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(Palast des Longimanus mit einem Seitenthron.)
Longimanus sitzt auf dem Throne, um ihn mehrere dienstbare Geister.
(Großer Tanz von idealen Geistern, am Ende eine Gruppe.)
Chor. Heil, Longimanus!
Longimanus. Ist schon gut, schon gut! Bedank' mich aufs allerschönste. (Für sich) Freut mich recht, daß s' mir haben heute einen kleinen Tanz gemacht, weil morgen mein Namenstag ist.
(Der Chor ab).
Pamphilius. Vorige.
Pamphilius (überreicht dem Longimanus einige Visitenkarten). Zauberer Vanille; Fee Maraskino!
Longimanus. Aha! Kommen schon die Billetten ang'stochen. (Liest.). La Hexe de Marascino et sa famille. Monsieur Vanille, Professeur de la Magie. Ich lass' mich bedanken; meine Empfehlung. Auf mein' Namenstag freu' ich mich immer, wie ein Kind, bloß wegen die Zugbilletten. (Nimmt ein Zugbillett.) Da schau' einmal, wie man bei dem Kerl anzieht, reckt er den Fuß in die Höhe. (Lacht.) Ist das nicht prächtig?
Pamphilius (lacht). O, scharmant! Das ist ein herrlicher Gedanke.
Longimanus. Wie den Neujahrstag; den hab' ich auch so gern, wenn die Leut' glückwünschen kommen. Warum? Weil man gewiß überzeugt ist, daß es ihnen vom Herzen geht. (Man hört den Pudel von außen bellen.) Wer bellt denn da draußen?
Pamphilius (sieht hinaus). Ein großmächtiger Pudel!
Longimanus. Will er mir vielleicht auch zum Namenstag gratulieren? Schau doch hinaus.
(Pamphilius geht ab.)
Longimanus. Wenn der mir seine Aufwartung machen wollt', das war' wirklich zu viel; da müßt' ich protestieren.
Pamphilius. Vorige.
Pamphilius (kommt zurück). Herr! Zephises' Sohn hat die Reise nach dem Zaubergarten glücklich vollendet und wagt es, sich dir zu Füßen zu werfen.
Longimanus. Hör' auf! Das ist ein Tausendsasa! Hat sich nicht umgeschaut! Auf die Letzt hat er gar das Rheumatische im Hals, daß er den Kopf nicht hat umdrehen können. Er soll hereinkommen; doch seinem Vater sagst, daß er nicht herüber kommt; er darf nicht reden mit ihm. Aber wegen was hat er denn einen Pudel?
Pamphilius. Vielleicht ist er ein Pudelnegoziant. Ich werd' ihn gleich hereinschicken. (Geht an die Kulisse und läßt Eduard herein.)
Eduard. Vorige.
Eduard. (kommt, hat den Zweig in der Hand und stürzt zu des Longimanus Füßen). Mächtiger Zauberfürst!
Longimanus. Ich bitt' recht sehr, stehen Sie auf, ist alles zuviel. (Hebt ihn auf, zu Pamphilius.) Bring' Er Sesseln!
(Pamphilius bringt zwei Sesseln.)
Longimanus. So! Jetzt geh nur hinaus! (Pamphilius geht ab.) Nehmen S' Platz.
Eduard. Sonne der Welt! Du zermalmst mich durch deine Güte.
Longimanus. Warum nicht gar! Reden S' nur frei heraus von der Leber weg. Mit was kann ich dienen? Sie sind also der kleine Eduardl?
Eduard. Ja, ich bin die arme Waise.
Longimanus. Nun, wenigstens müssen S' in Ihrem Waisenhaus eine gute Kost gehabt haben; Sie sind recht auseinander gangen.
Eduard. Nur durch das Vermächtnis meines unglücklichen Vaters bin ich seit kurzer Zeit in den Besitz jenes großen Reichtums gelangt, den er durch deine hohe Gunst erhalten hat. Ich bin hier, dich um eine Gnade anzuflehen. Doch, bevor ich diese Bitte wage, liegt eine andere mir – (Der Pudel bellt.)
Longimanus. Ja, Apropos! Du hast ja einen Kameraden bei dir? Laß mir ihn doch herein. He, laßt den Pudel herein!
(Der Pudel springt herein, zuerst auf Eduard und liebkost ihn, dann zum Zauberkönig.)
Longimanus. Nun, mich freut's, Ihre Bekanntschaft zu machen. Das ist ein spaßiger Kerl. Wie spricht der Hund? Schau', gibt keine Antwort. Ach, den müssen Sie mir zum Präsent machen, ich werd' ihm gleich die Ohren schneiden lassen. He!
(Der Pudel fangt zu lamentieren an und verkriecht sich hinter Eduard.)
Eduard. Um alles in der Welt nicht! Eben das Schicksal dieses armen Pudels war es ja, worüber ich dich um Gnade anflehen wollte.
Longimanus. Das ist doch schrecklich, was das Schicksal treibt; jetzt kommt's gar über die Pudeln!
Eduard. Dieser Ärmste ist mein Diener; seine Anhänglichkeit an mich verleitete ihn, den Zauberberg nach mir zu besteigen, und ein einziger Rückblick hat ihn in diese schreckliche Lage versetzt.
Longimanus. Wie ist er denn dem Koliphonius entwischt? Hat gewiß wieder das kleine Spitzbübel, der Kolibri, sein' Hokuspokus gemacht. Dem Buben lass' ich noch einmal einen Schilling geben.
Eduard. Habe Mitleid! Schenke ihm seine vorige Gestalt wieder!
Longimanus. Nu, wegen meiner; so laß ihn da in den Zauberkasten hinein. (Er öffnet den Kasten und läßt den Pudel hinein.) Ich bitt', hineinzuspazieren. (Zu Eduard.) Und jetzt ruf ihn dreimal beim Namen.
Eduard. Florian! Florian! Florian!
Florian (im Kasten). Na, aufmachen da! Sapperment!
(Eduard öffnet den Kasten.)
Florian (kömmt im größten Zorn heraus). Ah, das ist ja inpertinent! Mord dividomine! (Stößt plötzlich gegen den Zauberkönig und fällt ängstlich auf beide Knie nieder.) Ui jeges! Ich bitt' tausendmal um Verzeihung, Euer Langmächtigkeit!
Longimanus. Das ist ein zorniger Nickel! So geht's, wenn man manchmal Leuten Gefälligkeiten erweist, so sind s' noch recht grob dafür.
Eduard. So bedank' dich doch, unartiger Bursche! Dem Geisterkönige verdankst du deine jetzige Gestalt wieder.
Florian. Ich küss' die Hand, Euer Hochmächtigkeit!
Longimanus. Ich weiß nicht, ob Er viel profitiert hat bei seiner Verwandlung; Er ist mir als Pudel viel gescheiter vorgekommen als jetzt. Also weiß Er jetzt, wie einem Pudel zumute ist?
Florian. Ah, das war ja ein Hundsleben; das möcht' ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen. Aber wie ist denn meine Mariandel daher kommen?
Longimanus. Das war nicht Seine Mariandel! Wir haben Mariandeln g'nug. Punktum! Also künftig g'scheiter sein. (Zu Eduard.) Also, mein lieber Eduard, den hätten wir. Was willst denn noch, mein Kind?
Eduard. Laß mich niedersinken und –
Longimanus. Der Mensch hat so schwache Nerven, alle Augenblick' sinkt er.
Eduard. Du hast meinem Vater sechs Statuen zum Geschenk gemacht, doch die siebente, kostbarste, mächtiger Zauberkönig! zürne nicht, wenn ich mich erkühne, auch ihren Besitz von deiner unerschöpflichen Großmut zu erflehen.
Longimanus (macht große Augen und sagt mit Gewicht). Die siebente Statue willst du? Ja, die hat einen Wert; da kriegt man schon in einem jeden Versatzamt was d'rauf.
Eduard.. O, schenke sie mir!
Florian. Rucken S' heraus damit!
Longimanus. Nur Geduld! Weißt du was? Umsonst ist der Tod! Wenn man etwas haben will, so muß man auch etwas dafür tun; nicht wahr?
Florian. Ja, springen muß man immer was lassen.
Longimanus. Also Schwierigkeit gegen Schwierigkeit! Du sollst die diamantene Statue haben, aber – du mußt mir dafür ein Mädchen aussuchen, welches in ihrem achtzehnten Jahre ist und noch in ihrem Leben keine Lüge über ihre Lippen gebracht hat.
Florian Da kriegen wir s' nicht, die Statue!
Eduard. Hoher Herr! Du machst eine große Forderung an mich schwachen Sterblichen; doch ich will auch das Unwahrscheinliche wagen für den Besitz dieses Zauberschatzes.
Longimanus. Du willst also? Eh bien! Wenn du sie aber gefunden hast, so bringst du sie augenblicklich hierher und erwartest mich am Fuße meines rauchenden Palastes. Unterstehst du dich aber, einen Augenblick mit ihrer Übergabe zu zögern, so ist dein Leben verloren. Ja, schau' mich nur an! Ich mach' kein' Spaß! Augenblicklich, da kommt kein Pardon!
Eduard. Ich füge mich deinem Ausspruche. Doch, wie wird es mir möglich werden, diese Priesterin der Wahrheit zu erkennen? Wie kann ich erfahren, ob ein Mädchen auch nicht im Scherze noch gelogen hat! Wer im ganzen Hause wird mir das sagen können?
Florian. Nur beim Hausmeister erkundigen.
Longimanus. Da hast du recht. Da muß ich dir ein Kennzeichen geben.
Florian. Ja. fragen S' nur mich allemal; ich werd' Ihnen's schon sagen.
Longimanus. Richtig, durch den sollst du's wissen, weil er gar so eine Freud' damit hat, unser Freund.
Florian. Ja, ich bitt', Euer Herrlichkeit! Ich g'freu' mich schon.
Longimanus. Wenn du ein Frauenzimmer prüfen willst, so ergreife ihre Hand; hat sie schon einmal gelogen, so wird dieser Bursche da im ganzen Körper entsetzliche Schmerzen empfinden.
Florian (ganz erstarrend). Mich trifft der Schlag!
Longimanus. Es wird ihn reißen, stechen, kurz, alles mögliche, was er sich nur selbst wünschen kann.
Florian. Ich bitt', das ist wirklich zuviel!
Longimanus. Und je mehr Lügen, als eine in ihrem Leben gesagt hat, in desto größere Zuckungen wird er verfallen.
Florian. Sie verzeihen, aber ich muß hinaus! (Will fort.)
Eduard. Halt! Warum denn?
Florian. Mir wird nicht gut.
Longimanus. Du bleibst da!
Florian. Euer Herrlichkeit, das geht nicht; das bringet mich ja ins Spital!
Longimanus. Schweig! Also – wo sind wir geblieben? Richtig, desto mehr Reißen wird er empfinden.
Florian (will fort). Hören Euer Herrlichkeit mit dem Reißen auf, oder es reißt mich zur Tür hinaus. Wer wird denn in einem rheumatischen Dienst bleiben?
Longimanus. Langsam! Auf Regen folgt Sonnenschein. Wenn du aber eine findest, die noch nie gelogen hat, so wird er ein außerordentliches Wohlbehagen empfinden. Es wird ihm so leicht sein und so froh, als wie einem Menschen, der das erstemal einen Langaus tanzt.
Florian. Ja, wenn er sieben Jahre die Gicht g'habt hat. Nun, ins Himmelsnamen, lassen wir uns halt eine Weile herumreißen.
Eduard. Sei ruhig, Florian! Wenn ich mein Ideal gefunden habe, so will ich dich reichlich belohnen.
Florian. Mich? O je, wo bin ich da schon? Bis dorthin reißt's Ihnen ein dreihundert Bediente z'samm', wie nichts.
Longimanus. Und jetzt macht's, daß Ihr weiter kommt. Wie willst denn fahren? (Ruft.) He, Pamphilius!
Pamphilius. Vorige.
Longimanus (zu Pamphilius). Laß ihnen meine zwei alten Drachen einspannen, die ich vor meinem Galawagen habe, das sind doch ein Paar sichere Tiere.
Pamphilius. Mächtiger Herrscher, das ist unmöglich! Der Handige hat sich einen Flügel gebrochen.
Longimanus. Da hast es ja. Das ist von dem g'schwinden Fahren. Jetzt darf ich wieder langmächtig suchen, bis ich einen gleichen dazu krieg'. Weißt du was? Fahr du in einem Luftballon, und wo er mit dir niedergeht, dort probier' dein Glück. Geht's hinüber in die Schupfen um einen Luftballon, der Kolibri soll kutschieren.
(Pamphilius geht ab.)
Longimanus. Also viel Glück! Für ein schön's Wetter werd' ich schon sorgen, und wollt Ihr andere Kleider, nur drüben mein' Schneider sagen, in fünf Minuten sind sie fertig.
Eduard. Hoher Geisterfürst! Mit mutigem Vertrauen trete ich meine Reise an, mein höchstes Glück liegt in deiner Hand.
Florian. Mächtiger Zauberfürst und wohlgeborner Zechmeister der löblichen Geisterzunft! Mit der entsetzlichsten Tremarola tret' ich meine Reise an; haben Sie Mitleid mit meiner schwachen Konstitution, und denken Sie, daß ein Mensch keine solchen Schmerzen mehr auszustehen vermag, der sich erst vor kurzem noch so herumgepudelt hat.
Longimanus. So wart' Er noch ein wenig! Das ist ein närrischer Mensch! Es geschieht Ihm ja nichts, wegen was lamentiert Er gar so?
Florian. Sehen Euer Herrlichkeit, mir ist nur, wenn ich eine verrissene Physiognomie bekäme, meine Mariandel schauet' mich in ihrem Leben nicht mehr an.
Longimanus. Was ist denn das für eine Person, die Mariandel? Ist s' denn gar so hübsch?
Florian. No, wann S' was g'spannen; das ist eine barbarische Schönheit. Die ganze Welt darf man ausreisen, es gibt keine. – Ach, ich glaub' nicht, daß man in der Walachei eine findet.
Longimanus. Nu, bravo! Die muß Er mir einmal aufführen.
Florian (lacht). Ach nein! Euer Herrlichkeit sind gar ein G'spaßiger? Sie könnten mir s' abwendig machen.
Longimanus. So sei Er nur nicht so kindisch; was fallt Ihm denn ein?
Florian. Nein, nein! Was nützt denn das? Ich gib s' nicht aus der Hand. Wer mir meine Mariandel stehlet, der wär' ein Kind des blassen Todes! Ha! da würde ja gerauft! Euer Herrlichkeit sind ein stattlicher Mann, aber die Schläg' möcht' ich Ihnen nicht wünschen, denn meine Mariandel ist meine einzige Passion!
Arie. | |
D' Mariandel ist so schön, D' Mariandel gilt mir all's, Und wenn ich s' nur erwischen kann, Fall' ich ihr um den Hals. Es gibt zwar der Mariandeln viel Auf dieser weiten Welt, Doch keine, die so herzig ist, Und die mir so gefällt. D' Mariandel ist so zart, D' Mariandel ist so treu, |
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Repetition. |
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D' Mariandel ist gar g'scheit, D' Mariandel ist nicht dumm, D' Mariandel meint, in Wien dahier Wär's beste Publikum! Drum glaub' ich der Mariandel auch, Sie hat mich nicht vexiert; Ich hab' auf ihren Spruch vertraut Und hab' mich nicht geirrt! (Ab.) |
Longimanus (allein). Jetzt haben s' schon Zeit gehabt, daß sie gegangen sind. Nicht einmal sein Schalerl Kaffee kann man mit Ruhe trinken. (Ruft.) Pamphilius!
Pamphilius. Voriger.
Longimanus. Die neuen Bücher, die ich aus der Leihbibliothek gekriegt hab', tragst ins Lesekabinett hinüber und bringst alles in Ordnung, ich will lesen.
Pamphilius. Befiehlst du auch einen aromatischen Rauch im Zimmer?
Longimanus. Später kannst du mir ein bißl einen blauen Dunst vormachen. Und jetzt hinüber, richt' alles her. Mein Tischerl, zwei Wachskerzen und dann das Buch von der Agnes Bernauerin; das Stück les' ich jetzt schon vierzehnmal, und ich weiß immer noch nicht, warum sie s' denn eigentlich ins Wasser geworfen haben. Jetzt komm, Pamphilius. (Beide gehen ab.)
Platz, von hohen schönen Gebäuden umschlossen, doch alle ohne Fenster im griechischen Geschmacke erbaut. Rechts der Eingang in den Palast des Veritatius. Links vorne eine Erhöhung von steinernen Stufen, worauf der Sitz sich befindet, hinter dem die Statue der Wahrheit steht. Eine nackte Figur mit der Sonne auf der Brust.)
Chor der Einwohner. | |
Stille, stille! Harrt bescheiden, Bis des Hornes Ruf ertönt. Schrecklich muß der Freche leiden, Der des Herolds Wort verhöhnt. Was wird er uns wohl verkünden, Was muß vorgefallen sein? Doch wir werden's bald ergründen, Seht, hier tritt er ja schon ein. |
Vorige. Zwei Diener des Herolds treten vorauf und stoßen dreimal in ihr goldenes Horn, welches der römischen Tuba gleicht. Dann tritt der Herold in die Mitte.
Rezitativ. | |
Herold. | |
Bewohner des friedlichen Landes! Ich bin erschienen, euch zu verkünden Die Befehle unseres Herrschers. Schon wenn die nächste Stunde tönt, Müßt ihr euch hier auf sein Geheiß versammeln. Er wird ein Mädchen heut bestrafen, Und sie verscheuchen aus des Landes Grenzen, Weil frech die Sitten sie verhöhnet, Die doch mit Milde uns beglücken, Und die allein sind unsres Landes Stolz. |
Arie mit Chor. |
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Herold. | |
Hier im einsam stillen Lande, Wo der ew'ge Friede wohnt, Webt die Freundschaft feste Bande, Wird die Liebe süß belohnt. |
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Chor. | |
Webt die Freundschaft feste Bande, Wird die Liebe süß belohnt. |
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Herold. | |
Darum wandelt, meine Brüder, Mit Bedacht zur Arbeit hin, Nur der Vorsicht weihet Lieder, Denn die Hast bringt nie Gewinn. |
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Chor. | |
Nur der Vorsicht weihet Lieder, Denn die Hast bringt nie Gewinn. |
(Alle gehen ab.)
(Die Musik geht nach dem Chor in eine artige Variation, über das Thema: »Es reisen drei Schneider zum Tore hinaus, ade!« über.)
(Der Luftballon, welcher eine dunkelblaue Kugel vorstellt, aber nicht mit den gewöhnlichen Streifen, sondern quer ein Paar weiße Bordüren hat und zwei weiße Flügel, welche zu beiden Seiten angebracht sind, geht langsam nieder.)
Eduard, Florian, Kolibri als Luftfahrer mit einem rosenroten Fähnlein steigen aus dem daranhängenden goldenen Schifflein. Eduard trägt eine grüne Zivil-Uniform, weißes Beinkleid und Federhut. Florian rote Livree mit Goldborten.
Kolibri. Also hier wären wir, Mongolfier hat seine Schuldigkeit getan. Jetzt vollende du das weitere.
Eduard. Wo sind wir denn eigentlich?
Kolibri. Das wirst du schon erfahren; ich handle ganz zu deinem Besten. Kolibri ist nicht dumm. Jetzt verlasse ich dich, und wenn du mich brauchen wirst, werde ich gleich bei der Hecke sein. (Nimmt einen andern Ton an und den Hut ah.) Euer Gnaden, ich bitt' um mein Trinkgeld!
Eduard. Ja, richtig! Hier, mein kleiner Fuhrmann! (Gibt ihm ein Goldstück.)
Kolibri. Euer Gnaden verzeihen, ich habe noch etwas gut von der letzten Station; wissen S', mit die Füchseln? Es waren zwei Goldfüchsel, und Sie haben mir da nur eines gegeben (hält ihm das Goldstück vor).
Eduard (gibt ihm noch eines). Ja so! Bist du so geldgierig?
Kolibri. Das versteht sich! Ich muß mir ja was zusammensparen auf meine alten Tag'. Empfehle mich gar schön. (Macht einen Kratzfuß und steigt in den Luftballon, der mit ihm sogleich fortfährt.)
Eduard. Eine sonderbare Stadt! Es ist alles so stille in den Straßen, als ob sie unbewohnt wäre. Nun, Freund Florian, warum so betrübt? Gefällt es dir hier nicht?
Florian (der durch die ganze Szene sehr trübselig aussah und öfters nachzudenken schien). Nein! Für mich blühen auf diesem Boden keine Rosen!
Eduard. So sei nur nicht so einfältig! Es wird ja den Hals nicht kosten.
Florian. O, ich bitte, schweigen Sie! Glauben Sie, das ist ein Spaß, wenn's einem was wegreißt? So weit hab' ich's gebracht! Das ist das Los des Schönen auf der Erde!
Eduard. Jetzt befehle ich dir, zu schweigen und an jenem Palast zu läuten, daß wir hören, wo wir sind.
Florian. Na, es ist recht; ich will alles tun. Verzweiflung, nimm dein Opfer. (Er läutet.)
Aladin, der Aufseher dieses Palastes, öffnet die Tore und tritt heraus. Vorige.
Aladin. Was seh' ich? Fremdlinge? Durch welche Zaubermacht seid ihr hierher gelangt und was begehret ihr von uns?
Eduard. Willst du, würdiger Unbekannter, mir wohl vorher die Frage beantworten, wo ich mich eigentlich befinde?
Aladin. Du befindest dich in dem Lande der Wahrheit und der strengen Sitte, und dein Fuß berührt den Boden unserer Hauptstadt.
Eduard. Freue dich, Florian, wir sind unserem Ziele nah'.
Florian. Ich wollt', ich wär' noch weit von meinem Ziel.
Aladin. Hier ist der Palast unsers Herrschers; ich bin nur sein Diener.
Florian. Jetzt ist der auch nur ein Bedienter.
Eduard. Willst du mich bei deinem Herrscher melden? Ich bin weit über dem Meere, ein Prinz aus dem Lande der Aufrichtigkeit und habe mit meinem treuen Diener (Florian verbeugt sich) in einer neuerfundenen Luftmaschine die Reise in euer Land gemacht, um mir eine Braut nach Hause zu führen, die ich durch treue Liebe und ungeheure Reichtümer zu beglücken gedenke.
Aladin. Deine Gesinnungen sind gut, und ich werde sie unserm Herrscher treu berichten.
Eduard. Doch jetzt mache mich auch mit den Gewohnheiten eures Insellandes bekannt.
Florian. Ja, erzählen S' uns ein bissel was.
Aladin. Auf unserer Insel wirst du den Streit vergebens suchen; wir haben gar keinen Verkehr mit irgend einem Lande. Feste geben wir nie, wir glänzen nur durch Wahrheit.
Florian. Das ist sehr schön von Ihnen.
Aladin. Einsam ist es in den Straßen, denn man geht nur aus, wenn es sehr notwendig ist.
Eduard. Doch ich sehe keine Fenster an den Häusern.
Aladin. Die gehen in den Garten, die Aussicht ist zurück.
Florian. Sie werden halt die Augen auf dem Rucken haben, weil s' vorn zuviel Aufsehn machten.
Aladin. Mit großer Strenge wird bei uns die Lüge bestraft, je nachdem sie nachteilige Folgen verursacht; doch ist man gegen Weiber nachsichtiger, als gegen Männer. Verleumdung kennen wir nur dem Namen nach auf der Insel der Wahrheit und Sittsamkeit.
Florian. Erlauben Sie, mein Teurer! wenn einer in seiner Sittsamkeit etwas stiehlt, so wird er doch ganz bescheiden eingeführt?
Aladin. Wer fehlt, muß bestraft werden.
Florian. Und da bekommt er hernach seine soliden fünfzig Strichel?
Aladin. Das geschieht nicht. Wir schlagen nur die Kleider des zu Bestrafenden, nicht den Mann; und das ist bei uns die größte Schande.
Florian. Das geschieht bei uns auch. Man schlagt auch nur die Kleider, aber man wartet so lange, bis sie derjenige an hat, den wir – (macht die Pantomime des Prügelns).
Eduard. Wie ist es rücksichtlich eurer Heiraten?
Aladin. In ihrem zwanzigsten Jahre werden unsere Mädchen verheiratet, ohne daß sie ihren Bräutigam zu Gesichte bekommen haben. Als Frauen dürfen sie keinen Schritt mehr aus dem Hause machen.
Florian. Das ist gut. Wenn eine Geld im Sack hat, kann s' wenigstens keins verlieren auf der Gasse.
Aladin. Nur bei öffentlichen Versammlungen müssen sie erscheinen. Übrigens darf kein Mädchen allein ausgehen, wenigstens vier, wo eine die andre beobachtet, denn es darf sich keine umsehen.
Florian. Das heißt, sie dürfen niemand über die Achsel ansehen.
Aladin. Und gehen immer in Begleitung von zwei Mohren.
Eduard. Himmel, welch ein qualvolles Leben!
Aladin. Wenn ein Mann ein Frauenzimmer auf der Straße sieht, muß er sein Haupt zur Erde beugen und darf sie nicht ansehen, sonst ist er des Todes.
Florian. Wenn das bei uns der Brauch wär', da schaueten manche junge Herren den Frauenzimmern nicht so unter die Hüte.
Eduard. Ist das beim Fremden auch der Fall?
Aladin. Es kommen selten Fremde zu uns. Doch sind sie von diesen Gebräuchen ausgeschlossen, soweit es der Anstand gestattet, und es ist ihnen erlaubt, ehrerbietig ihre Hand zu küssen. Selten vergißt ein Frauenzimmer ihren Stolz. Wenn aber ein unwürdiges Betragen von einer den andern zu Ohren kommt, so empört sich auch ihr Gefühl so sehr, daß sie in großen Tadel über die Unwürdige ausbrechen.
Eduard. Das ist eben kein sicherer Beweis von eigener Unverdorbenheit des Herzens.
Florian. Ah, das ist der Neid – mit mir reden!
Eduard. Ich danke dir für deine Auskunft und bedaure die Unglücklichen; sie würden wahrscheinlich edle Geschöpfe werden, wenn man ihren Handlungen weniger Zwang auflegen möchte.
Aladin. Bedauern? Sprich dieses Wort nicht aus in Gegenwart meines Herrschers, bei dem ich dich jetzt melden werde. Im Lande der Wahrheit ist niemand zu bedauern, als der, den die Götter mit Blindheit geschlagen haben, den unbedingten Wert unserer Handlungen nicht einzusehen. (Ab in den Palast.)
Florian. Geh der Herr zu.
Eduard. Florian.
Eduard. Aus allem, was ich gehört habe, schöpfe ich wenig Hoffnung, ein Mädchen hier zu finden, welches die strengen Anforderungen meines zauberischen Gönners erfüllen wird. Solch ein unnatürlicher Zwang erweckt Verschlossenheit, und Verschlossenheit ist die Mutter der Lüge. Doch sieh, dort kommen einige Frauenzimmer! Ich will mein Glück versuchen, Florian, halte dich standhaft.
Florian. Um alles in der Welt, Gnädiger, sein Sie menschlich! Denken Sie, solange Sie eine bei der Hand halten, halten Sie mich beim Schopf; nur gleich wieder auslassen.
Vier verschleierte Mädchen erscheinen, von zwei Mohren begleitet. Sie prallen bei Eduards Anblick etwas zurück. Vorige.
Eduard. Tulpe der Schönheit, verzeihe einem Fremdling, der es wagt, dir seine höchste Verehrung darzubringen.
Florian. Mir ist, als wenn ich ausg'führt würde.
Osillis. Ein artiger Mann.
Amazilli. Welch sonderbare Tracht?
Eduard. Erlaube mir, deine reizende Hand zu küssen. (Ergreift ihre Hand.)
Florian (schreit). Uijegerl! Ausgelassen! (schwächer) Auslassen! (Seufzt.)
(Eduard läßt ihre Hand los.)
Osillis (erschrickt). Was ist das? (Zu Florian.) Was ist dir, Fremdling?
Florian. Nichts! Ist schon vorbei! Wir wissen schon, wie viel's geschlagen hat.
Osillis. Aber du erschreckst uns durch –
Florian. Ist ja nicht wahr; ist alles erlogen.
Eduard. Verzeihe ihm; und auch du, holdes Mädchen! (Ergreift die Hand der Zweiten.)
Florian. Auweh! Auweh! Auweh! Die lügt noch stärker. O, Sapperment!
(Eduard läßt sie los.)
Florian. Ah, das ist eine Komödie!
Eduard. Schweig, Bursche!
Osillis. Ist er wahnsinnig?
Eduard. Mein schönes Mädchen! (Tritt zwischen die beiden andern und ergreift zugleich ihre Hände.)
Florian. Um alles in der Welt! Ich halt's nicht aus! Ich geh' zugrund!
(Die Mädchen reißen ihre Hände los und entsetzen sich.)
Osillis. Welche Verwegenheit! Flieht, Schwestern, das ist ein Rasender! (Alle vier Mädchen entfliehen mit den Mohren in den Palast.)
Eduard. Florian.
Eduard. Nun, Freund Florian, was sagt dein Barometer?
Florian. Lügen hat's geregnet. Ich werd' ein miserabler Mensch! Wenn wir zurückkommen, dürfen S' mich gleich auf sieben Jahr nach Gastein oder ins Bründelbad schicken.
Eduard. Armer Schelm, du dauerst mich.
Florian. Das ist eine sittsame Bagage. Die zwei letzten müssen schon gelogen haben, bevor sie auf die Welt gekommen sind; es ist nicht möglich sonst.
Eduard. Die Forderung grenzt aber auch an Unmöglichkeit. Doch wir wollen unsere Hoffnung nicht aufgeben.
Florian. Ja, haben S' die Gnad'. (Deutet auf's Reißen.)
Eduard. Willst du, daß wir dieses Land verlassen und in ein anderes ziehen?
Florian. Ah, hören S' auf, sie lügen überall. Es ist doch g'scheiter, ich geh' hier zugrund', als wenn ich wegen dem noch eine Weile wohin reisen soll.
Eduard. Es wird ja doch nicht überall so arg sein.
Florian. Ja, ist schon recht! Jetzt, wenn S' erst auf eine treffen, die einen reichen Liebhaber hat, den sie für einen Narren hält; die können erst lügen! Da reißt's mich in der Mitten voneinander.
Eduard. Still! Man kommt.
Aladin. Vier Mann Wache mit Pfeilen. Vorige.
Aladin. Fremdling! Der Herrscher wird in diesem Augenblicke hier erscheinen, um öffentliches Gericht zu halten, und bei dieser Gelegenheit will er dich bewillkommen und deine Bitten hören.
Eduard. Nimm meinen Dank für deine Botschaft.
Aladin. Doch haben wir Befehl erhalten, deinen Diener in das Irrenhaus zu bringen, und ihn mit Ketten zu belasten, wie es sich für einen Rasenden geziemt.
Florian. Was? Mich wollen s' in den Narrenturm sperren, und ich bin gescheiter, als sie alle?
Aladin. Ergreift ihn.
Florian. Ich sag's ja, wo ich hinkomme, halten mich die Leute für einen Narren. So nehmen S' Ihnen doch an um mich! Wird sich doch einer um den andern annehmen?
Eduard. Halt! Er ist mein Diener, und niemand hat ein Recht auf ihn, als ich. Ich stehe für seinen Verstand und für sein künftiges Betragen gut.
Florian. Ja, wir setzen was ein.
Aladin. Wohl, doch bei dem kleinsten Anfall werden wir unsere Befehle vollziehen.
Eduard. Also hüte dich!
Florian. Jetzt muß ich mir eine Ehr d'raus machen, wann's mich reißt.
Aladin. Fremdling! Folge mir, bis ich dich dem Beherrscher vorstellen darf. (Geht mit Eduard ab.)
Eduard (im Abgehen). Florian, nimm dich in acht. (Ab.)
Florian. Reden Sie nichts auf mich; Sie haben auch schon ausgedient bei mir. (allein.) Ich unglückseliger Mensch, was fang' ich an? Wenn ich auch durchging', es nutzt nichts; denn wenn er in England eine bei der Hand nimmt, so fangt's mich in Holland zum Reißen an. Es ist kein Mittel, als sukzessiv hin zu werden; immer matter, bis es aus ist.
Quodlibet. | |
Werd' ich denn hier sterben müssen? Soll ich nicht die schöne Gegend Draust bei Währing wiedersehn? Nimmermehr am heitern Ufer, Beim Kanal spazieren gehn? Nein, du armer Michel, Der Tod kommt mit der Sichel! Wie traurig ist doch mein Geschick! Mir blüht auf dieser Welt kein Glück. Kein Mädchen, das stets Wahrheit spricht; O jegerl, g'fallt mir nicht, die G'schicht. – Welche Lust gewährt das Reißen, Wenn eine reicht stark lügt. Glauben Sie's mir! Ach, ist es denn gar so schwer, Ein Mädchen z'finden, Das ein treues Herz besitzt, Das man kann ergründen? O närrische Leut', o komische Welt! Jetzt putzen und zieren sie sich, wie die Affen, Drum will ich lustig sein, |
Denn mir liegt nichts an Stammersdorf und an Paris, Nur in Wien ist's am besten, das weiß man schon g'wiß; Man weiß, daß's in hundert Jahren auch noch so is'! Aber, ob wir nicht g'storben sein, weiß man nicht g'wiß. Drum, wenn ich hier sterben sollt', und Sie nimmer sich, So bitt' ich halt gar schön, so denken S' an mich! |
Man hört einen Marsch. Alles Volk erscheint und stellt sich in einen halben Zirkel, dessen Mitte frei bleibt. Die Frauenzimmer stehen vor den Männern unverschleiert. Veritatius erscheint mit seiner Tochter Modestina. Aladin, Wachen, dann Eduard und Florian.
Chor. | |
Stellt euch um der Wahrheit Thron, Sprecht der frechen Lüge Hohn. |
Veritatius (besteigt mit Modestina seinen erhabenen Stuhl). Volk dieser Stadt! Ich habe dich versammeln lassen, um Zeuge zu sein bei der Verbannung eines Geschöpfes, welches schon seit langer Zeit durch ausgelassene Manieren die Gebräuche unserer Insel mit Füßen tritt.
Alle. Hoch lebe Veritatius!
Veritatius. Doch bevor wir den Vorhang dieser unangenehmen Szene eröffnen: Aladin, führe den Fremden vor. (Aladin geht und bringt Eduard und Florian.)
Veritatius. Sei mir willkommen, Fremdling! Du bist also der Herr vom Lande der Aufrichtigkeit? – Was ist denn das für eine pitoyable Figur, die dort an deiner Seite steht?
Eduard. Es ist mein Diener. (Deutet Florian, daß er sprechen soll.)
Florian. Bin so frei, meine ergebenste Aufwartung zu machen.
Veritatius. Das ist ein spaßiger Mensch, ich muß über ihn lachen. (Lacht; zu den übrigen.) Man lache auch ein wenig über ihn.
(Alle lachen.)
Florian. Das ist eine dumme Nation!
Veritatius. Und nun zur Sache! Ich habe gehört, daß du dir eine Braut erkiesen willst, und weil du mir so wohl gefällst, auch aus vornehmem Stande bist, so stelle ich dir hier meine Tochter vor. Man verwundere sich. (Alles verwundert sich.) Wenn er dir gefällt und seine Abkunft beweiset, will ich mit Freuden euere Hände ineinander legen.
Modestina. Fremdling! Gewohnt, den Befehlen meines Vaters zu gehorchen, reiche ich dir mit Freuden meine Hand, wenn du mich vorher überzeugst, daß dein Edelmut sie verdient.
Florian. Ui jegerl, ich freu' mich schon.
Eduard. Nimm meine Huldigung, Holdeste deines Geschlechtes. (ergreift ihre Hand.)
(Florian empfindet Schmerz, sucht ihn aber durch unartikulierte Töne und Lippenbeißen zu verbergen.)
(Eduard sieht auf Florian; dieser deutet nein, er läßt ihre Hand mit Anstand los.)
Modestina. Er gefällt mir recht wohl.
(Dumpfer Lärm von außen, man hört Aminens Stimme.)
Aminens Stimme. Laßt mich! Laßt mich!
Amine. Wachen. Vorige.
Amine (stürzt herein, hinter ihr Wache). Laßt mich, ihr abscheulichen Männer! (Stürzt zu Veritatius' Füßen.) Gütiger Herr! Was hat die arme Amine verbrochen, daß sie solchen Mißhandlungen preisgegeben wird? Ich bin ja ein armes, unschuldiges Mädchen, das noch niemand auf der Welt etwas zuleide getan hat.
Veritatius. Wie kannst du es wagen, vor meine Augen zu treten, ohne daß ich dich rufen ließ? Ausgelassenes Geschöpf, über dessen Verbrechen sich alle Bewohner dieser Stadt entsetzen.
Amine. Aber worin bestehen denn meine Verbrechen? Daß ich über die spitzige Nase deines Türstehers gelacht habe, daß ich auf der Straße herumgelaufen bin, meinen Papagei zu fangen, daß ich mein Haupt mit keinem Tuche umwinden will, weil ich Kopfschmerzen davon bekomme, und daß ich endlich keine traurige Miene machen kann, weil ich ein fröhliches Herz im Busen trage, sieh, das kann ich nicht lassen, lachen muß ich; und wenn du noch so zornig auf mich blickest und deine Augenbrauen so hinauf ziehest, so werd' ich wieder recht zu lachen anfangen müssen.
Veritatius. Welch unerhörte Frechheit! Man ärgere sich mit mir! (Pause.) Nein, man ärgere sich nicht; es will sich nicht geziemen, daß wir wegen dieser Verbrecherin in Ärger geraten. Als eine arme Waise hat man sie hier aufgenommen, weil ihr Vater, ein englischer Kapitän, mit seinem Schiffe an dieser Insel strandete und seinen Tod in den Wellen fand; und diese Bettlerin wagt es, das Ärgernis einer ganzen Stadt zu werden? Man ergreife sie, setzte sie in ein Schifflein und treibe es hinaus in die See, fern hin von dem Lande der Wahrheit, damit die Wellen das Spiel mit ihr treiben, das sie nur zu lange mit uns getrieben hat. (Die Wachen ergreifen sie.)
Aladin. Führt sie fort.
Eduard. Halt! (Für sich.) Ein unwiderstehliches Gefühl reißt mich hin, sie auf die Probe zu stellen.
Florian. Ah, das ist ja entsetzlich; das nimmt ja gar kein Ende.
Eduard (laut). Erlaube mir, mächtiger Herrscher, eine einzige Frage an dieses Mädchen zu stellen.
Veritatius. Man stelle sie.
Eduard. Gutes Kind, hast du Vertrauen zu mir?
Amine. Ach ja! Du hast kein übles Gesicht und scheinst ein guter Mensch zu sein. Amine fühlt das gleich.
Eduard. Reiche mir deine Hand.
Amine. Hier hast du sie. (Gibt sie ihm.)
Florian (fängt an, einen unendlichen Frohsinn und eine innere Lustbarkeit auszudrücken). Euer Gnaden, die b'halten wir, die lassen wir nimmer aus.
Alle. Was soll das bedeuten?
Amine. Ach, nimm dich meiner an; ich bin gewiß nicht schuldig!
Eduard. Nein, das bist du nicht, du gutes Mädchen. Wahrheit besteht nicht bloß durch äußere Form, sie wohnt im Innersten des Herzens, und Ungezwungenheit und Naivität dürfen immer ihre lieblichen Schwestern sein.
Veritatius. Habt ihr ihn verstanden?
Alle. Ja!
Veritatius. Ich nicht. Man verstehe ihn auch nicht!
Eduard. Höre mich, Veritatius! Ich verzichte auf die Hand aller Mädchen deines Landes; laß mir Amine, und ich führe sie als meine Gemahlin mit mir in mein Reich.
Modestina. Wie? Du wagst es?
Alle. Entsetzlich!
Veritatius. Ruhig! Man schweige! Sieh, Verblendeter! Weil du es wagst, meine Gastfreundschaft durch solchen Undank zu lohnen, so will ich dich auch dafür bestrafen. Du sollst sie haben; aber augenblicklich meidest du dieses Land und tust ihm nie wieder die Schande an, es zu betreten.
Eduard. Dank deiner Güte! Kolibri, lichte die Anker, schwelle die Segel!
Kolibri (fährt mit dem Luftballon nieder). Komm' schon; bin schon da.
Eduard. Und nun komm, Amine, und du, Veritatius, traure; denn ich entführe dir ein seltenes Kleinod, dessen Wert du nicht zu schätzen wußtest. (Musik ertönt, Eduard, Amine, Florian und Kolibri steigen ein, und fahren fort.)
(Veritatius geht mit seiner Tochter und Aladin in den Palast, die übrigen bleiben zurück.)
Chor. | |
Fahret, fahret fort! Steuert durch die Welt, Bis zum Ort, bis zum Ort, Wo euch Reue quält. |
Ein Fallschirm kommt herab, worauf steht: »Körbchen für die Schönen dieses Landes.« Vier Genien kommen aus der Tiefe und teilen goldene Körbchen an die Frauen aus.r
Chor. | |
Seht die frechen Laffen hier, Körbchen uns zu spenden! Rache kocht im Busen mir, Blutig soll es enden! |
(Heftiger Schlag in der Musik. Sie wollen auf die Genien hin, diese heben die Finger warnend auf; ein augenblickliches Tableau. Die Genien ziehen aus den Körbchen verschiedene Schmuckwaren hervor, die Weiber ergreifen sie freudig. Die Musik und die Singstimmen sehr piano.)
Chor. | |
Doch piano, haltet ein! In dem Land der Sitten Muß man fein manierlich sein, Hier wird nicht gestritten; Drum verlasset diesen Ort, Höret auf zu tosen, Traget eure Körbchen fort, Füllet sie mit Rosen! |
(Alle schleichen behutsam fort.)
(Die Genien zur Seite ab.)
(Fürchterlicher Wald, Blitze leuchten. Man hört das Brausen des Vulkans.)
Eduard, Amine, Kolibri, Florian treten ein.
Kolibri. Wir sind am Ziele, dort ist der Vesuv.
Amine. Welch ein fürchterlicher Wald!
Eduard. Ja, immer finstrer wird der Wald und finstrer wird es auch in meinem Innern.
Kolibri. Siehst du dort den Rauch?
Florian. Aha, da ist eine Ziegelbrennerei!
Kolibri. Narr! Es ist der Feuerberg; dorthin geht die Reise. Eduard, lebe wohl! Ich reite jetzt als Kurier voraus und bereite alles zu deinem Empfang. (Ab.)
Vorige ohne Kolibri.
Amine. Was soll das alles heißen? Warum stehst du so in dich gekehrt? Hat dir Amine etwas zuleide getan?
Eduard. Ja, Amine, du bereitest meinem Herzen bitteren Schmerz. (Für sich.) Mein Unglück ist entschieden; ich liebe sie!
Amine. Ich verstehe dich nicht; du sprichst so dunkel. Sieh, ich weiß nicht warum? aber ich habe dich in dieser kurzen Zeit so lieb gewonnen, daß ich niemanden auf dieser Erde weiß, dem ich so gut sein könnte, wie dir, und du hast doch auf der ganzen Reise verdrießliche Mienen gemacht. Komm, ziehen wir weiter; und ging' es durch den Feuerberg, ich ziehe überall mit dir.
Eduard. Es ist umsonst, ich muß es ihr entdecken. So wisse, armes Geschöpf, ich habe dich betrogen; du wirst nicht meine Gemahlin.
Amine. Nicht?
Eduard. Nein. Siehst du jenen Feuerberg, wo die Blitze durch den Rauch sich winden? Dort wird deine Wohnung sein; jenem Geisterfürsten hab' ich gelobt bei meinem Leben, dich zu überliefern.
Amine. Das hast du getan? Du? (Wehmütig.) Nein, das ist unmöglich! Du lügst – und das mußt du nicht, Amine hat noch nie gelogen.
Eduard. O hättest du es getan, so waren wir beide glücklicher!
Amine. Wirklich? Nun, so will ich das in Zukunft wieder gut machen und mir recht viele Mühe geben, es zu lernen, wenn ich nur weiß, daß dich das glücklich macht.
Eduard. Zu spät, ich kann nicht mehr zurück. Amine, du mußt mir folgen. Ich habe diesen Schwur geleistet, bevor ich dich noch kannte. Wenn ich dich dem Zauberkönig nicht überliefere, so stürzt der Augenblick, indem ich diesen Entschluß fasse, mich tot zu deinen Füßen nieder.
Amine. Schrecklich! Schrecklich! Ach, warum hast du mich nicht den Wellen überlassen? Jetzt vielleicht schon wäre ein ewiger Friede in meiner Brust. Doch ich sehe das Entsetzliche deiner Lage ein, und füge mich meinem unerbittlichen Geschicke, das von Kindheit an mich schon so hart verfolgt. Hier ist meine Hand, führe mich zu dem Zauberkönig.
Eduard. Treffliches Mädchen! Ich kann dich nicht überliefern; o armseliger Diamant, wie verlischt dein Glanz vor den Strahlen dieser Unschuld. Was soll ich beginnen?
Florian (der sich während der ganzen Szene zurückgezogen hatte und ganz ruhig war, kommt vor). O mein lieber, gnädiger Herr, ich halt's nimmer länger aus! Überliefern S' mich dem Zauberkönig, statt ihr, und geben S' ihm halt ein paar hundert Gulden aus; oder noch was; unser alter Herr war ja alleweil ein gescheiter Mann, und voller Zauberei war er auch, vielleicht kann der uns helfen? Machen S' eine Beschwörung, kitzeln wir ihn wo heraus bei einem Loch, wie einen Grillen, daß er uns einen guten Rat gibt.
Eduard. Ja, du hast recht, Florian! Diesen Gedanken hat dir ein wohlwollender Geist eingehaucht. Höre mich, Vater, wenn du die Stimme deines Sohns noch erkennst, steig herauf zu mir und rette mich von meiner Verzweiflung. Vater, Vater! höre mich! (Es donnert.) Freude, Amine, er hat mich gehört, er kommt!
(Zephises kommt aus der Erde in seinem vorigen Geisterkleide. Vorige.)
Eduard. Geist meines Vaters, rate deinem unglücklichen Sohne! Was soll ich beginnen?
Zephises (mit ernster Stimme). Ich bin dein Vater Zephises und habe dir nichts zu sagen als dieses! (verschwindet wieder.)
Eduard (spricht langsam). Er ist mein Vater Zephises. –
Florian. Und hat uns nichts zu sagen als dieses! Nun, das können wir ja tun; riskieren tun wir nichts dabei.
Eduard (rasend). Treibt die Hölle ihren Spott mit mir? Wohlan, geendet sei dies Spiel! Longimanus, ich löse dir mein Wort! (Schrecklicher Donnerstreich. Die Bühne verwandelt sich in eine Felsengegend, in der Mitte erhebt sich der Vulkan; Lava strömt aus dem Krater, fließt über den Berg und bildet um dessen Fuß einen feurigen See. Alle Elemente sind in Aufruhr. Musik.) Wo bist du, Amine?
Amine. Himmel, welch ein fürchterlicher Anblick!
Eduard. Mir ist er es nicht. Geisterkönig, ich rufe dich!
Heftiger Donnerstreich, auf welchen eine totale Stille folgt; unter sanfter Musik verwandelt sich die Szene. Die Kulissenfelsen werden zu grauen Hügeln mit Blumen besäet, der Vesuv wird ein grünender Berg, der statt der Lava farbige Blumen auswirft, die man statt den Streifen der Lava sich herabwinden sieht. Das Lavameer wird ein Silbersee. Der Geisterkönig erscheint mit Gefolge.
Longimanus. Gefolge. Feuergeister. Vorige.
Longimanus. Nun, bin ich ein galanter Kerl, oder nicht? Du hast g'laubt, ich werd' meine Braut mit Donner und Blitz empfangen? Nein! Narren hat's geregnet! Blumen sind da!
Eduard. Seine Braut!
Amine. Himmel!
Longimanus. Du hast also doch eine g'funden? Siehst du's, wann ich was sag'! – Was für eine Landsmännin?
Amine (furchtsam). Eine Engländerin.
Longimanus. Also ein Wasserkind. Brav! Nun also, die Sache ist in Ordnung, nicht wahr? (Zu den Feuergeistern.) Führt sie hinein.
Eduard (für sich). Nein, diese Qual ist zu groß! (Laut.) Longimanus, du darfst sie mir nicht entreißen! Laßt sie hier!
Longimanus (macht große Augen und erstarrt fast vor Zorn). Was ist das für ein Diskurs? Den Augenblick hinein mit ihr! (Die Feuergeister führen sie fort.)
Eduard. Kehrt zurück, oder – (er will nach).
Longimanus (winkt; Donnerschlag; Gewitterwolken fallen vor, aus welchen fliegende Ungeheuer Eduard entgegengrinsen). Sein schon da! Was ist denn das? Was unterstehst denn du dich, mir zu drohen? Du Bursch'! Du Hergelaufener oder Hergeflogener! Wie er gekommen ist, hat er schon ein Geschrei gehabt, daß ich ihn bis ins dritte Zimmer hinein gehört hab', und jetzt untersteht er sich gar und begehrt ordentlich auf mit mir. Ah, da muß ich bitten! (Scharf.) Red', was willst du?
Eduard. Longimanus, Gnade! (Fällt auf ein Knie.)
Longimanus. Und Longimanus sagt er nur in der Geschwindigkeit so zu mir, als wann wir schon hundert Jahre bekannt wären.
Eduard. Verzeihung, mächtiger Geisterfürst! Ich bin ein Wahnsinniger, ich kann ohne Aminen nicht leben! Habe Mitleid und schenke mir ihre Hand.
Longimanus. Untersteh dich nicht mehr, ein Wort zu sagen! Jetzt schaut's ihn an! Macht der auf einmal einen Ernsthaften! (Dreht die geöffnete Hand.) Ein Wahnsinniger ist er? Geh, geh, geh, geh, du Spaßiger! Was du begehrt hast, wirst du erhalten. Du hast dir Reichtum gewünscht, du wirst ihn finden. Du kriegst den Diamant und ich das Mädel, so hat ein jeder einen Schatz.
Eduard. O Zauberfürst, nimm alle deine Schätze zurück, ich will sie nicht, ich verlange sie nicht. Gib mir Aminens Hand, und ich will auf alles verzichten.
Longimanus. Jetzt fangt er gar zum Handeln mit mir an, als ob wir auf dem Tandelmarkt wären. Was wir ausgemacht haben, dabei bleibt's; du bekommst die diamantene Statue und sonst nichts, und damit du geschwind nach Haus kommst, so werd' ich kutschieren. Allons! (Winkt. Die Wolken erheben sich, und es präsentiert sich Zephises' Zaubersaal mit sechs Statuen. Auf dem roten Postament, worauf jetzt das transparente Wort: Diamant geschrieben ist, steht Amine im rosensarbnen Kleide mit einem reich mit Flitter gestickten Schleier, der ihr Gesicht nicht verhüllt, sondern mit hübschem Faltenwurf um den ganzen Körper fließt, ihre Figur muß sehr grell beleuchtet sein.) Da ist sie, ich übergeb' sie dir; wir sind quitt!
Eduard (ohne hinzusehen). Ist sie mein Eigentum?
Longimanus. Ja!
Eduard. So will ich sie vernichten, denn sie ist die Ursache meiner Verzweigung! Ich will sie nicht haben, ich zerschlage sie! (Eilt mit Wut gegen die Statue.)
Amine (steigt von dem Piedestale und sinkt in seine Arme). Eduard, ich bin dein!
Eduard. Amine! Meine Amine!
Florian. Er hat sie nicht zerschlagen.
Eduard (stürzt freudig zu Longimanus Füßen). Herr, wie soll ich dir danken?
Longimanus. Ja, jetzt! Gelt, ich hab' dich erwischt? Du Tausendsapperment! Ich hab' dich nur auf die Prob' g'stellt, wenn dir das Geld lieber g'wesen wär', als sie, hättest du sie in deinem Leben nicht bekommen. Da hast du s' jetzt. Ein Weib, wie die sein wird, ist der schönste Diamant, den ich dir geben hab' können.
Florian. Vivat! Jetzt hole ich meine Mariandel. (Will ab.)
Kolibri. Mariandel. Nachbarsleute. Vorige.
Kolibri. Da bring' ich Gäste zur Hochzeit.
Eduard. Kommt, Freunde, nehmt teil an meiner Freude.
Mariandel. Florian!
Florian. Mariandel, du bist mein! Du bist zwar kein Diamant, aber – wo bist her?
Mariandel. Aus Prag.
Florian. Bist ein böhmischer Stein.
Longimanus. Und damit wir einen Tanz bei der Hochzeit haben, so sollen (auf die Statuen deutend) die ein wenig herumspringen. (Die Statuen steigen von den Postamenten und tanzen unter dem Ritornell.)
(beginnt mit Tanz, dann:)
Mariandel. Der kleine Liebesgott!
Florian (singt es nach). Der kleine Liebesgott!
Mariandel. Treibt mit uns allen Spott.
Florian. Treibt mit uns allen Spott.
Mariandel. Kaum trifft er uns ins Herz,
Florian. Kaum trifft er uns ins Herz,
Mariandel. So fliegt der kleine Schelm davon.
Florian. Er fliegt davon.
Chor. Er fliegt davon! Er fliegt davon.
Mariandel. Die allerschönste Sach' –
Florian. Die allerschönste Sach' –
Mariandel. Sprichst du denn alles nach?
Florian. Sprichst du denn alles nach?
Mariandel. So hör' doch einmal auf!
Florian. So hör' doch einmal auf!
Mariandel. Du dummer, dummer Tölpel du!
Florian. Du Tölpel du!
Chor. Du Tölpel du! Du Tölpel du!
(Zwischentanz, Gruppe.)
Mariandel. Bin ich nur Frau hernach –
Florian. Bin ich nur Frau hernach –
Mariandel. Dann sprichst du g'wiß nicht nach.
Florian. Dann sprichst du g'wiß nicht nach.
Mariandel. Ich red' den ganzen Tag. –
Florian. Ich red' den ganzen Tag –
Mariandel. Und du verhältst dich mäuschenstill.
Florian. Ja mäuschenstill!
Chor. Ja mäuschenstill! Ja mäuschenstill!
Florian. Drum bitt' ich nur geschwind –
Mariandel. Drum bitt' ich nur geschwind –
Florian. Wenn Sie's zufrieden sind –
Mariandel. Wenn Sie's zufrieden sind –
Florian. Wir machen jetzt ein End' –
Mariandel. Wir machen jetzt ein End' –
Florian. So bleibt ihr doch heut 's letzte Wort.
Mariandel. Das letzte Wort.
Chor. Das letzte Wort! Das letzte Wort!
(Am Schlusse gruppiert sich alles. Die Statuen besteigen die Postamente, Amine auf dem mittleren. Eduard kniet vor ihr; Longimanus steht auf der andern Seite, Florian kniet vor Mariandel. Die Nachbarn gruppieren sich mit freudigem Erstaunen.)
(Der Vorhang fällt.)
Ende.