Wilhelm Raabe
Höxter und Corvey (1)
Wilhelm Raabe

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X

»Nun auf die Juden!« Wer bei Sankt Niklas das Wort zuerst in die durcheinandertobende und im Unheil gemeinschaftliche Sache und Bruderschaft machende katholische und lutherische Menge warf, ist niemals historisch-klar geworden. Wir haben unsern Freund, den Fährmann Hans Vogedes, im Verdacht. Gegen die Juden ging es; – hier war das tertium comparationis, wie der Helmstedter relegierte junge Weltweise sich ausdrückte, richtig gefunden. Der Pöbel hatte sich zuerst gegen das Haus des Meisters Samuel gewälzt, und Lambert Tewes war ihm selbstverständlich auch dorthin gefolgt.

»Ein unsterblich heroisch Poem werde ich schreiben und Professor der Eloquenz in Helmstedt werden. Bei Venus und Mars, die alten Perücken dort sollen mir nicht ohne Strafe das Consilium gegeben haben; als ein kaiserlich gekröneter Dichter will ich sterben! Diese trojanische Blutnacht haben mir die Götter eigens zubereitet. Es sei ihnen Dank gesagt!«

So schrie er, und sein Horaz schlug ihm im Laufen an die Schenkel. Wir wenden uns und sehen, wie die Kröppel-Leah und die kleine Simeath diese heroische trojanische Nacht bis jetzt hingebracht haben.

Sie hatten kurz vor Anfang des Lärms beide todmüde in das Bett des Sergeanten und das französische Kavalleriestroh kriechen wollen und waren natürlich nicht dazu gekommen. Mit einem Angstruf hatte das Kind den Fuß vom Bettrande wieder zurückgezogen:

»Horch, horch! was ist das, Großmutter?«

Es waren die Höxteraner vor der Pfarrwohnung von Sankt Kilian. –

»Laß sie rasaunen. Komm, Töchterlein, wir wollen uns wieder an den Tisch setzen. Lege deinen Kopf an mich. Wir wollen die Decke warm um uns schlagen, und ich will dir erzählen wieder von der alten Zeit«, sagte die Großmutter, und die Enkelin kam. Sie kauerten von neuem zusammen vor der kleinen Lampe in dem kalten, verwüsteten Stübchen.

»Unsere Könige waren Hirten in den Zeiten der Ehren. Aber die Herden weideten unter den Palmenbäumen – die Sonne des Herrn leuchtete, das Land unserer Väter duftete von Myrrhen und Weihrauch. Sie waren große Krieger in glänzenden Panzern und schlugen Schlachten – sie fürchteten niemanden – sie waren tapferer als jetzt irgendein Heerfürst –«

Es ging nicht. Sie mußten zu genau auf den Tumult vor der zerbrochenen Tür, vor den zerschlagenen Fenstern horchen. Auch die Greisin, die so viel Brand und Blut in ihrem Leben gesehen hatte, mußte horchen. Das stärkste und geprüfteste Herz lernt da nicht zu Ende.

»Sie werden auch auf uns wieder hereinbrechen«, jammerte Simeath.

»Sie werden uns nichts nehmen können. Sei still, Liebchen; habe Mut. Ja, wenn noch der Riegel vorgeschoben wäre und das Haus reich, da wäre Grund zur Angst. Wenn das Haus noch wäre wie zu deines Urgroßvaters, meines Vaters, Zeiten, unscheinbar von außen, doch voll Güter drinnen, so möchten wir eher Furcht haben. Was wollen sie uns heute nehmen, da wir nichts weiter haben als unser Elend?«

»Sie haben jetzt auch nur noch das ihrige, Großmutter«, sagte das Kind klug. »Weil sie diesmal so schlimm daran sind als wir, sind sie so wild; und sie werden um so grausamer sein gegen uns, je weniger sie finden.«

»Der Herr Gott, der Gott unserer Väter, ist unser Schutz von der Welt Anfang an. Er wird seine Hand auch in dieser Nacht über uns halten, wie er sie seit zweitausend Jahren über sein armes Volk in der Prüfung gehalten hat. Wir sind dem Herrn zu Ehren noch immer da, was sie auch mit Marter und Bosheit gegen uns ausgeübet haben. Horch, – es ist Triumph! sie wüten jetzt gegeneinander! Sei still, Kind, es gehet heute nacht nicht gegen die Jüden.«

»Aber Großmutter, sie haben dich nach Hause gehen sehen mit deinem großen Packen. Du hast ihnen gesprochen von deiner Erbschaft, Großmutter«, flüsterte die verständige Simeath.

»Die armen Lappen!« rief die Alte, ihr Bündel unter dem Tische näher an sich heranziehend. »Wir sind gewickelt in die Decke von dem letzten Lager deines Oheims. Das ist aber das Köstlichste von der Erbschaft.«

»Wenn sie es glauben wollten, wären wir wohl glücklich, Großmutter«, seufzte die Kleine, und – so war es, wie sie sagte.

Von Sankt Kilian gegen Sankt Niklas und von dort vorerst zum Hause des Meisters Samuel und seines frommen Weibes Siphra! Sie brachen ein und stahlen, sie schlugen den Hausherrn zu Boden und drückten seine Ehefrau gegen die Wand; sie schlugen auch seine jungen Kinder, da kein Küster mehr zu mißhandeln war, und alles ging drunter und drüber. Vergeblich wehrten Ratmannswachen und der Korporal Polhenne; – wie wir wissen, gab währenddem der Stadthauptmann Meyer genau darauf acht, daß ihm seine Trommel nicht zum zweiten Male vom Braunschweigischen Oberstwachtmeister Noht abgenommen werde. Sie legten jetzo auch die erste Brandfackel an, und in dem Moment, als der letzte Mann vom Zuzug des Stiftes Corvey in das Corveytor zog, schlug die Flamme aus den Fenstern, sprang der rote Hahn aufs Dach, reckte sich , schlug mit den Flügeln und krähete wild hinaus:

»Feuer! Feuerio!«

Jetzt sah der Vater Adelhardus am hohen Bogenfenster im Korridor der Abtei den Himmel rot werden über Höxter.

»O die Incendiarii! o der ruchlosen Mordbrenner!« sprach er. »Haben die Bärenhäuter der Dächer noch zu viel über den gottverlassenen Köpfen? Nun, ich habe den guten Heinrich gewarnt, daß er sich nicht die Finger verbrenne. Der Herr Prior und die übrigen werden sich wohl schon selber zu hüten wissen und nicht zu nahe drangehen.«

Darauf ließ er sich von einem Laienbruder einen Sessel und Fußschemel an das Bogenfenster rücken, schickte einen zweiten Laienbruder in den Keller nach einer Flasche vom Besseren, »gegen den Zorn«, und stellte diese Flasche mit dem Glase handgerecht in die Fensterbank. Da saß er denn, faltete die Hände über dem Bäuchlein und hörte durchaus nicht, wie die Herren Patres ihn hinter seinem Rücken mit dem grausamen Kaiser Nero beim Brande Roms verglichen. In der Stummerigen Gasse aber vor dem nun lichterloh flammenden Hause des Juden Samuel wurde es unserm Freunde, Herrn Lambert Tewes, jetzo doch gar übel zumute.

Er lachte nicht mehr, sondern biß die Zähne aufeinander. Die Lust zum Zitieren des Horatius war ihm völlig vergangen.

»Was zuviel ist, das ist zuviel!« ächzte er. »Und dies ist eine Bestialität. Hierosolyma perdita? Auf für Jerusalem! Nieder mit den mordbrennerischen Halunken! Und der Monsieur Samuel ist der einzige in ganz Huxar, der auf ein dankbar Herz bei mir rechnet. Und jetzt stehlen sie mir meines Vaters Taschenuhr in seinem Verschluß! Himmel, Hölle und alle Teufel, zu Boden mit dir, du Vieh!«

Das letzte Wort war, begleitet von einem Faustschlage, an einen der Tumultuanten gerichtet. Der Kerl lag sofort zu Boden, allein im selbigen Augenblick war auch schon dem Studenten der Hut über Stirn, Augen und Ohren hinabgeschlagen, und er bekam einen Fußtritt in die Rippen, der ihm für mehrere Minuten den Atem benahm. Als er den Hut endlich wieder in die Höhe bekommen hatte, fand er sich zum zweiten Mal in dieser Nacht Aug in Auge mit dem Bruder Heinrich von Herstelle, und der Bruder packte sofort zu, griff ihm an die Brust und donnerte dem Hauptmann Meyer zu:

»Fort mit dem! Ins Gewahrsam! Wenn einer in dieser Nacht mitgewürfelt hat, so ist's dieser! Ins Prison mit ihm!«

»Holla!« rief der Student lachend, »wenn einer in dieser Nacht in Höxter auf Ordnung, Sitte und Tugend geachtet hat, so bin ich's! Meyer, Ihr kennt mich und wißt die Unschuld zu ästimieren. Nehmt lieber meine Hülfe an, domine, – alleine kriegt Ihr die Schlingel doch nicht herunter.«

Prioren, Propst und sämtlicher Zuzug von Corvey sahen zweifelnd beim roten Schein der Feuersbrunst; doch der Hauptmann Meyer sagte, sich hinterm Ohr krauend: »Was ich sagen soll, weiß ich nicht; aber, ehrwürdige Herren, ich kenne ihn freilich, und das Nutzbarste wär's freilich, wir rollierten ihn ein in unsere Musterrolle.«

»Dann vorwärts, und Sturm!« kommandierte der Bruder Henricus, seinen Flamberg erhebend; und mit der linken Schulter voran, Piken, Hellebarden, Halbpiken und hagebüchene Knüppel vorgestreckt und in der Luft, warf sich die bewaffnete Macht von Corvey auf die Huxarienses, um den Schutzjuden des Stiftes wenigstens das noch zu retten, was von ihrem Leben noch übriggeblieben war. Zwei nackte Kinder trug Lambert Tewes aus dem brennenden Hause, die Siphra errettete vor weiterer Unbill der Bruder Heinrich; den Freund Säuberlich nahm der Hauptmann Meyer mit Hülfe des Korporals Polhenne beim Kragen. Die Herren von Metternich und von Zitzwitz stellten sich ritterlich und trieben jeglichen Corvey'schen Hintersassen, der Lust bezeigte, sich nach Hause zu schleichen, mutig in die Schlacht zurück. Es kamen überhaupt jetzt die ersten Regungen der Besinnung in der Bevölkerung wieder zum Vorschein, und Höxter fing an, sich zu schämen. Bürgermeister Thönis Merz und sein Rat fingen an, ihrerseits einzugreifen. Die Mordbrenner und Plünderer wurden überwältigt oder flohen nach allen Seiten; es wurde Raum in der Gasse, und da jetzt, gegen Mitternacht, der Wind sich legte, so brannte das Haus des Meister Samuel ruhig und ohne weitere Gefahr nieder. Man ließ es brennen.


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