Wilhelm Raabe
Des Reiches Krone
Wilhelm Raabe

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So kam ich dazu, zum erstenmal das Schwert für das Reich unter dem Banner der Stadt zu führen, und wahrlich war der hochbegnadet, dem es vergönnt war, daß er von diesem Streit und Mühsal sein Teil auf sich nehmen durfte.

Das wurde der wildeste Krieg, den ich jemalen gesehen habe, und das Land, das wir nun durchzogen, sahe freilich aus, als ob der Welt Untergang daselbsten schon begonnen habe. Im schwarzen Brandschutt lagen alle Dörfer und die meisten der Städte. Mit Leichen und Knochen waren die Felder bestreuet. Eine Rauchwolke bei Tage und eine Feuersäule bei Nacht, wandelte auch vor der Hussiten Heereszügen der Herr, die Sünden der Erde zu strafen. Alle Farbe verblich vor dem heißen Atem der Taboriten, und blieb nichts übrig hinter ihnen als die Wüste und die Finsternis. Und mitten in der Wüste, der heulenden Wüste, wußten wir die hohe Burg gelegen, die unseres Volkes Kleinodien wider Recht, doch nun von guten Wächtern geschützet, barg! Mit heißem Atem, mit keuchender Brust rangen auch wir uns durch, die Kronenwächter zu befreien, die Krone zu erlösen. –

Auf Saaz zogen wir zuerst, doch mit wenig Glück, wie denn das deutsche Volk in diesem grausen Kriege immer wenig Glück gehabt hat. Die große Sünde von Costnitz sollte gebüßet werden, und sie ist gebüßet!

O Bruder Johannes Kapistranus, merke: Konstantinopolis ist gefallen, ist in der Heiden Hand gefallen; des oströmischen Reiches Krone ist versunken; aber des deutschen Reiches Krone haben wir errettet, wir, die Bürger der edlen Stadt Nürnberg, und Friedrich von Hohenzollern, der erste Kurfürst von Brandenburg, der uns führete und auf seinen Schultern den güldenen Schrein, so des großen Kaisers Karl Zepter und Schwert barg, wegtragen half vom Karlstein, den der Fremdling erbauet hatte zum Gefängnis für des deutschen Volkes höchsten Schatz! –

Auf Saaz zogen wir zuerst, doch mit wenig Glück. Da war ein Herr von Plauen im Heer, der wollte die Hussitenstadt durch Tauben und Spatzen, denen er Feuer anband, entzünden. Doch die Vögel, vom Schmerz getrieben, flatterten auf unser eigen Lager zurück und setzten es in Brand, daß wir eilends von der Stadt weichen mußten und wieder ein großer Triumph der Taboriten darinnen war. Sie schrieen uns nach von den Wällen; doch mit Zuzug vom Pfalzgraf Ludwig rückten wir weiter durch den Wald, im immerwährenden Gefecht, Tag für Tag.

Schild bei Schild, Schulter an Schulter wanden wir uns durch, bei jeglichem Schritte tapfere und liebe Kriegsgenossen wund oder tot zurücklassend. Die Wunden streckten wohl die Hand uns nach und winkten zum Abschied; doch nicht einer hat die Hand ausgestreckt, die Weiterziehenden zurückzuhalten. Die schlechtesten Gesellen im Heer setzten ihre letzte Kraft ein für des Reiches Krone, und in übermenschlicher Anstrengung drängte der Hintermann den Vordermann auf dem grimmen Wege. Wir ritten und stritten wie im Fieber; wir lachten der Pfeile, die aus den Tiefen der Wälder, hinter jedem Gebüsch und Felsen hervor auf uns einflogen. Wie im Fieber glänzten die Augen, die Arme und Fäuste gewannen gedoppelte Kraft, und je kleiner das Heer wurde, desto herrlicher stieg in uns der Glaube an das Gelingen unseres Vornehmens in jeglicher Brust auf. Wir wollten alle sterben um die Kleinodien Caroli Magni, und so, da niemand diesmal den Tod achtete, so haben wir diesmal auch unsern Willen erlanget, sind durchgebrochen durch die feindlichen Haufen, durch den schlimmen unbekannten Wald, über Strom und Gebirge und haben den Karlstein zu Gesichte bekommen wie das erste Kreuzesheer die Zinnen der heiligen Stadt Jerusalem!

Da ward erst ein Geschrei und dann eine große Stille, als der wilde Wald vor uns sich lichtete und aus der Höhe die goldenen Kreuze der Türme, die unsern Hort bargen, auf uns niedersahen. Doch ein Geschrei ging auch auf aus der Tiefe zu unsern Füßen; da dehnte sich der Hussiten Lager, und wir sahen und hörten sie in wütender Arbeit mit schweren Büchsen, Wurfmaschinen und Sturmleitern; – wir sahen die Kronenwächter des deutschen Reiches auf den hohen Mauern der Veste, und der Kurfürst Friedrich wandte sich, das Schwert erhebend, und winkte.

Dann brachen wir hervor aus dem Walde hinunter in das Tal, auf der Hussiten Lager ein, dem Kurfürsten nach, ein Feuerstrom des Zorns. Da fielen wir auf die Taboriten und schleuderten den Brand in ihre Gezelte und schritten über ihre Leiber durch den Qualm und die Flammen. Schon stritten wir unter den steilen Felsen, so die gewaltige Burg tragen, und sahen über uns, über dem Rauch und Gewühl von der Hochwacht des Reiches Banner wehen, vernahmen den Jubelruf der Kronenwächter auf den Zinnen und durch allen Lärm der Schlacht feierlich und klangvoll das hehre Läuten der Glocke Zum Heiligen Kreuz, den Ruf der Glocke, so über dem Schrein der Kleinodien des deutschen Reiches schwingt.

Und die Schlacht währete nicht lange; wir würgten die Feinde, die nicht weichen wollten. Wir schlugen die Prager und trieben sie zurück von den Mauern, welche sie so arg bedrängt hatten; wir gewannen das erste und das einzige Glück, so der Deutschen Schwert in diesem schaudervollen Kriege gegen den Glauben der Wiklifiten gehabt hat: wir erretteten dem deutschen Volke seine Heiligtümer vor der äußersten Schmach in der Fremden Hand, und wir brachten sie heraus aus dem Böhmenland, daß sie für eine bessere Zeit dem Reiche unversehret blieben!

Die Prager flohen, und wir drangen aufwärts den steilen Pfad hinan. Sie streckten uns von oben die müden Hände von den Zinnen entgegen; wir sahen sie knieen und sahen sie tanzen auf den Türmen, die tapfern Wächter der Krone! Wir drangen aufwärts auf dem engen, steilen Pfad, ein jeglicher in seinem Harnisch geschoben und gehoben von den Nachklimmenden; wir drangen aufwärts bis zu dem ehernen Tore, welches so lange und so gut gegen den hussitischen Ansturm gehalten hatte. Der Hohenzoller, der uns so gut für des Reiches Krone geführt hatte, ließ die blutige Streitaxt sinken und nahm den Helm vom Haupt. Die eherne Pforte tat sich auf vor ihm und uns; die Vordersten drängten jetzt die Nachfolgenden in plötzlicher Scheu und heiligem Schauder zurück; ein Stillstand kam in das Heer, so des großen Kaisers Karl Zepter und Reichsapfel erlöset hatte; wir sahen den ersten Burghof gefüllt mit den verwundeten und kranken Wächtern, wir sahen die Gesunden müde von der Schlacht und vom Hunger entkräftet; – wir waren mit dem Kurfürsten von Brandenburg zur richtigen Stunde gekommen – o daß das gleiche geschehen möge in allen kommenden Jahrhunderten bis zu der Welt wirklichem Ende! – – –

Sie riefen Heil und Segen über uns, als sie uns auch hier die müden Hände entgegenstreckten und die ersten des hülfebringenden Heeres an die keuchende Brust zogen.

Ja Heil und Segen! Das war uns wahrlich eine hohe und segensreiche Stunde! Da ward wieder in der Nähe eine große Stille, daß man nur das leise Rasseln der Rüstungen und Klirren der Wehren hörte und aus dem Tal herauf unter der hohen Torwölbung durch den nimmer verhallen wollenden Siegesruf der Tausende deutscher Männer, die mit uns gekommen waren, doch nicht der Ehre teilhaft werden konnten, als die ersten die Burg zu betreten.

Mit Staunen sahen wir nun rings um uns her die himmelhohen Wände aufsteigen, hinter denen der Luxemburger den entlehnten Schatz als sein Eigentum geborgen hatte. Wir sahen die drei Zwinger, einen über den andern, bis in die Wolken ragen, wir sahen die Königliche Pfalz in aller ihrer Herrlichkeit vor uns, und geführet von den Hauptleuten, dem Dechanten, den vier Canonicis und den Kaplänen der Burg, durchschritten wir Tor um Tor, über eine dröhnende Zugbrücke um die andere, bis zu der Kirche der heiligen Katharina, allwo wir, dicht aneinander gedränget, mit dem Kurfürsten im stillen Gebete knieeten, ehe wir es wagten, dem größern Heiligtum, der Kapelle des heiligen Kreuzes, uns zu nahen.

Mit deutschen Helmen, Sturmhauben, Speeren und Schwertern waren nunmehr alle Höfe und Gänge, alle Hallen und Gemächer der Burg erfüllet. Wo sonsten nur des Böhmenlandes vornehmste Männer und edelste Herren leise wandeln durften, wo selber der König nur leise ging, da hatte heute der geringste Mann, der um die Krone mit ausgezogen war, ein höher Recht. In des Königs Zimmern lehnten die Bürger von Nürnberg ihre Spieße an die buntgemalten Wände oder hingen ihre Äxte an das reich vergoldete Getäfel. –

Noch war eine Brücke aufgezogen, noch war eine Pforte mit neun Schlössern versperret. Das war die Brücke, die zu der Kirche des Kreuzes führte, das waren die neun Schlösser, so des deutschen Reiches Krone hüteten. Diese Brücke senkte, diese Schlösser öffneten sich für niemand als die Kronenwächter und den König; mit gezückten Wehren hielten die geharnischten Mannen hier bei Tage und bei Nacht Wache.

Wer aber hatte heute hier ein größer Recht, der König Sigismund oder wir?

Auf das Winken des Kurfürsten senkten sich alle unsere Banner; aber auch die Zugbrücke, die uns noch den Pfad sperrte, fiel hernieder. Dann rasselten die neun Schlösser der Pforte, und im tiefen Schweigen traten wir in den geweiheten Raum. Da leuchtete es uns aus der Höhe und von allen Wänden und Pfeilern wie rotes, grünes und blaues Feuer entgegen; im Schmuck der köstlichsten Steine glänzte jeglicher Ort, und nun schied uns nur noch ein hohes, kunstreiches goldenes Gitter von dem Allerheiligsten.

Da fühlte ich eine schwere Hand auf meiner Schulter; es war die in Eisen gewappnete Hand und der Arm des Freundes, die sich um meinen Nacken legten.

Wir hatten einander gestützt, wenn einer von beiden strauchelte auf dem Wege. Wir hatten einander mit den Schilden gedeckt, und hundertmal hatte die Waffe des einen den Tod vom andern abgewehret; aber was sollte ich Großes von mir und dem Michel Groland schreiben, so lange ich eben geschrieben habe von des Reichsheeres Zuge zum Karlstein? Wir beide waren ja doch nur zwei Tropfen in dem Strome, und alles, was wir erleben mochten auf dem Wege, erfuhr in Leid oder Freude, in Schmach oder Ruhm das ganze Heer.

Plötzlich hier, auf der Hochwacht der Burg des vierten Karls, in der Kirche Zum Heiligen Kreuze, vor dem Schreine, der die Reichskleinodien barg, gewannen wir unser eigen einzeln Leben zurück.

Der Freund und Bruder, der starke Michel, neigte seinen Mund zu meinem Ohr und sprach leise: »Lieber, nun sage einen Spruch für mein Glück! Hier an diesem Orte, hier, hier, nach so großen Mühen für des Reiches Krone, – hier vor des deutschen Volkes hohen Heiligtümern bitte für mich, daß ich des deutschen Volkes allerhöchste Kron für mich selber gewinnen möge!«

Ein Blitzstrahl fuhr nicht aus der goldenen Nische hervor, herüber vom Schwert des heiligen Ritters Mauritius, vom Schwerte des großen Kaisers Karl und schlug den wilden Freund um des wunderlichen, verwegenen Wortes. Aber ein tiefer Schauder, eine Kälte und eine feuerige Flamme gingen mir durch die Gebeine.

In dem Augenblick jedoch stimmte der Burgdechant mit seinen Canonicis und Kaplänen das Gloria deo an; alle Gegenwärtigen fielen ein in den Gesang, die Bilder an den Wänden, die gemalten und mit köstlichem Gestein besetzten Bilder aller Gestirne am Gewölbe, die Adler des Reiches schwankten im roten flammenden Lichte, welches die Abendsonne durch die bunten Fenster warf: es schwankte alles um mich her, nimmer hat der Lärm der größesten Schlacht mich also sehr betäubt, als diese Stunde es tat; aber das Gebet für den Freund und seine Liebe habe ich auch gesprochen vor des Reiches Krone. –

Tolle! lege! Horch, des Volkes Geschrei von Sankt Sebaldi Kirchhofe her! Die ganze übrige Stadt ist stille wie das Grab; auf einen Fleck sind die Nürnberger Sünden und Eitelkeiten zusammengeflossen – horch, wie sie rufen die Tausende um ihr Elend! Der Mönch dorten auf der Kanzel greifet ihnen wahrlich scharf in die Herzen! Sie mögen wohl schreien, sie mögen sich wohl die Brüste zerschlagen ob des grimmigen Franziskaners Bußpredigt: was aber will sein kreischend Wort gegen die süße, sanfte Stimme, die mich umgerufen hat? Was ist und bedeutet das, was der Mönch sagt, gegen die Mahnung, so ich vernommen habe in den Tagen meiner Jugend?

Die Schriftkundigen in den Klöstern und den Städten haben des deutschen Volkes Jammerhistoria, wie wir sie um die Costnitzer Schande erleben und erproben sollten, aufgezeichnet auf Pergament und Papier Jahr für Jahr, Tag für Tag, daß kommende glücklichere Geschlechter mit Grauen die blutigen Blätter umwenden werden. Ein jeglicher weiß, wie es aussahe im Reich, wie nirgendwo eine Stelle für das Glück und die Ruhe der Menschen zu finden war als hinter den höchsten Mauern der gefestigten Städte, und auch da nicht einmal, sondern dann nur unter den Steinplatten der Kirchen, unter dem Rasen der Kirchhöfe. Ein jeglicher weiß, wie die Hussiten sieghaft und immerdar sieghaft kamen und gingen und wie der Feuerschein, der zu Konstanz am Bodensee aufgegangen war, durch lange, lange scheußliche Jahre nicht erlosch über dem deutschen Volke. Und wie für die Menschen, die Bürger des Reiches, so war auch für des Reiches Krone keine Ruhestelle an keinem Ort auf der Heimaterde. Das Schwert Caroli Magni hatte seine Kraft verloren, das Schwert Sancti Mauritii regte sich nicht mehr in seiner Scheide für die Herrlichkeit des Römischen Reiches Germanischer Nation. Nach der Blindenburg im Ungarlande mußte der Kaiser Sigismundus die Heiligtümer flüchten, bei den Hunnen mußte er sie bergen, und dorthin hat ihnen von dem Karlstein aus mein lieber Freund und Bruder, der gute Ritter Michel Groland von Laufenholz, für die Stadt Nürnberg das Geleit geben müssen, und hat er den Dienst nicht versagen können, obgleich er vor dem Altar der Kreuzkirche in des Luxemburgers Böhmenveste sich eben erst siegesfreudig dem Dienst um eine andere Krone geweihet und gelobet hatte.

Des Kurfürsten Wort und Befehl hielt ihn zurück vom Heimritt mit uns andern. Nach Ungarn ging sein Weg – in das Verderben ist sein Weg um des Reiches Kleinodien gegangen. Erst im Jahre 1423 ist er von Ofen zurückgekehret zu gräßlichstem Wehe; aber nimmer auch ist einem Manne eine größere Herrlichkeit von einem Weibe gegeben worden als ihm, da er im Elend versunken war und die Wellen alles irdischen Jammers über ihm zusammenschlugen. Er hat die Krone, so er die allerhöchste nannte, wahrlich für sich selber erworben ! –

Nur noch ein winzig Häuflein gesunder und streitbarer Männer sind wir aus dem Böhmenlande von der Heerfahrt nach dem Karlsteine wiederum in das Laufer Tor eingezogen, und die Stadt ist auch der wenigen, die heimkamen, froh gewesen, und mit hohem Jubel hat man uns den Empfang zubereitet. Wie uns der Rat, die Bürger und die schönsten Jungfrauen das Geleit bis vor das Tor hinaus gegeben hatten, so warteten sie auch jetzo wieder dorten auf uns, und am Tore schon rief ich der um des Freundes Abwesenheit erbleichenden Freundin die frohe Mär vom Roß zu, daß der Michel Groland nicht in der Hussitenschlacht verlorengegangen sei, daß er in Mut und Freudigkeit lebe und nur zu neuem Ehrengang entboten worden sei.

Die Jungfrau neigete sich, mit der Hand auf dem Herzen; wir aber ritten weiter durch die Gassen, an Sankt Ägidien vorbei nach dem Herrenmarkt. Und es reichten mir unterwegs wohl hundert Leute die Hand auf das Pferd, und auch der Meister Theodoros Antoniades, der Grieche. Wie ein wildes Träumen lag die Heeresfahrt hinter uns, und wohl mochten wir uns der Heimkehr erfreuen; denn wer hätte in dem Volksgewühl der starken, reichen Stadt nicht vergessen, auf wie schlimmem, schwankendem Grunde auch diese Pracht von Nürnberg gestanden gewesen ist! Wäre der griechische Mann von Chios nicht vorhanden gewesen, auch ich hätte wahrlich vergessen, daß diese starken Männer, diese hohen Mauern doch nicht stark und nicht hoch genug geachtet wurden, um ihnen des Reiches Heiligtümer, die wir mit so großer Mühe errettet hatten, anzuvertrauen.

Von der Herren Markt aus suchten wir ein jeglicher sein Haus, und da fand ich am Paniersberg die ganze Verwandtschaft und Freundschaft versammelt und sie alle im größesten Eifer, das zu vernehmen, was ich ihnen von dem schweren Kriegszuge zu erzählen hatte. Auch die Grossen aus dem Nachbarhause waren zu uns gekommen, und unter ihnen die Mechthild. Da redete ich, als spräche ich für den ganzen weiten Kreis andächtiger Männlein und Weiblein, im letzten Grunde redete ich aber doch nur für die Jungfrau Mechthild, und die hat das auch gar wohl verstanden. Doch das Geheimste, was vor der Krone des großen Kaiser Karls gesprochen worden in der Kreuzkapelle auf dem Karlsteine, das durfte ich ihr in diesem heftigen Gewühl der Neugier nicht bekannt machen; das mußte ich aufsparen auf ein stilles Stündlein, wo niemand aus der Verwandtschaft und Freundschaft uns den Hals über die Schulter reckte. Auch dies Stündlein ist gekommen, und da sind wahrhaftig aus den weißen Rosen auf den Wangen der Jungfrau gar rote geworden; und rote Rosen blieben es um den Schwur, so vor der Krone getan worden war, und rote Rosen blieben es durch Winter, Frühling und Sommer, und war es eine Herrlichkeit Gottes um die Freude und den Stolz der jungen, liebesfrohen Maid. Nun war kein Geheimnis mehr zwischen mir und ihr und konnte auch nicht sein; aber daß wir ein so lieblich Geheimnis gegen die ganze übrige Welt hatten, das band uns mit goldenen Ketten aneinander, und mitten in der grausamen, verwüsteten Welt wußten wir unsere höchsten Kleinodien in Sicherheit.

Wahrlich, das verwegene Wort, das vor dem Sanktuarium des deutschen Volkes auf dem Karlstein der tapfere Ritter Michel mir in das Ohr geflüstert hatte, das gab einen hochedlen, hochherrlichen Widerklang in dem Busen der stillen Jungfrau, in dem Herzen, welches der Ritter Michel seine allerhöchste Krone genannt hatte!

So lebten wir nun wieder als gute Nachbarn zusammen durch den Winter zweiundzwanzig und den Frühling und Sommer des Jahres 1423; und kein Märlein, keine goldene Legende war der Wunder voller als das Reich der Seligkeit, welches sich die Jungfrau in der Stille auferbauete. Sie hatte nicht das geringste Bangen um den Geliebten, sondern ein wunderhold, unerschütterlich Vertrauen auf die Erfüllung jeglicher süßen Hoffnung hielt sie umfangen.

Wie konnte von Gott das getäuscht werden, was im Schimmer der Heiligtümer des deutschen Volkes hochmutig und siegesgewiß gesprochen worden war? Es war ja diese Liebe jetzt wirklich und wahrhaftig mit dem kaiserlichen Mantel bedecket, von der Krone des großen Karls überfunkelt! Es war kein Zweifel für Mechthilde Grossin, daß die Schwerter des heiligen Kaisers und des heiligen Ritters Mauritius ihre Liebe durch alle Fährlichkeiten sicher durchführen mußten und daß das Gelöbnis, so in der hohen Burg im Böhmerlande getan worden war, diese Liebe über Welt und Zeit geheiliget und unversehrlich gemacht habe.

Über Welt und Zeit hinaus! Freilich wurde das nicht getäuscht! Über Welt und Zeit hinaus hat der Schwur in der Kreuzeskirche auf dem Karlstein, der Schwur vor dem Sanktuarium des heiligen Reiches seine Blüte und seine Frucht getragen; aber für diese arme Erde war die Frucht doch in Jammer und Elend verloren. –

Wir haben nachher vernommen, wie des Reiches Kleinodien auf der Blindenburg, fünf Meilen von der Stadt Ofen gelegen, mit großer Herrlichkeit angelanget sind. Herr Eberhard von Windeck hat uns davon geschrieben, wie sie am Mittwochen vor Weihnachten des Jahres 1422 daselbsten köstlich empfangen und eingeführet wurden. Und unser Freund und Bruder, der gute Ritter Michel Groland von Laufenholz, ist dabeigewesen, wie sie zu neuer zweijähriger Rast in der Fremde niedergesetzet worden sind, und wir haben seiner gedacht ohne Sorgen, sowohl in den Stürmen des Winters als beim Aufgange des Schnees, und als es Frühling geworden war.

Es ist aber ein gar holdseliger Frühling im Jahre dreiundzwanzig geworden. Ich saß wiederum über den griechischen Schriften des Meisters Theodoros Antoniades, und weilen ich durch die Zuversicht und das Glück der Jungfrau selber ohne alles Bangen und ganz herzensruhig war, so ist mir die schwere Arbeit des Erlernens der edlen Sprache leichter denn je von Handen gegangen; doch den Anakreon haben wir jetzo nicht mehr gelesen.

Über des Homeros Gedicht und über dem Kampfe um die Stadt Troja habe ich der Hussiten Wüten wiederum mir aus dem Sinne geschlagen; und der alte Lehrer, der noch mehr der Schmerzen und Greuel zu vergessen hatte denn ich, hat mich und meine Gaben ziemlich belobet. Wiederum haben wir im Sommer in der schönen Rosenlaube an der schirmenden Mauer der Stadt Nürnberg unsern Studiertisch gehabt, der Mann von Chios und ich, und jetzo hat sich die Maid, wie in den Kindertagen, nicht mehr gescheuet, zu uns herüberzukommen aus den Blumen, dem Grün, dem Sonnenschein des eigenen Gärtleins, und hat neben uns still gesessen und dem Bericht von den Kämpfen des edlen Hektors, des unverfehrlichen Achilleus, des biedern Ajas gelauschet und hat des ritterlichen Freundes im singenden Herzen gedacht und seiner Heimkunft von der neuen Heerfahrt in Liebe und Treue gewartet.

Die Bäume haben ihre Blüten über unsere Schriften herabgeschüttelt; ich habe das Pergament weggeworfen, um mit der Mechthild einem buntfarbigen Schmetterling nachzujagen, und selbst der Meister, der alte, graue Lehrer, der Verbannte, vom heidnischen Feinde Vertriebene, der Heimatlose, dessen letzte Burg und glorreiche Stadt Konstantinopolis von dem Verderben noch schlimmer und heftiger bedrohet war als unsere Heimat, hat an unserem Mutwillen seine Freude und über unser leicht und glücklich Herz sein Lächeln haben mögen.

Nimmer ist mir jede Blüte so lieb gewesen, jeder Sonnenstrahl im grünen Gezweig so wunderlich hell erschienen als in diesem Sommer. Zwischen Vergessenheit und Hoffnung, durch des Homeros Buch und der Jungfrau Glück ist mir das Leben sanft vorbeigegangen; ich habe ganz und gar die eiserne Zeit um den goldenen Traum aus den Gedanken verloren. –

Tolle! lege! – Tolle! lege!

Ja, nimm und lies! Das Wort habe ich dann vernommen aus dem Blasen des Herbstwindes, und wie dem heiligen Augustinus ist mir die Farbe entwichen, und – »ich habe gesonnen, ob etwan in einem Kinderspiel diese Worte vorkämen, und ich konnte mich nicht entsinnen, sie jemals gehört zu haben; – die Tränen stockten mir, und ich bin aufgestanden und habe es als eine göttliche Stimme gedeutet.«


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