Ferdinand Raimund
Moisasurs Zauberfluch
Ferdinand Raimund

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Elfte Szene.

Hans. Mirzel.

Mirzel. Geh, geh, ich soll recht bös auf dich sein. Du bist ein sauberer Mann, laufst voraus und schaust dich gar nicht um um mich. Wie ich noch ledig war, da bist hinter mir her g'wesen auf einen jeden Schritt, und jetzt – aber die Nachbarin hat mir's vorausg'sagt, das ist das sicherste Zeichen, daß ein paar verheiratet sind, wenn der Mann anfangt, unartig zu werden. Heut werden s' kopuliert, da geht sie voraus, den andern Tag laßt er sie schon hint' nach gehn.

Hans. Aber liebe Mirzel –

Mirzel. Willst du's etwa leugnen? Zuerst kommst du, hernach dein Spitzel, nachher ich, ich und der Hund, wir gehen immer miteinander. Au contraire, seinem Spitzel pfeift er doch manchmal, aber bei mir da denkt er sich: Du kommst mir so nach Haus, dich verlier' ich nicht.

Hans. Ich weiß gar nicht, ich hab' den Hund recht gern bei mir. Ob wir jetzt unser zwei ausgehn oder unser drei?

Mirzel. Nu, neulich sind wir gar unser vier g'wesen, da hast zwei Spitzeln mitg'habt; einen hast du aus dem Wirtshaus nach Haus tragen, und der andere ist so mitg'laufen.

Hans. Nu, und wie er neulich verloren gegangen ist, so hat ihn doch kein Mensch finden können als du.

Mirzel (launig). Ja, das macht, weil ich sehr spitzfindig bin.

Hans. Aber jetzt hören wir einmal auf, wir disputieren wegen die Spitz' wie die kleinen Buben; das ist eine völlige Spitzbüberei.

Mirzel. Ich bin ja schon wieder gut, das ist ja nur mein Spaß, ich hab' dich viel zu lieb, du bist ja mein guter Mann.

Hans. Und du mein guts Weib; kurzum, wir sein halt von der besten Gattung.

Mirzel. Freilich, wir sind gut, und alles wär' gut, wenn wir nur mehr zu essen hätten.

Hans. Laß nur gut sein, der liebe Gott wird uns schon helfen. Haben wir doch jetzt unser' Grundsteuer wieder zum Amtmann hineintragen; acht Gulden alle Jahr', ist kein Spaß. Schau' nur, wie die Sonn' so freundlich scheint, schau' dich nur um. (Erblickt Alzinde.) Du, was liegt denn dort für ein altes Weib? die wird krank sein; sie weint, ich werd' s' trösten.

Mirzel. Die Alte? Nun, die kannst schon trösten.

Hans (geht zu ihr). Du, Alte, hörst?

Alzinde (hebt sich empor, erblickt beide, springt erschrocken auf und ruft). Menschen! (Will entfliehen.)

Hans. He, he, wo laufst denn hin? so wart' doch, wir meinen dir's ja gut.

Mirzel. Freilich, willst ein Stückel Brot?

Alzinde (sieht sie erstaunt an). Seid ihr wirklich Menschen?

Hans. Nu, du wirst uns doch für keine Maikäfer anschaun?

Alzinde. Menschen seid ihr, und ihr habt Erbarmen?

Mirzel. Du blauer Himmel, warum nicht? wir erbarmen uns selbst manchmal.

Alzinde. Also seid ihr unglücklich?

Mirzel. I bewahr', wir sind recht glücklich.

Hans. Wir haben nur kein Geld.

(Gluthahn laßt sich am Fenster sehen, und horcht.)

Alzinde. Das versteh' ich nicht.

Hans (zu Mirzel). Sie ist taub. (Laut, Alzinden ins Ohr.) Wir haben kein Geld, wie kannst du denn das nicht verstehn, das kann ich mit Händen greifen, wenn ich in den Sack fahr'.

(Fährt in den Sack.)

Mirzel. Weißt, wir sind halt glückliche Unglückliche, wie manche Leute unglückliche Glückliche sind.

Hans. Das ist eine gute Explikation. Wir sind arme Steinbrecher, wir arbeiten im Steinbruch da hint', und leiden oft Hunger, daß sich ein Stein erbarmen möcht', aber nur im Winter, im Sommer geht's uns besser.

Mirzel. Was sprichst du denn so viel da mit der Alten, trag ihr etwas aus der Hütte und laß sie gehn.

Hans. Nein, mir gefallt s', sie hat zwar noch nichts g'redt, aber ich find', daß sie recht eine unterhaltendliche Person ist. (Zu Alzinde.) Weißt, ich und mein Weib haben uns halt gar so gern, und das ist unser Glück.

Alzinde (zu Mirzel). Also liebst du deinen Mann?

Mirzel. Vom Herzen.

Alzinde. Und wenn du ihn verlieren müßtest?

Mirzel. Ich, mein' Mann?

Alzinde. Wenn er dir auf ewig entrissen würde?

Mirzel. Das überlebet ich nicht.

Alzinde. Weh mir, und ich lebe noch! Sie stirbt für diesen Bettler, und ich lebe noch. (Weint heftig.) O mein Gemahl, mein königlicher Herr. (Ihre Tränen fallen in Hansens Hut, der ihn absichtslos aufhält.)

Hans. Jetzt, warum weinst denn? Jetzt weint sie mir grad in den Hut hinein. – Du, Mirzel, schau, was ist denn das, der ihre Tränen sind ja alle von Glas, die weint ja lauter kleine Steiner.

Mirzel. Warum nicht gar.

Hans. Auf die Letzt hat s' gar einen Steinbruch in die Augen.

Mirzel. Was weinst denn du da?

Alzinde. Ich weine Diamanten.

Hans. Mich trifft der Schlag, das hab' ich noch mein Leben nicht g'hört, daß eine Amanten weint. Wann s' noch wegen einen Amanten weinet', aber einen Amanten selbst, das ist entsetzlich.

Alzinde. Sagt mir, haben Diamanten aus eurer Welt hier einen Wert?

Mirzel. Nu, ich will's hoffen, unser Herr, bei dem wir arbeiten, hat einen Ring, da ist ein einz'ger Stein mehr wert, als sein ganzer Steinbruch.

Alzinde. So hört mich an, vielleicht kann ich durch meine Tränen euch beglücken. Des einen Glück bedingt ja leider oft des andern Unglück. Behaltet mich bei euch, gebt mir nur magern Unterhalt, schützt mich vor der Mißhandlung eurer Brüder und nehmet meine Tränen hin als Eigentum, welche reichlich fließen werden, weil ich mein Schicksal nicht genug beweinen kann.

Gluthahn (am Fenster). Das Weib laß' ich nicht aus, mein Herz ist z' gut, die nehm' ich auf.

Hans. Aber wer hat dir denn das g'lernt, du bist doch nicht etwann eine Hex'?

Mirzel. Nu, fragen möcht' ich s' noch.

Alzinde. Was ich euch nun entdeck', ist wahr, so wahr, als dieser Sonnenstrahl, der sich in meiner Träne bricht. Ich bin die Fürstin eines ind'schen Reichs, der Tugend hab' ich mich geweiht, wie ihr, und weil ich einen bösen Geist aus meinem Land vertrieben, hat er aus Rache mich nach eurer Welt verbannt. Ich ward geehrt von meinem Volk, das meine Schönheit, meinen Geist bewunderte, geliebt von meinem zärtlichen Gemahl, und alles, was des Glückes Großmut mir verliehn, hat dieser Dämon mir entrissen. (Weint.)

Hans. Jetzt fang' ich auch zum Weinen an, aber meine Tränen sind keinen Kreuzer wert.

Alzinde. Doch meine Jugendkraft hat er mir nicht geraubt, und heftiger fühl' ich den Schmerz, als ich die Freude früher hab' empfunden. Ihr glaubt mir doch?

Mirzel. Das kann ja sein, ich hab' schon viel von verzauberten Prinzessinnen gehört. Nu, trösten sich Euer G'streng' nur, wir werden schon für Euer G'streng' sorgen.

Hans. Was sagst denn Euer G'streng', meinst denn, du redst mit dem Verwalter? (Mit erhobener Stimme.) Weiß die Fürstin was, wir behalten die Fürstin bei uns, und was wir haben, bekommt die Fürstin auch.

Alzinde. Ihr guten Menschen, meine Tränen werden dankbar fließen.

Mirzel. Wenn s' nur alle Jahre einmal weint, im Frühling, wenn der Schnee zerfließt, so leben wir das ganze Jahr davon. Die Fürstin macht noch unser Glück.

Hans. Und da braucht sie nicht einmal einen Schmerz, der sie weinen macht, ich reib' ihr einen scharfen Kren, so weint sie ihren diamantenen Fleck her und lacht uns alle aus.

Mirzel. Ja, das ist prächtig, lieber Hans; die Tränen, die du im Hut hier hast, tragst du morgen augenblicklich in die Stadt. Jetzt geh die Fürstin nur in unsre Hütten hinein, da findt die Fürstin Milch und Brot; wir müssen jetzt in' Steinbruch hinaus, wir haben nur unsre Werkzeuge g'holt. Auf den Abend kommen wir nach Haus, und dann wollen wir recht vergnügt sein alle drei.

Hans. Ja, mein' liebe gute Fürstin, geh die Fürstin nur hinein, gib die Fürstin auf mein' Spitzel gut acht und sperr' die Fürstin die Tür von innen gut zu; unser Nachbar ist gar ein böser Mann, dem muß die Fürstin ja nicht traun, sperr' ihm die Fürstin gar nicht auf.

Alzinde. Sorgt euch nicht, ich hab' ihn schon erkannt. Er stieß mich ja von seiner Tür.

(Sie geht hinein, Hans und Mirzel nehmen ihre Hämmer. Alzinde riegelt die Türe von innen zu.)

Hans. Heisa, jetzt geht's in den Steinbruch hinaus, wenn wir auch noch so wenig haben, ein fröhliches Herz tauscht ja mit Königen nicht. (Beide ab.)

 
Zwölfte Szene.

Gluthahn (schleicht herein). Geh in den Abgrund, Volk. Ob denn ein guter Mensch, wie ich bin, ein Glück hat? Erwischen die das Weib mit ihrer diamantenen Tränenfabrik! Gluthahn, da kannst du dein Geld hereinbringen. Ich bin ein guter Mensch, aber das Weib lass' ich nicht aus, die muß mir alle Säck' voll weinen. Hab' schon meinen Plan ausgedacht indessen, – im Haus kann ich sie nicht versperren hier; sechs Stunden weit in Alpenmarkt drin, da kenn' ich einen Herrn aus der Stadt, er hat ein Landhaus in Alpenmarkt drin und war in meiner Hütten öfter über Nacht, wenn er auf die Alm hinauf ist – das ist ein vermöglicher Mann, er handelt mit guten Steinen und reist herum damit. Er kauft Holz von mir; da führ' ich s' hin und lass' sie etwas weinen, daß er s' untersucht, ob s' wirklich Diamanten weint, ob s' nicht etwa böhmische Steine weint oder so Zeugs. Und wenn s' was wert ist, so machen wir einen kleinen Überschlag, und ich verkauf' ihm das ganze Weib wegen ihren Tränen um ein Pauschquantum. So ist das arme Weib versorgt, kommt auf Reisen und hat das schönste Leben. Ich kann mir halt nicht helfen, ich find', daß ich ein edler Kerl bin, ich mag schon tun, was ich will. Wenn ich s' nur herauslocken könnt', ich wirf sie auf meinen Leiterwagen und fahr' mit ihr davon, als wenn ich sie gestohlen hatt'. Da kommt mein Weib.

 
Dreizehnte Szene.

Gluthahn. Trautel.

Trautel (stellt den Krug Wein auf den Tisch). Da bin ich, lieber Mann.

Gluthahn (roh). Nu, bist du schon g'sund?

Trautel. Warum nicht gar. Ach, lieber Mann, mit mir ist's aus, der Bader sagt, mich bringt er nimmer auf.

Gluthahn. Der Bader ist ein Narr, was braucht er dir's zu sagen, das hab' ich eh' schon g'wußt.

Trautel. Ich unglückselig Weib – ich bitt' dich, Mann, was soll ich denn jetzt tun, damit mir besser wird?

Gluthahn. Spann' die Pferde vor den Wagen, das stärkt dich, ich fahr' aus.

Trautel. Das ist ein schöner Trost! Ich kann ja nicht, ich bin z' schwach.

Gluthahn. Du mußt, potz Himmeltausend Saprament, ich werd' dich lernen räsonnieren, du alte Blendlaterne. Den Augenblick spannst ein und gehst dann in den Garten und brockst mir ein' Korb voll Äpfel ab. (Für sich.) So bring' ich sie doch fort.

Trautel. Nein, du bist kein Mensch, du bist ein Krokodil. (Weint.)

Gluthahn. Wirst gehn.

Trautel. Ich geh' schon. (Geht weinend ab.) Ach, du lieber Himmel!

Gluthahn. Jetzt weint die auch. Komm her. (Trautel kehrt um.) Was weinst denn? (Sieht in ihre Augen.) Die weint keine Diamanten, höchstens mein Geld als Medizin. Geh, geh, besorg' den Wagen, so kommst du mir doch aus den Augen.

(Trautel geht hinters Haus ab.)

 
Vierzehnte Szene.

Gluthahn, dann Alzinde.

Gluthahn (boshaft lächelnd). Jetzt werd' ich fensterln gehn. (Mit falscher Freundlichkeit.) Liebe Alte, komm heraus, ich hab' dir etwas zu entdecken.

Alzinde (öffnet das Fenster). Was willst du, böser Mensch, der mich verstieß.

Gluthahn. Denk doch nicht mehr dran, ich war im Zorn, ich bin so gähzornig, ich hab' es schon bereut, hab' schon g'weint deswegen und möcht' dir die Kränkung gern vergelten; drum komm heraus, wir trinken ein Glas Wein.

Alzinde. Ich traue deinen Worten nicht. Eh' glaub' ich, daß der Hai des Meeres Schutzherr wird, der Falke um die Taube freit, Hyänen um ein Menschenleben weinen, der Wolf aus Gram vergeht, weil er ein Lamm getötet hat, eh' ich das glaub'; daß du mich trösten willst.

Gluthahn (beiseite). Sie beißt nicht an, ich werd' ihr etwas Süßes an die Angel hängen. (Laut.) Sei nicht so mißtrauisch, du hast ja selbst ein gutmütigs G'sicht, du mußt einmal besonders schön g'wesen sein, man sieht dir's noch ein wenig an, du hast noch recht verliebte Augenbraunen. Geh, komm herüber, liebe Alte, mein Weib hat eine schöne Hauben, die wird dir prächtig stehn.

Alzinde. Bemüh' dich nicht, du zwingst mir kein Vertrauen ab.

Gluthahn. Das muß kein Weibsbild sein, weil sie das nicht rührt. Jetzt werden wir's auf andre Art probieren. (Heuchlerisch laut.) Du tust ein frommes Werk, wenn du durch mich dir etwas Guts erweisen laßst, es ist ja deine Pflicht, ich kann nicht ruhig schlafen sonst; ich mach' mir Vorwürf' in meinem Innern, daß ich dich so behandelt hab'. (Hält die Hände zusammen.) Ich bitte dich, geh doch heraus, tu mich nicht so kränken, ich bin ja ein kranker Mann, ein alter, der nicht mehr lange leben wird.

Alzinde. Verlaß die Hütte, du betrügst mich nicht.

(Schließt das Fenster.)

Gluthahn (erzürnt). Der Satan hat das Weib im Sold!

 
Fünfzehnte Szene.

Gluthahn, Trautel, dann Alzinde.

Trautel. Eing'spannt ist's, jetzt fahr zur Höll'!

Gluthahn. Was hab' ich in dein' Geburtsort z'tun? Nach dem Garten geh und Äpfel brock'. (Trautel geht ins Haus ab.) Heraus muß sie, und wenn ich's Haus zerschlagen sollt'. (Klopft heftig an.) Alte, g'schwind machst auf, es schickt der Hans, er hat ein Arbeitszeug vergessen. (Der Hund knäuft von innen.) Sie macht nicht auf. (Pocht stärker.) Ob du aufmachst, frag' ich, oder nicht, ich schlag' euch alle Fenster ein, ihr schlechtes G'sind'. (Er schlägt das Fenster ein, man hört den Hund bellen.) Den Hund erschlag' ich; bist still, du Höllenvieh! (Wirft einen Stein hinein.)

Alzinde (am Fenster). Bist du rasend, Mensch? was reizt dich so zur Wut?

Gluthahn (äußerst boshaft). Heraus gehst, sag' ich, sonst zünd' ich das Haus an allen Ecken an, ich kenn' mich nicht vor Wut. O weh, mir wird nicht gut, ich armer Mann – wer hilft mir denn? (Sinkt in den Stuhl und löst sein Halstuch.) Wasser, Wasser! Mir wird übel – ich stirb, wenn sich kein Mensch erbarmt – o! o! (Pause.)

Alzinde. Götter, welch ein Mensch! Er liegt bewegungslos! was soll ich tun? Wenn er nun stirbt, so bin ich schuld, ich könnte ihn erretten. Er ist ein böser Mensch zwar, aber doch ein Mensch, die Sonne scheint auf ihn, so wie auf mich, und fordert mich zu seiner Rettung auf. Ich will der Tugend dieses kleine Opfer bringen. (Öffnet die Hütte und trägt in einer Schale Wasser.) Alter, Alter, hier ist Wasser!

Gluthahn (springt schnell auf). Heisa, hab' ich s' erwischt? Jetzt kommst mir nimmer aus. (Packt sie.)

Alzinde. Ha, du verräterischer Molch!

Gluthahn (ringt mit ihr). Jetzt will ich dich zum Kirchtag führen. (Der Hund bellt heftig.) Still, du Rabentier. (Er zerrt sie hinter das Haus in die Kulisse. Nach einer Pause kommt)

 
Sechzehnte Szene.

Trautel (mit einem Korb Äpfel). Was bellt denn nur der Hund so sehr? Spektakel! was treibt denn mein Mann? der hebt ein altes Weib auf seinen Wagen. (Peitschengeknall.) Jetzt fährt er fort mit ihr. Du gottloser Mensch, wenn er nur nichts Schlechts vorhat mit dem Weib? Wie er ausjagt, – das geht nicht mit rechten Dingen zu. Ich lauf' in' Steinbruch, such' den Nachbar, sag's dem Bader, klag's dem Richter, allen Leuten unt' im Orte will ich schnell die ganze G'schicht' erzählen. Das ist ein Unglück, daß ich gar nicht weiß, was geschehen ist. (Ab.)

 
Siebzehnte Szene.

(Kurzes Wolkentheater.)

An der Seite, im Vordergrunde, eine hervorragende thronartige Wolkengruppe. Geister der Tugend, weiß gekleidet, Lilienstengel in den Händen, kommen unter passender Musik trauernd auf die Bühne.

Ariel (tritt mitten unter sie).
        Laßt uns um Alzinden klagen,
Die in jugendlichen Tagen
Durch der finstern Mächte Spiel,
Als ein Tugendopfer fiel.
(Knien nieder.)
Himmel, höre unsre Bitten,
Lasse nimmer es geschehn,
Daß der Tugend reine Sitten
Durch Verfolgung untergehn.

(Steht lebhaft auf.)

Doch seht nur, dort schwebt, mit dem Lilienstengel
Der Retter der Unschuld, ihr tröstender Engel,
Er trug zu dem Throne des Mächtigen hin
Das Schicksal Alzindens mit flehendem Sinn.
O himmlischer Bote, o tauche doch nieder
Dein silbererglänzendes Schwanengefieder!
Er nahet, er nahet, er senket die Schwingen,
Und wird uns das Machtwort des Ewigen bringen.

 
Achtzehnte Szene.

Musik. Vorige. Der Genius der Tugend, eine Lilienkrone auf dem Haupte, besteigt den Wolkenthron.

Genius.
        Hört mich an, ihr Tugendgeister,
Zu mir sprach der hohe Meister;
Nur ein Kampfplatz ist die Welt,
Und das Böse hingestellt,
Daß es mit dem Guten streite,
Und der Hölle werd' zur Beute.
Beide treten in die Schranken
Dieser unruhvollen Welt;
Tugend darf im Kampfe wanken,
Eigne Schuld ist's, wenn sie fällt.
Jedem ward die Kraft hienieden,
Der Verführung Trotz zu bieten;
Nur der Schwache sinkt im Krieg,
Doch den Starken krönt der Sieg.
So ist es bestimmt auf Erden,
Tugend muß geprüft dort werden.
Dies ist auch Alzindens Los;
Doch ihr Lohn unendlich groß,
Denn sie wird ein Beispiel geben,
Wie der Mensch gelangt im Leben
Durch die Qual der tiefsten Leiden
Zu dem Ziel der höchsten Freuden,
Die ein groß Bewußtsein schenkt.
        Drum gehe in Erfüllung Moisasurs Spruch,
Und Edelmut, den er verdammt, besiege seinen Fluch.
Unmögliches hat er von ird'scher Kraft begehrt,
So werde er nun auch durch den Erfolg belehrt;
Daß Tugend, wenn sie gleich im Staub sich windet,
Hoch in den Wolken ihren Retter findet.
        Zu diesem, sprach er, will ich dich nun weihn,
Und deinem Wink die Kraft verleihn,
Daß jedes Wesen, so die Erde hegt,
Was sich in ihr, und was sich auf ihr regt;
Die Bewohner dunkler Klüfte,
Wie die Geister blauer Lüfte,
Deinem Rufe untertänig;
Ja, daß selbst des Todes König,
Sprichst du meinen Donnergruß,
Deinem Rufe folgen muß.
Also sprach der große Meister,
Preiset ihn, ihr Tugendgeister.

(Alle knien nieder und beugen ihr Haupt.)

Genius.
        Ich will, um das Schiff zu lenken,
In Hoanghus Seele senken
Meiner Prüfung forschend Blei,
Ob sein Lieben tief auch sei.
Ihr verrinnet in die Lüfte,
Hüllet euch in Blumendüfte,
Lindert in Alzindens Herz
Der Verzweiflung wilden Schmerz.

(Die Geister verschwinden.)

 
Neunzehnte Szene.

(Indische Gegend.) ^

Seitwärts Hoanghus Zelt, zwischen Palmen aufgehangen, er ruht darin. Der Wolkenthron, auf welchem der Tugendgenius steht, verwandelt sich in einen hohen Fels.

Genius (auf dem Fels).
        Unter jenem Palmenzelt
Ruhet Indiens edler Held;
Traumgott, du magst niedersteigen
Und Alzindens Los ihm zeigen.

Musik. Wolken sinken, es wird Nacht. Der Traumgott tritt in Hoanghus Zelt, beugt sich über sein Haupt, und indem er seine Stirne mit der einen Hand berührt, zeigt er mit der anderen auf die Hinterwand und bleibt in dieser Stellung, bis der Traum vorüber ist. Die Wolkendecke löst sich, man sieht in einer hellbeleuchteten Gegend am Meere, auf einem mit Blumen besäten Hügel Alzinden mit einem Siegeskranz in der Hand, ihren Gemahl freudig erwarten. Siegesmarsch erschallt. Eine Gestalt, wie die Hoanghus, von Kriegern begleitet, landet auf einem Schiffe, springt freudig ans Land, eilt auf Alzinden los und streckt die Arme aus. Plötzlich verwandelt sich der Hügel in einen schroffen Fels, auf dem Alzinde in der Gestalt eines alten Weibes sitzt und ihre dürren Arme nach Hoanghu streckt, welcher entsetzt zurückschaudert. Moisasur grinst mit hohnlächelndem schadenfrohen Antlitz, mit halbem Leibe, aus Wolken herab auf die Gruppe. Die indische Gegend und der Traumgott verschwindet. Die Musik endet leidenschaftlich. Hoanghu springt erschrocken vom Lager auf. Es wird Tag.

Hoanghu. Fort von mir, verruchter Traum, der seine Schreckensbilder auch nach dem Erwachen zeigt, willst Hoanghu du ermorden? Was klammerst du dich so an meine Phantasie? – Laß los! (Reißt erzürnt das Schwert aus der Scheide und haut in die Luft.) Träume sendet uns die Sonne, darum glaub' ich ihrem Wink. Götter, sendet mir ein Zeichen, ob euch dieser Traum gehört? oder ob die gift'ge Spinne Moisasur ihn gewebt? Doch was brauch' ich hier zu fragen in dem antwortlosen Wald, ich will meine Frage stellen an die Überzeugung selbst. (Es donnert.) Ha, des Donners Warnungsstimme spricht, der Schreckenstraum ist wahr. Auf, ihr Krieger, reißt die Zelte nieder, kündigt den Gehorsam auf dem Schlaf. (Alarm, alles greift erschrocken zu den Waffen, Krieger und Häuptlinge erscheinen auf der Bühne.)

 

Zwanzigste Szene.

Voriger. Häuptlinge. Krieger.

Ein Häuptling. Was befiehlst du, großer König?

Hoanghu. Ordne schnell dein ganzes Heer. Siehst du meines Reiches Grenze? (Deutet in die Szene.) Nach der Hauptstadt ziehen wir, denn ein Traum hat mir verkündet, meiner Gattin droht Gefahr. Schnell, wie ihr den Feind verfolget, so verfolget jetzt die Zeit. Eure Waffe sei die Eile, haut damit den Tag in Stücke, metzelt Stunden zu Minuten, daß in wenigen Sekunden ihr Alzindens Antlitz schaut. Darum zeigte uns der Morgen rotgeweinte Augenlider, netzt' die Erd' mit blut'gem Tau – seine Tränen flossen um mein Weib. Brechet auf, und welcher Bote mir den Flug des Pfeils beschämt, wer am Tore meiner Hauptstadt mit der Nachricht von Alzindens Leben freudig mir entgegeneilt, dem lass' einen Turm ich bauen in des Reiches schönstem Teil; und was von seinen goldnen Zinnen überschaut sein gierig Auge, schenk' ich ihm als Eigentum. (Alles ab.)

 
Einundzwanzigste Szene.

Genius der Tugend tritt vor.

Genius.
        O könnten doch alle die lieblichen Frauen
Dies seltene Beispiel von Männertreu' schauen,
So würde in aller Brust ein Wunsch nur sein;
O könnt' ich doch auch einen Hoanghu frein.
Und könnten die Männer, die nicht so gewesen,
In Hoanghus Busen den Lohn dafür lesen,
So würd' aus dem flatternden Männerverein
Die Tugend sich manches Bekehrten erfreun.
(Ab.)

 
Zweiundzwanzigste Szene.

(Kurzer Palmenwald.)

(Drei Schritte von der Kulisse steht frei in Form eines hohen drei Schuh breiten Monuments ein Grenzstein von weißem Marmor, mit der Aufschrift: Grenze von Hoanghus Reich.)

Karambuco, ein indischer Krieger, ohne Waffen, läuft herein, hinter ihm am Felle festhaltend, keucht Ossa sein Weib, sie ist mit einem Bündel beschwert.

Karambuco (ruft noch in der Kulisse). Laß mich los, du entsetzliches Weib. (Tritt auf.) Was willst du denn von mir, du Drachenzahn, ich muß ja laufen, daß die Sohlen brennen.

Ossa (hält ihn fest). Du kommst mir von der Stelle nicht, bis du mir sagst, was du für ein Geheimnis mit dir trägst. Du bist ein falscher Mann, du entlaufst dem Heer und deinem Weib. Du hast etwas verbrochen. (Boshaft.) So sag' mir's doch.

Karambuco. O Götter, leiht mir einen Pfeil, daß ich ihre Sucht umbringe, mich zu halten. Sonne, brenn' ihr beide Arme ab! Ich muß ja fort, es ist ein Preis gesetzt, wer unserm König Nachricht bringt, ob seine Gattin lebt.

Ossa. Das lügst du, unverschämter Mann, da hab' ich nicht ein Wort davon gehört.

Karambuco. Weil du geschlafen hast.

Ossa. Ich schlafe nie.

Karambuco. Der Satan wacht in dir. Da komm' ich eh' von einer Riesenschlange los, als von dem Weib, ich muß mich gar aufs Bitten legen. (Kniet sich nieder, sie läßt das Kleid los und hält ihn an den Händen, sie knien einander gegenüber.)

Karambuco. Liebe Ossa, laß mich los.

Ossa. Ich kann nicht, lieber Karambuco.

Karambuco (springt erzürnt auf, sie mit ihm). Verwünschtes Weib, was willst du denn?

Ossa. Was du nicht willst, verwünschter Mann.

Karambuco. Geh!

Ossa. Steh!

Karambuco. Ich schlag' dich tot.

Ossa. Du kannst ja nicht, ich halt' dich ja.

Karambuco. Das ist ein Riesenweib, sie bricht mir die Hände entzwei. Erinnere dich an deine Pflicht.

Ossa. Des Weibes Pflicht ist, festzuhalten an dem Mann; ich halte fest.

Karambuco. Ich komm' nicht aus mit ihr, und nicht davon. Da bring' ich eher einen Elefanten durch ein Nadelöhr, als dieses Weib zu ihrer Pflicht. O meine Aussichten – was hätt' ich auf dem Turm für schönes Land gesehn; jetzt seh' ich nichts, als dieses häßliche Gesicht. Doch wart', du sollst mich kennen lernen; nimm dich zusammen, Karambuco! fort mit dir, du Drachenweib! (Er schleudert sie mit Gewalt von sich, so daß sie über den Grenzstein fliegt und in einer drohenden Stellung gegen ihn auf die Erde fällt. Sie wird in dieser Attitüde zu einem grauen Stein, als ausgehauene Figur.) Was ist das? bin ich versteinert, oder ist's mein Weib? Diesmal ist sie's. Götter, was habt ihr für Wunder getan! Dieses Weib zum Schweigen zu bringen, da gehört etwas dazu. (Springt vor Freude.) Götter, die Freud', mein Weib ist von Stein. Ha, jetzt hab' ich Mut, jetzt schmäl' ich sie recht. Du Hydra, du Drache, du indische Mumie! (Freude.) Sie kann nichts sagen, o glückliche Ehe! Jetzt freut's mich erst, daß ich verheiratet bin. – So rede, wenn du dich traust, schlag, wenn du kannst, beiß, beiß. (Springt.) Ihr Götter, ich dank' euch, sie kann nimmer beißen! O du steinerne Bosheit, wie bist du so gutmütig jetzt. Wenn doch mancher Mann die Macht besäße, der Beredsamkeit seiner Frau so ein versteinerndes Halt zuzurufen, da kämen oft herrliche Statuen heraus. Doch ich verplaudere die Zeit und soll sie verlaufen. Leuchte mir, Sonne! (Er stellt sich zum Laufen an.)

Stimme des Genius. Tritt nicht auf diesen Boden, er verwandelt dich in Stein.

Karambuco. Bitt' um Vergebung, da spiel' ich den Krebs. (Geht rückwärts.) Also der Boden versteinert? – Da scheid' ich von ihm. – Doch, was seh' ich, was fällt mir jetzt ein! Mein ganzes Vermögen, was ich erspart und gestohlen, alles ist hin, sie hat alles im Sack und im Bündel da drin. Alles ist Stein, Weib und Vermögen versteinert – ich hab' alles verloren, und bin doch ein steinreicher Mann.

 
Dreiundzwanzigste Szene.

Indischer Marsch in schnellem Tempo. Hoanghu eilt an der Spitze seines Heeres herein. Karambuco kniet sich vor ihm nieder und hält ihn auf.

Karambuco. Großer König, bleib zurück.

Hoanghu. Aus dem Wege, Sklave, flieh! (Stößt ihn von sich.)

Karambuco (umklammert seinen Fuß). Bei der ew'gen Sonne, bleib zurück, ein einz'ger Schritt bringt Tod. Sieh hier mein marmorerblichenes Weib. Dieser Boden lithographiert. Wer ihn betritt, den zieht er als Steinabdruck heraus. Laß dein ganzes Heer einziehen, und du wirst jeden Krieger durch ein Monument verewigen.

Hoanghu. Zurück, du Mörder, der durch Warnung tötet, diese Grenze schließt Alzindens Unglück ein. Ohne sie kann ich nicht glücklich sein, und jedes Schicksal will ich mit ihr teilen. Nicht außer diesem Reiche steht mein Leben, es ist in ihm, in ihr; ich trag' es nicht hinüber, kann es nimmer retten, weil's mit ihr vergeht. Weg mit der Schale, wenn der Kern verloren ist. Ist Alzindens Herz versteinert, ist's doch meines nicht, und sucht ihr Grab. Mein ist dies Reich, und wenn's mit Unglück kämpft, so darf der König auch nicht fehlen. Folg', wer will. (Will über die Grenze.)

 
Vierundzwanzigste Szene.

Genius der Tugend tritt ihm entgegen. Vorige.

Genius. Zurück, Hoanghu, ich befehl' es dir.

Hoanghu. Wer bist du, Lichtgestalt?

Genius. Ich bin die Tugend, deiner Gattin, deines Landes Schutzgeist. Deine Gattin hat in deinem Reich mir einen Tempel auferbaut, drum hat Moisasur sie verflucht, wie sie dein Traum gemalt, so lang, bis die Unmöglichkeit erfüllt, die zur Bedingung er gesetzt.

Hoanghu. Das heißt, die Ewigkeit mit anderem Namen nennen.

Genius. Alles kann die Gottheit wenden, und zum Werkzeug hat sie dich ersehen. Die höchste Probe hast du diesen Augenblick bestanden. Du kannst Reich und Gattin retten, weil du dein Leben unter deine Liebe stellst.

(Genius winkt: Die Gegend verwandelt sich in einen Wolkenhain. Die Statue der Tugend, vor ihr ein Opferaltar. Die Geister der Tugend in Gruppen, im Hintergrunde eine große diamantene Sonne.)

Genius. Schwöre hier, am Weihaltar der Tugend, auf ihrer Lilie heil'gen Kelch, daß du ihr jedes Opfer bringest, wenn sie es gebeut.

Hoanghu. Ich schwör's, und wenn ich breche meinen Eid, so soll die Quelle meinem Durst versiegen, der Baum die Früchte selbst verzehren; so will ich König sein in menschenleerer Wüste, will schlaflos mich im heißen Sande wälzen, und wenn mein Leib an solcher Glut vergeht, soll die Sonne meinen Geist aus ihrem Reich verbannen, und Moisasur ihn an seine Ferse heften.

(Hoanghu kniet, der Genius berührt sein Haupt mit der Lilie.)

Genius.
        So will ich dich durch dieser Lilie Kraft,
Die alles Edle und Erhabne schafft,
Zum Retter deiner Gattin weihn.
In des Abends sanften Schein
Wirst du wieder mich erblicken,
Und auf leichter Wolken Rücken
Schweb' ich mit dir eilig fort,
Bis wir landen an dem Ort,
Wo in unbekannter Ferne,
Durch die Macht der bösen Sterne,
Deiner Gattin Leiden weilen.
Doch jetzt muß ich von dir eilen
Und des Abgrunds Tiger wecken,
Er muß seine Klauen strecken
Nach der Tugend Lilienbrust;
Bis wir sie mit Götterlust
Allem Ungemach entrücken,
Sie an unsern Busen drücken
In beglückter stolzer Ruh';
Nun leb' wohl, mein Hoanghu.

(Genius fliegt ab.)

Ende des ersten Aufzuges.


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