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(Fortsetzung aus dem dritten Band.)
Herr Günther beantwortete die zarte Andeutung auf seine Privatgeheimnisse nicht; er blies dicke Dampfwolken von sa199b1baich und ergriff erst nach einer Weile wieder das Wort.
»Die Male hat keine Kinder mit ihrem Mann?«
»Bis jetzt nicht, Franz. Sie sieht sehr mager aus, als hätte sie das Schwindende, aber sie hat einen wahren Teufel im Leibe und in den Augen und das hält sie aufrecht. Und einen Staat macht sie, es ist nicht zum Ansehn, auch Equipage hat er ihr müssen anschaffen, und sie bringt ihn sicher noch einmal zum Bankerott trotz des Lotteriegewinns, der ihm damals aus der Patsche half.«
Der ehemalige Kommissionär schüttelte den Kopf. »Eine merkwürdige Heirat bleibt's man immer. Ich hätte eher jedacht, daß die Türme auf 'm Gendarmenmarkt infallen würden, als daß die Male noch einmal den schönen Carl heiraten könnte, obschon sie doch weiß, daß er es war, der ihr den Leutnant in der Friedrichstraße runter jeputzt hat.«
»Liebe, Franz,« erwiderte die empfindsame Amande, »erweckt endlich Jegenliebe, so habe ich es immer jelesen. Hat Herr Polenz nicht etwa lange jenug um sie jeworben, wie Jakob um Rahel oder der Ritter von der feurigen Rose um die schöne Kunijunde von der Blutburg?«
»Ich kenn' man die Herrschaften nich, aber deß weeß ick, det die Male ihren Zweck dabei jehabt haben muß. Und Du sagst also, deß sie Dir jut uffgenommen und sich mit mich aussöhnen will?«
»Ja, Franz. Es wäre auch schrecklich, wenn Jeschwister ewig mit sich jrollen sollten, wie die feindlichen Brüder von der Katzenburg am Ufer des jöttlichen Rheinstroms. Arm in Arm mit sich sollen sie über die Erde wandeln.«
»Sachte, sachte! Da heißt es doppelte Vorsicht! Ick kenne der Male ihre Mucken, sie hat ihren Zweck dabei. Na, ick habe man ausjelernt, da kommt sie an den Richtigen. Was man nich weiß, des lernt man da drüben!«
Er wies mit dem Daumen über die Schulter; die gefühlvolle Amande verstand ihn.
»Aber, Franz, hast Du man schon überlegt, was wir nun anfangen werden? Vielleicht hilft uns Deine Schwester zu einem Geschäft!«
»Damit wollen wir uns nich beeilen, Amande,« sagte mit philosophischer Ruhe der ehemalige Kommissionär. »Vor der Hand werd' ich mich man erst die Verhältnisse ansehn. Ich habe man da drüben manches erfahren, was uns helfen kann.«
»Um Himmelswillen, Franz, Du wirst dir doch nicht in einem schlechten Unternehmen einlassen?«
»Was denkst Du, Amande, ich werde mich doch nich mit die Jesellschaft« – er machte die Pantomime des Greifens – »vermischen. So dumm is man heutzutage nich mehr, des hat man leichter und bequemer. Hast Du mir nich von Samuel Jonassen erzählt?«
»Oh, der, Franz, der wohnt Unter die Linden, und Barone und Jrafen gehen bei ihm aus und ein, und er giebt jroße Jesellschaften.«
»Und hat doch auch im Zuchthaus jesessen, ich weeß jetzt so manches von ihm. Ich sehe nich in, warum ich nich dasselbe Jlück haben kann, wie Jonassens. Wenigstens soll er mir helfen dazu, ich habe eine Empfehlung an ihn. Hinkeldey rejiert also immer noch in Berlin?«
Die Frau drängte sich an ihn. »Höre, Franz,« sagte sie, »es is eine merkwürdige Jeschichte. Sie mögen ihn nich mehr leiden!«
»Wer?«
»Die vornehmen Herren. Sie sprechen viel davon in Berlin und in den Zeitungen steht's auch, obschon er's nich leidet. Aber ich weiß mehr als sie alle!«
»Woher?«
Die Frau war etwas verlegen und wandte den Kopf zur Seite, als sie ausweichend antwortete. »Die Jeschichte spielt schon sehr lange, von die Pferderennens vom voriger Jahr her. Es kommt von des Spiel, und der Hinkeldey hat nich leiden wollen, daß sie man jeden Abend Unter den Linden viele tausend Thaler verspielt haben. Der Offizier, den Du immer Deinen Schwager nennst, ist auch dabei jewesen. Hinkeldey hat einen Polizeileutnant jeschickt und der hat sie ufjelöst. Zuletzt ist er selber davor ufjelöst, und Wrangel soll sich ungeheuer mit Hinkeldey gezankt haben. Noch neulich, als sie Karussell jeritten haben in Seegers Reitbahn in der Dorotheenstraße, is es zu einem Zank jekommen, und sie haben ihm gesagt, er wär' ein Lügner.«
»Wenn's weiter nichts ist,« meinte höchst philosophisch der Kommissionär.
»Ja aber, Franz, das ist bei den vornehmen Herren nicht wie bei uns; das Pönnk Honnörs, oder wie sie es heißen, leidet's nicht, daß sie aufs Stadtgericht jehn. Aber das Schlimmste ist …«
»Nun?«
»Sie wollen nicht mehr mit ihm tanzen. Er kann auf keinen Ball mehr jehn, und wenn er sie einladet, kommen sie nicht.«
Der Kommissionär lachte. »Was Hinkeldey sich davor koofen wird. Er hat ihnen manchen anderen Tanz ufjespielt!«
Der wegwerfende Widerspruch machte die schöne Amande eifrig in ihren Behauptungen. »Es ist sicher wahr, auf Ehre! Der Jean hat's mehr als einmal in meiner Stube erzählt, als sie von den ruß'schen Briefen sprachen.«
»Wer ist der Jean?«
Die schöne Amande wurde noch verlegener als vorhin. »O,« meinte sie, »es ist ein sehr anständiger Herr, die rechte Hand von seinem Herrn, dem französischen Jesandten, und er bejleitet ihn immer, wenn er zu der magern Tänzerin seht, die um die Ecke wohnt. Jott, was so ein Herr an so einem magern Geschöpf haben kann! wenn er doch bloß die Finger auszustrecken braucht. Musje Jean hat mir die Ehre angethan und mir an solchen Abenden manchmal besucht auf eine Tasse Thee, allens in Ehren, und ist mit einem oder dem andern Freunde da zusammen gekommen.«
Sie waren bei diesem Teil des Gesprächs bis an den Eingang von Charlottenburg an Moskaus Garten gekommen, als hinter ihnen vom Berg herab ein Reiter mit solcher Eile gejagt kam, daß das Paar, das zufällig mitten auf der Chaussee gegangen war, kaum Zeit hatte, auseinander zu springen und auf die Seite zu flüchten.
Der Kommissionär wollte einige wenig schmeichelhafte Verwünschungen ausstoßen, aber selbst der kurze Augenblick der Begegnung in dem hellen Mondschein hatte ihm genügt, den Reiter, einen Offizier, wiederzuerkennen, obschon er ihn mehrere Jahre nicht gesehen.
»Schwerenot!« sagte er halb lachend, halb ärgerlich, der Schwager hätte sich doch ein wenig in acht nehmen können. Man findet nich alle Tage eenen Verwandten wie ich bin auf der Straße.«
Die Frau sah ihn fragend an.
»Hast Du ihn denn nicht erkannt, Amande?«
»Nein, Franz!«
»Der Röbel war's, der Leutnant, oder was er sonst jetzt is, der Male ihrem sein Bruder. Er scheint's verteufelt eilig zu haben und hätte wohl warten können, um mir'n Juten Abend zu sagen, da dervor, daß er seines Bruders Erbschaft jeschluckt, die von Jott und Rechtswegen der Male ihrem Kinde hätte zukommen müssen.«
Bei der Flucht vor dem Reiter war ihm die Cigarre entfallen; er strich ein Zündholz an und steckte sich eine neue an.
»Wat war es mit den ruß'schen Briefen, Amande, von denen Du red'test?« fragte er.
»O, nichts, Franz!«
»Ich will es man wissen. Wenn Du man willst, deß ich en Auge zudrücken soll von wejen die Theegesellschaften, mit denen Du Dir verschnappt, so erzähle mir alles. Wer weeß, wozu man's brauchen kann. Ick habe man Jlück mit die Briefgeschichtens.«
Der Zuchthäusler erinnerte sich an den Brief des unglücklichen, von den deutschen Freiheitshelden in Frankfurt ermordeten Fürsten Lichnowski, der ihm eine volle Börse eingebracht hatte.
»Es ist nichts, Franz, es fiel mir nur so ein, weil ich zufällig den Brief bei mir habe.«
»Was für 'nen Brief?«
»O, es ist keine Aufschrift drauf. Monsieur Jean sollte ihn wie die anderen bei mir abholen. Aber er wird es wohl vergessen haben, denn er hat mir lange nicht die Ehre anjethan, mich zu besuchen, seit der Zeit nicht, wo sie den Alten eingesteckt haben und der Leutnant fort ist. Er fiel mir heute zufällig in die Hände, als ich das seidne Kleid anzog, um Dich abzuholen.«
»Zeig her!«
Amande brachte aus ihrer mit allerlei Gegenständen gefüllten Tasche ein versiegeltes Couvert hervor, das nach dem Gefühl mehrere Papiere enthielt.
»Et is man ja keene Uffschrift d'rauf!«
»O, das schadet nichts, es war nie eine d'rauf. Ich weiß ja, von wem sie kommen, und für wen sie bestimmt sind.«
»So? Und wer bringt Dir denn die Briefe?«
»Der Alte, Du kennst ihn. Du hast Geschäfte mit ihm gemacht, eh' Du zu dem Unjlück kamst. Techen heißt er. Jetzt ist er im Prison.«
Der Mann stutzte. Er blies eine lange Rauchwolke von sich und betrachtete den Brief nochmals hin und her.
»Seit wann is man denn die Stadtpost bei Dich injerichtet, Amande?«
»Wie Du auch reden kannst, Franz!«
»Na, wenn Du's anders willst, seit wann besucht Dir denn der Musjö Jean?«
»Es war im Sommer vorigen Jahres, Herr Techen hat ihn mitjebracht, und er sagte mir, er würde Hausfreund sein in die Zukunft. Seitdem beehrt er mir alle Woche. Er ist sehr jebildet, Franz, und spricht schon janz jut unsere Muttersprache.«
»Wie oft sind solche Briefe bei Dir abjejeben worden?«
»O, im vorigen Sommer oder Herbst ziemlich viele, alle Wochen, wenn sie einander nicht bei mich jetroffen haben. Seitdem weniger, nu man selten noch, und darum kam Musjö Jean nicht mehr so oft.«
»Und weißt Du vielleicht, was in den Briefen steht?«
»Das versteht sich, warum denn nicht? Ich müßte ja man jar keine Bildung besitzen, wenn ich's nicht jemerkt haben sollte. Von Krieg reden sie. Du weißt doch, Franz, daß in der Zeit, wo sie Dir jefangen hielten, ein jroßer Krieg jewesen ist, mit die Franzosen und die Russen!«
»Ich weeß! So wat hört man schon selber in Spandau, wenn sie man ooch keene Kreuzzeitung vor die Jefangenen halten thun. Die Engländer sind och mank jewesen, die müssen ihre Nase in allens stecken. Sie haben man Sebastopol in der Türkei belagert, und es is en jräßliches Blutbad jewesen. Aber jekriegt haben sie doch nischt als diesen Malakoff!«
»Richtig, so hieß er. Es muß ein vornehmer General sein.«
Diesmal fühlte der Exkommissionär sehr stolz seine Bildung über die seiner Frau erhaben.
»Ne, Amande,« sagte er, »diesmal irrst Du Dir, en Turm is et, un kein General nich.«
Die romantische Dame zuckte die Achseln. »Na, dann weiß ich man nich, warum se um so en Stück altes Jemäuer so en Wesens gemacht haben, daß deswegen die Bedienten immer die Briefe vons Königliche Kabinett mausen mußten. Wenn's noch der Turm der sieben blutigen Jungfrauen oder eene bergschottische Ruine von Walter Scotten gewesen wäre, aber im Leben hab' ich noch kein Buch von Malachof im Katalog gefunden.«
Herr Franz Günther war stehen geblieben bei den eifrigen Worten seiner Frau. »Was willst Du damit sagen, Amande,« frug er, »mit den Briefen aus Königliche Kabinett? Was ist's damit?«
»Was wird's sein? der Leutnant ließ sie abschreiben, er sagte, so hätte man immer die sichersten Nachrichten.«
Wie damals in Frankfurt, als der Student ihm den Brief des ermordeten Fürsten vorlas, regte sich in dem Vagabunden, dem Zuchthäusler, das preußische Herz in der Frage: »Was sagst Du, Amande, unsers Königs Briefe hat der alte Halunke an die Franzosen gegeben?«
»Was weiß ich? Ich kümmere mir nich um die Politik. Ich weiß nur, daß die Bedientens von zwei großen Herren, die die rechte Hand sind am Hofe, die Briefe heimlich abschreiben aus Jefälligkeit für den Techen. Was jeht es uns an, wenn er sie an den Musjö Jean gab, er hat schon manchen Fuchs springen lassen, und wenn das nich jewesen wäre, hätte ich Dir schwerlich in Spandau unterstützen können.«
Der Exkommissionär sann nach, es war ihm trotz seiner geringen Kenntnis solcher Verhältnisse sofort klar, daß dies ein Geheimnis war, dessen Kenntnis ihm auf einer oder der andern Seite Vorteil bringen müsse. Dennoch dachte er keinen Augenblick daran, daß er diesen Vorteil auf einer Seite suchen könne, die er von Kindheit auf als eine seinem König und seinem Volk feindliche zu betrachten gelernt hatte.
»Weißt Du, wer die Herren sind, Amande, mit deren Bedienten der Techen bekannt ist?«
»Der eine ist en Jeneral oder Adjutant und der andere en Jeheimer. Sie wohnen man, wenn der König drüben ist, in Potsdam, und der Alte hat manchmal die Briefe mit der Post an mir herüber jeschickt. Manteuffel is es nich, aber von dem haben sie auch jesprochen. Um Gotteswillen, Franz, was thust Du? Du machst mir und Dir unglücklich!«
Er machte sich ruhig von der Hand los, die ihn in dem Geschäft des Brieferbrechens hindern wollte. »Laß mir, Amande; des ist keine Sache vor Dir. Ich mache mir um den Staat verdient.« Er hatte das Couvert ohne weiteres erbrochen und zog zwei zusammengefaltete Papiere hervor, die in ein drittes eingeschlagen waren.
Aber der Mondschein war zu schwach, um zur Befriedigung seiner spekulativen Neugier zu genügen, und es ließ sich nur erkennen, daß die beiden Blätter in ziemlich ungeschickter Handschrift engbeschrieben waren, wahrscheinlich Abschriften. Das dritte Papier war offenbar ein Brief des Übersenders.
»Wir wollen's zu Hause lesen,« sagte der Mann. »Wenn Dein Musjö nach dem Briefe frägt, sagst Du, die Katze hätt' ihn jefressen, oder Du hättest ihn ins Feuer fallen lassen oder sonst was Unschuldiges. Ich sage Dich, Amande, et is so sicher, wie zweimal zwei vier is, deß ich meine Konzession als Kommissionär wieder kriege, obschon sie mir mit Unrecht haben fünf Jahre sitzen lassen. Wenn die Male mit sich reden läßt, und der Samuel Jonas mir jebraucht, bin ich in einem Jahre wieder ein jemachter Mann, und Du hast Dir meiner nicht zu schämen. Aber der Teufel soll die verfluchten Kerle, die Droschkenkutscher holen, nich en eenziger Dhorwagen is zu sehen, und ich bin so müde, wie en abgelofener Dachshund und sehne mir nach Hause und nach eine doppelte Weiße.«
»Da steht ein Wagen, Franz, dort in der Straße.«
»Richtig! vielleicht läßt er mit sich reden und fährt uns alleene. Alle Hagel! da ist ja auch das Pferd am Jitter anjebunden, auf dem uns unser Herr Schwager beinah umjeritten hätte. Wer wohnt denn hier?«
»Die Frau Baronin, Franz, seit ihr Mann, der Kammerherr, tot ist, ich hab Dir's ja gesagt.«
»Na, en andermal. Jetzt habe ich keine Zeit, die Verwandtschaft anzusprechen und mir vors Zuchthaus zu bedanken, denn ich trau ihr nicht über den Weg. Komm, Amande, eh' uns man een andrer zuvorkommt.«
Die Besorgnis war in der That nicht unbegründet, denn es war der einzige Wagen, der auf dem freien Platz noch hielt, und obschon derselbe trotz des guten Wetters fast öde und leer war, so sah der scharfe Blick des Exkommissionärs doch von der Seite der Spree her zwei in Mäntel gehüllte Personen langsam daher kommen, die es auch auf den Wagen abgesehen zu haben schienen.
Die eine war eine hohe kräftige Gestalt von robusten militärischen Formen, wie sich selbst unter dem Mantel erkennen ließ. Auch klang bei ihrem Gang zuweilen der metallene Ton einer Säbelscheide darunter hervor. Der andere war kleiner, aber gleichfalls stark und kräftig gebaut, sein Gang war unruhig, ungleich und er blieb zuweilen stehen und sah sich, wie in schweren Gedanken versunken, um. Er trug einen runden Hut und hatte sich dicht in den Mantel gehüllt.
»Es ist geschehen, Freund,« sagte der Kleinere nach einer längeren Pause. »Schade, daß die Schildwache auf der Terrasse stand! Ich hätte ihn gern noch einmal gesehen, aber ich konnte mich unmöglich zu erkennen geben.«
»Sie werden ihn noch oft sehen!«
»Das steht in Gottes Hand; ich glaube nein. Seit ich am Donnerstag mein Entlassungsgesuch eingereicht und keine Antwort erhalten habe, bin ich der Sache sicher.« Er blieb stehen und wandte sich um, indem er mit der Hand nach der Spree deutete. »Dort führt ja wohl die Brücke hinüber nach der Jungfernheide? Ich war noch nie an der Stelle.«
»Es ist unmöglich, daß es dazu kommt. Es ist unmöglich, daß Se. Majestät nicht einschreiten sollten, und sei es im letzten Augenblick.«
Der Kleinere blieb stehen und sah seinen Begleiter scharf an.
»Wie sollte der König dazu kommen? wie könnte er davon wissen, wenn Sie nicht davon gesprochen haben?«
Der andere schwieg einen Augenblick etwas betreten, dann sagte er fest: »Ich versichere Sie auf mein Ehrenwort, daß ich Ihrem ausdrücklichen Verlangen gemäß, zu keinem Menschen davon gesprochen habe. Dennoch ist die Sache nicht mehr geheim, und ich weiß ganz bestimmt, daß der Staatsanwalt Nörner gestern Nachmittag hier im Schloß darüber Vortrag gehalten und um Verhaltungsbefehle gebeten hat.«
»Und der König?«
»Er hat erklärt, daß er es nicht dulden würde, daß vorläufig aber nichts zu befürchten sei.«
Ein rasches Zucken fuhr um die Mundwinkel des Kleineren, als er wieder vorwärts schritt. Dann, nach einigen Augenblicken sagte er fest: »Ich habe das gefürchtet, und deshalb die Sache beeilt und um zwei Tage früher ansetzen lassen. Was geschehen muß, muß geschehen! Ich war eher Edelmann als Beamter, und der König wird fühlen, daß sein Einschreiten hier mich nur bloßstellen würde. Ich ertrage persönlich diesen Zustand nicht länger.«
»Aber bedenken Sie, Sie haben nur als Beamter gehandelt, nur auf den ausdrücklichen Befehl des Königs.«
»Hat man dies bedacht, hat man darauf Rücksicht genommen bei alle den Vorgängen in der Gesellschaft? Es ist wahr, ich bin vielleicht oft zu hart, zu schroff aufgetreten und mag manchen vor den Kopf gestoßen haben, aber mein Charakter ist einmal heftig. Ich habe Damm preisgegeben, was mir schon leid genug thut und sonst nicht meine Art ist. Ich stehe immer für meine Beamten ein, selbst für ihre Fehler. Aber die Sache liegt tiefer, Sie wissen das so gut wie ich. Mein Leben ist dem absoluten Königtum gewidmet, und deshalb dulde ich keine Partei am Thron, keine Beeinflussung, woher sie auch komme. Sie sollen sich alle fügen, der Wille und das Interesse des Königs allein darf gelten. Das wissen Sie recht gut, und deshalb haßt man mich vielleicht mehr noch unter meinen Standesgenossen als unter der Demokratie, der ich den Fuß auf den Nacken gesetzt habe.«
»Ich gebe die Hoffnung zu einer Ausgleichung noch nicht auf. Ihr Gegner ist ein Mann von Ehre.«
»Das ist er, in jedem Zoll. Aber war es der nicht, so war es ein anderer, ich weiß, daß mehrere warten, darum mußte die Sache zu Ende gebracht werden. Er oder ich, ein Edelmann seines Namens schießt sich nicht zum Spaß, und seien Sie versichert, auch ich halte Scheibe, wenn ich auch leider wenig davon verstehe. Komme ich gut davon, so kann ich mich mit Ehren zurückziehen. Wo nicht – meine Bestimmungen sind getroffen und den letzten Abschied – hab' ich soeben genommen. Die Armee und der Adel des Landes, lieber Oberst, sind wichtigere Stützen des Thrones, als ein einzelner Beamter, sei er auch noch so treu und entschlossen. Es giebt im politischen Leben Phasen, wo auch die Teuersten geopfert werden müssen; ich will hoffen, diese Erfahrung bleibt Ihnen in Ihrer Laufbahn erspart.«
Sie schwiegen beide; der eine, weil er in aufrichtiger Freundschaft und Anhänglichkeit längst alles erschöpft, was zu sagen war, der andere in trüben, ahnungsvollen Gedanken, die seine gewöhnliche Energie hemmten. Erst, als sie nur noch wenige Schritte von dem Wagen entfernt waren und gerade an dem Exkommissionär vorüber gingen, ohne weiter auf ihn zu achten, sagte der Kleinere: »Lassen Sie uns machen, daß wir nach Hause kommen, mich friert, und ich habe noch einige Briefe zu schreiben.«
Die Worte waren so laut gesprochen, daß der Exzüchtling sie hören konnte, und die scharfe Stimme des Sprechenden schien ihm bekannt und eine besondere Wirkung auf ihn zu üben, während er zugleich einsah, daß es nichts mit seiner Spekulation auf den Wagen war.
»Still, Amande, hierher! hier bleibst Du stehen und rührst Dir nicht von der Stelle, bis ich Dir hole. Des Jlück begünstigt mir schon bei meinem Eintritt ins Weichbild von Berlin.« Dann nachdem er seine Frau instruiert, sprang er hinter den beiden Fremden drein.
»Herr Präsident, ein allereenzigstes Wort, gnädigster Herr Präsident, et sind man Staatssachen, und ick bin der Günther, Franz Günther, Sie kennen mir. Sie haben mir vor fünf Jahren instechen lassen!«
Der größere der beiden trat dem Aufdringlichen barsch entgegen, während sein Begleiter sich hastig abwandte und den Mantelkragen um sein Gesicht zog.
»Was wollen Sie? Sie irren sich! Geh'n Sie Ihrer Wege und belästigen Sie uns hier nicht!«
»I bewahre! ich möchte man bloß den Herrn Präsidenten sprechen, uf en eenziges Wort, aber es is dringend, eene französische Verschwörung!«
»Sie sind ein Narr, machen Sie, daß Sie fortkommen, oder man wird sich Ihrer zu entledigen wissen.«
»Et is wahrhaftig wahr, ick kenne Ihnen auch sehr jut, Herr Oberst! wenn Sie mir nur den Präsidenten melden wollen, er kennt mir und weiß, was ich leiste, und hier sind die Briefe, die sie man von den Spitzbuben ins Schloß abschreiben lassen, die eher nach Spandau jehören, als ich, denn ick habe noch nie nich mein Vaterland verraten.«
Der Kleinere war näher getreten. Die plötzliche Anregung hatte die persönlichen Sorgen und Gedanken verscheucht und ihm mit einemmal seine ganze Energie wiedergegeben.
»Was ist's mit dem Mann? wer sind Sie?«
»Günther, Herr Präsident, Franz Günther! Sie kennen mir, von wegen der Hätzelschen Handjranaten. Die Luft in Spandau hat mir zwar freilich etwas verändert, und fünf Jahre sind kein Hund, aber … ich zürne Ihnen nicht …«
»Was wollen Sie, da Sie mich einmal erkannt haben?«
»O, ich bin sehr bescheiden, bloß meine Konzession wieder als Kommissionär vor allens, und vielleicht etwas zum Anfang!«
»Sie sind ein Unverschämter! ich werde Sie einsperren lassen!«
Aber der neue Kommissionär in spe hielt ihn am Mantel fest, als er sich von ihm wandte. »Die Briefe sind wahrhaftig echt, gnädiger Herr Präsident, keene Flunkerei nicht. Hier hab' ich sie in der Hand, der Techen ist en Spitzbube, obschon er Leutnant jewesen sein will, und es is man doch eene Schande, des die Franzosen des Königs Briefe lesen sollen, lieber verbrenne ick sie auf eigne Hand!«
»Des Königs Briefe?« Der Herr im Mantel hatte sich hastig wieder umgewandt und diesen fallen lassen. »Was ist's damit? aber hüten Sie sich, mich mit Lügen und Erfindungen zu belästigen!«
»So wahr mich Jott helfen möge, Herr Präsident! da steht die Amande und sie hat mir alles injestanden, aber das unschuldige Wurm kann nichts nich dazu – sie wußte man nich enmal, wat der Malakoff zu bedeuten hat.«
»Fassen Sie sich kurz, was ist's mit den Briefen?«
»Der Techen hat sie abschreiben lassen von en Paar Halunken von Bedienten. Die Namen weiß ich noch nich, aber et is en Jeneral dabei und en Jeheimer vonts Kabinett. Und en französischer Kammerdiener holte sie man immer bei meiner Frau ab, und die Russen haben deswegen ihren Malakoff injebüßt, und Manteuffel wird ihn sie och nich wiederschaffen, wenn er man och in Paris is!«
»Russische Briefe an den König, Briefe aus dem Kabinett? – Kommen Sie hierher, Mann, nehmen Sie Ihren Verstand zusammen, und erzählen Sie klar und deutlich, was Sie wissen.«
Er trat einige Schritte zur Seite, wo sie weniger beobachtet oder gehört werden konnten und seine klaren, sachgemäßen Fragen kamen bald der Sache auf den Grund und entwirrten die etwas verworrene Erzählung.
Ein Zug des Triumphes, der Genugthuung flog über das Gesicht des Examinierenden, als er sich zu seinem Begleiter wandte.
»Das ist eine eben so unerwartete als glückliche Entdeckung,« sagte er hastig und leise. »Hassenkrug ist fort nach Paris, oder wie ich höre nach Cayenne, und der alte verschmitzte Schurke leugnete Stein und Bein, daß er von den Briefen doppelten Gebrauch gemacht und die Abschriften an die Franzosen verkauft hat. Bisher konnte man ihm die Sache nicht beweisen und die ganze fatale Geschichte und der Groll darüber blieb auf uns hängen.« Er sann einige Augenblicke nach. »Die Sache ist von zu großer Wichtigkeit,« sagte er bestimmt. »Gehen Sie sogleich zu Maaß, und ersuchen Sie ihn, Ihnen für eine halbe Stunde sein Bureauzimmer zur Disposition zu stellen. Weiteres braucht er nicht zu wissen, ebensowenig, daß ich hier bin. Ich bleibe unterdes bei diesen Personen und komme mit ihnen nach; ich will ihre Aussagen sogleich feststellen. Diese und die Beweise müssen noch diesen Abend in seine Hände kommen, es ist vielleicht der letzte Dienst, den ich ihm leisten kann, und« ein finsteres Lächeln lag einen Augenblick auf seinem breiten Gesicht, »hoffentlich auch ein Abschiedsgeschenk für andere, das sie an mich erinnern wird. Befehlen Sie dem Wagen, uns jenseits des Türkischen Zeltes auf der Straße zu erwarten.«
Der Begleiter ging eilig fort, nachdem er die letzte Weisung erfüllt; der Herr, der gesprochen, folgte ihm, die Briefe in der Hand, langsam, von Zeit zu Zeit eine leise Frage an das über den Ausgang etwas besorgt gewordene Paar richtend.
Zehn Minuten später standen die drei vor einem Hause in der Nebenstraße. Ein Zimmer des Parterre war bereits erleuchtet, in der Thür erwartete sie der Vorausgegangene.
»Sie können unbesorgt näher treten, es ist alles in Ordnung, und wir sind allein.«
Der Herr im Mantel gab dem Paar einen befehlenden Wink, voranzugehen.
Als er die Schwelle überschreiten wollte, blieb er plötzlich stehen und faßte nach der Stirn, ein kalter Schauder durchlief seinen Körper.
»Merkwürdig,« sagte er, »es ist doch in der That nicht so kalt.«
Einen Moment darauf hatte er es überwunden und trat in das Haus.
Giebt es Ahnungen? Wer möchte daran zweifeln! – Wenige Stunden nachher, und der Mann im Mantel kam zum zweitenmal über diese Schwelle, ohne daß sein Fuß sie berührte, kalt und tot!
In einem kleinen Salon des Landhauses, an dessen Gitter Herr Franz Günther das dampfende Pferd des Offiziers angebunden gefunden, und das ihm seine Frau als die jetzige Wohnung der verwitweten Kammerherrin bezeichnet hatte, saß eine kleine Gesellschaft um den Theetisch, eine ältere Dame, groß und steif, mit starrer aristokratischer Haltung. Selbst der Verlust, auf den die schwarze Trauerkleidung deutete, und so manche Sorge und mancher Verdruß, die ihre Kennzeichen in tiefen Falten eingeschrieben, hatten den hochmütigen unleidlichen Zug um den Mund nicht verwischen können.
Es war die Kammerherrin, Freifrau von Werben selbst, in ihrer Witwentracht, die sie seit dem vor zwei Jahren erfolgten Tode ihres Gatten unverändert beibehalten hatte. Wenn sie ihn auch selbst in der Jugend nicht geliebt und nur genommen hatte, um mit ihrem gräflichen Namen nicht als ein armes vornehmes Fräulein das Gnadenbrot reicherer Verwandten oder die triste Versorgung eines adligen Stifts zu genießen, so hatte sie doch durch die lange Gewöhnung der Jahre und die bis auf einige Eigenheiten unbedingte Herrschaft, die sie über ihn geübt, sich so in die vornehme Ehe eingelebt, daß sie seinen Verlust schmerzlich empfand. Überdies machte sein Tod ihr klar, daß die Stellung auch der klügsten und einflußreichsten Frau in der Gesellschaft immer wieder auf ihrem Mann basiert und mit dessen Tode, sei der Mann auch eine geistige Null gewesen, eine ganz andere Gestalt annimmt. Von den vielen Freunden und Anhängern, die sie sonst gehabt, waren die meisten gleichgültig geworden, und der unbeschränkte Einfluß, den sie sonst geübt, hatte jetzt enge Grenzen gefunden. Überdies hatte sie mit dem Tode ihres Gatten ein anderer Schlag getroffen, die Familiengüter in Schlesien waren als Lehen an einen entfernten männlichen Seitenverwandten des Kammerherrn gefallen, und sie bezog daraus nur eine mäßige Apanage.
Andere Erfahrungen hatten sie noch unangenehmer berührt.
Seit der bestimmten Ablehnung der argentinischen Erbschaft durch ihren Schwager, den Major, war ihr Verhältnis zur Familie ein fast feindliches geworden, denn sie betrachtete jene Handlung der Ehre und des Rechtsgefühls als gegen sich selbst gerichtet, da sie sich als die Vertreterin ihrer Schwester und deren Kinder ansah, sie faßte sie auf als eine kleinliche engherzige Rancune, als eine Undankbarkeit dafür, daß eine Gräfin von … sich herabgelassen, einen kleinen einfachen Edelmann zu heiraten. Sie zürnte ihrer Schwester, daß sie sich der Bestimmung ihres Gatten gefügt, den jüngeren Kindern, daß sie sich nicht gegen die Entscheidung des Vaters aufgelehnt, ja, ihrem Liebling, dem Leutnant selbst, daß er nicht den Mut gehabt, die Erbschaft als ihm zugehörig zu reklamieren.
Damals, als das Kind des am 18. März erschossenen Offiziers zu ihr so gelegener Zeit verschwunden, oder vielmehr nach den Angaben der Hauptmannswitwe verunglückt war, hatte sie noch einen Angriff auf ihren Schwager versucht und von ihm verlangt, Schritte zur Zurücknahme seiner Abweisung zu thun, aber denselben Bescheid erhalten. Dennoch hatte sie den Plan nicht aufgegeben. Auf ihre Veranlassung war ihr Liebling für kurze Zeit der Gesandtschaft in Paris attachiert worden, und sie hatte aus eigenen Mitteln die Kosten bestritten. Ihre Pläne schienen von dem besten Erfolg begleitet; denn wie wir wissen, war der Leutnant von Röbel von dem Obersten Massaignac, dem reichen Haciendero, auf das Freundlichste aufgenommen und protegiert worden.
Trotz der Verlobung der einzigen Tochter des argentinischen Nabobs mit dem Grafen Alvaro Guzmann hoffte nach den Berichten ihres Neffen die Freifrau, daß es ihm gelingen würde, die reiche Erbin zu erobern und so die durch den Eigensinn seines Vaters verworfene Erbschaft in zehnfachem Maße wieder zu gewinnen.
All diesen Hoffnungen und Plänen hatten die schrecklichen Ereignisse des 4. Dezember ein unerwartetes als trauriges Ende gemacht.
Mit dem Tode, sagen wir lieber dem unnatürlichen Morde des Obersten war jede Aussicht auf eine Fortsetzung seines Verhältnisses zu der Familie des Ermordeten, dem preußischen Offizier verschwunden. Der Sohn des Obersten, der Spahi-Kapitän, jetzt Adjutant des Kriegsministers, hatte sofort die Zügel des Familienregiments ergriffen, und sein schmutzig geiziger und egoistischer Charakter hatte sich nicht gescheut, den von seinem Vater so generös dem Sohne seines Lebensretters bei seinem Bankier eröffneten Kredit als persönliche Schuld zurückzuverlangen.
Die Forderung des Vicomte mußte schon als Ehrenschuld gedeckt werden, der Major durfte unmöglich darum wissen, und es geschah dies mit Hilfe des Kommissionsrats und der Kammerherrin, die noch immer ihre Pläne auf die amerikanische Erbschaft nicht aufgab.
Aber trotz der mannhaften Weise, in der sich der Leutnant von Röbel in den Dezember-Tagen zu Paris und auf dem schweren Wundlager benommen, der Leichtsinn seines Charakters riß ihn bald wieder in die alten Kreise und das frühere Leben; er war noch kein halbes Jahr wieder in Berlin, als er sich in den Klauen der Wucherer befand, die hier ein förmlich organisiertes Netz bilden, um die alten und vornehmen Familien der großen Grundbesitzer des Landes durch ihre Söhne zu ruinieren.
Die große Gestalt der Kammerherrin schien noch hagerer und stolzer geworden, wie sie in ihrer dunklen Witwentracht in der Mitte des Sofas saß und ihre grauen Augen mit einer leichten Malice den kleinen Hof- und Stadtanektödchen folgen ließ, die ihr Gegenüber mit unerschöpflicher Geläufigkeit zum Besten gab.
Dies vis-à-vis war die wohlgenährte Figur des Kommissionsrats, des Vertrauten und Geschäftsführers ihres seligen Gatten. Der Rat war freilich auch um die Zahl der Jahre älter geworden, aber wie deren Spuren an den runden behäbigen Gestalten, die den Bauch als einen Hauptzweck des Daseins betrachten und kultivieren, überhaupt weniger sich zeigen, so sah man sie auch Herrn Boltmann weniger an und einige kleine gemütliche Toilettenkünste trugen überdies noch das Ihre dazu bei.
Der Rat hatte die Jahre hindurch mit der alten Gewandtheit und Verschlagenheit seine Stellung in den exklusiven Kreisen zu bewahren, ja seinen Einfluß durch die ausgedehntere Kenntnis so mancher Familiengeheimnisse noch zu vermehren gewußt, während er zugleich sich in jener immer riesiger anschwellenden politischen Geldaristokratie einen bedeutenden Einfluß zu schaffen verstand.
Man sprach mancherlei von diesem Einfluß und der zweideutigen Stellung des Kommissionsrats, die ihn allen Parteien genehm, ja notwendig machte, und selbst die Regierung in ihrem spekulativen, aber soliden Bureaukratismus, den das Ministerium Manteuffel repräsentierte, hatte ihn schon zu verschiedenen Verhandlungen mit den Parteien benützt, ja man munkelte von geheimen Besprechungen, die selbst höchste Personen mit ihm hätten. Namentlich solle dies der Fall gewesen sein bei den Konferenzen in Olmütz und Dresden, bei der Sprengung des neu gegründeten Fürstenbundes und bei der vorsichtigen und isolierten Stellung, die das preußische Kabinett während des Krimkrieges bewahrt hatte.
Eine Thatsache war zweifellos, – die katholische Partei hatte seit der Übersiedelung des Kommissionsrats nach Berlin bedeutend an Ausdehnung, an Macht und Einfluß in Berlin selbst, in den Kammern und in der Residenz gewonnen; sie bildete jetzt offen eine Macht und trat als solche auf.
Der Kommissionsrat befand sich hier in seinem Eigentum; die Villa in Charlottenburg gehörte ihm, wie das Haus in Berlin. Er hatte sie bei einer Gelegenheit, von der der Leutnant v. Röbel wahrscheinlich etwas näheres hätte erzählen können, von der Freifrau gekauft, der er sehr gern das obere Stockwerk als ihren Witwensitz überlassen hatte. Auch in Potsdam besaß er ein Haus.
Die Hälfte des Parterregeschosses bewohnte der Kommissionsrat selbst, wenn er sich in Charlottenburg aufhielt – die andere der Portier und Gärtner, dem er die Beaufsichtigung der Besitzung anvertraut hatte.
Der Kommissionsrat saß gemächlich in seinem Lehnstuhl, die Tasse Thee vor sich, und eine Havanna zwischen dem Daumen und Zeigefinger, denn er erfreute sich der merkwürdigen und seine Stellung am besten kennzeichnenden Erlaubnis von seiten der Dame, daß er des Abends in der Theestunde bei ihr rauchen durfte, eine Erlaubnis, die selbst der selige Kammerherr niemals besessen. Die Augenlider des Rats waren halb geschlossen, er schien auf nichts als auf sein augenblickliches Wohlbehagen bedacht zu sein, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte, und dennoch hörte und beobachtete er alles und ein leiser Wink, ein leichtes Zucken der Achseln oder Brauen und ein hingeworfenes Wort gab der Freifrau Rat oder bestimmte ihren Entschluß.
An der andern Seite des Tisches saß ein junger Mann, eine kräftige, feste und sichere Gestalt mit gebräuntem offenem Gesicht und blauem Auge, eine jener glücklichen Naturen, zu deren Mannhaftigkeit und Ehre man auf den ersten Blick Vertrauen fassen muß.
Der junge Mann mochte etwa 23 Jahre zählen; die frische gesunde Farbe seines Gesichts zeigte jenes männliche Braun, das allein die Erziehung auf dem Lande und in frischer freier Luft gießt. In seinem Auge lag ein fester ruhiger Mut, ein ernstes Selbstvertrauen, um den von einem kleinen blonden Bart beschatteten Mund ein ihm sofort die Herzen gewinnender Zug von Güte.
Obschon er keine Uniform trug, vielmehr sich sehr gewohnt und leicht in dem grauen joppenartigen Jagdrock bewegte und in der Gemächlichkeit seiner Kleidung den Landwirt oder den Reisenden verriet, lag doch auch etwas in seiner Haltung, was deutlich bewies, daß er dem Militärstand angehört und mindestens die gewöhnliche Dienstpflicht seinem Vaterlande geleistet hatte, obschon der Orden, den er trotz seiner Jugend an der Brust trug, ein fremder, ein österreichischer war.
Neben ihm, auf die Lehne eines Stuhles gelehnt und durch fortwährende hastige Bewegungen und Blicke seine Ungeduld verratend, befand sich der Leutnant Friedrich von Röbel, der eine halbe Stunde vorher durch den Galopp seines Pferdes die beiden Wanderer auf der Spandauer Chaussee erschreckt hatte. Obschon er mehr als vier Jahre älter war und sein Gesicht der Frische der Jugend entbehrte, vielmehr angegriffen und nervös aussah, war doch die Familienähnlichkeit nicht zu verkennen. In der That waren es Brüder, denn der Jüngere war Otto von Röbel, der zum Manne gewordene und gekräftigte Knabe, dem wir in der ersten Hälfte unseres Buchs bereits an verschiedenen Stellen begegnet sind.
Er hatte gehalten, was der Knabe versprach. Die erhabene Idee der Treue, der ihn sein Vater an dem Totenlager seines für das Königtum gefallenen Bruders geweiht, war mit ihm gewachsen und groß geworden, nicht eine poetische Schwärmerei, sondern eine Fleisch und Blut gewordene männliche Überzeugung, eine Notwendigkeit und Pflicht seines Lebens, an deren Sieg er dieses jeden Augenblick mit voller Ruhe zu setzen bereit war. Er war ein Preuße bis ins Mark seiner Knochen, wie sein alter Vater, ein Royalist mit jedem Tropfen seines Bluts, aber nicht bloß, weil er als solcher geboren war, sondern aus der vollen Überzeugung des Prinzips, die er in dem Europa spaltenden Kampfe gewonnen, und deshalb in erster Reihe zwar der Soldat des Thrones der Hohenzollern, aber zugleich ein Streiter für das Prinzip der Legitimität, wo seine Fahne im heißen Kampf der Geister und der Schwerter wehte. Er verband mit dem Feuer und der Begeisterung der Jugend bereits die Konsequenz des Mannes.
Selbst die hoch aristokratische, in scharfen Vorurteilen sich bewegende Tante, obgleich sie ihn im Grunde nicht leiden mochte, so wenig wie seinen Vater, hatte Respekt vor dem jungen Mann und zeigte ihm nur selten ihre Launen. Ohnehin kam er wenig genug in ihre Nähe.
»Du willst also morgen abreisen, Otto?« fragte der Leutnant.
»Mit dem ersten Zug. Zu was man sich entschlossen hat, soll man rasch thun,« sagte der junge Mann. »Der Vater hat mir zwei Jahre bewilligt, ich werde Paris, die Schweiz, Italien und ein Stück des Orients besuchen. Vielleicht« – ein leichtes Lächeln umzog seinen Mund – »daß dieser Plan auch schon in seinem Anfang eine kleine Änderung erleidet. Freund Meuron hat einigen Einfluß darauf.«
»Der Leutnant von den Schützen?«
»Wir dienten zusammen und verließen zu gleicher Zeit den Dienst.«
»Und wo befindet sich Herr von Meuron jetzt?« warf die Tante ein.
»Wo er hingehört – in Neufchâtel!«
Die Freifrau verzog den Mund zu einem stolzen Hohn. »Ich begreife nicht,« sagte sie hart, »wenn man die Ehre gehabt hat, in der Armee Seiner Majestät des Königs von Preußen, des angestammten Monarchen, zu dienen, wie man zu diesen Rebellen sich zurücksehnen kann.«
»Es ist seine Heimat, Tante, und diese zieht mit hundert Banden.«
Der Rat mengte sich in das Gespräch. »Ich habe gehört, daß in letzterer Zeit mehrere Offiziere aus vornehmen Schweizer-Familien, die hier dienten, die preußische Armee verlassen haben und nach der Schweiz zurückgekehrt sind?«
Sein Auge, ohne den Anschein der Beobachtung zu haben, folgte doch aufmerksam dem Ausdruck in den Zügen des jungen Mannes.
»Sie meinen aus Neufchâteler Familien!«
»Nun ja, aus der Schweiz … Neufchâtel gehört ja jetzt zur Schweiz.«
»Entschuldigen Sie, mein Herr, in meinen Augen gehört das Fürstentum Neufchâtel nach wie vor zu Preußen, und ich kann in jenen Herren keine Schweizer, sondern nur meine Landsleute sehen, solange Se. Majestät. der König von Preußen sein Anrecht an diesen Teil seines Erbes nicht auf legalem Wege an eine andere Macht übertragen hat, was in der That ein Unglück für die getreuen Unterthanen wäre, die Se. Majestät dort zählt.«
»Warum sind sie denn Achtundvierzig so willig gute Schweizer geworden? Der König von Preußen kann nicht so unklug sein, wegen eines abgelegenen kleinen Ländchens, das für die Krone Preußens gar keinen Wert hat, einen Krieg anzufangen, der schon wegen der getrennten Lage des Landes und der Stellung der Schweiz willen zu höchst gefährlichen Verwickelungen mit Frankreich und Österreich führen könnte!«
»Meiner Ansicht nach,« sagte der junge Mann mit strenger Stimme, »ist es nicht die Sache Seiner Majestät des Königs, sondern der Unterthanen, die ihm Treue geschworen, die preußische Fahne in Neuenburg wieder aufzupflanzen und der Herrschaft der Rebellion ein Ende zu machen, obschon das preußische Recht weder französische Willkür, noch österreichische Intriguen zu scheuen hat. Hoffentlich wird Herr von Manteuffel die Gelegenheit nicht versäumen, bei dem Kongreß in Paris die Rechte Preußens geltend zu machen.«
Der Kommissionsrat lächelte, aber er antwortete nicht direkt. »Sie werden Neufchâtel besuchen, Herr v. Röbel?« sagte er dann plötzlich.
»Ja, mein Herr!«
»Ich zweifle nicht, daß Sie durch Herrn von Meuron in die ersten Familien eingeführt sein werden, indes eine Empfehlung mehr, so unbedeutend sie sein mag, kann Ihnen vielleicht nützen. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen diese zu geben?«
»Mein Neffe wird sie mit Dank annehmen, liebster Rat,« bemerkte die Freifrau. »Junge Leute müssen stets suchen, achtungswerte Bekanntschaften zu machen.«
»Meine Adresse, gnädige Frau,« bemerkte der Rat, »ist eine sehr bescheidene. Es ist bloß die eines kleinen Wirts in Serrières, aber« er sagte die Worte mit einer gewissen Bedeutung – »man kann in Lagen kommen, wo man die Hilfe der scheinbar Unbedeutendsten braucht und der Mann, dessen Adresse ich hier auf die Karte schreibe, ist zuverlässig und gewandt.«
Er hatte die Karte überschrieben und reichte sie dem jungen Mann, der sie mit einer kalten Verbeugung empfing. »Sie kommen zu einer interessanten Zeit nach Paris,« fuhr der Rat fort, »und die Frau Gräfin Törkönyi, der Sie die gnädige Frau ohne Zweifel empfohlen hat, wird vortrefflich geeignet sein, Sie mit allen Celebritäten und allen Neuigkeiten des Tages bekannt zu machen. Es sind zwar erst drei Wochen her, daß sie nach Paris abgereist ist, aber ihre Briefe sind voll der pikantesten Anekdoten und beweisen, daß sie die besten Quellen hat.«
»Ich werde nicht die Ehre haben, der Frau Gräfin meine Aufwartung zu machen.«
»Da sehen Sie den starrköpfigen Eigensinn,« sagte heftig die Freifrau, »sie könnte ihm so viel nützen, und er weigert sich geradezu, einen Brief an sie mitzunehmen.«
»Liebe Tante, Sie werden mich entschuldigen; die Gesellschaft der Frau Gräfin ist nicht die meine!«
Das Gesicht der Dame rötete sich, ihre lange Gestalt richtete sich kerzengerade auf. »Ich bin zwar der Impertinenzen von Deiner Familie gewöhnt,« sagte sie bitter, »indes bitte ich, Dich zu erinnern, daß die Frau Gräfin meine vertraute Freundin ist.«
Es schwebte eine Entgegnung auf den Lippen des jungen Mannes, allein er unterdrückte sie. Überdies mischte sich der Leutnant, der bisher mit allen Zeichen der Ungeduld sich hin und her bewegt, in das Gespräch.
»Sie haben Briefe von der Gräfin bekommen, chère Tante?«
»Diesen Abend – wir sprachen soeben davon, als Du kamst. Auch Doktor Lazare, der Sekretär der Gräfin, hat geschrieben, der Herr Rat war eben beschäftigt, uns einige Stellen aus dem Briefe vorzulesen. In der That, ich beneide Dich fast; denn Paris ist in diesem Augenblick der Sammelpunkt aller Personen von Einfluß und Distinktion. Ja, wenn der Baron noch lebte …«
»Erlauben Sie mir die Frage, ob die Briefe Ihnen keine Nachricht von Personen meiner Bekanntschaft bringen?«
»Du meinst die Massaignacs? Die Gräfin hat ihre Bekanntschaft gemacht, und der Doktor ist bereits Hausfreund. Der Graf nimmt eine angesehene Stelle am Hofe ein, er war bei Beginn des Krieges mit dem Prinzen in der Türkei.«
»Dann hat er gewiß eine kugelsichere Stelle gehabt,« sagte lachend der jüngere der Brüder.
»Und die Komteß?«
»Sie ist noch immer spurlos verschwunden, und ihr Bruder soll bereits auf Todeserklärung angetragen haben. Das Unglück verfolgt unsere Aussichten auf allen Wegen. Wäre der Eigensinn Deines Vaters nicht gewesen …«
Otto von Röbel unterbrach sie, indem er sich erhob. »Ich bitte Sie, meine gnädige Tante, meinen Vater außer Spiel zu lassen und unsern Abschied nicht zu trüben. Es ist Zeit, daß ich Ihnen Lebewohl sage; Fritz wird mich hoffentlich begleiten, da er bereits seine Wohnung verlassen hatte, als ich am Nachmittag ihn in Berlin aufsuchte. Wir haben doch noch so manches zu besprechen.«
»Ich hatte eine Einladung zu einem Kameraden in Spandau,« sagte der Offizier nicht ohne eine gewisse Verlegenheit, »ich habe nur noch etwas Dringendes mit der Tante zu besprechen und stehe Dir dann zu Diensten. Wollen Sie die Güte haben, mir einige Augenblicke zu schenken, chère Tante?«
Die Freifrau warf einen raschen Blick auf den Kommissionsrat; dieser, anscheinend nur mit seinen Briefen beschäftigt, antwortete durch eine kaum merkliche Kopfbewegung.
»Ich denke, chèr neveu, es wird wohl Zeit haben bis morgen. Du kannst mich besuchen, wenn Otto abgereist ist, ich habe einige Sachen gehört, über die ich ohnehin mit Dir zu reden wünschte. Du scheinst ja jetzt sehr oft in Spandau zu sein – oder in der Umgegend!«
Das Gesicht des Offiziers übergoß sich mit Blut. »Es ist notwendig, liebe Tante, daß ich Sie noch heute spreche, ich muß darauf bestehen!«
Sie erhob sich ärgerlich. »So komm! Ich kann mir denken, was es ist, nach der Gesellschaft, aus der Du kommst! Ich bitte Sie, noch zu verweilen, lieber Rat, ich wünsche noch mit Ihnen zu reden.«
Sie ging in ein Nebenzimmer, der Offizier folgte ihr.
Der jüngere Röbel hatte mit einem gewissen Erstaunen der Scene zugehört; der Blick, mit dem er den Kommissionsrat maß, drückte ziemlich unverhohlen seine Verwunderung darüber aus, daß er als Fremder nicht den Takt gezeigt hatte, lieber selbst zu gehen. Der Rat schien aber diese Absicht durchaus nicht zu haben; er blieb behaglich in seinem Lehnstuhl und schenkte sich selbst eine frische Tasse Thee ein.
»Bitte, Herr von Röbel – langen Sie mir den Rum herüber. Es ist alter Jamaika – das Haus in Hamburg, von dem ich ihn bezogen, hat ihn schon zehn Jahre lagern lassen und giebt ihn nur an vertraute Freunde. Sie werden viel Neues und Interessantes in Paris sehen, aber Gott sei Dank fehlt es augenblicklich auch hier nicht an Neuigkeiten.«
»Ich interessiere mich wenig dafür, und auf dem Lande hören wir nur, was die Zeitungen bringen.«
Aus dem Nebenzimmer vernahm man ziemlich laut die harte Stimme der Baronin. Der Rat beeilte sich, sie mit seiner Unterhaltung zu verdecken.
»Schade, daß Sie nicht gestern hier waren. Sie hätten eine interessante historische Persönlichkeit bei mir getroffen, ich habe mir die Freiheit genommen, den General auch Ihrer Tante vorzustellen.«
»Wen meinen Sie?«
»Paëz, den Exdiktator von Venezuela. Ich lernte ihn kennen, als ich in Südamerika war; er hielt sich zwei Tage hier auf.«
»Das blutdürstige Ungeheuer?«
»Ach, glauben Sie nicht alles, was die Zeitungen erzählen. Er hatte allerdings den Grundsatz, sich nie mit Gefangenen zu belästigen, aber was ist das Erschießen einiger hundert Halbindianer gegen die Metzeleien der hochcivilisierten Nationen in der Krim? Sie sollten ihn sehen, mit dem dicken, runden, gemütlichen Gesicht und einer Figur wie die meine – wem wird es da einfallen, das kleine Gemetzel von Carabobi mit der Alma oder mit Inkermann zu vergleichen? Er ist mit dem weiblichen ewigen Juden zusammen gestern abgereist.«
»Ich verstehe Sie nicht!«
»Mit der bekannten Reisenden Ida Pfeiffer, sie will zur Abwechselung einmal nach Madagaskar. Ich möchte wissen, was das der Welt nützen soll.«
In diesem Augenblick trat der Offizier, rot und erhitzt aus dem Zimmer und griff hastig nach seinem Paletot und seiner Mütze.
»Komm, Otto! ich bin hier fertig!«
Die Freifrau war ihm gefolgt, auch auf ihrem hagern strengen Gesicht zeigten sich die Spuren von Aufregung, die Stirn und die schmalen Lippen waren unwillig zusammen gezogen.
»Geh', Undankbarer! Das ist der Dank für meine Nachsicht und Liebe!«
Der Offizier war schon an der Thür. Er schien wenig auf den Zorn der Dame zu achten und wandte sich nur um, um nochmals seinen Bruder anzureden.
»Es ist Zeit, Otto! mein Pferd steht vor der Thür. Ich muß Dich sprechen!«
Er ging ohne Gruß davon. Die Kammerherrin hatte sich wieder auf das Sofa gesetzt, kerzengerade, aber sie hielt das Tuch vor das Gesicht. Otto von Röbel fühlte sich auf das Höchste bedrückt durch die Scene, namentlich durch die Anwesenheit eines Fremden dabei. Er nahm daher gleichfalls seinen Hut und trat zu der Verwandten, um sich von ihr zu verabschieden.
»Verzeihen Sie, liebe Tante,« sagte er freundlich, »daß ich Sie so verlasse. Fritz ist gut, er ist nur etwas aufbrausend; er wird sein Unrecht gewiß einsehen, und Sie werden ihm verzeihen. Mich aber behalten Sie in Ihrem freundlichen Andenken, und der Himmel lasse mich Sie wohl und gesund wiederfinden, wenn er mich selbst glücklich zur Heimat zurückführt.«
Er küßte ehrerbietig die Hand. Die Freifrau nahm das Tuch vom Gesicht und erhob sich; man sah die seltenen Spuren von Thränen auf diesem festen verschlossenen Gesicht.
»Bleib' noch einen Augenblick,« sagte sie fest, »jener Undankbare kann wohl so lange auf Dich warten.«
Dann ging sie ruhigen Schritts zu ihrem Sekretär, öffnete mehrere Schubladen und kam mit dem Gegenstand zurück, den sie gesucht. Es war eine goldene Dose mit einer Namenschiffre in Emaille.
»Ich habe Dir niemals etwas geschenkt, Neffe,« sagte sie ernst, »meine ganze Liebe gehörte dem Undankbaren. Ich habe vielleicht Unrecht gethan, Dich und die Rosamunde zu vernachlässigen, aber es läßt sich nicht ändern. Nimm dies als ein Andenken an mich und Deinen verstorbenen Onkel. Er hat sie lange getragen, denn sie war auch ihm ein Andenken von einem Mann, dem er einst Gelegenheit hatte, einen wichtigen Dienst zu leisten. Und nun geh' mit Gott und denke mit Freundlichkeit der Schwester Deiner Mutter, wenn Du mich nicht etwa wieder finden solltest; denn ich habe nie etwas anderes gewollt, als den Glanz und die Ehre der Familie.«
Sie küßte ihn auf die Stirn.
Der junge Mann küßte nochmals ihre Hand, grüßte dann flüchtig und zurückhaltend den Rat und verließ gleichfalls das Zimmer.
Die Freifrau sah lange starr vor sich hin; selbst ihrem Vertrauten gegenüber zögerte sie, ihr Herz zu öffnen und ihre Sorgen auszusprechen.
Der Rat kam ihr zu Hilfe. »Der junge Herr wollte sicher wieder Geld?«
Sie nickte. »Er ist sehr leichtsinnig!«
»Aber Sie gaben es ihm nicht?«
»Nein, obschon er anfangs bat und dann behauptete, seine Ehre stände auf dem Spiel!«
»Die hat in letzter Zeit ziemlich oft auf dem Spiel gestanden,« sagte der Rat phlegmatisch. »Bei der Dame da drüben ist gerade nicht sehr viel davon zu holen!«
»Wenn er nur dahin ginge, das könnte ich ihm noch vergeben, es ist immer eine Frau, und ein Kavalier kann sich verführen lassen! aber Sie selbst haben mir die Beweise gegeben, daß er … daß er …«
»Daß er die Gesellschaften des Herrn Samuel Jonas besucht und mit ihm in sehr vertrautem Verhältnis steht? O beruhigen Sie sich, gnädige Frau, Herr Jonas ist jetzt ein sehr gesuchter Mann und Barone und Grafen verkehren bei ihm. Er hat Ihren Neffen in ganz besondere Protektion genommen und hat nichts dawider, daß er seiner Tochter Rosa den Hof macht.«
Das Gesicht der Freifrau rötete sich. »Mein Herr, keine Unverschämtheit!« sagte sie zornig.
Der Rat blieb sehr kalt und eisig. »O, ich sage keineswegs, daß er ernstliche Absichten hat, Gott soll mich bewahren! Wir müssen uns in die neue Zeit fügen, gnädige Frau, die Leute vom Geldsack führen jetzt das Regiment, und Geld ist eine Tünche, die alle Vergangenheit deckt. Darf ich das Nähere wissen, was dem jungen Herrn passiert ist?«
»Der Unglückliche hat wiederum gespielt!«
»Wo anders, es muß ja ein förmliches Raubnest dort etabliert sein für den jungen Adel!«
»Aber ein sehr elegantes und komfortables. Doch, Sie irren sich, die Herren finden in der Stadt weit eher Gelegenheit. Madame liebt nur das Solide und zieht sogar den älteren Bürgerstand vor, wenn er nur aus guten Bankiers, Rentiers und reichen Hausbesitzern oder Geschäftsleuten besteht. Erst neulich hat ein simpler Berliner Bürger dort 30 000 Thlr. verloren und sich und seine Familie ruiniert.«
»Das kommt davon, wenn solche Leute sich über ihren Stand erheben!«
»Sie haben recht, gnädige Frau, das Spiel ist eine zu kostspielige Passion für die Stände, die schon durch ihre Geburt bestimmt sind, zu erwerben. Wir hätten Ihre Neffen nicht zusammen fortgehen lassen sollen.«
»Warum?«
»Weil der jüngere wahrscheinlich einen Teil seines Reisegeldes einbüßen wird.«
»Mein Herr!«
»Gnädige Frau?«
Die Kammerherrin bezwang sich. »Aber wenn es wirklich der Fall sein sollte, wenn es eine Ehrenschuld ist, die er decken muß? Vielleicht, daß es ihn zur Umkehr bewöge –«
Der Rat sah sie ruhig an. »Ich habe kein Recht,« sagte er kalt, »Sie zu verhindern, sich vollends zu ruinieren. Aber als Freund Ihres verstorbenen Gatten habe ich die Pflicht, Sie zu warnen. Ihr Vermögen ist dadurch, daß Sie die Schulden Ihres Neffen in Paris gedeckt haben, vollständig darauf gegangen, die Rente, die Sie von dem Güternachlaß beziehen, bereits auf ein Jahr verpfändet – wollen Sie, einem leichtsinnigen jungen Mann zu Liebe, auch noch Ihre Stellung bei Hofe kompromittieren?«
Das Mittel half, jene Luft der exklusiven Region, die ihr Lebensbedürfnis war, ging ihr noch über die Vorliebe und Neigung zu dem leichtsinnigen Neffen. Mit dem gewöhnlichen Frauentakt, der es liebt, die Schuld sofort auf andere zu wälzen, beruhigte sie sich schnell. »Sie haben recht, warum sollte ich mich dafür opfern, wo die Thorheit und der Eigensinn seines Vaters allein die Schuld tragen? Hätte er ihn nicht um die Erbschaft gebracht, so wäre Fritz nicht in Verlegenheit. Jetzt mag er die Folgen tragen! Sind Sie nicht auch der Meinung, lieber Rat?«
Ein unheimliches Lächeln glitt flüchtig über das Gesicht des Gefragten; er wußte, in welchen schlimmen Händen der leichtsinnige junge Mann sich befand, und was über kurz oder lang die Folge sein mußte, aber er vermied möglichst, auf die Erbschaft, das Lieblingsthema der Freifrau zurückzukommen und wandte das Gespräch auf einen andern Punkt.
»Se. Majestät sind heute Nachmittag von Neu-Ruppin zurückgekehrt?«
»Um halb sechs.«
»Nichts neues aus dem Schloß?«
»Doch! die Anwesenheit Ottos verhinderte mich nur, es Ihnen mitzuteilen, da Sie erst so spät von Berlin kamen. Eine Dame wartete auf den König und bat um Gehör.«
»Nun?«
»Sie hat Sr. Majestät mitgeteilt, daß das Duell des Polizei-Präsidenten schon morgen stattfinden soll.«
»Wirklich! Und wer war denn die Dame, die so vortrefflich unterrichtet ist?«
»Eine ältere Hofdame; der Name thut ja nichts zur Sache!«
»Das ist wahr. Wissen Sie, was der König geantwortet hat?«
»Se. Majestät haben sie beruhigt, die Sache wäre keineswegs so eilig und würde in Ordnung gebracht werden.«
Der Rat schien über die Nachricht nachzudenken, aber er wurde dadurch unterbrochen, daß sich die Thür öffnete, und sein alter Diener hereinschaute.
»Was willst Du, Andreas, was giebt's?«
»Es ist jemand unten, Herr Rat, der Sie zu sprechen wünscht.«
Der Kommissionsrat war aufgestanden und zu dem Diener getreten.
»Wer ist es?«
Der Alte sagte ihm ein Wort ins Ohr; der Rat wandte sich sofort zur Baronin. »Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich Sie auf einige Augenblicke verlassen muß. Sollte es etwas sein, was uns beide interessiert, so komme ich noch herauf; sonst auf Wiedersehen morgen.«
Er verließ das Zimmer und ging nach dem Parterregeschoß.
In einem kleinen mit Raffinement jetzt noch für die Wintersaison eingerichteten Salon erwartete ihn der Besucher.
Es war ein Mann von vorgerückten Jahren, den aber die schmale hagere Gestalt und das gleiche längliche Gesicht jünger erscheinen ließen, als er war.
Der Fremde hatte sich's bequem gemacht, als ob er zu Hause sei, oder dem Rat durch seinen Besuch eine Ehre erzeige. Doch lag in seinem ganzen Wesen eine gewisse höfische Kordialität. Er hatte einen amerikanischen Schaukelstuhl zu dem Kamin gezogen, in dem ein leichtes Feuer brannte, und wärmte sich behaglich. Als der Rat eintrat, lehnte er sich aus dem Stuhl vor und streckte ihm, ohne aufzustehen, eine der feinen hagern Hände entgegen.
»Guten Abend, lieber Kommissionsrat, ich habe Sie gewiß gestört in einem zärtlichen tête-à-tête mit Ihrer höchst verehrungswürdigen aber in allen Richtungen etwas passierten Mieterin? Nun, nichts für ungut! Jeder hat seinen Geschmack, und Treue in alten Freundschaften ist eine sehr lobenswerte Eigenschaft. À propos, warum waren Sie vorgestern nicht bei Lessings?«
»Ich war leider verhindert, Excellenz!«
»Still mit der Excellenz! die steht nicht im Mandat; wir müssen uns etwas nach dem Geschmack der liberalen Wähler richten und uns populär machen. Aber ich wollte nicht zur Stadt zurück, ohne Sie besucht zu haben, darum komme ich so spät noch.«
»Sie waren im Schloß?«
»Das kann ich eigentlich nicht sagen, indes, es bleibt sich ziemlich gleich, wie Sie wissen. Zum Beweis dafür kann ich Ihnen mitteilen, daß vor kaum 15 Minuten ein reitender Bote mit der Ordre an Westphalen nach Berlin gesandt worden ist.«
»Noch an den Herrn Minister?«
»Ganz recht – aber ich weiß, er bleibt spät auf. Und wollen Sie wissen, was die Ordre enthält?«
»Wenn Sie die Gnade haben wollen, es mir mitzuteilen!«
»Oh, kein politisches Staatsgeheimnis. Es ist nur die Ordre an den Minister, von der Stunde des Empfangs ab den Gegner des Herrn von Hinkeldey auf das genaueste, aber sehr sekret, beobachten, das heißt, ihn unter polizeiliche Aufsicht stellen zu lassen.«
»Der Zwist wird demnach keine blutigen Folgen haben?«
»Wer weiß! ich hörte bereits davon!«
Die Worte waren in so eigentümlichem Ton hingeworfen, daß der Rat stutzte.
»Wie meinen Sie das?«
»Wissen Sie, was die Ordre veranlaßt hat?«
»Wie soll ich das wissen? Ich hoffe, es durch Euer Excellenz zu erfahren.«
»Vor etwa einer halben Stunde ist eine Depesche im Schloß abgegeben worden. Die Adresse an Se. Majestät ist von der Hand des Polizei-Präsidenten, ebenso ein Protokoll über die Aussage zweier unbekannter Personen, das einlag. Es enthielt den Beweis, nach dem man in der Untersuchung gegen den Agenten Techen so lange geforscht hat, daß die gestohlenen Depeschen aus Petersburg in der That an ein fremdes Gouvernement verkauft waren und die Abschriften regelmäßig nicht bloß zu Herrn v. Manteuffel, sondern auch in die französische Gesandtschaft wanderten.«
»Den Teufel! Und wer hat diese Entdeckung gemacht?«
»Der Generaldirektor. Die konkurrierenden Personen sind ganz unbedeutender Natur. Der König ist äußerst aufgebracht. Die Depesche an den Minister des Innern wurde sofort expediert, und ich wette zehn gegen eins, daß Herr v. Hinkeldey morgen Vormittag eine lange und vertrauliche Audienz hat, statt im Namen der preußischen Bureaukratie mit der Aristokratie Kugeln wechseln zu müssen.«
Der Rat sann, augenblicklich betroffen von der Mitteilung nach.
»Teufel,« sagte er, »das Zerwürfnis war so schön im Gang. Der Ausgang des Duells ist ganz Nebensache und gleichgültig, aber ist es einmal gestört und bekannt, so kann es überhaupt nicht stattfinden. Der General-Direktor darf unter keinen Umständen wieder Einfluß und das Vertrauen des Königs gewinnen. Aber ich gestehe – mein Latein ist zu Ende!«
Sein Gesellschafter nahm ein Papier aus der Tasche und reichte es ihm. Es war eine Memoire in Quart; ein ganzer Bogen in Doppelspalten gedruckt, datiert von Anfang März, ohne Angabe des Druckorts.
»Was ist das?«
»Lesen Sie! Es ist diesen Abend in tausend Exemplaren in Berlin durch die Stadtpost verbreitet worden. Sie wissen wohl nichts davon, da Sie nicht dort waren.«
Der Rat überflog eifrig die sieben Seiten. Einzelne Worte, die er während der Lektüre ausstieß, bewiesen das große Interesse, das er daran nahm. Als er fertig war, schlug er mit triumphierender Miene das Blatt zusammen und gab es zurück. »Das ist alles, was wir brauchen! ich mache dem Schreiber oder Erfinder des Streichs ein Kompliment; es ist vollkommen geeignet, durch Kompromittierung und Mißtrauen den Zwiespalt der beiden konservativen Faktoren unheilbar zu machen. Die klare Veröffentlichung, daß Herr von Manteuffel und der General-Direktor die Sache in der Hand hatten, ist zu schlagend. Es muß noch diesen Abend in die geeignete Hand kommen, und das Gift wird seine Wirkung thun! Erlauben Sie mir, davon Gebrauch zu machen?«
»Ganz wie Sie wollen!«
Der Rat schlug die Druckschrift in ein Couvert, das er jedoch mit keiner Adresse versah. »So! Brief gegen Brief! Wer das letzte Wort hat, hat den Sieg! Erlauben Sie, daß ich Sie einige Augenblicke allein lasse!«
Sein Besuch machte eine bloße Handbewegung. Der Rat verließ das Zimmer, und man hörte ihn die Treppe im Flur hinauf steigen.
Zehn Minuten darauf saß er diesem Besuch wieder gegenüber.
»Ich gratuliere zu dem großdeutschen Ministerium!«
»O liebster Rat, so weit sind wir noch lange nicht; erst müssen wir Manteuffel und die Kreuzzeitungspartei los sein, und das geht so rasch nicht, diese Leute sind wie die Kletten, und der König ist auf seine spezifisch preußische Politik versessen und glaubt Wunder, welche Großthat er mit der Zurückweisung der deutschen Kaiserkrone gethan hat. In diesem Augenblick hat Preußen durch seine feste Neutralität in der orientalischen Frage sich eine zu günstige Stellung in Deutschland gemacht, der Schimmel von Bronzell und die Niederlagen von Dresden und Olmütz sind überwunden. Man muß es erst wieder isolieren und ihm beweisen, wie wenig es auf die deutschen Fürsten zählen kann, und daß es sich einzig dem Volk in die Arme werfen muß. Man muß ihm einen Rival gegenüber stellen, um es vorwärts zu treiben!«
»Österreich!«
»Das ist nichts! Österreich ist mit sich selbst noch nicht fertig und überdies zu gefährlich. Unsere Puppe muß nur Macht haben und drohend erscheinen durch uns selbst. Der Mann dazu ist ja da!«
»Sie meinen den Herzog?«
»Versteht sich; kann ein besserer gefunden werden? Der liebe Gott hat die Koburger ganz besonders zur konstitutionellen oder liberalen Aushilfe geschaffen, sie sind die politischen Mädchen für alles! Oder haben Sie je gehört, daß die Engländer mit dem Prinzen Albert, die Belgier mit Leopold oder die Portugiesen mit dem Mann der Maria da Gloria unzufrieden gewesen? Sehen Sie, das ist die echte rechte konstitutionelle Fürstenrasse, wie sie eine Deputiertenkammer braucht, sie hat das Talent der ungefährlichen Intrigue und der anständigen Repräsentation!«
»Dann liegt aber die Gefahr nahe, daß die Demokratie sich ihrer eben so leicht bemächtigt!«
»Nicht doch! Nur bis zu einem gewissen Grade. Ich glaube nicht, daß sich einer zum Präsidenten der deutschen Republik hergeben würde. Ein anständiger Königstitel, so ein gewisser konstitutioneller Purpur, sei es in Form einer Krone oder eines königlichen Unterrocks, ist das, was notwendig ist. Schade, daß in diesem Augenblick die Familie nicht zahlreicher ist, wir könnten sie brauchen. Zum Glück kann England jetzt aushelfen. Es fehlt nicht an einigen Ländern und Ländchen ohne legitimen Thronerben, und ein Kongreß oder ein kleines Arrangement mit Frankreich schiebt sich leicht ein. Ich versichere Sie, lassen Sie die Engländer erst an ein paar Stellen in Deutschland festen Fuß gefaßt haben, und Sie sollen Ihre Freude erleben, wie prächtig das konstitutionelle Leben emporwächst.«
»Sie sagen alles dies in einem solchen Ton, daß man nicht weiß, was eigentlich Ihr Ernst ist. Ich kann mir kaum einbilden, daß Sie sich wirklich ein deutsches Kaisertum unter einem Herzog von Koburg denken können!«
»Es wäre nur ein letztes Auskunftsmittel; ich bin ein viel zu guter Preuße, um nicht Preußen an der Spitze von Deutschland sehen zu wollen, wenn es darin aufgeht. Aber dazu muß es getrieben werden. Wir wollen keine Selbstherrscher mehr, so wenig wie eine Republik, sondern Fürsten, die sich dem Verein der Nation fügen und mit der Repräsentation zufrieden sind. Die Macht muß da liegen, wo sie hin gehört, in den Händen der Vertreter des Volks. Und die Fürsten werden das einsehen, wenn man sie geschickt erst etwas kompromittiert hat. Man muß diese Stützen, auf denen der Feudalismus ruht, einigermaßen beschneiden. Hebung des coulanten Kapitals auf Kosten des konservativen Grundbesitzes, Emanzipation von der Kirche durch die Einführung der Civilehe und des freien Unterrichts, eine gewisse Souveränetät des Richterstandes, genaue Kontrolle der Finanzen und Unterordnung des Militärs unter die Verfassung – das ist vollkommen genügend.«
»Aber glauben Sie, daß das Volk bereits reif ist für ein solches konstitutionelles System?«
»Gewiß! Vor der Demokratie oder besser vor der Republik hat man in Deutschland eine Scheu, sie wird, wenigstens in diesem Jahrhundert, schwerlich aufkommen. Der Konstitutionalismus gewährt dieselben Freiheiten bei größerer Sicherheit. Ich bin überzeugt, daß wir in zehn Jahren eine deutsche Verfassung haben werden!«
»Mit Koburg an der Spitze?«
»Nein – ich hoffe mit Preußen.«
»Und Österreich?«
»Österreich hat zu verschiedene Elemente, um ganz in das System zu passen. Es wird mit seinen deutschen Provinzen sich dem allgemeinen unterordnen oder ganz ausgeschlossen bleiben müssen. Österreich hat in diesem Augenblick mit seinem Konkordat die deutschen Sympathieen verloren. Der Liberalismus muß dort erst wieder Kraft und Einfluß gewinnen.«
»Und glauben Sie, daß die deutschen Fürsten so willig zustimmen werden?«
»Manche – manche auch nicht! Aber die Kammern haben fast überall das Geldbewilligungsrecht. Sie sehen ein, daß sie Konzessionen machen und mit der Zeit fortschreiten müssen. Ist erst der Widerstand Preußens gebrochen, dann fallen die andern von selbst uns zu, selbst der Eigensinn Hannovers und die Stabilität Mecklenburgs wird sich beugen, und deshalb müssen jetzt alle Mittel benutzt werden, um das reaktionäre System in Preußen zu beseitigen. Die liberalen Ideen sind überall thätig; wir benutzen die Demokratie und schicken sie ins Feuer, während die Früchte uns gehören.«
»Es ist ein gefährliches Bündnis, Excellenz, es könnte leicht in das Gegenteil umschlagen!«
»Bah! wir operieren mit einem Teil gegen den andern, mit der Reaktion gegen die Demokratie. Darin liegt eben die Regierungskunst, und wir werden das Gleichgewicht zu bewahren wissen, wenn wir erst wieder am Ruder sind. Ich weiß, daß Sie zu uns gehören und sich nach dieser Taktik Einfluß in allen Parteien bewahrt haben, deshalb spreche ich mich so offen aus. Männer wie Sie sind für uns von besonderem Wert. Wir werden es nicht vergessen, daß wir Ihnen manchen wichtigen Wink verdanken.«
Der Rat hatte während des Gesprächs ein Schubfach seines Sekretärs aufgeschlossen und eine Mappe herausgenommen, in der er blätterte.
»Sie rechnen also gewissermaßen auf eine Koalition der liberalen Fürsten Deutschlands, um Preußen zu nötigen, den jetzigen Weg zu verlassen.«
»Wenn es sein muß – ja! Die Interessen Deutschlands müssen, wenn es zur Entscheidung kommt, über denen Preußens stehen.«
»Vielleicht kann ich Ihnen einen Wink geben. Haben Sie je von einem Briefe gehört, den der König von Württemberg, der Nestor der deutschen Fürsten, während der Dresdner Konferenzen an den Fürsten Schwarzenberg geschrieben hat?«
»Nein, wir hielten uns damals aus Prinzip von allen Staatsgeschäften entfernt. – So viel ich weiß, hat auch nie eine Zeitung eines solchen Erwähnung gethan.«
»Die Zeitungen wissen manches nicht. Hier ist die Abschrift jenes Briefes – er hat auch jetzt noch genug Interesse für Ihre Freunde in Württemberg und Baden.«
Der andere las das Aktenstück. »Ich danke Ihnen, liebster Rat; es ist eine Erklärung, an die wir uns halten werden. Doch jetzt leben Sie wohl, es ist Zeit, daß ich nach Berlin zurückkehre. Ich hoffe, daß das kleine Memoire seine Schuldigkeit thun und die Versöhnung der Reaktion in die Luft sprengen wird! Ich bin neugierig auf die morgenden Neuigkeiten!«
Er drückte dem Rat die Hand, und dieser begleitete ihn zu der Hausthür. Als er mit einem spöttischen Lächeln auf dem breiten Gesicht in sein Zimmer zurückkehrte, hatte den Platz des Gegangenen bereits eine andere Person eingenommen, ein Mann, klein, hager und schmächtig, aber mit klugem Gesichtsausdruck, in einen blauen Mantel gehüllt, bei dessen Öffnen man eine dunkle Kleidung erkannte, wie sie die katholischen Geistlichen zu tragen pflegen.
Der Rat schüttelte ihm die Hand. »Andreas sagte mir, daß Sie im Kabinett säßen. Ich hoffe, Sie haben unsere Unterredung von A bis Z mit angehört. Diese Gothaer sind unverbesserlich, aber auch unbezahlbar. Sie sehen in ihrem Dünkel nicht, wie sie von beiden Seiten benützt werden, aber ohne sie würden wir in der That einen schweren Standpunkt mit Preußen haben. Der Brocken, dieser ganz wertlose Brief, mehr Geschwätz als Gefahr, den ich ihm hingeworfen, wird sein blindes Vertrauen verdoppeln, daß ich zu ihnen gehöre. Ich kann es beiden Parteien nicht verdenken, daß man sie in der Kammer als den gemeinschaftlichen Prügeljungen behandelt. Sollten sie ja noch einmal an die Regierung kommen, so werden sie sich gründlich blamieren!«
»So viel ich durch die Portiere hören konnte, hat er uns indes den Dienst geleistet, um dessen willen ich so spät noch komme. Hier sind noch zwei Exemplare des verbreiteten Briefes.«
»Die Baronin ist mit dem ersten bereits an der richtigen Stelle!«
»Und wie befindet sich mein künftiges Beichtkind?«
»Sie hat sich sehr nach Ihrem Besuch gesehnt und Sie werden ihr morgen um so willkommener sein, als sie diesen Abend einen Auftritt mit ihrem liederlichen Neffen hatte, der sie sehr alteriert, obschon sie es sich nicht merken lassen will. Aber haben Sie Nachrichten von dem Kinde?«
»Die frommen Schwestern klagen sehr über den ungebärdigen hartnäckigen Charakter des Mädchens. Körperlich ist sie so wohl, wie man nur wünschen kann.«
»Sie hat den Trotz und die Unbeugsamkeit von der Mutter geerbt, aber diese Eigenschaften müssen gebrochen werden. Wissen Sie, was das Frauenzimmer gethan hat? Sie haßt den Mann, der am 18. März ihren Liebhaber, den Vater des Mädchens erschossen hatte, aufs bitterste und hat ihm die teuflischsten Schlingen gelegt, um ihn zu verderben. Er war bereits bankerott, als ihm ein großer Lotteriegewinn und andere Zufälle zu Hilfe kamen, denn er ist ein gewandter Mensch, und ihn in kurzer Zeit wieder wohlhabend machten. Jetzt hat sie ihn, den Gehaßten, geheiratet, nur um ihn desto sicherer zu ruinieren durch ihre eigene Verschwendung und die Thorheiten, zu denen sie ihn reizt.«
»Wenn sie ihr Kind behalten hätte, –«
»Der Zufall hat es uns in den Schoß geworfen, oder vielmehr die Vorsehung. Nahmen wir es nicht, so fiel es in die Hände jenes Verbrechers, ihres Bruders, oder in die der Baronin und beide hätten es nur für ihre Pläne gebraucht. Jetzt gehören das Mädchen und seine Ansprüche uns, das Testament ist noch immer in Gültigkeit und daß die Familie gegen unsere Beweise keine Einsprüche erheben wird, dafür werden wir sorgen. Die schlechten Leidenschaften derer, die uns im Wege stehen, werden sie vernichten; dann ist es Zeit für uns. Doch nun zu wichtigerem. Wie lauten Ihre Nachrichten aus London?«
»Die Rüstungen werden mit großer Anstrengung betrieben, alle Häfen und Depots an der Küste sollen befestigt werden.«
»Man fürchtet also, daß England das nächste Ziel für den Ehrgeiz oder die Revanche des Kaisers sein wird.«
»Die offenbare Annäherung an Rußland hat die Besorgnis erregt; die englischen Zeitungen sprechen sich ziemlich ungeniert über die Alliierten aus.«
»Das ist der Ärger wegen der Niederlagen in der Krim. Die Enthüllungen Lacy Evans im Parlament über die jämmerliche Führung der britischen Truppen in der Krim; der Übermut, mit dem Stratford sich in Konstantinopel als Herr gebärdet und den Sultan gezwungen hat, seinen Ball zu besuchen; die Excesse der englisch-italienischen Legion; die Intriguen Sardiniens mit diesem Satan Cavour in Paris: das sind alles beachtenswerte Zeichen, aber sie geben keinen Ausschlag. Glauben Sie mir, vor der Hand wird die entente cordiale, wenn auch einige Risse, doch noch lange keinen Bruch erhalten, denn der Kaiser Louis Napoleon braucht England noch als Staffage und Reserve für andere Pläne. Erst später, wenn er mit den anderen Mächten Europas fertig ist, kommt England an die Reihe. Und wenn er aus dem orientalischen Krieg nichts davon trägt, als die Genehmigung der Lessepsschen Pläne des Suez-Kanals, ist es ein wichtiger Triumph. Sehr richtig hat Thiers neulich bemerkt: ›Frieden! ja bisher hat er Glück gehabt, aber nach dem Frieden wird er Genie haben müssen!‹ Es gilt ihm, die Spaltung zwischen England und Rußland dauernd zu machen, und der Haß ist bereits groß genug, das beweisen all die kleinen Züge der Anekdoten. Man agitiert ganz geschickt mit kleinen Bosheiten. So zum Beispiel fand man, als Graf Walewski bei seinem Fest neulich den Konferenzsaal mit den dreizehn unglücklichen Stühlen seinen Gästen geöffnet hatte, am Morgen ein Blatt Papier auf dem Tisch mit einem gemeinen englischen Schimpfwort gegen Rußland und vor dem Platz Orloffs war mit Bleistift auf ein anderes Blatt » Prenez garde!« geschrieben. »Die Engländer und die Russen sind so weit auseinander, et pourtant il n'y a que Benedetti entre eux! Nicht ohne Bedeutung war neulich die zahlreiche Beteiligung am Todestage des Kaisers Nicolaus!«
»Es ist traurig, daß dies auch in Wien geschehen, er war der Unterdrücker der katholischen Kirche in Polen, und unsere Brüder erwarten, daß man die Konferenzen benützen wird, um die Sache des unglücklichen Polen zu vertreten!«
»Meine Nachrichten aus Paris und Warschau lauten anders; auch in Rom ist man der Ansicht, daß die Gelegenheit nicht günstig sei. Zunächst muß man abwarten, welche Stellung der Kaiser Alexander zu Polen einnehmen wird, man hofft auf ein bedeutendes Entgegenkommen gegen den päpstlichen Stuhl. Preußen steht frisch und gerüstet und würde Rußland sofort zur Hilfe kommen, für Österreich aber entspränge in diesem Augenblick eine bedeutende Gefahr durch eine politische Erhebung – dann …«
»Nun?«
»Ich fürchte nach allem, daß Österreich es sein wird, welches zunächst die napoleonische Politik bedroht. Aus diesem Grunde gilt es auch, seine Suprematie in Deutschland wieder zu sichern und Preußen zu isolieren. Wenn dies gelungen, dann wird es Zeit sein, an Polen zu denken, in diesem Augenblick ist es zu gefährlich, die Revolution zu unterstützen, wo es auch sei, und die Stützen Roms zu schwächen.«
Der andere dachte einige Augenblicke nach, dann nickte er zustimmend. »Ich muß mich Ihrer Ansicht beugen,« sagte er, »obschon ich es ungern thue. Die Stellung unserer Kirche in Polen wird täglich trauriger, und das griechische Schisma, das uns die Macht über Geistliche und Laien entreißt, nimmt zu. Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß der Herzog heute Abend angekommen ist und morgen nach Wien weiter reist!«
Der Rat rieb sich die Hände. »Das ist vortrefflich. Ich hoffe, man wird in Wien klug genug sein, sich seine Sympathieen zu sichern. Die Folgen gehören nicht der nächsten Zeit, aber der Zukunft. Der Abfall zweier protestantischen Fürsten von Preußen wird nicht ohne Wirkung bleiben; in Baden und Hessen lauert man nur auf die Gelegenheit, es dem Beispiel Österreichs mit Rußland nachzuthun. Die Regierung muß zu der Erkenntnis gebracht werden, daß sie ohne die Unterstützung der katholischen Partei über kurz oder lang dem Sieg der Revolution entgegengeht. Dann ist unser Einfluß gesichert. Und nun noch eins, wann schreiben Sie an unsere Freunde in Freiburg und Luzern?«
»Morgen!«
»Dann lassen Sie gefälligst eine kleine Warnung einfließen wegen der Schweizer Papiere. Man möge sich so bald als möglich des Neuenburger Anlehns entledigen!«
»Wie so? was ist geschehen?«
»O nichts! ich habe nur manchmal so ein kleines Vorgefühl, das sich an unbedeutende Dinge knüpft. Die Zahl der Royalisten in Neufchâtel ist noch immer sehr bedeutend, und wir haben keine Ursache, der Demokratie in der Schweiz einen Schlag zu ersparen. Die erste Kenntnis von der Aufhebung der Spiritus-Bonifikation und dem Abschluß des Waffenstillstandes in der Krim hat uns gestern an der Börse einen Profit gesichert, den ich nicht gern wieder an einem andern Ort verlieren möchte. Ich möchte die Gesichter der adligen Spiritusfabrikanten sehen, wenn sie wüßten, wer ihnen den Streich mit der Broschüre ›das tägliche Brot und der Spiritus!‹ gespielt hat! Die Kurse werden jetzt regelmäßig steigen, die Pariser Beratungen können nichts Entscheidendes mehr bringen; man ist auf den Frieden vorbereitet, und das Spiel ist jetzt Sache der Bankiers. Sie können Louis Napoleon eine Dankadresse votieren!«
Der geistliche Herr lachte. »Der schlesische Adel beglückwünscht den Kaiser Alexander, und die Magdeburger Synagoge Bonaparte, das Centrum hat in der That eine glückliche Stellung! Aber nun gute Nacht! ich bin müde und muß morgen beizeiten nach Berlin zurückkehren. Bemühen Sie sich nicht, Sie wissen, ich habe nicht weit bis zu unserem Kloster, dem die Heiligen Segen und Gedeihen schenken mögen!«
»Ich beneide Sie um die Nachtruhe,« sagte ihn begleitend der Rat. »Ich muß die Baronin noch sprechen, um den Erfolg zu erfahren, und habe dann wichtige Berichte zu schreiben. Gute Nacht!«
Der alte Diener öffnete mit dem Leuchter in der Hand ehrerbietig die Thür.
»Fünfundzwanzig Friedrichdor auf die Dame!«
» A moitié, Monsieur le baron!«
Die weiche, schön geformte Hand der Andalusierin neckte ihn mit dem Champagnerglase, ehe sie es selbst an die vollen roten Lippen setzte, denen das feine Pomadenrot den jugendlichen Purpur wieder gegeben hatte.
Die Toilette der Spanierin war vortrefflich gewählt. Die feuerroten Mohnblumen und weißen Perlen in dem schwarzen Haar hoben das Feuer des dunklen Auges, die feine schwarze Linie, welche die untere Wimper geschickt verstärkte, verlieh demselben eine Tiefe und Glut, die den tiefen Schatten vergessen machte, der bereits unter ihm lag. Das Alternde des kräftigen lebensbegehrlichen Gesichts war sehr geschickt durch die feinsten Künste der Bühnentoilette verjüngt, und der dunklere südliche Teint verlieh ihm eine Wärme und Fülle, die der Bedeutung des sichtbaren Flaums entsprach, der wie bei vielen der glühenden Frauen des Südens die Oberlippe säumte.
Aber der Hauptreiz dieses Weibes lag in der unvergleichlichen üppigen und doch graziösen Gestalt. Die lüsternen verlockenden Wellenformen des Halses und Nackens, der ganzen Büste bogen sich so verführerisch in dem tief ausgeschnittenen schwarzseidenen spanischen Kleide mit dem halb geöffneten Mieder, der kurze schwarze Schleier fiel so kokett auf den sammetartigen Nacken, die vollen bis an die kurzen, nur einige Finger breit über die Achsel hinausgehenden Ärmel entblößten Arme bewegten sich so graziös, die breiten gerundeten Hüften wiegten sich von einer roten Schärpe umschlungen so voll, so herausfordernd, daß es kein Wunder war, wenn der Berliner Bankier, und selbst das jüngere Geschlecht darüber in Enthusiasmus geraten war!
Die Gesellschaft war ziemlich merkwürdig zusammengesetzt, der jüngere Teil bestand aus zwei oder drei Offizieren in Civil und ebenso vielen Mitgliedern der Diplomatie. Die blasierten Gesichter verkündeten die Übersättigung in allen Genüssen des Lebens, die nur noch in den raffiniertesten Abwechselungen eine Anregung finden mag.
Die Zahl der älteren Mitglieder der Herrengesellschaft – außer der Dame des Hauses sah man in einem offenen Nebenzimmer, mit dem Rücken der Portiere des Salons zugekehrt, nur noch eine jüngere feingebaute und sehr einfach gekleidete Mädchengestalt vor dem Klavier sitzen – war die überwiegende. Sie gehörten offenbar sehr verschiedenen Ständen und Lebensstellungen an. In der Mitte, dem Bankhalter gegenüber – es wurde lebhaft pointiert und es war, wie in den privilegierten Spielhöllen der Bäder ein besonderer Temple in die Tischplatte eingelegt – saß ein großer schlanker Mann von aristokratischem Ansehen, aber sehr legèren, oft plumpen Manieren, die namentlich in der Behandlung seiner Nachbarn zu Tage kamen.
Er mochte etwa fünfzig Jahr alt sein, das Auge hatte etwas fieberisch Zuckendes, Rastloses, ohne deshalb geistreich zu sein, vielmehr lag es wie Störung des Geistes in ihm; die Nase war grob und unangenehm, nur der Mund hatte eine schöne feine Form behalten, sonst sah alles in dem Gesicht verwittert, frühzeitig gealtert, ruinenhaft aus. Ein Diamant von bedeutendem Wert schmückte seine helle Krawatte, sonst war seine Toilette ziemlich derangiert und wenig zusammenpassend.
Er behandelte den ihm gegenüber sitzenden Bankhalter mit einer gewissen Kordialität, die zuweilen zur beleidigenden Geringschätzung ausartete, während dieser, ein noch jüngerer Mann mit rotem gesunden Gesicht und kleinen listigen Augen, in eleganter Sportsmen-Toilette, sich stets sehr devot zeigte. Die Nebensitzenden boten ein Bild des größten Kontrastes: ein runder, dicker Herr, bedeutend über die Fünfzig hinaus, die fetten, mit Brillanten bedeckten Finger behaglich mit dem Berlockes der Uhr oder den Karten spielend, in dem dicken, glänzenden Gesicht, von einer vortrefflich gearbeiteten blonden Pariser Tour überdacht, zwei zwinkernde Augen, die ihre Aufmerksamkeit zwischen dem Spiel und der Dame des Hauses teilten, die jedesmal, wenn sie in seine Nähe kam, seine Hände vertraulich und süßlich bis zur Unverschämtheit tätschelten. Auf der andern Seite ein hagerer großer Mann mit sehr dünnem, in einen Kamm zusammengestrichenen Haar und großer Habichtsnase. Er gewann bedeutend, und seine runden graulichen Augen funkelten vor innerer Freude, wenn er das Geld und die Kassenscheine einstrich. Ein Zug unbeschreiblichen Ärgers zuckte jedesmal um seine Lippen, wenn die Spanierin, die sein Glück kannte, sich bei einem bedeutenden Satz als Partnerin anbot und den Gewinn auf ein kleines Schreibtäfelchen notierte, was sie nie vergaß, während sie bei Verlusten den Bleistift nicht benutzte. Zwei untersetzte, gutmütige ältliche Herren in solider, aber nicht fashionabler Toilette, ein Herr mit breitem jüdischem Gesicht und großem blonden Toupé, ein reicher Bankier mit einem Orden, ein Orientale mit der Gesichtskontur des zunehmenden Mondes, stark hervortretenden Augen und kurz geschnittenen Haaren und einige andere Personen bildeten die Gesellschaft, die aus etwa 16-17 Personen bestand. Der leidenschaftlichste Spieler, der sich kaum Zeit nahm, von Zeit zu Zeit ein Glas Champagner hinabzustürzen, war ein Mann in grünem Frack, von hagerem, durch zahlreiche Furchen der Leidenschaft entstelltem Gesicht mit einem Wald krauser schwarzer Haare. Seine Finger zuckten gichtisch nach den Karten, die kleinen, wie Feuerbrände lodernden Augen verfolgten mit unheimlicher Gier die Finger des Bankiers beim Abzug und ballten sich, wenn dieser das Geld einzog, denn der Grüne spielte mit auffallendem Unglück und suchte mit Gewalt das Spiel zu forcieren.
Die Unterhaltung war sehr ungeniert, aber ein geregeltes Gespräch kam nicht in Gang.
Der Grüne stieß eine Verwünschung aus, er hatte eben fünfzig Friedrichsdor auf eine Karte, die er doubliert hatte, verloren.
Er nahm aus seinem Portefeuille eine Kassenanweisung von fünfhundert Thalern und schob sie dem Mann mit der Habichtsnase zum Wechseln zu. Der scharfe Blick desselben hatte genau gesehen, daß es die letzte in der Brieftasche war.
Die Spanierin präsentierte dem Herrn mit dem großen Diamanten auf silbernem Teller ein großes Kelchglas funkelnden Portweins. » Voilà, mon Prince, ich weiß, daß Sie nicht lieben den Champagner! Sie spielen heute mit große Glück!«
»Wahrhaftig! es ist wahr, aber langweilig.«
»Sie haben eben gewonnen auf den Könik – dreimal – wollen Sie nicht halten ein? Der Könik könnte haben Unglück!«
»Das hat er schon oft gehabt! wie viel steht auf der Karte, Stieglitz?«
»Viertehalb hundert Thaler, Durchlaucht,« sagte der Bankier. »Sie spielen gegen mich!«
»Desto besser, Du Spitzbube. Ich kann Dich auch einmal plündern. Paroli!«
» Gagné! verdammt.«
»Siehst Du, mein Sohn! Aber was machst Du da?«
»Ich ziehe es für Sie ein, Durchlaucht!«
»Nichts da – ich kenne Deine Rechnungen! – Weißt Du was, ich bin der kleinen Ida vom Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater ein Cadeau schuldig. Wir wollen ihr morgen dafür eine Spitzenmantille bei Gerson kaufen!«
»Für siebenhundert Thaler?«
» Qu'importe! für was ist das Geld da? Sei nicht so langweilig! Was bieten Sie uns heute zum Dessert, schöne Andalusierin? Ein neues lebendiges Beefsteak à la tartare, oder den Hadschis des Doktor Lazare? Zum Teufel, es ist wahrhaftig kein Leben mehr in Ihrem Kreise, seit er fort ist; ich werde ihm nachreisen müssen nach Paris! Wir haben uns diesen Winter so vortrefflich amüsiert an den Dienstag Abenden bei Ihnen, Sennora!«
»Sie sollen haben beides heute, Durchlaucht!«
»Ah, dann bleibe ich! Was macht Ihr › for ewer‹, Herr von Röbel?«
»Ich lasse ihn trainieren für das Breslauer Rennen,« sagte der Offizier, der mit wechselndem Glück spielte.
»Das ist schön; ich habe für das Handicap meinen › King Charles‹ genannt. Ist das Ihr Bruder dort, der mit unserer kleinen Musikantin minaudiert?«
»Ja, Durchlaucht. Ich war seinetwegen vorhin bei meiner Tante in Charlottenburg, er reist morgen nach Paris und nach der Schweiz, und ich brachte ihn mit, um ihm noch einen lustigen Abend zu machen. Sehen Sie, unsere Wirtin bemächtigt sich eben seiner.«
» Goddam! Sie versteht es; es ist gut, daß er morgen reist. Sehen Sie, was Master Lewis bereits für eifersüchtige Blicke schießt! Er glaubt sie noch im Hotel Impérial allein zu haben. Wissen Sie zufällig, wer der Bourgeois da ist?« Er deutete auf einen der Spieler.
»Ein Rentier aus Berlin. Er hat vier Häuser!«
» Putajo! wenn er's so fort treibt, wird er bald keine Schlafstelle mehr haben. Während Sie fort waren, hat er an den Schurken mit der Glatze dort ein Haus vor dem Potsdamer Thor für achtundzwanzigtausend Thaler verkauft; ich sah an seiner Miene, daß der Halunke mindestens zehn Profit gemacht hat!«
Neben der Dame, die im offnen Nebenzimmer am Klavier saß, der Gesellschaft beharrlich den Rücken zuwendend, hatte Otto von Röbel Platz genommen.
Nur mit Widerstreben war er dem Bruder hierher gefolgt, da dieser erklärte, sein Wort für die Rückkehr verpfändet zu haben, und da zufällig einer der jungen Offiziere, der sich in der Oper verspätet hatte, mit seinem Cabriolet an ihnen vorüber gefahren und von dem Leutnant von Röbel erkannt worden war.
Die Gesellschaft behagte ihm schon bei seinem Eintritt sehr wenig; seine unverdorbene, frische und gesunde Natur empörte sich gegen diese Raffinerie des Vergnügens, hinter dem er instinktmäßig das Laster ahnte, und er wäre sofort umgekehrt und lieber den Weg nach Berlin zu Fuß gegangen, wenn er nicht gewünscht hätte, seinen Bruder, der ihm in der That unter dem Drängen, daß seine Ehre auf dem Spiel stehe, einen Teil seines Reisegeldes abgeborgt hatte, mit sich zu nehmen und eine ernste Mahnung an ihn zu richten.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, hatte das fertige, gefühlvolle Spiel der Dame am Klavier seine Aufmerksamkeit erregt, und er hatte sich zu dieser zurückgezogen.
Otto von Röbel hatte sich anfangs ziemlich gedankenlos neben die Klavierspielerin gesetzt, um eine Unterhaltung zu finden, die ihn vor dem Treiben der Gesellschaft schützte. Aber sein Interesse wurde schon beim ersten Anblick, bei dem ersten Wort, das er mit dem Mädchen wechselte, gefesselt.
Die Dame war eine zarte Gestalt, klein und zierlich gebaut; sie konnte höchstens zwei- bis dreiundzwanzig Jahre zählen, aber ihr sanftes, liebliches und bleiches Gesicht trug bereits den Ausdruck tiefen Kummers, und ihr ganzes Wesen hatte etwas Gedrücktes, Zagendes an sich. Sie hob nur selten den Blick empor, und dann lag in dem braunen Auge eine unverkennbare Angst und Scheu. Wenn es auf eine fremde Gestalt fiel, wenn eine fremde Stimme sie anredete, zuckte sie sichtlich zusammen. Ihre Kleidung war sehr einfach, ein schlichtes schwarzes geschlossenes Seidenkleid. Ihr reiches dunkles Haar war in einen zierlichen Knoten geschlungen und durch eine dunkle Schildpattnadel mit der leichten schwarzen Spitzen-Frisur zusammengehalten. Ein kleines Medaillon hing an einem einfachen schwarzen Sammetband um den weißen Hals und bildete ihren einzigen Schmuck.
Sie spielte die Ouverture zum Oberon, als Otto von Röbel sich hinter sie setzte und seine Hand unbefangen auf die Lehne ihres Stuhles legte, während er mit der andern rasch das Blatt umschlug, das soeben zu Ende war.
»Erlauben Sie, Fräulein, daß ich diesen kleinen Dienst verrichte.«
Sie senkte dankend das Haupt, indem sie fortfuhr zu spielen. Aber er bemerkte, wie ihre zarten schlanken Finger auf den Tasten zitterten.
»Ist es Ihnen störend, mein Fräulein,« fuhr er französisch fort in der Meinung, sie habe seine deutsche Anrede nicht verstanden, »daß ich mich hierher gesetzt, so befehlen Sie, und ich ziehe mich sogleich zurück.«
Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie leise: »O, mein Herr, ich bitte, ich habe kein Recht, Ihnen hier eine Vorschrift zu machen. Ich bin dazu da, die Herrschaften durch mein Spiel zu unterhalten, und Sie stören mich durchaus nicht!«
»Ich kann leider nicht für die anderen Herren sprechen,« entgegnete der junge Mann, »aber mir haben Sie einen großen Genuß bereitet durch Ihr Spiel. Ich bin fremd und unbekannt in diesem Hause, und dieser Genuß allein kann mich für das Verweilen hier entschädigen.«
Zum erstenmal hob sie die Augen von den Tasten auf und richtete einen kurzen Blick auf ihn. Eine leise Röte färbte ihre Wangen.
»Es ist wahr,« sagte sie, »es ist das erste Mal, daß ich Ihre Stimme gehört habe.«
»Dann müssen Sie ein vortreffliches Gehör besitzen, oder sich sehr wenig um die Gesellschaft kümmern, wenn Sie nur vermittelst Ihres Ohrs die Gäste unterscheiden.«
Wiederum errötete sie. »Meine Stellung ist sehr bescheiden,« erwiderte sie, »ich erscheine auf den Befehl der gnädigen Frau hier, um mit meinen geringen musikalischen Fertigkeiten ihre Gäste während der Zwischenzeit besserer Vergnügungen zu unterhalten. Gewiß, ich bliebe sehr gern davon zurück.«
»Nicht Ihre Stellung ist bescheiden,« sagte er ernst, »sondern Sie selbst sind es. Sie spielen mit Empfindung und großer Fertigkeit. Wo erhielten Sie Ihren Unterricht?«
Sie zögerte zu antworten, dann flüsterte sie: »In der Schweiz!«
»So sind Sie eine Schweizerin?«
Sie nickte.
»Aus welchem Kanton?«
»Wiederum zögerte sie. Endlich sagte sie: »Aus Neufchâtel, mein Herr.«
»Aus Neufchâtel? dann sind wir ja Landsleute, denn Neufchâtel gehört zu Preußen, wenn auch die Revolutionäre es uns einstweilen vorenthalten!«
Ein lebendigerer Ausdruck flog über ihre Züge. »Ja, mein Herr, ich weiß es; mein Vater war ein treuer und eifriger Royalist!«
»Ihr Herr Vater lebt noch?«
»Aber Ihre Mutter?«
»Ach – meine Mutter! meine arme Mutter!«
Der Ausdruck, mit dem sie die Worte sprach, war so schmerzlich und sehnsüchtig, daß er ihn in der tiefsten Seele rührte.
»Wenn Sie mir Grüße an sie mitgeben wollen, so werde ich diese mit Vergnügen bestellen. Ich werde diesen Sommer in Neufchâtel zubringen!«
»In Neufchâtel? o mein Gott!«
»Sind Sie denn so lange nicht dortgewesen?«
»Ich werde es nie wiedersehen!«
Der junge Mann hatte oft von dem Heimweh der Schweizer nach ihrer Heimat gehört und rechnete dieser die Deutung der Worte zu. »Warum kehren Sie nicht einmal dahin zurück, wenigstens zum Besuch, Fräulein?«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Ich bin nicht in der Lage dazu, mein Herr; eine so große Reise kostet viel Geld, und ich bin ohnedies gebunden.«
»Verzeihen Sie meine Neugier, aber es ist aufrichtige Teilnahme. Doch ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen, Fräulein!«
»Elise!«
»Und darf ich Sie fragen, welche Stellung Sie in diesem Hause einnehmen? ich kann mir so vieles nicht zusammenreimen.«
»Ich bin die Bonne des jungen Sohnes der gnädigen Frau!«
»Nehmen Sie meine Offenheit nicht übel, Fräulein, ich kenne Sie erst seit einer Stunde, aber ich fühle ein aufrichtiges Interesse für Sie –«
Sie richtete ihr trauriges, demütiges Auge auf ihn. »O, mein Herr,« sagte sie leise, »Sie wissen nicht, wie wohl es Unglücklichen thut, die Teilnahme guter Menschen zu sehen!«
Sie beugte ihr Gesicht noch tiefer auf die Tasten; er sah, wie zwei große Thränen auf ihre Hand niederfielen, die wie bewußtlos und dennoch in rührenden klagenden Accorden über das Klavier irrte.
»Ich bin sehr unglücklich, mein Herr,« sagte sie endlich leise, »und dennoch wäre ich undankbar, wenn ich die Sennora verlassen wollte, auch wenn ich es könnte. Aber ich besitze nicht einmal die Mittel dazu und hänge ganz von ihrer Güte ab. Als sie mich vor zwei Jahren zu sich nahm und mich aus einer drückenden Lage befreite, dankte ich Gott für das Unterkommen. Ich war zwei Jahre mit ihr auf Reisen, und das war wenigstens besser, als dieser unselige Aufenthalt hier. O, was müssen Sie und alle Besseren von mir denken!«
Er wollte ihr antworten, als die Hausfrau hinzutrat.
»Aber Sie trinken nicht, Monsieur de Reubel, und Sie spielen nix, was doch seind ein so schöne Vergnügen für junge Kavalier. Sie scheinen zu lieben sehr die Musik, aber Mademoiselle Elise haben ihre slimme Humor. Allons, meine Liebe, spielen Sie etwas Lustik, eine Galopp oder den Madrilena, so!«
Sie hob sich kokett auf die Fußspitzen und schnippte mit den Fingern, als hätte sie Kastagnetten zur Hand.
»Warum entsiehen Sie sich kanz die Gesellschaft? Ein junger Kavalier muß versuchen sein Glück, wie Monsieur vôtre frère!«
Der junge Edelmann war sogleich aufgestanden. »Sie haben recht, gnädige Frau,« sagte er kalt. »Ich habe der Gesellschaft meinen Tribut zu entrichten. Erlauben Sie mir, Madame, Sie zu Ihrem Platz zu führen.« Er reichte ihr den Arm.
»Sie sein sehr galant; ich konnten nicht begreifen, wie Sie aben konnten Vergnügen an die kleine Mamsell, die nicht aben ganz ihre richtige Verstand. Ich abe sie genommen vor zwei Jahr aus die Krankenanstalt, weil ich brauchte eine Person für meinen Knaben.«
»Aus einer Krankenanstalt?«
»Ja, sie ist gewesen konfus, was man sagt verrückt in ihre Kopf, aber ganz still mehre Jahr, ehe sie erhalten wieder ihre Verstand, wie andre Leut. Sie seind aber geblieben so still und so melankolisch, daß sie seind zu nichts zu gebrauchen, als zu spielen das Klavier oder mit die kleine Carlos.«
»Und wodurch ist das arme Kind in diesen Zustand gekommen?«
»Vielleicht eine unglückliche Lieb'! Die Messieurs seind alle so flatterhaft! Man hat sie gefunden vor sechs oder sieben Jahr in ein Wasser in Berlin, und tot, und als sie gekommen wieder zu leben, ist sie gewesen ohne Verstand und hat niemand können erfahren, wer sie ist. Sie spreken nie darüber ein Wort, wie sie gekommen ins Wasser.«
Der Zug, daß sie sich nicht gescheut, die Unglückliche, trotz des früheren Krankheitszustandes zu sich zu nehmen, versöhnte den jungen Mann fast mit der leichtfertigen Frau.
Sein Bruder empfing ihn mit lustigem Gelächter am Spieltisch. »Auf Ehre, Sennora, Sie sind mehr als eine Zauberin, wenn Sie diesen predigenden Asketen bewegen können, eine Karte anzurühren, die ihm sonst eine Greuel ist!«
»Du siehst,« sagte der jüngere Röbel mit Bezug, »daß ich gern bereit bin, mich nach Dir zu richten; ich hoffe, daß Du dann das Gleiche mir gegenüber thun wirst!«
Der Offizier lachte. »Oho, keine Moralpredigt! das Vergnügen beginnt jetzt erst, und wenn Du erst davon geschmeckt, wird Dir die Zeit viel zu rasch verstreichen!«
»Du könntest Dich irren!« Der junge Mann hatte einen Fünfundzwanzig-Thalerschein aus seinem Portefeuille genommen, und warf ihn achtlos auf eine Karte, als wolle er damit seine Anwesenheit in dieser Gesellschaft bezahlen.
Der Herr mit der Habichtsnase hatte jetzt die Bank und bereits einen ziemlich großen Haufen von Gold und Kassenanweisungen vor sich.
»Wahrhaftig – Du hast auch hier Dein teufelmäßiges Glück!«
Die abgezogene Karte zeigte, daß der junge Mann gewonnen; ohne darauf zu achten, ließ er den Gewinn stehen.
Viermal schlug die Karte zu seinen Gunsten.
»Ich sagte es im voraus,« lärmte der Offizier. »Ich spiele mit Dir, Otto, wir wollen die Bank sprengen!«
»Dann wirst Du es allein thun müssen; ich war der Partner von Madame!«
Er zog die vierhundert Thaler ein und überreichte die Hälfte der Summe der Dame des Hauses, die ohne Gêne mit einem verführerisch dankbaren Blick die Kassenscheine nahm. Dann setzte er nochmals denselben Fünfundzwanzig-Thalerschein auf die Karte.
Die Karte verlor, sein Zweck war erreicht, und er trat mit einer leichten Verbeugung zurück.
»Du wirst doch nicht aufhören, wo Du so prächtige Chancen hast?«
»Ich habe meine Pflicht erfüllt!« Er entfernte sich.
»Madame, haben Sie keine Abwechselung für uns?« sagte der Herr, der mit Durchlaucht angeredet worden. »Die Sache beginnt in der That langweilig zu werden.«
Der Mann mit dem dichten schwarzen Haar warf einen höhnischen Blick auf den Aristokraten und die Offiziere. »Die Herren von der Haute-volée scheinen heute alle Courage uns Bürgerlichen überlassen zu haben und ihren Gewinn gern in Sicherheit zu bringen. Wohlan denn, wir wollen ihnen zeigen, daß sich die Berliner nicht lumpen lassen. Va banque, Herr Kommerzienrat!«
Das Gespräch stockte sofort und alle Aufmerksamkeit wandte sich der Stelle zu, wo die für jeden Spieler so inhaltschwere Herausforderung gefallen war. Selbst Otto von Röbel, der sich abseits damit beschäftigt hatte, die Kassenscheine seines Gewinnes in ein Briefcouvert zu stecken, das er aus seinem Portefeuille nahm, und einige Worte auf das Couvert zu schreiben, trat nochmals näher.
»Wie viel steht in der Bank, Kommerzienrätchen?« fragte der Spieler.
Der Bankier zählte das Geld. »Es sind dreitausend und vierzig Thaler. Überlegen Sie sich nochmals die Sache, Herr Polentz!«
»Was ist da zu überlegen? die Herren vom Adel haben keine Courage dazu, und drum will ich ihnen einmal einen Kapitalschuß zum Besten geben! Ha ha, es ist nicht der erste!« Sein Auge streifte höhnisch nach den beiden Brüdern. »Ich bin gerade heute in der Laune für Universalmittel! Warum zögern Sie noch? Coeurbube – immer ins Herz, immer ins Herz!«
»Ich erlaube mir nur, Sie zu erinnern, Herr Polentz,« sagte der Bankhalter, »daß es in solchem Fall Sitte ist, daß auch der Herausforderer vorher die Bank sicher stellt.«
»Zum Teufel! bin ich Ihnen nicht sicher genug? Sie haben mich bereits heute ausgebeutelt, aber Herr Meier hier wird gut sagen. Auf mein Kapital,« sagte er halblaut, sich zu dem dicken Bankier hinüber neigend.
Dieser wandte sich zu ihm. »Sehr gern, Herr Polentz,« antwortete er leise, »aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihr Guthaben im ganzen nur noch vier tausend fünfhundert Thaler beträgt!«
»Was thut das,« sagte der andere laut und brutal, »das Geld ist mein, und ich kann damit machen, was ich will. Schicken Sie mir morgen die Abrechnung und den Rest.«
»Wenn die Herren fertig sind,« meinte der Kommerzienrat, »so bitte ich um Erklärung!«
»Ich bin gut für Herrn Polentz auf drei tausend Thaler,« sagte der Bankier. »Sie können das Geld morgen an meiner Kasse in Empfang nehmen, wenn er verliert, nur bitte ich zuvor um seine Anweisung – der Ordnung halber!«
Der Spieler kritzelte mit Bleistift einige Worte auf ein Papier und warf es auf den Tisch. »Da haben Sie, und nun zum Teufel vorwärts.«
Trotz der Widrigkeit des Gebahrens hatte die Scene doch etwas, was das Interesse auch der Unbeteiligten fesseln mußte. In dem erregten Gesicht des verwegenen Spielers spiegelte sich das Schreckliche seiner Leidenschaft, seine stechenden Augen hafteten auf den Fingern des Bankhalters, der mit ähnlichem Interesse, aber mit Bewahrung der äußern Ruhe, ein neues Spiel Karten mischte; seine Hände lagen krampfhaft geballt vor ihm auf der Karte, die er gewählt, große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn.
Man sah, daß nicht bloß die Sache selbst ihn erregte, sondern daß in dem Ausgang noch ein mächtigeres Interesse auf dem Spiel stand.
Auf den jungen Röbel hatte der zwei- oder dreimal genannte Name des Spielers einen besonderen Eindruck gemacht. Seine Stirn hatte sich gerötet, sein sonst so ruhiges Auge funkelte, während es auf dem bisher nicht beachteten Manne haftete. Er hatte den Arm seines Bruders gefaßt und zog ihn zu sich.
»Wer ist dieser Mann, Fritz?«
Der Offizier riß sich los. »Nachher, laß mich! jetzt habe ich keine Zeit – siehst Du nicht, daß die Taille begonnen hat?«
In der That hatte der Kommerzienrat angefangen, abzuziehen – alle harrten mit atemloser Spannung.
Die Karte ließ lange auf sich warten, erst im letzten Drittel des Spiels fiel sie.
» Perdu!«
Eine gemeine Verwünschung entfuhr dem Munde des Verlierenden, dann riß er die Karte, die er in der Hand hielt, mit den Zähnen in Stücke und sah sich mit wildem drohendem Blick um. Sein Gesicht war förmlich gelb vor der inneren gallsüchtigen Erregung, sein Auge funkelte händelsüchtig, offenbar nach einem Gegenstand suchend, an dem er seinen Groll auslassen könnte.
»Zum Teufel! warum starren Sie mich so an? was ist's weiter? es ist hier schon mehr flöten gegangen, als das! Es geht niemand etwas an – es ist mein Geld!«
Die meisten wandten sich ab und beschäftigten sich mit irgend einer gleichgültigen Unterhaltung.
Otto von Röbel hatte den Bruder beiseite gezogen. »Willst Du mir jetzt die Frage beantworten, wer jener Mann ist?«
»Je nun, Du hast es ja gehört, er heißt Polentz, ein reicher Geschäftsmann aus Berlin, wenn er nicht bereits ruiniert ist.«
Die Antwort kam nicht ohne Verlegenheit heraus, der Offizier suchte sich von der haltenden Hand seines Bruders loszumachen.
Dieser hielt ihn fest. »Du weißt, Fritz, jener Name ist uns nicht unbekannt …«
»Nun ja – meinetwegen! der Mann hat das Frauenzimmer geheiratet, die Geliebte Ferdinands, Du hast ja von der Geschichte gehört, obschon Du damals noch ein Knabe warst.«
»Die Amalie?«
»Ich glaube, so hieß sie, was geht es uns an!«
»Das ist es nicht, was ich wissen will; jener Name – Du weißt, daß man uns gesagt, der Mörder unseres Bruders trage ihn! Ist der Mensch dort …?«
»Er soll sich dessen gerühmt haben, ich glaube es aber nicht, ich kenne den Menschen nicht weiter!«
»Wie, Fritz, und mit einem solchen Schurken, mit dem Mörder Deines Bruders stehst Du an demselben Spieltisch?«
»Du bist nicht gescheit, Otto, es war ein Kampf wie jeder andere; der König hat allgemeine Amnestie bewilligt …«
Der junge Mann sah ihm mit einem festen, ernsten Blick ins Auge. »Das kann der König,« sagte er, »die Erinnerung ist unser Recht! Was mich anbetrifft, so bleibe ich keinen Augenblick länger in dieser Gesellschaft! Gehst Du mit – ja oder nein?«
»Zum Teufel denn, nein! wenn Du nicht warten willst. Ich leide keine Bevormundung!«
Der jüngere Bruder wandte sich um, er sah den Mann mit dem schwarzen Haarwust, den unglücklichen Spieler, vor sich stehen, in den kleinen halb geschlossenen Augen funkelte trunkene Tücke und die Lust, den Grimm über den Verlust durch einen Streit auszulassen.
»Sprechen Sie von mir, junger Herr?«
»Ja! und ich nannte den, der sich rühmt, meinen Bruder erschossen zu haben, einen meuchlerischen Schurken!«
Die gewöhnlich so ruhigen, freundlichen blauen Augen des jungen Mannes hatten plötzlich einen so drohenden finstern Ausdruck, daß der andere unwillkürlich zurückwich.
Im nächsten Augenblick holte er mit geballter Faust zu einem Schlage aus: »Dann nimm dies, verdammter Aristokrat!«
Aber ehe der Schlag fiel, faßte ihn eine kräftige Hand am Kragen und riß ihn zurück. »Wenn Sie sich nicht sofort ruhig verhalten, Herr Polentz,« sagte die blasierte Stimme des vornehmen Herrn mit der Brillantnadel, dem der jüngere Röbel eine solche Muskelkraft, wie er bewies, gar nicht zugetraut hätte, »so werden Sie einfach hinaus geworfen. Nur unter dieser Bedingung sind Sie hier geduldet! Specht, passen Sie auf ihn auf! – Eh bien! da bringt unsere hübsche Wirtin endlich die Hadschis!«
Die Dame vom Hause trat eben wieder ein, mehrere lange türkische Nargilehrohre in der Hand. Eine alte Frau mit braunem Gesicht, die schon vorhin die Bedienung in dem Salon verrichtet, folgte mit einer großen, mit allerlei maurischen Arabesken in Farben und Gold verzierten Glasflasche von Kugelform, zu drei Viertel mit Rosenwasser gefüllt. Auf dem Hals der kugelförmigen Karaffe befand sich ein silberner Aufsatz mit vier bis fünf Mundstücken, während die mittlere Schale mit einem hellen, gelben Tabak gefüllt war, auf dem eine glühende Kohle lag.
Ein eigentümlicher, betäubender Duft ging von dem Tabak aus.
Hinter der alten Frau kamen zwei junge Frauenzimmer, bäurisch gekleidet, wie ländliche Dienstmädchen. Sie waren überaus kräftige, runde Gestalten mit jenem festen Fleisch, wie man es nur in dieser Klasse sieht. Sie konnten höchsten zwanzig Jahre alt sein, die eine hatte ein frisches, aber ziemlich einfältiges Gesicht, das allein den Ausdruck der Neugier zeigte; die andere sah ängstlich um sich her und hielt die Hände fest gefaltet. Sie blieben beide befangen an der Thür stehen.
Die alte Dienerin trug die Karaffe mit dem Tabak in den zweiten Salon, setzte ihn mitten auf den Teppich und befestigte die Enden der schlangenartigen Rohre, deren Bernsteinspitzen sie nach verschiedenen Seiten warf, in die Mundstücke des silbernen Aufsatzes.
» Voilà die sieben Himmel Mahomeds,« sagte in die Hände klatschend die Durchlaucht. »Herr von Röbel, ich rate Ihnen, schlagen Sie sich bei der dreifachen Spaltung dieser höchst ehrenwerten Gesellschaft zu uns, die Genüsse des Hadschis gehen über alle Genüsse des Spiels und sonstiger Erregung. Sie wollen nicht? – auch gut, die Jugend hat keinen Sinn für das wahre Raffinement!«
Er warf sich auf eines der Kissen um das Nargileh und ergriff ein Rohr, der Vorhang, der den zweiten Salon von dem der Spieler schied, schloß sich.
Otto von Röbel hatte auf die Einladung nicht geantwortet, er war noch einmal in das Nebenzimmer zu dem Klavier getreten, vor dem die junge Neufchâtellerin noch immer saß!
Ehe er noch ein Wort sprechen konnte, legte sie ihre kalte Hand auf die seine. »Oh, mein Herr,« flüsterte sie, »Sie wissen nicht, was ich in dieser Minute um Sie gelitten. Hören Sie meine Warnung, von jenem abscheulichen Opium nicht zu genießen, das ein teuflischer Mensch hier eingeführt, um sich an dem furchtbaren Rausch seiner Opfer zu amüsieren!«
»Sein Name?«
»Doktor Lazare!«
»Ich dachte es mir; seien Sie ohne Sorge, Fräulein, in fünf Minuten habe ich dies Haus hinter mir, und bedauere nur eins: ein Wesen wie Sie in dieser Höhle der Schande zurücklassen zu müssen.«
Sie beugte das Haupt und schluchzte.
»Hoffen Sie, und haben Sie Mut! Nehmen Sie dies, es kommt von einem aufrichtigen Freunde, der es gut mit Ihnen meint« – er drückte ihr das Couvert in die Hand, das den bedeutenden Rest des Spielgewinnes barg, und auf das er die Worte geschrieben: ›Zur Flucht nach Neufchâtel!‹ – »und sagen Sie mir, welcher Weg von hier am nächsten nach Spandau führt?«
»Gleich links vom Hofthor, Sie können nicht fehlen! Aber …«
Die scharfe Stimme der Dame vom Hause unterbrach sie. »Mademoiselle Elise gehen Sie slafen, man bedarf Ihrer nicht weiter. Nun, Monsieur, unsere Freunde lieben die versiedenen Amüsements, welcher von der Gesellschaft Sie werden sließen sich an?«
»Ich bitte um die Erlaubnis, gnädige Frau, mich Ihnen zu empfehlen. Ich muß mich entfernen!«
»Wie, ein so aimabler Kavalier, und Sie wollen gehen mitten in die Nacht? Aber mein Herr, das seind unmöglik!«
Er wies mit einer kalten, verächtlichen Gebärde die Hand zurück, die ihn vertraulich festhalten wollte. »Adieu, Madame, ich habe hier nichts mehr zu thun!«
Er folgte dem jungen Mädchen. Draußen im Vorzimmer wartete sie auf ihn und reichte ihm die Hand. »Gott segne Sie, Herr, auf allen Ihren Wegen, der Dank und das Gebet eines armen Mädchens möge Ihnen Glück bringen!«
Zwei Minuten darauf hatte er das Haus verlassen und schritt rasch in die Nacht hinein!
Die alte zigeunerartige Dienerin der Sennora stieß die beiden Landmädchen vor sich her in das jetzt frei gewordene Musikzimmer. Fünf bis sechs Mitglieder der Gesellschaft, darunter der dicke Bankier mit dem Orden und das Faktotum der Durchlaucht, hatten sich hierher begeben; ein großer Tisch stand in der Mitte, die Beleuchtung war durch mehrere Armleuchter vermehrt.
»Da sind sie! nun seid nicht albern, ihr Närrinnen, und macht keine Flausen!«
Der Bankier hatte das Glas im Auge. »Ah, eine neue – famoser Körper, das Fleisch ist so fest wie Stein!« Er hatte die Dirne mit dem einfältigen Gesicht in den Arm gekniffen; sie lachte ihn dumm an.
»Wo sind die Instrumente, Manuela?«
Die alte Hexe kam mit einem kleinen länglich geformten Mahagonikästchen, das sie aus einem Schrank geholt, und empfing einen Friedrichsdor.
»Nun vorwärts, Kinder! es ist schon spät!«
Das Mädchen, das beim Eintritt so angstvoll ausgesehen, fiel plötzlich auf die Kniee und hob die gefalteten Hände empor.
»Erbarmen, meine gnädigen Herren! haben Sie Mitleid mit mir, ich halt's nicht aus; ich werde sterben wie die Marie, die im Krankenhause liegt!«
»Unsinn, Kind! was fällt Dir ein! Schließen Sie die Thür, Manuela, und helfen Sie den lieben Herzchen!«
Die Thür wurde geschlossen, obschon es unnötig war, denn die Spieler, die aufs neue begonnen, achteten nur auf die Karten!
Fünf Minuten darauf hörte man ein kicherndes, albernes Lachen und dann ein leises unterdrücktes Wimmern.
Seit neun Uhr war der Kommissionsrat, sonst ein arger Langschläfer, auf den Beinen, und spazierte in der Umgebung des Schlosses umher, als erwarte er irgend ein Ereignis. Wiederholt nahm er, wo er sich unbeachtet sah, einen Brief aus der Tasche, den er vor einer Stunde bekommen, und durchlas ihn. »Um fünf Uhr – Gegenordre – die Bewachung aufgehoben,« murmelte er. »Die Sache ist also im Gang – es kann jeden Augenblick Nachricht kommen.«
Er war in der Nähe der Spree; ein Reiter erregte seine Aufmerksamkeit, der unbeweglich auf der Brücke hielt, die hier über den Fluß zu nach dem andern Ufer und dem Wege zur Jungfernheide führt.
Der Reiter war ein großer, stattlicher Mann, in einen Paletot gehüllt, mit dunkler Militärmütze; er schien seine Aufmerksamkeit nach zwei Richtungen zu teilen, bald sah er, wie mit sehnsüchtiger Erwartung, den Weg entlang, der zum Schlosse führte, bald blickte er besorgt nach dem entfernten Walde.
Der Kommissionsrat war bis in seine Nähe geschlendert; als mache er eine Morgenpromenade. »Ah, guten Morgen, Herr Oberst! Den Teufel, schon so früh im Dienst? – Sie sollten bei mir eintreten und ein Glas alten Madeira trinken, etwas Vortreffliches, in Wahrheit dreimal die Linie passiert. Sie sehen etwas blaß und angegriffen aus, Freundchen!«
In der That, der starke, stattliche Mann, auf dessen männlichem Gesicht sonst die Farbe der Kraft und Gesundheit glühte, war auffallend bleich, das Auge unruhig. Ein Zug von Ungeduld flog über sein Gesicht, als er sich gestört und angeredet sah. »Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte er kurz, »ich befinde mich ganz wohl und kann von Ihrer Einladung keinen Gebrauch machen. Doch wie spät ist es?«
Der Rat zog behaglich seine schwere goldene Uhr aus der Tasche und hielt sie dem Fragenden hin. »Netto fünfzehn Minuten über zehn; sie geht vortrefflich, ich habe sie gestern noch mit der Akademie verglichen. Aber warten Sie auf jemand? ich kann Ihnen vielleicht dienen?«
»Ich befinde mich im Dienst,« entgegnete rauh und ungeduldig der andere und wandte ihm mit dem Pferde den Rücken. »Guter Gott, schon ein Viertel über zehn und noch immer nichts,« murmelte er, während seine Blicke den Weg nach dem Schloß durchforschten; dann wandte er sie nach der andern Richtung. Plötzlich fuhr er zusammen, hob die Hand vor die Augen und sprengte im nächsten Moment im wütenden Galopp, ohne sich um den Rat zu kümmern, über die Brücke und durch den tiefen Sand des Weges der Heide zu.
Der Zurückbleibende legte sein Lorgnon vor das Auge, auf der Straße aus dem Walde bewegte sich langsam ein dunkler Gegenstand, ein Wagen, er schlug die Richtung nach Charlottenburg ein.
Der Rat beobachtete eine Zeitlang die Annäherung des Wagens, dann ging er, die dicken Lippen zusammengepreßt und die Arme auf den Rücken gelegt, in tiefem Sinnen zurück.
Der Wagen kam langsam näher, der tiefe Sand erlaubte keine schnellere Bewegung.
Der Reiter, der früher an der Brücke geharrt, hatte ihn längst erreicht und war mit ihm umgekehrt. Er war vom Pferde gestiegen, führte es am Zügel und ging mit einem Herrn von mittlerer gedrungener Gestalt und etwas gerötetem Gesicht in eifrigem Gespräch hinter dem Wagen her. Sein Aussehen war noch ernster als vorhin.
Dem Kutscher auf dem Bock rannen fortwährend die Thränen über die Backen, so daß er kaum auf die Pferde achtete. Im Wagen auf dem Vordersitz saß ein Herr in Civil, das chirurgische Besteck neben ihm bezeichnete ihn als einen Arzt. Im Fond lehnte in einer Ecke ein unerkennbarer, regungsloser Gegenstand, ein Mantel war breit über ihn hergezogen; wenn ein Stoß des Wagens ihn verrückte, brachte der Gegenübersitzende die Falten des Mantels sorgfältig wieder in Ordnung.
Als sich der Zug der Brücke näherte, stieg der, welcher vorhin von dem Rat mit dem Titel »Oberst« angeredet worden war, wieder zu Pferde und sprengte voraus; der andere, mit dem er bis jetzt gesprochen, setzte sich in den Wagen neben den Doktor.
Die Fahrt ging mit der früheren Langsamkeit vorwärts, der Kutscher schlug diesseits der Brücke einen Seitenweg ein und bog in die Straße, wo sich das Polizeibureau und das Gericht befindet. Vor dem Hause hielt er still.
Auf den Stufen stand neben dem Reiter bereits die breite Gestalt des Polizeidirektors; auf dem sonst so gemütlichen offenen Gesicht lag jetzt der Ausdruck tiefen Schreckens. Ein Schutzmann wartete unten, ein großes weißes Laken in der Hand; einige Beamtengesichter lugten neugierig aus den Fenstern; die wenigen, um diese Zeit in der abgelegenen Straße Vorüberkommenden blieben stehen.
Der Schutzmann öffnete den Schlag, der eine Herr stieg aus und drückte dem Polizeidirektor die Hand, der andere half über den Gegenstand im Wagen das weiße Laken decken, dann hob man ihn aus dem Wagen und trug ihn die Stufen zum Hause hinauf; die Last schien schwer, ein Arm löste sich aus dem Laken und fiel herunter, die Finger waren voll Blut – – – – – –
Der Rat ging eine Viertelstunde später auf der Chaussee vor dem Königlichen Schlosse noch immer sehr gedankenvoll auf und nieder, an der Thür des Moskauschen Etablissements hielt ein Knabe das Pferd des Reiters von vorhin, der Reiter selbst war im Schloß.
Vom Spandauer Berg her kam ein zweiter Reiter, Toilette und Aussehen etwas derangiert, er schwankte wie ein Trunkener oder Kranker im Sattel, sein Gesicht hatte eine graue häßliche Farbe, die Augen waren hohl und eingesunken, wie nach einer schweren Krankheit oder Betäubung, das Haar klebte in feuchtem Schweiß an der Stirn.
Mit Gewalt setzte sich der Reiter im Sattel gerade und fest, als er den Rat sah und wollte rasch an diesem vorüber.
Aber dieser stand schon vor dem Pferd. »Ah, guten Morgen, Herr Leutnant, so früh schon auf einem Spazierritt? Wollen Sie nicht die gnädige Tante besuchen? Die kleine Zwistigkeit von gestern Abend wird sich ja leicht ausgleichen!«
»Ich habe keine Lust und keine Zeit! ich muß um 12 Uhr in der Kaserne sein. Also Adieu!«
Der Rat legte die Hand auf den Zügel. »Also direkt nach Berlin? Nun da können Sie ja gleich brühwarm die große Neuigkeit mitnehmen. Oder wissen Sie vielleicht schon?«
»Ich weiß nichts – was ist es?«
»O – Sie werden Aufsehen machen damit – auf mein Wort!«
»Zum Teufel, was ist denn geschehen? was giebt es denn?«
»Eine Kleinigkeit. Herr von Hinkeldey ist vor einer halben Stunde im Duell erschossen worden!«
Er gab den Zügel frei.