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Der König saß in seinem Arbeitskabinett. Er hatte den Sturm der Empörung und Entrüstung niedergekämpft. Mit diesem Ausgang hatte er nicht gerechnet. Was sollte nun werden? Er mußte handeln, irgend etwas mußte geschehen. Er war Buddhist, und zwar nicht nur äußerlich, weil das die Staatsreligion seines Landes war, sondern aus ganzer Überzeugung. Das prägte sich auch in allen seinen Handlungen und in seiner ganzen Person aus.
Er war über fünfzig Jahre alt, aber niemand sah ihm dieses Alter an. König Pra Paramin galt ganz allgemein als der schönste Mann seines Landes, und das war nicht nur Schmeichelei von Höflingen, er wußte es selbst. Er fragte Rata, wie Dok Mali auf solche Gedanken gekommen sei, und der antwortete ihm ganz offen, daß solche Ansichten in Europa allgemein Geltung hätten.
Ein weher Schmerz bemächtigte sich seiner. War es möglich, daß eine Siamesin seine Hand ausschlug? Und gerade dieses Mal, wo er wirklich groß und aufrichtig liebte? Er hatte Frauenschönheit genossen, überall war sie ihm entgegengetragen worden – er war der ritterlichste Liebhaber, ein Lebenskünstler im wahrsten Sinne des Wortes, trotz aller Versuchungen hatte er sich nicht verausgabt – schon mit dreizehneinhalb Jahren war er zum erstenmal Vater gewesen! Tief empfand er die Demütigung, die in Dok Malis Absage lag. Die Jugend wandte sich von ihm ab – und er hatte niemand, dem er sich anvertrauen konnte, er war allein, so furchtbar allein. Dieses Verlassensein war schon öfter über ihn gekommen, aber heute faßte es ihn so hart und mitleidlos, daß ihn fröstelte.
Langsam erhob er sich und ging auf den Balkon. Er rang schwer mit sich selbst, mit seinem verletzten Königsstolz, seiner Manneswürde ...
Leise kam ein Diener und meldete den Prinzen Naret. Der König hob den Kopf als Zeichen des Einverständnisses. Der Minister trat ein. Als der König sich ihm zuwandte, fragte er untertänigst, ob Befehl erlassen werden sollte, Dok Mali wegen schwerster Majestätsbeleidigung in den Kerker des Palastgefängnisses zu werfen. Daß Pya Prajura seines Postens enthoben werden müsse, war ihm selbstverständlich.
Doch da geschah das Unerhörte, das Wunder! Pra Paramin sah seinen Bruder ruhig und majestätisch an und sagte in mildem Tone: »Dok Mali soll nichts geschehen, sie ist jung und steht noch zu sehr unter dem Einfluß europäischer Vorstellungen, die für das nordische kalte Klima und die dortige demokratische Regierungsform ihre Berechtigung haben mögen. Ich will sie nicht zwingen, sondern ihr Bedenkzeit geben; ich hoffe, daß sie sich in einigen Wochen an den Gedanken gewöhnt hat und dann freiwillig und gern zu mir kommt. Natürlich bleibt Pya Prajura in seiner Stellung als Finanzminister.«
Prinz Naret war starr vor Staunen. War der König durch einen dämonischen Zauber behext? Er wagte nichts mehr zu sagen.
»Man soll sich nach dem Befinden Dok Malis erkundigen und ihr Blumen aus meinen Gärten senden.«
*
Auf dem Gelände des im Bau befindlichen Tempels Vat Benchama war alles aufs Herrlichste geschmückt. Jedes Jahr wurde hier der große Dusitpark-Basar abgehalten. Der Überschuß des Festes floß in den Baufonds des Tempels. Nach dem Tode des Königs Pra Paramin sollte hier seine Verbrennungsasche beigesetzt werden. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, die gesamten Baukosten sofort aus seiner Privatschatulle anzuweisen. Aber ein solches Fest übte drüben einen ganz anderen Reiz aus als in Europa.
Alles war vorhanden: Stände des hohen Adels, wo die Damen in eigenen Buden zum Verkauf anboten, was sie für diesen Zweck gestiftet hatten; selbst Prinzessinnen des Königlichen Hauses waren darunter. Manche hielten laotische Seidengewebe feil, andere siamesische Silberschmiedearbeiten, Süßigkeiten, Delikatessen, originalsiamesische Gerichte. Es gab Restaurants, Weinstuben, ein Sektbüfett, Würfelbuden, Schießstände, ein Theater, Musikhallen und vieles andere.
Ganz Bangkok war vertreten, alle Prinzen, Prinzessinnen, die hohen und höchsten Beamten, der Adel, und nicht zu vergessen das diplomatische Korps und die europäische Gesellschaft. Der König selbst besuchte jedes Jahr den Basar und freute sich unter Fröhlichen.
Diesmal hatte das Fest seine ganz eigenen Reize. Der russische Gesandte ging mit Pya Prajura an einem etwas abseits von den anderen im modernsten europäischen Stil errichteten, geschmackvollen Pavillon vorbei, in dem die schöne Dok Mali und ihre Schwester als Verkäuferinnen standen. Es war acht Uhr, man erwartete jeden Augenblick den König. Der Russe wollte mit Dok Mali flirten, aber Prajura nötigte ihn mit liebenswürdiger Gewalt zum Sektbüfett. Die andere Gesellschaft staunte nur von weitem die »Pariserinnen« an.
Die unglaublichsten Gerüchte schwirrten umher. Am meisten interessiert zeigten sich die europäischen Diplomaten, die wieder eine Gelegenheit zu einer politischen Affäre witterten. Cherchez la femme!
»Der König soll ihr jeden Tag Blumen schicken!«
»Ist es denn wahr, daß er offiziell um ihre Hand angehalten hat?«
»Natürlich! Sie lehnte aber ganz kategorisch ab – darauf steckte sie ihr Vater in die Gefängniszelle seines Palais, er mußte sie aber bald wieder herausholen, weil der König keinen Zwang gegen Dok Mali duldet.«
»Der Finanzminister soll sehr schlecht stehen ...«
»Das sagt man, aber es scheint fast so, wenigstens nach unseren Erkundigungen, daß ihn der König aufs neue ausgezeichnet hat. Übrigens soll die schone Dok Mali den ganzen kostbaren Familienschmuck in ihrem Stande feilbieten.«
Bei der allgemeinen Unsicherheit, wie der König sich zu allem stellen würde, wagte keiner, sich mit der jungen Dame zu unterhalten. Sie saß, vom hellen elektrischen Licht umflossen, hinter dem mit äußerstem Geschmack ausgestatteten Verkaufstisch, auf dem die herrlichsten Geschmeide auf moosgrünem Samt ausgebreitet lagen, und schaute ins Weite. Ihre Schwester stand im Hintergrunde und tröstete die Mutter, die sorgenvoll in einem Polsterstuhl lehnte.
Dok Mali war traurig, so tieftraurig, daß sie es gar nicht ausdenken konnte. Ihr Vater hatte sie damals in seinem Zorne beinahe zu Boden geschmettert, als der Palastminister nach ihrem freimütigen Bekenntnis wegging. Was der französische Legationssekretär gesagt hatte, war richtig. Sie wurde in die dunkle Gefängniszelle geworfen, nicht einmal ihre Mutter oder ihre Amme durften zu ihr kommen. Aber kaum war sie einige Stunden allein, so holte man sie heraus. Alle waren bestürzt, ihr Vater sprach nicht mit ihr. Spät am Abend erzählte ihr die Amme, daß der König Blumen für sie geschickt habe. Dem hatte man natürlich alles anders dargestellt, sonst hätte er das doch nicht getan. Seit jenem Tage waren nun zwei Wochen vergangen, sie mußte auf ihrem Zimmer bleiben und sah nur die Mutter und die Schwester. Die Amme durfte nur selten kommen, war sehr scheu und sagte kaum etwas, während sie doch sonst alles von ihr erfuhr, mehr, als sie hören wollte.
War es denn ein solches Verbrechen, wenn man sich nicht verkaufen lassen wollte? Sie hatte ihre Eltern aufrichtig lieb, und die Nichtachtung ihres Vaters tat ihr bitter weh. Über seine ehrgeizigen Pläne hatte sie keinen Überblick, sie wußte nur, daß sie sich dafür opfern sollte. Pya Prajura sprach soviel von Reformen, und daß man die moderne Denkart Europas annehmen müsse, wenn man nicht zur Kolonie herabsinken wollte. Sobald sie aber mit dieser Modernisierung bei sich anfing und nach europäischen Grundsätzen leben wollte, war das Sünde! Vor einigen Tagen war er zu ihr gekommen, hatte sie wieder liebevoll behandelt und sie in alles eingeweiht. Sie wußte nun, daß sein Sturz als Minister bevorstand, wenn sie sich dem Könige länger versagte. Ihr Vater wollte wirklich gute Reformen für das Land einführen, und die würden alle nicht ausgeführt werden, wenn die Gegenpartei, die alte Schule, ans Ruder käme. Sie war klug und hatte begriffen. Aber warum sollte denn gerade sie der Kaufpreis sein – warum sollte ihr persönliches Unglück das Glück der Familie und des ganzen Landes werden?
Sie grübelte. Es mußte doch sehr ernst und schlimm um ihren Vater stehen, sonst würde er heute nicht den größten Teil des altberühmten Familienschmucks der Prajuravong auf dem Dusit-Basar durch sie verkaufen lassen! Als Strafe mußte sie auch alle Schmuckstücke, die ihr persönlich gehörten, ausliefern. Heute und die nächsten Tage sollte sie nun hier öffentlich ausgestellt sein und ihre Strafe empfangen. Das wäre ihr ja alles ganz gleich gewesen, wenn sie wenigstens Nachricht von Pra Rata gehabt hätte. Aber sie hörte nichts mehr von ihm. Sie wußte, daß er im Palastministerium, besonders im Dienst der ersten Königin, viel zu tun hatte. Heute würde sie ihn sicher auch nicht sehen. Die Zukunft erschien ihr trostlos – und doch wollte sie tapfer ausharren.
Plötzlich stand ihre Mutter neben ihr. Sie erwachte aus ihren Träumen. Die erste Königin kam gerade mit großem Gefolge auf ihren Stand zu. Flüchtig sah sie im Hintergrund Pra Rata. Sie machte die vorgeschriebene tiefe Hofverbeugung, denn auf dem Basar ging alles ganz europäisch zu. Schon war die erste Königin dicht am Stande und fragte verschiedenes. Glücklicherweise brauchte sie nicht zu antworten, das nahm ihr die Mutter ab, die in unterwürfigster Weise der Königin erzählte, daß ihre Tochter zur Strafe für ihr Verhalten ihr ganzes Geschmeide für den königlichen Tempelbau verkaufen müsse.
Sie fühlte die feindliche Nähe dieser Frau, die sich vieles zeigen ließ. Sie fragte eingehend nach der Herkunft der Stücke und nahm schließlich ihren früheren Lieblingsring, weiter nichts. Es war das erste Stück, das verkauft wurde. Dok Mali begriff die beabsichtigte Demütigung. Da sie aber die Zusammenhänge zu durchschauen glaubte, wurde sie sicher und ruhig. Sie hatte es früher nur in den Büchern gelesen, daß die Menschen furchtbare Raubtiere seien, jetzt erlebte sie es zum ersten Male. Aber sie hielt stand. Wer war nun Sieger: die Königin, die sich so offensichtlich an ihrer Demütigung weidete, oder sie, die darüber lächeln konnte?
Rata hatte nur verstohlen zu ihr herübergeschaut. Sie hatte es wohl gesehen. Nun ging er wieder mit der Königin, die ihn sogar fragte, ob er den Ring für passend zu ihrem anderen Schmuck halte. Rata antwortete zustimmend wie ein gewandter Hofmann, da er sah, daß der Ring der Königin gut gefiel. Anders hätte es Dok Mali auch nicht von ihm erwartet.
Wieder wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Die Musikkapelle am Eingang des Basars spielte die Nationalhymne. Der König kam, alles drängte sich dem Eingang zu. Was würde er tun, würde er sie begrüßen oder demütigen wie die erste Königin? Sie trug heute ganz einfache weiße Seidenkleider nach siamesischem Geschmack – weiß war ja die Farbe der Trauer. Die Rettungsmedaille am leuchtend rosaroten Band war ihr einziger Schmuck.
Sie erhob sich unwillkürlich. Der König ging in einiger Entfernung an ihrem Stande vorüber und schien sie nicht zu sehen. Das war ja auch natürlich, trotzdem machte sie ihre tiefste Hofverbeugung. Doch kaum hatte sie sich wieder erhoben, als sie sah, daß der König mit ihrem Vater gerade auf sie zukam. Er war es wirklich. Sie wußte nicht, warum ihr Herz plötzlich freudig schneller schlug. Heute war sie nicht so sicher wie sonst. Pra Paramin weidete sich an ihrem Anblick und an ihrer lieblichen Befangenheit.
»Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen?«
Sie wurde seltsam ergriffen von seinem prachtvoll männlichen Organ. Ihre Eltern antworteten für sie.
Pra Paramin aber wollte Dok Malis Stimme hören und äußerte auch, daß Dok Mali das lieber alles selbst sagen solle – sie sei doch eine so redegewandte junge Dame und habe dem Palastminister einen so großartigen Vortrag über moderne Eheprobleme gehalten.
Sie sah den König an. Eine flehentliche Bitte lag in ihrem Blick: »Strafe mich nicht vor allen diesen Leuten!«
Er verstand sofort, wandte sich zu Nang Kulap und machte ihr ein Kompliment über den schönen Familienschmuck. Zu Pya Prajura sagte er, daß er seine Anhänglichkeit und seinen »selbstlosen« Opfersinn für den Tempel Benchama zu schätzen wisse. Dieses Königswort entbehrte nicht eines leisen Spottes, den die Umstehenden wohl heraushörten. Pra Paramin war ungehalten, daß seine Befehle nur äußerlich befolgt wurden. Er sah ja deutlich, was sich hier ereignet hatte. Man quälte Dok Mali, und das war doch gerade das Gegenteil seiner Absicht. Er las es in ihren traurigen Augen.
»Warum tragen deine schönen Hände heute keinen Schmuck? Ach ja, dein Vater erzählte mir, daß er dich bestraft hat, aber das will ich jetzt gleich wieder gutmachen.«
Er ließ sich jedes Schmuckstück zeigen, zuerst alles, was ihr persönlich gehörte, kaufte eins nach dem andern und schmückte Dok Mali damit. Scherzweise versuchte er auch, zu handeln, und wenn sie dann im Preise herunterging, erhöhte er ihn in demselben Maße. Langsam kam ihre Zuversicht wieder. Ein spitzbübisches Lächeln spielte um ihren Mund.
»Wenn Eure Majestät mir so viel schenken, dann darf ich Eure Majestät auch bitten, diesen Ring von mir anzunehmen.«
Dabei hatte sie schnell den Lieblingsring ihres Vaters mit einem großen, prachtvollen Smaragd erwischt und war kühn genug, ihn dem König zu überreichen. Er streckte seine Hand aus, so daß sie ihm den Ring an den Finger stecken konnte. Der König nahm ihre Hand und sah sie lange an.
Inzwischen hatte sich in gemessener Entfernung ein großer Zuschauerkreis um die Gruppe gebildet. Dem König war das unangenehm. Kurz entschlossen fragte er Pya Prajura: »Wie hoch beläuft sich die Kaufsumme des ganzen Familienschmuckes?«
»Dreiviertel Millionen, Eure Majestät«, war die prompte Antwort.
»Ich möchte mir später noch einiges aussuchen, es soll vorläufig nichts davon verkauft werden.« Dann wandte er sich an Dok Mali: »Hast du dir das Fest auch schon angesehen?«
Sie verneinte. Der König sah die Trauerkleider. Er winkte Prajura heran. »Mein lieber Pya, auf einem Fest sollen deine Töchter geschmückt und in Festkleidern einhergehen!«
Der König verabschiedete sich von Dok Mali: »Ich werde dich nachher herumführen. Komme bald zurück!«
Grüßend schritt er weiter. Er hatte sehr lange bei dem Stande Dok Malis verweilt. In der besten Laune besuchte er die weiteren Veranstaltungen.
In kaum einer halben Stunde wurde ihm gemeldet, daß Dok Mali wieder zugegen sei. Sofort ließ er sie und ihre Schwester zu sich kommen. Sie hatte sich in goldgelbe Seide mit goldenen Spitzen gekleidet. Die Bluse war soeben aus Paris eingetroffen, ein blaßgelber Panung mit wenig Goldbrokat und ein Abendcape aus Goldspitzen vervollständigten den Anzug. Nicht stolz und nicht untertänig, lieblich und anmutig kam sie daher. Alle Blicke waren auf sie gerichtet, als sie zum König ging.
Er reichte ihr entzückt die Hand und lobte sie. Dok Mali ging nun an seiner Seite, er führte sie zum Sektbüfett, trank mit ihr zusammen ein Glas Champagner und zeigte ihr dann die ganze Schau.
Die Diplomaten hatten viel zu beobachten, aber nicht sie allein, auch die altsiamesische Partei, vor allem die erste Königin und Prinz Saravat. Der konnte auch den Gedanken an den schönen Käfer nicht loswerden. Er hatte gleich nach dem Hofball bei Pya Prajura anfragen lassen, aber den Bescheid bekommen, daß der König um ihre Hand angehalten habe, deshalb müsse sein Antrag leider abgelehnt werden. Vor dem König hatte er großen Respekt; also konnte vorläufig aus der Sache nichts werden. Wenn es aber wahr sein sollte, was ihm berichtet worden war, daß der König ihr unbegrenzt Zeit zur Antwort gelassen habe, dann war das nicht mehr zu verstehen! Der Einfluß dieses Prajura wurde wirklich unerträglich! Man sollte hier einmal ein Exempel statuieren.
Als der König das Fest verlassen hatte, fuhr auch Nung Kulap mit ihren beiden Töchtern nach Hause. Pya Prajura blieb noch, um seinen Triumph auszukosten und auszuwerten.
*
Im großen Stadtpalast aber trafen sich am selben Abend noch zu später Stunde im Empfangssalon der ersten Königin Prinz Prabodi und Prinz Saravat. Später kam die Königin selbst und in ihrer Begleitung Pra Rata. Prinz Saravat, ihr direkter Bruder, ließ seiner üblen Laune die Zügel schießen. Er schimpfte über die neuen Moden, über Prajura und die Kühnheit Dok Malis. Prabodi suchte ihn mit äußerster Energie zu irgendeinem Handeln zu veranlassen, er meinte einen Schritt beim König. Doch Saravat verschwor sich, wenn dieses unwürdige Schauspiel nicht ein Ende nehme, wolle er Dok Mali verschwinden lassen. Das wäre nun sehr töricht gewesen. Sowohl die Königin als auch Prinz Prabodi wollten ihm das klarmachen, aber er hörte nicht auf sie. Er schien tatsächlich zu lange beim Sektbüfett gewesen zu sein. So war man froh, als er ging. Auf einen Wink Prabodis entfernte sich auch Rata.
Prabodi trat ganz nahe an die erste Königin heran. »Dok Mali muß aus dem Wege. Eure Majestät werden die Mutter und die Töchter zum Tee einladen. Wir haben ja bald die Zeit der jährlichen Cholera-Epidemie ...«
Die Königin hob zustimmend den Kopf.
»Ich werde den Prinzen Saravat beobachten lassen, damit er keine Dummheiten macht. Er hat uns schon öfter kompromittiert, neulich erst wieder dem deutschen Gesandten gegenüber.«
Prabodi ging. Die Königin blickte ihm zufrieden lächelnd nach. Choleragift war wirklich das sicherste.
*
Seine Majestät kam die nächsten Tage nur kurz zum Fest, plauderte aber jedesmal mit Dok Mali längere Zeit. Am letzten Abend kaufte er zum größten Erstaunen des Hofes den gesamten Schmuck tatsächlich für dreiviertel Millionen. Pya Prajura war jetzt zu seiner Tochter die Liebenswürdigkeit selbst. Der König hatte alles erfahren und ein unzweideutiges Wort mit ihm gesprochen. Sie durfte wieder ausfahren, allerdings hatte sie Pra Rata noch nicht getroffen, und deswegen fuhr sie doch immer aus. Auf dem Dusitbasar erhielt sie von ihm einen Brief; daraus ging hervor, daß er ihr oft schrieb, sie hatte aber bisher nichts bekommen. – Nachdem die ganze Angelegenheit mit dem König in ein ruhigeres Fahrwasser gekommen war, konnte sie sich auch mit ihrer Mutter darüber aussprechen. Sie wurde wieder froh und heiter, beinahe übermütig.
Dok Mali hatte reichlich Gelegenheit gehabt, Pra Paramin aus nächster Nähe zu sehen, und war von ihm begeistert. Er war schön und von wirklicher Männlichkeit, zwar nicht mehr jung, aber ein sehr verständnisvoller Liebhaber. In seiner Nähe verspürte man den starken Einfluß seiner Persönlichkeit. Sie hatte ihren Vater gern, ertappte sich aber öfter bei dem Gedanken, daß sie sich den König zum Vater gewünscht hätte, aber nicht so, daß sie Prinzessin sein wollte, denn denen bot sich noch viel weniger Aussicht auf Lebens- und Liebesglück.
Während Dok Mali darüber nachdachte, wurde sie ans Telephon gerufen. Das Palastministerium kündigte ihr den Besuch des Prinzen Naret an. Sie war bestürzt, sollte etwa die alte Geschichte von neuem beginnen?
In großer Unruhe erwartete sie den Palastminister; es war ausdrücklich erwähnt worden, daß er sie allein sprechen müsse.
Der Prinz fragte im Namen des Königs nach ihrem Befinden. Was sollte sie nun sagen, wenn er wieder um ihre Hand bäte? Ihr Herz schlug zum Zerspringen. Aber die gefürchtete Frage wurde nicht gestellt. Wie groß war ihr Erstaunen, als Prinz Naret ihr den gesamten Familienschmuck als persönliches Geschenk des Königs überreichte! Begleitet von herrlichen Blumenspenden wurden ihr alle die Kostbarkeiten zu Füßen gelegt. Der Palastminister war heute von außerordentlicher Liebenswürdigkeit und fand auch noch manch artiges Wort, das nicht unmittelbar zu seinem Auftrage gehörte.
Als Dok Mall sah, daß das Gewitter wenigstens heute noch einmal vorüberziehe, wurde sie auch wieder natürlicher. Aber zum Schlusse kam der Prinz noch kurz auf die fatale Heiratsgeschichte zurück.
»Seine Majestät sind weit davon entfernt, nur den leisesten Zwang auszuüben, können aber die Hoffnung auf eine endgültige glückliche Lösung nicht gänzlich aufgeben.«
Die Eltern waren vor Staunen und Freude starr, als sie alles erfuhren.
»Weißt du auch, daß der König als fünfter seines Geschlechtes unter der Herrschaft des Planeten Jupiter steht und der größte aller Könige Siams ist?«
Dok Mali wußte es, sie hatte es persönlich erfahren. Aber der größte aller Könige ist deshalb noch lange nicht das Lebensglück eines sich nach Liebe sehnenden Herzens, dachte sie. – »Bei seiner Thronbesteigung haben die Sterndeuter geweissagt, daß er die längste Regierungszeit aller Herrscher Siams haben werde, das geht tatsächlich in Erfüllung, und während seiner Zeit sind auch die meisten glückbringenden weißen Elefanten gefangen worden.« Dok Mali mußte lächeln, sie dachte an ihr Abenteuer, das sie in die Nähe des Königs gebracht hatte.
»Heute abend werden wir die Predigt und den Gebetsdienst im Tempel Prajuravong besuchen«, bemerkte Nang Kulap nach einer Pause, »ich würde mich freuen, wenn du mit Malila mitkämst.«
Dok Mali sagte gern zu, besonders da sie wußte, daß sie ihrer Mutter eine Freude damit machte.
*
Die großen schönen Prunkschiffe, die von zwanzig Ruderern bewegt wurden, warteten schon im Kanal an der Landungsbrücke gegenüber dem Haupteingange des Palais. Zahlreiche Dienerinnen trugen große Schalen mit künstlich getürmten Blumenopfern, Weihrauch, Sandelholz und Wachskerzen in die Boote. Alle Frauen und Mädchen, die mit zum Tempel fuhren, waren in leuchtendes Weiß gekleidet. Mehrere große und kleine Fahrzeuge wurden von einem mächtigen Motorboot begleitet. Nach Einbruch der Dunkelheit fuhr die Prozession unter Fackelschein zum Tempel, der am andern Ufer lag und durch einen hohen Turm weithin kenntlich war. Das Neuartige des Aufzuges, die Fackeln, die sich im Wasser spiegelten, und der rege, fast lautlose Bootsverkehr auf den Kanälen erregten Dok Malis Phantasie. Als sie an der Seite ihrer Mutter im Boote saß, mußte sie an Pra Rata denken. Wo weilte er jetzt? Vielleicht hatte er gerade wieder Dienst bei der Königin und mußte dieser ältlichen Dame mit dem ekelhaften breiten Betelmund wieder Schmeicheleien sagen. Bald hatte man den Strom überquert und fuhr jetzt in den Kanal Klong Bangkok Noi ein. Welch herrliches Schauspiel bot sich dort! Alle Sträucher und Bäume an den Ufern des Kanals waren mit Glühwürmchen besät, manche spärlicher, manche ganz dicht, und alle leuchteten zu gleicher Zeit auf und verschwanden wieder zusammen in der Dunkelheit.
Der Tempel war erreicht, sie stiegen die Ufertreppe empor und gelangten in die Eingangshalle. Dort ordneten die Dienerinnen die Opfergaben, und dann ging es in geschlossenem Zuge zum Haupttempel. Die Tore waren weit geöffnet, und aus dem Innern drang milder Lichtschein. Die ganzen Fassaden leuchteten. Dazu rieselte silbernes Mondlicht über die Höfe und Dächer. Unaufhörlich erscholl das Zirpen der Grillen. Sie traten ein, nachdem sie draußen, wie alle anderen, ihre Schuhe abgestreift hatten, und ließen sich in kniender Haltung auf dem Marmorfußboden nieder.
Zum erstenmal nahm Dok Mali mit Bewußtsein an einem buddhistischen Tempeldienst teil. In ihrer Jugend hatte sie zwar auch die Tempel besucht, aber das war lange her, seit ihrem siebenten Jahre war sie ja in Europa gewesen. Voll Staunen sah sie die große, goldene, sitzende Buddhastatue an der Rückwand des länglichen, großen Raumes. Die Flamme auf dem Haupte der Figur berührte fast die Decke. Die Wände waren ganz mit kleinfigurigen Gemälden überzogen. Prachtvolle elektrische Kronleuchter hingen von der mit Goldornamenten auf dunkelrotem Hintergrunde geschmückten Decke herab. Vor dem Buddhabilde glimmten unzählige Räucherstäbchen, ein süßer, aber doch zugleich herber Duft durchzog den Raum. Es waren meistens Frauen in dem Tempel, alle in Weiß gekleidet. In der Nähe des Buddhabildes saß auf einem niedrigen, mit einem gelbseidenen Kissen bedeckten Stuhl der Oberpriester, der einen runden, mit Goldstickerei verzierten Fächer in der Hand hielt und damit sein Gesicht bedeckte. Zu seinen Füßen saßen vierundzwanzig Priester. Alle waren in goldgelbe, faltenreiche Gewänder gehüllt, die in dem Licht der Kronleuchter aufleuchteten und sich mit dem Gold der Buddhastatue und dem dunklen rotbraunen Ton der Wandgemälde zu einer prachtvollen Farbenharmonie vereinigten.
Der Oberpriester begann in singend rezitativem Tone mit fast geschlossenen Augenlidern zu beten. Die anderen Priester fielen in genau derselben musikalischen Tonhöhe ein, und feierlich erklang das von ihren sonoren Stimmen gleichmäßig gesprochene Gebet. Währenddessen saßen die Laien mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden. Plötzlich erhob sich die ganze Versammlung auf ihre Knie, alle verneigten sich dreimal tief und berührten dabei jedesmal mit der Stirn den glatten Marmorflur. Darauf sprachen sie mit gesenktem Kopf, mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen die Antworten auf die Gebete des Oberpriesters. Zuerst redete er, dann die Gemeinde, schließlich sprachen alle zusammen.
Dok Mali verstand nicht mehr viel von diesen Gebeten, aber es war eine so feierliche Stille und Ruhe um sie, daß sie sich unwillkürlich wohl und geborgen fühlte. Und da kam das Wunderbare über sie – auch ihre Hände falteten sich, und sie betete heiß und innig. Der Weihrauch duftete. Die Worte der Priester tönten in wohllautendem Gleichklang, und das goldene Buddhabild blickte mild verklärt vor sich nieder, als ob es alle Gebete erhören und erfüllen könnte. Was Dok Mali betete, wußte sie selbst kaum. Aber immer heißer rang sich in ihr der Wunsch empor: Laß Rata und mich vereint glücklich werden! Nun war das ja kein buddhistisches Gebet im alltäglichen Sinne, aber sie war dabei so fromm und andächtig gestimmt und fühlte sich so gut und zufrieden, daß ein allgemeines Glücksgefühl sich ihrer bemächtigte.
Jetzt begann die Predigt. Nur eingangs verstand sie einige Sätze: »Vom Lieben getrennt sein bringt Leiden.« Diese Worte fanden tiefen Widerhall in ihrer Seele, denn diese Wahrheit galt ja auch für sie.
Der Tempeldienst war zu Ende. Bevor Dok Mali ins Boot stieg, blickte sie sich noch einmal nach dem Tempel um. Märchenhaft strafften sich die Pfeiler vor der magisch leuchtenden Tempelwand. Verhallend klang ein Gebet aus dem Tempel. Das Mondlicht lag breit auf den großen quadratischen Steinplatten des Hofes und glitzerte in dem Goldmosaik der Tempelgiebel und Drachenköpfe, die sich an allen Ecken der hochgetürmten Dächer schirmend und drohend erhoben. Eine leichte Brise kam und ließ die silbernen Glöckchen an den Traufkanten ertönen.
Nang Kulap war schon eingestiegen und rief ihre Töchter, die sich nur schwer von diesem Märchenbild trennen konnten. Auf der Heimfahrt schmiegte sich Dok Mali eng an ihre Mutter. Ihre linke Hand ließ sie ins Wasser hängen, so daß ihr Puls angenehm gekühlt wurde. Die Ruderer trieben in gleichem Takt das Boot vorwärts, ruhig und lautlos glitt es in den Fluten dahin.
Nur zu bald war man wieder vor dem heimatlichen Palais angekommen.
*
Fast wie im Traume stieg Dok Mali aus dem Boot. Sie war die erste an Land und wollte gerade zum Parktor quer über die Straße gehen, als plötzlich ein Mann mit wilden Zügen auf sie lossprang, sie mit beiden Armen packte, hochhob und mit ihr davonlief. Sofort erwachte ihre Energie. Sie stieß einen lauten Hilfeschrei aus und faßte den Räuber mit beiden Händen an der Gurgel, die sie mit aller Kraft zudrückte. Sie fühlte, wie er ihr durch den festen Druck seiner Arme fast das Rückgrat zerbrach. Wieder schrie sie; der Mann, der sie trug, eilte die Uferböschung hinab. Dabei strauchelte er und kam zu Fall. Dok Mali fühlte den schweren Aufschlag, aber sie hatte sich nicht verletzt, denn sie war in den Schlamm am Ufer gefallen. Wieder schrie sie laut gellend; hörte denn keiner von ihren Leuten? Starke Arme packten sie und warfen sie in ein Boot. Schmerz durchzuckte sie, ihre Sinne schwanden bei dem Anprall auf den harten Brettern.
Die Bootsleute des Pya Prajura standen einen Augenblick wie gelähmt, dann nahmen sie die Verfolgung auf. Der vorderste erreichte gerade den Räuber mit einem schweren Schlag seines Ruders, er sah ihn dicht am Ufer mit seiner Herrin hinstürzen. Aber ehe er ihn packen konnte, hatten seine Spießgesellen ihn und Dok Mali in das daneben haltende, große Boot gezogen. Der Motor sprang an, und mit größter Geschwindigkeit fegte das Fahrzeug den Kanal entlang, eine Welle zog mit ihm und ließ die vielen Kähne und Nachen längs des Ufers schaukeln. – Solch eine Frechheit! Es war das neueste Motorrennboot Pya Prajuras selbst, in dem die Strolche davonsausten.
Eben kam der Finanzminister mit seinem Auto zurück. Sofort erkannte er die Situation. – Höchste Eile, oder die Verfolgung war aussichtslos! Das Motorboot, das die Prozession begleitet hatte, schickte er sofort nach – nur die Flüchtigen im Gesicht behalten! Er selbst fuhr mit seinem Wagen den Kanal entlang. An der Brücke Tapan Dam konnte er sein Rennboot wieder sehen. Es war Hochwasser und großer Verkehr im Kanal. Ein Rufen, ein Lärm, aber keiner verlegte dem Rennboot den Weg. Kurz entschlossen sprang der Pya bei der Polizeistation am Ufer vom Auto ab. Mit wenigen Sätzen war er beim wachthabenden Offizier. Ohne Gruß und Wort zu verlieren, riß er den Telephonhörer vom Haken.
»Ist dort Zentralpolizeiamt?«
Wieder hängte er ein und drehte wütend an der Kurbel. – »Endlich! Hier Pya Prajura, Station Tapan Dam. – Überfall und Entführung meiner Tochter. Räuber fliehen in meinem eigenen Rennboot Kanal Hua Lampong zum Fluß. Wenn möglich, Rennboot bei Mündung des Kanals abfassen, sonst allgemeine Verfolgung auf dem Fluß und im Hafen! – – Wiederholen! – Allright!«
Wieder läutete der Pya wie besessen. – »Nun wird's bald auf dem Amt! Hier Pya Prajura! – Hauptzollamt!«
»Wer dort?« –
»Soeben großer Raubüberfall, Räuber fliehen in meinem Rennboot zum Hafen von Menam. Sofort alle Patrouillenboote absenden, Fluß unten bei Bangkolem und oben bei Suon Dusit absperren. Mannschaften scharf laden lassen, genügend Munition mitgeben. Größte Eile! Aber Vorsicht beim Schießen! Eigene Tochter im Rennboot!«
So, das wäre erledigt. Ohne Gruß stürzte Prajura wieder hinaus zu seinem Wagen.
»Zum Hauptzollamt!«
Diese langweiligen Telephonisten! Aber morgen würde er den Nachtmützen schon zeigen, was es heißt, Pya Prajura warten zu lassen! Wo wird Dok Mali jetzt sein? Er zog die Uhr. Scharf bremste der Wagen, so daß er fast vornüberstürzte.
Er war am Zollamt. – Schon stand er auf der Landungsbrücke. Was? Die Patrouillenboote waren noch nicht fort? Wutschnaubend eilte er ins Zentralbüro und hätte beinahe Pra Banurak über den Haufen gerannt, der gerade die Besatzungsmannschaften nach allgemeiner Befehlsausgabe in die Boote brachte.
»Sofort mein eigenes Boot klarmachen!« –
Die Patrouillenboote stießen ab.
»Sie begleiten mich, Pra Banurak!«
Die Sirenen heulten.
*
Dok Mali erwachte. Das Rattern des Motors und das Zittern des ganzen Bootes drang zuerst zu ihrem Bewußtsein durch. Wo war sie? Stechen im Kopf, Schmerzen an der rechten Schulter. – Langsam kam ihr die Erinnerung an den schrecklichen Banditen mit dem wilden Gesichtsausdruck. Sie wollte sich bewegen, aber alle ihre Glieder schmerzten. Sie versuchte, sich ihre Lage klarzumachen. Der Mond schien hell. Sie war doch vorher im Tempel gewesen – dann die Rückfahrt und dann – ja dann stieg sie aus, und da kam der wüste Geselle. Jetzt fühlte sie, daß sie über und über mit Schlamm bedeckt war. Vorsichtig sah sie sich um – vorn am Steuer saßen zwei Mann und hinten lugten zwei Gestalten scharf aus. – Sie wurde geraubt. Blitzartig erkannte sie ihre Lage. Den Wellen nach zu urteilen, mußten sie im Strom fahren. Wenn sie sich jetzt aufrichten könnte, würde sie über Bord springen und ans Ufer schwimmen. Sie versuchte, sich ein ganz klein wenig zu bewegen, aber die Schmerzen waren zu groß. Sie stöhnte. Gleich war einer der Männer neben ihr und band mit einer Hanfleine blitzschnell ihre Füße zusammen; sie wehrte sich, so gut sie konnte; doch die Schmerzen waren zu heftig, sie sank wieder zurück. Jetzt wollte man auch ihre Hände binden, sie schlug um sich, und als sie der rohen Kraft erlag, biß sie wütend, in die Hand, die sie am Gelenk gepackt hatte. – Ein rauher Griff ins Genick war die Antwort. Sie schrie furchtbar auf. Plötzlich wurde ihr ein großes Tuch um den Mund geschlungen. Ihr Schrei erstarb. Nur mühsam konnte sie etwas Luft durch die Nase bekommen. Ihre Lage war unerträglich.
*
Pya Prajura schimpfte. Wie war das möglich, daß das schnelle Rennboot losgemacht wurde, er hatte es doch mit den festesten Bronzeketten und Yaleschlössern gesichert! Er saß vorne in seinem Motorboot. Soeben kam er zu der Polizeistation an der Mündung des Kanals Hua Lampong. Rasch sprang er aus dem fahrenden Boot auf die Landungsbrücke.
»Der Alarmbefehl kam zu spät, das Rennboot ist auf den Fluß entkommen!«
»Also weiter! Wohin ist das Rennboot gefahren?«
»Das wissen wir nicht.«
»Eine schöne Strompolizei!« Die sollten in seinem Ministerium sein, die wollte er einmal auf Draht ziehen! Das Polizeimotorboot der Station fuhr erst jetzt ab!
*
Die Leute des Pya Prajura im Motorboot, das sofort die Verfolgung aufgenommen hatte, blieben im Kanal zurück.
»Das Rennboot kann keiner schnappen ...«
»Wir müssen aber wenigstens das Aussteigen der Kerle unterwegs zu verhüten suchen!«
Der Motor ratterte.
»Gib Vollgas!«
»Ist schon auf Vollgas!«
Drei Mann waren in dem großen Boot.
»Da vorn kann ich das Rennboot sehen!«
»Sehr gut, das große Reisboot legt sich quer vor, wenn wir Glück haben, können wir's erreichen.«
Der Bootsmann hatte richtig gesehen, die Fliehenden hatten unerwünschten Aufenthalt. Immer näher kamen sie dem Renner.
»Wenn dieser Idiot von einem Chinesen nur nicht die Fahrrinne freigibt ...«
Das Rennboot war vorbeigeflitzt, gleich darauf die Verfolger. – Der Abstand wurde größer.
»Wenigstens sind sie jetzt auf dem Fluß!«
Als die Leute Pya Prajuras an der Polizeistation vorbeisausten, rief der Posten »Halt!« Das rote Licht blitzte auf.
»Die Schlafmützen! Nicht anhalten!«
Zum zweiten Male »Halt!«
Das große Motorboot der Verfolger war schon weit im Strom. Da krachte ein Schuß. Die Kugel schlug in die Bootswandung ein.
»Tüchtige Leute!«
Auf dem Strom herrschte ein lebhafter Bootsverkehr. Schwerfällige Dampfschiffe, groß und unbeholfen, ließen ihre Pfeifen ertönen, Sampanboote und kleine Ruderkähne wimmelten auf dem Fluß. Jetzt leuchteten die Scheinwerfer der großen Kanonenboote auf und suchten die Wasserfläche ab. Signale, Sirenen! Leben kam in das Flußbild.
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Die Zollstation bei Bangkolem war alarmiert. Der Scheinwerfer vom Dachturm spielte. Die Postenboote waren ausgefahren und durch Sperrketten verbunden. Auf den Booten blitzten die roten Signallichter. Hier konnte niemand durch. Jetzt! Dort! Der Posten am Scheinwerfer hatte das Rennboot im Lichtkegel. Es sah wunderbar aus, wie das flinke wendige Boot zu beiden Seiten das Wasser wie eine Fontäne verdrängte. Ein Raketenschuß zur Warnung. Rot zischte die leuchtende Kugel dicht vor dem Bugspriet der Fliehenden vorbei. Das Rennboot stoppte und wandte zurück. Das schnelle Zollschiff stieß nach. Der Renner fuhr stromauf, die Zollpinasse hart hinterher, doch das Rennboot war schneller, wurde aber von den Leuchtkegeln der Zollstation und des Zollschiffes verfolgt. Wo blieben die Verfolger von der Stadt her? – Die Fahrzeuge lagen in Kiellinie. Immer größer wurde der Abstand. Da – die ersten Scheinwerfer von der Gegenseite! Jetzt hatten auch sie den Flüchtling gefaßt. Aber was war das? Die Verfolgten drehten nach dem jenseitigen Ufer ab, die flinke Zollpinasse folgte sofort. Sind die wahnsinnig? – Dicht vor dem Ufer sah man, wie sich das Rennboot hochbäumte, es mußte aufgefahren sein.
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Dok Mali lag todmatt in den Armen ihres Vaters. Sie konnte nicht sprechen. Der Pya saß in dem großen Boot vorn auf dem Boden; alle verfügbaren Decken hatte er zu einem Ruhelager für seine Tochter zusammengelegt. Ihren Kopf hielt er in seinem Schoß.
Das Rennboot war gegen ein altes Schiffswrack gefahren, das dicht am Ufer unter der Wasseroberfläche moderte. Der Zusammenstoß erfolgte so heftig, daß das Vorderteil des Rennboots zertrümmert wurde. Die Banditen sprangen ins Wasser und waren gleich darauf in dem Dschungel am Ufer verschwunden. Als das Zollboot als erstes zur Stelle kam, fand man die gefesselte, bewußtlose Dok Mali halb im Wasser. Glücklicherweise lag ihr Kopf so hoch, daß sie nicht ertrunken war.
Nach einer Woche konnte Dok Mali wieder ausfahren. Überall wurde sie auf den Straßen ehrfurchtsvoll und höflich begrüßt. Die meisten kannte sie gar nicht; solche Volkstümlichkeit berührte sie unangenehm. Aber sie war nun mit einem Male über Nacht zur Heldin des Tages geworden. Die fremden Diplomaten rechneten bereits mit ihrem Einfluß beim König; einige hatten ihr schon ihre Aufwartung gemacht, und sie war noch jung genug, um sich dadurch geschmeichelt zu fühlen. Ihr Vater brauchte diesen Erfolg und nutzte ihn rücksichtslos aus. Bei der letzten großen, öffentlichen Audienz wurde er vom König besonders lange zur Unterhaltung herangezogen.
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Als Dok Mali nach Siam zurückkam, hatte sie alles Europäische geschätzt und alles Siamesische verachtet, aber bald merkte sie, daß auch sie in den alten Traditionen ihrer Heimat verwurzelte. Sie lauschte jetzt wieder den Märchen und Erzählungen ihrer Amme. Auch wurde sie mit ihren Eltern verschiedene Male zu Theateraufführungen eingeladen, und die siamesischen Tänze und Balletts machten einen tiefen Eindruck auf sie. Sie brauchte diese Figuren und Stellungen auf der Bühne nur einmal zu sehen, dann war es ihr ein leichtes, sie zu Hause vor dem Spiegel nachzutanzen.
So verging etwa ein Monat. Der König schickte mehrmals in der Woche Blumen. Von Pra Rata erhielt sie selten Nachricht; wahrscheinlich wurden seine Mitteilungen oft unterschlagen. Aber sie wagte nicht, sich darüber zu beklagen.
Am liebsten besuchte sie auf ihren Spazierfahrten den Dusitpark. Die beiden begleitenden Diener waren mit Brownings bewaffnet worden, und auch sie selbst trug eine kleine Repetierpistole im Gürtel.
Eines Tages fuhr sie zur Zeit der Abendkühle wieder dorthin. Ihre Schwester war von Georges de Pérard zu einer Tennispartie abgeholt worden. Die Fenster des Dusitpalais strahlten im Widerschein der untergehenden Sonne. Plötzlich bemerkte sie am Wege Parkwächter, die ihr mit der Hand winkten. Sie fuhr ruhig weiter, ohne darauf zu achten. Da sah sie mehrere Herren des königlichen Gefolges, die ihr den Weg vertraten. Hinten rechts auf einer Bank saß Seine Majestät. Sie wollte umkehren, aber schon hatte Pra Paramin sie erkannt. Es half nichts, sie mußte vom Wagen steigen und wurde zu ihm geleitet. Er war aufgestanden und kam ihr entgegen.
Sie war mit ihm allein. Die Begleitung hatte sich diskret zurückgezogen, auch ihr Dogcart war außer Sehweite gefahren. Pra Paramin reichte ihr in europäischer Weise die Hand und duldete nicht, daß sie vor ihm niederkniete. Er begann ein scherzhaftes Gespräch mit ihr, das ihr bald über die erste Verlegenheit hinweghalf. Da bemerkte sie an seiner Hand den Ring, den sie ihm angesteckt hatte. Auch der König sah, daß sie darauf aufmerksam wurde. Sie dankte ihm für alle Wohltaten, aber er wollte nichts davon hören und schlug ihr einen kleinen Spaziergang an dem Ufer des Sees im Park vor, in dessen unmittelbarer Nähe sie weilten.
Er ließ Dok Mali rechts gehen, und als sie bei einer Biegung des Weges plötzlich an seiner Linken auftauchte, fragte er belustigt, ob sie schon vergessen habe, daß in Europa die Damen immer rechts gingen. Und bald waren sie in eifriger Unterhaltung. Sie kamen an die malerische Holzbrücke, die zu einer kleinen Insel führte. Sie gingen hinüber, drüben stand dicht am Ufer eine Bank.
Das Abendrot leuchtete in prachtvollen Farben. Dok Mali nahm auf eine einladende Handbewegung Platz, dann setzte sich auch der König. Das Gespräch kam unwillkürlich auf das Eheproblem, und er ging auf alle ihre Ideen ein. Zum erstenmal fand sie einen Menschen außer Rata, der ihren Standpunkt verstand und mit ihr als einem gleichberechtigten Partner sprach. Sie war lebhaft geworden und sagte bescheiden, aber bestimmt ihre Meinung, die sie auf verschiedene, von ihm gut gewählte Einwürfe ändern mußte. Sie trug alle ihre Gründe gegen eine Heirat mit dem König liebenswürdig vor und vergaß dabei eigentlich, daß er neben ihr saß.
Nachdem er sie überzeugt hatte, daß er sie lieben werde, als ob sie seine einzige Frau sei, empfand sie nur noch das Zusammenleben mit all den anderen Frauen als Stein des Anstoßes.
»Und falls ich dir nun an diesem schönen See – wenn du willst, auf dieser Insel – ein eigenes Palais bauen lasse, wo nur du allein wohnst, und wo ich dich sooft besuche, wie du möchtest, könntest du mich dann nicht heiraten?«
Das war mehr, als sie erwartet hatte. Aber nun mußte sie sich verteidigen. In ihrer Not und Verwirrung kam sie auf den unglücklichen Einwand:
»Die Königinnen dürfen sich aber, wenn sie auch noch so jung sind, nach dem Tode des Königs nicht wieder vermählen.«
Pra Paramin lächelte und fragte leise: »Werde ich denn so bald sterben?«
Dok Mali sah plötzlich die Ungeschicklichkeit ihrer Entgegnung ein, die so lieblos klang. Sie wurde fassungslos.
Die Sonne war untergegangen, und die Dämmerung brach schnell herein.
»Und auch das will ich dir noch zusichern – du sollst die Freiheit haben, dich nach meinem Tode wieder zu verheiraten ...«
Dok Mali kniete vor ihm nieder. Seine Güte hatte sie entwaffnet. Er zog sie zu sich empor, eine heiße Welle flutete über ihren Körper. Der König küßte sie auf die Stirn, sie hob ihren Kopf und bot ihm ihre Lippen. Sie war so sehr in seinem Banne, seine Persönlichkeit wirkte so stark auf sie, daß alles andere für sie versank. Eine weiche Müdigkeit überkam sie. Hätte er sie jetzt begehrt, so wäre sie sein geworden ...
Er fühlte, wie sich ihr zarter Körper an ihn schmiegte. Aber er wollte seinen Sieg nicht zum Triumph steigern. Sanft ließ er sie auf die Bank zurückgleiten und behielt nur ihre Hand in der seinen. Dann begleitete er sie langsam zu ihrem Wagen. Es war ganz dunkel geworden. Vor dem Abschied sagte er ihr noch, daß er meist abends an der Insel spazieren gehe.
Er wußte, daß sie jetzt den Weg zu ihm finden würde.
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Zum ersten Male ließ Dok Mali den Kutscher von seinem hinteren Stande aus die Zügel führen. Die traumhafte Stimmung war noch nicht von ihr gewichen. Als sie nach Hause kam, hatte man sich dort schon sehr um sie gesorgt. Gerade wollte Pya Prajura die Polizei benachrichtigen.
Es mußte etwas vorgefallen sein – Dok Mali hatte einen so sonderbar friedlichen Ausdruck und war so still, wie man es sonst von dem Brausekopf nicht gewohnt war. Der Vater hatte denn auch bald von den beiden Dienern erfahren, daß sie in dem Dusitpark den König getroffen hatte, und daß dieser über anderthalb Stunden mit ihr im Park spazieren gegangen sei.
Man ließ Dok Mali in Ruhe. Nang Kulap freute sich, daß aus der geplanten Ehe nun sogar eine Liebesheirat werden würde.
Die Amme massierte Dok Mali und erzählte ihr das Märchen von dem Prinzen mit der goldenen Zunge. Sie konnte aber nicht ruhen. Der König hatte die Leidenschaft in ihr wachgeküßt. Eine Dienerin setzte die Punka, den von der Decke herabhängenden großen Fächer, in Bewegung. Die Mutter ließ sich auf dem Diwan nieder, und Dok Mali erzählte ihr. Dabei wurde sie sich der Tragweite ihres Erlebnisses bewußt, und während das übergroße Glück das Herz der Mutter mit stolzer Freude erfüllte, löste sich die Spannung Dok Malis in Tränen. Nang Kulap wußte, daß es Freudentränen waren; ihre zarte Hand streichelte auch diesen Sturm des Gemüts zur Ruhe, und Dok Mali schlief ein.
Vorsichtig hing man ein Moskitonetz über dem Diwan auf.
*
Im Palastministerium saß Pra Rata; er hatte einen Brief vor sich, in dem ihm die Pariser Juwelierfirma Gaudet & Géricault mitteilte, daß das für die Königin bestimmte Perlenhalsband fertiggestellt sei und mit dem Dampfer »Moravia« als eingeschriebenes Wertpaket mit allen Vorsichtsmaßregeln, die einzeln aufgeführt waren, von Marseille abgesandt sei. Daneben lag ein Telegramm aus Singapur, das ihm den Eingang der kostbaren Sendung und Weiterbeförderung mit dem Dampfer »Nuen Tung« meldete, der heute in Bangkok eintreffen sollte. Das Schiff hatte draußen an der Barre ausnahmsweise schlechte Flutverhältnisse angetroffen und konnte erst kurz vor Mittag hereinkommen.
Es war erst zehn Uhr; wenn er um dreiviertel elf fortfuhr, konnte er noch lange vor Ankunft des Dampfers dort sein.
Im Palastministerium herrschte gähnende Leere, gewöhnlich hatten die Herren spät Dienst, und am Morgen fing die Amtszeit – wenn überhaupt eine solche vorhanden war – erst gegen Mittig an. Er nahm sein Journal, um die eingegangene Post einzutragen, unterließ es aber, da es an der Tür klopfte.
Er stand auf und sah persönlich nach, wer sich schon so früh hierher verirrt habe. Ein Lakai brachte einen Brief. Pra Rata ahnte gleich, woher er kam, gab dem Boten reichlichen Lohn, ließ ihn warten und setzte sich mit dem Schreiben in seinen Sessel. Die Briefe und das Telegramm hatte er, ohne sich etwas dabei zu denken, in die Tasche gesteckt.
Dok Mali bat ihn, wenn irgend möglich, heute nachmittag um zwei Uhr unauffällig am Palais Prajuravong vorbeizufahren. Ihm schien das sehr gewagt, trotzdem schrieb er kurz ein paar zusagende Zeilen, und gab sie dem Boten mit.
Eine große Unruhe bemächtigte sich seiner. Was konnte Dok Mali veranlassen, unter Preisgabe jeder Vorsicht so zu handeln? Über alles war er unterrichtet und hatte auch von ihrer letzten Zusammenkunft mit dem König erfahren. Im Palastministerium galt es bereits als ziemlich sicher, daß sie die Werbung Pra Paramins annehmen werde. Rata hatte schon viele Wendungen in seiner Liebesgeschichte erlebt, viel gehofft und oft gezweifelt. Jetzt vermutete er wieder einen neuen Sturm. Wollte sie Abschied von ihm nehmen?
Da schlug die Uhr im Zimmer mit langgezogenen Schlägen elf. Richtig, um dreiviertel elf wollte er ja zur »Nuen Tung«! Er sprang auf, stieg in sein Auto und gab dem Chauffeur die Dampferanlegestelle als Ziel an.
Die lange New Road war zu dieser Zeit sehr belebt, und man konnte den Wagen nicht laufen lassen. Pra Rata hatte die Uhr in der Hand. Plötzlich fielen ihm die Schiffspapiere ein, die er zur Einlösung unbedingt haben mußte. Eben hatte er dem Chauffeur befohlen, umzukehren, da fühlte er sie in seiner Tasche. Er geriet in Aufregung. Warum eilte er denn so, er konnte das Wertpaket ja noch am Nachmittag in Empfang nehmen! Aber eine innere Unruhe trieb ihn vorwärts. Er schlug sein Notizbuch nach und sah, daß heute für ihn ein Unglückstag sein sollte. Abergläubisch war er nicht, aber in seinem Horoskop hatte sich schon so viel bewahrheitet, daß er doch stutzte. Sicher hing das Unheil mit Dok Mali zusammen. Unter diesen Gedanken malte er sich ihr Bild aus.
Da hielt der Wagen vor dem Schiffsbüro. Unwillig stieg er aus. Die Dampfpfeife der »Nuen Tung« ertönte – jetzt fuhr das Schiff an Bangkolem vorbei. In einer halben Stunde mußte es hier sein. Er ging in das Office des Shipping Clerc und stellte sich vor.
Golenaar war ein Holländer, der ihn sehr liebenswürdig empfing und ihn zu einem Glas Wermut einlud.
Man plauderte über gleichgültige Dinge. »Wird die Fahrrinne durch die Barre nicht nächstens wieder ausgebaggert?«
Rata wußte es nicht, es interessierte ihn auch nicht. Trotzdem versuchte er höflich zu antworten: »Die siamesische Regierung legt Wert darauf, daß der Kanal durch die Barre nicht zu tief wird, damit keine größeren Kriegsschiffe die Menammündung passieren können. Sonst wäre es mit der Selbständigkeit Siams schlecht bestellt. Die Schlammbarre vor der Mündung ist für uns ebensoviel wert wie eine Flotte, die den Hafen von Bangkok verteidigt.«
Golenaar goß wieder ein und suchte das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen. Pra Rata liebte diese Art Leute nicht, verbarg aber seine Abneigung und erzählte ihm, wie noch der Onkel des regierenden Königs einen feindlichen Einfall von der Meeresküste aus so sehr fürchtete, daß er große Ketten und Teakbäume über den Fluß ziehen ließ, um ihn zu sperren.
Endlich kam der Dampfer. Golenaar mußte hinausgehen. Pra Rata wollte lieber im Office bleiben, draußen wurde man den Kapitänen und Schiffsoffizieren vorgestellt, und das waren gewöhnlich keine sehr angenehmen Bekanntschaften.
Nach etwa einer Viertelstunde kam Golenaar wieder, händigte ihm das verhältnismäßig kleine Paket aus und ließ die Empfangsquittung unterzeichnen. Pra Rata steckte das Päckchen in seine Tasche und fuhr mit seinem Auto zum Palastministerium zurück. Dort ging er in sein Büro. Noch war niemand von den höheren Beamten zugegen.
Auf der Rückfahrt dachte er nur daran, welch neues Unglück ihn wieder bedrohe.
Plötzlich fühlte er das Paket in seiner Tasche, das sich an der Seitenwange des Sessels drückte. Er holte es hervor, nahm sein scharfes Taschenmesser, löste vorsichtig die Siegel und zerschnitt erst die äußere, dann die innere Hülle. Endlich lag das feine Lederetui in seiner Hand.
Er öffnete es – aber es war leer –
Zuerst überschaute er die Tragweite dieser Tatsache nicht völlig, dann aber kam ihm plötzlich die ganze Schwere seiner Lage zum Bewußtsein. Fast ohne zu wissen, was er tat, las er den Briefwechsel mit Gaudet & Géricault noch einmal durch. Darin standen ja auch die »Vorschriften und Verhaltungsmaßregeln beim Empfang«. Hätte er das doch nur beachtet! Jetzt war es zu spät. Und das mußte gerade ihm geschehen, der doch sonst so gewissenhaft und vorsichtig in allen dienstlichen Angelegenheiten handelte.
Anstatt den Vorfall sofort zu melden, überlegte er: das Halsband wird von der Königin frühestens in vier Wochen erwartet – solange habe ich Zeit, die Sache in Ordnung zu bringen. Er dachte daran, daß die Korrespondenz noch nicht eingetragen war, und ließ sich dadurch dazu verleiten, die Angelegenheit zu verheimlichen.
Ein Page kam und rief ihn zum Prinzen Naret, der Rata fragend anschaute, da ihm sein schlechtes Aussehen auffiel. Als er ihm ein Aktenstück reichte, bemerkte er auch das Zittern seiner Hand. Er wußte, daß Rata sich nicht schonte und unermüdlich war, und daß ihn sowohl der König als auch die erste Königin mit Nebenaufträgen überhäuften – sicher ein Zeichen ihres allerhöchsten Wohlwollens.
»Sind Sie krank, mein lieber Pra Rata? Sie sehen sehr schlecht aus. Wollen Sie Urlaub haben, um sich einmal vierzehn Tage zu erholen?«
Rata fühlte sich so elend, daß ihn diese Worte des Prinzen wie eine Erlösung dünkten. Er benützte die Gelegenheit und bat um Urlaub. Der Palastminister reichte ihm teilnahmsvoll die Hand und wünschte ihm gute Besserung. Das bedeutete viel, denn Naret war sonst nicht zart besaitet.
Ratas Hand war fieberheiß. Er ging in sein Amtszimmer zurück und versuchte, seiner stürmenden Gedanken Herr zu werden. Für alle Fälle schien es ihm gut, den genauen Vorgang schriftlich festzulegen. Dieser Entschluß brachte ihm Erleichterung. Sofort setzte er sich hin, seine Feder jagte über das Papier. Er schrieb keinen sachlichen Bericht, sondern beteuerte nur immer wieder seine Unschuld. Schließlich verschloß er das fertige Schriftstück und adressierte es an den Palastminister. Dann legte er es mit der ganzen Korrespondenz, den leeren Kartons und dem Lederetui in die Schublade seines Schreibtisches und schloß diese ab. Den Schlüssel trug er stets bei sich.
Langsam stieg er die Treppe zum Hof hinunter. Er hatte vorher sein Auto fortgeschickt und stand nun allein. Planlos ging er die Straße entlang. Wer war an seinem Unglück schuld? Doch nur diese treulosen Europäer! Bis jetzt stand er den extrem chauvinistischen Kreisen fern. Aber seine Freunde hatten recht. Welches Elend hatte diese weiße Rasse über sein Vaterland gebracht! – – Die große Juwelierfirma in Paris? – Nein, die konnte es nicht gewesen sein. Aber irgendeiner dieser weißen Heuchler mußte die Kette gestohlen haben!
Jetzt hatten sein Zorn und seine Wut ein Ziel, in das er sich immer mehr verrannte. So war er in Gedanken am Ufer des Menam unter den großen, alten Bäumen an der königlichen Landungsbrücke angekommen. Er fühlte sich grenzenlos elend und müde, so todmüde! Ach, einschlafen können und nie wieder aufwachen!
Er schaute in das tiefe gurgelnde Wasser – – – Nein, kein Selbstmord! Er war Buddhist und das aus innerster Überzeugung. Seine Gedanken wurden immer trüber und schwärzer.
Ein Rikshakuli bot seine Dienste an. Er stieg ein und rief ihm zu:
»Tempel der Lotosteiche!«
Dort in der Nähe lag seine Wohnung. Der Kuli lief in gestrecktem Lauf und dachte, seine Sache recht gut zu machen. Aber das Stoßen seiner Schritte schmerzte Rata, er ließ ihn langsam gehen.
Jetzt sterben können – von Dok Mali zu Tode geküßt ...
Der Rikshakuli setzte sich von selbst wieder in langsamen Trab – Rata sagte ihm nichts mehr.