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Ein gütiges Geschick verheißt Dir Alter;
Dein Ungeschick nur heißt Dich altern.

Ich bin sechzig Jahre alt.

Ich sehe wie ein Vierziger aus.

Meine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit entspricht diesem Aeußern. Das Aussehen zeigt nicht die Jahre, sondern den Kräftestand an.

Daß ich jünger bin als meine Jahre, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis früh geübter Selbsterziehung zur Abwechslung in Arbeit und Genuß.

 

Meine Erfahrungen dienen dem Gesunden, welcher jung bleiben möchte. Sie enthalten keine Ratschläge für Kranke.

Sie sind kein Rezept, ein hohes Alter zu erreichen, sondern eine Lehre, nicht zu altern.

Einerlei, wie alt Du bist, Du kannst immer Nutzen aus ihnen ziehen.

Manches wird Dir unwichtig erscheinen. Nimm alles in allem und Dich selbst als Beweis.

 

Der Wunsch, jung zu erscheinen, besteht heute wie je, vielleicht mehr als je.

Die herrschende Mode der Bartlosigkeit zeigt das Streben nach jugendlicher Erscheinung.

Wer darf im heutigen Kampfe um sein Leben alt erscheinen?

 

Welcher Paarungslustige möchte als gesetzt und würdig gelten?

Zwar ist Bartlosigkeit in diesem Sinne häufig verfehlt.

Scharfe, faltige, schwammige Züge könnten den Behang gelegentlich mit Nutzen verwenden.

Aber wer kann gegen die Mode!

 

Die Ueberzeugung, jugendlich auszusehen, erhält jugendlich.

Aeußerliche Mittel, welche die Frau anwendet, kommen für den Mann wenig in Betracht.

Sie kann die Maske zur Schau tragen; der Mann nicht. Er muß sich damit abfinden, daß sein Aeußeres anzeigt, wie er Körper und Geist verwaltet hat.

Das vereinfacht die Sache: Frisch erscheinen und frisch sein ist dasselbe.

 

*

Grazie

Der Deutsche hat für den Begriff der Grazie kein eigenes Wort. Anmut ist an Unberührtheit, Naivität gebunden, während Grazie sich mit Sachkenntnis und Schulung ebensogut paart, wie mit unberührter Frische.

Deutsche Gründlichkeit ist berühmt. Aber wie diese Gründlichkeit aus allem eine Wissenschaft macht und diese Wissenschaft zur Vollendung erhebt, so beschwert sie auch.

Der Bachspieler, welcher schwitzt, wirkt auf den deutschen Zuhörer überzeugender als der Bruder in Apoll, welcher dieses äußere Attribut schwerer Hingabe vermissen läßt.

Grazie hat mit Oberflächlichkeit ebensowenig zu tun wie mit uninteressierter Kühle. Im Gegenteil!

Beherrschung des Handwerklichen, völliges Ueber-der-Sache-stehen ist ihre Voraussetzung; sie bedeutet nach der anderen Seite hin die Grenze gegen das Unschöne.

Goethe ist Grazie in wunderbarer Vollendung.

Ich bitte um Grazie für den Alltag.

*

Harmonie

Es ist ein häufig anzutreffender Irrtum, daß Jugendlichkeit eine Sache lediglich der Körperpflege sei.

Einerlei, ob man an der Ueberlieferung hängt oder den Geist als Zubehör betrachtet, das mit dem Körper vergehe – für meine Betrachtungen ist völlig harmonische Behandlung, Pflege und Erziehung von Geist und Körper als einer Einheit Voraussetzung.

Ein stumpfgewordener Verstand im gepflegten Körper ist ebenso ein Mißverhältnis wie einseitig gepflegte Nerven und Gehirn in der vernachlässigten Hülle.

 

Nur bei gleichzeitiger Pflege bleibt das Auge glänzend, die Stirn klar, der Mund gewinnend, die Bewegung frisch und ungezwungen – bleibt die Jugend.

 

*

Arbeit begleitet uns,
Sorgen treten uns entgegen.

Arbeit

Vom ersten Tage Deines Lebens bis zum letzten Atemzuge hast Du zu arbeiten.

Lunge, Herz, Gehirn, arbeiten, ob Du willst oder nicht, ob Du wachst oder schläfst.

Planvolle, vom Gehirn aus gelenkte Zusammenfassung der Körper- und Geistesfunktionen läßt aus dem Arbeiten ein Schaffen werden.

Ob dieses Schaffen Dir oder Anderen nützlich ist, hat mit unseren Betrachtungen nur insofern zu tun, als der Satz »der Tüchtige hat Erfolg« nicht etwa in der Umkehrung so verstanden werden darf, als ob der Erfolglose untüchtig sei.

Es ist ein Fehler, an sich zu verzweifeln, weil der Erfolg ausbleibt. Mit solchen unrichtigen Gedanken treibst Du Raubbau an Deinem Können und alterst.

Du triffst nach langer Zeit einen Bekannten. Er ist alt und grau geworden. »Ja, ja« meint er, »die viele Arbeit!« Damit meint er aber nicht die Arbeit selbst. Arbeit ist Leben, ist selbstverständliches Sichregen. Aber falsch dosierte Arbeit, Angst und Sorge in der Arbeit nutzen den Menschen schnell ab.

Große Arbeitslasten kannst Du dauernd tragen, wenn Du durch Abwechslung elastisch bleibst, und ein geschulter Geist erwehrt sich der quälenden Sorgen. –

 

Ich habe keine philosophischen Trostsprüche auf Lager. Ich spreche von viel primitiverem, dem richtigen Disponieren und Hantieren mit Kopf und Körper.

Arbeit bedeutet zugleich Pflege. Du kannst Körper und Geist nur frisch erhalten, indem Du sie rationell arbeiten läßt.

Dein Bizeps, der nichts zu tun hat, Zähne, die keine Aufgaben bekommen, verfallen ebenso wie untätiges Gehirn. Es handelt sich nur darum, Überanstrengung zu vermeiden.

Da bei den meisten Menschen durch die Existenzfrage dafür gesorgt ist, daß sie nicht an Untätigkeit eingehen, sie vielmehr überlastet sind und vorschnell verbraucht werden, so benötigen wir ein Mittel, der Ueberanstrengung zu begegnen.

Das Mittel heißt Abwechslung.

*

Abwechslung

Die heutigen Arbeitsmethoden der Spezialisierung auf engbegrenzte Gebiete körperlicher und geistiger Arbeit bedingen schnelle Abnutzung, wenn nicht in besonderem Maße für Abwechslung gesorgt wird. Wir erliegen nicht der Arbeit, sondern der Eintönigkeit der Arbeit.

Wer immer Dein Arbeitgeber sei, Staat, Privatwirtschaft, oder ob Du selbst mit weitgestecktem Ziel Dein peitschenschwingender Fronvogt seist – die Rücksicht auf die Erhaltung Deiner Kraft wird ihren Interessen immer nachgeordnet bleiben.

Um so mehr paß Du selber auf!

 

Es gibt Menschen, die eine Mission zu erfüllen haben, in denen gleichsam die Flamme einer einzigen Begeisterung alles andere verzehrt und denen keine Zeit zum Lebensgenuß bleibt. Ich nehme an, daß Du nicht zu diesen Auserwählten gehörst, sondern ein Durchschnittsmensch bist, wie ich.

 

Abwechslung, d. i. Erfrischung, wird nicht nur dadurch erreicht, daß man geistige mit körperlicher Tätigkeit abwechseln läßt. Es ist sehr wohl möglich, auch innerhalb scheinbar völlig einseitiger Funktionen die erforderliche Abwechslung und Erfrischung zu erzielen.

 

Zuletzt sorgt die Natur selbst für Entspannung. Erschöpfung untersagt weitere Dienste.

Aber völlig verschieden ist bei den Individuen die Feinfühligkeit für die Grenze des Zuträglichen.

Robuste Naturen, ohne guten Gradmesser, Überspannen und bekommen einen »Knacks«. Das gilt ebenso für rein körperliche wie namentlich für geistige Ueberbürdung.

NB. Die Begriffe »körperlich« und »geistig«, die sich zum Teil überdecken und ineinanderfließen, sind hier der Einfachheit halber einander abgeschlossen gegenübergestellt. Sie verstehen sich mit dem granum salis.

*

Körperpflege

Die Frischerhaltung Deines Körpers erfordert erstens vernünftige Beanspruchung, zweitens äußerliche Pflege.

Nicht umgekehrt.

Schwitzen ist notwendiger als Baden.

Sauberkeit, tägliches Waschen, vom Kopfe bis zum Fuße, ist für den Menschen, mit dem ich mich hier unterhalte, Selbstverständlichkeit. Aber der große Wert des Schwitzens aus Körperarbeit, nicht etwa durch Bäder, Packungen, Medikamente, wird nicht von all denen erkannt, welche sich sauber waschen.

Künstliche Mittel der Schweißerregung gehen den kranken, nicht den gesunden Menschen an.

 

Sei behutsam mit sogenannter Abhärtung. Abhärtung sei nicht Abschreckung.

Schlankheit ist nicht jedem gegeben.

Sei nicht darauf erpicht, unter allen Umständen Dein Bäuchlein wegzukasteien. Dazu gehört ärztliche Behandlung. Diese Kalorienreserve macht nicht gleich alt; wie gut paßt sie zu Deinem Cut!

Sport erhält jung. Aber mit ihm verbundene Ueberanstrengung nutzt Dich schnell ab.

Sei deswegen nicht zu ängstlich, solange Du jung bist. Horche nicht zuviel nach Deinem Herzen.

Es ist schlimm, Sklave der Krankheit zu sein; es ist dämlich, Sklave der Gesundheit zu sein.

 

Dieses Buch ist nicht für Leute geschrieben, welche Weltrekorde aufstellen wollen.

Ein vorzügliches Mittel gegen Ueberanstrengung liegt auch auf sportlichem Gebiete in der Vielseitigkeit.

Der all round man ist nach unserm Sinn.

Aber richtig wird die Sache erst, wenn neben den körperlichen Interessen auch geistige gepflegt werden.

 

Nicht jeder hat Zeit, Geld, Neigung, Sport zu treiben. Aber körperliches Ausarbeiten muß sein.

»Es ginge vieles besser, wenn man mehr ginge« gilt auch in der Zeit des Automobils.

Ein gutes Mindestmaß von Körperarbeit wird durch das Buch vom »Müllern« gelehrt, dieses ausgezeichnete Laienbuch.

Alle Arbeit, die Du verrichtest, mußt Du mit Freude tun. Du treibst Sport, weil er Dir Vergnügen macht. Auf die paar Körperbewegungen beim Müllern, abwechselnd mit erfrischender Benetzung, freust Du Dich schon, wenn Du Dich noch im Bette reckst und streckst. Bei Deinen Spaziergängen absolvierst Du kein Kilometerpensum. Du hast unerschöpflich neue Eindrücke und beseitigst mit ihnen die Schlacken unfruchtbarer Reflexionen. Schlendern.

 

Die notwendige Körperpflege wird Dir zum Genuß.

Auch die Berufsarbeit macht Freude, wenn sie etwas schafft.

Richtiges Arbeiten ist Vorfreude.

*

Sinne

Willst Du Dich frisch erhalten, so pflege Deine Sinne. Die Natur hat Dir Wächter bestellt: Gesicht, Gehör, Gefühl, Geruch, Geschmack.

Die Physiologen, Psychologen und Parapsychologen haben noch eine weitere Anzahl von Sinnen festgestellt, aber für unsere Betrachtung lassen wir uns an diesen fünf genügen.

Je besser gebildet und je feinfühliger sie sind, desto mehr erleichtern sie Dir glückliches Arbeiten. Je wachsamer die Posten sind und je eingehender ihre Meldungen an die Zentrale, um so leichter und erfolgreicher kann die Kommandostelle anordnen.

Feinfühlig ist nicht nervös.

Von diesen fünf Geschwistern sind Geruch und Geschmack eng verbunden, wie etwa der vierte und fünfte Finger Deiner Hand. Alle sind selbständig.

Deine Pflege von Auge und Ohr bestehe darin, sie vor Ueberbürdung zu schützen. Sie sind viel mehr in Anspruch genommen als die andern, welche zu Unrecht vernachlässigt werden. Zu Unrecht insofern, als zur harmonischen Ausbildung des Menschen alle fünf Sinne geschult werden sollen.

Wie sehr Sehen und Hören im Vordergründe stehen, zeigt unsere Sprache, welche für Nichtsehen- und Nichthörenkönnen eigene Ausdrücke, blind und taub, geprägt, aber für die Verneinung der andern keine eigene Bezeichnung hat.

Jede Brille macht alt. Zur Markierung seiner Intelligenz wird mein Leser sie nicht benötigen.

Wenn Du gesunde Augen geerbt hast, mußt Du in der Jugend über die Gefahr der Kurzsichtigkeit, in späteren Jahren über die Angewöhnung der Weitsichtigkeit hinwegzukommen suchen. Erziehe Dich selbst, wenn Dich Niemand erzieht, wechsle in der Beanspruchung der Sehnerven ab. Genieße das Vergnügen, die Augen zwischendurch zu schließen, vom Buch in die Ferne, in den Sternenhimmel zu schauen. Gib den Augen nicht gleich nach, wenn sie weitsichtig werden wollen und die Brille haben möchten.

Hüte Dich vor zuviel Licht.

Die Ueberfülle der elektrischen Beleuchtung, auch als indirektes Licht, ist mehr, als die Natur den Augen zugedacht hatte.

Der Reiz des altfränkischen Feuerwerks, der Christbaumlichter, Sternschnuppen, des Kaminfeuers, beruht auf der entlastenden Abwechslung in der stereotypen Lichtüberschwemmung. Kluge Gastgeber wissen, daß die altmodische Kerze eine Wohltat ist und die Menschen schön und geistreich macht.

Ueberlastet ist auch das Gehör, besonders in neuerer Zeit. Verkehrslärm setzt ihm zu. Radio, Plattenmusik stumpfen es ab für die feinen Unterschiede zwischen Original und Vervielfältigung.

Meide den Lärm, suche die Stille!

Daß harmonische Ausbildung der Sinne notwendig ist, zeigt ein Blick aus die Wechselbeziehungen zwischen deren Funktionen und dem Wesen der Menschen, z. B. den Einfluß, welchen das Fehlen des einen oder andern Sinnes hat: das Mißtrauen des Tauben, die vertrauende Nachgiebigkeit des Blinden.

Wenn das Training von Auge und Ohr im Vordergründe heutiger Beanspruchung steht und deshalb vor Ueberanstrengung zu warnen ist, so ist umgekehrt auf den Nutzen hinzuweisen, welchen Dir die Pflege der anderen Sinne gewährt.

Sehen und Hören nutzen Dich ab; laß die andern Sinne Dich erfrischen.

Der Geruchsinn liegt bei den meisten Menschen brach. Andere haben empfindliche Nasen nur für schlechte Gerüche, sie sind so verbildet, daß sie am liebsten aus das Riechorgan ganz verzichten würden.

Oder sie reagieren nur auf lärmende Gerüche, Parfum, Tabakrauch, Autogase.

Und doch bietet der Geruchsinn dem Unverbildeten wundervolle Genüsse und Erholung. Die Anregung, welche das Rauchen dem Geistesarbeiter bringt, liegt weniger im Stimulans des Nikotins als in der Einschaltung einer Abwechslung durch die Geruchsnerven.

Was kann mehr erquicken, als der kräftige Geruch von Wald, Wiese, Heide? Die meisten Menschen denken nur, wie »gesund« solche Luft sei. Gesundsein und Gutduften liegt zusammen.

Der Duft einer dunkelroten Rose kann Dich in ein Meer von Wonne tauchen. – weißt Du, daß die meisten Blumen einen feinen Duft haben? Die Bienen wissen damit Bescheid. Nimm Dir einmal die Mühe, Dich zur Winde hinabzubeugen oder Deine Nase zur Sonnenblume hinaufzurecken.

Die »Feldeinsamkeit« von Brahms-Allmers ist tönender Duft von Gras und Heide.

Schuberts Hohelied vom Lindenbaum atmet den süßen, schweren Duft, der uns diesen Baum zum heimlichsten, vertrautesten im deutschen Walde gemacht hat.

Heu, Holz, saubre Menschen – tausend feine Dinge gibt es für die Nase.

Die guten Lehren vom Einatmen frischer Luft erteilt die Nase.

Laß Deinen Geruchsinn nicht verkümmern. Er ist für seine Ausbildung dankbar!

Nasenfreuden sind ein Requisit der Jugendlichkeit.

Der Tastsinn verlangt ebenso seine Rechte, wie er treu seine Pflichten erfüllt, wenn er z. B. dem Blinden als Lückenbüßer dient.

Marmor, polierte Kanten, der Stiel Deines Weinglases bereiten Vergnügen. Ein Blumenblatt streicheln, das Fell einer Katze, weiche Haut, Frauenhaar, geschmeidiges Stanniol falten, in frisches Leinen, in Schnee greifen, das Aehrenfeld streifen!

Dem Klavierspieler ist die Berührung mit dem Elfenbein mehr als Dynamik und Mechanik.

Von allen Schaffenden genießt der Plastiker die innigsten Schöpferfreuden.

Nicht unbewußt tu diese Dinge, sondern ganz bewußt mußt Du den Tastsinn pflegen.

Die Augenblicke, in denen Du mit den Sensationen von Geruch und Gefühl Deine armen, ewig geplagten, ewig kämpfenden Augen und Ohren entlastest, verjüngen Dich.

*

Ernährung

Es gab einmal in Berlin eine hunderttägige Ausstellung »Die Ernährung«.

Vom Schwein mit seinen fetten Argumenten bis zur Pfennigrechnung von Hindhede fand man alle Möglichkeiten.

Die Vitamine versuchten energisch bis zum Menu durchzudringen.

Ernährungsfragen sind individuell zu behandeln.

Der Kranke muß sich fügen.

Aber als Gesunder brauchst Du nicht jeder Meerschweinchentheorie nachzuleben.

Das Band, das auch in jener Schau alles miteinander verknüpfte, war der nervus sympathicus.

Schmeckt Dir etwas gut, so ist die erste Voraussetzung erfüllt, daß es Deinem Körper auch nützt.

 

Die wichtigste Rolle in der Ernährung kommt wieder der Abwechslung zu. Beim Gesunden wie beim Kranken. Diät- und Luftkuren basieren auf der Abwechslung.

Mit der fortschreitenden Entwicklung des Menschen ist seine Ernährung über die Einförmigkeit der Tiernahrung hinausgewachsen. Und diese Vielseitigkeit, nur im geringen Maße durch Bindung an Zonen eingeschränkt, ist ein Vorrecht, das Du Dir nicht benörgeln lassen sollst.

Laß Dir nicht einreden, eine beschränkte, z. B. fleischlose, Ernährung sei für alle das wahre. Meistens nutzen solche Propheten eine Modekonjunktur aus. Sie gab's von Urzeit an, von den Lotophagen bis zu den Rohkostlern.

Betrachte mit Interesse alle diese Richtungen und nimm von ihnen, was Dir schmeckt.

Geschmack ist individuell, und was Dir frommt, auch. Stelle Dein Essen nicht nach Kalorien zusammen, schwöre nicht auf Vitamine – sonst mußt Du bei einer neuen Theorie umschwören.

Mache Deinen Darm nicht zu Deinem Gott. Auch er hat zu gehorchen. Zweimal täglich.

Habe keine Furcht vor einem Eisbein und Sauerkraut. Mute Deinem Magen und Verdauungstraktus gelegentlich auch etwas zu.

Gesunde fletchern nicht.

 

Auch als Fleischesser schätze vegetabile Nahrung als Bereicherung Deines Küchenzettels. Verehre Masdaznan um einiger herrlicher Rezepte willen.

Die Freude am Materiellen erhält Dich jung.

Ich predige nicht Maßlosigkeit und Schlemmerei.

Im Gegenteil, je mehr Du Dich bildest, das Gute vom Gewöhnlichen, das Bessere vom Guten auch im Genuß zu unterscheiden, desto sparsamer wirst Du Dich auf das Beste beschränken. Du wirst sehr bald dazu kommen, wenig, aber gut zu genießen.

 

Am Essen und Trinken sind bekanntlich mehr Leute zugrunde gegangen als am Hungern und Dürsten.

Wechsle ab. Ueberschlage mal ein Mittagbrot und bereite Dir dafür einen Kopf Salat, um Dir den Sonntagsbraten zu verdienen.

Iß, weil Du Appetit hast, nicht weil Essenszeit ist. Freue Dich auf die Mahlzeit.

Wenn Du mit Liebe ißt, wird Dir auch mit Liebe gekocht werden.

Iß, was die Jahreszeit bringt. Iß Spargel nach der Gartenregel bis zum 24. Juni; in dieser Zeit schwelge nach Möglichkeit darin. Dann wirst Du nicht nach Konservenspargeln verlangen.

Iß frische Erdbeeren, wenn sie bei Dir in Massen reifen, dann schmecken sie am besten; importierte zu Weihnachten schmecken nicht.

Du wirst Dich wenig darum scheren, ob Zitrone am Salat »gesünder« ist als Essig (Salat an sich ist »gesund« genug), sondern entscheiden, ob Du den Zitronengeschmack willst oder den neutralen Essiggeschmack.

Durch Erziehung von Zunge und Nase wirst Du bald zu fröhlicher Freiheit in diesen alltäglichen Notwendigkeiten gelangen.

Du wirst merken, daß eine gute Kartoffel Wohlgeschmack hat und nicht nur zum Feuchtigkeitsträger für die Bratensoßen berufen ist, daß man Brot auch trocken essen kann. Und wenn Dir einmal die Butter ausgeht, wirst Du Dein würziges trocknes Roggenbrot als armer Teufel und Feinschmecker genießen.

Du wirst die Speisen wenig salzen, weil Deine Zunge fein genug ist, das natürliche Aroma zu würdigen, und wirst so durch die Erziehung Deiner Zunge dahin gelangen, wohin der moderne Arzt Dich bringen möchte. Du wirst etwas von der Sicherheit des Tieres zurückgewinnen, welches nur das Bekömmliche wählt.

Gönne Dir nach Möglichkeit Zeit beim Essen. Besonders bei dieser Beschäftigung laß Dich nicht von dem Hasten der andern, fälschlich »Tempo« genannt, anstecken.

Genieße mit Dankbarkeit und Freude, denke an garnichts anderes, als wie gut es der Himmel wieder einmal mit Dir gemeint hat, und Du wirst Segen haben.

*

Trinken

Und das Trinken.

Es soll vorkommen, daß Leute sich betrinken. Das befürchte ich bei Dir nicht. Ich bilde Deinen Eichstrich aus.

Es ist richtig, man trinkt nicht nur, wenn man Durst hat, man trinkt auch, um seiner Zunge einen Genuß zu verschaffen, um allgemeiner Fröhlichkeit teilhaftig zu werden, um zu vergessen, oder aus mehreren solcher Gründe. Die Zunge reguliert und erspart dem Verstand, mit Mäßigkeitsgrundsätzen Schiffbruch zu erleiden.

 

Wer einen Rausch gehabt hat, ist noch kein schlechter Mann.

Die Schädigung des Körpers durch einen solchen Exzeß darf nicht übermäßig veranschlagt werden.

Die Wirkung der Genußgifte, wie Alkohol, Koffein, Nikotin, wird hinsichtlich ihrer Schädlichkeit, Unschädlichkeit oder Zweckmäßigkeit noch keineswegs abschließend beurteilt. Uns berührt sie wenig. Wir vertrauen unserm guten Geschmack.

Uns ist Alkohol auch nicht das Alleinseligmachende. Freilich, wer nicht den Wert eines guten deutschen oder französischen Weines mit all seinen wundervollen Abstufungen nach Lage und Jahrgang schätzt, verzichtet auf viel. Er gelangt nie in das welt- und sorgenentrückte Paradies des Zechers.

Auch Gambrinus besteht daneben. – Seine Gehilfen, die Brauer, bestehen sogar recht gut.

Neben Bacchus wirkt er etwas täppisch; für Deinen Geldbeutel ist, richtig berechnet, Wein billiger als Bier. Wein unterhält Dich, Du kannst ihn einsam trinken. Bier verlangt Geselligkeit.

Singen und Quasseln macht Mengen bekömmlich.

Aber nur Wein und Bier?

Was wäre noch alles über die feinen Kaffeeräusche, die Abstraktheit des Tees, über den Wert eines rein destillierten Schnapses zu sagen!

Wie köstlich ist Milch, rohe, kühle Kuhmilch! Die kindliche Freude an diesem Urstoff erhält Dich jung! Und das herrlichste von allem: ein Trunk frischen Wassers. Ideal physiologischer Oekonomie, weil es eben nur des Durstes halber getrunken wird, und doch von köstlichem Wohlgeschmack.

Welcher Unterschied zwischen Hand- oder mundgeschöpftem Trunk aus dem Bergquell und dem sauberen Leitungswasser der Städte.

Welches Labsal zum Abschluß vor dem Schlafengehen. Ἄριστον μὲν ὕδωρ..

 

Willst Du die Verschiedenheit gleichartiger Dinge werten, mußt Du sie unmittelbar nebeneinander versuchen.

Du kannst nicht den Trunk von heute mit jenem vom letzten Abend vergleichen. Willst Du zweierlei Zigarren beurteilen, mußt Du beide zugleich anzünden und nebeneinander rauchen.

Ist solche Gegenüberstellung nicht möglich, so halte mit Deinem Urteil zurück.

 

Einbildung ist alles. Unmöglich, diesen Begriff auszumerzen.

So ist auch alles Geschmackliche »Einbildung«.

Wir wollen die Einbildung nicht bekämpfen, sondern kultivieren im Sinne von Zeit und Umgebung.

Ein gesunder und gebildeter Geschmack wird das Richtige treffen und das Drum und Dran richtig bemessen: Sekt aus der Tasse schmeckt nicht, aber der Baccaratschliff macht noch nicht die Kreszenz.

*

Rauchen

Du mußt nicht rauchen, weil Du nervös oder gelangweilt bist, sondern wenn Du Muße und Lust zu dem Genuß hast, den Dir der Tabak bereitet.

Rauchst Du nicht oder wenig, so wirst Du für andre Genüsse der Nase und Zunge um so empfänglicher bleiben. Verzicht durch Ersatz.

Nikotin ist Gift; aber wir fürchten es nicht besonders. Rauche vielerlei, multa non multum.

Empfinde, daß jeder Zug aus Pfeife, Zigarre, Zigarette anders schmeckt als der vorige. Lege die Zigarre oder Zigarette weg, wenn sie Dir nicht mehr schmeckt. Sie ist kein Pensum, welches durchaus abgearbeitet werden muß. Droht die Zigarette zuviel Einfluß auf Dich zu gewinnen, so ziehe Dich mit Anstand auf die Zigarre zurück.

Es wird Dir unmöglich werden, unter die Botmäßigkeit Deiner Genußmittel zu sinken.

Ich traf bei meinem Zigarrenhändler einen armen Mann, welcher 30 Pfennig wöchentlich fürs Rauchen erübrigte. Er kaufte sich dafür zwei Zigaretten. Ein Kenner!

Du wirst nicht zu den Leuten gehören, die jahrelang dieselbe Sorte Zigarren oder Zigaretten rauchen, aus »Gewohnheit«.

Der Begriff »Gewohnheit« trägt das Kriterium der mangelnden Ueberlegung, deutlicher noch in dem Worte »Angewohnheit« zu erkennen.

Eine gewohnheitsmäßig geübte Handlung sollte jedesmal die Ueberlegung vertragen können, daß sie unter den gegebenen Umständen richtig sei.

Gewohnheit ist sonst der Beginn des Rostens, Alterns.

*

Manieren

Ein unfehlbares Mittel, alt zu wirken, sind schlechte Manieren.

Man erkennt in ihnen den Mangel an Spannkraft, die Abstumpfung gegen die ästhetische Tradition.

 

Ich bitte um Grazie.

Grazie heißt nicht, den kleinen Finger abspreizen.

 

Namentlich beim Essen und Trinken sind schlechte Manieren berüchtigt, wenn Dir die bekannten, ins Einzelne gehenden Vorschriften über die Anwendung von Löffel, Messer und Gabel kleinlich erscheinen sollten – laß Dir diesen Zwang gefallen. Sie haben alle ihre Begründung.

Es ist nicht leicht, einen Teller Suppe so zu löffeln, daß es Deinem Zuschauer und Zuhörer Vergnügen bereitet.

Menschenfreunde lassen sie in Tassen reichen.

Ellenbogen gebraucht man nur als Redensart.

Sei Anatom bei Fisch und Huhn.

Sei vorsichtig im Gebrauch des Zahnstochers; wie leicht belastest Du Deinen Gastgeber!

Vermeide vulgäre Kraftworte, moderne Redensarten, kolportierte Witze und Verlegenheitsworte, wie: »nicht wahr« – … »wissen Sie« … – »und, und« … »ä ä« … Solches Gedankenstottern macht Dich unbeholfen und alt. Versuche nicht originell zu sein.

Eine einzige treffende Bemerkung am ganzen Abend ist eindrucksamer als ein Wildesches Raketenfeuer. Originalität ist die Schwierigkeit der Nachfahren. Ein »Original« ist meistens alt.

*

Äußeres

Die Pflege Deiner äußeren Erscheinung sei Dir wichtiger, als Du Dir anmerken läßt.

Ein Spiegel genügt nicht immer. Scheue nicht die unangenehmen Eröffnungen, welche ein zweiter Spiegel Dir über Profil und Reversseite zu machen hat.

 

Eine Glatze macht nicht immer alt, aber darüber gelegte »Sardellen« sind vergebliches Bemühen.

Seit Caesar ist die Glatze nicht mehr verpönt.

Ebensolange gibt es Haarwuchsmittel, und ebenso alt ist die Erkenntnis, daß sie samt und sonders nichts taugen.

Abgesehen von einigen lokalen Erkrankungen, die vorübergehend und heilbar sind, liegen die Ursachen der Kahlköpfigkeit viel tiefer in ererbter Konstitution und dem Körperaufbau, als daß Du ihnen mit solchen Mittelchen beikommen könntest, und wenn Du auch sommers und winters barhäuptig laufen solltest.

Der Haarboden ist kein Acker, der durch Düngen, Sonnenschein und Regen fruchtbar wird.

 

Graues Haar ist zwar »eine Krone der Ehren«, macht aber unweigerlich alt. Zuweilen gibt es einen pikanten jugendlichen Gegensatz zwischen rosigen, frischen Zügen und dem Grau- oder Weißkopf.

Aber sonst mußt Du wohl oder übel färben.

Färben muß, wie jeder Schwindel, so gemacht werden, daß man nichts merkt.

Härchen, die aus Nase und Ohren sprießen, entferne sorgfältig, auch wenn sie noch farbig sein sollten. Sie stehen nur dem Eremiten gut.

In Deiner Tracht, sie sei bescheiden oder reich, vermeide das Ausfallende. Nur schöne Männer dürfen den letzten Schrei der Mode widerhallen.

Dein größtes Augenmerk sei auf jenen Teil des Anzuges gerichtet, der den Ruhepunkt für den Blick Deines Gegenübers bildet, Kragenschluß und Krawatte.

Glaube nicht, daß man Dein geistreiches Mienenspiel bewundere: man kritisiert nur den Schlips.

Er ist für den Herrn zugleich die einzige Gelegenheit, in seinem Anzuge persönlichen Geschmack zum Ausdruck zu bringen.

Binde sehr sorgfältig dieses Mittelding zwischen Strick und Tuch.

Zu jugendliche Farben der Krawatte machen Dich alt. Krawatten kauft man nicht, wenn man sie nötig hat. Wie ein Liebhaber von schönen Dingen, erhandelt man bei Gelegenheit ein besonders reizvolles Stück.

Du mußt soviel von Deiner äußeren Erscheinung wissen, daß Du Deinem Schneider oder dem Jüngling an der Stange angeben kannst, worin und wieweit Du der Mode folgen willst.

Nicht umgekehrt.

 

Schmuck = Ringe sind nur wohlgeformten Händen erlaubt.

Knotige, kurzbenagelte, saubere Finger lassen Dich als Mann der Kraft, Tatkraft, Schläue erscheinen; Ringe daran machen Dich zum Proleten.

 

Aber letzten Endes wirkt Dein Aeußeres nur kurze Zeit, dann hat man sich an die Oberfläche gewöhnt.

Und dann kommst Du!

 

Sei verschwenderisch im Gebrauch von Taschentüchern. Ein Zeichen versäumter oder vergessener Erziehung ist das Putzen, Spielen, Kratzen der Finger im Gesicht. Nur mit dem Tuch bewaffnet, darf sich die Hand im Gesicht zu schaffen machen.

 

Parfum darf nur so schwach aufgetragen sein, daß es vom andern erst bei körperlicher Annäherung empfunden wird, beim Kuß, beim Tanz.

Starkes Parfum erweckt den Verdacht, Du habest etwas zu verdecken, – wirkt wie Bilanzverschleierung, erinnert an den unsicheren Pianisten, der sich mit dem Pedal einnebelt.

*

Es singt ihr Lied die Nachtigall
Auch noch in Deinen spätern Tagen –
So lang Dein Herz gibt Widerhall,
So lang wird Dich die Liebe plagen.

So lang Dir roter Rosen Duft
Vor Seligkeit das Herz will weiten,
So lang wirst Du, trotz Winterluft,
Durch holden Liebesfrühling schreiten.

Sexus

Geschlechtliche Liebe, die Triebkraft im All, ist, in unserer begrenzten Betrachtung, die anregendste aller Abwechslungen, oft in unvorteilhafte Ablenkung ausartend. Die scheinbar hoffnungslose Aufgabe, in diesen Aufruhr der Gefühle Ordnung zu bringen, ist nur auf unsere Weise zu lösen: veredelte Sinne, geschultes, an Konzentration gewöhntes Denken beugen Uebertreibung vor.

 

An sich sind Liebe und geschlechtliche Empfindung verschiedene Dinge, geeignet, sich zu wundervoller Einheit, zur stärksten Empfindung, deren ein Wesen fähig ist, zusammenzutun.

 

Je früher Du zu der Einsicht der Zweiheit dieser Empfindungen gelangst, desto mehr bist Du vor Dummheiten geschützt, die aus der Verwechslung der Begriffe herrühren. Das Mischungsverhältnis von »Herz« und Sexus ist bei allen Individuen verschieden und bei jedem einzelnen auch in der Dauer unbeständig.

Sorge, daß Dein Sexus nie ohne Herz sei. Du bist kein Bulle.

Ich bitte um Grazie.

Das große Problem der Kindererziehung ist das sexuelle, nur individuell und ohne Uebereilung zu behandeln.

Heranreifende Kinder, schwache Menschen neigen zur Selbstbefriedigung.

Sie ist deplaziert, aber nicht so verwerflich, wie es häufig hingestellt wird. Mit Höllenstrafen wird da nichts gebessert.

Bist Du selbst auf diese unerwünschte Methode des Stoffwechsels geraten, so überlege kühl eine Aenderung Deiner Körper- und Geistespflege.

Empfinde Selbstbewußtsein und Tatkraft, wie klug gepflegter Sexus bis ins Alter sie gibt.

Bedenke, daß nur volle Hoden schöpferisches leisten können. Alle großen Ideen entsprangen ihnen.

*

Ehe

Das Ideal aller geschlechtlichen Betätigung ist die Ehe, die richtige, althergebrachte, monogame, mit Kindern. Was dieser Bindung oft entgegensteht, sind im allgemeinen nicht wirtschaftliche Hindernisse, wie oft versichert wird, ist vielmehr die erwähnte individuelle und zeitliche Verschiebung im Mischungsverhältnis von Herz und Sexus, denn dadurch erst gelangen wirtschaftliche Schwierigkeiten zu entscheidender Bedeutung.

In einer harmonischen Ehe sollen die Anteile an Berechtigung und Bestimmung für beide Gatten gleich sein, wie der Finanzmann sagt: fifty-fifty.

Gib Deiner Frau ruhig 51 Prozent dieser Gesellschaftsanteile, mit der kleinen Majorität zugleich die Direktion des inneren Betriebes.

Bist Du Vater, so vergiß nicht, daß Du in erster Linie Gatte bist. Je mehr Du Liebe hast für die Gattin, desto besser geraten die Kinder.

Aber, wie immer Du liebst – herzlich und zärtlich wie der Anfang sei das Ende.

Nach der Begattung brummig zu werden, ist ebenso kleinlich und unmännlich und brutal, wie kalte und gehässige Beendigung einer großen langen Liebe.

Für die Technik des geschlechtlichen Verkehrs bedarfst Du nicht der schmutzigen Anweisungen berühmter Bücher.

Beherzige nur das Gesetz der Gegenseitigkeit; verlange nicht nur für Dich Freude, sondern bereite sie auch.

Du wirst bemerken, daß dieses Buch etwas Zeitloses an sich hat. Es könnte ebensogut vor 50 Jahren, wie im Jahre 2000 geschrieben sein.

Denn immer derselbe ist der Mensch.

Die Technik, deren Entwicklung in den letzten Jahrzehnten unserm Leben ein anderes Aussehen gegeben hat, hat den Menschen selbst in seinem Wünschen und Streben, in Gut und Böse nicht ändern können, und bis er von ihr etwa wirklich infiziert wird, dürfte noch viel Zeit vergehn. Einstweilen peitschen die Kinder auf der Straße ihre Kreisel noch genau so heftig und mangelhaft, wie unter den Augen des Archimedes.

Dennoch verdanken wir diesen technischen Errungenschaften manche hübsche Erkenntnis über den Menschen.

Das Kino hat erneut bewiesen, daß Kitsch in der Kunst ebenso unentbehrlich ist, wie Mittelmäßigkeit in jedem andern Streben.

Radio, dieser geschäftige Kultur-Faktor, hat bis jetzt dem Skeptiker recht gegeben, der da meint, daß durch Verallgemeinerung die Masse Mensch nicht zur Kunst emporgehoben, vielmehr die Kunst herabgezogen werde.

Und wer hätte vor der Zeit des Automobils wohl geglaubt, daß so viele Menschen Kutschertalent hätten!

Fliegen! Die Erfüllung der ikarischen Sehnsucht durch das Flugzeug hat sich als eine Erweiterung der Verkehrsmöglichkeiten und Vermehrung der Kriegswaffen entpuppt; von einem Kulturfortschritt ist keine Rede.

*

Geistespflege

Wir leben im Zeichen des Körpers.

Man vergleiche die Gage des Boxweltmeisters mit dem Honorar des Schachweltmeisters.

Die Zeiten ändern sich. Leise spürst Du schon, wie die Hochflut dieser Strömung abebbt, aber für unsere Betrachtungen ist noch der ausdrückliche Hinweis nötig, daß zur harmonischen Ausgestaltung des Menschen, zur Erhaltung seiner Jugendlichkeit, sorgfältige Geisteskultur mit der Körperpflege gleichen Schritt zu halten hat.

Dies Buch ist nicht für Faulenzer geschrieben, sondern für überlastete Männer.

Belastung und Ueberlastung ist fast stets geistiger Art. Falsch organisierte geistige Arbeit verstimmt Körper und Stoffwechsel. Rationelle Arbeit, auch wenn sie rein geistig ist, verursacht Hunger und verlangt kräftige Ernährung.

Kontrolliere das Arbeiten Deines Verstandes.

Tritt zuweilen aus Dir heraus und beobachte Dich.

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Denken

Jede Wahrnehmung, welche Deinem Gehirn durch Deine Sinne übermittelt wird, wird zu einem mehr oder minder starken Eindruck, geht in Dein Gedächtnis ein, und in weiterer (Gedanken-) Arbeit formt Dein Gehirn daraus Zusammenhänge, Konstruktionen, Vorstellungen, Ideen, Reflexionen.

Die einzelnen Eindrücke, wie ihre Zusammensetzungen und Ableitungen verlieren sogleich nach dem Entstehen an Intensität, verflachen, werden undeutlicher, meistens indessen ohne spurlos zu vergehen.

Es ist Aufgabe der Gehirntechnik, durch wiederholtes Anklingen, durch Schalten neuer Verbindungen diejenigen Gedanken zu nähren, lebendig und frisch zu erhalten, welche Dir wertvoll sind.

Das Training Deines Denkens beginnt schon in früher Jugend. Du lernst die Gedankengebilde hübsch in Schubfächern aufbewahren. Nach Bedarf ziehst Du das betreffende Fach auf.

Mehr als ein Fach soll nicht aufstehen.

Diese Fähigkeit die Gedanken dem Willen unterzuordnen, sie zu konzentrieren, auf Geheiß kommen und gehen zu lassen, ist die Kunst der zufriedenen klugen Leute.

Was Du in der Schule lernst, ob Du alles später einmal als unmittelbares Wissen anwenden kannst oder nicht, ist weniger wichtig als daß Dein Verstand geschult wird, wie jedes Glied Deines Körpers muß Dein Verstand in der Uebung bleiben.

Die Gehirntätigkeit erstreckt sich von den unkontrollierbaren Empfindungen des tiefsten Unterbewußtseins durch alle Abstufungen hinauf bis zur klaren Vorstellung des Bewußtseins. Wie die Augen nicht nur das wahrnehmen, worauf sie den Blick heften, sondern daneben eine Unzahl von indirekten Eindrücken empfangen, so steht bei der Gesamttätigkeit des Gehirns nur ein geringer Bruchteil aller Wahrnehmungen und Regungen jeweils im Brennpunkt der Konzentration.

Dieses sogenannte Unterbewußtsein arbeitet gelegentlich selbständig. Manche unbefriedigende Lösung hat »über Nacht« eine wertvolle Ergänzung durch die unterbewußt weiterschaffende Gedankenarbeit erhalten.

Auch aus diesem Grunde vermeide hastige Entschließungen.

Da konzentriertes Denken ein Nacheinander, nicht Nebeneinander ist, so ist ein geschmeidiger geübter Denkmechanismus das Ziel aller Schulung.

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Spiel

Dem Spiel kommt die größte Bedeutung zu.

Spiel ist Arbeit in günstigster Form.

Die Bedeutung zeigt sich in frühester Jugend und gründet sich auf Konzentration. Nichts übt so wie das Spiel die Fähigkeit, alle Gedanken in eine Richtung zu bringen und anderes auszuschließen.

Wer gut spielen kann, kann auch gut arbeiten. – Arbeite so scharf, als ob du spieltest usw.

Einen besonderen Wert hat das Spiel durch den Anreiz, eine Niederlage wettzumachen, d. h. sich am Stärkeren zu messen.

Alle guten Spieler stammen von Antäus ab.

Nur wer verliert, gewinnt.

Hast Du Dich an Konzentration gewöhnt, so hast Du die wertvolle Fähigkeit der hemmungslosen Anspannung aller Kräfte in entscheidenden Augenblicken. Dir wird nicht nur das Lampenfieber fernbleiben, sondern Deine Leistung wird, »wenn es darauf ankommt«, über Deine Durchschnittsleistung steigen.

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Ärger

Der ökonomisch verwaltete Gedankenapparat kennt Ärger nicht nur gepflegtes Erinnern, sondern auch gewolltes Vergessen.

Zum Vergessen eignen sich alle unangenehmen Eindrücke.

Aerger ist etwas unberechtigtes. Du kannst Schmerz und Kummer empfinden, aber Aerger enthält etwas von mangelhafter Ueberlegung, ähnlich wie der früher erwähnte Begriff Angewohnheit.

Eine zerbrochene Schale, die gestohlene Brieftasche sind bedauerliche Vorkommnisse, aber mit Aerger besserst Du nichts, belastest Dich nur. Die nötige Lehre zur Vorsicht wird Dein Gedächtnis ohnehin annehmen. Ein häufiges Beispiel für die Nutzlosigkeit des Aergers, aber gleichzeitig auch für die Möglichkeit, diese Abnutzung Deiner Frohnatur zu vermeiden, hast Du im Spiel. Leichenreden bei Bridge oder Skat, Nekrologe für den mattgesetzten König sind Ballast, und die Behauptung, solche nachträgliche Analyse diene der Belehrung, verdeckt nur selten den Mangel an Selbstbeherrschung des Rechthaberischen.

Bist Du durch angeborenes Temperament veranlagt, Dich zu ärgern, so bildet das Vergessenlernen eine ernste Notwendigkeit zur Erhaltung Deiner Frische und Jugendlichkeit.

Der Pessimist altert schnell. Ihm vor allem möge der Rat dienen, sich zur Sonne zu kehren und in ihrem Lichte seinen Blick zu stärken für die liebenswürdigen Einzelheiten des Lebens.

 

Wer gelernt hat, mit gepflegten leichten Sinnen die kleinen Freuden zu schätzen, der hilft sich über Schweres hinweg. Leichter Sinn ist nicht Leichtsinn.

Ebenso, wie Du bestrebt sein mußt, alle Gedankenabstraktionen auf die einfachste Formel zu bringen, aus demselben Grunde der Oekonomie vermeide die Lüge.

Sie ist fast immer ein unzweckmäßiger Umweg, der Dein Gedächtnis unnötig belastet.

Auch ethische Gründe sprechen mit.

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Erinnern

Mehr als das, was man vergessen lernen muß, beschäftigt uns, was wir durch Wiederholen, Erwägen, Variieren zu unserm geistigen Eigentum machen.

Gedächtnis ist das Kapital, welches Deine Ideen und Reflexionen finanziert.

Du hast die Aufgabe, dieses Kapital zu verwalten.

 

Die Fähigkeiten des Gedächtnisses sind, wie alles andere, bei allen Menschen verschieden. Die Aufnahmefähigkeit der Jugend kannst Du Dir nicht erhalten, sondern mußt durch Technik und Oekonomie dafür Ausgleich schaffen. Von dem Gedächtnis Deiner Tante, der morgens beim Erwachen die heute fälligen Geburts- und Sterbetage in der Verwandtschaft einfallen, bis zur Fassungskraft des Abiturientenschädels, der Unmengen von Lernstoff aufsaugt, um ihn nach einigen Wochen wieder fahren zu lassen, gibt es alle Sorten von Gedächtnis.

Ist deine Grütze zähe, mache sie flüssiger durch häufiges Umrühren. Bist Du schnell empfangend und schnell vergessend, kannst Du Dich durch wiederholen stärken.

Zerstreute Leute wirken alt.

Der Mann, der in der Unterhaltung nach einem Namen sucht: »wie heißt er doch gleich … na, ich werde schon noch darauf kommen …« wirkt verbraucht.

Beruhige Dich nicht bei solchem Einschlafen von Erinnerungen, die wachgehalten werden sollten.

Ein Beispiel: Dir kommt die Erinnerung an einen Namen, der Dir zwar nicht gegenwärtig ist, Dir aber wieder geläufig sein würde, wenn er genannt würde. Geh nicht darüber hinweg, suche die Anklänge, war er zweisilbig, dreisilbig? Vielleicht weißt Du den Anfangsbuchstaben oder darin vorkommende Lautverbindungen. Gehe das Alphabet durch, und Du wirst schon finden.

Oder Du weißt eine Melodie nicht hinzubringen.

Denke nach, wie Du sie früher wohl gehört hast, als Gesang, auf der Geige, im Orchester? Laß sie nicht in den Orkus hinabfahren. An irgendeinem Zipfel erwischst Du das Ding noch. Du wirst Erfolg haben und rein körperlich im Gehirn so etwas wie eine befriedigende Auslösung empfinden.

Diese Art der Auffrischung des natürlichen Gedächtnisses ist gut geeignet, das Erinnerungsvermögen zu stärken.

Vergeßlichkeit ist Mangel an Willen.

 

Dies hat nur wenig mit Mnemotechnik zu tun, die in ihrer Weise auch geeignet ist, Freude an der Gehirnarbeit zu machen. Mnemotechnik setzt voraus, daß man den zu behaltenden Stoff bewußt mnemonisch zurechtlegt.

Zum Kapitel Erinnern gehört die Dankbarkeit.

Sei dankbar nicht nur gegen Menschen und ihre Guttaten. Dankbar überhaupt gegen das Leben, welches Dir so viel Schönes gebracht hat.

Dich unterstützt dabei die Natur, die gern bereit ist, nur dem Angenehmen und Bedeutenden Dauer der Erinnerung zu verleihen.

Welcher Kriegsteilnehmer möchte die gewaltigen Eindrücke missen!

Pflege dankbare Erinnerung schon in der Jugend.

Feßle durch Erinnerung die Jugend an Deine Jahre.

Und überhaupt, für später einmal: Dem Dankbaren wird das Sterben leichter.

 

Laß Geselligkeit mit Einsamkeit abwechseln. Einsamkeit ist das Höchste.

 

Neben dem, was Dich hauptsächlich, beruflich, in Anspruch nimmt, mußt Du Liebhabereien haben; als Geistesarbeiter nicht nur die körperliche Erholung.

Flüchte nach der Fron zu Deinen Passionen, zu den Künsten.

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Politik

Wenig geeignet zu solcher Nebenbeschäftigung ist die Politik.

Nach einer knappen Definition soll Politik »angewandte Geschichte« sein, wenn dem so wäre, hätte ich nichts einzuwenden.

Tatsächlich wird aber in rebus politicis die Nutzanwendung des Geschehenen abgelehnt.

Es fehlt Dir die Möglichkeit einer wahren Grundlage für diese geistige Beschäftigung. Was Deine Quelle, die Presse, Dir zuführt, ist subjektiv in allen Schattierungen gefärbt und objektiv meistens garnicht zu werten.

Einerlei, ob Stammtisch oder Zeitung – die eingehende Beschäftigung mit der Politik ist eine unökonomische Belastung Deines Gehirns.

Natürlich hast Du Deine Meinung als Staatsbürger und wirst Deine Pflichten als solcher treulich erfüllen. Deine Stellung, rechts, links oder gar in der Mitte, ist Dir durch Deine Lebenslage schon zugewiesen.

Details überlasse den Berufenen.

– Und wenn, neben Erfüllung Deiner Wahlpflichten, Deine politischen Maximen sich darauf beschränken sollten, daß Du Gravensteiner Aepfel den Bananen vorziehst!

In Dingen, die zu treiben es sich lohnt, mache rüstig mit. Versuche mit den letzten Evolutionen von Künsten und Wissenschaften in Fühlung zu bleiben. Lehne nicht gleich ab, was Dich nicht überzeugt, sondern bemühe Dich, zu verstehen. Meistens ist etwas daran. Sonst verkalkst Du.

Das ist nicht zu verwechseln mit dem Modegehorsam des Snobs, der aus Mangel an Urteil und in der Furcht, rückständig zu erscheinen, mitläuft und mitklatscht.

Du sollst nicht klatschen, wenn du nicht ehrlich begeistert bist.

Aber Dein Gehirn soll geschmeidig und Du sollst mit den Jungen jung bleiben.

 

Nur, wenn Du solchergestalt »im Bilde« bist, kannst Du zu einem eignen Urteil gelangen und wirst es freimütig äußern – wenn Du gefragt wirst.

Du wirst vom nil admirari ebensoweit entfernt sein wie von Nachbeterei.

Du wirst stark genug sein, zu Deinem Urteil zu stehen. Es gibt auch Märtyrer der alten Anschauungen, nicht nur der neuen Lehren.

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Charakterkunde

Von tausend Menschen um Dich will Dir nur einer gutes. Den andern bist Du im Wege, oder, wenn es hoch kommt, gleichgültig.

Enttäuschungen kommen Dir nicht von den Dingen, sondern von den Menschen; darum sind auf die Dauer Menschen das einzig Interessante.

Enttäuschungen nutzen Dich ab.

Um dem zu begegnen, lerne die Menschen kennen, bevor die Berührung mit ihnen das Unangenehme auslöst.

 

Die Beleidigung durch Deinen Vorgesetzten, der Dir von vornherein als Flegel bekannt ist, kränkt Dich nicht mehr. Die Treulosigkeit Deines Mädchens stürzt Dich nicht aus allen Himmeln, wenn Du von ihrer Wandelbarkeit zuvor überzeugt warst.

Treibe Charakterkunde.

Sie bietet eine Fülle von Anregungen, ist eine der besten Liebhabereien.

 

Glaube nicht, Menschenkenner zu sein, weil Du Enttäuschungen erlebt hast.

Menschenkenntnis, Charakterologie setzt ein richtiges Studium voraus, baut sich auf einem ganzen System von Einzelbeobachtungen auf.

Im großen und ganzen ist Charakterologie empirisch. Selbst die Graphologie, ihr am meisten entwickelter Zweig, ist noch nicht auf die Höhe einer Wissenschaft gelangt, welche den lückenlosen Weg vom Gehirn bis zur Schrift lehren kann; sie basiert auf Erfolgskontrollen. Aber das ist hier nebensächlich.

Graphologie, Phrenologie, Physiognomik und andere geben Dir die Möglichkeit, Deinen Nächsten gründlich zu beurteilen, vermutlich gründlicher, als er Dich kennt.

 

Du wirst diese Studien ganz systematisch betreiben, Unterricht nehmen, soweit solcher erhältlich, im übrigen Autodidakt sein.

Material zum Studium hast Du überreichlich. Du wendest das Gelernte zunächst auf Personen an, die Du ohnehin genau zu kennen glaubst. Nebenbei wirst Du dabei zu der überraschenden Einsicht gelangen, wieviel Leute, jahrelanger Bekanntschaft ungeachtet, Dir ihr Inneres verborgen gehalten haben.

Nach einiger Praxis dehnst Du Deine Analysen auf Menschen aus, die Du noch nicht kanntest.

Sei vorsichtig im Abgeben von Charakterurteilen. Bevor Du nicht 1000 Analysen für Dich gemacht hast, gib von Deiner Meinung nichts preis.

Die Graphologie zeigt die Abweichung von der Norm, also im wesentlichen Charaktermängel.

Graphologie ist kein Gesellschaftsspiel. Schon der Berufsgraphologe hat Mühe genug, die bitteren Pillen für wißbegierige mit Redensarten zu versüßen.

Aber für Deinen Gebrauch ist solche Deutungskunst unübertrefflich. Du wirst auch ihre Grenzen erkennen.

Ueber Genie und Bedeutung sagt sie wenig. Den himmelhohen Geist Goethes kannst Du nach seiner Handschrift höchstens ahnen, aber seine unvergleichliche Formvollendung, Haltung, Grazie hast Du schwarz auf weiß.

Aehnlich treibe andere charakterologische Disziplinen. Du wirst, trotzdem die orthodoxe Wissenschaft Dich darin noch weniger als bei der Schriftdeutung unterstützt, interessante Einblicke gewinnen. Wirst einsehen, daß Energie im Effekt durch Friedrichs Nase ebenso ausgedrückt werden kann, wie durch Onkel Sams Kinn, wenn auch anders erzeugt; wirst nicht mehr auf treue blaue Augen hineinfallen, Dir durch buschige Augen brauen nicht mehr imponieren lassen.

Studiere den Gang der Menschen. Schon das Durchziehen des Fußes während des Schreitens läßt nette Einblicke gewinnen, zu schweigen von der Bewegung der Arme, Haltung des Kopfes usw.

Du kennst den Menschen, den Du auf der Straße überholst.

 

Wende Charakterforschung auf Dich selbst an.

Wie Du andere zergliederst, so schone auch Dich nicht. Wie in einem Spiegel siehst Du Dich in Deiner Handschrift. Sie diene, dazu, die Überwachung Deines Ichs zu unterstützen.

Nimm aus Deiner Handschrift Lehre an.

Achte auf die Wechselbeziehungen zwischen Ursache und Wirkung, auf den Einfluß, den es auf Dich hat, wenn Du ungünstige Schriftzeichen zu vermeiden trachtest.

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Zufriedenheit

Erkenne frühzeitig die Relativität des Glücksempfindens. Das ewige Auf und Ab, die Welle im Kosmos, ist auch im Glücksempfinden.

Dir schwebt zunächst etwas als das Glück vor. Du erreichst es, gelangst in die neuen Verhältnisse – und paßt Dich alsbald sosehr der neuen Lage an, daß Du kein Glück mehr empfindest, sondern neues erstrebst. Ebenso wird ein scheinbar untragbares Unglück tragbar, weil Du Dich dem tieferen Niveau anpaßt.

Das trifft für das Kind ebenso zu wie für den Erwachsenen. Des Kindes Jammer ist relativ genau so groß und tragisch wie der Kummer des Erwachsenen.

Es ist gedankenlos, ungerecht und altersschwach, von »glücklicher Jugend« zu reden.

Die Kapazität der Seele für Glück und Unglück, das Ausmaß des in Plus und Minus Tragbaren ist individuell verschieden.

Eines Tages werden wir auch dafür Meßinstrumente haben. Die Rätsel ums Glück werden nicht vom Philosophen sondern vom Elektrosophen gelöst werden.

Glück und Zufriedenheit sind eifersüchtige Schwestern. Gibst du es auf, der einen nachzulaufen, so kommt die andere zu Dir.

Die Ueberlegung, daß es dauerndes »Glück« nicht gibt, daß aber auch jede Unglücksempfindung begrenzt ist, kann Dich nicht zum Verzicht auf Leben und Streben bringen.

Adalbert Stifter sagt: Ergebung, Vertrauen, Warten. Mit meinem »Genieße« erstrebe ich dasselbe: Zufriedenheit.

 

Es ist leichter, lächelnd leiden als »Leiden ohne zu klagen.«

 

Lachen.

 

Singen, zum mindesten Pfeifen.

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Schlafen

Ich rechne mein Leben nicht nach Jahren, sondern nach Tagen. Jede Nacht vergehe ich, jeder Morgen macht mich neu.

Wenn Du die Kunst verstehst zu schlafen, so hast Du das beste Mittel zur Verlängerung Deiner Jugend. Schlafen ist der wahre Jungbrunnen.

Sorge, daß nicht nur die Glieder sich entspannen, sondern auch das Haupt. Die Tätigkeit des Organismus ist nicht erloschen, nur herabgesetzt. Es kommt darauf an, zu erreichen, daß sie möglichst weit herabgesetzt werde.

Nicht immer reicht die körperliche Erschöpfung aus, das Ganze zur Ruhe zu bringen.

Ohne disziplinierten Geist wirst Du schlimme schlaflose Nächte bekommen, weil Du Dich bestimmter, immer wiederkehrender Gedanken nicht erwehren kannst. Du greifst dann zum Schlafmittel. Sie sind alle ein Uebel, wenn auch ein kleineres als das Sichherumwälzen. Hast Du Deine Gedanken in der Kartothek, von der ich oben erzählte, so wirst Du Dir die Wohltat des Schlafes nach Bedarf gewähren können.

Ich habe nie ein Medikament, also auch nie ein Schlafmittel genommen, habe nie Kopfschmerzen gehabt und das Lager immer als Wohltat empfunden.

Schlafe viel. Acht Stunden täglich sind für die meisten Menschen zu wenig.

Schäme Dich nicht des Mittagsschlafes. Er erhöht Deine Arbeitsleistung um die Hälfte.

Liege wenigstens.

Dein Bett in frischem Leinen sei Deine ganze Wonne. Vor Mitternacht beginne. Suche die Stille und Dunkelheit zum Schlafen.

Der Körper gewöhnt sich zwar an das Schlafen in Licht und Lärm, aber die mißhandelten Augen und Ohren haben ungleich mehr von Stille und rabenschwarzer Nacht.

Zum Einschlafen gehört einseitige Hinlenkung der Gedanken. Solange die Ideen durcheinanderquirlen, wird es nichts mit dem Schlaf. Zwinge sie, riegle unwillkommenes ab.

Tausend Hammel einzeln über eine Hürde springen zu lassen, ist nicht jedermanns Schlafmittel.

Quälen Dich Gedanken, verdränge sie mit willkommnen. Denke an gehabte Erfolge, notfalls baue Luftschlösser. Bist Du musikalisch, gehe schöne Melodien durch; bist Du sehr musikalisch, summe Salome.

Musik, diese liebe vage Kunst, gibt den Träumen nicht die scharfen unangenehmen Konturen andrer Reflexionen; sie ist herrlich geeignet, ins Traumland zu führen. Traumland – das ist nur poetisch gesagt.

Dein Schlaf sei traumlos.

Als sei er der letzte.

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