Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Macht der Ideen ist es, welche unsern gegenwärtigen schlechten Regierungen furchtbar wird, furchtbarer als Held Buonaparte und sein tapfrer Haufe. Und gegen diese tiefgedachten, durch Prüfung bewährten Ideen vermögen sie nichts. Den Institutionen der Zeit hat unsre Überzeugung das Todesurteil gesprochen, unsre Überzeugung zu ihnen zurückzubringen ist unmöglich. Vernichtet heute alle Pressen, verbrennt alle Druckschriften, fesselt alle Federn was gelesen worden ist, könnt ihr nicht aus den Köpfen schaffen. Das Mißverhältnis zwischen Ideen und Verfassungen ist da, gerade die Schritte, welche ihr euch erlaubt, um diejenigen zu verhindern, die seine Augenscheinlichkeit aufdecken, vermehrt es immer mehr. Mit jeder Verfolgung des einzelnen, mit jedem Zwang, den ihr dem Volke auflegt, nimmt es zu. Ihr bewaffnet das Volk, und ihr lehrt es dadurch die Waffen brauchen, die es bald gegen euch wenden wird. Ihr malt ihm die Schrecken des feindlichen Überfalls, und ihr erinnert es zugleich mit diesem Aufruf daran, daß ihr an diesem Kriege schuld seid, daß ihr an noch mehrern künftig schuld sein werdet und daß es also eure Institutionen zu Boden werfen muß, wenn es künftig des Friedens genießen will. Ihr preßt den, welcher zu laut schreit, und erinnert das Volk daran, sein Geschrei anzuhören. Ihr straft nach Willkür, um dem Volk anschaulich zu machen, daß es nicht nach Gesetzen, sondern nach Willkür regiert wird. Indem ihr den Geist des Volks in eure hinfälligen Gerüste einsperren wollt, erschüttert ihr selbst die letzten Stützen, welche sie noch halten.
Kurz, es ist unmöglich, den Abstand zwischen unsern Institutionen und unsern Bedürfnissen und Ideen dadurch aufzuheben, daß man sich anstrengt, die letzten gleichsam zurückzupressen. Jeder Versuch dazu vermehrt dies Mißverhältnis.
Das einzige Mittel, welches unsre Regierungen seit langer Zeit hätten anwenden sollen, ist, die Institutionen nach den Ideen zu verändern, oder mit einem Worte, dem Geiste der Zeit sich selbst anzupassen.
Daß dieses Mittel das einzige wahre sei, ist a priori von den Weisen aller Völker und aller Zeiten so oft erwiesen worden, daß ich billig alle Worte darüber ersparen kann, um so mehr, da auf schlechte Regierungen bloß durchs Gefühl gewirkt werden kann. Um aber a posteriori meinen Satz zu beweisen, brauche ich bloß darauf aufmerksam zu machen, daß jenes Mißverhältnis gerade in dem Grade mehr oder minder anzutreffen ist, je weniger oder je mehr sich eine Regierung dem Geiste der Zeit genähert hat. Man vergleiche die Stimmung der Bürger Dänemarks mit der der Bürger Schwabens. Man vergleiche die Volksstimmung in Gotha, Weimar, Oldenburg mit der Stimmung Bayerns oder der Pfalz. Man sehe, wie in Ländern, wo die Regierung mit dem Geist der Zeit ganz und gar im Widerspruch steht, weder die Waffen des Landesherrn noch selbst die Gewalt der Franken die Einwohner abhalten können, die Regierung abzuschaffen. Rom, Venedig, Sardinien – welche Lektion.
Aber die schlechten Regierungen, und leider gehört darunter erstlich unsre Reichssouveränschaft als Corpus und viele unserer einzelnen Souveräne, wollen diese Wahrheiten nicht hören, und leider würde es jetzt auch zu spät sein, sie zu befolgen. Es ist nicht die Schuld der Vernünftigen unter der deutschen Nation, wenn sie nicht früher beherzigt worden sind, man hat sie laut genug ausgerufen. Die deutschen Maratisten nähern sich jetzt ihrem 9. Thermidor. Wo man noch helfen wollte, da kann man nicht, weil der kleine Souverän gegen das Ungeheuer der deutschen Reichsverfassung nicht angehen kann, und wo man könnte, da will man nicht. Die Reformation hat man nicht unternommen, die Revolution ist jetzt unvermeidlich, und so groß ihre Übel auch sein mögen, so wird man sie doch bald wünschen müssen, da man glücklicherweise nicht schlimmer dabei fahren kann als gegenwärtig.
Was hält sie noch zurück? Was ist noch die letzte morsche Stütze der Regierungen? – Die Furcht vor den Übeln einer gewaltsamen Änderung, die vis inertiae. Auch dieser Pfeiler ist bereits von Grund aus erschüttert.
Es muß jedem Denker von Tag zu Tage augenscheinlicher werden, daß die Stürme, welche, die Revolution in Frankreich so schrecklich machten, nicht eine Folge der Revolution selbst, sondern bloß von teils zufälligen, teils in Frankreichs besondern Lage gegründeten Umständen abhängig waren. Unmöglich kann der Übergang von unsern gegenwärtigen Institutionen zu passenderen in Deutschland so gewaltsam werden als in Frankreich,
Ich könnte außer diesen Gründen noch mehrere höchst wichtige aufführen, z. B. die Benutzung der in Frankreich gemachten Erfahrungen. Allein ich tue darauf Verzicht, weil ich leider mißtrauisch gegen die Menschheit in dieser Hinsicht geworden bin und weil jene drei Gründe stark genug sind, um aller minder bedeutenden entbehren zu können.
ad 1. Einen Hauptvorteil bei unsrer neuen Revolution gewährt es uns, daß schon die Reformation einen großen Teil von unsrer Arbeit längst vollendet hat. Die Hierarchie ist im protestantischen Teile Deutschlands zu Boden geworfen, und nur der weltliche Despotismus bleibt uns noch zu bekämpfen übrig. Der protestantische Klerus hat der Natur der Sache nach wenig bei unsrer Revolution zu verlieren. Lehrer des Volkes brauchen wir unter der neuen Regierungsform so gut als unter der alten. Unsre im letzten Jahrzehnt gebildeten Theologen (meist sogenannte Neologen und Aufklärer) werden sicher nicht nur keinen Widerstand leisten, sondern sogar die tätigsten Stützen der neuen, bessern Ordnung der Dinge sein, und sicherlich wird mancher dieser aufgeklärten Volksfreunde durch das Zutrauen des Volks für seine lobenswürdigen Bemühungen belohnt und zum Stellvertreter der Nation berufen werden. Die alten Bengelianer und Gözianer leben nicht ewig, und der Natur der Sache nach können sie uns nicht furchtbar werden. Sie essen ihr Fettes und trinken ihr Süßes in Ruhe und mögen in Friede zu ihren Vätern versammelt werden. Weit entfernt also, daß unsre protestantische Geistlichkeit eine Umänderung der Dinge zu fürchten Ursache haben sollte, so wird die politische Verbesserung auch ihrer individuellen Lage sehr vorteilhaft sein. Die einzigen unter der protestantischen Geistlichkeit, welchen dieser Zeitpunkt gefährlich sein möchte, sind die nichtswürdigen, ohnehin schon mit der Verachtung der ganzen Welt gebrandmarkten Heuchler, welche Wöllners Jesuitenkniffe zu Ämtern brachten und welche ihr ephemerisches Gewicht dem Meisterstück von Aberwitz zu danken haben, welches man königlich-preußisches Religionsedikt nennt. Diese wird auch niemand bedauern, und sobald ihrem Patron sein Recht widerfahren ist, so werden sie von selbst fallen.
Der katholische Klerus muß natürlicherweise seiner Natur nach mehrere Veränderungen erleiden. Allein auch hier hat uns der Geist der Zeit vorgearbeitet, und die in den letzten Jahren gebildete katholische Geistlichkeit möchte ebenfalls eine Veränderung ihrer und unsrer Lage eher wünschen als fürchten. Wir werden freilich unsre Stifter, unsre Klöster etc. nicht auf dem jetzigen Fuß bestehen lassen, aber wir werden die Individuen weder töten noch verringern, sondern ebenfalls die Alten zu Tode füttern und von den Jungen verlangen, daß sie Volkslehrer werden. Ob sie übrigens Lust haben, ihre Messe ferner zu lesen oder nicht, ob sie zur Bestätigung der Moral anführen, daß Propheten und Apostel sie auch schon vorgetragen hätten, oder nicht, das kann uns gleich gelten. Wir werden den ersten, der es wagt, gegen die neue Ordnung der Dinge sich zu verschwören, sich dem allgemeinen Willen der Majorität zu widersetzen und die Ruhe seiner Mitbürger zu stören, streng bestrafen, sei er Adeliger oder Unadeliger, Geistlicher oder Weltlicher, Protestant oder Katholik. Aber wir werden nie gegen Klassen von Bürgern, gegen Individuen wüten, wir werden uns keinen Stand dadurch zum Feinde machen, daß wir schuldige und unschuldige Bürger, die sich dem Gesetz unterwerfen, und Verschwörer nach einem Maßstab behandeln. – Die Folge davon wird sein, daß unsre neuen Grundsätze weniger Widerstand finden und unsre Übergänge also auch mit wenig gewaltsamen Krämpfen verknüpft sein werden, denn alles Übel der Revolutionen rührt nicht aus den Grundsätzen, sondern aus dem Widerstände gegen die Grundsätze her.
Eine zweite Klasse, welche, der fränkischen Nation unendlich viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt hat, ist der Adel. Dieser, als Adel, als einen privilegierten, durch Geburt zu Erzbistümern und Bistümern, zu den ansehnlichsten und einträglichsten Staatsämtern berufenen Stand können wir freilich nicht bestehen lassen. Die Privilegien des Adels müssen wir natürlich mit der Wurzel ausrotten. Aber die Adeligen als Privatpersonen, als reiche Gutsbesitzer, mögen in des Himmels Namen unangetastet bleiben. Laßt ihnen sogar, wenn jene wollen, das Recht, ein wildes Tier im Wappen zu führen und ein »von« für ihren Namen zu setzen. Nur ihre Privilegien müssen sie fahrenlassen, die auf den Staat wichtigen Einfluß haben. Daß diese Menschen gutwillig und ohne heftigen Widerstand ihren glänzenden Familienvorrechten entsagen möchten, das kann freilich niemand sich von allen einbilden. Aber das Gesetz, das strenge Gesetz mag die Widerspenstigen beugen, und zwar ohne Schonung beugen. Nur verfolge man die Individuen nicht, man vernichte die Privilegien, aber nicht die bisher Privilegierten. Auch hier hat Deutschland einen mächtigen Vorteil vor Frankreich. Frankreich hatte einen Hof, der Adel einen Mittelpunkt, bei uns ist alles geteilt, und im Norden Deutschlands sind viele Adelige ohnedem schon nichts mehr als reiche Gutsbesitzer. Ferner haben wir viele aufgeklärte Edelleute, die klug genug sein werden, sich die nötigen Aufopferungen nicht abdringen zu lassen, sondern sie freiwillig zu bringen. Wie manchen aufgeklärten Schriftsteller zählt Deutschland unter seinem Adel? Wie mancher Mann, dem Geburt ungerechte Vorteile gab, erkannte längst unsre neuen Grundsätze, verbreitete sie selbst und wird sich mit Recht darauf berufen können, daß Verdienste ihn seines Postens würdig machen. Solche Männer müssen belohnt werden, dadurch, daß ihnen die Bürger ihr Zutrauen ferner erhalten, und ihr Beispiel wird mächtig auf jedes Glied ihres Standes wirken, das berechnen wird, daß durch Nachgiebigkeit allein der deutsche Adel noch etwas retten kann.
Ich muß noch auf einen Hauptgrund aufmerksam machen, welcher jedem Freunde der Menschheit die tröstende Hoffnung gewährt, daß die deutsche Revolution in größter Ordnung und so wenig gewaltsam vor sich gehen werde, als es immer bei einem solchen Übergang verlangt werden kann.
Bei den vielen Nachteilen, welche die Zerstückelung Deutschlands in so viele kleine Staaten nach sich zog, hat doch selbst diese Zerstückelung, wie jedes Übel in der Welt, auch wieder einige gute Wirkungen zuwege gebracht. Frankreich hat nur einen Mittelpunkt, die ungeheure Stadt Paris. Wer sich als Gelehrter, als Künstler einigen Namen erworben hatte, blieb nicht in der Provinz, sondern zog sich nach der Hauptstadt, um dort sein Licht leuchten zu lassen. In Paris sammelten sich die gelehrten Korporationen, welche eine literarische Aristokratie ausübten, von der man in Deutschland nie ein Beispiel hatte. Die Journalisten in Paris sprechen selbst jetzt noch über Regierungs-, über gelehrte und über Kunstgegenstände entscheidend ab. Ihre Aussprüche bestimmen oder leiten doch die öffentliche Meinung, und wie man in Paris immer einseitig zu urteilen pflegt, so ist auch die öffentliche Meinung in Frankreich nie reif und ändert sich zugleich mit den Perücken der Damen nach dem Muster von Paris. Daher sind ohnerachtet der unbeschreiblich leichten Fassungskraft dieser Nation wahre Aufklärung, wahre Grundsätze in politischer Hinsicht nicht so allgemein und so gleichförmig verteilt als im größten Teile Deutschlands, zumal des nördlichen Deutschlands. Wir haben weder eine Sorbonne noch eine Akademie noch ein Journal, das sich anmaßen könnte, den entscheidenden Areopag Deutschlands ausmachen zu wollen. Wir haben bedeutende Gelehrte, in Berlin, in Hamburg, in Jena etc. Spinnt sich irgendwo eine Art von gelehrter Faktion an, will ein Journal sich eine Art von literarischem Aristokratismus zuschulden kommen lassen, so zeigt sich schnell ein Gegengewicht. Der Gelehrte, dessen Verdienst man zu Jena mißkennt, findet zu Berlin leicht einen billigern Richter, wenn er wirklich bloß aus Parteilichkeit falsch gewürdigt worden ist. Kant gilt in ganz Deutschland für groß. Schirach und Reichard werden in ganz Deutschland ausgepfiffen, und wenn Girtanner oder Rehberg sich auch einen augenblicklichen Namen in A. erwerben oder ein Institut unbillig gegen Knigges Schriften ist, so rügen andre Gelehrte in B. andre Zeitschriften, andre Institute die Unbilligkeit der ersten.
Die Gelehrten der Hauptstadt haben entschieden, heißt es in Frankreich, und der Gelehrte in der Provinz betet geschwind das Urteil der Pariser selbst gegen seine Überzeugung nach. Was würde der Hamburger, der Berliner, der weimarische Gelehrte sagen, wenn man von ihm verlangen wollte, seine Urteile dem Anspruch einiger Jenaischen oder Göttingischen angesehenen Schriftsteller zu unterwerfen? Daher wird jeder Grundsatz, jedes System bei uns von allen Seiten beleuchtet. Es heißt nicht, »die Akademie hat entschieden«, sondern »diese oder jene Schrift stellt die überzeugendsten Gründe auf«. Und das ist gut und recht und vorteilhaft für die Erkenntnis der Wahrheit. Einige jüngere Lehrer der Kantischen Philosophie haben sich aus übertriebener, gutgemeinter Wärme zuzeiten zu einem dogmatischen Ton hinreißen lassen. Mag er doch ja nie und in keiner Wissenschaft einreißen! – Aber er wird und kann es auch nie, denn man weiß in Deutschland gar zu wohl, daß weder ein ausgezeichnetes Werk des Genies noch einige Gedichte voll Kraft ihren Verfassern das Recht geben, andere Gelehrte zu insultieren, und Verirrungen der gekränkten Eitelkeit in gehackten Versen oder in versemäßiger Prosa werden noch immer mit allgemeinem Mißfallen von dem gesundern Teile der Nation aufgenommen.
Von unsern verschiedenen Punkten der Aufklärung und des Lichts verteilt sich auch bei uns Licht und die Aufklärung gleicher. Unsre dreihundert Kollegien, unsere mehreren Akademien, unsere verschiedenen Mittelstädte haben alle ihre literarischen Bedürfnisse. In Paris hat freilich jedermann Voltaire gelesen, aber dafür gibt es auch Departements, wohin sich fast kein Buch verirrt, und in andern hat man wieder nichts als zwei oder drei Schriftsteller gelesen. Nicht so in Deutschland, Mannigfaltigkeit und Abwechslung sind unser Vorteil, und allgemein nützliche Schriften kommen am Ende doch in jedermanns Hände. Selbst unsre Allerweltsschriftstellerei (wenn ich diesen Ausdruck brauchen darf) hat ihren großen Nutzen: Jede Klasse des Publikums will ihre eigne Lektüre. Wer bloß an Ritterromanen Geschmack findet, für die ist weder die »Messiade« noch Wielands »Oberon« geschrieben und genießbar – laßt doch jede Klasse sich suchen, was sie will. Der Tisch ist für alle gedeckt, wer mit Speisen anfängt, die ihm den Magen verderben, nimmt freilich an der nächsten Mahlzeit vielleicht keinen Teil. Vielleicht wählt er aber morgen bessere. Wollt ihr ihm diese jetzt gleich aufdringen, so gedeihen sie ihm nicht. Ohne Bild zu reden: Jede Menschenklasse will ihre eignen Schriftsteller. Wer für den gebildeten Mann schreibt, der bleibt ungelesen von einer-großen Volksklasse. Man muß nicht alle Ideen unter einem und dem nämlichen Vehikel in Umlauf bringen wollen. – Daß unsre Aufklärung seit einigen Jahren Riesenschritte gemacht hat, daß auch sogar unser Geschmack sich verbessert, daß der Bauer, der sonst bloß den Eulenspiegel las, jetzt vernünftige Volksschriften kennt – das ist Erfahrung, das ist Resultat. Laßt also Ritterromane und Geistergeschichten schreiben, wer dergleichen schreiben will. Wenn die größte Masse des Publikums, an Albernheiten keinen Geschmack mehr finden wird, so wird niemand mehr Albernheiten schreiben.
Wahr ist es aber, daß unsre Vielleserei bisher nichts geschadet, sondern im Gegenteil Ideen in allgemeinen Umlauf gebracht hat, die uns gar sehr zugute kommen werden, zumal diejenigen, welche durch politische Schriften verbreitet worden sind. Man hat angefangen, auf die Phantasie zu wirken, und man hat Wege zum Kopf gefunden.
Dieser allgemeinen Aufklärung, welche durch einige politische Erfahrungen sehr zunehmen und geläutert werden muß, haben wir es zu danken, daß auch unsre Beamten größtenteils bei einer neuen Ordnung der Dinge bleiben können und werden. Trotz dem Druck des Despotismus, trotz dem guten Willen mancher Mächtigen haben sich unsre gotischen Anstalten zum Teil von selbst dem Geiste der Zeit angepaßt.. Ehrwürdiges Tribunal zu Berlin! Wer würde wohl deine Richter antasten wollen, die stets für Recht und für Gesetzlichkeit kämpften? Ihr Stützen der Gesetze unter der Despotie, was würdet ihr erst in einem freien Staate? Ihr braven Dikasterien, die ihr für Erziehung, für Landwirtschaft, für Erhaltung des Friedens so viel tatet, wer würde wohl euch die Stellen zu entreißen streben in welchen ihr den Segen der Völker euch erwarbt. Nur die Schmeichler der Fürsten, nur die verkauften Ratgeber, nur die feilen Kreaturen von Metzen und adligen Tagdieben, nur die Grollmanns und ihresgleichen wird das Volk in den Kot zurücktreten, aus dem sie gekrochen sind, wer aber unter Fürsten dem Staate diente, der wird seinen Lohn erhalten und nun vom Staate in der Stelle bestätigt werden, die bisher prekär war und von Fürstengunst abhing.
Die Übel, welche aus dem Mangel an Aufklärung im Volke und aus dem Widerstand großer Klassen desselben entstehen, sind bei Revolutionen das furchtbarste. Der Widerstand der Despoten durch ihre wenigen überbleibenden Lohnknechte hat nicht viel zu bedeuten, und seine Überwältigung ist nur die erste Kraftübung der neubefreiten Nation. Glücklicherweise ist uns hier schon vorgearbeitet, so daß das Spiel nicht zu schwer werden kann. Die Despoten sind so erschöpft, daß es bloß unsre Schuld ist, wenn wir ihnen Zeit geben, sich wieder in etwas zu erholen! Oh, sie wissen es wohl! Sie haben gelernt, wie es heißt, gegen ein Volk zu kämpfen, das frei sein will! Sie haben gesehen, was ihre taktischen Kunstgriffe gegen Mut und Hingebung vermögen! Wenn wir nur erst einen kleinen Noyau in Ruhe bilden können, so sollen sie, wenn sie Lust haben, die Probe zu wagen, bald sehen, wie die nämlichen Kontingentstruppen, die liefen, sobald sie, eine Nationaluniform sahen, sich schlagen werden. Wenn wir bei der fränkischen Regierung Männer zu Regenten hätten, die in ihrem Fache wären, was Buonaparte in dem seinigen ist, wenn nicht unsre fünf Männer sehr mittelmäßige und durch Weihrauch und kleinliche Politik leicht zu verirrende Menschen wären, wenn man fränkischerseits nur immer den Grundsatz bedacht und befolgt hätte, daß die Völker voneinander unabhängig sind und daß es Unsinn von Seiten einer republikanischen Regierung ist, andere Völker abhalten zu wollen, ihre Verfassung zu verändern, daß es Torheit ist, mit einem sogenannten Souverän lieber eine Allianz zu schließen als mit Völkern, so wären wir jetzt schon, wo wir sein sollten. Aber wir brauchen die Hilfe der Franken nicht und lachen ihres neuen Kabinetts, sobald es von den Grundsätzen abweicht, auf denen allein seine Stärke und seine Rechtmäßigkeit beruht. Pfui der Schande für die große deutsche Nation, wenn sie sich frei machen ließe, wenn sie ein Evangelium, das unsre Weisen längst vor 1789 kannten, von einem Nachbarvolke, das es noch lange nicht ganz begriffen hat, sich einpredigen ließe. O bei Gott! Wir brauchen nur unsre Stärke zu fühlen, um der Welt Trotz bieten zu können. Der Franke unter Soubise und für Ludwig galt für feig und lief davon. Der Deutsche unter seinen Reichsgeneralen und Kriegsobersten verlor zehn und zwanzig Schlachten, die noch weit ärger waren als die Schlacht bei Roßbach. – Der Franke unter Buonaparte und für Freiheit schlägt sich über den Wolken und erklimmt Alpen, der Deutsche unter gewählten Generalen und für Freiheit wird die Schande dieses Kriegs mit Lorbeeren bedecken.
Werden uns denn aber die Lohnarmeen Österreichs, Preußens und Rußlands wohl so furchtbar sein? Nein, die österreichische und preußische Armee wird uns größtenteils verstärken. Diese Krieger, die man jetzt sechs Jahre lang immer von Knaben zur Schlachtbank führen ließ, müssen endlich hellsehen. Der Soldat wird auch wollen, daß lieber er selbst, wenn er sich auszeichnet, die Armee zum Sieg führen könne, als daß ein Prinz sie zur Schande führe. Der Soldat wird sich mit dem fränkischen Krieger vergleichen und nicht mehr eine verächtliche Schießmaschine sein, nicht gegen Bruder und Vater zu Felde ziehen wollen. Mit Freuden sähe ich, daß die vielen österreichischen Gefangenen, die in der Gegend von Versailles, von St. Cloud, von St. Denis liegen, viel in Frankreich gelernt haben. Man sei nur in Deutschland mutig, man beginne das Werk! Die Arbeit wird leichter sein, als man denkt. Das Schwerste ist schon getan.
ad 2. Unser Charakter, der uns langsam zur Revolution geführt hat, wird uns abhalten, die Grenzen derselben zu überschreiten und uns also auch vor bedeutenden Reaktionen bewahren.
Um eine die Grenzen dieses Aufsatzes überschreitende Ausführung zu ersparen, muß ich mich auf Benjamin Constants Buch berufen. Ich berühre nur kürzlich die Hauptideen seiner Theorie. Wenn eine Revolution, sagt Constant, weitergeht als nötig ist, um das Mißverhältnis herzustellen, durch welches sie veranlaßt wurde, so entsteht durch diese Überschreitung der Grenzen notwendig ein neues Mißverhältnis und also eine neue Bewegung, eine Reaktion. Diese Reaktion begnügt sich aber nie damit, bloß die richtigen Grenzen wiederherzustellen, sondern sie springt selbst über die alte Ordnung der Dinge hinaus. So, sagt Constant, haben wir gesehen, daß die Revolution in England, welche bloß gegen den Papismus entstanden war, aber auch das Königtum umstürzte, eben dadurch, weil sie ihren Zweck überschritt, eine Reaktion hervorbrachte, welche nicht nur das Königtum, sondern auch den Papismus wiederherstellte, so daß lange, nachher eine neue Revolution nötig war, um nur den Papismus zu stürzen. – Constants Theorie erklärt uns auf das befriedigendste die seltsamen Erscheinungen unsrer Zeit in Frankreich, wo wir Menschen, die ehedem laut den Atheismus predigten, jetzt täglich in die Messe laufen und alles nicht nach einer gemäßigten Monarchie, sondern nach dem alten Despotismus mit allen seinen Mißbrauchen schreien hören.
Man braucht den deutschen Charakter nur obenhin zu kennen, um leicht einzusehen, daß wir keine bedeutende Reaktion zu fürchten haben, weil unsre Revolution nie ihre Grenzen so weit überschreiten und nie so gewaltsam werden kann als die fränkische. Bei uns werden nie Freiheit und Gleichheit im übertriebenen, gemißbrauchten Sinne gesucht werden. Wir sind langsam, minder gewaltsam vorbereitet worden als die fränkische Nation, und bei uns wird man die alten, lockern Gebäude langsam und bedächtig, aber eben darum auch gründlich abtragen, statt daß die Franken mit Wut dagegen anrannten und freilich schneller als wir die Oberfläche abwarfen, aber den Grund dennoch stehenlassen. Mirabeau schon sagte von uns Deutschen, daß das Revolutionsfeuer bei uns Kohlenfeuer sein werde, wenn das fränkische nur Strohfeuer ist. Der Deutsche unternimmt schwer, aber hat er einmal unternommen, so geht er auch nicht wieder zurück. Bei unsrer großen, glücklich durchgesetzten Revolution gegen die Hierarchie war die Reaktion sehr unbedeutend.
Wir sind reifer zur Freiheit, als die Franken es noch jetzt nach acht Jahren des Kampfes sind. Bei uns liegt der Freiheitsgeist in den Köpfen, nicht bloß in den Herzen, im Verstände, nicht in einem aufgereizten Gefühle. Wir wollen nichts unmögliches erreichen, wir wollen eine bessere Ordnung der Dinge, eine zweckmäßigere Verfassung, aber keine Utopien. Und wir werden eine bessere Verfassung erhalten.
Wir sind nicht so sehr herabgewürdigt durch den Despotismus, als die Franken es waren. Ein Rest von Freiheit hat sich in Deutschland selbst unter seiner gotischen Verfassung noch immer erhalten. In unsern kleinen Reichsstädten sind noch immer einige republikanische Formen, einige Begriffe von Rechten der Bürger geblieben. Einzelne Fürsten haben sich durch bessere Regierung ausgezeichnet. Wen des österreichischen Hauses Arm im Süden ergriffen haben würde, der flüchtete sich nach Norden und fand Schutz.
Wir sind geneigter zur Ordnung als die Franken. »Sie ist verboten«, sagt der gemeine Mann in Deutschland von einer Handlung, die er wohl begehen möchte, und unterläßt sie, weil sie verboten ist. Der Franke sagt auch »sie ist verboten« und tut sie, gerade weil sie verboten ist.
Wir sind gerade und nicht geneigt zur Intrige. Dieser Zug ist der beste in unserm Nationalcharakter. Der Deutsche sucht eine Ehre darin, nicht versteckt, nicht durch Winkelzüge, sondern auf dem geradesten Wege sein Ziel zu erreichen. Der Franke intrigiert oft ohne Not, weil ihm die Intrige selbst gefällt.
Ich könnte über diesen Gegenstand noch unendlich viel sagen, wenn es nötig wäre. Allein jeder, der den Charakter unsrer Nation kennt, wird leicht mehrere Gründe auffinden können, aus welchen sich die besten Resultate für den ruhigen Gang unsrer früher oder später erfolgenden Revolution ergeben. Die Reaktion ist für die Frankenrepublik grausamer und gefährlicher gewesen als alle Stürme und Mißbräuche der Revolution, und diese Reaktion werden wir in Deutschland ersparen. – Nun zu den Resultaten.
Sobald wir Deutschen uns also allgemein überzeugen können, daß die Übel unsers Übergangs zu einer bessern Ordnung nicht so groß sind als die Leiden, welche uns unsre jetzige schlechte Ordnung zufügt, so ist die vis inertiae vernichtet, welche bisher noch die einzige Stütze der alten Regierungen war, und es fehlt dann nur an ein paar unternehmenden Köpfen, um die schon solang verbreitete Krisis zu beschleunigen. Der Friede, vor einem Jahre freiwillig geschlossen, hätte unsre alte Konstitution noch eine Zeitlang stützen können. Der Friede, der jetzt bald geschlossen werden muß, wird den Verteidigern der Revolution mittelbar zugute kommen. Unsre lahme Reichsverfassung überlebt das Jahr 1800 nicht. Sie wird zwar jetzt provisorisch von Despoten zerrissen, um uns unter eine größere Despotie zu beugen, aber gerade diese Teilung Deutschlands in größre Massen wird uns die Arbeit erleichtern. – –
Nun als Nutzanwendung des Gesagten noch eine Bitte an Deutschlands Patrioten! Wenn die Krisis erscheint, so verkrieche sich ja keiner feige. Intriganten und Ehrsüchtige werden sich gleich zeigen, und es wäre ein unabsehliches Unglück, wenn die wahren Patrioten aus Furcht vor der Gefahr nicht gleich ernstlichen Teil an der Reformation nehmen und sich mit der Hoffnung schmeicheln wollten, erst dann eintreten zu können, wenn die Gefahr vorüber sei. Diese Feigheit kommt bei jeder Staatsveränderung denen am teuersten zu stehen, welche sie sich zuschulden kommen lassen. Aus Furcht, ein Opfer der Tyrannei zu werden, will man lieber ein Opfer der Schurken und Narren sein, die sich zu leicht des Ruders bemächtigen. Bei einer Revolution ziehen die ersten Fehler tausend andre nach sich. Gefühl und Enthusiasmus verwirren sich gar leicht. Freilich muß man leider die Leidenschaften aufregen, um der Kugel den entscheidenden Stoß zu geben. Aber sobald sie nur anfängt zu rollen, so müssen auch schon Männer von Kopf am Abhang des Bergs stehn, um sie zu lenken und sie aufzufangen, wo sie bleiben soll. Dann muß die Leidenschaft schweigen und bloß der kalte und nüchterne Verstand zu Rate gezogen werden. Wer aus Furcht unten am Berge untätig stehenbleibt, der wird am Ende zerschmettert.
Aber auch jetzt, solange die alte Tyrannei noch dauert, benehme sich jeder mit Weisheit und Vorsicht. Es ist vorauszusehen, daß nach dem Frieden in Deutschland eine abscheuliche Periode eintreten wird. Die Regierungen werden aus ihren alten Rüstkammern alle die Waffen hervorsuchen, mit welchen sie ehemals ihre Macht gründeten und verteidigten. Man hat uns bisher mit Geißeln gezüchtigt, man wird uns jetzt mit Skorpionen züchtigen. Wer klagt, wird verbannt, wer weint, eingesperrt werden. Man wird jede Spur von Menschenrechten zu vertilgen, dem Verstand den Krieg anzukündigen, die alte Dummheit wieder auf den Thron zu setzen suchen. Man wird Spürhunde abrichten, um diejenigen aufzusuchen, welche heller sehen als der Haufe. Man wird Mönche zu Zensoren aufstellen und Klöster stiften, um Aberwitz zu verbreiten und gesunde Vernunft zu unterdrücken. Man wird willkürlicher handeln als je aus Angst, um sich zu überreden, daß man seine Macht nicht verloren habe. Man wird diejenigen einsperren, welche von den Staatskassen ihre Vorschüsse zurückfordern, man wird Verschwörungen ersinnen, um Exempel der Strenge geben zu können, man wird künstliche Teurung erregen, um die Völker mürbe zu machen. Wien hat schon vollkommen die revolutionären Maßregeln Robespierrens in seinen Mauern einführen sehen, die neu zu raubenden Provinzen wird man noch strenger halten, je weniger man ihnen traut. Man wird die Privilegien einzelner Volksklassen vermehren, um die Privilegierten desto mehr an die Regenten zu ketten. Man wird ihnen für ihre Dienste erlauben, desto stärker auf die Unprivilegierten zu drücken. Wenn diese Schreckensregierung ihren höchsten Gipfel erreicht hat, dann ist der 9. Thermidor nahe. Diesen herbeizuführen suche jeder, der sein Vaterland liebt, und keiner fürchte sich, Märtyrer zu werden. Die Macht der Tyrannei ist schon größtenteils erschöpft. Ihre Schwerter sind stumpf, ihre Blitze sind nicht viel mehr als Theaterblitze. Und wenn auch die ersten, welche dem Ungeheuer offen den Krieg ankündigen, von ihm überwältigt werden, ohne ihre Absicht zu erreichen, welcher Tod kann schöner sein als der Tod Sidneys und Barneveits? Welchen Wert hat ein Leben, das ohnedem bloß von der Willkür eines Tyrannen abhängt! Welchen Preis hat ein Dasein unter erniedrigten Wesen, deren keines das Haupt emporzuheben und Mensch zu sein wagte?
Peuples, quand la justice à la terre est ravie
mourir, c'est échapper aux tourmens des enfers;
craindre, c'est conspirer contre sa propre vie,
c'est être criminel et regretter ses fers!