Ernst Raupach
Der versiegelte Bürgermeister
Ernst Raupach

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Erster Aufzug.

Ein Zimmer in der Wohnung des Bürgermeisters mit einer Mittelthüre und zwei Seitenthüren.

Erster Auftritt.

Willmar kommt durch die Mitte und geht der rechten Seitenthüre zu, indem Else aus der linken Seitenthüre kommt.

Else.
Im Vorbeigehn guten Morgen!

Willmar (zurückkommend).
Ah, sieh da! (Ihre Hand fassend.) Den besten, schönsten
Guten Morgen heut und immer!

Else.
Schon zur Arbeit?

Willmar.
                              Das versteht sich:
Denn es hat schon sechs geschlagen,
Und der Herr erwartet mich.

Else.
Ei, der sitzt bei seinem Warmbier.
Die Gelegenheit zu plaudern
Kommt vielleicht uns heut nicht wieder.

Willmar.
O, wie gerne, Jungfer Else – 6

Else.
Jungfer Else? Sprich, was soll das?

Willmar.
Ach! es klänge freilich hübscher
Liebe Else; doch so oft ich
Diese Worte will gebrauchen,
Spricht es in mir, wag' es nicht!

Else.
So? Dem Narrn, der in dir redet,
Sage nur, er möge schweigen.
Horch, ich will dich etwas lehren:
Haben einmal erst zu einem
Wir gesagt: ich bin dir gut,
Darf der eine alles wagen,
Was mit Ehr' und Zucht bestehet:
Und ich habe dir schon Sonntag
Früh gesagt, ich sei dir gut.

Willmar.
Ja, das hast du, liebe, liebe,
Theure Else; und ein Glück nur,
Daß du mir es Sonntags sagtest;
Denn ich war dir ganz betrunken;
Alles schwamm vor meinen Augen,
Meine Hände bebten; sicher
Hätt' ich gar nicht schreiben können,
Und am Ende mich verrathen.
Doch da's Sonntag war, so lief ich
In die Berg und tobte draußen
Meinen Rausch und Jubel aus. 7

Else.
Warst du neulich freudetrunken,
Warum bist du heut' so zaghaft?
Muthig, sagt man, macht die Liebe.

Willmar.
Ja, das thut sie; doch was hilft es?
Wenn man wahrhaft liebt, ist Lieb' und
Leben eins; drum kann ich nun
Nicht mehr leben ohne Liebe,
Nicht mehr ohne dich, und dennoch
Hab' ich, je dich mein zu nennen,
Keine Hoffnung.

Else.
                            Wer nicht hofft,
Liebt nicht wahrhaft.

Willmar.
                                    Ach bedenke:
Ich der ärmste Bursch' im Orte,
Und das reichste Mädchen du.

Else.
Das ist gut: denn alles, sagt man,
Macht die Liebe gleich; wie könnte
Sie bei uns ihr Amt verwalten,
Wenn wir nicht so ungleich wären?
Und du bist auch gar nicht arm.

Willmar.
O wie arm! Was ich verdiene,
Reicht kaum hin, um mich zu kleiden
Und die Mutter zu ernähren.
Was noch schlimmer ist, die Mutter 8
Drücken Schulden, und sie sollte
Längst schon ausgepfändet werden.
Nur durch deines Vaters Gunst –

Else.
Gut, schon gut! das weiß ich Alles,
Doch ein Mann, gesund am Leibe
Wie am Kopfe, treu und fleißig,
Sollte darum nicht verzagen.

Willmar.

O das thu' ich nicht: doch sage,
Darf ich hoffen, daß dein Vater,
Der fürwahr das Geld nicht haßt,
Einem gar so Mittellosen
Jemals deine Hand bewill'ge?

Else.
Nun, nicht heut' und auch nicht morgen;
Doch ist auch nicht heut' noch morgen
Aller Tage Feierabend.
Wir sind jung und können warten,
Wär's auch ein halb Dutzend Jahre;
Und was kann nicht unterdessen
Sich begeben, sich verändern?
So laß auf die Zeit uns hoffen:
Denn du weißt, die Zeit bringt Rosen.

Willmar.
Freilich Rosen, doch auch Nesseln,
Und wir haben nicht die Wahl.
Unterdessen kommt ein Andrer,
Reicher, angeseh'ner, klüger,
Kaufmann, Rathsherr oder Junker, 9
Wirbt um Jungfer Elsens Hand,
Wird mit Freuden angenommen
Von dem Vater, und die Jungfer –

Else (ihm den Mund zuhaltend).
Nun nicht weiter, will ich bitten.
      (Braun erscheint unbemerkt an der rechten Seitenthüre.)
Wahrlich, du verdienst es nicht,
Und, wenn ich's verschweigen könnte,
Würd' ich dir auch gar nicht sagen,
Daß ich ewig treu dir bleibe,
Daß mein Myrtenkranz entweder
Mich als deine Braut soll schmücken,
Oder zieren meinen Sarg.

Willmar (sie in die Arme fassend).
O, du liebe, theure Else!
Deine Worte sind so herrlich,
Daß der Feigste Muth bekäme.
Ach vergieb mir! Mit der Armuth
Paart sich Kleinmuth; und der Arme
Glaubt nicht leicht an großes Glück.
Dank! Du hast mit frohem Muthe
Für den Tag mich ausgerüstet;
Und nun laß mich fort zur Arbeit.
Wenn dein Vater wüßte, was mich
Hier zurückgehalten, heute
Würf' er noch mich aus dem Hause.

 
Zweiter Auftritt.

Die Vorigen. Braun vortretend.

Braun.
Ja, das thut er. 10

Willmar (erschreckend).
                          Gott!

Else (eben so).
                                    O weh!

Braun (zu Willmar).
Fort, du Bösewicht, du Bube,
Du Verführer! auf der Stelle
Fort aus meinem Haus', und niemals
Komm mir wieder vor die Augen.

Willmar.
Höret mich, gestrenger Herr!

Braun.
Fort von hier! ich will nichts hören.
Meine Ohren schnitt ich selber
Mir vom Leibe, wenn sie sich
Unterfingen, dich zu hören.

Willmar.
Aber, Herr –

Braun.
                      Was ist zu abern?
Fort aus meinem Hause, Lump!

Willmar.
Ich bin arm, Herr Bürgermeister;
Doch ein Lump – erlaubt mir – ist ein
Schlechter Kerl, ein Taugenichts,
Und das bin ich nie gewesen.

Braun.
Nicht, du undankbarer Bube?
Hab' ich dich nicht angenommen, 11
Als du hättest betteln müssen?
Hast du nicht an meinem Tische
Mit gegessen, mit getrunken,
Dich gewärmt an meinem Ofen,
Und für dein Gekritzel täglich
Funfzehn Kreuzer noch empfangen?
Und zum Danke für das Alles
Willst du mir mein Kind verführen?
Himmelschreiend! Aber fühlen
Sollst du auch, wen du beleidigt!
Deine Mutter, die Verschwendrin,
Wird noch heute ausgepfändet;
Ja, gehst du nicht gleich von hinnen,
Wandert sie noch in den Thurm.

Willmar.
Herr, ich könnt' Euch viel erwiedern;
Doch die Liebe zu der Tochter
Will, daß ich des Vaters Läst'rung
Still verzeihe. Lebet wohl.

(Er geht durch die Mitte ab.)

 
Dritter Auftritt.

Braun. Else.

Braun.
Gottes Blitz! Will dieser Bettler
Mir verzeihen, mir dem Consul?
Was? ich spreche nicht einmal:
Gott verzeih mir meine Sünde;
Und der Schuft will mir verzeihen?
      (Zur Mittelthüre hinausrufend.)
Heda, Lampe! seid Ihr da? 12

 
Vierter Auftritt.

Braun. Else. Lampe tritt durch die Mitte ein.

Lampe.
Ja, gestrenger Herr, hier bin ich.

Braun.
Geht sogleich zur Witwe Willmar,
Um, wie längst der Rath beschlossen,
Sie zu pfänden; denn ich kann nun
Länger nicht mehr Frist gestatten.
Seid mir streng, laßt Euch nicht rühren –

Lampe.
Herr, ich bin ja noch ganz nüchtern.

Braun.
Seid nicht dumm, und laßt Euch ja nichts
Unterschlagen; nehmet alles,
Was es sei, und bringt's auf's Rathhaus,
Daß wir's morgen dort versteigern.

Lampe.
Wohl, gestrenger Herr, und raptim
Soll's geschehen.

Braun.
                              Raptim fort!

(Lampe geht durch die Mitte ab.)

 
Fünfter Auftritt.

Braun. Else.

Braun.
Warte, Bursch', ich will dich lehren,
Bürgermeistertöchter lieben. 13

Else.
Eine Bürgermeisterstochter
Ist, so viel ich weiß, ein Mädchen;
Wenn sie nun nicht häßlich ist,
Warum soll man sie nicht lieben?

Braun.
Was? Du unverschämte Dirne!
Sprichst du noch? Hast nicht die Sprache
Wenigstens vor Scham verloren?
Pfui dich, pfui! das reichste Mädchen
In der Stadt, des Consuls Tochter,
Knüpft mit ihres Vaters Schreiber
Heimlich Liebeshändel an.

Else.
Vater, gebt ihn mir zum Manne;
Dann wird's nicht mehr heimlich sein.

Braun.
Ha! zum Manne? diesen Bettler?
Einen Laffen, der nichts ist?

Else.
Er ist etwas, denn Ihr selber
Habt mir oft als klug und fleißig,
Treu und ehrlich ihn gepriesen.
Wenn das ist, so kann er werden,
Was Ihr seid: und war sein Vater
Nicht ein Kaufmann, wie der Eure?
Er ist arm; da könnt Ihr helfen:
Ihr seid reich, und wenn zum Theil
Gott Euch darum Reichthum schenkte, 14
Daß Ihr Andre glücklich machtet,
So bin ich doch wohl die nächste?

Braun.
Närrin, schweig! Du sollst zu Lichtmeß
Einen Ulmer Rathsherrn nehmen,
Dem ich dich schon zugesagt.

Else.
Nimmermehr!

Braun.
                          Das wollt ich sehen!

Else.
Könnt Ihr mich zum Jawort zwingen?

Braun.
Deß bedarf's nicht; ich bin Vater.

Else.
Nein, ich thu's nicht; eher spring' ich
In die Rems.

Braun.
                      Gut, so ersparst du
Mir die Müh', dich zu enterben.
Jetzo fort zu deiner Arbeit!
An die Nadel, an die Spindel,
An den Keller und die Küche
Soll ein züchtig Mädchen denken;
Nicht an Männer, nicht an's Frei'n.

Else.
Gut! Der Himmel mag es lenken;
Zu dem Rathsherrn sag' ich nein.

(Sie geht zur Linken ab.) 15

 
Sechster Auftritt.

Braun allein.

Gut, schon gut! das wird sich finden. –
Aber ist's nicht zum Verwünschen?
So ein Laffe, der nichts hat,
Als ein bißchen frische Jugend,
Wirft ein paar verliebte Blicke,
Sagt ein Dutzend süßer Worte;
Und ein reiches hübsches Mädchen
Flennt und spricht: ich liebe dich.
Aber ich, der Bürgermeister,
Reich und angesehn, ich werbe
Mit Geschenk und feinem Witze
So viel Monden schon vergebens
Um die Gunst der armen Wetzel.
Ach! im ganzen Schwabenlande
Giebt's kein schöner Weib, als dieses.
Ich glücksel'ger Bürgermeister,
Wenn sie mich erhören wollte!
Aber sie ist streng als käm' sie
Gradeswegs aus der Chartause.
Nun, ich will jetzt zu ihr gehn;
Morgen kommt der Mann nach Hause;
Dann ist's mißlich, sie zu sehn.

(Er geht durch die Mitte ab.) 16


Verwandlung.

Scene: Wohnung des Bürstenbinders Wetzel mit einer Mittelthüre und Seitenthüre rechts.

Siebenter Auftritt.

Gertraut Willmar. Ein Bursche. Es wird an die Mittelthüre gepocht; Gertraut kommt aus der Seitenthüre zur Rechten.

Gertraut
Ei, wer pocht denn schon so zeitig?

(Sie öffnet die Mittelthüre; Willmar und ein junger Bursche bringen einen Schrank. Dieser Schrank hat Mannshöhe und in der Thüre einen Schieber, der sich von innen öffnet.)

Willmar.
Guten Morgen, liebe Meist'rin!

Gertraut.
Ei, Herr Willmar, guten Morgen!
Sagt, was bringt Ihr?

Willmar.
                                    Nehmt's nicht übel,
Daß wir schon so früh Euch stören.
Meine Mutter läßt Euch bitten,
Diesen Schrank ihr zu bewahren.
Heut' noch wird sie ausgepfändet,
Und sie möchte diesen Schrank
Gern von der Versteig'rung retten:
Denn als Erbstück ihrer Mutter
Ist er ihr vor allem lieb.

Gertraut.
Ausgepfändet? Gott erbarm' es!
O das böse Volk, die arme 17
Alte Frau so zu bedrängen!
Und der Bürgermeister hat es
Zugegeben?

Willmar.
                      Länger kann er
Nicht des Rechtes Lauf mehr hemmen.

Gertraut.
Nun, so wollen wir den Schrank
Hieher setzen,
      (Sie setzen den Schrank an die Wand neben der Mittelthüre.)
                          und ich will ihn
Keck vor jedermann verläugnen;
Wenn nur niemand uns verräth.

Willmar.
Keiner, denk' ich, hat's gesehen.

Gertraut.
Er ist leicht; 's ist wohl nichts drinnen?

Willmar (den Schrank öffnend).
Er ist leer wie leider alles
Bei der Mutter. – Liebe Meist'rin,
Habet Dank für den Gefallen.

Gertraut.
Ei, man muß dem Nächsten dienen.
Grüßt die Mutter, sagt, ihr Unglück
Gehe mir recht sehr zu Herzen;
Doch sie solle sich nur trösten:
Denn der Himmel hat ein Einsehn,
Und auf Leiden folgen Freuden.

Willmar.
Geb' es Gott! Nun lebet wohl.

(Er geht mit dem Burschen durch die Mitte ab.) 18

 
Achter Auftritt.

Gertraut allein.

Gertraut.
Wollte Gott ich könnte helfen!
Ach! es muß recht schmerzlich sein,
Sich von allem so zu trennen.
Freilich ist ein Tisch, ein Schemel
Ein Gefäß von todtem Holze;
Aber wenn man lange Jahre
Damit umgegangen, scheint es
Einem doch zuletzt lebendig,
Und man läßt's nicht ohne Thränen:
Denn man denkt, es wird sich grämen,
Wenn's in fremde Hände kommt.

 
Neunter Auftritt.

Gertraut. Braun tritt durch die Mitte ein.

Braun.
Guten Morgen, schönes Frauchen.

(Er verschließt die Mittelthüre.)

Gertraut.
Ach, gestrenger Herr! – was macht Ihr?

Braun.
Ich verriegle nur die Thüre.

Gertraut.
Himmel, wenn nun jemand käme,
Und uns eingeriegelt fände. 19

Braun.
Eben, daß uns niemand finde,
Riegl' ich zu.

Gertraut.
                        Gestrenger Herr,
Wollt Ihr, wenn mein Mann daheim ist,
Uns besuchen, werden wir's
Uns zur großen Ehre schätzen:
Aber wenn ich so allein bin,
Wär' mir's lieber – nehmt's nicht übel –
Wenn Ihr auch allein mich ließet:
Denn was könnt Ihr bei mir suchen?

Braun.
Was, mein gold'nes, liebstes Weibchen?
Was so schön man nirgends findet:
Feueräuglein, Rosenwangen,
Gold'nes Haar, Rubinenlippen – –

Gertraut.
O das alles hab' ich nicht.

Braun.
Nicht? So habt Ihr keinen Spiegel.
      (Sich umsehend.)
Wahrlich nein; ich sehe keinen.
Wie? an Eurer Schönheit weiden
Aller Augen sich, und Eure
Sollen dieser Lust entbehren?
O! ich schenk' Euch einen Spiegel
Groß und hell in goldnem Rahmen,
Von Venedig jüngst gebracht. 20

Gertraut.
Herr, ersparet Euch die Mühe:
Denn ich habe keine Zeit
Mich im Spiegel zu besehen.

Braun.
Ei, Ihr sollt Euch sehn, mein Täubchen,
Daß Ihr Eure Schönheit kennet,
Und begreift, es sei unmöglich,
Euch zu sehn und nicht zu brennen:
Denn dann werdet Ihr auch minder
Hart und tigerherzig sein.

Gertraut.
Wozu braucht die Frau zu wissen,
Ob sie hübsch ist oder häßlich?
Wenn der Mann nur hübsch sie findet.

Braun.
Euer Mann? der denkt an Borsten
Und an Bürsten, nicht an Euch.
Wenn er's thäte, würd' er schaffen,
Was der hübschen Frau gebühret.
Welch ein weißes, feines Händchen!
Trotz der vielen groben Arbeit
      (Er faßt ihre Hand.)
Bleibt es immer weich und weiß.
O! wie herrlich würd' ein rothes,
Grünes oder blaues Steinchen,
Hübsch in Gold gefaßt, hier glänzen!
Wie ein Blümchen auf dem Schnee.
      (Er will ihre Hand küssen.) 21

Gertraut (zieht die Hand zurück und zeigt ihm ihren Trauring).
Nun, der Trauring dient statt andern.

Braun.
Ist am Ende nur von Messing. –
Und das seid'ne Haar wie golden!
Gold'ner noch als Gold: ein Jude
Würd' es stehlen, wenn er könnte,
Um das Gold heraus zu brennen.
      (Ihr Haar streichelnd.)
O wie würd' ein Schnürchen Perlen
Köstlich darauf steh'n! wie Gänslein,
Die auf einem Teiche schwimmen,
Den das Morgenlicht vergüldet.

Gertraut (sich von ihm entfernend).
Wenn es Gold ist, warum sollt' ich's
Hinter Perlen denn verstecken?

Braun.
Und den schönen schlanken Leib –
Himmelblauer Sammet sollte
Ihn umschließen, und darüber
      (Er legt seinen Arm um sie.)
Dann ein golddurchwirkter Gürtel
Mit dem reichverzierten Schlosse.

Gertraut (sich von ihm losmachend).
Laßt, gestrenger Herr, ich bitt' Euch!
Hab' Euch neulich schon gebeten,
Stellet die Verfolgung ein.
Wenn mein Mann es je erführe,
Daß Ihr mich besucht, ich hätte 22
Lange Zeit nur böse Tage:
Denn er ist ein braver Mann,
Aber grimmig eifersüchtig.

Braun.
Ei, wie sollt' er's denn erfahren?

Gertraut.
Nachbarnaugen Katzenaugen.

Braun.
Gut! so laßt ihn grimmig werden,
Laßt ihn, ich bin Bürgermeister!
Wenn er eifersüchtig ist,
Gut! so bin ich Bürgermeister.

Gertraut.
Ach! ich fürchte, er vergäße
In der Wuth den Bürgermeister;
Ja, Ihr liefet wohl Gefahr –

Braun.
Ich Gefahr? Ihr scherzt, mein Täubchen,
Ha! er sollte mir nur kommen!
Mit dem Blick zermalmt' ich ihn.
Trät' er jetzt herein zur Thüre,
Würd' ich ihm mit aller Würde
Meines Amt's entgegentreten.

(Er geht stolz nach der Mittelthüre zu; in dem Augenblicke wird daran gepocht; er erschrickt und kehrt schnell auf den Zehen zurück.)

Still nur, still! um Gottes willen.

(Es wird abermals gepocht.) 23

 
Zehnter Auftritt.

Die Vorigen. Wetzel draußen.

Wetzel.
Trautchen! Trautchen!

Gertraut (leise).
                                        Gott, mein Mann!
Sieht er Euch, sind wir verloren!

(Wetzel pocht abermals.)

Braun (leise und in großer Angst).
Sagt, wohin ich mich verkrieche –
In die Kammer?

Gertraut (wie oben).
                            Ganz unmöglich
Ist es dort Euch zu verstecken.

Braun (auf den Schrank deutend, den Willmar gebracht).
In den Schrank?

Gertraut.
                            Ja, in den Schrank.

(Sie schleichen Beide zu dem Schranke. Braun kriecht hinein. Gertraut schließt zu und zieht den Schlüssel ab, dann schleicht sie nach der Seitenthüre.)

Wetzel (wieder klopfend).
Trautchen! Trautchen!

Gertraut (die Seitenthüre zuschlagend. als käme sie heraus).
                                        Ach, mein Herz!

(Sie schließt die Mittelthüre auf. Wetzel tritt ein.) 24

 
Elfter Auftritt.

Gertraut. Wetzel.

Wetzel (verdrießlich).
Grüß dich Gott!

Gertraut.
                            Willkommen, Lieber.

Wetzel.
Noch so spät die Thür verschlossen?

Gertraut.
In der Kammer räumt' ich auf,
Und dann schließ' ich gern die Thüre.
Aber sprich, wie kommst du heut' schon?
Wolltest doch erst morgen kommen.

Wetzel.
Früher, als ich dachte, hab' ich
Meine Waaren abgesetzt.

Gertraut.
Also hast du einen guten
Markt gehabt?

Wetzel.
                          Nun ja.

Gertraut.
                                        Erzähle!

Wetzel.
Ei ich habe jetzt nicht Lust.

Gertraut.
Sprich, was fehlt dir? Ganz verdrießlich
Siehst du aus, und hast nicht freundlich,
Wie sonst immer, mich begrüßt. 25

Wetzel.
Wenn das ist, so hab' ich wahrlich
Grund dazu. Den Nachbar Fleischer
Traf ich gestern in der Herberg'
Und ich fragte gleich nach dir.
Nun, da fing er an zu lachen,
Mich zu necken, und am Ende
Kam's heraus, der Bürgermeister
Hätte dich besucht; ist's wahr?

Gertraut.
Einmal ist er hier gewesen.

Wetzel.
Donnerwetter! Und was wollt' er?

Gertraut.
Je nun, eine Sammetbürste
Kauft' er für sein Sonntagswamms.

Wetzel.
Sapperment! ich will ihn wammsen;
Bürsten will ich ihn, und wahrlich
Nicht mit einer Sammetbürste;
Grad' will ich die krummen Beine,
Platt den spitzen Kopf ihm schlagen,
Kommt er unter meine Faust.

Gertraut.
Bist du klug? was ist es weiter?

Wetzel.
Warum kommt er selbst zu kaufen?
Warum schickt er nicht die Leute?
O ich weiß, weil er ein Auge 26
Auf dich hat. Man kennt ihn schon;
Und es ist mir nicht entgangen,
Wie er dich verfolgt mit Blicken,
Wenn er irgendwo uns trifft.

Gertraut.
Möglich wär's; doch wenn's auch wäre,
Traust du mir denn Böses zu?

Wetzel.
Nein, lieb Trautchen, nein, gewiß nicht:
So 'ner Vogelscheuche wegen,
Wirst du mir nicht untreu werden.
Aber soll der alte Kater,
Durch Liebäugeln und Besuche,
Dir denn bösen Leumund machen?

Gertraut.
Seine Blicke schaden nichts;
Und Besuche – kommt er wieder,
Kannst du ihm das Haus verbieten.

Wetzel.
Ja, ich will's ihm so verbieten,
Daß aus Angst vor diesem Hause
Er sein Leben lang nicht mehr
Uns're Gasse soll betreten.
      (Indem er sich zufällig umsieht, bemerkt er den Schrank.)
Sieh doch! das ist ja was Neues:
Woher hast du diesen Schrank?

Gertraut (leise).
Ach, die arme Witwe Willmar
Wird gepfändet, und deßwegen 27
Hat den Schrank sie hergeschickt,
Daß man ihn nicht auch verkaufe.

Wetzel.
Warum sagst du das mir leise?
Ist doch Keiner hier, der's hörte.

Gertraut.
So was darf man laut nicht sagen:
Denn die Wände haben Ohren.

Wetzel.
Freilich wohl. Es wäre besser,
Wenn du ihn nicht angenommen:
Denn's ist unrecht, ist Betrug,
Und es kann Verdruß uns machen. –
Ist er leer?

Gertraut.
                    Ich weiß es nicht.

Wetzel.
Hast du nicht den Schlüssel?

Gertraut.
                                                Männchen,
Glaubst du denn ich bin so thöricht,
Solch 'nen Schlüssel anzunehmen?
Daß nachher, wenn etwas fehlte,
Man von mir es fordern könnte.

Wetzel.
Recht; ich dachte nicht daran. 28

 
Zwölfter Auftritt.

Die Vorigen. Lampe, ein altes Weib und zwei Rathsknechte treten durch die Mitte ein.

Das Weib (zu Lampe).
Seht, hier ist der Schrank! Ich sagt's Euch:
Denn mit diesen meinen Augen
Sah ich ihn herübertragen.

Lampe (zu Wetzel und Gertraut).
Wem gehört der Schrank? Im Namen
Des hochweisen Rathes frag' ich.

Gertraut.
Mir gehört –

Wetzel.
                        Still! keine Lüge,
Wenn die Obrigkeit uns fragt.
Er gehört der Wittwe Willmar,
Und sie hat ihn meinem Weibe
In Verwahrung nur gegeben.

Das Weib.
Um uns Gläub'ger zu betrügen.

Lampe.
Ja sie wird jetzt ausgepfändet.

Gertraut.
So? Das hab' ich nicht gewußt.

Wetzel.
Nein, ich auch nicht: denn so eben
Bin ich erst von Ulm gekommen. 29

Lampe.
Ihr seid schuldig; am Betruge
Habt Ihr Theil genommen; raptim
Hinterbring' ich das dem Rathe;
Mögt Euch dort verdefendiren.
      (Nachdem er den Schrank besehen.)
Gebt den Schlüssel her.

Gertraut.
                                        Den Schlüssel
Hab' ich nicht.

Lampe.
                          So wird versiegelt.
Holt ein Licht.

Gertraut (für sich, im Abgehen).
                          Gott steh' mir bei!

(Sie geht zur Rechten ab.)

 
Dreizehnter Auftritt.

Vorige ohne Gertraut.

Das Weib.
Recht, Herr Lampe; Ihr verstehet
Eure Sache.

Wetzel.
                      Das sagt jeder,
Der in seine Hand gefallen.

Lampe.
Gelt, Ihr seid wohl recht verwundert,
Wie so klug und immer raptim
Ich mein schweres Amt verwalte. 30
Ja, das sind so Gottesgaben.
Glaubt mir, wäre nicht der Lampe,
Alles ginge hier zu Grunde;
Denn die Rathsherrn – nun die rathen,
Das ist leicht, allein dem Rathe
Muß die That den Nachdruck geben,
Und die That – seht, das bin ich.

 
Vierzehnter Auftritt.

Vorige. Gertraut.

Gertraut (kommt mit einem Lichte von der Rechten zurück).
Hier ist Licht.

Lampe.
                          Gebt!
      (Er nimmt das Licht von ihr und reicht es einem Rathsknechte.)
                                      Komm', und halte!
      (Er versiegelt den Schrank.)
So; nun ist's gescheh'n, nun soll mir
Auch kein Stäubchen Staub heraus.
      (Zu den Rathsknechten.)
Fasset an, und bringt ihn raptim
Auf das Rathhaus zu dem Andern.
      (Zu Wetzel und Gertraut.)
Gott behüt' euch.

Wetzel.
                              Schönen Dank.

(Die Rathsknechte tragen den Schrank durch die Mittelthüre fort, Lampe und das alte Weib folgen ihm.) 31

 
Fünfzehnter Auftritt.

Gertraut. Wetzel.

Gertraut (in heftiger Bewegung).
Ach! wie wahr hast du gesprochen! –
Der wird uns bei'm Rath verlästern –
Ungelegenheit uns machen.

Wetzel.
Nun, es wird so schlimm nicht werden.
Aengst'ge dich nur nicht! du siehst ja
Ganz verstört aus. Sei nur ruhig!
Ich will selbst auf's Rathhaus gehen,
Und mit Nachbar Bokert reden;
Er ist Rathsmann, kann die Sache
Uns ins Gleiche bringen helfen.
Doch ich muß mich erst ein bißchen
Waschen und zurechte rücken,
Denn ich seh verzweifelt aus.

(Er geht zur Rechten ab.)

 
Sechzehnter Auftritt.

Gertraut allein.

Gertraut.
Guter Gott! Der Bürgermeister
Ist versiegelt; und versiegelt
Wird auf's Rathhaus er getragen.
Wenn sie dort im Schrank ihn finden,
Ist's gethan um meine Ehre;
Und mein Mann – was wird er denken?
Ach! ich weiß vor Angst nicht mehr
Wo der Kopf mir steht. Was thu' ich? 32
Wem vertrau' ich's? – Seiner Tochter –
Ja gewiß, so ist's am besten;
Die wird suchen Rath zu schaffen,
Und des Vaters wegen schweigen.
Er, der sonst versiegeln läßt,
Ist nun schmählich selbst versiegelt!
Ach, die Welt ist ganz verkehrt;
Er versiegelt – unerhört!



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