hünengestalt des Kürassiers gewählt, um den diplomatischen Abgesandten zu begleiten.

Die beiden Österreicher hatten am 24. und 25. an der Table d'hote gespeist, am Nachmittag ein Café und am Abend das Theater besucht, als befänden sie sich in Freundesland.

Am Mittag des 26. hielt sich Baron Kellersberg in seiner Wohnung, der Rittmeister allein erschien an der Table d'hote.

Mit dem ersten Blick ließ sich erkennen, daß es auf eine Demonstration abgesehen war.

Eine Menge piemontesische und französische Offiziere, die sich bereits in Turin befanden, hatten sich zur Tafel eingefunden.

Der Rittmeister nahm seinen gewöhnlichen Platz ein, ihm gegenüber blieben zwei Plätze leer. Neben ihm saßen ein Civilist, der Redakteur des »Diritto« und ein französischer Offizier. Die anderen Plätze der Umgebung waren sämtlich, mit einer Ausnahme, von Militärs eingenommen.

Es war natürlich, daß das Gespräch sich sofort um die Tagesfragen drehte, doch hielten die französischen Offiziere es in jener schicklichen Form, die man dem Feinde, der als Parlamentär Gastfreundschaft genießt, schuldig ist. Dagegen genierte man sich sehr wenig, über die militärischen Dispositionen zu sprechen, man betrachtete den Krieg als eine ausgemachte Sache.

Der französische Offizier, der an der Seite des Rittmeisters Platz genommen, gehörte offenbar der vornehmen Welt an. Er trug die Uniform eines Obersten und das Kreuz der Ehrenlegion mit mehreren anderen Orden. Einige Narben im Gesicht und das gebrochene Nasenbein vermochten nicht, seine aristokratische Physiognomie zu entstellen.

Als er den Stuhl nahm, machte er dem Baron eine höfliche Verbeugung. »Herr Kamerad,« sagte er verbindlich, »erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin der Oberst Graf Montboisier im Stab des Kaisers und freue mich, einem Offizier Ihrer tapferen Armee auf dem neutralen Felde einer guten Mahlzeit zu begegnen, ehe wir bei den Gerichten blauer Bohnen uns wiederfinden.«

Der Baron ging sofort gewandt auf den Ton ein.

»Ich hoffe, Herr Graf, daß wir Ihnen ganz nach Ihrem Geschmack servieren werden!«

» Valga me Dios! wir erwarten das nicht anders. Seien Sie versichert, daß wir Ihnen alle Ehre anthun werden, das zeigt die Ernennung des Kommandos.«

»Verzeihen Sie, Herr Graf, die Nachricht ist mir noch unbekannt. Ich weiß seit vorgestern nur, was die Zeitungen berichten!«

»Dann kann ich Ihnen die neuesten Nachrichten geben,« sagte der Graf zuvorkommend. »Marschall Randon hat das Kriegsministerium in Stelle Vaillants übernommen, der mit dem Kaiser einen derben Streit gehabt und zur Ausgleichung zum Chef des Generalstabes ernannt worden ist. Das erste Korps wird der Marschall Graf Baraguay d'Hillier, das zweite mein alter Kommandant Mac Mahon, das dritte Canrobert mit Seneville, das vierte Marschall Niel, der Ingenieur von Sebastopol, und die Garde General Regnaud de St. Jean d'Angely kommandieren. Sie sehen, daß wir es an Höflichkeit nicht fehlen lassen.«

Der Österreicher verbeugte sich lächelnd. »Seien Sie versichert, Herr Graf, daß wir die Ehre dieser ruhmvollen Namen zu schätzen wissen. Die Helden von Algerien und der Krim können als Gegner der österreichischen Armee nur zur Ehre gereichen.«

»Der Teufel hole mich!« sagte eine breite Stimme über den Tisch herüber, »es ist wahr, seit Radetzki tot ist, haben Sie ihnen höllisch wenig entgegenzustellen!«

Der Kürassier schaute auf den Sprecher, der ihm schräg gegenüber saß, den einzigen Civilisten unter den Uniformen. Es war eine aufgedunsene, unangenehme Figur, mit schlaffen Wangen, lüsternen, brutalen Augen und mongolischer Physiognomie.

»Wenn Sie nach dem Garda-See zurückgehen sollten,« fuhr der Herr fort, »so empfehle ich Ihnen meine Frau mit Gesellschaft zu einiger Berücksichtigung bei der Einquartierung. Sie ist so eigensinnig gewesen, den Aufenthalt in Nizza mit ihrer Villa am See zu vertauschen.«

»Ich habe nicht die Ehre, Ihre Frau Gemahlin zu kennen.«

»Es ist die Fürstin Trubetzkoi, und sie wohnt in der Nähe von Toscolano. Chacun a son goût! ich ziehe meine Pariser und italienischen Freunde vor.«

Der Baron verbeugte sich steif. »Ich hoffe, mein Herr,« sagte er kalt, »daß wir vorerst keine Gelegenheit haben werden, in die Nähe des Gardasees zurückzukehren. Sollte mich eine Veranlassung dahin führen, so seien Euer Durchlaucht versichert, daß ich mich dieser zarten Empfehlung erinnern werde.«

»Nun! Sie müssen wissen, daß die Fürstin eine Österreicherin ist, wenigstens eine geborene Ungarin.«

Graf Montboisier unterbrach den brüsken Ton der Unterhaltung. »Die Frau Fürstin ist eine Gräfin Pàlffy, ich hatte die Ehre, sie im vorigen Jahre in Paris zu sehen. Aber eine Nachricht, mein Herr, ist der andern wert. Ist es wahr, daß die Preußen nach dem Rhein marschieren?«

Der Rittmeister zuckte die Achseln. »Sie verlangen zu viel von mir, Herr Kamerad. Ich bin kein Politiker, sondern nur ein einfacher Soldat und weiß es wahrhaftig nicht!«

» Cospetto,« sagte der Redakteur an der andern Seite, »ich denke, die Prussiani werden eher mit uns gemeinschaftliche Sache machen. Sie haben alle Ursach' dazu.«

Der Österreicher antwortete dem kleinen, gallfarbenen Journalisten nur mit einem verächtlichen Blick und setzte seine Unterhaltung mit dem Franzosen fort, während jener mit der Unwissenheit über deutsche Zustände, welche die französische und italienische Presse auszeichnete, mit dem Russen über den Tisch hin den Gegenstand weiter besprach.

Die Unterhaltung wurde gegen Ende der Tafel durch den Eintritt einiger neuer Gäste unterbrochen.

Es waren drei Offiziere verschiedener Uniformen und sie schienen von den sardinischen Militärs erwartet zu sein, denn sie wurden mit lautem Zuruf begrüßt.

Zwei von ihnen befanden sich gegen die Gewohnheit der Italiener offenbar in vom Wein ziemlich erregtem Zustand, wie ihre erhitzten Gesichter bewiesen.

Der dritte trug die Uniform der Garden des Garibaldischen Korps und schien nur zufällig in die Gesellschaft der beiden anderen geraten zu sein. Der Graf schien ihn zu kennen, denn er erhob sich und reichte ihm die Hand.

»Kommen Sie hierher, Kapitän Laforgne,« sagte er freundlich. »Wir machen Ihnen Platz, um Ihre Gesellschaft zu genießen.«

» Major Laforgne, seit gestern, wenn es Ihnen gefällig ist, Herr Graf,« erwiderte munter der Parteigänger. »Aber es freut mich in der That, endlich einmal mit meinen Landsleuten auf derselben Seite zu fechten.«

»Erinnern Sie sich noch, wie der Kaiser Ihnen schon damals bei dem Fest in den Tuilerien, an dessen Schluß Sie aus Versehen verhaftet wurden, den Eintritt in die Armee oder Flotte anbot?«

Der neue Major hatte den ihm angebotenen Stuhl angenommen. »Gewiß! wir sind zwar seitdem bei verschiedenen Gelegenheiten keine guten Freunde gewesen,« sagte er mit Bedeutung, »aber ich hoffe jetzt meinen Frieden mit ihm zu machen, seit unsere Patente nicht mehr aus der Machtvollkommenheit der Revolution, sondern von Seiner Majestät dem König Victor Emanuel datieren.«

»Und der General?«

»Er wird in zehn Minuten mit den Truppen hier vorbeikommen. Sie sehen aus meiner Uniform, daß ich zu den Guiden gehöre, doch habe ich meinen alten Dienst als sein persönlicher Adjutant behalten.«

»Er kann keine bessere Wahl treffen. Erlauben Sie mir, Sie mit einem unserer achtungswerten Gegner und jetzigen Gast bekannt zu machen.« Er stellte ihm den österreichischen Offizier vor.

Ein verächtliches Lachen klang von der andern Seite des Tisches herüber. Die beiden mit dem Garibaldien eingetretenen sardinischen Offiziere hatten sich auf den leeren Plätzen niedergelassen und fixierten unverschämt die Gruppe. Einem von ihnen war gleich beim Eintritt von einem Kellner ein kleines Päckchen in Papier überreicht worden, und er hatte es nach einigen leise gewechselten Worten eingesteckt.

Der Baron von Trautmannsdorf hatte ihnen scheinbar bisher keine Aufmerksamkeit zugewendet; als er jetzt den Blick erhob, begegnete er dem boshaft auf ihn gerichteten Auge des Grafen Sforza; an seiner Seite befand sich der Marchese Ferari.

Der Deutsche wußte jetzt, woran er war. Er faßte den Entschluß, möglichst kaltblütig zu bleiben und die Beleidigungen zu ignorieren. Er wandte sich zu dem Franzosen und Laforgne und setzte mit diesen die Unterhaltung fort.

» Cospetto, Durchlaucht!« sagte Sforza »Sie sind allzu verschwiegen gegen Ihre Freunde. Man erzählt uns im Varone, daß die russische Flotte Order hat, in das Mittelländische Meer zu segeln und daß ein enges Bündnis zwischen Rußland und Frankreich abgeschlossen ist. Wir wollen jetzt diese verdammten Tedeschi zwischen zwei Feuer nehmen und ihnen den Weg in ihre elenden Steppen weisen!«

Ein mißbilligender Blick des französischen Obersten traf den Prahler. Um einem Streit vorzubeugen und das beifällige Lachen mehrerer anderer Tafelgäste zu maskieren, wandte er sich eilig an den Nachbar.

»Obgleich im Dienste des Kaisers, habe ich doch noch viele Freunde unter dem alten Regime. Vielleicht ist Ihnen Herr von Neuillat in Venedig bekannt?«

»Der Kammerherr des Herrn Grafen von Chambord? Gewiß! ein höchst liebenswürdiger Gesellschafter. Ich habe ihn oft gesprochen.«

»Dann würden Sie mich verbinden, Herr Kamerad,« sagte der Graf, »wenn Sie ihm bei Gelegenheit meine Karte zustellen und ihn wissen lassen wollen, daß ich durch einen Zufall in Besitz eines Papiers gekommen bin, das seinen Namen nennt und vielleicht für ihn von Interesse ist.« –

»Kann ich Herrn von Neuillat eine nähere Bezeichnung machen?«

»O ja. Es ist ein spanischer Trauschein aus einem Ort Namens Azcoita; der Henker weiß, wo das Nest liegt! Ich kaufte ihn zufällig gestern hier in Turin mit mehreren andern interessanten Autographen aus dem Jesuitenorden von einem buckligen Juden, und er ist mir im Gedächtnis geblieben, da die Namen darin mir auffielen, eine Donna Ximena Nazena und ein polnischer Fürst, dessen Name, glaub' ich, auch in Ihrer Armee vorkommt. Herr von Neuillat aber ist als Zeuge genannt.«

»Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, Herr Kamerad, Ihren Gruß zu bestellen, im Fall der Kriegsgott nicht anders über mich bestimmt hat.«

Das Gespräch war bisher teils in französischer, teils in italienischer Sprache geführt worden. Graf Montboisier hatte sich in der Unterhaltung mit dem österreichischen Offizier und Major Laforgne der ersteren bedient, der Graf Sforza seiner Muttersprache.

Obschon er recht gut wußte, daß der Adjutant Gyulais diese fertig sprach, gab er sich doch den Anschein, als wäre ihm dies unbekannt.

Fürst Trubetzkoi that, als hätte er die Erwähnung des russisch-französischen Bündnisses nicht gehört.

Das zustimmende Gelächter seiner Kameraden und der Wein, den er unvermischt in langen Zügen genossen, steigerte sichtlich die Erregung des mailändischen Nobile.

»Kommen Sie, Ferari,« sagte er mit einem bezeichnenden Augenblinzeln, »lassen Sie uns darauf anstoßen, daß wir heute über acht Tage in Mailand im Albergo Reale dinieren!«

Eine jubelnde Zustimmung der sardinischen Offiziere folgte dem Toast; die anwesenden französischen Militärs und Major Laforgne jedoch ließen ihre Gläser unberührt Die Stirn Montboisiers begann sich in Falten zu ziehen, nur der Baron selbst blieb dem Anschein nach vollkommen unbefangen. Der größte Teil der Gesellschaft begann zu glauben, daß er nicht Italienisch verstände.

Aber man sollte sich sogleich vom Gegenteil überzeugen.

Es mußte eine geheime Ursache sein, die den Übermut des Mailänder Flüchtlings so stark anstachelte und ihn zur Verhöhnung des gefährlichen Todfeindes trieb; denn er wandte sich jetzt direkt an diesen, indem er ihn auf unverschämte Weise durch das Lorgnon musterte.

»Ich glaube, ein alte Bekanntschaft von Mailand! Signor von Trautmannsdorf, wenn ich den Namen recht behalten habe?«

Der Rittmeister, so angeredet, sah von seinem Teller empor, auf dem er sich eben mit der Zerlegung einer Bekassine beschäftigte.

Er blickte dem Nobile ruhig ins Gesicht und machte eine kurze kalte Verbeugung.

»Sie sind ja wohl mit dem Baron von Kellersberg in der Angelegenheit des sogenannten Ultimatums hier?«

»Ja, Signor Conte!«

»Nun Glück auf den Rückweg! Aber da Sie direkt nach Mailand zurückkehren und wie ich vorhin gesehen, sehr gefällig in der Annahme der kleinen Bestellungen sind, so möchte ich wohl Ihre Güte auch für einen Gruß in Anspruch nehmen.«

»Ich stehe zu Befehl, Signor!«

Eine tiefe Stille war an diesem Teil der Tafel eingetreten, den die Offiziere eingenommen; sie übte ihren Einfluß selbst auf das entferntere Ende, wo die andern Gäste des Hotels saßen.

Alle fühlten, daß es auf eine Beleidigung abgesehen war und daß eine Scene folgen werde.

»Dann bitte ich Sie um die Gefälligkeit,« fuhr der Nobile höhnisch fort, »in Mailand einer alten Bekanntschaft von mir einen Gruß zu überbringen. Ich werde Sie durch meine Karte legitimieren.«

Er warf die Visitenkarte über den Tisch.

»Der Herr Graf von Sforza,« sagte der Deutsche kalt, »hat noch nicht die Güte gehabt, mir die Adresse zu nennen.«

»O, die ist bekannt. Es ist die kleine Bignatelli, Julia Bignatelli, die Tochter der reichen Seidenhändlers!«

»Signora Julia Bignatelli, Signor Conte, nennt sich seit acht Monaten Baronesse von Trautmannsdorf.«

»Sie haben sie wirklich geheiratet?«

»Ich habe die Ehre, es zu wiederholen, Herr Graf.«

Das Gesicht des Kürassiers war sehr blaß.

Der Graf lachte höhnisch auf. »Dann lassen Sie sich gratulieren, Signor, Sie haben eine recht lukrative Partie gemacht, und ich glaube, die Signori Tedeschi können das brauchen, ohne nach sonstigen Umständen viel zu fragen.«

Der Graf Montboisier hatte sich zu ihm gewandt.

»Signor,« sagte er in italienischer Sprache: »Ihr Benehmen ist unwürdig! Wenn die sardinischen Offiziere nicht verstehen, die augenblickliche Lage dieses Herrn zu würdigen und ihm Gastfreundschaft angedeihen zu lassen, so sind doch die französischen nicht gewillt, die Ritterpflichten ihres Standes mit Füßen zu treten, und ich erkläre Ihnen, daß ich jede fernere Beleidigung, die dem Herrn Kameraden aus Österreich angethan wird, als gegen mich gerichtet ansehen werde.«

»Mein Herr,« entgegnete der Graf hitzig, »wir sind hier in unserm eigenen Lande, und wir haben soviel von der deutschen Tyrannei zu ertragen gehabt, daß wir nicht noch französischer Hofmeister bedürfen.«

Ehe der Graf eine Erwiderung der Impertinenz geben konnte, eilte der Wirt des Hotels herein.

»Signori,« sagte er aufgeregt, »wenn Sie unseren großen Minister Cavour sehen wollen, Se. Excellenz erweist meinem Hotel soeben die Ehre, bei ihm vorzufahren.«

Alles sprang auf und eilte an die Fenster, mit Ausnahme der beiden Mailänder und des französischen Obersten. Auch der russische Fürst war zu bequem, um sich in der behaglichen Fortsetzung seines Diners stören zu lassen, da ohnehin das Gehen und jede Bewegung ihm Beschwerde machte.

Signor Lorini, der Wirt, war bereits wieder aus dem Saal und an die Equipage des sardinischen Premiers geeilt, der auf die Nachricht, daß Baron Kellersberg zu Hause sei, soeben den Wagen verließ.

Der österreichische Abgesandte kam dem Premier bereits auf der Treppe entgegen. Baron von Trautmannsdorf, der mit Signor Lorini den Speisesaal verlassen, geleitete den Minister die Treppe hinauf.

»Euer Excellenz,« sagte der Unterstatthalter, »erzeigen mir eine große Ehre. Sie hätten nur zu befehlen brauchen, um mich bei sich zu sehen.«

Der Minister reichte ihm lachend die Hand. »Ei, Herr Baron, es war meine Pflicht, Ihnen selbst die Antwort zu bringen, um so mehr, da ich Ihnen mein Bedauern dabei auszudrücken hatte. Sie sehen, daß ich pünktlich bin!«

Er hatte die Worte wahrscheinlich absichtlich so laut gesagt, daß die Tafelgäste, die an der Flurthür des Saales standen, sie hören mußten. Der Baron und sein Besucher traten in die Gemächer, an deren Thür der Rittmeister von Trautmannsdorf zurückblieb.

Die Aufregung an der Tafel, zu der man jetzt zurückkehrte, war natürlich groß. Die Worte »Ultimatum« und »Sommation« waren auf aller Lippen und die eben von dem Premier überbrachte Antwort natürlich kein Geheimnis. Man debattierte daher nur die Frage, wann und auf welchem Punkt die Feindseligkeiten beginnen würden.

Da die Ankunft des Grafen Cavour gegen das Ende der Tafel erfolgt war, so waren viele der Gäste nicht wieder zu dieser zurückgekehrt und standen in Gruppen plaudernd umher. Die beiden Mailänder Nobili hatten sich eben gleichfalls erhoben und wollten zu ihren Freunden treten, als Graf Montboisier ihnen folgte.

»Signor,« sagte er, leicht den Arm Sforzas berührend, »Sie würden mich mit einer Erläuterung Ihrer letzten Äußerung verpflichten.«

Der Marchese Ferari wollte eilfertig eine Entschuldigung dazwischen schieben, aber sein Freund selbst, offenbar vom Champagner erhitzt, vereitelte es.

»Ich denke, Signor,« sagte er höhnisch, »das Wort eines Sforza ist genügend klar, und da dieser deutsche Lümmel Verstand genug hatte, seine Bedeutung zu verstehen, so wird sie wohl dem Witz eines Franzosen nicht entgangen sein.«

Der Oberst verbeugte sich kalt. »Darf ich fragen, wann und wo Graf Sforza zu treffen ist?«

»Wer mich sucht,« sagte der Nobile hochmütig, »wird mich bis zum Abend im Café Indie finden. Kommen Sie, Ferari. Unsere Freunde in Mailand werden herzlich lachen, wenn wir ihnen erzählen werden, wie der deutsche Prahler sich ohne Abschied empfohlen hat!«

»Es wäre dies unverantwortlich gewesen,« sagte eine ernste Stimme hinter dem Nobile, »und ich komme, um dies Versehen gut zu machen!«

Der Mailänder erblaßte leicht bei den Worten, denn als er sich umwandte, stand hinter ihm der Rittmeister von Trautmannsdorf.

»Die Herren werden entschuldigen,« fuhr er fort, »aber meine Zeit ist sehr kurz. Wie Sie wohl bereits wissen, hat der Herr Graf von Cavour soeben das Ultimatum des Kaisers abgelehnt und einen Extrazug der Eisenbahn zur Verfügung des Überbringers gestellt. Unser Geschäft ist demnach abgethan, und ich habe gerade noch fünfzehn Minuten für meine Privatangelegenheiten. Darf ich Sie bitten, Signori, einen Augenblick mit mir in das Nebenzimmer zu treten? Meine Herren,« er hatte sich an den Obersten und Laforgne gewendet, »ich bitte Sie, von der Partie zu sein; der Herr Graf Sforza wird gewiß leicht noch einen zweiten Zeugen zu unserer kurzen Unterredung finden!«

Die Miene des Offiziers war so kalt und fest, daß die Aufgeforderten kein Wort dagegen sagten, sondern der Oberst sofort der Bitte entsprach.

François Laforgne folgte ihm.

Der Mailänder schaute sich etwas verwirrt um, der Fürst Trubetzkoi stand ihm zunächst und hatte offenbar die kurze Scene mit angehört, die bei den meisten andern Anwesenden in der herrschenden Aufregung keine weitere Beachtung gefunden.

»Ich stehe sehr gern zu Diensten, Herr Graf!« sagte der Russe. Der Nobile lud ihn mit einer Handbewegung ein. Während er mit seinem Freunde dem voran humpelnden Fürsten folgte, flüsterte er ihm einige Worte zu.

Der Marchese machte eine wegwerfende Bewegung. »Ohne Sorge, Francesco, es ist in meiner Tasche, Du sahst, wie der Bursche es mir gab, ehe ich Dir gestattete, loszulegen!«

Die sechs Personen waren jetzt in einem kleinen, sonst leeren Salon versammelt, dessen Fenster nach der Straße gingen. Eine besondere Ausgangsthür führte nach dem Korridor.

Der Rittmeister zog die Klingel. »Sagen Sie, daß wir hier fünf Minuten ungestört bleiben,« sagte er, »und melden Sie mir, wenn der Wagen vorgefahren ist!«

Der Garçon verschwand diensteifrig.

»Jetzt, meine Herren, erbitte ich einige Augenblicke für das, was ich Signor Sforza zu sagen habe, Ihre Aufmerksamkeit.«

Graf Montboisier that einen Schritt gegen ihn. »Vergebung, Herr Kamerad,« sagte er bestimmt, »aber Sie sind in Turin als Gast der alliierten Armee, und ich habe es bereits übernommen, Ihren Beleidiger zu züchtigen.«

Der Deutsche verneigte sich höflich. »Herr Oberst, ich konnte nichts anderes von der Ehrenhaftigkeit eines französischen Soldaten erwarten und hoffe, Ihnen auf dem Schlachtfeld danken zu können. Aber Sie irren, wenn Sie glauben, daß ich beabsichtige, den Herrn Grafen Sforza zu fordern. Sie haben selbst aus seinem Munde gehört, daß Signora Bignatelli, meine Gattin, aus einer Kaufmannsfamilie stammt, und es ist einfach ein Handelsgeschäft, das ich mit ihm habe.«

Der Kammerherr des Kaisers der Franzosen sah ihn erstaunt an, er vermochte die Worte mit dem furchtbaren Ernst, der auf der Stirn des deutschen Offiziers lag, nicht recht in Einklang zu bringen.

»Signori,« fuhr der Baron fort, »Sie werden es billig finden, daß zwischen uns und Ihnen vor dem Begegnen auf dem Schlachtfelde die Wechselschulden ausgeglichen werden.«

Der Mailänder lachte spöttisch auf, obschon er auffallend blaß war. Fürst Trubetzkoi zuckte die Achseln. »Dieser Herr scheint zu glauben,« sagte er verächtlich, »daß wir ein Handelsgericht sind.«

»Ich verstehe Sie in der That nicht, Herr Kamerad!« bemerkte der Oberst.

Der Rittmeister öffnete langsam die Uniform und zog von der Brust eine kleine Brieftafel, die er an einer Kette um den Hals trug.

»Der Herr Graf von Sforza,« sagte er ruhig, die Brieftafel öffnend, »hat vor seiner Abreise von Mailand die Güte gehabt, mir einen Wechsel auf Sicht auszustellen, und ich erlaube mir, in Ihrer Gegenwart, Signori, ihm denselben, als Antwort auf den Gruß an die Baronin von Trautmannsdorf zu präsentieren.«

Der Mailänder knirschte. »Er lügt – das Portefeuille …«

»Das Portefeuille,« fuhr der Offizier fort, »das vor zwei Stunden ein Kellner des Hotels aus meinem Zimmer stehlen mußte, enthielt den Wechsel nicht, sondern gleichgültige Schriften. Ich habe das interessante Papier besser bewahrt und frage Sie jetzt, Graf Franz von Sforza« – er hatte die verhängnisvolle Schrift aus der Brieftafel genommen und hielt sie empor – »ob Sie Ihre Handschrift einlösen wollen, oder ob ich diese Herren davon in Kenntnis setzen soll, in wessen Tasche sich im Augenblick das mir gestohlene Portefeuille befindet!?«

Der Unglückliche starrte mit gesträubtem Haar wild umher, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn! »Ich – ich – bin nicht vorbereitet –«

Ferari faltete unwillkürlich die Hände. »Signor, Sie werden nicht so grausam sein, es wäre nicht ehrenwert –«

»Marchese Ferari,« sagte der Offizier mit finsterm Blick, »ich habe ein scharfes Auge. Sie werden gut thun, noch heute Ihren Abschied aus der Armee Seiner Majestät des Königs Viktor Emanuels zu nehmen. Ich hege als Soldat zu viel Achtung vor unserm Stand, um nicht zu wünschen, daß, wenn wir uns auf dem Schlachtfeld begegnen, Männer von Ehre in der Reihe unserer Gegner wenigstens nicht neben Dieben und Meuchelmördern stehen, und deshalb, Signor Sforza, frage ich Sie, zum letztenmal – werden Sie Ihren Wechsel einlösen oder nicht?«

Der Sprößling des blutigen Herzogsgeschlechts wankte nach der Thür, die furchtbare Katastrophe hatte längst die Geister des Weins verscheucht, dennoch taumelte er wie ein Trunkener. Ferari wollte ihm nach, aber eine strenge Bewegung des Deutschen bannte ihn an seinen Platz.

»Signor Sforza,« sagte der Baron, »ich lege Ihren Wechsel in die Hand dieser Herren. Sie haben zehn Minuten Zeit zu seiner Einlösung! Der Wagen wartet auf mich, ich werde Ihre Freunde in Mailand grüßen!«

Der unglückliche Spieler hatte die Korridorthür erreicht, er taumelte hinaus, ohne sie zu schließen.

Der Garçon von vorhin trat ein. »Wenn es gefällig ist, Signor, der Herr Baron von Kellersberg lassen bitten!«

Der Österreicher gab das Couvert mit dem verhängnisvollen Papier dem Major Laforgne.

»Sie sind der Jüngste von uns, Herr Kamerad,« sagte er ernst, »ich lege dies Papier in Ihre Hand und bitte Sie, es zu öffnen, wenn der Herr, der uns eben verlassen, es in zehn Minuten nicht eingelöst hat. Signor Marchese, Sie werden wohl die Güte haben, mir mein Eigentum nach Mailand zu senden! Nehmen Sie meinen Dank, meine Herren, für die Freundlichkeit, die Sie mir erwiesen – auf dem Schlachtfeld sehen wir uns wieder!«

Er verließ höflich grüßend das Zimmer; die drei Zeugen des Auftritts sahen sich erstaunt an, sie begriffen, daß dieser eine furchtbare Bedeutung haben müsse, ohne doch zu wissen, welche.

Der Marchese Ferari war in einen Sessel gesunken und rang bleich und zitternd die Hände.

Man hörte das Rollen eines Wagens und gleich darauf von der entgegengesetzten Seite nahende Hornmusik.

»Zum Henker,« sagte der Fürst ärgerlich, »ich muß gestehen, das war ein komisches Ultimatum, und ich bin neugieriger auf die Antwort, als ich auf die des Herrn Cavour war. Fünf Minuten sind bereits vergangen, nun, wir werden ja sehen! Unterdes was ist das für Hörnerklang?«

»Es sind die Alpenjäger Garibaldis, sehen Sie, Herr Kamerad, der General selbst führt sie!«

Laforgne zog den Obersten nach dem Balkonfenster, an dem bereits der russische Fürst stand.

Eine Kolonne des Freikorps, das am Tage vorher von Cuneo eingerückt war, um in Eilmärschen nach dem Norden, den Ufern des Lago Maggiore zu gehen, kam die Straße herauf.

»Sehen Sie, Signor Colonello,« sagte eifrig der junge Offizier, »es ist das Regiment Medici mit seinem tapferen Obersten und an der Spitze der General selbst mit der ersten Abteilung der Guiden.«

»Ich habe ihn seit Rom nicht wiedergesehen,« meinte lachend der Graf, »als er in Pietro Montorio den Befehl gab, mich zu erschießen, eine Gefälligkeit, die ihm zu meiner Freude damals erspart wurde. Wer hätte damals gedacht, daß wir noch einmal auf derselben Seite fechten würden!«

Die Spitze der Kolonne kam die Strando del Po herauf; hinter der kleinen Abteilung der Hornisten – denn der General verachtete allen unnützen militärischen Pomp – er selbst mit dem Stab, dann die Abteilung der Guiden, etwa hundert Mann zu Pferde, in ihren roten Hemden und weißen Mänteln, die Lanze am Arm, jeder Mann zwei Revolver im Gürtel, Bursche, leicht und gewandt und zu jeder Tollkühnheit bereit.

Der General, in möglichst einfacher Uniform, die er seiner Ernennung durch den König zu Liebe tragen mußte, ritt ein schönes englisches Pferd, das letzte Geschenk seines Freundes, des Marquis von Heresford.

Obschon die Jahre und die Schmerzen der Erinnerung nicht spurlos an ihm vorüber gegangen waren, und er lange selbst schwer um die gewöhnliche Existenz gekämpft hatte, weil der Schatz Aniellas ihm ein heiliges Vermächtnis dünkte, das allein der Befreiung Italiens gehörte, in dessen Erde sie ihr Grab gefunden, so saß er doch noch mit fast jugendlicher Kraft zu Pferde, und der Gedanke, den Urfeinden Italiens, den verhaßten Tedeschi, entgegen zu gehen, glättete die Furchen auf seiner Stirn, so daß er mit seiner Umgebung heiter scherzte.

»Wer ist der Offizier da zur Linken des Generals?« fragte der Franzose.

»Oberst Carrano, der Chef des Stabes. Dort sind Cosenza und Ardoino, wahrhaftig auch Galetti, dieser Teufel! Da hinten reitet Sacchi, unser alter Kamerad vom La Plata, der junge Offizier dort, der den Schimmel tummelt, ist der älteste Sohn des Generals, er soll die Feuertaufe erhalten. Was wünschen Sie, Signor Principe?«

Der russische Fürst hatte mit krampfhafter Heftigkeit den Arm des Offiziers gefaßt, während die andere Hand, in der er die Uhr hielt, nach dem Zuge deutete.

»Der Mann dort, der im weißen Mantel, wer ist er?«

Die fahle Farbe seines Gesichts war fast zu Aschgrau geworden.

»Der auf dem Braunen hinter dem General? Es ist Major Foresti, der Kommandant der Guiden. Kennen Sie ihn?«

»Nein! der auf dem Rappen, der Große, zur Rechten Garibaldis – mit dem Kalpak?«

Die Stimme des Fürsten war heiser, kaum verständlich.

»Ah, Caramba! das ist ein neuer Adjutant des Generals und ein berühmter Name ohnehin. Hätte ihn Schamyl noch in den Thälern des Elbrus gehabt, Ihre Landsleute, Durchlaucht, hätten schwerlich sein Felsennest Wheden erstürmt! Sie müssen seinen Namen kennen aus der Geschichte der Kämpfer im Kaukasus. Es ist Sefer Bey, ein Ungar von Geburt, Graf Batthyanyi!«

Der Russe stieß einen abscheulichen Fluch aus, aber der Oberst und Laforgne hatten keine Zeit darauf zu achten, denn in dem Hotel erhob sich ein ungewöhnliches Lärmen, die Kellner liefen rufend und verwirrt durcheinander und Signor Luigi, der Wirt, stürzte in das Zimmer.

»Um aller Heiligen willen, Signori! kommen Sie, helfen Sie, es ist ein Unglück geschehen oder ein Selbstmord – ich weiß es nicht –«

»Was? wer?«

»Der Herr Graf von Sforza hat sich im Boskett des Gartens erschossen!«

Der Oberst trat erschrocken einen Schritt vor. »Das Papier, Herr Kamerad, das Papier!« sagte er französisch.

Der Adjutant Garibaldis hatte mit einer hastigen Bewegung das Couvert aufgerissen. Ein Blick auf den Inhalt genügte ihm. Er reichte ihn dem Franzosen.

»Lesen Sie!«

Es war ein richtiges Wechselformular. Der Inhalt lautete:

 

Mailand, den 12. Januar 1858.

»Zehn Minuten nach Sicht« zahle ich für diesen Wechsel an die Order »des Vorzeigers« die Summe von »meinem Leben mit eigener Hand«, den Wert »verpflichtet auf Ehrenwort.«

Die Querschrift lautete:

Angenommen
Francesco Conte Sforza.

 

Der Name »Heinrich Freiherr von Trautmannsdorf« war durchstrichen.

»Diese Herren,« sagte der Graf, während Signor Luigi bereits weiter geeilt war, um einen Arzt zu suchen, »werden uns wohl Aufklärung geben können!«

Er sah sich vergeblich um, weder der russische Fürst noch der Marchese Ferari waren mehr im Zimmer!

In der Ferne verhallten die Hörner der Alpenjäger. –


2. Das Kloster in den Alpen.

Am 27. war der Baron von Kellersberg mit der Antwort auf die Sommation in Mailand wieder angekommen.

Jedermann erwartete, daß nach dem Vorhergegangenen und bei der mit jeder Stunde Zeitverlust gefährdeten Lage noch an demselben Tage der Übergang der österreichischen Truppen über den Ticino und ihr Einmarsch in das sardinische Gebiet erfolgen würde.

Aber er unterblieb.

Erst am 29., also zwei Tagen nachher, erhielt der Feldzeugmeister Graf Gyulai, der Oberkommandierende der Armee in Italien, um Mittag die telegraphische Order von Wien, die Androhung des Ultimatums zu vollstrecken. Er rauchte eben bei Tisch gemütlich seine Pfeife im Kreise seiner Offiziere. Als er damit fertig war, klopfte er die Asche aus und gab den Befehl, daß die Truppen um 4 Uhr den Übergang beginnen sollten.

An seinem nördlichen Ausgang, wo er den Ticino von dem Flußbett des kleinen Bernardin aufnimmt, einem der Pässe der Schweiz nach Italien, gehört der Lago Maggiore, da der Kanton Tessin sich hier weit zwischen die sardinischen und österreichischen Grenzen hineinstreckt, der Schweiz.

Die Straße nach dem Süden führt von Bellinzona über den Monte Cenere, die letzte mächtige Alpenhöhe vor den Ebenen der Lombardei. –

Es war am Abend des 12. Mai.

In einer der Schluchten, die von dem gewaltigen Bergabhang nach dem See in der Richtung von Ranzo und Pino, der Schweizer Grenze, zu laufen, brannte unter einem überhängenden Felsen ein lustiges Feuer, an dem auf zwei improvisierten Gabeln das Viertel eines Schafes schmorte.

Die Gesellschaft um den improvisierten Braten war eine eigentümliche.

In der Mitte vor dem Feuer oder vielmehr vor dem Braten und diesen sorgfältig und mit lüsternen Augen beobachtend, saß ein Mann von kolossaler Schulterbreite. Der dicke Kopf auf einem kurzen Stierhals war von einer sehr vernachlässigten Tonsur bedeckt, und die ganze gedrungene breite, aber sonst sehr abgemagerte Gestalt in die schmählich reduzierte, hin und wieder mit einem bunten Lappen geflickte Kutte eines Bettelordens gehüllt.

Die großmäulige unverschämte Unterhaltung, die er ziemlich allein führte, war an einen seiner ebenso merkwürdigen Genossen gerichtet.

Deren Zahl belief sich auf vier, oder vielmehr auf fünf, wenn wir einen steifen englischen Diener mit wohlgepudertem Toupé dazu rechnen, der in einiger Entfernung hinter seinem Herrn saß.

Dieser sein Herr war der Kapitän Peard.

Der würdige Jäger auf Menschenfleisch, um den Todeskampf seines alten Gönners, des Viscount von Heresford, betrogen, hatte die Nachricht von dem Ausbruch des Krieges benutzt, um sich alsbald den Freikorps anzuschließen, bei deren Treiben er mehr Amüsement zu finden erwarten durfte, als bei der Ordnung einer festen militärischen Truppe.

Überdies war der Empfang, den er im sardinischen Hauptquartier gefunden hatte, infolge einiger Bemerkungen der französischen Offiziere ein keineswegs sehr aufmunternder.

Er hätte wahrscheinlich das Gewissen der weit über die Grenze der beiderseitigen Vorposten hinausschweifenden Marodeurs in arge Versuchung gebracht, wenn er nicht gescheit genug gewesen wäre, außer seinem von ihm zu dem Laden der Gewehre angelernten Diener nur jenes Gepäck bei sich zu führen, was allein für die Bequemlichkeit seiner Person und für seine Zwecke berechnet war. Überdies hatte er nach seiner Gewohnheit einen Kontrakt mit der Gesellschaft geschlossen, der ihr größere Vorteile aus einer ehrlichen Behandlung sicherte, als wenn sie ihn geplündert hätte. Anfangs war dies zwar von ihr versucht worden und bei dieser Gelegenheit hatte er eben ihre interessante Bekanntschaft gemacht.

Neben dem Exkapitän lag ein großer struppiger Kerl mit einem zerlumpten slowakischen Mantel bekleidet, und wärmte seine nackten Füße am Feuer. Um einen derselben war ein eiserner Ring geschmiedet, der das sehr verdächtige Ansehen hatte, als habe er früher zu einer Sträflingskette gehört und noch nicht entfernt werden können, denn an der Öse desselben hing noch das halb gebrochene Glied einer solchen. Der Kopf des Mannes war kahl geschoren, wie es in den Strafanstalten geschieht, und sein Gesicht hatte einen finsteren, unheimlichen Ausdruck. Ein Knüppel, oder vielmehr eine Art Keule, lag neben ihm, und er brütete mürrisch vor sich hin, ohne sich in die Unterhaltung der anderen zu mischen. Diese wurde in einem sehr schlechten Italienisch, untermischt mit französischen, spanischen und deutschen Ausdrücken, letztere in dem breiten schwäbischen Dialekt, hauptsächlich von seinem Kameraden geführt, der zwar keinen geschorenen Kopf hatte, weil dies bei seinem Haarmangel nicht möglich gewesen wäre, aber sonst in dem verdächtigen Aussehen ihm merkwürdig ähnlich schien. Es war ein alter Kerl, mit spitzbübisch pfiffigem, von zahlreichen Falten durchzogenem Gesicht, auf dem ein langes Leben voll Vergehungen und Leiden seine Spuren eingegraben hatte. Bei alledem lag aber in seiner Physiognomie eine gewisse Gutmütigkeit.

Der Leser hat in den vorher beschriebenen Personen außer dem verflossenen irländischen Mönch die beiden Sträflinge erkannt, die für den Einbruch bei dem Wechsler Mortara vor zwei Jahren auf Lebenszeit ins Zuchthaus gewandert waren, das letzte Mitglied der interessanten Gesellschaft endlich war der bucklige Jude Abraham, der ehemalige Diener des Juweliers und spätere Kundschafter des Jesuiten-Rektors.

Dies Handwerk war übrigens so sehr seinem Sinne und seinen Liebhabereien entsprechend, daß er es nicht aufgegeben, auch nachdem er im Laufe des letzten Jahres aus Furcht, teils vor dem finstern Fanatismus des Prälaten, teils vor der Gewalt, die dieser durch Kenntnis seiner Vergangenheit über ihn besaß, die Gelegenheit der politischen Wirren und der durch sie verursachten Aufregung benutzt hatte, um sich der Herrschaft der Jesuiten zu entziehen und jenseits der sardinischen Grenze einen neuen Schauplatz seiner Tätigkeit zu suchen. Schon seit Beginn der Truppenbewegungen war er einer der besten Kundschafter der alliierten Armee und diente namentlich jetzt auf dem nördlichen Terrain des begonnenen Krieges dem Hauptquartier des Generals Garibaldi und dem Korps des Marschall Canrobert als Spion.

Wir haben bereits aus einer kurzen Erwähnung des dem Stabe des Kaisers vorangegangenen Kammerherrn, des Obersten Grafen Montboisier, an der Tafel des »Hotel Feder« gehört, daß der Bucklige nicht mit leeren Händen seinen geistlichen Gebieter verlassen, sondern eine Schatulle mitgehen geheißen hatte, in der sich auch verschiedene Papiere befanden. Da sie sich aber meist auf die Tätigkeit des Jesuiten in einer früheren Periode seines Lebens und in weit entfernten Ländern bezogen, zum Teil auch in ihm unverständlichen Sprachen abgefaßt worden waren, hatte er sie entweder vernichtet oder bei zufälligen Gelegenheiten an Büchertrödler und Handschriftensammler verkauft, wie sich deren in den meisten größeren Städten Italiens genug finden.

Bei einer solchen Gelegenheit, das heißt, bei dem Besuch eines solchen Ladens, war es, daß der Bucklige dem französischen Obersten einige Reste seines Diebstahls und darunter das Dokument anbot, das der damalige Pater Antonio über die von ihm verrichtete Trauung des unglücklichen deutschen Fürsten von dem Pfarrer von Azcoitia nach dem Verschwinden oder vielmehr nach der Entführung der Moriska hatte aufnehmen lassen.

Die beiden Zuchthaussträflinge waren bei einer der Schanzarbeiten zur Verstärkung der Festungswerke von Verona entsprungen und hatten sich in die Gebirge an der Schweizer Grenze geflüchtet, wo sie sich mit mehreren ihres Gelichters Marodeure zwischen den beiden Armeen umhertrieben, die mit den Rechten der Neutralität versehenen Grenzen des Kantons Tessin zu ihrem Schutz benutzend. Bei diesem Treiben hatte sich ihnen der Mönch zugesellt, der schon seit mehreren Jahren von Rom verwiesen und in eines der armen Klöster seines Ordens im obern Tessin geschickt worden, von wo er sich zur großen Befriedigung des Superiors und seiner Confratres die Freiheit nahm, auf seinen Bettelzügen weit hinein ins Land zu streifen und oft wochenlang auszubleiben. Bei der Gelegenheit, die der Krieg zu allerlei Raub- und Plünderungszügen bot, hatte der liederliche Frater keinen Anstand genommen, sich dem Gesindel anzuschließen, wie es bald als Spione bald als Wegelagerer der Krieg namentlich in solchen Gegenden voller Schlupfwinkel und Verstecke immer erzeugt. Kapitän Peard hatte also die beiden Sträflinge mit ein paar anderen Marodeurs in eine Art Sold genommen, um die Rolle bei ihm zu spielen, die einst Felsenherz in den Urwäldern des Uruguay gehabt. Für jeden österreichischen Posten, den er Gelegenheit haben würde, aus sicherm Hinterhalt zu erschießen, sollten sie eine ansehnliche Belohnung erhalten, ein Handel, der ihnen vorteilhafter erschienen war, als die Ausplünderung seiner Person. Den Kapitän amüsierte die Originalität des Bettelmönchs, den er aus den früheren Erzählungen seines ermordeten Freundes, Lord Heresford, ohnehin kannte.

Mit dieser Gesellschaft war der Spion an der sardinischen Seite des Lago Maggiore zusammen getroffen und hatte sie bewogen, ihn nach den Schluchten des Monte Cenere zu begleiten, um so eine Art Unterstützung und Rückhalt für gewisse Aufträge zu haben, die ihm geworden. Trotz seiner untergeordneten Stellung übte er daher großen Einfluß auf die Banditen aus und leitete eigentlich ihr Verhalten.

Fra Pan schien ziemlich schlechte Tage gehabt zu haben, denn die aufgedunsene Haut seiner Backen hing in ein paar leeren Säcken herab und der wohlgemästete runde Bauch war verschwunden. Die armselige Kost des wallisischen Gebirgslandes schien ihm wenig zu behagen, wie seine lästerlichen Reden bald ergaben.

»Ich bitte Dich, Du beschnittener Nachkomme der ungläubigen Hunde, die unsern Herrn und Heiland ans Kreuz genagelt,« murrte er, »lasse diesen gottgesegneten Braten nicht verbrennen mit Deinem Geschwätz, sondern habe etwas mehr Achtung für einen geistlichen Magen, der seit vierundzwanzig Stunden nichts zu sich genommen, als ein Stückchen harten Käse. Ich will Dir etwas sagen, Du krummer Schuft, wenn Du mir wieder meine Portion in den Sand fallen läßt, wie gestern, will ich tausend Jahre im Fegefeuer schmoren, wenn ich Dich nicht so durchwalke, daß Dein Rücken gerade wird wie eine vierpfündige Wachskerze auf dem Altar der lieben Madonna von Lugano.«

»Haltet Euer Maul,« sagte der Jude giftig, »und macht nicht solchen Lärm, alter Weinschlauch!« Der Bettelmönch verdrehte seine kleinen Augen mit kläglicher Miene und faltete die gewaltigen Fäuste über dem eingefallenen Bauch, während er doch zu faul war, um das Geschäft des Bratenwendens selbst zu versehen.

»Misericordia! misericordia mea!« jammerte er weinerlich, »wie kannst Du mich einen Weinschlauch nennen, Akuschla, mein Liebling, der ich doch seit Jahren nichts mehr zu mir nehme, als die Milch dieser geizigen Bergbewohner und ihren sauren Bergwein, der mir die Eingeweide zusammenzieht, wie Rattengift, mir, einem Manne, der ein Licht der Kirche war in dem gesegneten Rom und niemals etwas anderes getrunken hat, als das kühle Gewächs von Orvieto oder den edlen Montefiascone zu fetten Wachteln und Stuffato alla casareccia mit Sellerie und Mentuccio. Ein Lieblingsgericht in römischen Restaurationen. Eheu! der Herr hat meine Sünden schwer heimgesucht, der ich doch meine Lenden mit dem Schwerte Petri gegürtet hatte, um den elenden Rebellen Garibaldi zu schlagen.«

»Was sagt der Pfaff?« fragte der Kapitän.

»Der Kerl ist verrückt, Signor Capitano,« bemerkte lachend der kleine Spion. »Er schimpft wie besessen auf den edlen General Garibaldi, während er doch die dreifarbige Kokarde an seiner Kapuze trägt und zur Armee Seiner Majestät des König Viktor Emanuel gehören will.«

»Er hat Durst!« sagte der kleine Kapitän. »Man muß ihm geben zu trinken!«

»Gott segne Sie, Mylord,« rief der Mönch, »und der heilige Antonius von Padua soll Ihnen das schönste Weib dafür ins Bett legen, ohne daß es sich in ein Teufelskind mit Fischschwanz verwandelt, wie es ihm selber passiert ist. Wenn Sie einen Tropfen Rum oder gar den gesegneten Tau des grünen Irlands für Ihren Landsmann bei der Hand hätten, wollt' ich Ihnen ein Lied singen oder eine Geschichte erzählen von einem hübschen Kinde von Nonne auf dem Esquilin und einem kleinen Halunken von Pastetenbäcker, daß Sie sich den Bauch halten sollen vor Lachen.«

»John!«

»Sir!«

»Du sollst geben dem Vikar mit die zerrissene Rock eine Flasche von meinem Rum!«

»Signor Capitano,« sagte vorbeugend Abraham, »es geht wahrhaftig nicht, daß dieser Säufer wieder betrunken wird. Er zieht uns mit seinem Lärm irgend eine Ronde der Vorposten auf den Hals!«

»Ich uollen haben auch mein Vergnügen,« beharrte der würdige Sohn Albions, seine Cigarre abstoßend. »Sie haben mich heute verhindert, zu schießen auf die Schildwach mit dem weißen Rock, obschon er gewesen ist vor meiner Buchs, ich uollen mich jetzt amüsieren wenigstens mit die dicke Pfaff.«

»Sir, ich durfte es unmöglich zugeben, um die verdammten Tedeschi nicht auf uns aufmerksam zu machen und wichtigere Leute als wir sind, damit zu gefährden. Morgen mögen Sie meinetwegen so viele Österreicher totschießen, wie Sie wollen und können.«

»Uah! – aber ich langweilen mir bis dahin. Sie eruarten einen Besuch, kleiner Abramo?«

»Ja, Signor. Es ist merkwürdig, daß unsere Wachen noch immer nicht hören lassen das Signal!«

In diesem Augenblick vernahm man das entfernte Balzen eines Auerhahns in der Richtung nach den Bergen zu.

»Gott soll mich strafen, wenn der Wolf nicht da ist, wenn man redet von ihm,« sagte hastig der kleine Spion. »Szabo, mein Freund, Du sollst aufstehn und gehn nach dem Weg, wo der Andrea ist aufgestellt als Schildwach und führen den Fremden hierher, wenn er ist der rechte, und wenn er hat das rechte Wort.«

Der ehemalige Wolfsjäger erhob sich mürrisch und verdrossen, wie er bisher am Feuer gelegen, nahm seine Keule und schritt zwischen die Felsen hinein, in deren Dunkel er sich alsbald verlor.

»Signor Inglese,« sagte demütig der Jude, »Sie wissen, daß wir sind arme Leute und müssen machen manch kleines Geschäft, um zu verdienen unser Brot. Wir bekümmern uns doch nicht um Ihre Angelegenheiten, Sie werden daher wohlthun, sich auch nicht zu bekümmern um die unsern, und wenn Sie kennen sollten einen von den Männern, die kommen hierher, werden Sie doch thun, als hätten Sie ihn nicht erkannt!«

»Uah! das geht mich nichts an! John!«

»Sir!«

»Setz' den Kessel zum Feuer, ich uollen haben meinen Thee!«

Der lange Bediente holte aus seinem Mantelsack einen Blecheinsatz und begab sich daran, für seinen Herrn den Thee zu machen.

»Sollen Sie doch kapores gehe, der Inglis und der Pfaff, wenn Sie uns kommen in den Weg,« zischte der Bucklige dem alten Diebe zu. »Es ist schlimm, daß Ihr sie geladen habt Euch auf den Hals und kann uns bringen viel Unglück.«

»Was isch da zu thun, die Sach isch halt nit zu ändern, der Englische bezahlt uns gut und dem Pfaff sollst Du halt nix thun, Abraham, denn er isch doch immer a heil'ger Moa, wenn er auch isch zuweilen betrunken wie a Vieh. Sie haben sich doch einmal mit ihm eingelassen, eh wir Dich getroffen haben drüben am See.«

»Aber ich sage Dir, Ihr sollt weit mehr verdienen, wenn Ihr Euch machen wollt los von dem Gojim und folgen meinem Rat!«

»Wir haben ä schlecht' Geschäft gemacht dabei, Buckliger. Statt der Diamanten und dem Geld, das Du uns versprochen hascht damals in Mantua, sind wir gekommen ins Zuchthaus, und Du bist gegangen frei aus!«

»Kann ich dafür, daß zwei so starke Kerls wie Ihr, Euch habt fangen lassen von Soldaten? Hab' ich nicht genug Angst ausgestanden seitdem und könnte jetzt sein ä reicher Mann, wenn Ihr hättet zugeschnürt dem alten Mortara fünf Minuten früher die Gurgel, daß er nicht könnt erheben ä solches Geschrei? Ihr habt mich bestohlen um mein Geld! Aber es ist vorbei und läßt sich nicht ändern. Wenn Ihr wärt, Du und der Ungar, noch ä paar Burschen von Mut, könnten wir machen ä Geschäft, das ist eben so gut, wie die Juwelen vom alten Mortara, der sei verflucht!«

»Wasch meinst Du, Buckliger?«

»Hast Du gesehen das Kloster auf der Straße am Berg?«

»Wie sollt ich nicht? Wir trieben uns ja schon drei Tage in der Nähe herum, und ich hab' doch gehen müssen auf Dein Geheiß heute morgen selbst in die Kirche zur heiligen Meß!«

Die Augen des Buckligen funkelten. »Hast Du gesehen die Rubinen und Brillanten und das edle Gestein,« flüsterte er ihm zu, »womit ist geschmückt das Bild des Weibes, daß ihr Gojim anbetet mit dem Kind?«

»Wie, Schuft, ein Kirchenraub?«

»Was is ä Kirche anders, wie jedes andere Haus? Wie kann ä alter Makkemer, Einbrecher. der gestohlen hat in Spanien und in Frankreich und in jedem andern Land sein Leben lang haben ä solches Bedenken!«

Der ehemalige Argelino erinnerte sich in der That an den Diebstahl eines gewissen silbernen Kruzifixes zur Zeit, als er unter den Cristinos diente, Villafranca 2. Teil S. 86. und begnügte sich, einige unbedeutende Einwendungen zu erheben, indem er fragte, wer bei dem Einbruch dabei sein solle.

»Du, ich, der Szabo und Andrea der Schweizer werden genug sein, während der Piemontese bei dem Mönch und dem Inglesi zurückbleiben mag. Aber horch! da kommt der Ungar zurück mit dem Mann, den er herführen sollte, wir werden später darüber sprechen das Nähere.«

Er ging den Ankommenden entgegen, während Fra Pan, sobald er den Rücken gewandt hatte, in der Besorgnis, durch die neuen Gäste in seinem Anteil an der Mahlzeit beschränkt zu werden, sich eilig daran machte, ein großes Stück von dem Lammbraten abzuschneiden und beiseite zu bringen.

Aus dem Gestrüpp und den Windungen der Felsen, welche die Schlucht umgaben, trat der Slowak, am Zaum ein Maultier führend, auf dem ein langer, hagerer Mann in der Kleidung eines Vetturins saß, welche die Wagen oder die Züge beladener Maultiere über die Gebirgsstraßen führen.

Als der Reiter in den Lichtkreis des Feuers trat, sah man, daß er ein bereits bejahrter Mann mit weißem Bart und lebhaftem dunklen Auge war. Trotz des Alters schien die hagere, sehnige Gestalt ein um so weniger zu verachtender Gegner, als aus dem breiten Tiroler Gürtel die Kolben von einem paar kurzen Revolvern hervorsahen.

Zum Erstaunen des Buckligen, der eben nur den Reiter erwartete, war dieser aber nicht allein, sondern von einem Fußgänger begleitet, dessen Äußeres, so einfach es war, doch Aufmerksamkeit erregen mußte. Es war ein junger, schlank aufgeschossener Mann von etwa ein- oder zweiundzwanzig Jahren, in dem engen schwarzen Rock und mit der viereckigen dunklen Kappe eines Schülers oder Novizen des Jesuitenordens. Sein schön und kühn gebildetes Gesicht war hager und blaß und unter der Mütze unordentlich von schwarzem halbgelocktem Haar umhangen; es zeigte einen wechselnden Ausdruck von Neugier, Besorgnis und Entschlossenheit.

In dem Augenblick, als der Reiter sich von dem Maultier schwang und der junge Jesuit an seiner Seite im Schein des Feuers stehen blieb, wurde von zwei Seiten ein Ausruf des Erstaunens und der Überraschung laut.

Der kleine bucklige Jude schlug die Hände zusammen. »Fra Felizio? Gott Abrahams, wie kommen Sie hierher?«

Auch der Dieb, der frühere Argelino, war aufgesprungen und starrte mit weit geöffneten Augen auf den jungen Mann. »Principe! Principe Felizio,« stammelte er erschrocken.

Der Novize war auf den Juden zugetreten und reichte ihm die Hand. »Abramo!« sagte er sichtlich erfreut. »Das ist ein Glück, daß ich einen Bekannten finde! Du wirst mich nicht verlassen und mir beistehen, wenn man mich verfolgt!«

»Euch verfolgen, Fra? wer sollte Euch verfolgen?«

»Wer anders als er! ich habe es gemacht, wie Du, weil ich ihre Tyrannei nicht länger ertragen konnte, ich bin entflohen.«

»Aber wo kommt Ihr her?«

»Ich begegnete ihm etwa eine Miglie von hier.«

»Und der Reverdissimo? wo ist der Prälat?«

»Der Rektor? Er ist in dem Kloster, aus dem ich komme!«

Der Spion, den diese Nachricht offenbar sehr zu überraschen schien, hätte gern noch weiter gefragt, wenn der Fremde in der Kleidung eines Vetturin sich seiner nicht bemächtigt hätte.

»He, Bursche,« sagte er rauh, »ich dächte, es wäre Zeit, daß Du Dich etwas um mich bekümmerst. Sind die Personen angekommen, mit denen ich hier zusammentreffen soll?«

»Noch nicht, Signor, aber ich erwarte sie jeden Augenblick. Die Bucht, wo ihr Kahn landen soll, ist keine halbe Stunde von hier, und es steht ein sicherer Mann dort Wache, um sie hierher zu begleiten.«

Der Fremde nickte. »Es ist gut! Laß einen von den Männern hier das Maultier besorgen und komm ein wenig zur Seite, ich habe Dich einiges zu fragen!«

Der Jude gab Szabo, der sich bereits wieder zu Boden geworfen, den Auftrag, dem Maultier Zaum und Sattelgurt zu lockern und es zu einer nahen Quelle zu führen, dann folgte er dem Vetturin nach einem etwa zwanzig Schritt von dem Feuer entfernten Raum zwischen den Felsen.

»Was befehlen Sie, Signor Gonelli?« fragte er ehrerbietig.

»Du kennst den jungen Priester, der in meiner Begleitung gekommen ist?«

»Ja, Excellenza!«

»Wer ist es?«

»Er heißt Felizio und ist ein Novize des Jesuiten-Seminars in Bologna,« berichtete der Jude, »oder vielmehr der Sekretär des hochwürdigen Rektors Corpasini, der ihn behandelt hat sehr schlecht, obschon er ist ein guter und stiller Jüngling.«

»Corpasini? des Rektors der Kongregation von Bologna, der Spanier? einer der bittersten Feinde der Sache des Volkes und der Freiheit! Einer jener Finsterlinge, die unser schönes Land zur Hölle machen.«

»Sie zeichnen recht, Signor, und es hat zu bedeuten nichts Gutes, daß er ist in der Nähe! Aber darf ich fragen wie Sie gekommen sind an den Jüngling?«

»Ich begegnete ihn etwa eine Miglie von hier auf der Straße und hielt ihn anfangs für einen der Unseren, den Du abgeschickt, mir den Weg zu zeigen, bis seine ängstlichen Antworten und sein Geständnis mir erklärten, daß er hier fremd sei und die Absicht habe, zu den Unseren zu flüchten. So trafen wir auf Deinen Posten, und ich hielt es für das beste, ihn mit hierher zu bringen. Was weißt Du mehr von ihm?«

»Es ist ein Geheimnis um den Burschen,« sagte der Jude. »Es haben mir geboten vor einem Jahr in Mailand zwei vornehme Herren Geld, wenn ich könnte ausspionieren Näheres über seine Herkunft, die doch der Priester hält geheim, und von der er selber nichts weiß, als daß er gelebt hat als Kind im Land Spanien. Warum hat ihn gehalten der Prälat bei sich, während er doch hat einen großen Haß gegen ihn?«

»Ich werde später mit ihm sprechen, denn die Anwesenheit des Jesuiten hier im Tessin hat sicher ihre Bedeutung. Behandelt den Burschen gut und bringt ihn zum Reden. Wo ist der Ort der Zusammenkunft?«

»Keine zehn Schritte von hier um jenes Gestein ist die verlassene Hütte eines Holzfällers, die geben kann Obdach und Raum. Wir haben zugebracht darin zwei Tage so sicher, wie in Abrahams Schoß.«

»Darf man den Männern, die in Deiner Begleitung sind, vertrauen? Ich wünsche nicht, daß der verrückte Engländer mehr von uns sieht, als unvermeidlich ist!«

Der Jude schnalzte mit den Fingern. »Er ist ein Amalekiter, der dürstet allein nach Blut, bis sie ihm selbst kommen werden an den Hals. Ich habe ihm versprochen, daß er morgen schießen wird auf die Weißröcke, und das ist alles, was er will!«

»Wo stehen die Posten der Österreicher auf dieser Seite des Sees?«

»Auf der Straße von Laveno nach Luveo und Varese und eine Miglia über die Tresa hinaus. Nachdem ich hab' gebracht Euer Excellenza die Botschaft nach Bellinzona, bin ich gewesen auf Kundschaft bis Como hinab.«

»Und welche Nachricht?«

»Die Tedeschi werden sich ziehen morgen bis Como zurück. Ich habe zu bringen dem General Garibaldi ein Papier von dem Kapitän, der ist ein Verräter an seinem Kaiser!«

»Gieb!«

»Ich muß es doch geben in die Hände des Generals selbst oder der Boten, die er senden wird heute abend zu sprechen mit Euer Excellenz. Aber ich will werden gehängt, wenn das nicht ist das Signal, daß kommen die Signori vom drüben überm See. Ich will Euer Excellenza führen zu der Hütte und dann ihnen entgegen gehen.«

»Ich werde Dich begleiten! Geh' voran!«

Der Bucklige ging voran, dem Eingang der Schlucht zu, von wo man alsbald das Geräusch von Nahenden hörte.

Die Nacht war sternenhell, so daß sich der Weg leicht erkennen ließ. Ehe sie noch den Eingang der Schlucht erreicht hatten, kam ihnen der Marodeur entgegen, der zu der Bande des Spions gehörte, und hinter ihm drei Männer, in ihre Mäntel gehüllt.

Die weiße Farbe von zweien derselben und das Klirren der Waffen bei ihrem Gang zeigten, daß sie Soldaten waren; der dritte hielt sich etwas zurück und hatte sich den Mantelkragen über das Gesicht gezogen.

Der Vetturin blieb stehen.

»San Pietro!« sagte er.

»In Montorio!« antwortete der Vorderste. »Es ist alles in Ordnung. Seien Sie gegrüßt, Giuseppe!«

Der Vetturin reichte ihm die Hand. »Sie sind es selbst? Das ist mir doppelt lieb. Aber ist es nicht ein zu großes Wagnis? Wenn die Österreicher wüßten, wen sie hier fangen könnten, würden sie mit Vergnügen ein Regiment opfern.«

»Sie könnten einen noch besseren Fang machen, als einen alten Soldaten, der leicht zu ersetzen ist,« sagte munter der Offizier im Mantel. »Aber beruhigen Sie sich, wir sind nicht so ganz ohne Beistand, denn ich habe dieses Herrn wegen ein Detachement meiner Scharfschützen am Ufer des Sees zurückgelassen.«

»Und wer ist der Signor, General?«

»Das sollen Sie sogleich erfahren, wenn Sie uns erst an Ort und Stelle gebracht haben, wo wir ohne Zeugen miteinander plaudern können. – He, Bursche, geh' voran und zeige uns den Weg!«

Der Bucklige, der nicht versäumt hatte, die Ohren zu spitzen, und der höchstens einen Offizier des Hauptquartiers statt des Generals selbst erwartet hatte, beeilte sich, die Angekommenen nach der Hütte zu führen, von der er gesprochen, und wollte im Innern alsbald Licht machen, in der Hoffnung, noch weiteres zu sehen und zu hören, aber seine Absicht wurde vereitelt.

»Es ist gut, Schelm,« sagte der General, »wir haben das Nötige bei uns. Jetzt pack Dich, bis Du gerufen wirst und sorge dafür, daß sich keine Menschenseele auf fünfzig Schritt nähert, denn ich versichere Dich, dieser Herr hier« – er wies auf den zweiten Offizier – »versteht keinen Spaß und wird jeden über den Haufen schießen, der sich ohne Erlaubnis nähert.«

»Abramo,« erinnerte der Vetturin, »hat Ihnen noch ein Papier zu geben, das er von unserm Agenten in Como erhalten hat.«

»So gieb, und laß Deine Burschen Aug' und Ohren offen haben, damit uns niemand überrascht. Wenn irgend eine Gefahr droht, meldest Du es sofort diesem Offizier. Jetzt fort mit Dir und Deinen langen Ohren!«

Der Bucklige verschwand, während der General die Thür öffnete. »Treten Sie ein, Signor, ich werde sogleich Licht machen. François, mein Sohn, Du hast Deine Order, und ich verlasse mich auf Dich!«

»Ohne Sorge, General!«

Der Offizier zog einen Revolver aus dem Säbelgurt, machte den Arm vom Mantel frei und begann seine Ronde um die einsame Gebirgshütte, während sein Befehlshaber im Innern Licht machte und eine Kerze anzündete, die er aus einer Fouragetasche nahm, die sein Adjutant ihm gereicht hatte.

»So, Signori, wir können uns auf Laforgne verlassen, er wird keine Alpenmaus diesem Ort zu nahe kommen lassen. Der Major ist noch einer der letzten meiner Treuen von der Itaparica! Wir werden alt, Giuseppe, aber es thut nichts, denn wir haben jetzt die Gewißheit, die Freiheit Italiens auf der Spitze unserer Säbel zu tragen. Einen Augenblick, damit ich sehe, was man aus Como uns meldet.«

Er nahm das Papier, das der Jude ihm gegeben, und suchte bei dem Licht der Kerze den in Chiffern bestehenden Inhalt zu lösen.

Der angebliche Vetturin hatte unterdes wiederholt den scharfen Blick seines tiefliegenden Auges auf den Unbekannten im Mantel gewandt, der auf einem der Holzblöcke Platz genommen, welche die Vorsorge des Spions in die leere Hütte geschafft hatte.

Plötzlich schlug der Fremde den Mantel zurück, nahm den Hut ab und sagte lachend:

»Guten Abend, Signor Mazzini! Es ist in der That einige Zeit her, daß wir uns nicht getroffen haben, und Sie scheinen dadurch vergeßlich gegen alte Freunde geworden zu sein!«

Der berühmte Verschwörer der von seinem Hauptquartier, dem Kanton Tessin aus, eine persönliche Besprechung mit seinem alten Kampfgenossen halten wollte, schien, was ihm gewiß selten passierte, wirklich überrascht.

»Euer Excellenz in Person? In der That, das hätte ich nicht erwartet. Die Überraschung ist natürlich um so angenehmer!«

»Wir haben uns nicht gesprochen seit dem Abend im Kabinett des Lord Cowley, Signor, der jetzt Feuer und Flammen speit über die kleine Mystifikation, die wir uns mit ihm in Wien erlaubt haben.« II. Band, S. 303. Der sardinische Premier reichte ihm die Hand. »Wenn wir uns aber auch nicht gesprochen, so haben wir desto mehr zusammen gehandelt, und weil Sie doch nicht gut zu mir nach Turin oder Alessandria kommen können, da wir übermorgen den Kaiser Louis Napoleon erwarten, so habe ich die Gelegenheit benutzt, um unterm Schutz des Generals Ihnen hier im Tessin einen kurzen Besuch zu machen.«

»Euer Excellenz sehen mich sehr dankbar!«

»Ich bitte, setzen Sie sich, denn Sie können sich denken, daß ich große Eile habe und noch diese Nacht wieder zurück muß. Aber es ist durchaus nötig, daß wir uns wegen der Bewegungen im Norden verständigen, die uns den Rücken decken und Österreich isolieren sollen. Sind Sie fertig, General?«

»Ja, Excellenza. Die Nachricht lautet, daß Giulay infolge der Nachrichten, die über ein Vorgehen der Alliierten auf dem rechten Poufer gegen Piacenza verbreitet wurden, jeden Gedanken gegen die Dora Baltea aufgegeben hat und seine Hauptmacht eiligst wieder hinter die Sesia zurückzieht.«

Der Graf lachte. »Es war ein Meisterstreich der Franzosen,« sagte er, »in Wien die Ernennung von Heß zu verhindern und durch den Hofklatsch über sein Urteil in betreff des anonymen Feldzugsplanes des Kaisers Franz Joseph diesen gegen ihn einzunehmen. Die Ernennung des Grafen Giulay zum Oberbefehlshaber der Armee in Italien auch während des Krieges ist für uns so viel, als eine bereits gewonnene Schlacht. Bedenken Sie, in welche Klemme wir hätten geraten müssen, wenn die Österreicher sofort am Siebenundzwanzigsten, wo noch kein Mann der französischen Hilfe den Mont Cenis überschritten hatte und erst am Tage vorher die Spitze des Korps von Baraguay d'Hilliers in Genua gelandet war, auf dem rechten Poufer zwischen Alessandria und Novi vorgegangen wären und uns so von Genua abgeschnitten hätten! Statt dessen hat man uns volle zwölf Tage Zeit gelassen, unsere Vereinigung zu bewirken und unsere Aufstellung zu nehmen. Cospetto, ich bin kein Soldat, aber ich glaube, ich hätte mit hundertvierzigtausend Mann hinter mir die Sache besser gemacht.«

»Der Feldzeugmeister,« sagte der Verschwörer spottend, »hat sich eingebildet, den Feldzug Radetzkys kopieren zu können. Er hat genau seine Märsche und seine Hauptquartiere eingehalten!«

»Aber nicht die Siege des Löwen,« bemerkte der General ernst. »Man sucht und schlägt den Feind nur dort, wo er wirklich ist, und deshalb muß ich nach Como!«

Der berühmte Condottieri hatte in der That mit wenig Worten den großen Fehler gekennzeichnet, den der österreichische Oberbefehlshaber begangen.

Man hatte den rechten Augenblick versäumt, und dann hatte man den Feind gesucht, wo er nicht war. Aus der mit jeder Chance eines glücklichen Erfolges ausgestatteten Agressive war man freiwillig in eine unglückliche Defensive zurückgetreten.

Die wichtige Frage, wer den Oberbefehl über die italienische Armee erhalten würde, hatte vor Beginn des Feldzugs das allgemeinste Interesse erregt. Aller Augen richteten sich auf den Feldzeugmeister Heß, den rechten Arm Radetzkys. Aber leider siegte die bureaukratische Schablone bei der wichtigsten Wahl, und während sonst an allen Stellen die durchgreifendsten Veränderungen erfolgten, gewann hier die altaristokratische Partei in dem Einfluß des Grafen Grünne die Oberhand, und der bisherige Chef der zweiten Armee, Feldzeugmeister Graf Giulay, behielt auch für den Krieg den Oberbefehl.

Graf Franz Giulay von Máros Nemeth und Nadaska, dem vornehmsten ungarischen Adel angehörig, war 1816, damals 18 Jahre alt, in die Armee getreten und schon 1837 General. In den Stürmen des Jahres 1848 war er als Divisionär provisorischer Kommandant des Küstenlandes von Triest, wo es ihm gelang, den Aufstand niederzuhalten und die Flotte zu retten. Im Jahre 1849 für kurze Zeit Kriegsminister, wurde er nach Radetzkys Rücktritt Generalstatthalter der Lombardei und Chef der zweiten Armee. Ein gewisses Organisationstalent und seine Strenge beim Niederhalten des Aufstandes hatten ihm das Vertrauen des Kaisers erworben, aber keine Erfahrungen des Schlachtfeldes machten ihn für die Übertragung eines so wichtigen Oberbefehls tauglich, und der Erfolg zeigte, wie sehr es ihm an den nötigsten Eigenschaften eines Feldherrn fehlte: an Entschlossenheit und Thätigkeit.

Die Sardinier hatten zwar die Dora-Baltea-Linie zwischen dem linken Ufer des Po und den Alpen befestigt, um auf dieser Turin zu decken, ihre Hauptmacht bildete aber die feste Stellung von Alessandria auf der rechten Seite des Po, der sich oberhalb dieser Festung bei Valenza nach der Lombardei wendet und von Pavia ab an Piacenza und Cremona entlang ihre südliche Grenze bilden nachdem er von Norden her zunächst die Dora-Baltea, die Sesia und den Grenzfluß der Lombardei im Westen, den aus dem Lago Maggiore kommenden Ticino, aufgenommen hat.

Bei Pavia hatte sich zum Übergang über den Ticino oder Po die österreichische Macht versammelt, die für den Angriff ungefähr 100 000 Mann zählte.

Die ihr gegenüberstehende sardinische Armee war damals etwa 64 000 Mann stark, also weit schwächer, als die Österreicher. Die Stellung, die sie eingenommen, sollte im Norden das Herankommen der Franzosen über den Mont Cenis und Turin, im Süden von Genua her decken.

Wie der Graf Cavour in seiner scharfen Kritik der österreichischen Operation bemerkte, traf die Spitze der französischen Kolonnen über den Mont Cenis erst am 30. in Turin ein, in Genua am 20.

Ein rasches Vorgehen im Norden oder Süden hätte demnach die Österreicher in den Stand gesetzt, die Piemontesen gegen die Alpen oder Genua, bei einiger Entschlossenheit selbst auf beiden Seiten, von der französischen Hilfe abzuschneiden und den Krieg wahrscheinlich gleich zu Anfang mit einem ähnlichen Schlage wie zehn Jahre vorher bei Novara zu enden oder wenigstens ganz anders zu gestalten.

Leider ließ sich das Kabinett von Wien infolge der französischen und russischen Intriguen nach der Beantwortung seines Ultimatums durch einen Vermittelungsvorschlag Englands und Preußens nochmals hinhalten.

Damit gingen wiederum zwei Tage verloren; Frankreich, das jetzt die Spitzen seiner Kolonnen in den sardinischen Grenzen hatte, warf die Maske ab und verwarf die Vermittelung. Jetzt erst traf der Befehl von Wien ein, die Drohung des Ultimatums zu vollstrecken, und der Einmarsch erfolgte.

Auch zu dieser Zeit wäre die Isolierung der sardinischen Streitmacht und das Zurückwerfen der französischen Kolonnen noch möglich, ja leicht gewesen. Jeder mit den Verhältnissen des Terrains und der Stellung der Gegner vertraute Militär erwartete daher den Übergang nach dem rechtem Ufer des Po und das Vordringen der Österreicher gegen Novi und Genua, ehe die alliierte Armee sich dort zu konzentrieren vermochte.

Statt dessen verlegte der Feldzeugmeister sein Operationsterrain nach dem linken, dem nördlichen Ufer des Po. Wäre es geschehen, um direkt auf Turin zu gehen, so hätte diese Wahl eine strategische Bedeutung gehabt; denn die Sardinier in ihrer Stellung bei Alessandria und Casale waren noch nicht stark genug, um ernstlich seine Flanke zu bedrohen. Allein der Feldzeugmeister begnügte sich in der That mit einer Nachahmung der Märsche und Hauptquartiere Radetzkys in dem fünftägigen Feldzug von 1849, ohne aber einen Feind vor sich zu haben. Er besetzte ohne Widerstand Vercelli und Novara, und während ein Seiten-Detachement von Laveno her über den Gardasee setzte und seine Posten nach Gozzano vorschob, machte man plötzlich am 2. Mai Halt auf dem Wege nach Turin und wandte sich wieder nach dem Po.

Es schien einen Augenblick, als habe der Feldzeugmeister seinen Fehler erkannt und wollte ihn wirklich durch einen Übergang auf das rechte Ufer verbessern. Bei Casale wurde eine Brücke geschlagen, eine Brigade des 8. Korps ging am 3. über den Fluß und drang bis Voghera und Tortona vor. Aber jetzt traten heftige Regengüsse ein, welche die zahlreichen kleinen Flüsse anschwellten und das sumpfige Terrain der Reisfelder unter Wasser setzten. Um nicht von dem Hauptkorps abgeschnitten zu werden, mußte die Brigade zurück, und selbst der Versuch, die Eisenbahnbrücke bei Valenza zu sprengen, konnte infolge der falschen Minierung erst am 7. ausgeführt werden.

Alles dies geschah, während doch die starke Festung Piacenza ein offenes und sicheres Thor nach dem rechten Poufer bot!

Jetzt wandte sich der Feldzeugmeister zum zweitenmal nach dem Norden und dem Wege nach Turin über die Dora-Baltea zu. Die Truppenmassen wurden vom linken nach dem rechten Flügel geworfen, und das Gros drang am 8. und 9. bis San Germano auf der Straße von Vercelli nach Turin und Ivrea vor, während Streifkorps bis nach Biella und Livorno in der Richtung nach Turin gingen, von dem sie jetzt etwa noch 6 deutsche Meilen oder 24 Miglien entfernt waren.

Man glaubte Turin bereits verloren.

Da machte die österreichische Armee zum zweitenmal Halt, die vorgeschobenen Brigaden wurden zurückgezogen, die Hauptmacht ging wieder über die Sessia zurück, die Regimenter marschierten nach dem linken Flügel und – man stellte sich in die Defensive.

Welchen deprimierenden Eindruck diese ganz nutzlosen und ermüdenden Operationen auf die Truppen machten, wie sehr sie das jeder Armee so notwendige Vertrauen auf den obersten Führer schwächen mußten, läßt sich denken.


»Geduld, Geduld, General,« sagte lächelnd der Minister. »Noch einige Tage, und Sie sollen plein pouvoir haben, mit Ihren Tapferen hervorzubrechen und die Österreicher bis an den Gardasee zu jagen. Es ist einer der Gründe, Signor Mazzini, die mich veranlaßt haben, selbst hierher zu kommen, daß ich von Ihnen Gewißheit erhalten möchte, was wir in den Städten der nördlichen Lombardei zu erwarten haben, nachdem wir Ihrer Agitation im Süden so viel verdanken.«

»Como, Bergamo, Brescia, Signor Conte, warten nur auf Ihren ersten Sieg,« erklärte der Revolutionär, »um sofort die Fahne der Freiheit zu erheben. In Como hat man bereits gestern den Versuch dazu gemacht, aber er wurde von den Tyrannen unterdrückt. Bis nach Verona und dem Gardasee steht das Land Ihnen offen, sobald Sie im Besitz von Mailand sind.«

»Das wird allerdings erst einer blutigen Schlacht bedürfen,« meinte der Minister. »Aber was können Sie uns aus Venedig für Aussichten eröffnen?«

»Der neue Imperator des Jahrhunderts,« sagte mit Hohn der Verschwörer, »hat ja in der Proklamation aus Paris seine Ehre verpfändet, daß Italien frei sein soll bis zur Adria oder die Österreicher herrschen müßten bis zu den Alpen. Trauen Sie etwa der Macht oder dem Willen Ihres großen Verbündeten nicht genug, Signor, um zu zweifeln, daß er dieses Wort lösen wird?«

Der Minister erwiderte die spöttische Bemerkung mit einem diplomatischen Lächeln.

»Sie wissen so gut wie ich, Signor,« sagte er, »daß der Kaiser Louis Napoleon gerade so weit und nicht einen Schritt weiter gehen wird, wie sein Vorteil es ihm erlaubt. Wir sind vollkommen darauf gefaßt, aber wir wissen auch, daß in diesem Augenblick Frankreich weit genug engagiert ist, um uns nicht mehr im Stich lassen zu können. Eine Niederlage auf diesem Kriegstheater könnte den Kaiser seine Krone kosten. Die Österreicher müssen also geschlagen werden; das ›wie oft‹, und ›wie weit‹ ist freilich eine Sache, die sich aller Berechnung entzieht. Es kommt vor allem darauf an, ihm die Unterstützung im Norden abzuschneiden, nachdem Modena und Toscana die Fahne des Aufstandes erhoben und die Fürsten weggejagt haben. Die Komödie in Parma, wo man die Herzogin wiedergeholt und unsere Freunde verjagt hat, wird nicht lange dauern. Die Österreicher können Bologna und die Legationen nicht halten, selbst, wenn der Prinz Napoleon mit seiner gewöhnlichen Trägheit ihnen alle Zeit läßt. Ich wiederhole also meine Frage, wie steht es in Venedig?«

»Rigoberti hat mir gestern Bericht gesandt. Die Gräfin Stravelli ist überaus thätig, aber sie muß fürchten, jeden Augenblick entdeckt und mindestens ausgewiesen zu werden. Die Besatzung wird durch die fortwährenden Truppenzüge mehr als verdoppelt und die Österreicher sind auf ihrer Hut. Es ist ein Unglück, daß wir den Wechsel der italienischen Regimenter nicht haben verhindern können! Die unteren Volksklassen in Venedig sind leider durch ihren pekuniären Vorteil apathisch geworden für den Ruf der Freiheit! Ich fürchte, gerade herausgesagt, Venedig ist für die Revolution verloren, und das Waffenglück allein kann es uns gewinnen. Erst wenn die französische und russische Flotte vor dem Lido liegt und Triest bombardiert, sind wir des Sieges gewiß!«

Der Minister zuckte die Achseln. »So ist Ihnen die Erklärung Ihres guten Freundes Palm noch unbekannt?«

»Welche, Excellenza? Sie können denken, daß hier im Tessin die Verbindung mit den äußeren Verhältnissen schwieriger ist, als bei Ihnen in Turin!«

»England hat erklärt, Gibraltar sperren zu wollen, wenn die russische Flotte durch den Sund geht!«

»Was fragen wir nach den Russen, da die französische Escadre im Mittelmeer mit Ihren Schiffen zahlreich genug ist, um die See vom Bosporus bis zu den Säulen des Herkules zu beherrschen. Die österreichische und neapolitanische Marine können unmöglich widerstehen.«

»Wir haben für das Bündnis vom zweiundzwanzigsten einen Kaufpreis zahlen müssen,« sagte der Minister zögernd, indem er zugleich einen besorgten Blick auf den General warf.

»Für das geheime Bündnis Frankreichs mit Rußland und Dänemark?« fragte der berühmte Führer der Freikorps. »Euer Excellenz wissen, daß die Politik gerade nicht meine starke Seite ist, Sie werden uns daher verbinden, wenn Sie sich in dieser Beziehung etwas klarer aussprechen wollten!«

Der Graf fühlte offenbar die Schwierigkeit der Aufgabe, die er selbst übernommen, um das Unangenehme der Mitteilung möglichst zu mildern und jeden Zwiespalt zu vermeiden.

»Sie wissen beide,« sagte er endlich, »wie wichtig und notwendig uns die Neutralität Englands ist. Tritt England gegen uns offensiv auf, so folgt ihm Preußen, und Österreich hat dann ganz Deutschland hinter sich. Pelissier mit seinem Observationskorps kann unmöglich den Rhein decken, der Kaiser würde in Paris geblieben sein, und die französische Hilfe würde ziemlich kärglich werden.«

»Der Kampf muß am Ende doch kommen, so oder so!«

»Aber erst, wenn Österreich geschwächt ist und wir Italien haben. Jetzt einen allgemeinen Krieg der romanischen Stämme gegen die germanischen heraufzubeschwören, würde eine Unvorsichtigkeit sein, die die schwersten Folgen haben könnte. Auf Rußlands unbedingte Hilfe ist nicht zu bauen, so lange es Polen nicht freigeben will, und das thut der Sohn des Kaiser Nikolaus niemals.«

»Kommen wir zur Sache, Signor Conte,« sagte der General finster. »Die Mitteilung muß schwer genug wiegen, da Sie es vorgezogen haben, dieselbe nur uns beiden zusammen zu machen.«

Der Verschwörer hörte stillschweigend zu, ohne eine Bemerkung zu machen. Nur sein scharfes Auge beobachtete streng das unruhige des Diplomaten.

»Die Sache ist die,« sagte der Graf, »daß wir uns verpflichtet haben, die Adria freizulassen und der englischen Flotte ihre Sperrung anheimzustellen.«

Der Leiter der italienischen Verschwörungen, der Mann, der ein ganzes Leben lang unter tausend Gefahren sich gemüht hatte und endlich sich am Ziel seines Strebens sah, schaute finster auf ihn. »Wie, Excellenz das haben Sie gethan!«

»Es war nicht anders möglich!«

Der General ließ rasselnd seinen Säbel in der Scheide auf den Boden fallen.

»Und Sie glauben wirklich, daß wir mit diesem Schandvertrag uns einverstanden erklären würden?«

Der Minister zuckte die Achseln.

»Was wird uns anders übrig bleiben!«

»Aber das heißt Italien verkaufen!«

»Nicht, wenn wir die Österreicher besiegen!«

Der Verschwörer lachte spöttisch auf.

»Euer Excellenz und der Kaiser Napoleon haben der Liga versprochen, Italien bis zur Adria frei zu machen. Venedig kann nur mit den Flotten genommen werden! Wie wollen Sie diesen Vertrag mit Ihren Versprechungen gegen die Patrioten in Einklang bringen?«

Der Minister hatte sich gefaßt, er sah dem Agitator jetzt ruhig ins Gesicht.

»Ich habe Ihnen die Gründe auseinandergesetzt, Signor Generale, die uns genötigt haben, diese Bedingung für die Neutralität Englands anzunehmen. Im Fall es uns gelingt, Österreich auch ferner von seinen natürlichen Bundesgenossen zu isolieren, ist der Erfolg dennoch unser. Nicht die Flotten, sondern die Verträge werden es alsdann ganz vom italienischen Boden verdrängen und Venedig befreien!«

Der General schüttelte unwillig den Kopf. »Ich habe Euer Excellenza schon gesagt, ein ehrlicher Krieg sollte auch ehrlich ausgefochten werden. Die verdammten Federfuchsereien dazwischen thun nie gut und verderben die besten Erfolge. Ich will Euer Excellenz wünschen, daß Sie sich und uns nicht damit getäuscht haben, aber ich erkläre offen, daß ich meinen Säbel allen Diplomaten Europas zum Trotz nicht niederlegen will, bis Italien von einem Ende bis zum andern frei ist, und sollte ich allein den Kampf versuchen!«

Der Graf reichte ihm die Hand. »So lange Camillo Cavour lebt, General Garibaldi,« erwiderte er ernst, »werden Sie in diesem Kampf niemals allein stehen. Glauben Sie mir, daß auch in der Brust des Mannes der Feder und des Worts die gleiche Begeisterung für das Vaterland, der gleich tapfere Geist lebt, wie in der des Soldaten. Aber die Klugheit lehrt mich, zur rechten Zeit nachzugeben, um den Erfolg zu sichern. Der Vertrag von Plombières, Signori, hat meinem Herzen eine tiefere Wunde geschlagen, als die Bedingung Englands sie Ihnen verursacht. Der Kaufpreis für die Freiheit Italiens lastet schwer auf meinem Herzen.«

»Ich verstehe Euer Excellenz nicht!« sagte fragend der General.

»Es ist nicht nötig, Giuseppe,« unterbrach ihn der Verschwörer. »Möge der Herr Graf nur sein Wort halten in der Gegenwart, das weitere ist die Sache der Zukunft. Ich denke, wir sind nicht hier zusammengekommen, um über die Verträge von Plombières und Paris zu jammern, sondern den möglichsten Nutzen aus ihnen zu ziehen. Was, Signor Conte, wünschen Sie von mir, daß die Liga thun soll?«

»Zunächst, Signor Mazzini, ist es unbedingt notwendig, daß Polen während der nächsten zwei Jahre vollständig ruhig erhalten wird. Die russische Regierung darf dort keine Besorgnis hegen!«

»Die polnische Nation, Signor Conte, hat so lange gelitten, daß sie auch länger warten kann, wenn sie nur weiß, daß ihre Zeit kommen wird. Was weiter?«

»Wenn es nicht möglich ist, einen neuen Aufstand in Ungarn zu veranlassen, so muß die Agitation dafür wenigstens so offen getrieben werden, daß durch sie und durch die russische Truppenzusammenziehung an der ungarischen und galizischen Grenze Österreich gezwungen wird, bedeutende Streitkräfte dort zu lassen.«

»Es soll geschehen.«

»Wie glauben Sie, daß die ungarischen Regimenter sich schlagen werden? Können wir darauf rechnen, daß sie im Augenblick der Krisis zu uns übergehen?«

Der General übernahm die Antwort.

»Die Ungarn,« sagte er ernst, »sind brave Soldaten. Ich glaube nicht, daß sie auf dem Schlachtfeld die Fahne verlassen werden, unter der sie fechten.«

»Aber sie haben in der ungarischen Revolution ja gegen Österreich gefochten, und unter den Freischaren dienen zahlreiche ungarische Flüchtlinge!«

Der General lächelte. »Ich sehe, daß Euer Excellenz kein Soldat sind! Denken wir auf andere Mittel.«

»Die Italiener sind konsequent in ihrem Haß,« sagte der Graf. »Wir kennen die Mittel, mit der man die Bitte des Regiments ›Sigismund‹, in dem Kriege verwendet zu werden, zustande gebracht hat. Im Augenblick der Prüfung wird das Vaterland seine Rechte fordern. Es gilt vor allem die ersten Erfolge für uns zu haben, und dazu ist nötig, die Österreicher zu einem Angriff auf einem ihnen ungünstigen Terrain zu verlocken. Sie müssen entweder durch die Spione getäuscht werden und falsche Nachrichten erhalten, oder jede Nachricht muß ihnen abgeschnitten bleiben.«

»Unsere Agenten entlang der Sesia-Linie werden die nötigen Instruktionen erhalten. Der Kaiser Napoleon möge sich auf ihre Thätigkeit verlassen.«

»Ist es gelungen, die genaue Stärke der Österreicher zu ermitteln?«

Der Verschwörer öffnete ein Portefeuille und nahm mehrere Papiere heraus.

»Hier ist die vollständige Ordre de Bataille, Signor Conte,« sagte er, »und hier sind die genauen Notizen über die gegenwärtige Verteilung der Streitkräfte.«

»Das ist vortrefflich, Signor!«

»Sie, oder der König werden daraus ersehen, daß die wahre Stärke der österreichischen Truppen gegenwärtig statt der angegebenen 150 000 Mann noch nicht 99 000 beträgt. Die Artillerie zählt nur 44 Batterieen und ist schlecht bespannt, ebenso der Train. Auf die Kavallerie können sie ohnehin nicht rechnen in unserem Terrain. Die Österreicher haben den Fehler gemacht, ihre Kräfte nicht zu sammeln, sondern sie zu zerstreuen. Überdies stehen Ihnen nicht mehr die alten Soldaten von Custozza und Novara gegenüber, sondern ganz junge unerfahrene Mannschaften, und selbst die älteren sind mit der Handhabung des neuen Gewehrs nicht vertraut!«

»Vortrefflich! Sie sehen also, daß wir alle Chancen für Venedig haben!«

Der Verschwörer hielt es nicht der Mühe wert, auf diese Bemerkung zu antworten. »Man ist zwar in diesem Augenblick,« fuhr er fort, »mit der Bildung einer zweiten Armee beschäftigt, aber man hat nur noch wenig Truppen zur Disposition. Deren Anmarsch wird überdies verzögert werden, wir haben an allen Eisenbahnlinien unsere Vertrauten. Hat der Telegraphenbeamte, der Ihnen aus Mailand heimlich die Abschriften der Depeschen von Wien sendet, seinen Eifer bekundet?«

»Wir verdanken ihm viele wichtige Nachrichten, aber der Verkehr über Como ist langwierig, und überdies sind die meisten in Chiffern, die wir bisher noch nicht haben lösen können.«

»Hier ist der Schlüssel zur Dechiffrierung, ich habe ihn selbst erst diesen Morgen erhalten.«

»Sie thun wahre Wunder, Signor Mazzini!«

Der Agitator lächelte verächtlich. »Ich bin im Begriff, Ihnen noch besseres zu geben. Die Verpflegung der feindlichen Truppen ist in den Händen einiger Triester Häuser. Unsere Agenten sind dort thätig, und es giebt Schufte genug in Wien an der Spitze der Verwaltung, die bereit sind, ihre Taschen zu füllen. Die Lieferungen werden nur auf dem Papier stehen, und jede regelmäßige Verpflegung der Truppen wird verhindert werden.«

»Ich begreife, das muß die beste Armee ruinieren! Wenn es uns gelingt, die Einmischung Deutschlands und Englands auch nur ein halbes Jahr lang zu verhindern, ist Italien frei!«

» Frei!« Der Verschwörer lachte spöttisch auf. »Euer Excellenz verstehen freilich die Freiheit etwas anders, als wir. Aber Sie sehen, daß wir um des Hauptzwecks willen unsern Zwiespalt vergessen! Zunächst wird es nötig sein, unserem Freunde Garibaldi die Erlaubnis zum Vordringen im Hauptquartier zu erwirken, damit ich das Zeichen zum Beginn des Aufstandes bis zum Gardasee geben kann.«

»Nach dem ersten siegreichen Gefecht am Po soll er die Vollmacht haben. So lange muß er Turin im Norden decken. Während das Hauptkorps im Centrum die Österreicher zurückdrängt, soll der General sie an den Alpen überflügeln und der Prinz Der Prinz Napoleon mit dem 5. Korps. General Ulloa war nach Ausbruch der Revolution in Toskana und Modena mit der Bildung einer gleichen Freischaar wie Garibaldi im Norden beauftragt. mit Ulloa und den Appenninenjägern sie aus Bologna werfen und gegen Venedig vordringen, so daß sie in der Falle sind.«

»Bologna! Euer Excellenz erinnern mich an einen auffallenden Umstand. Sie kennen den Rektor Corpasini?«

»Ich weiß wenigstens, daß er einer unserer schlimmsten Feinde und der gefährlichsten Ränkemacher Italiens ist! Was ist mit ihm?«

»Er befindet sich ganz in unserer Nähe, in dem Kloster Santa Ursula, unter ziemlich verdächtigen Umständen.«

»Dann spinnt dieser verdammte Jesuit sicher eine Intrigue, verlassen Sie sich darauf. Das Kloster ist berüchtigt als ein Pfaffennest. Aber woher wissen Sie von seiner Anwesenheit?«

»Durch einen Zufall; einer seiner Schüler oder Sekretäre ist entwischt, um sich uns anzuschließen. Ich begegnete ihm auf dem Wege und habe ihn mit hierher gebracht, aber noch nicht Zeit gehabt, ihn näher zu befragen!«

Der Minister überlegte.

»Es wäre vielleicht der Mühe wert und kann jedenfalls nicht schaden! Können Sie ihn hierher rufen lassen?«

»Oh, sogleich!«

Der falsche Vetturin ging nach der Thür der Hütte, vor welcher der Major noch immer seinen Wachgang fortsetzte und pfiff. Alsbald kam der bucklige Spion herbei und erhielt seine Weisung; nach einigen Minuten führte er den jungen Jesuiten zur Hütte.

»Geh' wieder auf Deinen Posten, Schelm, bis wir Dich brauchen,« befahl der Verschwörer. »Kommen Sie herein, junger Mann.«

Er führte den Novizen in die Hütte, wo der General an dem Tisch, der Minister in einem dunklen Winkel saß.

»Ich habe Ihnen bereits meinen Beistand zugesagt,« sprach der verkleidete Vetturin, »und diese Herren sind gleichfalls bereit, Ihren Wunsch zu erfüllen, und haben Gelegenheit dazu. Zuvor aber müssen wir doch noch einiges Nähere über Sie hören. Wie heißen Sie?«

»Felizio!«

»Ihr anderer Name?«

»Ich habe keinen, wenigstens kenne ich ihn nicht. Ich bin in Spanien in einem Kloster erzogen, bis vor drei Jahren der Rektor Corpasini mich abgeholt und nach Bologna gebracht hat.«

»Er ist vielleicht Ihr Vater?«

»Nein!« sagte der Jüngling mit einer gewissen Heftigkeit. »Das ist unmöglich; ich hasse ihn, und er haßt mich!«

»Dennoch hat er Sie, wie Sie erzählen, in seiner Nähe behalten?«

»Um mich zu quälen! ich muß ihm dienen, ich muß in seiner Nähe sein, aber er macht mir das Leben zur Hölle und sucht jede Gelegenheit, um mich zu peinigen und zu strafen. Ich konnte es nicht länger ertragen. Deshalb bin ich in dieser Nacht entflohen, und …«

»Seit wann waren Sie im Kloster?«

»Wir kamen vorgestern an mit General Mortara!«

»Mit dem Modenesen? Per Bacco! ich kenne ihn! Wissen Sie, was die Reise des Rektors hierher nach Tessin und zu dieser Zeit zu bedeuten hat?«

»Es handelt sich um eine Zusammenkunft mit einem Coadjutor unseres Ordens aus Berlin.«

»Wirklich? wissen Sie seinen Namen?«

»Nein. Aber er ist diesen Nachmittag angekommen, mit einer Dame, deren Kind in dem Kloster erzogen wird. Der Rektor pflegt eifrige Verhandlungen mit ihm und hatte mich mit der Abschrift von Papieren beschäftigt, die sich auf jenes Kind zu beziehen scheinen. Ich habe die Gelegenheit benutzt, zu entfliehen und außerdem …«

»Nun?«

»Ich hatte es zwei Unglücklichen versprochen!«

»Novizen wie Sie?«

»Nein, zwei Frauen, Gefangene, die noch schlimmer daran sind als ich.«

»Gefangene? wo? in dem Kloster?«

»Ja, Signor. Ein Zufall hat mich in ihre Nähe geführt. Der Rektor hatte mich wegen eines Versehens diesen Mittag in seiner gewöhnlichen Weise mißhandelt. Ich irrte verzweifelnd durch den Garten des Klosters und warf mich in einem sonst öden Winkel, wohin niemand zu kommen pflegt, auf den Boden, Verwünschungen über mein Schicksal ausstoßend, als ich über mir einen Zuruf hörte. Es war eine weibliche Stimme; am vergitterten Fenster einer Zelle sah ich zwei Frauen in Klostertracht. Ich wollte fliehen, aber die eine bat mich in der Sprache meiner Heimat, deren ich mich in meiner Verzweiflung unwillkürlich bedient hatte, zu bleiben. Sie bestärkte meinen Entschluß der Flucht und bezeichnete mir die Stelle der Klostermauer, wo es mir gelingen könne, sie zu übersteigen. Dann bat sie mich, ihr und ihrer Gefährtin, die in diesem Teile des Klosters gefangen gehalten würden, zur Befreiung behilflich zu sein, indem ich von einem Papier, das sie durch das Gitter warfen, Gebrauch mache.«

»Das ist wieder einer ihrer pfäffischen Streiche! Wo ist das Papier?«

»Hier, Signor, ich habe versprochen, es in die Hände des ersten Edelmannes oder sonst eines angesehenen Mannes niederzulegen, den ich antreffen würde, wenn ich den Mann nicht auffinden könne, der auf der Außenseite bezeichnet ist.«

»Geben Sie!«

Der Jüngling zögerte mit einem Blick auf die unscheinbare Kleidung des Vetturins, aber der General schlug seinen Mantel zurück und zeigte ihm seine Uniform.

»Sie können es ohne Besorgnis thun, junger Mann,« sagte er. »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Nachricht nicht verloren sein soll.«

Der Novize reichte ihm das Papier.

Es war ein zerknittertes schmutziges Blatt, auf dem bei dem Schein der Lampe nur mit Mühe die mit Bleistift geschriebenen Zeilen zu entziffern waren.

Der Verschwörer las sie vor.

Sie lauteten:

 

»An unsere Freunde oder jeden Mann von Ehre!

Zwei unglückliche Frauen, die Opfer der Bosheit ihrer Feinde und eines Verbrechens, werden wider alles Recht, die eine seit vielen Jahren, in den Mauern des Klosters der heiligen Ursula am Monte Cenere festgehalten. Sie beschwören um Gotteswillen jeden Mann von Herz und Ehre, von ihrer Lage der unten bezeichneten Person, oder, wenn diese nicht aufzufinden ist, Ihrer«

 

Der Lesende hielt inne. » Per Bacco!« sagte er, »das ist seltsam!«

»Nun?«

»Ihrer Majestät der Kaiserin Eugenie von Frankreich persönlich Kunde zu geben.«

»An wen ist der Zettel gerichtet?« fragte der Minister.

»An eine mir unbekannte Person, den Doktor Achmet, genannt der Mohrendoktor, früher bei den Garde-Zuaven in Paris.«

»Und führt die Bitte keine Unterschrift?«

»Doch – und sie ist seltsam genug. Es stehen zwei vornehme Namen darunter.«

»Welche?«

»Der eine lautet: › Faustella, Herzogin von Ricasoli!‹«

Der General lachte. »Dann ist es ein alberner Scherz. So hieß die Nichte des Papstes, die ich als Spionin in Rom vor dem Sturm der Franzosen auf San Pietro in Montorio erschießen ließ!«

»Weiter – weiter! der andere?«

» Carmen Marquise von Massaignac

» Cospetto! den Namen kenne ich, aber ich weiß nicht –« Der General ging an die Thüre und öffnete sie.

»Komm' einen Augenblick herein, François!«

Der Major Laforgne trat in die Hütte.

»Erinnerst Du Dich, wie die Tochter des Obersten Massaignac hieß, des Haciendero, den wir in Montevideo trafen?«

»Sennora Carmen! was ist mit ihr?«

»Da lies! Der Zettel ist aus einem Kloster hier in der Nähe durch diesen Burschen da, der zu uns übertreten will, gebracht worden. Ich würde ihm mehr Bedeutung beilegen, wenn nicht der Name jenes Weibes mit darauf stände, von deren Tod ich überzeugt bin.«

Der Minister war vorgetreten und hatte die Hand auf seinen Arm gelegt.

»Sie meinen die Nichte des Papstes, die Herzogin von Ricasoli?«

»Ja!«

»Haben Sie die Leiche gesehen?«

»Das nicht, aber ich weiß, daß sie füsiliert worden ist, noch ehe wir den Angriff der Franzosen zurückschlugen.«

»Ich erinnere mich allerdings, vernommen zu haben, daß man seit jener Zeit von der Dame nichts mehr gehört hat, und daß sie bei der Belagerung umgekommen sein soll. Aber es geschehen häufig Dinge, die viel wunderbarer sind, als das Wiederaufleben irgend einer Totgeglaubten. Wichtiger wäre mir …«

Aber er wurde von dem Ausruf des Offiziers unterbrochen.

»Gott sei Dank! endlich eine Spur! Sie muß befreit werden unter allen Umständen und sollt' ich das Kloster an allen Ecken anzünden!«

»So glaubst Du wirklich, die Dame zu kennen?«

» Caramba! es ist kein Zweifel, General, es ist die Tochter unseres alten Gastfreunds aus Montevideo. Ich traf sie vor sechs Jahren bei meiner Mission in Paris wieder und war im Begriff, sie aus dem Klauen eines habsichtigen Bruders und ihres ebenso schurkischen Verlobten zu entführen, als sie mir und ihren Verwandten unter den Händen verschwand. Ich hörte nichts wieder von ihr bis zum vorigen Jahr, als ich heimlich in Paris war, zur Zeit des Orsinischen Attentats.«

»Ich weiß!« Der General warf einen ernsten Blick auf den Verschwörer. »Wäre es mir damals bekannt gewesen, was sich mit der Mission des Soldaten verknüpfen sollte. Du würdest Paris nicht betreten haben!«

»Das ist vorbei,« sagte achselzuckend Mazzini. »Lassen Sie den Major lieber weiter erzählen.«

»Ich sah damals in Begleitung eines Freundes die junge Marquesa wieder und zwar im Cirkus der Kaiserin am Tage vor dem Attentat und unter der Maske einer Kunstreiterin. Aber ich hatte nicht Zeit die Bekanntschaft zu erneuern, denn, wie Sie wissen, mußte ich über Hals und Kopf das Weite suchen, da unsere Pläne entdeckt wurden. Ich glaube, daß auch ihre Feinde sie wiedererkannten, denn ich erfuhr, daß sie am Abend des Attentats aus der großen Oper spurlos verschwunden sei. Jetzt wo ich so unverhofft höre, wo sie zu finden, übe ich ein doppelte Freundespflicht, indem ich alles aufbiete, sie zu befreien und ihr zu ihren Rechten zu verhelfen, und wenn Sie mich nicht durchaus brauchen, General, möchte ich Sie wohl um einen kurzen Urlaub bitten.«

»Geduld! wir wollen sehen, was zu thun ist. Die Pflicht des Soldaten geht vor.«

Der Minister hatte einige Zeit überlegt, dann zog er seine beiden Gesellschafter nach der andern Seite der Hütte und sprach leise und eifrig mit ihnen.

»Sie haben Recht, Signor Conte,« sagte der Verschwörer, »es wäre allerdings von großer Wichtigkeit, etwas näheres über die Zwecke dieser Zusammenkunft unserer Feinde zu erfahren. Aber ich weiß in der That kaum, wie es möglich sein soll!«

»Sie wissen, Giuseppe, daß ich ein Detachement meiner Jäger bei mir habe. In einer Viertelstunde können sie hier sein!«

»Nein, das geht nicht, es ist Schweizer Gebiet, und die Neutralität darf nicht verletzt werden,« erklärte der Graf.

»Ich muß mich gleichfalls dagegen aussprechen,« sagte der Verschwörer. »Der Tessin ist meine Sicherheit, und ich würde die beste Gelegenheit verlieren, unserer Sache zu nützen. Aber es läßt sich vielleicht auf andere Weise ausführen. Überlassen Sie mir die Fragen!«

Er trat zu dem Novizen.

»Vorerst, Signor Felizio, so ist ja wohl Ihr Name, sichere ich Ihnen den Schutz dieser Herren zu, und Sie können daher vollkommen ruhig sein über Ihre Zukunft. Aber Sie müssen uns im Interesse der guten Sache, der Freiheit Italiens, einen Dienst erweisen und zunächst einige Fragen genau beantworten.«

»Fragen Sie!«

»Waren Sie der einzige Begleiter des Rektors Corpasini?«

»Nein, Signor, der Fra Andrea ist mit uns und ein Diener des Generals.«

»Stehen Truppen im Kloster oder in dessen Nähe? Befinden sich Männer dort, die Widerstand leisten könnten?«

»Soviel ich gesehen, besteht das Dienstpersonal des Klosters aus einem Voigt und vier Knechten. Sie wohnen sämtlich in den Außengebäuden.«

»Glauben Sie, daß man Ihre Flucht bereits bemerkt hat?«

»Ich hoffe, nein. Es ist ziemlich unwahrscheinlich. Ich habe meine Zelle verschlossen, und der Rektor pflegt, nachdem er mir die Pönitenz aufgegeben, nicht mehr nach mir zu fragen bis zur Frühmesse. Überdies wird diesen Abend noch ein Fremder erwartet, mit dem sie eine wichtige Unterredung haben wollen.«

»Sie wissen nicht, wer das ist?«

»Nein, Signor!«

»Wissen Sie, wo diese geheimen Unterredungen stattfinden?«

»In der Wohnung der Äbtissin. Sie liegt im Korridor des Hauptflügels und grenzt an des Refektorium.«

»Gut! ich sehe, Sie haben ein gutes Auge für Lokalitäten. Nun das Wichtigste. Glauben Sie, daß Sie unbemerkt in das Kloster zurückkehren könnten?«

»Ich? – zu ihm? – Nimmermehr!«

»Seien Sie verständig, junger Mann, es handelt sich um Ihre ganze Zukunft. Ich wiederhole Ihnen, daß Sie unter unserm Schutz stehen, und daß wir für Ihre Befreiung bürgen. Aber die wichtigsten Interessen verlangen den Versuch, von den Plänen und Mitteln unserer Gegner Kenntnis zu erhalten. Sie allein können uns zu der Gelegenheit verhelfen. Überdies erinnern Sie sich, daß Sie versprochen haben, die gefangenen Frauen befreien zu helfen!«

In den Augen des so lange unterdrückten, tyrannisch behandelten Jünglings glänzte ein ritterliches Feuer.

»Ich bin bereit,« sagte er hastig, »und denke die Stelle leicht wieder zu finden. Was habe ich zu ?«

»Sie können natürlich nicht allein gehen und müssen einen Begleiter haben. Aber wen?«

»Mich, Signor! ich bitte darum!«

Der junge hagere Jesuit sah mit Teilnahme auf die feste kräftige Gestalt des Majors. »Signor,« sagte er, »der Weg ist sehr schwierig, wir müssen die Felsen erklimmen, auf denen das Kloster steht, um unbemerkt hinein zu gelangen. Ich bin in den Pyrenäen geboren.«

»Und ich habe meine Erziehung auf der Itaparika erhalten, sorgen Sie also nicht um mich. Geben Sie uns Ihre Instruktionen, Signori!«

»Sachte, sachte!« sagte lachend der Verschwörer. »Wir haben mancherlei Vorsichtsmaßregeln zu beachten. Zuerst, Major, ist es unmöglich, daß Sie in Ihrer Uniform den Streich unternehmen!«

»Aber wie soll ich mir hier andere Kleider verschaffen!«

» Cospetto! wir sind hier in einer Gesellschaft von Spitzbuben, und die werden für das Nötige leicht Rat schaffen. Lassen Sie Abramo kommen!«

»Signor,« sagte unterbrechend der junge Jesuit, »ich glaube Ihnen ein besseres Auskunftsmittel bieten zu können. Wenn dieser Offizier nur seinen Mantel ablegt, hoffe ich ihn unbemerkt in das Kloster bringen zu können und gebe ihm dann eines meiner dunklen Gewänder. So wird er am wenigstens auffallen, wenn wir andern Personen begegnen.«

»Das ist wahr, der Gedanke ist vortrefflich. Aber doch werden wir den Juden noch brauchen. Einstweilen finden Sie am Sattel meines Maultieres einen alten dunklen Mantel, Major, wie er zu einem bescheidenen Vetturin paßt, und der Ihre Uniform verstecken wird. Wollen Sie, Signor« – er wandte sich mit einem Wink zu dem Minister – »einstweilen den jungen Mann hier instruieren, im Fall er allein die Unterredung zu belauschen suchen muß!«

Der Vetturin verließ die Hütte mit dem Offizier. Während der General den Posten an der Thür einnahm, um jeden Lauscher fern zu halten, nahm der Graf den Novizen vor.

»Verstehen Sie deutsch oder französisch?« fragte er.

»Ja, Signor. Die Schüler der Jesuiten-Kollegien müssen möglichst viele Sprachen lernen. Ich spreche das Französische fertig und verstehe auch etwas Deutsch.«

»Es ist nur für den Fall, daß man sich dieser Sprachen bedienen sollte. Sie haben bereits gehört, daß uns sehr viel daran liegt, von den Zwecken der Zusammenkunft Kenntnis zu erhalten, die der Rektor Corpasini, Ihr Peiniger und Feind, wie er der der Befreiung Italiens ist, mit unbekannten Personen in dem Kloster hält. Können Sie dies erlauschen und uns Nachricht darüber geben, so rechnen Sie aus unsere ganze Dankbarkeit. Der Offizier, der Sie in das Kloster begleiten und Ihnen in jeder Beziehung beistehen wird, soll Sie bei Ihrer Rückkehr zu mir bringen und wird Ihnen sagen, daß ich die Macht habe, mein Versprechen zu erfüllen. Sie hatten sich entschlossen, sich unserer Sache anzuschließen, und Sie haben jetzt Gelegenheit, ihr sofort einen wichtigen Dienst zu leisten.«

»Ich will thun, Signor, was ich kann.«

»Das ist alles, was man verlangen kann. Signor Gonelli wird Sie und Major François bis in die Nähe des Klosters begleiten. Ich höre sie eben zurückkommen. Leben Sie wohl! und möge alles gut gehen!«

»Aber die beiden Frauen, Signor, die Gefangenen?«

»Überlassen Sie das dem Major, und wenn es Ihnen gelingt, sie zu befreien, so bringen Sie dieselben mit nach Turin.«

Der angebliche Vetturin, den der bucklige Spion vorhin mit dem Namen Gonelli angeredet, kehrte eben mit dem Offizier zurück. Zehn Schritt hinter ihnen folgte der Jude mit dem mürrischen Wolfsjäger, der das Maultier am Zügel führte.

»Je eher wir aufbrechen,« sagte der Verschwörer, »desto besser ist es. Major Laforgne ist durch den kleinen Halunken, ohne daß dieser weiß, um was es sich handelt, mit einer Feile, einem Brecheisen und Stricken versehen. Wenn wir nichts weiter zu verhandeln haben, Signor Conte, so wollen wir uns trennen. In einer Stunde geht der Mond auf, und die Schwierigkeit, in das Kloster zu gelangen, würde für unsere beiden Abenteurer um so größer sein.«

»Mein Zweck ist erfüllt, und ich glaube, wir scheiden als Bundesgenossen!« Er reichte ihm die Hand, die der Verschwörer lächelnd nahm.

»In dem großen Werke der Befreiung Italiens von den Fremden, ja. Das Weitere gehört der Zukunft. In einigen Tagen schon hoffe ich Ihnen durch Abramo weitere Nachrichten senden zu können. Einstweilen, Signor Conte, schicken Sie diese Franzosen wacker ins Feuer, so werden wir zwei gefährliche Feinde statt des einen los und« – er trat ihm näher und sagte die folgenden Worte nur ihm verständlich – »der Kaiser Louis Napoleon kann auch etwas thun für Nizza und Savoyen!«

Der Minister fuhr unwillkürlich zurück.

»Lassen Sie Garibaldi nicht zu zeitig hören,« fuhr der Verschwörer leise fort, »daß der König Viktor Emanuel sein Vaterland an die Franzosen verkauft hat, er könnte ihm sonst leicht die Generals-Epauletten vor die Füße werfen. Und nun Gott befohlen! und lassen Sie unser nächstes Rendezvous auf dem San Marco des befreiten Venedig sein!«

Er schüttelte dem General die Hand und winkte Abramo, das Maultier herbeizuführen.

Der Bucklige begleitete den ehemaligen Wolfsjäger und Henker bis zur Gruppe. »Du weißt, Szabo,« flüsterte er, »daß Du bleiben sollst bei Andrea, bis wir kommen. In einer Stunde werden wir doch sein bei Euch!«

Der Wilde nickte mürrisch.

Wenige Augenblicke darauf entfernte sich der Vetturin, von dem Slowaken geführt und von Major Laforgne und dem Novizen begleitet in der Richtung des Gebirges, während der General und sein Gesellschafter, dessen Inkognito zu durchdringen sich die Neugier des Spions vergeblich bemüht hatte, nach dem Ufer des Sees zurück geleitet wurden, wo nach der Verabredung die Hälfte der Jäger mit einer der Barken bis zum Anbruch des Tages auf den kecken Offizier warten sollte.


Es war fast Mitternacht, als in einer überaus spärlich, fast gefängnisartig möblierten Zelle des Klosters San Ursula zwei Frauen beim Schein einer kleinen Lampe saßen und mit einer groben Näherei beschäftigt waren.

Das Kloster lag an einem der Abhänge des Monte Cenere, unweit der Straße von Bellinzona nach Lugano, und stand in dem Ruf, eines der besten, aber auch strengsten Erziehungsinstitute der Schweiz für junge Damen zu sein, die von Bigotten und streng katholischen reichen Familien Italiens, Frankreichs und der Schweiz, ja oft aus noch größerer Entfernung hierher gesandt wurden! Doch wollte der Ruf, wenigstens in der Nachbarschaft, wissen, daß es auch als eine Art Pönitenzhaus und für andere Zwecke der strengen ultramontanen Richtung benutzt werde, die im Kanton Wallis und Tessin den bedeutendsten Einfluß und fast unbeschränkte Macht besaß. Die abgeschlossene Lage und die Strenge der Ordens- und Hausregeln, die von der Oberin mit großer Energie geübt wurde, isolierte das Kloster von der übrigen Welt. Manche seltsame Geschichte über Vorgänge in dem Stift cirkulierte in der Nachbarschaft und hatte auch bereits den Weg in Schweizer Blätter gefunden.

Die Lage des Klosters selbst eignete es allerdings zu einer Erziehungsanstalt; denn zwischen den Alpen und der lombardischen Ebene gelegen, vereinigte es die frische stärkende Luft der ersteren mit der reichen Vegetation der Ufer des Luganer Sees. Es bestand aus einem ziemlich großen unregelmäßigen Gebäude mit vielen Winkeln und Ecken, auf einem Felsplateau gelegen das nach drei Seiten rauh abfiel und eine herrliche Aussicht nach den tieferen Gegenden bot, und war mit einer ziemlich hohen, aber baufälligen Ringmauer umgeben.

Die beiden Frauen waren in einfache klösterliche Tracht von sehr groben Stoffen gekleidet und, obschon beide noch jung, doch von verschiedenem Alter, die eine etwa fünf- bis sechsundzwanzig Jahre, die andere sechs bis sieben Jahre älter, eine Verschiedenheit, welche die Spuren längerer Leiden bei ihr noch stärker hervortreten ließen. Selbst die Lage, in der sie sich befanden, und die entstellende, tief anschließende Leinenhaube konnte nicht verhindern, zu erkennen, daß beide von besonderer und eigentümlicher Schönheit waren und jene Eleganz und Sicherheit der Bewegungen besaßen, die gewöhnlich eine Folge vornehmer Geburt und Erziehung ist.

Die Ältere, deren Züge an die dämonische dreifache Schönheit erinnerten, die vor zehn Jahren den Verstand des verwachsenen deutschen Malers in Rom und des kräftigen Schweizer-Offiziers verwirrte, warf mit nervöser Heftigkeit die Arbeit zu Boden.

»Heilige Madonna!« rief sie erregt, »mögen sie mich morgen strafen, diese schändlichen Weiber! ich will, ich kann nicht mehr. Lieber will ich den Tod ertragen, als länger dieses Leben! Wär' es nicht besser, die Kugeln der Mörder hätten damals meine Brust zerrissen, als daß ich hier die Magd heuchlerischer tyrannischer Klosterweiber sein muß, nicht besser, als wäre ich in meiner Gruft eingemauert! Und mich nicht rächen zu können, an diesem schurkischen Priester, der Schuld ist an meinem Elend und mich mit Absicht einem lebendigen Grabe überliefert hat!«

»Ruhe, Ruhe, Schwester Paula,« bat die andere, »Sie wissen, daß wir jetzt wenigstens eine Hoffnung haben, und daß wir sie nicht selbst zerstören dürfen. Es ist bald Zeit zur Mitternachtsmesse, und wir müssen die Arbeit morgen früh vollendet haben, wenn wir nicht Verdacht erregen wollen, daß wir uns am Nachmittag nicht damit beschäftigen. Ich bin fertig und will Ihnen helfen!«

Sie nahm die Arbeit auf, aber das Ungestüm der Älteren riß sie ihr aus den Händen.

»Nein,« rief sie trotzig, »mögen sie kommen! mögen sie mich zur Geißelung verdammen, oder in ihre Kerker sperren, es muß ein Ende werden. Die Herzogin von Ricasoli, die Nichte des Papstes, will nicht länger die Sklavin dieser verächtlichen Weiber sein! Was habe ich gethan, was habe ich verbrochen, daß man mich gefangen hält! Santa Maria, warum habe ich damals nicht das elende Gaukelspiel durchbrochen, bloß aus Furcht um das erbärmliche Leben, daß ich mich für eine andere ausgeben ließ, zu der der Pöbel wallfahrtete, wie zu einer Heiligen, statt ihnen entgegen zu schreien, daß ich keine Nonne bin, sondern ein Weib, das berechtigt ist zu jedem Genuß des Lebens!«

»Arme Freundin,« sagte die andere. »Man hat uns beide aus der Welt schaffen, unserer Rechte berauben wollen. Ich weiß nicht, warum es bei Ihnen geschehen, bei mir ist es die Habsucht eines unnatürlichen Bruders oder die Rache eines von mir Verschmähten, die mich zur Ablegung des Klostergelübdes zwingen will. Aber niemals soll es geschehen, und wenn ich, wie Sie, zehn Jahre in diesem Kerker dulden müßte; denn ich trage im Herzen ein Bild, das mich auf Gott und die Heiligen vertrauen läßt!«

Die bleiche Laienschwester mit dem hageren, abgehärmten Gesicht lachte höhnisch auf, dann begrub sie unter strömenden Thränen das Antlitz in die Hände.

»Ich habe gehofft und vertraut, wie Du,« schluchzte sie, »aber die Jahre sind vergangen, und meine Jugend ist vorbei! Heilige Madonna, mein einziges Verbrechen war die Liebe und mein warmes Blut! Aber freuen sich nicht Millionen Herzen der Liebe unter Gottes freiem Himmel, im Gewühl und der Lust der Welt? Warum muß ich, die Reiche, Hochgeborene, die zu allen Freuden des Lebens Berufene, so entsetzlich die kurze Zeit des Glückes und der Freude büßen? Wär' ich ein niedrig geborenes Weib, dann hätte man Tugend und Entsagung von mir verlangen können; aber ich bin die Herzogin von Ricasoli – ich bin …«

»Still! um des Himmels willen!« Die jüngere Gefangene hatte rasch die Lampe ausgeblasen. »Die Aufseherin kommt durch den Gang, und Sie wissen, daß man Sie straft, wenn Sie jenen Namen nennen.«

In der That schlurfte ein langsamer Tritt durch den hallenden Klostergang an der Thür der Zelle vorüber, und ein Finger klopfe warnend an dieselbe.

Mit einem gewissen Schauder hörten die Frauen die Schritte sich entfernen.

»Sie wissen, daß man Sie wahnsinnig schilt, Schwester Fausta, wenn Sie jenen Namen nennen,« bat die Jüngere, »und daß man Sie dann straft und uns trennt. Aber in diesem Augenblick müssen wir dies um jeden Preis vermeiden. Wenn es dem unglücklichen jungen Mann gelungen ist, sein Vorhaben auszuführen und zu entfliehen, wird er gewiß so ehrlich sein, das Versprechen zu halten, und es werden sich brave Menschen finden, die sich unserer annehmen und unseren Freunden Kunde von unserer Haft geben. Die Zeitungen werden unsere Namen nennen, und man wird uns nicht länger hier in Haft halten können!«

»Ja, ja, wir werden frei sein, wir müssen gerettet werden! Wir wollen wieder ins Leben hinaus, in die schöne Welt und zu ihren Freuden! Ich werde wieder die schöne Herzogin von Ricasoli sein, die Gefeierte in hundert Kreisen, nicht die bleiche, widerwärtige Nonne Fausta! Ich will noch lieben und geliebt werden, ich bin noch nicht zu alt dazu! Aber wissen Sie –« die Unglückliche, deren Verstand und Geisteskraft das lange Leiden häufig zu umnachten begann, faßte zitternd den Arm ihrer Gefährtin – »was nützt es, daß wir den Brief ihm gegeben, daß wir unsere Namen hinausschreien in die Welt! man wird uns in einen anderen Kerker, in ein anderes Kloster schleppen, wie man mich von Rom in diesen Winkel der rauhen Eisberge geschleppt hat, ehe unsere Freunde Zeit haben, uns zu befreien!«

Carmen Massaignac fühlte die Wahrheit der Bemerkung aus dem Munde der unglücklichen Frau, mit der sie die strenge klösterliche Haft teilte. Aber ihr auf besseren Grundlagen ruhendes Gottvertrauen und die Energie ihres Charakters, die die empörende Behandlung wohl hatte beugen, aber nicht vernichten können, unterdrückten die Befürchtung.

Sie suchte ihre Leidensgefährtin zu beruhigen und wendete das Gespräch auf einen anderen Gegenstand.

»Man läßt Sie in diesem Teil des Klosters freier umhergehen, als mich, weil ich noch nicht so lange hier bin,« sagte sie. »Haben Sie nicht von dem Geschwätz der Nonnen erfahren, wer der junge Priester ist, dem wir uns diesen Abend anzuvertrauen gewagt?«

»Ich durfte ja nicht fragen. Sie selbst haben es mir verboten. Aber er gehört sicher zu den Fremden, die seit zwei Tagen im Kloster sind, und mit denen die Mutter der wilden Fernando, ich weiß nicht aus welchem Lande im Norden, gekommen ist.«

»Das glückliche Kind,« seufzte unwillkürlich die Argentinierin. »Sie hat eine Mutter gefunden. Ich habe die meine niemals gekannt!«

»Das Kind,« sagte die Herzogin, »ist die einzige von allen Pensionärinnen, die sich nicht verbieten läßt, mit uns zu reden, wenn wir ihr begegnen.«

»Gott segne sie dafür! Es ist so wohlthuend, ein freundliches Herz zu finden, wo man um sich nur Feinde weiß. Aber horch! Schwester Fausta, hörten Sie nichts?«

Die Herzogin, die unter dem verhängnisvollen Namen ein Opfer der kalten Politik des Kardinal-Staatssekretärs geworden und auf seine Veranlassung bald nach der Wiederherstellung der päpstlichen Macht nach dem entfernten Kloster in den Alpen gebracht worden war, da der Heiligenruf der Schwester Paula bei dem Volk im Kloster der Büßerinnen am Esquilin Entdeckung drohte, beugte sich lauschend nach dem vergitterten Fenster der Zelle.

»Ich höre ein Geräusch draußen im Garten. Soll ich öffnen?«

»Gewiß!«

Die kühnere und entschlossenere Argentinierin war sofort am Fenster und öffnete es leise. Drunten im Garten, im Licht der Sterne, bewegten sich zwei dunkle Gestalten, ihr Herzschlag drohte die Brust zu zerspringen.

»Senora Carmen? Carmen von Massaignac?«

»Wer ruft eine Unglückliche, Gefangene?«

»Kennen Sie die Stimme eines alten Freundes nicht mehr? des Freundes von den Ufern des La Plata, des Mannes, dem Sie im Bois de Boulogne einst Ihre Rettung anvertrauten? Muß ich Ihnen erst einen Namen nennen aus dem Cirkus der Kaiserin, der wahren Anspruch auf Ihr Leben hat?«

»Heilige Madonna! diese Stimme! Kapitän Laforgne?«

»Laforgne ist es, der hier ist, selbst mit seinem Leben Sie für den verzweifelnden Freund zu retten!«

»Allmächtiger Himmel, ich danke Dir! mein Vertrauen hat mich nicht getäuscht!«

Sie war vor Aufregung schluchzend in die Kniee gesunken. Faustella stand zitternd neben ihr, sie fühlte, daß mit diesem Schutz der Freundin und Leidensgefährtin auch ihr Unglück sein Ende erreichen mußte!

»Vorsicht!« flüsterte der Offizier, »die List muß mir helfen, Sie zu befreien denn ich bin allein und auf fremdem Gebiet. Signor Felizio, gehen Sie jetzt an Ihre Aufgabe, und lassen Sie uns in einer Stunde einander hier wieder treffen, so lange wird das Durchfeilen der Eisenstäbe dauern!«

Der Novize empfahl ihm Vorsicht, dann glitt er rasch hinweg. Die Kunstreiterin hatte sich von ihrem freudigen Schreck wieder erholt. »Um des Himmels willen, Kapitän Laforgne, sagen Sie mir, wie Sie hierher kommen? Wo ist Doktor Achmet, mein väterlicher Freund? was macht …«

Trotz des Dunkels der Nacht stieg die heiße Röte auf ihre abgehärmten Wangen.

»Otto – Otto von Reuble? Sie haben ein Recht, danach zu fragen und die Pflicht, es zu thun. Mit Freuden habe ich dem Freunde Ihr Vertrauen abgetreten. Er ist in seiner Heimat, verzweifelnd um Sie, nachdem er alles gewagt, eine Spur von Ihnen zu finden. Vor zwei Monaten erhielt ich seinen letzten Brief. Ihr Name war sein Inhalt.«

Sie preßte die Hände auf die wogende Brust. »Aber Sie, Kapitän, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet!«

»Der junge Mann, dem Sie sich anvertraut, traf mich auf einem Posten der unseren, denn Sie werden hoffentlich wissen, daß der Krieg mit Österreich ausgebrochen ist und daß die Franzosen an der Grenze der Lombardei stehen. Ihre Zeilen sind in den Händen mächtiger und einflußreicher Männer, und mit deren Willen bin ich hier, Sie zu befreien. Lassen Sie uns beraten, wie das am besten geschehen kann!«

Es folgten rasch einige Verständigungen, bei der die genauere Kenntnis des Klosters, welche die unglückliche Römerin durch ihren längeren Aufenthalt besaß, helfen mußte. Die Zelle der beiden Gefangenen befand sich in einem abgelegenen Teile des Klosters. Die Tür war zwar nicht geschlossen, wohl aber der Korridor, der zu dieser Seite führte. Über sie führte eine der Klosterfrauen die Aufsicht, ein hartes, boshaftes Weib, deren Zelle sich am Ende des Ganges befand, zum Glück nicht nach derselben Richtung hinaus. Carmen, die erst von ihrer Leidensgefährtin erfahren, in welchem Lande und in welcher Gegend sie sich befand, da man sie mit Anwendung großer Vorsicht aus dem Kloster in Paris hierher gebracht hatte, wurde wie diese sehr streng und wie eine mit schwerer Pönitenz belegte Klosterfrau behandelt. Sie war auf den Teil des Klosters beschränkt, in dem sich ihre Zelle befand, sah die Nonnen und die Pensionärinnen nur während des Gottesdienstes, dem sie regelmäßig beiwohnen mußten, und wurde mit groben weiblichen Handarbeiten beschäftigt. Wiederholt war ihr, selbst unter den schwersten Drohungen, der Antrag gemacht worden, den Schleier zu nehmen, aber mit dem energischen Mut, der ihr eigen, hatte sie sich bisher geweigert und allem Druck widerstanden.

Sie sagte dem so unverhofft gefundenen Freunde, daß in wenigen Minuten die Glocke der Klosterkirche das Zeichen geben würde zur Mitternachtsmesse, der sie gezwungen wären, beizuwohnen. Nach kurzer Beratung wurde beschlossen, daß Faustella sich zu der nächtlichen Andacht begeben und auf die Frage der Aufseherin antworten sollte, daß ihre Gefährtin krank sei, damit Carmen während dieser Zeit mit aller Kraft an der Durchschneidung des Eisengitters arbeiten könne, welches das Fenster ihrer Zelle schloß und ihre Flucht verhinderte. Während der Offizier an eine herabgelassene Schnur eine Feile und einen Strick band, erklang bereits die Glocke, welche die Nonnen zur Mitternachtsmesse rief.

In verschiedenen Teilen des Gebäudes sah man Lichter durch die Gänge wandern; die Kirche selbst war von dem einspringenden Winkel, in dem sich die Zelle der beiden Gefangenen befand, nicht sichtbar.

Der Offizier gab der jungen Marquise hastig eine Anweisung, wie sie die Feile brauchen solle, dann zog er sich in den Schatten der Mauer zurück, wobei das dunkle Jesuitengewand ihn noch mehr verbarg, und verschwand um den nächsten Vorsprung.

François und Felizio waren mit ihrem Begleiter, dem Vetturin, nachdem der ehemalige Wolfsjäger und Profoß bei dem Posten der Bande sie verlassen hatte, auf der Landstraße bis zum Fuß der Felsenhöhle, die das Kloster trägt, ohne Hindernis und ziemlich rasch vorgeschritten. Dort hatte der Verschwörer sich von ihnen getrennt, um eilig seinen Weg fortzusetzen, während Felizio und Laforgne an der angebahnten Seite des Felsens emporstiegen und bis zur Umfassungsmauer des Klosters gelangten. Der Novize schien, nachdem er einmal die Fesseln von sich geworfen, die so tyrannisch bisher auf ihm gelastet, ein ganz anderer Mensch. Mit dem scharfen Ortssinn, der den Kindern der Gebirge eigen, fand er die Stelle wieder, wo eine Lücke der verfallenen Mauer ihm die Flucht erleichtert, und es gelang ihm, unbemerkt durch die offenen Korridore die Zelle zu erreichen, die ihm zur Wohnung angewiesen worden war. Nachdem er sich dort überzeugt hatte, daß seine Flucht noch nicht bemerkt worden war, nahm er eines seiner Gewänder, schlich damit in den Garten zurück, wo der Major zurückgeblieben war und führte diesen, für eine zufällige Begegnung mit den Klosterleuten durch den schwarzen Talar unkenntlich verkleidet, an dieselbe Stelle, wo am Nachmittag die beiden gefangenen Frauen sich ihm bemerklich gemacht und seinen Beistand erbeten hatten.

Nachdem sie, wie erzählt, die Aufmerksamkeit der beiden Frauen erregt, verließ der Novize eilig seinen Begleiter, um an die Ausführung des ihm gewordenen Auftrages zu gehen.

In dem Empfangzimmer der Äbtissin befanden sich neben dieser, einer Frau von strengem asketischem Aussehen und großem, hageren Wuchs, drei Männer in eifrigem Gespräch: Der Rektor des Jesuiten-Seminars zu Bologna, der General Graf Mortara und der Agent des Ordens im Norden, der Kommissionsrat Boltmann.

»Der Graf,« sagte der Prälat, indem er von einigen Briefen aufsah, die vor ihm mit Schreibmaterial auf dem Tisch lagen, »hat mir erklärt, daß Sie noch diese Nacht Ihre Rückkehr antreten müßten, um morgen in Genf den Nachtzug nicht zu versäumen. Er behauptet, daß Ihre Abwesenheit von Paris unangenehme Nachfragen erregen könnte, da der Kaiser Louis Napoleon bei der Bestellung der Regentschaft ihn zu einem der Beiräte ernannt hat. Auch Sie, Signor Boltmann, müssen so rasch wie möglich zurückkehren, die Besprechung mit dem Minister in München ist sehr notwendig, und die Verhältnisse erfordern dringend Ihre Anwesenheit in Berlin.«

»Ich hatte die Ehre, es Ihnen zu sagen, Monsignore. Nur die Wichtigkeit der Sache konnte mich zu dem Vorschlag dieser Zusammenkunft veranlassen.«

»Sie hatten recht, eine Million hat in dieser Zeit eine Wichtigkeit, der sich andere Rücksichten unterordnen müssen. Aber nun ist die Angelegenheit geordnet, oder wird es vielmehr noch diese Nacht vollständig sein, und Sie können ungehindert zurückkehren. Wird Madame Polenz hier bleiben?«

»Sie ist entschlossen, sich in der Schweiz niederzulassen, aber sie verlangt mit dem ihr eigenen Starrsinn den Versuch, ihrem Kinde den Namen seines Vaters zu sichern.«

»Von Reuble? ein kleiner preußischer Edelmann?«

»Ja, Monsignore, aber die Sache hat bei dem Charakter der Beteiligten ihre Schwierigkeiten.«

»Wir kommen sogleich darauf zurück, lassen Sie uns erst die wichtigeren politischen Fragen ordnen. Sie sind also gewiß, daß die preußischen Kammern die Anleihe von vierzig Millionen für die Kriegsbereitschaft bewilligen werden?«

»Es ist kein Zweifel daran, es ist wahrscheinlich in diesem Augenblick schon geschehen. Der Schluß der Kammern soll dann sogleich erfolgen, um dem Ministerium freie Hand zu lassen.«

»Gut! die Rückkehr des Königs und der Königin, die bereits in Wien angelangt sein müssen, wird alsdann trotz seiner Krankheit ein Gegengewicht gegen die napoleonischen Sympathieen des Ministeriums Hohenzollern sein. Nach der Bewilligung der vierzig Millionen hat Preußen keinen Vorwand, sich den militärischen Maßregeln länger zu entziehen, die bereits die kleineren Staaten zur Unterstützung Österreichs ergriffen haben. Aber Ihre Anwesenheit ist nötig, um ein wachsames Auge auf die Politik zu richten. Sie wissen, mit welcher thätigen Partei wir zu kämpfen haben, und welche Mittel die revolutionäre Partei durch die Verdächtigungen von London aus anwendet, die inneren Angelegenheiten zu verwirren. Auf das Ministerium Hohenzollern ist, obschon katholisch, nicht zu rechnen wegen der französischen Verwandtschaft. Der Einfluß Moustiers ist zwar entfernt, seine Liebesskandale und der Depeschendiebstahl hatten ihn unmöglich gemacht, aber de Launay ist noch da, und seine Verbindungen mit ihm sind geblieben. Ich weiß bestimmt, daß dieser in der preußischen Presse viel Lärm gemacht hat?«

Deshalb ist als Gegengewicht der Fürst Carini jetzt von Neapel ambassadiert worden. Das Kabinett von Wien wird überdies einen sehr gewandten jungen Diplomaten hinschicken mit einer liebenswürdigen Frau; der Einfluß der Frauen in Berlin ist wichtig, man muß mit gleichen Waffen kämpfen. Unterhalten Sie namentlich die Verbindung mit … und … Er hat sich sehr geschickt bei dem Regierungswechsel erhalten und die Gräfin ist ganz die unsere. Der Fürstkanzler Metternich ist ganz damit einverstanden, daß man von Wien Konzessionen macht. Es geht nicht ohne diese, wenigstens vorläufig.«

»Erlauben mir Monsignore, die Frage, ob der Fürst bereits nach Berlin abgereist ist?«

»Windischgrätz? nein! er soll nur im äußersten Fall hingehen und zunächst noch einmal es in Petersburg versuchen. Sorgen Sie vorläufig dafür, daß die katholischen Vereine am Rhein sich regen Bekanntlich wurden damals von mehreren rheinischen Vereinen anti-französische Demonstrationen gemacht. und in der Presse unaufhörlich auf die Gefahren aufmerksam gemacht wird, die für Deutschland aus einem Unterliegen Österreichs in Italien drohen. Sie haben an dem Organ der Konservativen in Preußen eine treffliche Stütze, und es ist sehr schade, daß Sie noch keinen Einfluß darauf haben erlangen können.«

»Monsignore,« sagte entschuldigend der Agent, »es befindet sich ein einziges katholisches Mitglied in der Redaktion und dieses ist ein Stockpreuße. Alle meine Versuche, Einfluß auf die Zeitung zu gewinnen, sind gescheitert.«

»So sorgen Sie dafür, daß die katholische Presse jetzt jede Kontroverse vermeidet. Suchen Sie in der Armee Propaganda zu machen für den Eintritt in die österreichische. Das Beispiel des Prinzen Nicolaus von Nassau muß Nachahmung finden in den deutschen Fürstenhäusern.«

»Der Prinz von Schaumburg …«

»Das genügt nicht. Wenn es gelänge, einen der preußischen Prinzen an dem Feldzug teilnehmen zu machen! Sie haben einen, der als Soldat viel verspricht und schon nach Indien gehen wollte. Man hat mir gesagt, daß er vor Begierde brennt, in einem größeren Kriege ein Kommando zu führen, und es würde ein Leichtes sein …«

»Monsignore,« sagte der Agent bestimmt, »das ist unmöglich. Nur wenn die Preußen am Rhein stehen, ist daran zu denken!«

»Gut denn! Ich hoffe, Sie haben mich vollkommen verstanden. Sie haben also mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß im Fall das Kriegsglück sich gegen uns erklärt, das Kabinett von Berlin sich sofort am Rhein engagiert sieht und seine kühle Zurückhaltung und Zögerung aufgiebt. Man muß Mittel finden, Preußen zu kompromittieren! Der General erwartet auf das Schleunigste Ihre weiteren Berichte nach Rom. Und nun lassen Sie uns die andere Angelegenheit ordnen. Noch eins, man hat mir gesagt, daß die Affäre mit dem Judenknaben Mortara in der nordischen Presse viel Lärm gemacht hat?«

Der Kommissionsrat zuckte die Achseln. »Sie wissen, daß die Hälfte der deutschen Journale in den Händen der Juden ist!«

»Das ist schlimm genug! Sorgen Sie indes dafür, daß die Sache in dem rechten Licht dargestellt wird. Die Autorität der Kirche muß aufrecht erhalten werden selbst unter den schweren Stürmen, die ich für sie heraufziehen sehe. Sie sagen also, daß die Mutter die Anerkennung des Mädchens verlangt?«

»Ja, Monsignore! Auch ist dieselbe ohnehin nötig, wenn von dem Marquis wegen der Erbschaft Schwierigkeiten gemacht werden sollten!«

»Das ist nicht zu befürchten, er hat uns selbst eine Bürgschaft dafür in die Hand gegeben, freilich, bevor er eine Ahnung hatte, daß die Erbin auftauchen würde. Ich hege seinetwegen keine Besorgnis trotz seines Geizes, nur die Begleitung des Grafen Montijo gefällt mir nicht. Der Marquis von Massaignac steht offenbar unter seinem Einfluß und es muß ein Geheimnis geben, das ihm diesen verschafft, und das wir noch nicht kennen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß die Dokumente vollständig in Ordnung sind. Lassen Sie uns diese daher noch einmal prüfen.«

Der Koadjutor verneigte sich zustimmend. »Hier ist zunächst das wichtigste, das Heiratsversprechen des erschossenen Leutnants de Reuble und die Erklärung, daß das zu erwartende Kind der Amalie Günther, seiner Braut, das seine ist. Ich kenne die Familie und den Charakter des alten Edelmannes. Dies schriftliche Versprechen ist in seinen Augen so gut wie die vollzogene Heirat.«

»Aber Sie sagten, daß die Familie heruntergekommen ist. Wird sie nicht selbst Ansprüche auf die Erbschaft erheben oder die Vormundschaft über das Kind in Anspruch nehmen?«

»Niemals! Er ist ein Mann von den starrsten Ehrbegriffen. Überdies wird die Familie nur erfahren, was unbedingt nötig ist, und hat nicht die Mittel, die uns zu Gebote stehen. Dadurch, daß Madame Polenz ihren Aufenthalt mit dem Kinde vorläufig in der Schweiz oder in Frankreich nehmen will, ist allen Befürchtungen vorgebeugt.«

»Weiter also!«

»Hier ist das Taufzeugnis des Kindes und eine Abschrift der Anmeldung der Aufnahme desselben bei jener Frau, bei der es angeblich gestorben ist.«

»Das ist der schlimme Punkt, da Sie unmöglich selbst hervortreten können.«

»Die Sache hat ihre Schwierigkeiten, aber es ist mir gelungen, sie zu lösen, ohne ihren Bruder, ein gefährliches Subjekt, hineinzumischen. Die Tochter der Frau, bei der das Kind untergebracht war, ein leichtsinniges, aber gutmütiges Geschöpf, hat nach dem Tode ihrer Mutter keinen Anstand genommen, vor unserm Notar die Aussage zu machen, daß das ihnen anvertraute Kind verschwunden oder gestohlen worden ist, und daß ihre Mutter eine andere kleine Leiche untergeschoben hat. Überdies haben wir das Zeugnis der Schusterfrau über das Muttermal der Wunde auf der Brust des Kindes und der Mutter selbst hat dies genügt, um ihr Kind anzuerkennen!«

»Das ist genug für uns und den Marquis, aber es würde wenig sein für die Gerichte der Laien.«

»Darum genießen wir auch durch Euer Hochwürden Vorsorge jenen Vorteil. Die Identität ist genügend dargethan, im äußersten Fall kann ich sie beschwören. Es handelt sich also noch um den Verzicht, und hier ist die notarielle Übertragung aller Erbschaftsansprüche seitens der Frau an die Kongregation. Da sie auf ein Datum vor der Geburt des Kindes zurückdatiert ist, kann das Dokument seitens der Verwandten des Vaters keinen Anfechtungen unterliegen?«

»Der Orden, Signor Boltmann, ist Ihnen für die gewandte Leitung dieser Angelegenheit verpflichtet. Es handelt sich jetzt demnach nur darum, von diesem rechtmäßigen Eigentum der Kirche Besitz zu ergreifen. Was muß nach Ihrer Meinung der Mutter ausgesetzt werden?«

»Wollen Sie das Mädchen zu einer Erbin machen oder nicht?«

»Ein bescheidener Stand wird genügen. Die Kirche braucht alle Mittel.«

»Dann, Monsignore, schlage ich eine Summe von fünfzigtausend Franken vor. Die Kongregation behält dann immer noch fast zwei Millionen.«

»Es sei! Ich bin damit einverstanden. Lassen Sie jetzt den Marquis und die Frau rufen, hochwürdige Mutter, wenn ich Sie bitten darf!«

Die Äbtissin, die bisher ohne Einmischung den Verhandlungen zugehört hatte, ging an die Thür und erteilte einer im Vorzimmer weilenden Laienschwester den Auftrag.

Der Rektor wandte während der Zeit, die bis zum Eintritt der Beschiedenen vergehen mußte, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand.

»Wissen Sie, ob die Gendarmen schon von ihrem Streifzug zurück sind, lieber Graf?«

»Nein, ich habe sie noch nicht kommen hören. Die Besorgnis der ehrwürdigen Mutter, die sich eine Schutzwache ausbat, scheint etwas zu groß zu sein. Der Tessin ist als neutrales Gebiet anerkannt, und die Grenze besetzt.«

»Doch nur ungenügend, die Herren Schweizer lassen es an sich kommen. Bei einem Krieg treibt sich immer eine Menge Gesindel umher, das weder Freund noch Feind gehört. Die Ankunft des Brigadiers mit seinen sechs Gendarmen diesen Abend ist daher ganz gut und wird genügen, nach unserer Abreise das Kloster gegen Unannehmlichkeiten zu schützen.«

»Es liegt zu weit vom Schauplatz des Krieges ab, um Besorgnisse hegen zu dürfen. Wissen Sie bereits, Signor Boltmann, daß der Erzherzog Johann in Graz gestorben ist?«

»Der ehemalige Reichsverweser? Wenn ich nicht irre, waren Euer Hochwürden damals in Frankfurt?«

Ein finsterer gehässiger Ausdruck flog über das Gesicht des Jesuiten, indem er von den Papieren, mit denen er sich wieder beschäftigte, emporsah. »Nur kurze Zeit, auf der Durchreise. Es war an jenem Tage, als jener Leichtsinnige und Undankbare die Strafe eines schrecklichen Endes fand.«

»Sie meinen den Fürsten Lichnowsky?«

»Ja. Das erinnert mich an eine Frage. Haben Sie weitere Nachrichten von jener Frau – aus Helgoland – und ihrem Kinde?«

»Nichts anderes, als was ich Ihnen berichtete. Sie ist verheiratet, das Mädchen bald erwachsen!«

»Seine Tochter!« murmelte der Jesuit. »Aber ich habe seinen Sohn!«

»Ich wußte nicht, daß Sie dem Prinzen noch einmal begegnet sind,« sagte der General.

»Ich war an seinem Totenbett und hörte seine Beichte, da kein anderer Priester in der Nähe war,« bemerkte kalt der Prälat. Villafranca, 1. Abteilung, II. Band, S. 158 »Doch, dort kommen unsere Leute.«

Die Thür des Gemachs öffnete sich, und eine Frau mit einem kleinen Mädchen von etwa 10 bis 11 Jahren trat ein.

Es war die Tochter des erschossenen Leutnants von Röbel mit ihrer Mutter, der Schwester des Zuchthaussträflings, der Polkamansell, der Witwe des Partikulier Polenz! In den Zügen derselben schien ein einziges Gefühl lebendig, die Liebe zu der wiedergefundenen Tochter, die Sorge um diese.

Herr Boltmann war ihr entgegen gegangen und führte sie zu einem Sessel.

»Setzen Sie sich, meine liebe Freundin,« sagte er deutsch. »Sie sind hier unter Freunden, wenn auch einige Ihre Sprache nicht verstehen. Wir werden uns deshalb bei der weiteren Verhandlung, auf die ich Sie bereits vorbereitet habe, der französischen bedienen müssen, die Sie ja sprechen. Diese würdige Frau, die wie eine Mutter für Ihre Tochter gesorgt und sie erzogen hat, wird Ihnen gern mit ihrem Rat beistehen, wenn der meine nicht genügt.«

Die betrogene und doch so glückliche Frau reichte ihm die Hand. »Sie waren der einzige, der mir ein teilnehmendes Herz zeigte, als ich keinen Freund auf der Welt hatte in meinem Schmerz, Sie gaben mir die erste Hoffnung, als ich all mein Glück im Grabe wähnte, und Sie haben diese Hoffnung erfüllt und mir meinen Engel aus diesem Grabe geholt. Ich werde Ihrem Rate unbedingt gehorchen und verlange nichts, als daß man mich ungehindert meiner Tochter leben läßt.«

Selbst das kalte egoistische Herz des Agenten wurde bei diesen hingebenden vertrauenden Worten einer Frau gerührt, deren furchtbare Energie im Haß und in der Rache er hatte kennen lernen, und die er so lange um ihr höchstes Glück hatte täuschen helfen. Der Vorwurf des Gewissens wurde aber bald durch den Gedanken an das Interesse des Ordens unterdrückt, dem er mit Leib und Seele gehörte, und das kalte ruhige Wort seines Vorgesetzten half ihm über die leichte Regung hinweg.

»Madame,« sagte der Rektor, »wir haben Sie rufen lassen, damit Sie vor Zeugen nochmals die diesem Herrn bereits gegebene notarielle Abtretungsurkunde bestätigen. Die Personen, die Anteil an Ihrem Schicksal nehmen, sind offen und aufrichtig mit Ihnen zu Werke gegangen. Sie wissen, daß zu Ihrem eigenen und des Kindes Besten die Existenz desselben so lange ein Geheimnis bleiben mußte, weil es Feinde hatte, denen an seinem Tode alles gelegen war. Sie wissen ferner, daß dieses Kind das Anrecht auf eine Erbschaft hat, daß Sie aber in keiner Weise die Mittel haben würden, einen Prozeß um dieselbe gegen die mächtigen und einflußreichen Personen zu gewinnen, die sie in Händen haben. In Ihrem eigenen Interesse also war es, wenn wir Ihnen den Vorschlag machten, uns dieses zweifelhafte Anrecht abzutreten, um es zum besten frommer Zwecke und der heiligen Anstalt, die dies Kind beschützt und erzogen hat, zu verfolgen.«

Der Jesuit überging den Umstand, daß der Mutter eben nur ihre Tochter wiedergegeben war unter der Bedingung dieser Abtretung, und nachdem sie diese unterzeichnet hatte.

»Ich weiß das alles, mein Herr, und welchen Dank ich Ihnen schuldig bin,« sagte hastig die getäuschte Frau, ihr Kind an sich ziehend und seine Stirn küssend. »Ich frage nicht nach dem Geld und wünsche nur, daß die unnatürliche Familie seines Vaters gezwungen wird, ihm dessen Namen zu lassen. Das ist das einzige Erbe, was ich verlange.«

Sie glaubte, es handle sich um das mütterliche Erbe ihres verstorbenen Geliebten, mit dessen Hilfe er beabsichtigt hatte, sie zu seiner Frau zu machen.

»Nicht so, Madame,« sagte der Prälat, »es ist ein Geschäft, bei dem wir die Pflicht haben, nicht nur das Interesse der Kirche und der wohlthätigen Stiftungen zu wahren, sondern auch die weltliche Zukunft dieses Kindes. Sie werden gegen die Entsagung aller Ansprüche fünfzigtausend Franken erhalten, was mit Ihrem eigenen Vermögen die Zukunft sichert.«

»Aber seinen Namen – soll Ferdinandine nicht den Namen ihres Vaters führen dürfen?«

»Nehmen Sie ihn immerhin an; hier ist der Beweis, daß dieses Kind berechtigt ist, ihn zu führen.«

Er war aufgestanden und reichte ihr ein Papier. Sie entfaltete es mit zitternder Hand, und ihr Auge war kaum darauf gefallen, als sie, ohne ihr Kind loszulassen, mit einem Schrei in die Kniee brach.

Es war das Heiratsversprechen des Leutnants von Röbel, das ihr Bruder ihr an jenem schrecklichen Abend gestohlen hatte, dessen Verlust den alten Major all ihre Beteuerungen verachten und sie wie eine Metze behandeln ließ.

»Allbarmherziger Gott! seine Schrift! seine Schrift! Mein Kind, küsse das Erbe Deines Vaters, das Dir einen ehrlichen Namen giebt! – Herr, wie Sie auch zu diesem Papier gekommen sein mögen, seien Sie gesegnet für diese Gabe!«

Ein Thränenstrom erleichterte ihre Brust, während das Mädchen die Arme um ihren Hals schlang und sie dem kalten hartherzigen Priester zitternd vor Aufregung die Hände entgegenstreckte. Auf dessen Wink hob der Kommissionsrat sie auf und setzte sie wieder in ihren Sessel, indem die Äbtissin ihm beistand, sie zu beruhigen.

»Sie sehen, Madame,« sagte sie, »was die heilige Kirche für Sie thut. Bei ihr ist Vergebung und Hilfe für alle Sünder. Seien Sie dankbar und wenden Sie Ihr Herz dem einzig wahren Heil zu!«

Die glückliche Mutter vermochte nicht zu antworten, denn ein Klopfen an der Thür, und der Eintritt zweier Personen unterbrach die unwürdige Komödie.

Es waren der Senator Marquis von Massaignac und sein Freund, der Vetter der Kaiserin der Franzosen, der Graf Don Alvaro Guzman de Montijo.

Der würdige Marquis hatte ungefähr das Ansehen eines Bullenbeißers, der zur Schlachtbank geführt wird. Auf seinem ohnehin häßlichen Gesicht spiegelte sich die Angst um seinen Gott, den Geldbeutel, den er aufs neue bedroht wußte, während sein würdiger Freund ohnehin schon wie ein Blutegel daran sog und zugleich eine offenbare und drückende Herrschaft über ihn übte, gegen die er sich doch nicht zu empören wagte.

Der Spanier dagegen mit seinem mißtrauischen finstern Charakter war sich der Zwecke vollkommen bewußt, wegen deren er seinen Freund zu dieser Zusammenkunft begleitet hatte, die auf die dringende und unabweisbare Einladung des Rektors zustande gekommen, und zu der sich beide heimlich von Paris entfernt hatten. Trotz der Beziehungen, in denen er zu dem Prälaten und dem Orden stand, und trotz des Beistandes, den dieser ihnen bei dem Verschwinden der jungen Marquise von Massaignac geleistet hatte, hielt er es doch für zweckmäßig, die Goldquelle, die er als seine eigene Beute betrachtete, zu überwachen, um sie nicht zu sehr schröpfen zu lassen. Auch verband er mit der Reise noch einen anderen Zweck.

Der Marquis war schon vorher von der Forderung genügend unterrichtet, und es handelte sich daher jetzt nur um den Schluß der Verhandlungen, da der würdige Senator die möglichsten Ausflüchte versuchte. Der Orden hatte indes auf Grund der ersten damals dem Kommissionsrat in Berlin gewordenen Fingerzeige von der Erbschaft vortrefflich manipuliert. Die Abschrift des Testaments des alten Haciendero, des Schwiegervaters des Obersten Massaignac lag vor, ebenso die Belege über die Sendung Laforgnes nach Berlin. Durch die Kammerherrin von Werben hatte der Kommissionsrat alle Notizen erhalten. Jetzt befanden sich die wirkliche Erbin, deren Recht nach dem Wortlaut des Testaments jedes Gericht anerkannt haben würde, und die notarielle Abtretung dieses Rechts seitens ihrer Mutter in den Händen der Kongregation, und wenn auch diese Abtretung oder der Verkauf selbst angefochten werden konnte, da die Erbin minderjährig war, so hatten die Väter Jesu auf der anderen Seite einen Rechtsgrund für sich, dem sich der Senator und sein Freund beugen mußten, da sie selbst ihnen denselben in die Hände geliefert hatten: Carmen Massaignac, die bald nach ihrem Verschwinden aus dem Kloster in Paris, wie die Herzogin von Ricasoli aus Rom, nach diesem entfernten Zipfel der Schweiz geschafft worden war, wo die ultramontane Partei die unbedingteste Herrschaft übt, und eine solche Einkerkerung leicht durchzuführen war.

Mit saurer Miene ließ der Marquis sich die Papiere über die Identität der Erbin vorlegen, während der Graf sie sorgfältig prüfte. Nachdem Madame Polenz in Gegenwart der beiden Franzosen die Übertragung der Erbschaft nochmals anerkannt hatte, von deren Betrag bisher nicht die Rede gewesen war, begleitete sie der Kommissionsrat auf einen Wink des Rektors nach ihrem Zimmer zurück. Sie sollte noch einige Wochen mit ihrer Tochter in dem Kloster zubringen und dann ihren Aufenthalt am Ufer des Genfer Sees nehmen, während Boltmann ihre Geschäfte in Berlin ordnete, wohin sie nur auf kurze Zeit zurückkehren wollte.

Zwischen dem Rektor und dem Marquis begann jetzt ein Feilschen um die Erbschaft. Jedoch, so viel Ausflüchte auch der Geiz und die Habsucht des Senators versuchte, die der Kirche war nicht minder groß, und auf den Vorschlag des Spaniers erfolgte zuletzt eine Einigung dahin, daß das Kapital der Erbschaft, wie es vor zehn Jahren der Familie von Röbel angeboten worden war, ausgezahlt, der Marquis jedoch wegen der unterdes aufgelaufenen Zinsen nicht in Anspruch genommen werden sollte. Der Senator mußte sich dazu verstehen, sofort Wechsel auf den Betrag auszustellen.

Bis hierher hatte Don Alvaro sich nur wenig in die Verhandlungen gemischt und die Beistand heischenden Blicke seines Freundes höchstens mit einem Achselzucken beantwortet.

»Einen Augenblick, mein Herr,« sagte er. »Ehe ich meinem Freunde raten kann, diese Papiere zu unterzeichnen, habe ich meinerseits eine Bedingung zu stellen!«

Die Augen der beiden Intriguanten kreuzten sich, der Graf erwiderte den fragenden Blick des Jesuiten sehr ruhig.

»Was wünschen Sie, Herr Graf? Sie wissen, daß wir bereit sind, Ihnen in jeder Weise gefällig zu sein, schon um Ihren Einfluß auf Ihre erlauchte Verwandte für Rom zu sichern.«

»Oh seien Sie in dieser Beziehung unbesorgt, hochwürdiger Herr,« sagte der Graf spöttisch. »Auch wenn ich in diesem Augenblick noch etwas gespannt mit meiner schönen Cousine stehen sollte, versteht doch der Beichtvater Ihrer Majestät so gut sein Handwerk, daß Rom selbst sicher ist, wenn es auch die Legationen nicht ganz retten sollte.«

Der Rektor zuckte zusammen bei dieser gefährlichen Andeutung, aber das Gesicht seines spanischen Landsmannes blieb so spöttisch ruhig, daß er nicht wußte, ob es mehr als ein zufällig hingeworfenes Wort sein sollte.

»Was wünschen Sie also, Herr Graf?« sagte er.

»Ich muß die Novize, die Sie die Güte haben, hier für das Kloster zu präparieren, noch vor unserer Abreise sprechen.«

»Die Schwester Rositta?«

»Ja, wenn sie diesen Namen behalten hat.«

»Aber Freund,« sagte der Marquis, »ich begreife nicht warum …«

»Still! es ist nötig. Oder wollen Sie sie vielleicht sprechen?«

Der Senator machte eine heftige Gebärde der Ablehnung.

»Es ist in der That nicht möglich, Monsieur,« erklärte die Äbtissin. »Es ist erstens gegen die Regel des Hauses und bereits so spät, daß bald zur Mitternachtsmesse für die Seele der hochwürdigen Schwester Veronika geläutet werden wird, die wir heute begraben haben.«

In der That hatte sie kaum ausgesprochen, als die Glocke der Klosterkirche ihre hellen scharfen Töne erhob.

Der Rektor hatte sich einige Augenblicke bedacht und seinen Entschluß gefaßt.

»Unterzeichnen Sie, Herr Marquis,« sagte er fest, »oder wir sehen uns gezwungen, unser Recht in anderer Weise geltend zu machen. Herr Graf, Sie werden die gewünschte Unterredung haben, und zwar sogleich. Es muß sein, hochwürdige Mutter, Sie haben vollen Dispens, bei dieser Angelegenheit von den strengen Regeln Ihres Klosters abzugehen, wie dies ja eben schon die Anwesenheit dieser Herren hier beweist. Ich bürge für alles. Lassen Sie die Schwester Rositta von der Nachtmesse zurück und den Herrn Grafen zu ihr geleiten.«

Die Äbtissin machte ein Zeichen des Gehorsams; der mächtige Einfluß des Prälaten übte unbedingte Herrschaft über sie. Sie ging nach der Thür, um der dienenden Schwester die nötigen Weisungen zu erteilen.

Der Rektor hatte sich erhoben und die Papiere in ein Portefeuille eingeschlossen.

»Meine Freunde,« sagte er salbungsvoll, »es ist Zeit, daß wir unser Gebet vereinen, ehe wir für wenige Stunden der Ruhe pflegen. Ich bringe nur diese Papiere in meine Zelle und erwarte Sie bei dem Gottesdienst.«

Ein sehr deutliches Gähnen des Grafen, der diese Einladung wenig bequem fand, antwortete ihm; dem Marquis aber schien die Gelegenheit, in der Kirche vielleicht noch eine ungestörte Unterredung mit dem Prälaten zu haben, sehr willkommen, da ihm der Besuch seines Genossen bei seiner Schwester eine unbestimmte Besorgnis erregte.

Unter diesen Eindrücken verließ die ganze Gesellschaft das Sprechzimmer der Äbtissin und begab sich nach der Kirche. Ehe die hochwürdige Mutter sich von ihren Gästen trennte, um sich nach dem Korridor zu wenden, der zu dem Chor der Klosterfrauen führte, bat sie den Grafen, einer dienenden Schwester zu folgen, die ihn zu der Zelle der Gefangenen führen sollte, die in jenem Teile des Klosters lag, der abgesondert von den Räumen der Nonnen war und deshalb das Betreten eines Laien möglich machte.

Das Kloster bestand aus einem Konglomerat verschiedener Gebäude. Diese bildeten ein unregelmäßiges Dreieck, dessen Basis, von den Wirtschaftslokalitäten gebildet, nach der Seite der Heerstraße sah. Zu ihr lief der Weg von dieser hinauf, um die Hauptfront des Gebäudes, das eigentliche Kloster und Pensionat, einen neueren Bau, an der Mauer entlang bis zur Kirche sich verlängernd, welche die Spitze des Dreiecks bildete. Diese Kirche hatte außer der Sakristei von außen noch einen Zugang für die Leute des Gebirges, die hierher zum Gottesdienst kamen.

In dem ursprünglichen Kloster, dem älteren Teil der Gebäude, der die dritte Seite des jetzigen Stiftes von der Kirche zurück nach den Wirtschaftsgebäuden bildete, befanden sich teils die Gemächer für fremde Gäste, die Zimmer für die Pensionärinnen und im untern Geschoß die Zellen für die Laienschwestern und Pönitentiaren. Von diesem Flügel, nach dem schroff abfallenden Felsenabhang des Gebirges, von einer Mauer umgeben, befand sich auch der Klostergarten, der bis an die Kirche ging.

Wir haben Carmen von Massaignac verlassen, als sie nach der Entfernung ihrer Leidensgefährtin sich allein in ihrer Zelle befand, um das Werk ihrer Befreiung energisch fortzusetzen.

Die Schwester Fausta, die Herzogin von Ricasoli, war bei dem Gange zur Kirche auf die Nonne getroffen, die den Dispens der Marquise von der nächtlichen Messe überbringen sollte; durch das Vorgeben der Gefangenen war dieser unnötig geworden, die Nachricht selbst aber erweckte in der Brust der Herzogin verschiedene Besorgnisse. Was hatte man unterdes mit ihrer Zellengenossin vor? und wie leicht konnte sie bei der Arbeit überrascht werden! Es ließ sich indes nicht ändern, sie mußte der Aufseherin nach dem Chor der Nonnen folgen.

Die Marquise hatte sich sogleich mit aller Kraft und Gewandtheit, die ihr abenteuerliches Leben ihr gegeben, an das Durchfeilen des Eisengitters gemacht. Nach einigen Versuchen hatte sie die richtige Art und Weise der Arbeit erfaßt und förderte rasch das Werk.

Plötzlich hielt sie zitternd inne. Die Thüre ihrer Zelle, die überhaupt keinen inneren Verschluß hatte, öffnete sich und ein Lichtstrahl drang herein.

Zwei Personen traten ein, ein Mann und die Schwester, welche die Aufsicht über diesen Teil des Klosters hatte.

Carmen von Massaignac hatte kaum Zeit, das Fenster vor den Eisenstangen zu schließen und die Feile in ihrem Ärmel zu verbergen.

»Gegrüßt sei Jesus Christ!«

»In Ewigkeit! Amen!« murmelte die Gefangene.

»Die hochwürdige Mutter,« sagte die Nonne, »hat gestattet, daß ein fremder Mann eine Unterredung mit einer armen verirrten und sündigen Schwester pflege, um sie vielleicht durch die Worte der Welt zur Erkenntnis des wahren Heils zu bringen. Ich bin beauftragt, Dich allein mit ihm zu lassen.«

Sie entfernte sich mit dem Zeichen des Kreuzes, nachdem sie die Lampe auf den Tisch gesetzt hatte.

Der Eingetretene, in einen kurzen spanischen Mantel gehüllt und das Gesicht bedeckt, blieb an der Thür stehen.

Nach einigen Augenblicken des Stillschweigens hatte sich Carmen gefaßt und ihre ganze Energie wieder gewonnen. Sie wandte sich nach dem Fremden und sagte kurz: »Signor, ich warte!«

Der Angeredete ließ den Mantel fallen und nahm seinen Hut ab.

Ein kurzer halb erstickter Schrei des Schreckens entfuhr dem Munde der Kunstreiterin. »Don Alvaro! Heilige Jungfrau!«

»Ja, Sennora, ich bin es, und habe die Ehre, meine Verlobte zu begrüßen!«

»Ihre Verlobte? feiger Mörder! Sie können es wagen, mit einem solchen Wort vor mich zu treten?«

»Ich muß bekennen, schöne Dame, daß ich Sie nicht recht verstehe! Wenn jemand sich zu beklagen hat, so dächte ich, wäre ich das, dem Sie, ich möchte sagen, von dem Traualtar weg vor sechs Jahren spurlos verschwunden sind, und ich habe ein so vortreffliches Gemüt, daß ich nicht einmal frage, wo meine Verlobte während der Zeit geblieben ist, was sie getrieben hat, oder ob sie immer in diesen ziemlich unangenehmen Klostermauern sich mit der Präparation für das Himmelreich beschäftigte?«

»Elender Heuchler,« sagte das Mädchen entrüstet. »Glauben Sie wirklich, ich wüßte nicht, daß ich Ihnen diese schändliche Haft verdanke, nachdem es Ihnen mißlungen war, die Kunstreiterin Rositta zu morden?«

»Was geht die Marquise Carmen von Massaignac die Kunstreiterin Rositta an?« erwiderte der Spanier kalt, »das sind für mich zwei ganz verschiedene Personen, und ich glaube, Sie werden gut thun, sie auch dafür zu halten!«

»Kommen Sie zur Sache,« sagte Carmen verächtlich. »Wenn Sie nicht bloß gekommen sind, um sich an dem schändlichen Werk eines unnatürlichen Bruders zu freuen, so sagen Sie kurz, was Sie wollen, denn Ihre Gegenwart ist mir verhaßter, als die Einsamkeit dieser Gefangenschaft.«

Der Graf warf einen kurzen scharfen Blick nach dem Fenster der Zelle, dann setzte er sich auf einen Stuhl in der Nähe desselben, so daß er dadurch das Mädchen nach der anderen Seite manöverierte. Sie blieb, die Arme gekreuzt, mit zurückgeworfenem Haupt und blitzendem Auge an der Wand stehen.

»Sie sind offenherzig, Carmen,« sagte der Graf spöttisch, »aber das ist eine Tugend aus Ihrer Jugendzeit her, die Ihnen der würdige Sennor, Ihr Vater, beigebracht, und ich schätze dieselbe. Sie wird uns hoffentlich die kleine Verhandlung, die wir miteinander haben werden, erleichtern.«

Die Gefangene bewahrte ihr stolzes Schweigen.

»Wissen Sie, daß der verehrungswürdige Senator, Ihr Bruder, sich in diesem Augenblick keine zweihundert Schritt von Ihnen befindet?«

»Ich konnte mir's denken, da ich Sie hier sehe!«

»Castor und Pollux, Orest und Pylades, und wie die klassischen Herren alle heißen! Nur möchte ich fragen, ob Sie vielleicht auch wissen, auf was diese große Anhänglichkeit und Freundschaft, die der Herr Senator, Ihr Bruder, mir gewidmet, basiert, da das Band, das uns zu Verwandten machen soll, leider noch nicht geschlossen ist?«

»Was kümmert das mich?«

»Vielleicht doch! wir kommen wohl später darauf zu sprechen. Beschäftigen wir uns vorerst mit Ihrer eigenen Person. Wann, schöne Sennora, soll unsere Hochzeit sein?«

Sie antwortete ihm nur mit einem verächtlichen Blick.

»Ich kann mir denken,« sagte er mit spöttischem Lächeln, »daß Sie gerade nicht große Eile haben um meiner Person willen, obschon ich wie Jakob um Rahel zehn Jahre um Sie gedient habe, aber je eher wir die kleine Ceremonie vornehmen, desto schneller wird dieser wenig komfortable Aufenthalt enden, und werden Sie der unübertrefflichen Pariser Gesellschaft wiedergegeben sein!«

»Wie? Sie denken noch im Ernst daran, mich zu heiraten?«

»Caramba! wir sind ja doch, wie Sie wissen, seit Ihrer Kindheit verlobt, und nur Ihre rätselhafte Flucht hat unsere Verbindung bis jetzt verhindert.«

»Aber ich glaubte, es handle sich jetzt um ganz andere Absichten! Ich meine, man wollte mich zwingen, den Schleier zu nehmen, damit die Habsucht meines Bruders sich an meinem Vermögen bereichern könne?«

»Ah bah! das mag die Absicht des werten Senators sein, ich bin anderer Meinung geworden! Wir werden uns heiraten!«

»Nie!«

»Par Dios! meine schöne Verlobte, Sie schlagen mich aus?«

»Ich verachte und verabscheue Sie! Sie wissen sehr wohl, daß ich deswegen aus Paris entflohen bin. Ich werde weder Sie heiraten, noch den Schleier nehmen. Ich bin mündig und Herrin meiner selbst. Diese Mauern können mich nicht immer halten, ich habe Freunde, die der Mißhandelten sich annehmen werden. Die Kaiserin selbst, wenn sie erfährt …«

»Sie wird es vorläufig nicht erfahren!«

Ein Blitz schoß aus ihren Augen. »Wissen Sie das so gewiß?«

Die Stirn des Spaniers zog sich bei dieser unvorsichtigen Drohung, zu der sich Carmen hinreißen ließ, in eine Falte, und er warf einen lauernden Blick umher.

»Es dürfte Ihnen doch etwas schwer werden,« sagte er dann. »Jedenfalls wollen wir dafür sorgen. Aber selbst wenn Ihnen dies glückte, wissen Sie, daß Sie bereits bürgerlich tot sind, daß Ihr liebenswürdiger und kluger Bruder Sie bereits vor einem Jahr hat für verschollen und tot erklären lassen und Ihr Erbe ist, weil Sie die Frist des gerichtlichen Aufgebots versäumt haben?«

»Sie wissen am besten, Don Alvaro, durch welche Gewaltthat ich daran verhindert worden bin. Aber es giebt noch Gerechtigkeit in Frankreich, und sobald ich frei bin …«

»Das Gesetz hat gesprochen, und es würde ein sehr zweifelhafter Prozeß werden. Ich bin der einzige Mensch, dem er nicht wagen wird, Ihr Erbe zu verweigern. Sie müssen mich heiraten!«

»Niemals, lieber eine Bettlerin!«

Der Spanier erhob sich, seine Stirn war finster wie eine drohende Gewitterwolke.

»Ich wiederhole Ihnen, es muß sein! oder Sie werden nie diesen Ort verlassen. Täuschen Sie sich nicht mit einer unnützen Hoffnung.«

»Niemals! eher wollte ich hier lebendig begraben bleiben. Aber ich biete Ihnen und dem Unmenschen Trotz, Gott wird mir beistehen, und der Schatten meines Vaters wird sein verfolgtes Kind beschützen!«

»Und dennoch werden Sie sich fügen! Bei einem Schatten, den Sie eben heraufbeschworen – bei dem Namen Ihres Vaters! – Sie werden das Gelöbnis Ihrer Mutter lösen oder …«

»Ich kann nicht, sie selbst würde dies Opfer nicht fordern, ich trotze Ihren Drohungen!«

»Nun denn, meine Geduld ist zu Ende! Auf ihren Knieen soll die stolze Carmen Massaignac mich bitten, ihr Opfer anzunehmen, oder ich will den Namen Massaignac so erniedrigen, daß die Henkersknechte selbst sich schämen würden, ihn zu tragen!«

»Lügner! feiger Lügner!« Ihre Stimme zitterte vor Entsetzen und Erregung.

Er trat dicht an sie heran, denn auf dem Gang vor der Zelle wurden Schritte laut.

»Ich weiß, was Sie sinnen,« sagte er mit zischender Stimme. »Aber auch aus diesen Mauern befreit, würden Sie nicht meiner Macht entfliehen. Aus diesem Kloster kehrt nur die Gräfin Gusman Montijo ins Leben zurück, oder Carmen Massaignac – die Schwester eines Vatermörders

Sie sank, wie von einem Blitzstrahl getroffen, in die Knie, das Gesicht in die Hände verbergend. Erst die Stimme ihrer Leidensgefährtin, der Herzogin von Ricasoli erweckte sie. Der Graf war verschwunden.

»Heilige Jungfrau, was ist geschehen, wer war hier? ich begegnete einem Mann! wir sind entdeckt!«

Mit einem Sprunge war die Tochter der Pampas, der wilden Prairieen des La-Plata, empor. Ihr Gesicht war totenbleich, aber ihre Augen funkelten wie die einer verwundeten Löwin, daß Faustella unwillkürlich zurückbebte.

»Er – er! der Schändliche! Kommen Sie! wir müssen fort um jeden Preis und kostete es das Leben!«

Sie flog an das Fenster und riß es auf, ihre zarten Hände faßten die Gitterstangen und rissen daran, daß die Eisenecken tief in dem Fleisch sich abzeichneten.

»Frei! ich will frei sein!«

Eine leise Stimme antwortete ihrem Ausruf von unten herauf.

»Sennora – sind Sie es?«

»Kapitän Laforgne, retten Sie mich, befreien Sie mich, bei dem Grabe Ihres Vaters beschwöre ich Sie!«

»Das ist der Ocean!« klang die Stimme des Offiziers, »aber seien Sie ruhig, ich verlasse Sie nicht. Was ist geschehen? Haben Sie die Stäbe durchfeilt?«

»Nichts! Nichts! ich wurde verhindert, aber ich will sie aus den Mauern graben mit meinen Nägeln. Barmherziger Gott, mache mich frei! laß mich hinaus!«

Die Herzogin riß sie mit Gewalt zurück von dem Eisengitter, das sie vergeblich zu erschüttern suchte.

»Ist alles andere zur Flucht bereit?« flüsterte sie hinaus.

»Ja, aber wie gelangen Sie heraus?«

»Der Zufall ist uns günstig! eben als ich aus der Kirche zurückkehrte, sah ich, daß die Pforte am Ende des Korridors offen steht. Sie führt zu einer Treppe im untern Raum; wenn es uns gelingt, dessen Thür von dort zu öffnen …«

»Wo? wo?«

»Kaum zwanzig Schritt zur Linken, im Winkel, ehe Sie an die Kirche kommen.«

»Ich werde sie sprengen, wenn sie verschlossen ist. Eilen Sie, den Versuch zu machen.«

Die Herzogin blies die Lampe aus, die der Spanier zurückgelassen, und faßte die Hand ihrer Schicksalsgefährtin. Diesmal war sie die Besonnene, Entschlossene.

»Kommen Sie, Carmen, geschwind! Wir werden frei sein!«

Sie ahnte nicht, wie vollständig sie es bald sein würde.

Geräuschlos öffnete sie die Thür, fast willenlos ließ sich die Argentinierin von ihr fortziehen. Wie zwei Schatten glitten sie durch den langen gewölbten Gang, der gespenstisch von einem einfallenden Mondstrahl erleuchtet war.

So kamen sie an die offene Thür zur Treppe, die in das Souterrain des Gebäudes führte, als plötzlich die Herzogin stehen blieb und die Hand ihrer Gefährtin krampfhaft preßte.

»Heilige Madonna! sehen Sie dort – auf den Stufen – die Gestalt, – ich selbst!«

»Sie täuschen sich, es ist das Mondlicht, lassen Sie uns eilen.«

Faustella fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann schritt sie vorwärts und stieg hastig, die Hand ihrer Gefährtin haltend, die Stufen hinab.

Sie befanden sich in voller Finsternis, bis sie unten in das Gewölbe gelangten, das zur Aufbewahrung von Holz und Gartengerätschaften diente. In ihrer Hast und ihrem Eifer hörten sie nicht den leisen Schritt, der ihnen folgte.

In dem Gewölbe selbst leiteten einige Mondstrahlen, die durch die schmalen Luftlöcher und Spalten fielen, die Schritte der Fliehenden. Zugleich tönte von außen ein leises Klopfen an das Holz der Thür.

»Sind Sie da?«

Das Klopfen und die Frage zeigten der Römerin in dem Dunkel die Stelle, wo der Ausgang sich befand. Sie waren im Augenblick dort.

»Soll ich sie aufbrechen? fragte der Offizier.

»Noch nicht! Lassen Sie uns erst versuchen – hier ist der Riegel! Den Heiligen sei Dank! die Thür ist nicht verschlossen!«

Sie hatte ohne Anstrengung die Riegel zurückgezogen, die Thür flog auf.

»Frei! frei!«

Die beiden Frauen eilten in den Garten, Major Laforgne und der Novize erwarteten sie. Der letztere trug unter dem Arm ein großes Portefeuille, es war ihm, als die Unterredung des Rektors mit den andern Personen in dem Sprechzimmer der Äbtissin stattgefunden, nicht gelungen, sie zu belauschen. Sein, durch die jesuitischen Grundsätze verwirrtes Rechtsgefühl glaubte sich aber berechtigt, durch jedes beliebige andere Mittel den Auftrag zu erfüllen, der ihm geworden, und so hatte er sich beeilt, aus dem Zimmer des Prälaten, das ihm zugänglich war, die Papiere zu entwenden, die er in Eile finden konnte.

Als Carmen von Massaignac die Hand des bewährten Freundes aus ihrer sonnigen Jugendzeit faßte, hob sich stürmisch ihre Brust, und sie hätte laut aufschreien mögen im Gefühl der erlangten Sicherheit. Aber der schreckliche Gedanke, den die teuflischen Worte Don Alvaros ihr eingehaucht, unterdrückte jedes andere Gefühl.

»Fort! führen Sie mich fort von hier, und ich will Ihnen mein Lebelang dankbar sein.«

Er hatte ihren Arm gefaßt. »Kommen Sie hier, in dem Schatten der Mauer! In zehn Minuten sind Sie in Sicherheit.«

Der Novize, die Herzogin hinter sich drein ziehend, eilte voran.

Sie bogen im Nu um den nächsten Vorsprung und liefen nach der Kirche zu.

Einen Augenblick hielten sie hier inne. Die Mauer des Gartens stößt hier an die Wand der Kirche, die frei aus dieser heraus auf das Felsplateau tritt, so daß der Besuch des Gottesdienstes durch die Bewohner der Umgegend erfolgen kann, ohne daß sie nötig haben, das Kloster zu betreten. Eine Thür der Kirche führt auf dieser Seite ins Freie und auf das Plateau, von dem weiterhin ein in die Felsenwand gehauener Fußweg den Niedergang in das Thal und nach der Heerstraße verkürzt. Am Ende der Kirche, gleichfalls außerhalb der Klostermauern, befindet sich der Anbau der Sakristei. An der Stelle, wo die Gartenmauer des Klosters an die Kirche stößt, war jene halb zusammengefallen und leicht zu übersteigen. Es war die Gelegenheit, die der junge Novize entdeckt und zu seiner Flucht benutzt hatte. Hierhin führte er seine Gefährten und half den Frauen die Mauer erklimmen.

Er und Carmen waren die ersten, der Major wollte den Schluß bilden.

In dem Augenblick, wo die Herzogin von der Mauer steigen wollte, blieb sie zum zweitenmal plötzlich stehen und legte die Hand an die Stirn.

»Heilige Jungfrau! sehen Sie dort – dort, das bin ich – mein Geist –«

Sie taumelte, der Offizier faßte sie in seine Arme. »Um des Himmels willen, fassen Sie sich, es ist nichts, der Bergwind bewegt die Sträucher. Fort, wir haben keinen Augenblick zu verlieren, ich höre Stimmen!«

Die Herzogin sprang über die Mauer und eilte über den Vorplatz der Kirche dem Abhang zu: Major Laforgne wollte ihr folgen, als er sich von kräftigen Armen umschlungen fühlte.

»Schurken, laßt mich los, oder ich töte Euch!« Ein rauhes Gelächter antwortete ihm, er suchte vergeblich die Pistolen im Gürtel zu erfassen, zwei starke Männer, Schweizer Gendarmen, wie er bei dem Ringen im Mondschein erkannte, umschlangen ihn und suchten ihm die Arme zusammenzuschnüren.

»Rettet Euch, Freunde! flieht, so rasch Ihr könnt, ich halte sie auf!« rief der Offizier in spanischer Sprache, so laut er konnte, während er mit aller Kraft gegen die Gendarmen rang.

In diesem Augenblick hörte man im Innern der Kirche einen Pistolenschuß. Gleich darauf heulte die Turmglocke, mit aller Kraft bewegt, ihre gellenden Töne durch die Luft.

»Kirchenschänder! Haltet ihn fest!« Das Wort zischte an dem Ohr des noch immer gegen die größere Kraft der beiden Gendarmen sich Wehrenden. Eine Männergestalt glitt an ihm vorbei und sprang über die Mauer, den Geflüchteten nach, die an dem steilen Rande des Abhanges zwischen den Büschen die ersten Stufen des Fußpfades suchten.

Aus dem Innern der Kirche tönte lauter Ruf durch das Heulen der Glocke. »Hilfe, Mord! Räuber! Mord!«

Ein gellender Pfiff von dem Ende der Kirche her, Stimmen wurden im Kloster laut, Lichter flogen an den Fenstern vorüber – – – – – – – – – – – – –

In dem Gotteshause selbst, an der heiligen Stätte des Altars hatte eine grauenvolle Scene sich ereignet.

Der Prälat selbst hatte es übernommen, die Mitternachtsmesse für das Seelenheil der vor zwei Tagen verstorbenen Nonne zu halten.

Nachdem sie vorüber war, kehrten die Bewohner des Klosters in ihre Zellen zurück, um bis zur Frühmesse die Ruhe zu suchen.

Der Marquis von Massaignac war dem Jesuiten nach der Kirche gefolgt, um an dem Gottesdienste teil zu nehmen. Er hatte eine bestimmte Absicht dabei, das Verlangen seines Gefährten nach einer Unterredung mit seiner Schwester, das ihm ganz unerwartet kam, und von dem der Graf vorher mit keiner Silbe gesprochen, hatte ihn bange gemacht. Sein Geiz, seine Habsucht fürchtete neue Opfer.

Deshalb wollte er sich mit dem Prälaten selbst verständigen, um der Fortdauer der schändlichen Haft seiner Schwester sicher zu sein oder weitere Zwangsmaßregeln mit ihm zu verabreden, damit sie endlich die Klostergelübde ablege, und er so von seiner ewigen Sorge befreit werde. Er wartete daher, bis sich alle aus der Kirche entfernt hatten und der Prälat, nachdem er die Meßgewänder in der Sakristei abgelegt, mit dem dienenden Chorknaben aus dieser zurück kam, um sich nach seinen Gemächern zu begeben.

In der Mitte des Schiffs vor dem Chor stand die Gruft noch geöffnet, in der man am Abend die verstorbene Nonne beigesetzt hatte, und die Pforte des Todes gähnte in der Dämmerung so finster und unheimlich, als begehre sie neue Opfer.

Sie sollte sie haben!

Den Marquis rüttelte ein kalter Schauer, als er an der schwarzen Pforte vorüberschritt; er mußte alle Kraft zusammennehmen, um die wenigen Minuten in der jetzt nur von der ewigen Lampe vor dem Hochaltar und den einfallenden Mondstrahlen erleuchteten Kirche auszuhalten.

Endlich hörte er die Thür der Sakristei hinter dem Hochaltar zufallen und sah den Rektor den Gang entlang kommen. Das Licht der Laterne, die der Chorknabe trug, fiel auf die Gestalt des Senators, und der Prälat erkannte ihn.

»Wie, Sie noch hier, Herr Marquis? Hat Sie das Bedürfnis der Andacht noch zurückgehalten, oder hatten Sie einen anderen Grund, noch hier zu verweilen?«

»Ich wartete auf Sie, hochwürdigster Herr!«

»Auf mich?«

»Ja, ich wünschte Sie allein und im geheimen noch vor unserer Abreise zu sprechen.«

Der Jesuit dachte sogleich an den ihm aufgefallenen Umstand, daß der Graf Montijo einen so merkwürdigen Einfluß auf den Argentinier übte, dem jedenfalls ein Geheimnis zu Grunde lag, und beschloß die Gelegenheit zu dessen Erforschung zu benutzen.

»Ich bin bereit, Herr Marquis,« sagte er, »und wenn es Ihnen genehm, kann dies sogleich hier geschehen. Geh' in die Turmhalle und warte dort, mein Sohn,« befahl er dem Knaben.

Der Chorknabe entfernte sich nach dem Haupteingang der Kirche, über dem sich der kleine Turm derselben mit dem Glockenstuhl erhob, und der nach dem Klosterhof führte.

Der schwere Vorhang vor dem innern Portal schloß sich hinter ihm.

»Wir sind allein,« sagte der Prälat. »Nehmen Sie hier Platz auf diesen Bänken, und reden Sie.«

»Ich weiß nicht, es ist so schauerlich hier,« bemerkte der Marquis, »ich gestehe offen, daß ich nicht Ihre Ruhe habe, Monsignore, und es vorziehen würde, an einem andern Ort mit Ihnen zu sprechen. Können wir nicht vielleicht ins Freie treten?«

Der Prälat lächelte, er durchschaute den Grund, der neben einer natürlichen Bangigkeit vor den Schauern des Orts den Marquis bewog, eine freiere Umgebung für ihre Unterredung zu suchen.

»Sie brauchen keine Besorgnis zu hegen, daß wir hier behorcht werden könnten. Indes, wenn Sie es wünschen, kommen Sie, und sagen Sie mir unterdes, um was es sich handelt.«

Er schritt ihm voran nach der Seitenthür der Kirche, die, wie wir vorhin erwähnten, ins Freie führt.

»Sie kennen den leichtsinnigen Lebenswandel meiner Schwester,« sagte während des Ganges der Senator, »und wissen, daß es unser Wunsch, ja, daß es notwendig ist, daß sie zur Büßung ihrer Sünden und der Schmach, die sie über ihre Familie gebracht hat, den Schleier nimmt.«

Der Jesuit nickte spöttisch, indem er die Hand an den Schlüssel der Thür legte und sie aufschloß.

»Es ist eine ebenso eigensinnige, wie gefährliche Person,« fuhr der würdige Bruder fort. »Ihr Wiedererscheinen in der Gesellschaft würde nur neuen Skandal hervorrufen. Sie muß also unter allen Umständen hier festgehalten und genötigt werden, das Gelübde endlich abzulegen. Sie haben meine Bereitwilligkeit gesehen, Monseigneur, mich in die zweifelhafte Forderung der Erbschaft zu fügen. Ich denke, die Kongregation kann mit einer solchen Ausstattung zufrieden sein.«

»Wir werden später davon sprechen. Aber warum hat dann Ihr Freund, der Graf Montijo, die Unterredung mit dieser so ungebärdigen Novize verlangt?«

»Das eben, hochwürdiger Herr, will ich von Ihnen wissen!«

Dies Geständnis kam dem Jesuiten allerdings etwas unerwartet. Er öffnete die Thür. »Kommen Sie,« sagte er. »Wir müssen die Sache überlegen; wie ich Herrn von Montijo kenne, hat er bei allem, was er thut, sehr bestimmte Zwecke.«

Die frische Nachtluft kam ihnen entgegen. Sie wollten eben ins Freie treten, als der Rektor seinen Begleiter am Arm faßte und zurückzog.

»Still! hörten Sie nichts?«

»Nein!«

»Da – wieder – das Zerbrechen einer Fensterscheibe – der Ton kommt aus dem Innern der Kirche!«

Er zog die Thür wieder an und den Marquis in den dunklen Raum zurück. Der Senator zitterte. »Um Himmelswillen, was haben Sie?«

»Ich glaube, man bricht in die Kirche ein, durch die Sakristei! Bleiben Sie hier, ich will nachsehen!«

Es fehlte dem Prälaten keineswegs an persönlichem Mut; er hatte ihn in den schwierigsten Lagen bekundet, als Missionär in wilden Ländern, auf dem Deck des scheiternden Schiffes an den Felsenklippen von Helgoland und bei vielen anderen Gelegenheiten. Er schlich leise im Dunkel die Mauer entlang nach dem Hochaltar zu, hinter dem sich der Eingang der Sakristei befand und stieg die Stufen des Altars hinauf, um, von diesem verdeckt, besser zu lauschen.

Auch der Marquis, der vor Schreck und Furcht bebend an der entfernten Thür, also in verhältnismäßiger Sicherheit stand, hörte deutlich das weitere Brechen einer Fensterscheibe, dann einen plumpenden Klang, als fiele ein schwerer Körper auf den Boden nieder, und gleich darauf das Rasseln von Riegeln und Eisenstangen.

Man öffnete offenbar von innen eine Thür.

Er wollte um Hilfe rufen und hinauseilen, aber die Furcht, auch um den Priester, der sich so kühn der Gefahr ausgesetzt, hemmte jede Bewegung.

In der Stille der Nacht, durch den Wiederhall der Gewölbe hörte man ein Flüstern.

Dann wurde mit einem schnellen Ruck die Thür der Sakristei zur Kirche geöffnet.

Einige Augenblicke schienen die Eingedrungenen zu lauschen, ob das Geräusch, das ihr Einbruch gemacht, gehört worden, oder ob die Kirche wirklich einsam wäre. Da sich nicht das geringste hören ließ, glitten vorsichtig drei dunkle Schatten hinter dem Altar hervor und in das Schiff der Kirche.

Der Marquis von seinem entfernten Standpunkt aus konnte dies alles deutlich bemerken, wenn er auch die drei Gestalten bei dem matten Dämmerlicht nicht näher zu erkennen vermochte. Die eine schien einem großen kräftigen Manne anzugehören, die andere einem Knaben oder Verwachsenen.

Alle drei bewegten sich vorwärts nach der Mitte der Kirche zu, als wollten sie die Sicherheit des Raumes weiter untersuchen.

»'s ist alles still, wir können gehen ans Werk,« flüsterte der Kleine. »Der Andreas hält draußen Wacht, Szabo bleib' Du hier und horch nach dem Haus der Weiber hin, die so dumm sind, vorzuziehen die Bessulim Jungfernschaft. den Alhuwin, Liebhabern. indes wir stecken das Geld und das Silber und die Juwelen in den Sack.«

»'s ist gut Jude, eile!« brummte der Wolfsjäger.

»Indes ich nehme hier die Steine und das Gold von dem Bilde links,« fuhr Abraham fort, »zünd' an Dein Licht, Curado, Konrad. und steck' ein die silbernen Leuchter vor dem großen Altar und schneid' ab die goldenen Fransen und such' nach dem Gefäß, woraus Ihr Christen zu trinken glaubt das Blut, das ist gekreuzigt worden vor achtzehnhundert Jahren und ist doch längst getrocknet fort!«

»Halt Dei Maul, Du Gotteslästerer, oder i schlag Di auf Deinen verfluchten Judenkopf,« sagte halblaut der ehemalige Argelino, der sich trotz seiner Verderbtheit nur mit einem gewissen Schauder seines ersten Kirchenraubes erinnerte, »'s isch a Schand, daß Du hier bist!«

Der Jude lauschte, während er mit einem angezündeten Wachsstreichholz bereits den Seitenaltar beleuchtete und zu plündern begann, »'s wird gleich sein den Heiligen, ob ein Jud' sie auszieht oder ein Christ,« meinte er spöttisch lachend. »Aber ans Werk, Curado, ich helf Dir sogleich!«

Der Schwabe zündete auf gleiche Weise ein Streichholz und steckte das Licht einer Diebeslaterne an, die er aus seiner Tasche zog. Dann schritt er nach dem Hochaltar zu. Als er die offene Gruft sich entgegen gähnen sah, die ihm der kurze Umkreis seines Lichtscheins zeigte, schreckte er zusammen.

»Heili Muder Gott's! was ischt das?«

Der Jude blickte sich um. »Was wird's sein? der Eingang zum Dalles! Bist Du ein Kind, daß Du hast Furcht?«

Der graue Dieb schritt weiter, die Stufen zum Chor wieder hinauf und näherte sich dem Hochaltar.

Plötzlich stieß er einen halb unterdrückten Schrei aus, in dem ungewissen spärlichen Schein der ewigen Lampe, die von der Decke hing, sah er eine dunkle Gestalt sich vor dem Altar aufrichten und einen Arm drohend ihm entgegenstrecken.

»Verfluchte! haltet ein in Eurem frevlen Werk,« sagte eine harte Stimme. »Einen Schritt weiter, und der Fluch der Kirche trifft Euch für Zeit und Ewigkeit!«

Der Argelino zitterte und drohte in die Knie zu sinken. In seinem Schreck ließ er den vollen Schein seiner Blendlaterne auf den, wie aus der Gruft emporgestiegenen Verteidiger des Altars fallen.

Es war der Prälat, der Jesuiten-Provinzial, der auf der obersten Sprosse des Altars stand. In seiner Rechten gleich einer Waffe des Himmels, hielt er das Allerheiligste, die Gold und Juwelen strahlende Monstranz und streckte sie drohend wie einen Schild dem Einbrecher entgegen.

Die Strahlen der Diamanten und Rubinen funkelten im Reflex des Lichtscheins aus der Diebeslaterne wie Spitzen durch das Dunkel, aber von den beiden, ihm zu Hilfe eilenden Genossen sah nur der Jude mit frechem gierigen Blick auf den kostbaren Schatz, der Wolfsjäger, der wilde Henker und Mörder fiel auf die Knie und schlug seine Brust.

»Herr, erbarme Dich meiner Sünden!«

»Hinauf, Curado, bist Du ein Weib? Schlag' den Pfaffen zu Boden und mach' uns reich!« zischte der Spion.

Der alte Dieb hörte ihn nicht, seine Augen hingen starr an den Zügen des Priesters, sein Blut kehrte in sein durchwettertes Gesicht zurück, das einen grimmigen teuflischen Ausdruck anzunehmen begann, jede Sehne seines Leibes schien sich zu spannen.

Die Augen des Jesuiten begegneten nicht ohne Erschrecken diesem Tigerblick.

» Exorcisco vos …«

»Azcoita! der Mörder der Donna Ximena!« heulte der alte Argelino. »Zur Hölle selber mit Dir, und sollt' ich ewig verdammt sein!«

Und mit der Schnelle des Blitzes riß er das Pistol aus seinem Strickgürtel und feuerte es, die Stufen hinaufstürzend, gegen den Priester.

Ein furchtbarer Schlag, wie das Knirschen zerbrochener Knochen, ein entsetzlicher Schrei, ein schwerer Fall – –

In diese schrecklichen Laute klangen von außen her ein gellender Pfiff, und von der aufgerissenen Thür der Kirche der gellende Ruf des erschrockenen Senators: »Hilfe! Mord! Räuber! Mord!«

Zugleich begann vom Turm die Glocke in gellen Tönen zu heulen. Der Chorknabe, der in der Vorhalle wartete, hatte bei dem Lärm durch die Thür geblickt und sich dann mit einer über seine Jahre gehenden Geistesgegenwart auf den Strick der Glocke geworfen, und zog sie nun mit aller Macht.

Dies war der Augenblick, wo Major Laforgne von den Gendarmen ergriffen worden, dies waren die Töne, welche die Flucht der beiden Gefangenen unterbrochen hatten und sie erschreckten!

Der bucklige Spion allein hatte seine Besonnenheit bewahrt; er riß den Slowaken empor. »Fort, Szabo, fort, laß uns laufen ums Leben!« Er stürzte ihm voran nach der Sakristei, der Wolfsjäger folgte ihm, er stieß ihn im Egoismus der Selbsterhaltung zurück und sprang aus der Pforte, die er achtlos hinter sich zuschmetterte, so dem Gefährten den Weg der Flucht versperrend.

Die Ereignisse folgten sich fast mit der Schnelligkeit des Gedankens, im Raum weniger Augenblicke. In dem Moment, wo der Senator schreckensbleich aus der Kirche eilte mit dem Hilferuf auf den Lippen, faßte eine Hand seinen Arm. Er glaubte, es sei einer der Räuber und stieß einen Schrei aus, aber indem er sich umwandte, traf er auf das boshafte Auge Alvaros, des Freundes, des Gebieters über sein Leben und seine Habe.

» Muy bien!« rief der Spanier. »Hinter ihnen drein, Marquis, es ist keine Gefahr mehr dabei, seit der Bursche gefangen ist. Fort, ihnen nach, indes ich ihnen den Weg abschneide. Es sind ja nur Weiber, Memme!«

»Wer, was? was ist geschehen!«

»Die schöne Carmen entwischt uns! Dort! geschwind! Fasse sie, oder alles ist verloren!«

Das Mädchen hatte sich umgewandt, das Mondlicht fiel voll auf ihr Gesicht, der Bruder erkannte sein Opfer und begriff, daß sein Gefährte Recht hatte. Der Geiz, die Angst überwand seine Feigheit, er sprang hinter den Flüchtenden drein mit der Gier des hungrigen Wolfes.

Plötzlich schien die Gestalt der Fliehenden sich vor ihm zu verdoppeln, das wehende schwarze Kleid von grobem Zeug, das weiße Kopftuch –

»Carmen! hierher! freche Dirne …!«

Er erfaßte ihr Gewand, in der Angst rang die Fliehende, so nahe der Freiheit, in seinen Armen und klammerte sich an das schwache Geländer, das den Felsenabsturz umgab, während ihre glücklichere Gefährtin endlich die Stufen des Fußsteigs gefunden hatte und von dem Novizen fortgerissen, eilig nieder glitt!

»Mordio! Mordio! fangt sie!« die Klosterglocke heulte – Geschrei – Hilferufe aus allen Fenstern!

In weiten Sprüngen über das Plateau, von der Sakristei her kam eine wilde Gestalt, einen keulenartigen Knittel schwingend. » Bassa manelka! Aus dem Wege, ihr Hunde!«

Der spanische Graf sprang hastig zur Seite, dem Schlage zu entgehen. Wie ein Sturmwind fuhr der Wilde, der flüchtende Henker, der Wolfsjäger, der entwichene Sträfling, auf das ringende Paar zu, das ihm den Eingang des Rettungsweges versperrte, denn hinter ihm waren bereits Gendarmen und Klosterleute mit allem bewaffnet, was zur Hand gewesen. Ein Stoß, das Brechen von Holz, ein Doppelschrei …

Der Szabo sprang die Stufen hinab, einen gellen Triumphruf ausstoßend – der Henker hatte seine Opfer!


Noch keine Viertelstunde war verflossen, das Schiff der Klosterkirche gewährte einen erschütternden Anblick, die Schlußdekoration des schrecklichen Dramas, das soeben gespielt.

Der noch vor kurzem einsame Raum war jetzt gefüllt mit Menschen, Laien und Klosterfrauen, das schreckliche Ereignis hatte für den Augenblick die gewöhnliche Disziplin gelöst, alle Bewohner des Klosters waren herbeigeeilt und aus dem Thale kamen, durch den ungewohnten Klang der Klosterglocke herbeigerufen, jetzt viele Angehörige und Landleute herauf, um Beistand zu leisten, oder zu sehen, was passiert sei.

Auf den obersten Stufen des Hochaltars, bleich, erschöpft sich auf den Altar stützend, sah man den Prälaten. Sein schwarzes Gewand war mit Blut befleckt, der linke Arm von der Äbtissin selbst mit einem Tuch verbunden, auf deren Fragen er übrigens nur kurz und unbestimmt antwortete. Die Kugel des Argelino hatte durch eine Bewegung bei dem Schuß nur leicht seinen Arm gestreift; trotz des Blutverlustes aber wollte er den Ort nicht verlassen und erteilte mit finsterer und entschlossener Miene Befehle.

Fast zu seinen Füßen, auf der untersten Stufe des Altars, lag der alte Dieb mit zerschmettertem Schädel. Die Strahlen der schweren silbernen Monstranz waren durch seinen kahlen Schädel gedrungen, und das tiefe Stöhnen des Unglücklichen und das krampfhafte Wühlen seiner Hände verkündeten, daß die Bemühungen des neben ihm knieenden Kommissionsrates, der einige wundärztliche Kenntnisse besaß und sie bis zur Ankunft des herbeigerufenen Arztes anwendete, vergeblich waren.

An der Seite des Chors, von drei Gendarmen bewacht, standen, die Hände gefesselt, der Major Laforgne und der bucklige Jude Abraham, den man in einem Winkel der Sakristei versteckt ergriffen hatte und der sich scheu vor dem finsteren Blick des Prälaten hinter seinen Wächtern zu verbergen suchte. Der Graf Montijo sprach auf der andern Seite angelegentlich mit dem modenesischen General und den Klosterfrauen. Unter diesen und den Pensionärinnen, die sich ängstlich wie eine Herde Schafe um den sie beschützenden Hund hinter ihrer entschlossenen und mutigen Vorsteherin zusammendrängten, befand sich auch die Witwe des Rentier Polenz. Rings umher bildeten, bald mit Nachrichten kommend, bald Aufträge erfüllend oder heimlich miteinander flüsternd, die Dienstleute des Klosters und die herbeigekommenen Landleute einen Halbkreis.

Aller Augen aber waren jetzt nach der Kirchenpforte gerichtet, durch die der Marquis von Massaignac bei dem schauerlichen Kampf zwischen dem Prälaten und dem alten Diebe entwichen war; denn da herein strömte jetzt unter Ausrufungen des Bedauerns, des Schreckens und der Entrüstung ein Haufe Volks.

Begleitet von dem Brigadier des Gendarmerie-Piketts trugen Knechte des Klosters und Landleute auf einer breiten Tragbahre zwei Körper, über die eine mitleidige Hand eine alte Altardecke gebreitet hatte. Hinter diesem traurigen Zuge aber kam, begleitet von dem jungen Novizen, totenbleich und das Auge voll Thränen, Carmen von Massaignac, ihr folgten unter der Aufsicht der anderen Gendarmen Bruder Pan, der Bettelmönch mit seiner Gesellschaft, das heißt mit dem Marodeur, den die Vorsicht des Spions in dem Schlupfwinkel zurückgelassen hatte, dem Kapitän Peard und seinem Bedienten. Bewohner der im Thal belegenen ländlichen Hütten, Männer und Frauen, schlossen den Zug.

Wie erzählt, war auf Bitten des Prälaten von den Kanton-Behörden am Nachmittag des Tages ein Pikett Gendarmen mit ihrem Brigadier im Kloster eingetroffen, um als Sauvegarde gegen die umherstreifenden Marodeurbanden und das Gesindel zu dienen, das der ausgebrochene Krieg an der Grenze in den Gebirgen versammelte. Diesen Umstand kannten weder der Novize Felizio, noch die Bande des jüdischen Spions. Der Brigadier hatte noch an demselben Abend mit der Hälfte seiner Leute einen Streifzug in die Umgegend unternommen und war bei der Rückkehr auf die in jener Schlucht zurückgebliebenen Gefährten der Einbrecher gestoßen, die unterdes ihren am Abend verabredeten Streich gegen die Klosterkirche ausführten. Trotz des Protestes des Engländers hatten die Gendarmen die ganze verdächtige Gesellschaft bis zum näheren Ausweis mit sich genommen, und als sie in die Nähe des Klosters kamen, hatte das Sturmleuten der Glocke ihnen verkündet, daß ein Unglück geschehen oder ein Frevel verübt worden. Obschon es ihnen nicht gelang, den auf der Flucht ihnen entgegenkommenden Slowaken mit seinem Genossen zu ergreifen, wurden sie doch bald durch den auf dem Plateau entstandenen Lärm noch aufmerksamer gemacht, und der Hilferuf Carmens veranlaßte den Brigadier, zwei seiner Leute den Felsensteig zum Kloster empor zu senden, während er mit seinen Gefangenen den breiteren Fahrweg benutzte. Fast auf der Mitte des Steiges trafen die Gendarmen mit Leuten aus dem Kloster zusammen, die auf den Ruf des Grafen Montijo hinabgestiegen waren, und fanden Carmen und ihren Begleiter neben zwei blutenden Körpern, die von der Höhe der Felswand durch die Hand des sich Bahn brechenden Wolfjägers herabgeschleudert an den Zacken der Felsen und in den Ästen der Büsche hingen.

Es war die unglückliche Herzogin von Ricasoli, die auf dem Wege zur Freiheit die Hand eines unheimlichen Geschicks erreicht, indem sie der Senator, durch die gleiche Kleidung getäuscht, für die entweichende Schwester gehalten hatte; es war der Vatermörder, den hier bei neuem Frevel gerechterweise die Hand eines Henkers getroffen hatte!

Der Graf Montijo hatte bei seinem Eintritt in die Zelle Carmens ihre Beschäftigung wohl bemerkt und sofort Verdacht geschöpft. Bei seinem Fortgehen hatte er dann die beiden im Kloster zurückgebliebenen Gendarmen gerufen und mit ihnen den Flüchtenden aufgelauert. – –


Der Brigadier ging durch das Schiff der Kirche auf das Chor zu und befahl den Trägern, ihre traurige Last dort nieder zu setzen.

»Hochwürdige Frau,« sagte er, »ich höre von dem Verbrechen, das man diese Nacht hier versucht hat. Fürchten Sie nichts, es ist uns, denk' ich, gelungen, die meisten Mitglieder der Bande zu ergreifen, wenn auch einige derselben leider entkommen sind. Meine Pflicht, und ich bitte dies zu entschuldigen, ist jetzt, die Beweise und Thatsachen sofort festzustellen, bis die Gerichte anlangen. Sie, mein Herr,« er wandte sich an den Prälaten – »sind nach allem, was ich weiß, der erste Zeuge. Ich bitte Sie um Ihren Namen.«

»Mein Name, Herr, ist Diego Corpas, oder vielmehr Corpasini, Provinzial und Rektor des Kollegiums Jesu zu Bologna.«

Man bemerkte, daß der Leib des Argelino bei diesem Namen zusammenzuckte und der blutige Kopf sich hob. Die bisher geschlossenen Augen öffneten sich und irrten mit wildem Ausdruck im Kreise umher.

»Dieser Mann, den Sie zu Boden geschlagen, ist einer der Banditen, die den Einbruch in der Kirche verübten?«

Es wies auf den Schwaben.

»Es ist ein Bösewicht, der, als ich ihm am Altar entgegentrat, versuchte, mich zu morden!«

Der Körper des Diebes, des Einbrechers, erhob sich, seine verstümmelte Hand streckte sich gegen den Ankläger.

»Mörder Du selbst! Denk' an Azcoitia, an die Brautnacht meines Herrn!«

»Er redet irre! sein Gehirn ist verletzt. Fahren Sie fort in Ihrer Untersuchung, Herr!«

»Der bucklige Schelm dort ist sein Gefährte. Er wurde, wie ich höre, in der Sakristei versteckt ergriffen?«

»Er ist ein früherer Diener von mir, ich werde den Gerichten weitere Beweise gegen ihn liefern.«

»Und dieser Mann? Wo hat man ihn ergriffen?« Der Brigadier wies auf den Major.

»Ein Kirchenschänder! er ist in das Kloster eingedrungen und hat zwei der Schwestern gewaltsam entführt!« sagte gehässig der Spanier.

»Lügner!«

Die Stimme war ernst und schwer, jedes Auge wandte sich nach der Stelle, von der sie gekommen.

Man sah eine junge bleiche Frau mit entschlossener Miene, mit flammendem Auge, in der niederen Tracht einer Klostermagd, vortreten.

»Mein Herr,« sagte sie mit fester lauter Stimme, »wenn Sie ein Beamter der Schweizer Republik sind, so fordere ich Schutz und Gerechtigkeit. Ich bin weder eine Nonne dieses Klosters, noch sonst ihm in irgend einer Weise dienstbar oder verpflichtet. Ich bin eine Gefangene, die man ohne Recht und Ursache in der schändlichsten Weise, gerade wie die Unglückliche, die ein Opfer unserer Flucht geworden, hier ihrer Freiheit beraubt hielt. Ich erkläre hier öffentlich und vor Zeugen, daß ich die Marquise Carmen von Massaignac und gegen jedes göttliche und menschliche Recht hier gefangen gehalten worden bin, um meines Erbteils beraubt zu werden!«

Die unerwartete, mit flammendem Blick, mit lauter Stimme gegebene Erklärung machte offenbar unter allen Anwesenden große Sensation.

Der Brigadier sah verlegen bald auf die Äbtissin, bald auf den Prälaten.

»Diese Person,« sagte endlich die erstere, »ist uns von ihren Verwandten als eine Gefallene und Sünderin übergeben worden, damit wir sie durch Beispiel und Gebet auf den Weg des ewigen Heils bringen fallen. Ich kenne sie nur als das Mitglied einer Gaukler- und Tänzer-Gesellschaft mit dem Namen Rositta.«

Die junge Marquise trat einen Schritt zurück, ihre Hand faßte entschlossen die Altardecke über den zerschmetterten Leibern und schleuderte sie zurück, während sie mit funkelndem Auge auf die verlegene Vorsteherin der heiligen Anstalt sah.

Unter der Decke lagen zwei Körper, Faustella, starr und tot, die linke Schläfe trug die dunkle Wunde eines scharfen Steines, auf den sie im Fall geschlagen, und ein roter Blutstreif zog sich aus dieser entlang – sonst war diese einst so reizende herrliche Gestalt unverletzt. Die Falte zwischen den Brauen, der festgeschlossene Mund gaben ihr eine wunderbare Gleichheit mit Faustina, der gespenstigen Venus von Rom.

Neben ihr, sie noch halb umschlingend, lag der Körper des Senators, des zehnfachen Millionärs, beglückt mit allen Ehren und Gütern des Lebens und dennoch der verworfenste Mann, ein Vatermörder. Nicht der augenblickliche Tod war ihm von der Faust des Henkers zu teil geworden, jedes Glied, jeder Knochen in diesem jämmerlichen Leib schien gebrochen und zerschlagen, und doch war das Leben noch nicht entwichen, sondern klammerte sich fest mit der rasenden Angst vor Vernichtung und der Verzweiflung des Gewissens an diese willenlose Masse von in entsetzlichen Qualen zuckendem Fleisch. Selbst das Gesicht war zerschellt und der Unglückliche, Verworfene, vermochte nicht einmal ein Wort zu lallen, nur die im gräßlichen Ausdruck rollenden Augen gaben Zeugnis von dem noch vorhandenen Leben.

Der Beistand des Kommissionsrates war sofort von dem Argelino auf den so furchtbar Zerschmetterten übergegangen, aber sein flüchtiges Achselzucken gab zu erkennen, daß von Hoffnung auch hier nicht mehr die Rede war.

»So wahr diese Unglückliche,« rief die Argentinierin laut, »die einst so stolze und glückliche Herzogin von Ricasoli, die Nichte des Papstes war, seit zehn Jahren ihrer Jugend, ihrer Güter, ihres Namens beraubt durch die schändlichen Intriguen derer, die sich die Diener der Religion nennen, so wahr bin ich Carmen von Massaignac, die einzige Schwester dieses Mannes, den das Gericht Gottes getroffen hat, und es ist mehr als ein Mund hier, der dies bezeugen kann! Ich wiederhole Ihnen, mein Herr, ich fordere Ihren Schutz und sofortige Befreiung!«

»Wenn es eines Zeugen bedarf,« sagte spöttisch der Major, »so steht hier ein solcher, zwar vorläufig gegen alles Völkerrecht mit gebundenen Händen, aber ich hoffe, daß die Neutralität der hochachtbaren Eidgenossenschaft sich nicht länger darin bekunden wird, Offiziere der sardinischen Armee wie Spitzbuben und Wegelagerer zu behandeln!«

»Wie, Herr? Sie wagen es, sich für einen Offizier des Königs von Sardinien auszugeben?« fragte der Beamte.

»Ich bin der Major Laforgne von dem Stabe des Generals Garibaldi. Wenn Sie die verdammte schwarze Kutte vom Leibe ziehen wollen, wird Ihnen meine Uniform den Beweis liefern. Außerdem steht Ihnen mein Patent zu Diensten! Deshalb bitte ich, jetzt die unwürdige Behandlung, die mir widerfahren ist, und für die ich den Urheber zur Rechenschaft ziehen werde, zu enden!«

Der Brigadier war sichtbar in der größten Verlegenheit, da die ernste Sprache des Offiziers ihm imponierte.

Die Äbtissin kam ihm zu Hilfe. »Dieser Herr, selbst wenn er die Person ist, für die er sich ausgiebt, hat jedenfalls den Vertrag der Neutralität verletzt, der die Anwesenheit fremder Truppen auf Schweizer Gebiet verbietet. Überdies ist er bei einem Überfall des Klosters, bei einer gewaltsamen Entführung von Angehörigen desselben betroffen worden!!«

Laforgne zuckte die Achseln. »Bedenken Sie wohl, was Sie thun, mein Herr,« wiederholte er. »Ich befinde mich in Privatangelegenheiten hier auf Schweizer Gebiet, was durch nichts verboten ist, wie die Anwesenheit eines Offiziers von der österreichischen Armee« – er wies auf den modenesischen General – »beweist. Diese Dame gehört, wie Sie aus ihrer Erklärung vernommen haben, nicht zu den Angehörigen des Klosters. Sie von hier fortzuholen, ist demnach kein Verbrechen gegen die bürgerlichen Gesetze, und ich habe nicht einmal das Haus betreten. Wollen Sie mich losbinden lassen oder nicht?«

Die Blicke der Beteiligten wandten sich auf den Prälaten, gleichsam seine Entscheidung fordernd, doch dieser sah finster zu Boden und schien über einen Entschluß zu brüten oder einen innern Kampf zu bestehen. Der Brigadier gab den Gendarmen ein Zeichen, die Bande des Offiziers zu lösen, was alsbald geschah.

Er riß sofort den schwarzen Novizenrock von den Schultern und trat zu der Marquise. »Jetzt, Sennora,« sagte er entschlossen, »fürchten Sie nichts mehr, ich bin meinem Freunde Otto von Reuble für Ihre Sicherheit verantwortlich.«

Eine Bewegung unter den Klosterfrauen machte sich bemerklich bei der Nennung dieses Namens, auf welche die meisten nicht geachtet; Amalie Günther – denn sie wies mit Abscheu den Namen ihres Gatten von sich – trat unwillkürlich einen Schritt näher und betrachtete die mit neuem Interesse, der man einen Namen genannt hatte, den ja auch ihr eigenes Kind trug.

Die Marquise wandte sich einen Augenblick ab, sie öffnete ihr Busentuch und zog einen Gegenstand hervor, den sie auf ihrer Brust verborgen hatte.

Es war das einzige, was sie vor den gierigen Händen der Harpyen im Kloster der Kamaldulenserinnen in Paris gerettet hatte, es war der Ring mit dem schwarzen Diamanten der Kaiserin.

Sie reichte ihn dem Offizier.

»Nehmen Sie, Freund, ich habe hier eine Pflicht zu erfüllen. Wenn Sie in acht Tagen nicht von mir hören, wenn man es wagen sollte, mich nochmals meiner Freiheit zu berauben, so liefern Sie diesen Ring auf sicherm Wege in die Hände der Kaiserin von Frankreich mit dem Bericht dessen, was hier geschehen, und ich weiß, daß Carmen Massaignac dann der mächtigste Schutz oder eine schwere Rächung nicht fehlen werden.«

Ihr stolzer herausfordernder Blick suchte den boshaften Feind im Kreise, der Graf Alvaro war verschwunden!

Eine Handbewegung des Prälaten, der einige Worte mit dem Kommissionsrat gesprochen, welcher den Zustand des Senators untersucht hatte, bedeutete sie, den Ring zu behalten.

»Es ist unnötig, Madame,« sagte er, »die Marquise Carmen von Massaignaic, die nur durch einen Irrtum und eine Täuschung der hochwürdigen Äbtissin über ihre Person hier zurückgehalten wurde, hat nichts mehr zu fürchten. Sie ist frei, und ich selbst stelle ihr meine Mittel und all meinen Einfluß zu Gebote.«

Der Jesuit hatte, als er erkannte, daß es unmöglich sein werde, die früheren Pläne auszuführen, und nachdem ihn der Kommissionsrat versichert hatte, daß der Marquis rettungslos verloren sei, sofort mit der Klugheit seines Ordens das bisher verfolgte System aufgegeben und sich den Umständen gefügt. Seine Kenntnis der Verhältnisse sagte ihm, daß mit dem Tode des Marquis die Umstände gänzlich geändert wären und Carmen die alleinige Erbin des kolossalen Vermögens werde, da der Senator keine Kinder hinterließ. Schon um des Anspruchs willen, den die Gesellschaft Jesu auf das Erbe des alten Haciendero erhob, mußte man jetzt vermeiden, die Besitzerin des Vermögens sich noch mehr zu verfeinden.

Die Äbtissin begriff zwar diese plötzliche Sinnesänderung nicht, aber sie war zu sehr gewöhnt, dem gewichtigen Einfluß des Prälaten sich unterzuordnen, um sich einen Widerspruch zu erlauben. »Hochwürdige Mutter,« fuhr der Rektor fort, »ich bitte Sie, passende Zimmer für diese Dame in Bereitschaft setzen zu lassen, denn ich denke, daß sie von der schrecklichen Scene dieser Nacht angegriffen und der Ruhe bedürftig sein wird.«

Die junge Marquise verneigte sich kalt, sie wußte, was sie von diesem plötzlichen Eifer zu halten hatte. »Ich bin gezwungen, Madame,« sagte sie, »von Ihrer Gastlichkeit noch länger unfreiwilligen Gebrauch zu machen, denn meine Pflicht gebietet mir, diesen Mann, der mein Bruder ist, nicht zu verlassen. Eine heiligere Pflicht für mich ober ist, nicht von der Leiche einer Freundin und Genossin schrecklicher Tage zu weichen, damit wenigstens ein teilnehmendes Herz der Unglücklichen zur endlichen Stätte des Friedens folgt!«

Sie war neben der Bahre niedergekniet und küßte die bleiche Stirn der Toten, ohne dem gräßlichen Leiden des Mannes an deren Seite einen Blick zu schenken.

Der Brigadier hielt es an der Zeit, sich wieder in die Verhandlungen zu mischen. Während die meisten Anwesenden dem Arzt ihre Aufmerksamkeit zuwandten, den man aus dem Flecken Birenieo am Fuß des Berges herbeigeholt hatte und der endlich angekommen war und sofort die Untersuchung der Verwundeten vornahm, befahl er, die anderen Gefangenen, die sich bis jetzt im Hintergrunde gehalten hatten, näher treten zu lassen.

Die Miene des würdigen Bettelmönchs glich sehr der eines armen Sünders unter dem Galgen. Das Kupfer seiner Nase hatte sich trotz der Rumflasche, dem Geschenk des englischen Kapitäns, stark in eine mattbläuliche Farbe verwandelt, und er ließ sein gewaltiges Mundwerk wie ein erwischter Pudel hängen, da er sich hier in einem Kloster, also auf eignem Grund und Boden sah, was ihm höchst unbequem und verdrießlich war. Dennoch hatte er Unverschämtheit genug, sofort das Handwerk zu begrüßen, als er die geistliche Kleidung des Prälaten sah.

»Uf!« sagte er, ohne weiteres dem Rektor die breite Hand zum Gruß entgegenstreckend. » Ave Maria purissima! ich will keinen Tropfen vernünftiges Getränk mehr zu mir nehmen, wenn ich nicht froh bin, wieder unter heiligen Leuten zu sein! Ich hoffe, man wird hier ein unwürdiges Mitglied der Kirche, das seit zwei Tagen keine ordentliche Mahlzeit gehalten hat, nicht verschmachten lassen!«

»Wer ist dieser Mensch?« fragte der Rektor streng, ohne die dargebotene Hand eines Blickes zu würdigen.

Dem Bettelpfaffen begann sofort wieder der Kamm zu schwellen. »Oho! sachte, sachte! Akuschla, mein Liebling! Ein Mensch? ei seht mir doch! weil meine Kirchenuniform nicht mehr ganz so neu ist, wie die Eure, glaubt Ihr mich mit Nasenrümpfen betrachten zu können? Aber ich habe vielleicht bessere Weihen erhalten, als Ihr, müßt Ihr wissen, wenn ich auch jetzt mit dem Sack auf dem Rücken terminieren muß, statt daß ich sonst meinen ehrlichen Esel hatte!«

»Es ist ein Bruder Terminierer aus einem Kloster in der Waadt, Herr,« berichtete der Brigadier. »Ich kenne ihn wohl, denn er ist der unersättlichste Schlauch im ganzen Waadtland und Tessin, aber sonst ein lustiger Bursche. Nur treibt er sich gewöhnlich in der schlechtesten Gesellschaft umher, und das eben ist mir verdächtig gewesen.«

»Haben Sie die Güte, diesen Schandfleck für den geistlichen Stand morgen früh per Schub nach seinem Kloster zurückbringen zu lassen. Ich werde an den Bischof seinethalben berichten.«

» Goddam!« sagte der Engländer, »Sie saind sehr streng mit diese Bruder Pan, der saind ein sehr gutes Mensch und haben viel Durst! – Ich möchten nun aber uissen, ob Sie mir uerden morgen geben Gelegenheit zu schießen die Weißröcke, uie man mir hat versprochen!«

»Es ist ein Engländer,« berichtete der Gendarm.

»Er erklärt, daß er hierher gekommen sei, um auf die österreichischen Schildwachen zu schießen und will sich das nicht ausreden lassen. Seine Papiere sind in bester Ordnung. Wir haben ihn mehr mitgenommen, um ihn selbst vor einer Ausbeutung durch die Gesellschaft zu schützen, in der wir ihn gefunden; denn ich hege keinen Augenblick Zweifel daran, daß die Spitzbuben, die hier eingebrochen, dazu gehören.«

» No – no!« erklärte der Kapitän. »Es saind maine Freunde und ich habe gemacht mit sie mainen Kontrakt. Vor jeden Österreicher aine Guinee. Ich habe geschossen die Uilden in Amerika und die Schuarzen in Dahomey und die Indier, die gebunden geuesen sind vor die Kanonen und es hat mich gekostet viel Geld. Jeder Gentleman kann haben seine Liebhaberei, und ich uünsche jetzt zu schießen die zahmen Soldaten, um zu sehen, uie sie thun sterben.«

»Ich glaube, ich habe von diesem Manne gehört,« sagte der General. »Er ist ein Kapitän Peard und unter dem Namen ›der Menschenjäger‹ bekannt, da er zur Schande der englischen Nation ein Geschäft daraus macht, dem Ende von Verunglückten beizuwohnen, oder wo er dies unter dem Schutz des Krieges oder der britischen Macht ungestraft thun kann, unschuldige Menschen hinterrücks niederzuschießen.«

» Yes! yes!« sagte der Kapitän, sich vergnügt die Hände reibend, »das saind so. Ich saind ein großer Freund zu sehen den Tod. Ich uerden beobachten diesen Mann, dem saind eingeschlagen der Schädel, und diesen andern, der zerschlagen hat alle seine Knochen.«

»Ich möchte Ihnen raten,« bemerkte der Prälat streng, »möglichst schnell die sardinische Grenze zu gewinnen und unter die Scharen des Herrn Garibaldi zu gehen, wozu Ihnen dieser Herr vielleicht helfen kann; denn bei den Schweizer Behörden oder in der Armee des Kaisers Franz Joseph dürfte Ihre Liebhaberei wenig Schutz finden. Dieses Haus frommer Frauen hat jedenfalls kein Dach für Sie!«

» Well! Aber ich sain sehr müd' und werde bleiben diese Nacht hier. John!«

»Sir!«

»Seh' zu, daß meine Buchs ist im guten Stand; Du kannst legen meine Decke dort an die Seite zum Schlafen.« Er trat zu der Bahre, ohne sich um die Umgebung weiter zu kümmern, und klemmte das Lorgnon ins Auge, um den Versuchen des Wundarztes zuzuschauen, den zerschmetterten Gliedern des Marquis, den man jetzt auf eine herbeigeschaffte Matratze gelegt, einen Verband anzulegen. Der Prälat widmete ihm sowie dem anderen Gefangenen keine Beachtung mehr, denn sein finsteres Auge hatte sich jetzt mit allem Haß seiner Seele auf den Novizen gerichtet.

»Tritt näher, Felizio!«

Der junge Mann, bleich, das Auge auf den Boden gesenkt, aber die Lippe fest und trotzig geschlossen, gehorchte dem Befehl.

»Wo bist Du gewesen? wie kommst Du aus dem Kloster?«

»Ich war auf der Flucht; ich kann es nicht länger ertragen, Ihr Sklave zu sein: ich will frei werden!«

»Unsinniger! vergißt Du, daß Du der Kirche gehörst?«

»Ich habe das Gelübde noch nicht abgelegt. Ich will nicht länger mich unterdrücken und behandeln lassen wie ein Kind. Seit ich denken kann, habe ich in meinem traurigen Leben nichts als Haß und Druck empfunden. Ich verabscheue den Stand, zu dem Sie mich zwingen wollen; dieses Leben ohne Willen, ohne Selbstachtung, wo jedes menschliche Gefühl erstickt wird, und der Mensch eine bloße Maschine, der Fußschemel derer ist, die sich zu seinen Gebietern aufgeworfen, ist schlimmer als der Tod!«

»Undankbarer – so redest Du von den Wohlthaten der heiligen Kirche, die sich des Kindes der Sünde und des Fluches angenommen, damit es nicht untergehe in den Verbrechen seiner Erzeuger?«

»Ich weiß nicht, wer meine unglücklichen Eltern waren,« sagte der Jüngling mit leidenschaftlichem Ausbruch. »Ich habe nie weder Vater noch Mutter gekannt, aber ich weiß, daß seit meiner Kindheit mich der Haß verfolgt hat. Warum habe ich nicht wie der Sohn des geringsten Bettlers meiner Heimat mich erfreuen dürfen, an dem sonnigen Himmel Biskayas, spielen dürfen an dem Felsenstrande des grünen Meeres oder schweifen durch die Thäler der Pyrenäen, statt eingekerkert zu sitzen in den finstern dunklen Mauern jenes Klosters, jeder kindlichen Freude beraubt, unter der Geißel mich windend, mit Vorwürfen überladen, wenn der Geist der Jugend sein Recht verlangte! Und dennoch war dies Leben des Zwanges und der Tyrannei ein glückliches gegen das, was ich führte, seit Sie in unsere Berge kamen, um mich abzufordern – nur der Himmel weiß, mit welchem Recht. Damals atmete ich wenigstens die Luft meiner Heimat, ich sah die mächtigen Gipfel der Pyrenäen sich zu den Wolken türmen, ich hörte die teuren Laute meiner Sprache und durfte glauben, daß derselbe Himmel sich über den Gräbern meiner Eltern wölbte. Da rissen Sie mich los von dem allen und machten aus dem vollen Herzen, das dem Leben so gern entgegengeschlagen hätte, einen Sklaven Ihrer Laune, ein Geschöpf ohne Glauben, ohne Freude an Gott und der Welt, einen Frevler an den besten Gefühlen der Menschen – Sie machten aus mir einen Jesuiten!«

»Wahnsinniger, Du vergiltst mit Lästerungen die Sorge und Liebe!«

»Liebe?« wiederholte der junge Mann mit dem Ausdruck bitterer Verachtung. »Wagen Sie, es Liebe zu nennen, wenn das Raubtier mit seiner Beute spielt, ehe es sie zerreißt? Sie haben mich gehaßt, seit ich geboren bin, ich weiß nicht warum, aber ich fühle es tief in meinem Innern, daß es so ist. Aus Haß haben Sie mich zu sich genommen, um mich quälen zu können; aus Haß haben Sie mich zum Eintritt in Ihren Orden bestimmt und gezwungen; aus Haß fesseln Sie mich an sich, um mich verderben zu können, wenn meine Zeit gekommen! Darum bin ich geflohen, darum will ich ein freier Mensch werden!«

»Meinst Du?«

Die Erregung des jungen Mannes, die nach jahrelangem Dulden so plötzlich sich Bahn aus dem Herzen auf die Lippen gebrochen, hatte sich in der Sprache seiner sonnigen Heimat Luft gemacht, deshalb war sie von den meisten der Anwesenden nicht verstanden worden.

Aber unter den vier Personen, welche diese Sprache außer dem Prälaten redeten, hatten die Worte ein lebhaftes Echo gefunden.

Der Offizier Garibaldis stand, entschlossen, seinem jungen Gefährten bei der Entführung der beiden Frauen beizustehen in dem Werk der Emanzipierung von der Knechtschaft, die ihn bisher gedrückt, die Arme gekreuzt und erwartend, was folgen würde. Selbst der Modenese heftete einen Blick neugieriger, forschender Teilnahme auf den Jüngling und wandte ihn dann aufmerksam auf den Jesuiten; die Marquise hatte die tote Freundin verlassen und ihre Hand faßte warm die des Novizen.

»Sie haben ein Herz für mich in meiner Not gehabt,« sagte sie in der Sprache seiner Heimat, »und sind zurückgekehrt, um mir beizustehen, während Sie bereits unter Freunden und in Freiheit waren. Carmen von Massaignac bietet Ihnen eine Heimat in ihrem Hause, denn sie kann unmöglich glauben, daß die Kirche Anspruch auf jemand erheben wird, der keinen Beruf zu ihrem Dienst fühlt.«

Die letzten Worte waren wie eine Frage an den Rektor gerichtet, aber die unglückliche Andeutung, daß der Jüngling bereits seine Flucht vollzogen, und daß er den garibaldischen Offizier zu ihrer Befreiung herbeigeführt hatte, ein Umstand, der dem Prälaten bisher unbekannt gewesen, vermehrte nur dessen finstern Groll.

»Die Gesellschaft Jesu hat eine Schlange an ihrem Busen genährt,« sagte er hart. »Sie wird sie zertreten. Der Abtrünnige soll seiner Strafe nicht entgehen!« Er wandte sich zu dem Brigadier. »Wir haben keinen Teil an dem anderen, mein Herr, aber dieser Jüngling ist ein Novize des Stiftes von Bologna, und ich hoffe, daß Sie der geistlichen Gerichtsbarkeit über ihre Angehörigen nichts in den Weg legen werden!«

»Nicht im geringsten, hochwürdiger Herr! wir haben nichts mit der Geistlichkeit zu thun,« erklärte der Beamte. »Ehe Sie aber weiter entscheiden, muß ich Ihnen dies Portefeuille übergeben, das wir bei dem Gefangenen gefunden und ihm abgenommen haben!«

Der Jesuit fuhr bei diesen Worten empor, trotz seiner großen Selbstbeherrschung konnte er es nicht hindern, daß eine dämonische Freude aus seinen Augen blitzte.

Das Portefeuille war dasselbe, dessen sich der Rektor bei der Zusammenkunft im Sprechzimmer der Äbtissin bedient, in das er die Wechsel des Marquis von Massaignac gelegt, und das er, als er die Messe in der Klosterkirche lesen wollte, in seinem Zimmer niedergelegt hatte.

Der Blick des Prälaten ruhte einige Augenblicke voll Haß auf dem unglücklichen jungen Mann, ehe er sprach.

»Also nicht ein Abtrünniger,« sagte er dann kalt und vernichtend, »sondern ein Dieb, ein gemeiner Dieb, der seine Wohlthäter bestohlen hat!«

»Sie lügen, Herr! Ich bin kein Dieb!«

»Was anders denn?« Der Jesuit öffnete das Portefeuille mit einem Schlüssel, den er aus seiner Tasche zog. »Sehen Sie selbst, Brigadier, damit Sie es nötigenfalls bezeugen können, in diesem Portefeuille sind Wertpapiere von hohem Betrag. Es ist ein gemeiner Diebstahl, den dieser Mensch begangen. Jetzt weiß ich auch, wer jenem verwachsenen Burschen zu einem ähnlichen Verbrechen verholfen hat.«

Der unglückliche junge Mann, zerschmettert, vernichtet von der furchtbaren Anschuldigung, der er sich nicht zu entziehen vermochte, verbarg sein Gesicht in die Hände.

»Sie werden ihn nicht unglücklich machen, Signor,« sagte flehend die Marquise, von der furchtbaren Anklage erschüttert, »es ist gewiß nur ein Versehen, er ist so jung!«

Der Major begriff besser, um was es sich handelte, aber er sah auch ebenso die Gefahr, in welcher der junge Mann durch seine unvorsichtige Handlung schwebte, und daß er keine Macht hatte, ihn zu retten, wenn der Jesuit auf seinen Willen bestand. Dennoch machte er den Versuch.

»Mein Herr,« sagte er, »wir sind zwar Gegner, aber lassen Sie mich für den jungen Mann ein Wort einlegen. Er mag gefehlt haben, aber sicher wollte er kein Dieb sein. Machen Sie einen Soldaten aus ihm, wenn nicht auf unserer Seite, so auf der Ihren, und er wird besser seine Bestimmung erfüllen, denn als ein gezwungener Diener der Kirche.«

Der General beobachtete schweigend den Prälaten, auch er nahm offenbar großes Interesse an der Entscheidung.

Der Rektor wandte sich kalt zur Seite. »Fra Andrea!« befahl er.

Der große, vierschrötige Jesuit trat sofort aus dem Haufen.

»Nimm den Schuldigen und bring' ihn in Gewahrsam! Du haftest für ihn. Das geistliche Gericht wird über den Verbrecher entscheiden. Signor Brigadiere,« wandte er sich zu dem Gendarmen, »ich werde in betreff jenes Menschen, meines früheren Dieners, an Ihre Behörde berichten. Es ist Zeit, daß diese Scene endet; lassen Sie das Volk die Kirche räumen, und bringen Sie Ihre Gefangenen für diese Nacht in sichere Haft. Hochwürdige Frau, ist die Krankenzelle zur Aufnahme dieses Unglücklichen bereit?«

»Es ist alles nach Kräften geordnet, wenn dieser Herr die Fortschaffung erlaubt.«

Der Arzt machte ein bejahendes Zeichen, die Träger erhoben die Matratze, auf welcher der Marquis mit dumpfem Schmerzensstöhnen lag.

»Es ist ein furchtbarer Zustand,« sagte flüsternd der Doktor, »er ist rettungslos verloren, aber seine Leiden können noch mehrere Tage dauern, und das Schlimmste ist, daß er das volle Bewußtsein derselben hat.«

»Aber ich sehe seinen Freund, den Grafen Montijo nicht?« frug der General.

»Der Herr Graf,« berichtete der Kommissionsrat, »hat, wie man mir eben gesagt, bereits mit der Chaise, die unsern Doktor aus dem Thal heraufgebracht hatte, das Kloster verlassen.«

Die Blicke Carmens und des Majors begegneten sich, das Gefühl gemeinsamer Verachtung sprach aus beiden. Die Marquise trat zu dem bewährten Freund. »Ich muß diesen Unglücklichen begleiten und werde meine Pflicht erfüllen bis zum letzten Augenblick. Die Macht unserer Feinde ist gebrochen mit dem Tode des Unseligen. Ich bin frei und Herrin meiner selbst. Wenn wir uns nicht mehr sehen sollten, ehe Sie sich entfernen, so nehmen Sie meinen Dank. Von Paris hören Sie und der Freund im Norden weiter von mir!« Sie wandte sich, um die Bahre mit dem Leidenden zu begleiten und fand sich der Witwe gegenüber, die auf diesen Augenblick gewartet hatte.

»Madame,« sagte die Berlinerin, »verzeihen Sie, daß ich Sie einen Augenblick aufhalte. Sie nannten vorhin einen Namen, der mir teuer und wichtig ist, den Namen von Röbel!«

»Sie kennen ihn?«

»Meine Tochter führt ihn gleichfalls.«

Ein dunkle Röte überflog das Gesicht der Marquise, ihr Busen hob sich heftig. »Die Tochter Ottos de Reuble?«

»Nein, Madame, die Tochter seines unglücklichen älteren Bruders Ferdinand. Aber wenn Sie den Namen des jüngeren meinten, so haben Sie ein edles und wackeres Herz genannt, daß schon in der Brust des Knaben schlug, und in der Erinnerung daran bitte ich Sie, über mich zu verfügen, wenn ich Ihnen irgend von Nutzen sein kann.«

Die junge Marquise reichte ihr freudig die Hand, das Lob Ottos von Röbel hatte sofort ihr Herz gewonnen. »Kommen Sie, Madame,« sagte sie freundlich, »begleiten Sie mich, wir wollen viel von diesem Namen sprechen. Sie sehen, Kapitän, indem ich einen Freund verlasse, gewinne ich sofort eine neue Freundin!«

Sie reichte ihm nochmals die Hand, dann folgte sie mit der Witwe dem Marquis.

Die Kirche hatte sich unterdes geleert, nur die Gruppen der Gefangenen und der anderen Hauptpersonen befanden sich noch dort.

Der Prälat war zur Seite getreten und winkte den General, die Äbtissin und den Agenten zu einer raschen Beratung.

»Sie wissen gewiß, daß der Graf Montijo bereits das Kloster verlassen hat?«

»Ich hörte, wie einer der Klosterdiener den Doktor dort fragte, ob der Einspänner, der ihn hergebracht, abfahren könne?«

»Haben Sie Gefährt im Kloster?« fragte er die Äbtissin.

»Einen einfachen Wagen.«

»Dann geben Sie Befehl, daß er sofort angespannt wird mit den schnellsten Pferden. Sie, Signor Boltmann, machen sich bereit, in zehn Minuten abzufahren.«

»Nach Berlin?«

»Nein, nach Paris. Sie werden mit den Pferden des Klosters bis Bellinzona gehen und von dort Kurierpferde nehmen bis zu den Schweizer Bahnen. Kommen Sie nicht zu rechten Zeit an, so nehmen Sie einen Extrazug. Auf jeden Fall müssen Sie schon auf der nächsten Station den Grafen Montijo überholen. Ihre Aufgabe ist es dann, zu verhindern, daß er unterwegs Pferde bekommt, um so rasch wie Sie zu reisen. Er muß achtundvierzig Stunden später in Paris eintreffen als Sie. Nehmen Sie diesen Ring, er wird Ihnen den unbedingten Gehorsam jedes unserer Agenten sichern. Es ist schade, daß er nicht eine Stunde gezögert hat, ich hätte ihm jenen Condottieri dort auf den Hals geschickt und wir wären ihn los gewesen. Aber der Satan ist schlau und hat sofort seinen Entschluß gefaßt, als er sah, daß sich durch das Unglück des Marquis alle Verhältnisse mit einem Schlage geändert haben. Hier nehmen Sie diese Wechsel auf das Haus Miron. Es wird durch den Telegraphen vor Ihrer Ankunft benachrichtigt werden, damit es die Summen flüssig machen kann. Sofort nach Ihrem Eintreffen diskontieren Sie den Wechsel an unsere Bankiers, und lassen Sie sie Aktien, Wertpapier oder andere Wechsel nehmen, wenn die Barzahlung nicht zu erreichen ist. Es ist besser, einen Verlust zu erleiden, als unser Eigentum den Chancen eines Prozesses auszusetzen, was gewiß geschehen würde, wenn der Graf Montijo mit seinen Nachrichten Paris erreicht oder die Marquise Carmen früher ihre Rechte dort geltend macht. Sind wir im Besitz des Geldes, so kann man uns dasselbe nicht mehr vorenthalten. Sie sehen, daß der Orden großes Vertrauen in Ihre Umsicht und Thätigkeit setzt, Signor Boltmann, und ich hoffe, daß Sie ihm entsprechen werden. Sobald das Geschäft geordnet ist, benachrichtigen Sie mich durch den Telegraphen in unverfänglicher Form nach Verona, wohin ich morgen gehe, und reisen sofort nach München und Berlin ab, um dort Ihre anderen Aufträge auszuführen. Sie haben jetzt Ihre Instruktionen und zehn Minuten Zeit, Ihr Gepäck zu ordnen. Gott sei mit Ihnen!«

Der Agent, obschon die Kurierreise bei Nacht seiner Neigung für Wohlleben und Bequemlichkeit wenig behagte, verbeugte sich ohne Erwiderung und entfernte sich mit dem blinden Gehorsam, den die Ordensregeln jedem Mitglied zur Pflicht machen.

Der Prälat kehrte zu der Gruppe vor dem Chor zurück und wandte sich zu dem Arzt, der bei dem Argelino zurückgeblieben war.

»Warum lassen Sie diesen Menschen nicht an einen geeigneteren Ort schaffen, Signor Dottore?« fragte er. »Er kann unmöglich hier bleiben und mag in den Räumen der Dienerschaft bewacht werden, indes die Leiche jener Frau hier stehen bleibt.«

»Sie können beide zusammen lassen, Signor,« sagte der Doktor ernst. »Es wird in wenig Augenblicken mit ihm vorbei sein. Er liegt im Delirium des letzten Kampfes – sehen Sie selbst! …«

In der That hatte der alte Dieb, seit man den Novizen als Gefangenen hereingeführt und der Prälat ihn angeredet hatte, mit weit geöffneten Augen dagelegen, die fest auf dem Jüngling hafteten. Von Zeit zu Zeit durchlief ein krampfhaftes Zittern den Körper, aber die Augen blieben mit grauenhafter Starrheit auf den Jüngling geheftet, der noch immer bleich und gebrochen, die Hände fest in einander geschlungen an dem alten Fleck in der Nähe der Bahre stand, während der Frater Andrea ihn wiederholt mahnte, ihm gutwillig zu folgen, und Major Laforgne von der andern Seite ihm Mut einsprach und seinen und seiner Freunde Beistand verhieß.

Kapitän Peard hatte einen der niedrigen Rohrschemel genommen und saß neben dem Sterbenden, die Fortschritte des Todes auf seinen Zügen beobachtend.

Der Prälat widmete dem Erschlagenen nur einen flüchtigen finstern Blick. »Glauben Sie, Signor Dottore, daß dieser Elende, im Fall er nicht ein Ketzer ist, noch die Segnungen der heiligen Kirche erhalten kann?«

»Man muß es wenigstens versuchen, hochwürdigster Herr!«

Der Rektor dachte einen Augenblick nach; – da seine eigene Hand dem Unglücklichen den Tod gegeben, konnte er unmöglich selbst ihm den letzten Dienst der Religion erweisen, aber ebenso unangenehm wäre es ihm gewesen, den Jesuiten, seinen Begleiter, die Beichte des Argelino hören zu lassen. Seine Blicke fielen auf den Bettelmönch.

»Habt Ihr die Weihen in articolo mortis empfangen, Fra Pancratio?« fragte er.

» In articolo mortis und jedem andern Artikel, wenn er sich der Mühe lohnt, so wahr das letzte Familienschwein der O'Patriks beim Tode meiner Mutter selig, der Schlumpe, zum Leichenschmause geschlachtet wurde, Euer Hochwürden! Ich habe sie selber zum Himmel präpariert, nachdem sie in der großen Prügelei mit den O'Tooles einen Stein auf die Brust gekriegt hatte, von dem sich die gute Frau nicht wieder zu erholen vermocht hatte. Es war bei der Gelegenheit, Hochwürden, als ich noch ein junger Kerl war, daß der Bischof mich geschwind aus dem Kloster auf die Fahrt nach dem gesegneten Rom schickte, weil die Orangemänner mich sonst gehenkt hätten, ohne viel zu fragen, ob es dem heiligen Vater auch recht wäre. Laßt sehen, es war im Jahre dreißig oder da herum; eins mehr oder weniger thut nichts zur Sache, da es mit den Jahren nicht ist, wie mit dem Wein.«

Der Rektor zuckte ungeduldig und verächtlich die Achseln. »Hört diesem Mann die Beichte und erteilt ihm die letzte Ölung,« befahl er. »Und nun führt die anderen Gefangenen fort.«

Sein Wink deutete auf den Novizen. Frater Andrea faßte ihn am Arm und zog ihn mit sich fort, während die Gendarmen den Juden und seinen Spießgesellen wegführten.

Plötzlich ereignete sich etwas Seltsames.

Der unglückliche Jüngling, der sich willenlos fortführen ließ, kam auf seinem Wege dicht an der Bahre des Argelino vorüber.

In dem Augenblick, wo sein schwarzes Gewand die Bahre streifte, richtete sich der Sterbende auf, streckte die verstümmelte Hand aus und erfaßte es. Die weit geöffneten Augen schienen noch größer zu werden, die Kiefern schlugen auf und nieder, als wollten die Worte nicht aus der Kehle heraus.

Der junge Mann starrte mit Entsetzen auf diese Erscheinung, sein Haar sträubte sich.

Dann gurgelten die Worte herauf in abgebrochenen Lauten »Azcoitia! Der Mörder Deiner Mutter! – i' wollt' sie retten – der Mönch – hier hier –« die verstümmelten Finger hoben sich ihm entgegen und ballten sich gegen den Prälaten, »er! er! – die Königstochter von Granada – Dein Bader …«

Der Novize warf sich an der Bahre nieder, seine Hände faßten krampfhaft den erhobenen Arm des Sterbenden.

»Mein Vater? Ihr habt meinen Vater gekannt? Seinen Namen – bei Eurem ewigen Seelenheit, seinen Namen!«

»Du bischt sei Ebebild, der Fürscht! der Fürscht –«

Der Prälat stürzte sich auf den Jüngling und riß ihn empor. »Fort mit ihm, Fra Andrea, bei Deinem Eid des Gehorsams! Der Elende spricht im Delirium!«

Der Argelino hob die Hand empor, als wolle er den Himmel zum Beistand rufen, während der Jesuit den Jüngling fortschleppte. Dann gurgelte es herauf in der Kehle, sein Mund schnappte nach Luft, ein dunkler Blutstrom brach aus den geöffneten Lippen, und während seine Augen starr und drohend auf den Priester gerichtet waren, fiel er langsam hintenüber; der alte Dieb war tot.

Alle Zeugen der schrecklichen Scene standen stumm und tief erschüttert umher, selbst der Rektor trocknete den kalten Schweiß von seiner Stirn. Nur die furchtbare Selbstbeherrschung, welche die Selbstertötung seines Ordens, die willenlose Verfolgung des einen Zwecks, ihn gelehrt, gab ihm zuerst die Fassung wieder.

» In manus tuas Domine commendo spiritum suum!« sagte er mit Salbung. »Der Unglückliche ist ohne die Segnungen der heiligen Kirche gestorben, aber es sollen Messen gelesen werden für seine arme Seele, sobald dies Gotteshaus wieder geweiht ist nach dem Blut, das es entheiligt hat. Ehrwürdiger Bruder, Ihr werdet bei diesen beiden Leichen bis zum Morgen wachen und die Totengebete sprechen. Es soll in meinem Bericht an Euren Vorgesetzten Euch zu gunsten gedacht werden. Kommen Sie, ehrwürdige Mutter, es ist Zeit, daß wir diesen Ort der Trauer und des Schreckens endlich verlassen!«

Und mit dem kalten Marmorgesicht, das sein Inneres verhüllte, ruhig, als ob nicht das geringste von alle dem Entsetzlichen geschehen sei, was sich in die vergangene Stunde zusammengedrängt, verließ er die Kirche.

Die Äbtissin folgte ihm mit dem General, der in tiefen Gedanken noch einen Blick auf den Gestorbenen warf.

»Ich hoffe,« murmelte er leise, »Herr von Neuillat hat den Grafen von Chambord nicht nach England begleitet; es ist nötig, daß er erfährt, was hier vorgegangen.« –


Der Bettelmönch, von dem Brigadier aufgefordert, die ihm befohlene geistliche Pflicht an der Seite der beiden Toten zu üben, die man neben einander vor einem der Seitenaltäre niedergesetzt hatte, erklärte bei dem Erblicken der Leiche der einst so schönen und lebensfrohen Herzogin mit Entsetzen, daß keine Macht der Erde und selbst eine Klausur bei Wasser und Brot ihn nicht vermögen solle, allein in dieser Nähe zurückzubleiben. Der würdige Bruder Pan schwatzte so vieles und so unsinniges von der wiederauferstandenen Venus von Rom, von dem Sturm auf Villa Corsini und der heiligen Fausta zusammen, daß der Führer der Gendarmen zu der Einsicht kam, er müsse noch betrunken oder in seinem Kopf längst nicht mehr ganz richtig sein, und es wäre eine Blasphemie, ein solches Glied der Kirche zum Dienst der Toten zuzulassen. So wurde, nachdem die Zugänge der Kirche wieder verschlossen und gesichert waren, der Mönch samt dem Juden fortgeschafft und in dem Dienstgebäude des Klosters in eine Kammer gesperrt, wo er mit dem Rest seiner Rumflasche bald den Schlaf der Gerechten fand und träumte, er sei zum Abt einer fetten Benediktiner-Abtei in Galloway oder Connaught ernannt worden; auch der garibaldische Major und der britische Kapitän mit seinem Diener und Büchsenspanner fanden für die noch übrigen Stunden der Nacht ein Unterkommen in dem für die Dienstleute und Laien bestimmten Flügel des Stiftes. –



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