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9.

Sir Richard Richmond stieg die Treppe in der Halle hinauf und ging über den schweren Teppich in der Galerie in sein Arbeitszimmer. Auf sein Klingeln erschien Miller.

»Hat jemand angerufen. Sind Telegramme oder Briefe gekommen?«

»Post ist nicht eingelaufen, aber es war inzwischen eine Dame hier, die nach Ihnen fragte.«

»Wer war es denn?«

»Sie hat ihren Namen nicht genannt.«

»Wie sah sie aus?«

»Sie war eine auffallend schöne Erscheinung und trug einen grauen Fehmantel und eine Kappe aus demselben Pelz.«

»Und was wollte sie?«

»Sie wünschte Sie zu sprechen. Als ich sagte, Sie wären nicht zu Hause, stellte sie viele Fragen, die mir sonderbar vorkamen.«

»Ich kann mir denken, wer es war. Nehmen Sie sich vor der Dame in acht, wenn sie wiederkommen sollte, und sagen Sie möglichst wenig.«

»Sehr wohl.«

Sir Richard sah den Butler fragend an, denn der Mann blieb noch an der Tür stehen.

»Gibt es sonst noch etwas?«

»Die Köchin hat drei Freikarten fürs Kino bekommen, und ich möchte fragen, ob wir heute abend ausgehen können.«

»Ich habe nichts dagegen. Ich brauche Sie heute abend nicht.«

Miller bedankte sich und verließ das Zimmer.

Richmond stand einige Zeit nachdenklich vor dem großen Spiegel. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß Ria Bonati hiergewesen war. Er runzelte ärgerlich die Stirn.

In mißmutiger Stimmung fuhr er später zum Savoy-Hotel, ging sofort auf sein Zimmer und kleidete sich für den Abend um. Als er fertig war, rief er Ria Bonati an.

»Wie ist es – kann ich dich zum Essen abholen?«

»Ja. Ich warte bereits auf dich.«

Kurz darauf fuhren beide mit dem Fahrstuhl nach unten und gingen den Korridor entlang, der zum Speisesaal führte. Ihr stahlblaues Samtkleid stand vorzüglich zu dem Platinblond ihrer Haare. Eine große Brillantagraffe am Gürtel war ihr einziger Schmuck, und die kostbaren Steine warfen sprühend das Licht der großen Kronleuchter in allen Farben des Regenbogens zurück.

Bewundernd betrachtete er sie. Er hatte sich über sie geärgert, und im Grunde war er ihrer überdrüssig, aber an diesem Abend übte sie wieder große Anziehungskraft auf ihn aus, und er stand ganz unter ihrem Bann. Mürrisch war er zum Hotel gefahren und hatte ihr Vorwürfe machen wollen, aber nun sagte er kein böses Wort, sondern war galant und höflich zu ihr.

Als sie in den Speisesaal traten, fielen sie allgemein auf. Der Oberkellner kam ihnen entgegen und führte sie zu einem besonders gutgelegenen Tisch, der stets für sie reserviert blieb.

»Du siehst heute wieder entzückend aus«, sagte er, winkte die Blumenverkäuferin heran und kaufte ihr einen großen Strauß brennendroter Rosen ab, die er Ria reichte.

Sie dankte anscheinend gleichgültig, und er zerbrach sich den Kopf, warum sie so abweisend war.

Ein Page eilte dienstfertig herbei, nahm die Blumen in Empfang, brachte sie in einer Vase zurück und stellte sie auf den Tisch.

Gleich darauf erschien der Oberkellner wieder. Sir Richard hatte die Speisekarte genommen und stellte das Menü zusammen, nachdem er sich nach Rias Wünschen erkundigt hatte.

»Eigentlich wollte ich oben mit dir sprechen«, sagte sie plötzlich, »aber du bist ja erst im letzten Augenblick gekommen.«

»Was gibt es denn?« fragte er erstaunt.

»Beim Mittagessen sagtest du mir heute, du müßtest zur Bank gehen und würdest bald wiederkommen.«

»Ja. Aber warum erinnerst du mich daran?«

»Ich habe so getan, als ob ich mich zur Ruhe legen wollte, aber dann bin ich dir gefolgt und habe gesehen, daß du zu deinem Haus in der Bruton Street gefahren bist. Soviel mir bekannt ist, gibt es dort keine Bank«, fügte sie ironisch hinzu.

»Ich hatte dort zu tun.«

»Aber warum hast du mir denn vorher nichts von deinem Haus erzählt? Warum hast du es mir nicht gezeigt? Du kannst dir doch denken, daß mich das interessiert.«

Diese Wendung des Gesprächs war ihm unangenehm. Er hatte seine Gründe, warum er ihr das verschwiegen hatte und mit ihr während seines hoffentlich nicht allzu langen Aufenthaltes in London im Savoy-Hotel wohnte. Bis jetzt war alles gut gegangen, und es war ihm sehr peinlich, daß sie diese Entdeckung gemacht hatte.

»Ich bin dabei, es zu schließen und den Haushalt aufzulösen.«

»Das scheint aber nicht zu stimmen. Wozu hast du denn für die kurze Zeit wieder vollzähliges Personal engagiert?«

Ein Kellner erschien und servierte, ein anderer brachte den bestellten Sekt. Sir Richard wartete mit seiner Antwort, bis die beiden sich wieder entfernt hatten.

»Ich habe die Leute nicht angestellt, sondern mein Anwalt Stetson. Er hat es von sich aus getan – du kennst ihn ja auch.«

»Das ist doch wohl dasselbe. Ich möchte überhaupt einmal offen mit dir reden.«

»Sprechen wir denn nicht immer offen miteinander?«

»Ich habe heute nachmittag gemerkt, daß du mir viel verheimlichst.«

»Aber Ria, wie kannst du so etwas sagen!«

»Ich habe in der Taxe in der Nähe des Hauses gewartet. Es dauerte ziemlich lange, bis du wieder herauskamst. Von deiner Wohnung in der Stadt hattest du ja gesprochen, aber du hast mir doch, bevor wir nach London kamen, ausdrücklich versichert, daß du dein Personal entlassen hättest und deshalb im Hotel wohnen wolltest.«

»Ich wohne doch auch im Hotel.«

»Aber trotzdem bist du jeden Tag in der Bruton Street. Als du fortgegangen warst, stieg ich aus und klingelte an der Haustür. Dann sah ich deine schöne Sekretärin, die mir die Tür aufmachte. Es war mir riesig interessant, diese junge Dame kennenzulernen, die offenbar der magnetische Anziehungspunkt der Bruton Street für dich ist.«

Ria Bonati war zwar eine gefeierte Artistin, aber die Tage ihrer großen Triumphe lagen hinter ihr. Auch hatte es ihretwegen viele Skandalaffären gegeben, und sie hatte erkannt, daß sie nun bald für eine gesicherte Zukunft sorgen mußte. Außer ihrem allerdings kostbaren Schmuck besaß sie nichts.

»Wie kann man nur so eifersüchtig sein?«

In diesem Augenblick kam ihm zum Bewußtsein, wie sehr er sich schon von ihr hatte umgarnen lassen, und wie gefährlich es war, daß er hier in London mit ihr im selben Hotel wohnte, selbst wenn jeder eine Reihe von Zimmern hatte, die durch den Korridor voneinander getrennt waren.

»Kurz vor unserer Ankunft in London hast du mir doch versprochen, daß wir bald heiraten.«

»So bestimmt habe ich das nicht behauptet, und wir haben es doch auch nicht so eilig damit«, erwiderte er lächelnd. Vor allem durfte er jetzt nicht mit ihr brechen, sonst würde sie sofort wegen Bruch des Eheversprechens gegen ihn klagen. Er hatte nie geglaubt, daß sie sich so an ihn klammern würde. »Warum wollen wir uns den schönen Abend durch Vorwürfe verleiden? Dich schätze ich doch unter allen Frauen am meisten – das habe ich dir schon oft gesagt, und mit der Sekretärin hat es wirklich nichts auf sich.«

Ihre Unterhaltung wurde häufiger durch die Kellner unterbrochen, die die einzelnen Gänge servierten. Sir Richard hob den geschliffenen Kelch und versuchte, Frieden zu schließen.

»Also, auf dein Wohl, liebe Ria – auf das Wohl der berühmten, schönen Bonati!«

Sie stieß mit ihm an. Etwas freundlicher war sie gestimmt, aber sie ließ sich nicht so leicht beruhigen.

»Ich reise nun schon drei Monate mit dir – deinetwegen habe ich alle meine Engagements aufgegeben – mit dem Ruhm der schönen Bonati ist es bald vorbei, wenn sie das Publikum nicht mehr bejubeln kann.«

Er antwortete nicht sofort, da er auf dieses gefährliche Thema nicht näher eingehen wollte, und so aßen beide schweigend. Erst nachdem die Teller gewechselt und ein neues Gericht aufgetragen war, sprach er wieder zu ihr. Er hatte seine schlechte Stimmung überwunden und war nun besonders höflich und liebenswürdig.

»Du mußt dir doch selbst sagen, daß ich dich nicht in meinem Haus empfangen könnte. Du hättest nicht dort wohnen können – so frei ist man selbst in England noch nicht. Und im übrigen habe ich dir doch stets den größten Teil meiner Zeit gewidmet.«

Sie schien auch einzusehen, daß es sinnlos war, ihn zu verärgern, denn schließlich wollte sie doch ihr Ziel erreichen und Lady Richmond werden. Vor allem durfte sie die Herrschaft über ihn nicht verlieren und mußte deshalb vorsichtig sein. Hoffentlich konnte sie ihn zu einer baldigen Heirat bestimmen, sonst mußte sie dafür sorgen, daß der Aufenthalt in England möglichst schnell abgebrochen wurde, damit diese Miß Rolands, deren Namen sie vom Butler erfahren hatte, nicht noch größeren Einfluß auf ihn gewann.

Es war fast, als ob er ihre Gedanken erraten hätte.

»Hoffentlich habe ich meine Geschäfte in London bald erledigt, so daß wir wieder auf Reisen gehen können.«

»Das meine ich auch. England ist im November wirklich langweilig. Wir könnten nach Südfrankreich oder an die Riviera fahren.«

»Oder nach Florida – dort herrscht wunderbar mildes Klima.«

Sie glaubte, daß sie ihn wieder an sich gefesselt hatte, aber auf keinen Fall durfte sie ihn aus den Augen lassen. Sie mußte sich dauernd um ihn kümmern, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.

Beide schwiegen, als die Kapelle eine sehnsüchtige Weise spielte. Verführerisch und verträumt sah sie ihn an, dann legte sie leicht die Hand auf die seine.

Er war froh, daß sie sich wieder beruhigt hatte.

»Heute wird Carmen gegeben – meine Lieblingsoper«, sagte sie leise. »Es ist wohl bald Zeit, daß wir aufbrechen, denn die Vorstellung beginnt um acht.«

Er sah nach der Uhr.

»Ja, wir können einen Wagen bestellen.«

Er winkte einem Pagen und gab ihm den Auftrag.

Bald darauf fuhren sie durch das bunte Lichtermeer des abendlichen Londons zur Covent Garden-Oper.

»Übrigens muß ich noch einmal fort«, sagte er plötzlich. »Ich habe eine dringende Besprechung.«

Sie entzog ihm ihren Arm und sah ihn empört an.

»Davon hast du doch vorher nichts gesagt?«

»Ich wollte es zu Anfang des Essens tun, aber du hattest ja über andere Dinge zu reden, und so kam ich nicht dazu.«

»Was für eine Besprechung ist denn das?«

»Es handelt sich um eine geschäftliche Angelegenheit, ich bin hauptsächlich deswegen nach London gekommen.«

»Aber muß das denn gerade heute abend sein?«

»Es hat sich erst im Lauf des Nachmittags ergeben.«

»Dann hättest du doch die Sache auf morgen verschieben können. Du hattest mir doch versprochen, heute mit mir in die Oper zu gehen.«

»Gewiß, aber man muß Geschäfte eben abschließen, wenn die Gelegenheit sich dazu bietet, und man kann erst in die Oper gehen, wenn man das nötige Geld dazu verdient hat.«

Sie lächelte ironisch. Das brauchte der reiche Sir Richard Richmond doch nicht zu sagen!

»Du tust ja gerade so, als ob du ein Bettler geworden wärst.«

Er war verstimmt.

»Wenn du es genau wissen willst, kann ich dir ja sagen, mit wem ich verhandeln muß – es ist mein Neffe Jim Carley, der lange Zeit in Birma war. Es geht um wichtige Konzessionen, und es stehen Millionenwerte auf dem Spiel.«

»Immer ist dir alles andere wichtiger als meine Gesellschaft«, entgegnete sie unlogisch und heftig.

Er seufzte, nahm sich eine Zigarette und bot ihr auch sein Etui an. Sie dankte und lehnte sich wütend in die Polster zurück.

Diese Frau war wirklich schwierig und fiel ihm immer mehr auf die Nerven.

Schließlich hielt der Wagen vor dem Theater, und sie stiegen aus. Er half ihr, aber sie warf den Kopf in den Nacken und wartete nicht auf ihn, während er den Chauffeur zahlte.

»Ich kann doch auch nicht dafür, daß die Umstände mich zwingen, gerade jetzt zu dieser Besprechung zu gehen« sagte er, als er sie eingeholt hatte. »Ich komme wahrscheinlich schon nach Schluß des ersten Aktes zurück.«

Sie erwiderte nichts und preßte die Lippen aufeinander. Er begleitete sie zu ihrer Loge und reichte ihr die Hand.

»Also, bis nachher.«

»Ich kann mir schon denken, daß diese Besprechung nichts mit deinem Neffen, sondern mit der schönen Sekretärin zu tun hat. Aber nimm dich in acht, ich lasse nicht mit mir spielen!«

Sie warf ihm einen gehässigen Blick zu, dann drehte sie ihm den Rücken.

Der Logenschließer öffnete ihr die Tür.

Sir Richard zuckte die Schultern. Nicht einmal in Gegenwart anderer Leute konnte sie sich beherrschen.


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