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»Wir haben jtzo miteinander, liebe Christen, anhero zur gegenwärtigen heiligen Stadt und Stell zu seinem Ruhebettlein begleitet den Weylandt Ehrwürdigen, Achtbaren und Hochgelarten Herrn M. Georgium Rollenhagium, alten Schul- Rectorem dieser unser löblichen Alten Stadt Magdeburgk. Verharren drauff nochmals bei einander, daß ihme ein Leich-Sermon möge nachgehalten und gethan werden. Daß nun solches unserm lieben Gott und Herrn zu seinen Göttlichen Ehren, den Betrübten zu sonderbarem Trost, zur Erinnerung unsers sündlichen, sterblichen Lebens, und endlich zu aller ewigen Seelen Heil und Seligkeit gereichen mögen, so laßt uns bevor den Barmherzigen Gott und Vater umb Gnade, Hülste und Beystandt des Heiligen Geistes hierüber bitten und anrufen, und mit wahrer Christlicher Andacht beten und sprechen das Heilige Vaterunser.«
Diese Worte wurden gesprochen am Himmelfahrtstage des Jahres Eintausendsechshundertundneun, in der Pfarrkirche zu Sankt Ulrich zu Magdeburg von dem Magister und Prediger Aaron Burkhart, und leise und inbrünstig betete die in dem heiligen Gebäude versammelte Menge dieses Vaterunser mit.
Man begrub da einen frommen, guten, trefflichen, alten Mann, einen Dichter und Gelehrten, welcher wohl verdient, daß wir seinetwegen einen Blick in die vergangene Zeit und die menschenvolle Kirche des siebenzehnten Jahrhunderts, daß wir einen Blick auf den blumengeschmückten Sarg werfen.
Es stehen um diesen Sarg nicht nur die Verwandten, die trauernde Ehefrau mit den Söhnen in Wehmuth und Schmerz, nein, die ganze große Stadt begleitete den Rector und Scholarchen Georg Rollenhagen zu seinem Grabe. Da sind die ehrenvesten, hoch und wohlweisen Herrn Bürgermeister, Rathmannen und Innungsmeister in allem Schmuck und Zierrath ihrer Würden, da ist die achtbare hochansehnliche Bürgerschaft im Feiertagsgewande, da sind in ihren schwarzen Chorröcken die Prediger zu Sankt Johannes, Sankt Jakob, Sankt Katharinen, Sankt Peter, zum heiligen Geist und so fort. Da sind auch die Pfarrherrn aus der Sudenburg und der neuen Stadt. Es umstehen aber auch den Sarg alle Schulen mit der gesammten Lehrerschaft, – einer trauernden von ihrem Hirten verlassenen Heerde gleich. Durch lange zweiundvierzig Jahre hat der Magister Georg Rollenhagen der Magdeburg'schen Schule vorgestanden.
»Wie dann in dieser ansehnlichen Versammlung ich ganz wenig acht', so nicht vormals des seligen Herrn Rectoris Discipuli oder in seiner Schule gewesen.« –
Nun stelle ich mir vor, es habe an diesem Begräbniß- und Himmelfahrtstage die Sonne glänzend durch die bunten Fenster der Ulrichskirche geleuchtet und einen lieblichen Schein auf die offene Gruft, den schwarzen Sarg, die trauernde Wittib Magdalene Rollenhagen, die Söhne und die versammelte Menge geworfen. Fest glaube ich, daß es in dieser Begräbniß- und Auferstehungsstunde nicht geregnet hat, daß kein Vorhang grauer Wolken den Frühlingshimmel verhängte. Fest glaube ich, daß in dieser Stunde, über dem offenen Grabe des Dichters das Licht den Tod besiegte.
Der Prediger Aaron Burkhart sagt freilich darüber Nichts; aber ich weiß ganz gewiß, daß ein heller Strahl der Sonne ihn umspielte, als er mit Thränen in den Augen stand und sprach:
»Uns insgesammt ist ein guter Freund gestorben, M. Georgius Rollenhagen, Seliger, welchen wir als Freunde in dieser ansehnlichen, herrlichen Frequenz, die letzte Freundschaft und Willen erzeigt und seiner Leiche nachgefolget. Euer lieber Vater, Ihr betrübten, nachgelassenen Söhne, ist gestorben; durch den zeitlichen Tod ist der betrübten, traurigen Wittwe ein mächtig Stück ihres Herzens, ihr lieber Ehemann, hinweggerissen. Ihr Schüler in der Schul' habt nunmehr durch diesen tödtlichen Abgang Eueren getreuen, langgedienten Praeceptorem verloren. Was sollen wir nicht billig in Gemeine sagen: Awe, wir sind sehr traurig, unsere Augen sind finster worden.«
Ganz gewiß weiß ich, daß die Sonne schien, als der Prediger Aaron Burkhart anzeigte, er wolle an diesem theuern Sarge sprechen über den apostolischen Text:
Cupio dissolvi, ich begehre aufgelöst zu werden, als welches Wort auch des Herrn Philippi Melanchthonis Symbolum gewesen sei.
Nun zeigt der Magister am Sarge in der Ulrichskirche, mit was für Stricken und Seilen der Mensch in dem Jammerthale der Welt – »ein gefangner Mann, ein armer Mann« – gebunden sei; aus welchen harten Banden der Tod ihn zu allerletzt erlöst; denn
»Das menschliche Leben ist alles Jammers und Elends voll und eine continua catena, eine zusammengeknüpfte Kette von mancherlei und vielem Unglück; der Tod aber ist das Ende alles Uebels, und dann erst ist es mit einem Menschen gut worden, wann man mit Schaufel und Spaten nach herschlägt.« – Und Recht hat der heilige Augustinus, wenn er sagt: Ingressus debilis, progressus debilis, exitus horibilis. –
»Mit Weinen wir geboren werden,
In Schwachheit wir zubring'n auf Erden,
Des Todes Schrecken ha'n wir zum Gefährten.«
Aus mancherlei geistlichen und leiblichen Stricken wünscht der christliche Mensch dem Magister Burkhart zufolge Erlösung; Aus dem Sündenstrick (»Alle unsere Gerechtigkeit ist gleichwie ein besudeltes und bestecktes Tuch, so man ohne Reverenz für züchtiger Leut' Ohren nicht nehmen darf«) aus dem Strick des Fluches des Gesetzes, aus dem Strick der ewigen Verdammniß, aus dem Strick der Versuchung.
Das sind die geistlichen Stricke, die leiblichen aber sind der Elendstrick ( calamitatis) der Arbeitsstrick ( laqueus laboris was dies für ein dicker Strick sei, wird ein Jeglicher wissen) der Neid- und Abgunststrick ( laqueus livoris et hostilis insultationis ein Mensch ist des Andern Henker, ja Teufel) der Bettelstrick, der Krankheitsstrick, der Kummerstrick, der Todesstrick. – Mit allen diesen gräulichen Stricken bindet, aus allen diesen Banden löset nun am Himmelfahrtstage Anno 1609 der Magister Aaron den alten Rector Rollenhagen; – die Sonne glänzt, die Vögel singen vor den Kirchenfenstern; durch eine zerbrochene Scheibe ist ein Schwäderlein in das Gotteshaus geschlüpft und flattert mit dem »Kirchensperling« über der trauernden Menge und über dem Sarge des Poeten und Gelehrten, als habe auch das Thierreich einen Abgesandten zu der Leichenfeier des Verfassers des Froschmäuseler's hergeschickt. Wir aber wollen, dritthalbhundert Jahr später, ebenfalls von dieser gefangenen und erlösten Seele, ebenfalls von der Geburt, dem Lebenslauf und Tod des Rectors Georg Rollenhagen erzählen, der werth und hoch zu halten ist:
»So lang Deutschland seine Sprach verstehet,
Bis daß Himmel und Erd' vergehet.«
Am Sonnabend vor Misericordias Domini, als am 22. April im Jahre 1542 nach der Geburt unsers Herrn Jesus Christus, wurde zu Bernau, einem Städtchen in der Mark, drei Stunden von Berlin, Georg Rollenhagen in diese Welt »lebendig durch göttliche Gnade« geboren und am Sonntag Misericordias Domini zum Sakrament der heiligen Taufe geschickt und getragen.
Sein Vater Gregorius Rollenhagen, ein Tuchmacher und Bierbrauer; seine Mutter war Euphemia Immen. Es taufte den Jungen der »Diener des göttlichen Wortes und Dispensator der Geheimnisse und Sakramente Gottes« Martinus Leo, der Prediger zu Bernau.
Nach der Meinung der Zeit und den Worten des Magisters Burkhart verfiel das Kind durch seine Geburt schon den Stricken der Sünde, des Fluchs, der Verdammniß und der Versuchung; der Rector aber ließ später unter sein Conterfei malen:
»Von Kopf geschwind, doch krank von Leib
Bin ich, und arm daneben bleib.
Die Jugend werd ich müssen lehren
Der Abgunst auch nicht können erwehren.
Doch wenn der Tod mich greifet an,
Weiß ich, geschwind werd dahin gan;
Was mach ich nun? Herr Jesu Christ,
Ich glaub, daß Du mein Heiland bist.«
Schon in demselben Jahre 1542 kommt der Vater »von einer Unholden und Zauberinnen vergeben«, auf ein langes Krankenlager zu liegen, auf welchem er manchmal sehr ärgerlich wird über das Weinen des kleinen Georg, »welchen vagitum pueri der kranke Vater nicht erleiden können und oftmals aus Ungeduld was anders dem Kindlein gedräuet.« Dem bejammernswerthen Mann das schreiende Kindlein so viel möglich aus dem Gesicht und der Gehörweite zu entfernen, schleppt die Mutter es, wo es nur angeht, mit sich herum und bringt es im Herbste dadurch in eine große Gefahr. Zur Erntezeit trägt sie es nämlich mit hinaus auf's Feld, wo sie die Schnitter beaufsichtigen will. Um schneller über die Stoppeln zu den Arbeitern gelangen zu können, legt sie den Jungen am Ackerrain auf der Knechte abgelegte Kleider, um ihn später daselbst wieder aufzunehmen. Aber aus dem an das Feld stoßenden Gehölz lauscht gierig ein Wolf der einschreitenden Mutter nach und schleicht dann blutdürstig gegen das arme Kind heran. »Solches nimmt die arme Mutter gewahr, vernimmt, was groß Gefahr vorhanden, rufet und schreyet, thut übel, lauft geschwind, und wird durch solches Geschrei der Wolf zurückgetrieben, abgeschrecket und das Kind aus derselben Gefahr durch sonderliche Verleihung und Schickung Gottes errettet und erhalten.«
Der alte Rector hat diese Geschichte oftmals mit großem Gusto selbst erzählt, wir erzählen sie dem Magister Aaron Burkhart nach, welcher diese in seiner Grabrede von Neuem zum Besten gibt.
Immer ungeduldiger wird aber der elende, kranke Vater auf seinem Schmerzenslager, immer weniger vermag er die Lebensäußerungen des jungen Weltbürgers und Sängers in der Wiege neben seinem Bett zu ertragen, und die arme, geplagte Mutter weiß nicht, wo sie ihr Kind »dann hinthun möchte,« bis sich ihr Vater Herr Johannes Immen, » vir optimus, pius et doctus« desselben erbarmen will. Ihm wird nun der kleine Jung' ins Haus getragen, und der Großvater handelt wie ein wackerer Mann und rechter Vater daran. Er zieht ihn auf, hält ihn zum Studiren an, »versieht ihn mit einem Schüler,« adoptirt ihn zuletzt und setzt ihn zu seinem Erben ein.
1543 wird der Vater Gregor durch den Tod von seinem Leiden erlöst; 1544 bereits tritt die betrübte Wittwe in einen neuen Ehebund.
Gut und fest hängt der Großvater dem Knaben den Arbeitsstrick um den Hals, er hat »traun nicht müssen müßig sein, mit Spielen und Spazieren die Zeit hinzubringen.« Eine wunderliche ahnungsvolle Natur ist dieser Knabe. Im Jahr 1550 hält die Pest wieder einmal ihren Umzug und sieht nach, ob die Lande auch nicht zu voll, ob die Völker nicht zu übermüthig werden. Die Seuche befällt auch den kleinen Jürg, und, wie gebräuchlich, muß er sich »abgesondert halten und behelfen.« Da hat er wunderbare Träume in seiner Einsamkeit und sagt voraus welche Nachbarkinder der grimmigen Krankheit erliegen werden. Glücklicherweise darf ihm selbst der Tod Nichts anhaben.
Anno 1556 muß der junge Vogel seinen ersten Ausflug thun, er wird nach Prenzlau an der Pommerschen Grenze geschickt, um dort weiter zu arbeiten in seinen angefangenen Studien.
»Da kömmt er da zu einem Bürger, Andreas Schmitt genannt, wird seiner Kinder Pädagogus. Hat er nicht da laboriren müssen? Fleißig ist er in der Schul gewesen und hat wohl zugenommen in seinem Studiren. Sonderlich gedenket er eines Condiscipuli, so Matthäus Saling genannt wurde, von Burg gewesen ist, und da soll unsers Herrn Stadtschreibers Johann Saling's Vetter gewesen sein, so nachmals im Lande zu Meckelburg ein Pfarrherr geworden, daß er viel Fleiß bei ihm gethan, sei ihm wie ein Engel gewesen, und habe ihm Anleitung gegeben, nützlich in Studiis zu procediren.«
So berührt die holde Jugendfreundschaft zum erstenmal das lockige Haupt des Knaben; aber was sich eben erst gefunden und fest aneinander geschlossen hat, das muß sich, nach dem bösen Lauf der Welt leider gar bald wieder trennen und von einander lassen.
Im Jahre 1558 finden wir unsern alten Rector als blutjungen Scholar auf der Landstraße nach Art der Zeit bald im Mangel bald im Ueberfluß, ein immerdar fröhlich frisches Wanderleben führend. Wir sehen den fahrenden Schüler, wie er jetzt langsam die baumlose Landstraße entlang, in der Sonnenhitze daherschleicht; wir sehen ihn, wie ihn das Unwetter unter das Dach des Bauern, in die Hütte des Waldwärters, in das Pfarrhaus treibt; wir stellen uns ihn vor, wie er im grünen Schatten liegend einen heißen Mittag und Nachmittag verträumt und im Traum Zwiesprach hält mit Baum, Busch und Gethier; Zwiesprach, welche er nachher in seinem Froschmäuseler so vortrefflich in kurzweiligen Reimen aufschreibt. Aber nicht bloß mit Baum, Blum und dem, was da fleugt und kreucht, wird Zwiesprach gehalten, nein auch Landsknechte, Fuhrleute, Förster, Bauern, Bürger und Gelehrte wissen zu erzählen, und wie jeglich Vöglein, so singt auch jeglich Menschenkind aus einer andern Tonart; die Nachtigall anders als der Kukuk, und der Herr Pastor, der eben mit einer lateinischen Standrede um ein Nachtquartier gebeten wurde, anders als der Zigeuner, der mit einer gestohlenen Gans in der Abenddämmerung aus einem Dorfe hervorschleicht und den jungen, hagern, verstaubten Scholar in der Eil' fast über den Haufen stößt.
Auf dem Wege zur berühmten Schule der alten Stadt Magdeburg befindet sich der junge Gelehrte; ihr Ruf schallt weit durch die Lande und lockte ihn von Prenzlua weg. Aber der Ausflug des jungen Vogels geht im Zickzack, und es ist nicht zu verlangen, daß er sein vorgesetzt Ziel gleich das erste Mal erreicht. Ueber Leipzig und Halle zieht der Scholar, oft genug von dem graden Weg abschweifend, gen Magdeburg, zu Mansfeld bleibt er hängen und kriecht beim Doctor Müller, dem Kanzler des Grafen als »Pädagoge« unter; »da hat er wieder laboriren müssen!« sagt Aaron Burckhart.
Zu Mansfeld am Hofe des Grafen regt sich zum erstenmal das hitzige Streiterblut des Jahrhunderts der Reformation in dem jungen Herzen, es fängt in dem Gehirn an zu sieden und zu kochen und lagert sich in schwarzer Dinte auf weißem Papier ab.
Rector Scholae Mansfeldensis, Herr Josias Seidelius wird vom Superintendenten Herrn Cölius mit Absetzung bedroht, und Georg Rollenhagen, der Informator, fühlt sich bewogen, einzugreifen in den Pfaffenkrieg und für den Rector ein »Intercessionsschreiben einzuwenden.« In Folge davon bleibt der Rector in seinem Amte; aber dem muthigen Ritter Jürgen wird gerathen, sich schleunigst aus dem Staube zu machen, wenn er sich nicht großen Unannehmlichkeiten und Gefahren aussetzen wolle, nach dem alten Wort:
»Wer will haben zu schaffen
Der nimb ein Weib
Und kauf eine Uhr
Und schlag einen Pfaffen.«
So leiht Herr Ritter Jürgen dem guten Rath ein gutes Ohr, macht sich wiederum wohlgemuth auf die Wanderschaft und gelangt nun wirklich nach Magdeburg, im Jahre 1559.
Ein Empfehlungsschreiben an den Prediger zu Sankt Ulrich, Herrn Wiegand, trägt er in der Tasche, und dieser »commendirt« ihn dem damaligen Schulrector Siegfried Sack, der introducirt ihn allhier in der Schul, verschafft ihm ein Hospitium bei Lamprecht Knust, einem Bürger. Von dem kömmt er zu Johann Heiniziger.
»Von dem weiter Anno 60 wird er der Wernern von Halberstadt, so bei Herrn Armbrosio Emmen, den er virum integerrimum nennet, zu Tische gangen, Privatus Praeceptor. Sind da nicht wiederumb Labores gewesen? Und hat sich der Arbeitsstrick nicht ziemlich hart zugezogen?«
Ja wohl Arbeitsstricke! Im Schatten des Domes des heiligen Moritz, vor dem Katheder, welchen
er einst selbst annehmen soll, sitzt der Scholar:
»Zu hören der Gelehrten Brauch,
Was sie berichten ihrer Jugend
Von Gott, von Recht, von Ehr' und Tugend,
Von der Natur, Himmel und Erd'
Und aller Creaturen Werth.
Warum alles stehe, warum alles fall,
Und solcher Ding Ursachen all.«
Ein guter Genius wacht über dem Knaben und sorgt, daß er nicht auf den Schulbänken verkümmere. Aus der alten Philosophen Sprüchen, der Geschichtsschreiber Lehren, der Poeten Bildern und Gleichnissen fischt er nicht bloß Partikeln und Satzconstructionen; nein, das frische Wehen der Gegenwart wendet ihm die Blätter im Buche der antiken Welt um, die feurige junge Sonne, die durch die Fenster strahlt, erhellt ihm den Pfad der Gelehrtheit, verwandelt ihm den Schulstaub zu Sonnenstaub:
»Denn wie die Sonne hilft dem Gesicht,
So ist die Kunst der Seelen Licht.«
Und nun tritt das Jahr 1560 in die Welt; Georg Rollenhagen absolvirt die Schule Magdeburg und zieht gen Wittenberg, der heiligen Stätte des Lutherthums! Wie Moses vor dem stammenden Busch, möchte er am Thor seine Schuhe abziehen: er »tritt auf heiligen, geweihten Grund.« Wie mag dem jungen Theologen zu Muthe sein, als er nun zum erstenmal in der Schloßkirche, am Grab des großen Doctor's steht? Was für wundersame Gedanken, Bilder, Ahnungen steigen in seiner Brust auf, als sich nun das Album der Universität vor ihm aufthut, und sein Name, Rectore Magnifico D. Teucero, dem Namensverzeichnisse zugefügt wird?
O selige Zeit! wie rauschen und sprudeln die Quellen der Gelahrtheit; aber wie rauschen und sprudeln auch die Quellen der Jugendlust!
Hat uns der Rector und Poet der »gelehrten Studenten Kunst« doch erzählt und billig sich selbst dabei ein wenig im Auge gehabt:
»Ich hab gelernt im frembden Land,
Wie man Gott und seinen Willen kant;
Wie man geniesset seiner gnad;
Was gut und böß für außgang hat.
Darnach lernt ich viel frembde sprachen,
Der man bedarf zu allen sachen:
Hebreisch, Griechisch und Latein,
Deutsch, Slavonisch und all, die sein
Von diesen Hauptsprachen entsprossen
Und in der wurtz zusammen stoßen.
Zudem lernt ich Tugend und Recht,
Wie man das in der Welt auffbrecht:
Welche Völker darüber hielten.
Und welche ihren Muthwillen spielten.
Endlich lernt ich die Natur kennen
All Sternen, Beum, Kreut'r und Thier nennen;
Alles außrechnen, messen und giessen;
Singen, springen, fechten und schießen.
Und was ein gut Gesell wissen soll,
Das hab ich gelernt und kann es wol.«
1563 ist das Triennium absolvirt, und ein Brief kommet von Halberstadt, höchst wahrscheinlich in Folge jener Freundschaft mit den Söhnen des Herrn Christof Werner daselbst. In diesem Briefe wird angefragt, ob der Student nicht Lust habe, Rector zu werden an der evangelischen Schule zu Sankt Johannes in der alten Bischofsstadt; – zu Ende ist das Studentenleben; ins Philistertum rückt Jürgen Rollenhagen ein und zieht nach Halberstadt.
»Sind da nicht labores angangen? Hat daneben auch angefangen mit zu predigen und zur Kirchenarbeit sich mit anspannen lassen!« sagt der Leichenredner.
Noch aber trägt der junge Nacken die Last des Rectorats nicht allzu lange. Bereits 1565 finden wir den Jüngling wieder auf dem Wege nach Wittenberg. Mit sich führt er die Werner'schen Söhne, dieselben ebenfalls zu den Quellen der Weisheit zu leiten. Er selbst aber will Magister werden und fängt von neuem an, eifrig zu studiren. Auf das Studium der griechischen Sprache wirft er sich mit ganzer Seele, und sein Lieblingslehrer wird der »Hochgelehrte Medicus Doctor Veit Ortel von Winßheim Griechischer sprach Meister und Professor.« Der liest mit seinen Schülern das Buch, welches »Homerus jungen Herren zur kurzweiligen Lehr vorgeschrieben und Batrachomyomachia das ist der Froschmeusekrieg genannt.«
Und der Professor meint: es wäre in dem Buche »eine solche weißheit, eine solche lieblichkeit, ein solcher außbund außerleßener Wörter und Reden, daß solche schlechte Händel in keiner sprach so künstlich, zierlich, prechtig und anmutig könnten vorbracht werden; wenn man gleich alle Poeten in der ganzen Welt sollte darüber zusammensetzen.« In der Vorrede zu seinem Froschmäuseler aus dem Jahre 1595 aber schreibt der Rector Rollenhagen.
»Da wollten etliche freudige junge Gesellen ihrem lieben wolverdienten Praeceptori eine sonderliche freundschaft erzeigen und gleichsam einen scherzhaften Poetenkrieg ansagen. Machten aus des Doctoris eigener Lection und erklerung das Buch Lateinisch, Französisch, Deutsch. Damit sich zu erzeigen, das auch vielleicht zu dieser Zeit Leut weren, die etwas lernen könnten, wenn man ihren fleiß befördern, zur Ehren gebrauchen und belohnen wollte. Daran ihme denn ein sonderlicher grosser wohlgefall geschahe; daß er einen mit etlichen Kannen Wein, den andern mit einem Büchlein verehrte und vermanete, das sie also fortfahren wollen.«
In deutsche Reime bringt Georg Rollenhagen die Batrachomyomachie, und der griechische Doctor gibt »anleitung, wie man Rathschlege von Regimenten und Kriegen nützlich hinein bringen und also eine förmliche Deutsche Lection, gleichsam eine Contrafactur dieser unserer Zeit daraus machen könnte.«
So entstehen die ersten Umrisse des Buches, welches das deutsche Volk bis zum dreißigjährigen Kriege ergötzt, wo es durch das wilde Gebild einer schrecklicheren Zeit, durch den Simplicissimus leidergottes für eine Zeit in den Hintergrund gedrängt wird. Noch weiß der junge Student zu Wittenberg nicht, daß an diesem Manuscriptum sein Ruf und Ruhm haftet, der Kopf brennt ihm über dem Streben nach der Magisterwürde; die Handschrift des Froschmäuseler bleibt »unter der Bank beliegen« und wird »mit den Kinderschuhen vertreten, auch mit den Nüssen, wie man Lateinisch redet, hingeworfen.« Am Concordientage 1567 unter dem Decanat Johannes Ferinarii wird Georgius Rollenhagius in imagistrum promovirt, erhält den höchsten Grad in philosophia und ist unter den zweiunddreißig Candidaten oder Magistraten der Vierte. Einen Busenfreund hat er damals an dem Doctor Heinrich Brandes aus Braunschweig; der läd't ihn ein, mit ihm zur Erholung eine Reise nach seiner Vaterstadt zu machen, und mit dem Freunde zieht Georg Rollenhagen nach Braunschweig, und von dort allein über Goslar zurück nach Wittenberg. Unterwegs werden wieder überall »gelerte Leute der Orter angesprochen und deren Freundschaft gesucht.«
Mit diesem Ausflug schließt das Wanderleben des jungen Gelehrten ab; – ein hoch und wohlweiser Rath von Magdeburg beruft den Magister zu einem Prorector seiner Schule, und mit Freuden folgt der Magister dem Rufe. Doctor Franziskus Pfeil, sein späterer Schwiegervater, führt ihn in die Schule ein und nimmt ihn an seinem Tisch und in seiner Behausung auf. Rectore D. Edone hält er seine erste Lection de Zizaniis und verwaltet sein Conrectorat bis zum Jahre 1575. Da valedicirt der Rector D. Edo, und Georg Rollenhagen folgt ihm auf dem Lehrstul, vor welchem er sechszehn Jahre früher als Schüler saß.
In der Ulrichskirche am Sarge aber spricht Aaron Burkhart, während die Verwandtschaft leise schluchzt, die Menge aber ernst blickt, öfters als sonst die Nase schnäuzt und mit dem Kopf schüttelt:
»Ist also in die vierunddreißig Jahre Rector Scholae gewesen und mit den vorigen Jahren seines Prorectorats zweiundvierzig Jahre ein Bedienter dieser Schule blieben. Hier frag ich Einen, ob er nicht laqueos laboritatis weidlich gefühlet und lang genug hat an seinem Leibe tragen müssen? – Schularbeit, was das für eine schwere Arbeit sei, werden wissen diejenigen, so es versucht und eine Zeit lang erfahren haben.
Pulverem scholasticum – Schulstaub – nennet man die Schularbeit a variis molestiis, so sich dabei finden und begeben, drum Jener sagte: Se malle potus Augiae stabulum repurgare quam in pulvere scholastico desudare; er wolle lieber den Stall des Augias reinigen, als im Schulstaub die Seele ausschwitzen.
Wie Er – unser Rector – nun in der Schule seine Arbeit verrichtet diese lange geraume Zeit hier, werden wissen und ihm Zeugniß geben seine discipuli, derer wenig vorhanden sein werden, so nicht sagen müssen, daß sie auch mit zu der Zahl gehörig.
Ein ansehnlicher Mann war er vom Leib und Person, wußte cum autoritate und gravitate zu reden, wußte auch wohl seine Autorität mit Ernst zu erhalten. Hatte ein herrlich geschwind ingenium, war ein feiner theologus, wie dann seine Mutter zu diesem studio sacro sancto ihn consecrirt und er ex voto matris um so viel desto williger sich dazu begeben hatte. War auch in jure ziemlich erfahren und konnte in Noth einen guten Rath aus gutem Grund communiciren. In philosophia, in medicina, re herbaria war er wohl geübt; wie willig er war gegen seine Discipulos und Andere mit Remediis zur Pestilenzzeit oder in andern Krankheiten, reden und bezeugen billig, die seiner Bereitsamkeit Genuß gehabt haben.
Was oft in Sommerszeit, in großer Hitze mit seinen Schülern er herbatum gangen und die simplicia gezeiget, derer Namen, Nutzbarkeit angezeiget, wer ist hier vorhanden, der das nicht weiß?
Er war ein guter Orator, Poeta, Comicus, seine carmina, orationes und gedruckten Comödien so vorhanden, damit dieser Stadt auch nicht geringer Ruhm zugezogen, mögen davon weiter rühmen. Was er in Mathesi, in Astronomia, Astrologia gewußt und studirt, hat er nicht aus Abgunst bei sich behalten und verhalten wollen, sondern gern mitgetheilt. Drumb was Anlauf wegen der thematum natalitiorum erigendorum, Nativitäten zu stellen, von fürstlichen, von adligen und unadligen Personen er gehabt, kann nicht unbewußt sein. Wie fleißig und stetiglich, ja täglich er die Witterung in Acht genommen, aufgezeichnet, laß ich reden die plaustra voluminum conscriptorum so vorhanden, daraus ja eine rechte große mühselige Arbeit und Fleiß zu ersehen und zu vermerken. –
Anno 73 ist er von den Herren Canonicis des Stiftes zu Sankt Sebastian allhier zu Magdeburg zu einem Prediger vociret worden; bis er endlich die Predigt des Stifts zu Nicolai auch dazu bekommen. Hat also bei seiner Schularbeit in die sechs und dreißig Jahr mit gepredigt, da er anfänglich den Catechismum, die Leidensgeschichte des Herrn und sonst mehr gepredigt; bis er endlich aus Gutachtung des hochgeehrten Herrn D. Sigfridi Sacci, Dompredigers zu Magdeburg allhier im Erzstift die fünf Bücher Moysis zu erklären in Gottes Namen fürgenommen; damit er auch viel Jahre nach einander zu thun gehabt hat. Und weil er in denen so wohl fortgekommen, hat er oftmals zu wünschen pflegen: Gott wolle ihm doch das Leben fristen und gönnen, bis er seine fünf Bücher Moysis möchte absolviret haben. Gott hat ihn gnädiglich in seinen Wünschen und Begehren angesehen und das ihm gewährt; dann er in das 33. Capitel des fünften Buches Moysis mit seiner Erklärung kommen und die letzte Predigt gehalten vom Sterben Moysis des heiligen Mannes und Propheten Gottes, willens, die folgende darauf von seinem Begräbniß zu thun. Wie er nun auch die zu schreiben und zu concipiren angefangen, hat er zu Haus seiner lieben Hausmutter gesaget: Moysis ist nun todt; ich weiß nicht, wo ich ihn noch lassen und begraben werde!
Es darf der Sorge nicht; mit seinem (eigenen) Begräbniß kömmt eher zu vor; heut wird er begraben und in die Erde gesetzet.
Sein Confession und Glauben anlangend, wissen wir gar wohl, daß er die formulae concordiae und unsere Stadtconfessionen auch, wie gebräuchlich, unterschrieben habe. Hat auch vor etlichen Jahren auf Erforderung eines ehrenvesten Raths öffentlich eine Predigt de ascensione Domini in der Pfarrkirchen zu Sankt Johannis allhier gehalten. Hat gar oft pflegen zu gedenken: Lutherum Seligen hab er zwar nicht gesehen, aber von Jugend auf sei er in dessen Lehr auferzogen. Herrn Melanchthonem habe er in seiner Jugend gehöret, wie dann auch zu Wittenberg Herrn Eberum, zu Leipzig Herrn Pfeffingerum.
Aus diesem Oberzählten bedenke es Jedermänniglich was einen schweren Strick der Arbeit und Sorge er am Halse getragen habe die Zeit seines Lebens; darum in Befindung desselben er eine familiarem sententiam sich gemacht und oft gesagt hat:
Curis ad preces compellor
Et precibus cura depello.
Sorg und Arbeit zum Beten treibt.
Das Gebet die Sorg wiederumb vertreibt.
Laqueus livoris, der Neidstrick, ist ihm auch nicht ferne abgelegen; wie er in seinem Concept gedenket. Viel Widerwärtigkeit, Feindschaft hat er auch von denen, so seine guten Freunde haben sein wollen, daß nie Böses und Betrugliches Er bei ihnen sich vermuthete, erfahren müssen. Aber er hat alles vergeben. Denn als ich ihn fragte, ob er auch seinen Feinden und Beleidigern aus Grund des Herzens alles vergeben? hat er geantwortet: Er hätte gar keinen Feind, und gesprochen aus seinem Vaterunser: Vergieb uns unsere Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern. Wohlan, wir wollen jetzo nicht solches aufklauben und neu machen, sondern es zugleich mit ihm ruhen und schlafen lassen.
Laqueus paupertatis, der Armuthstrick lag ihm auch ziemlich hart an. Bekannt's oftmals selbst, er hätte nicht viel zum Besten, er werde wohl nicht reich werden. Tröstet sich mit dem Exempel des Herrn Philippi Melanchthonis, wie der auch nicht viel zum Besten gehabt und den Seinen nicht viel nach gelassen habe.
Laqueus aegritudinis, der Kummerstrick hing ihm auch herab; der fand sich mit ihm in seinem Ehestand, mit seinen lieben Kindern.
Anno 1568 begab er sich in den Stand der heiligen Ehe nach Gottes Willen, und beleibt sich mit des vorgesagten Herrn D. Franziscii Pfeil's, dieser Alten Stadt Magdeburg damals Syndici lieben ehelichen Tochter Euphemia. Hat mit der Hochzeit gehalten die Faustae. 4.
Gott der Herr hat sie zwar wohl in dem Ehestand gesegnet; aber aegritudines und Betrübniß und Traurigkeit, das liebe Kreuz ist nicht ausblieben. Sechs Kinder haben sie in dem Ehestand mit Gottes Segen gezeuget.
Anno 70 ist ihnen geboren ein Söhnlein, Franciscus genannt, welches am Jammer bald gestorben. Da find't sich schon der Kummerstrick.
Anno 71 wiederumb gab ihnen Gott einen Sohn, so Tobias genannt, ist auch alsbald gestorben. Das muß wiederum eine sehr harte Strengung gewesen sein.
Anno 72 wird ihnen geboren eine Tochter, Dorothea genannt, welche sie mit göttlicher, gnädiger Verleihung fortgebracht, so auch noch am Leben. Und hat gefreyet den ehrwürdigen, achtbaren und wohlgelahrten Herrn Christophorum Strauß, Pfarrherrn zu Osterburg, meinen günstigen guten Freund, so itzo anwesend bei dieser Leichbestattung. Gott wolle ihn sammt seiner lieben Hausmutter in solcher Betrübniß trösten und sie sammt den Ihrigen gnädiglich erhalten.
Anno 74 hat seine – des Rectors – Hausmutter wiederum einen jungen Sohn, den nennen sie Samuel. Bringt denselben wohl fort, bringt ihn auch wohl an; denn in der Nachbarschaft auf einem Dorf Förderstädt ist er ein Prediger worden; aber lebet der nicht lang. Ist immer krank, stirbt auch endlich, da er die beste Freude und Lust, ja Trost an ihm hätte haben sollen. En laqueus aegritudinis!
Anno 76 haben sie miteinander eine Tochter, so Martha genannt; stirbet auch.
Anno 78 Abermals eine Tochter, kommt aber todt zur Welt. Sehet Betrübniß, Bekümmerniß über Bekümmerniß. Was noch mehr? es ist nicht genug!
Anno 80 stirbet sein lieber Schwähervater D. Franziscus Pfeil, Syndicus, im April.
Im Mayen, den 1. Maii sein liebes Eheweib. Seine liebe Euphemia wird durch den zeitlichen Tod hinweggerissen. Da ist er Wittwer! Da ist aegritudo!
In solchem Wittwenstand sich lang zu halten, ist ihm nicht gerathen gewesen wegen seiner lieben Kinder. Drumb:
Anna 81 Er zum andern Mal sich begiebt in den heiligen Ehestand und freyet seine Magdalena, die jetzt nachgelassene betrübte Wittwe, die Gott gnädiglich trösten wolle. Die holet er aus einem Kloster Isenhagen, bei Lüneburg gelegen. Ihr Vater war Antonius Kindelbruck, ein männlicher, wohlversuchter Kriegsmann, welcher zu Metz, an der französischen Grenze gelegen, im Krieg inter Carolum, den Fünften dieses Namens, Römischen Kaiser und Mauritium von Sachsen umkam und allda in einer Kirchen soll begraben liegen. – Mit derselben hielt er seine Hochzeit die Agathae. –
Mit dieser seiner lieben Hausehre hat er gelebet im Ehestand siebenundzwanzig Jahre und mit derselben sechs Kinder gezeuget.
Erstlich haben sie miteinander einen Sohn gezeuget, so Daniel ist genannt worden. Den läßt die Wartfrau vom Arm fallen auf die Erden, bricht den Rücken entzwei und stirbet. Da findet sich in diesem Ehestand der laqueus aegritudinis wiederum.
Der andere Sohn ist Gabriel genannt worden, so itzt ein Vicarius in summo templo allhie zu Magdeburg.
Der dritte Sohn ist Jonas, ein Studiosus medicinae, so neulich von Paris aus Frankreich ankommen.
Der vierte Sohn ist David, der fünfte Caspar; beide studirend.
Diese Vier sind noch beim Leben und haben ihrem Vater zu Leich nachgefolget. Gott erhalte sie lange sämmtlich und tröste sie.
Der sechste Sohn Elias genannt ist kaum eines Vierteljahres alt geworden und gestorben.
Hierbei in dem Ehestand, was sie Kreuz und Betrübniß da gefunden, wird die betrübte nachgelassene Wittwe gar wohl wissen und erfahren haben!
Jedoch aber nichts desto weniger hat der getreue Gott, der wohl weiß Maaß zu halten in allen Sachen und Versuchungen, nicht allezeit betrübt, sondern auch zuweilen wiederum erfreuet. Dann ihm – dem Herr Rector – ansehnliche gute Vocationes und Bestellungen sind aufgetragen und angemuthet worden; daraus er dann gleichwohl seine Ergötzlichkeit hat nehmen können.
Er ist gefordert worden gen Zerbst zu Sanckt Bartholomäi, gen Leipzig, Wittenberg, Helmstedt, Frankfurt an der Oder zu Professionen; gen Brandenburg in der Neustadt zum Predigtamt. Welche doch Er anzunehmen seine bedenklichen Ursachen gehabt hat.
Nach Hof ist Er oftmals gefordert worden, und sein ihm herrliche Bestallung zugesagt; aber Er setzet: propter inconstantiam aulicam hab er nie Lust gehabt dahin, auch von seinen alten Vorfahren und Freunden gehört: die Rollenhagen hätten nie zu Hofe gut Glück gehabt; darum er wollte lieber frei sein als gebunden.
Bei denen vom Adel ist er sehr lieb und angenehm gewesen; haben ihn gern bei sich gesehen und mit sich sein lassen, Ihn oftmals auch gefordert und mit Verehrungen und Beneficien wohl in Acht genommen. Sonderlich rühmt er die adeligen Familien der Asseburger, Alvensleben, Schulenburger, Münchhausen, Dorstädter et aliorum. Viel Meißnische vom Adel und böhmische und österreichische Herren haben große Freundschaft mit Schriften und andern Mitteln zu ihm gehabt.
Unter der Bürgerschaft hat er dennoch auch gute Leute gehabt, die ihm gewogen und zugethan gewesen, obschon nicht alle, denn:
Schwierig ist's allen Menschen zu Gefallen zu leben.
Zu wissen aber hat man daneben auch, daß, wie wir alle mit einander er auch ein Mensch gewesen und dann auch ein armer sündiger Mensch. Wie er dann solches bekennt und frei gestanden, wie ich gehöret. Hat auch seine Mängel, Fehl und Gebrechen gehabt; engelrein kann man ihn nicht nennen. Denn wer ist, der da nicht sündiget? Ja, die Allerheiligsten haben nicht allezeit den Becher aufgericht't getragen und reine gute Seide gespunnen. – – – Tret her Einer, der sich bedünken läßt, daß er mit seiner Sachen so klar und just stehe; werfe auf den ersten Stein! Gelt, wo Einer kommt? Du wirst wohl ein Häcklein im Nacken haben, das Dich zurücke hält!« –
Nun kommt der Redner auf die leiblichen Gebrechen und Krankheiten, die der Selige in seinem langen Lebenslauf zu tragen gehabt hat, die Krankheitsstricke, mit welchen er gebunden gewesen ist. Scharbock und Pest zählt er auf; berichtet, daß der Rector in seiner Jugend von einem Tabulet herunter gefallen sei, theilt mit, daß er oftmals am Bauchgrimmen, Flüssen, Husten, salzigen Dämpfen im Haupt, Fiebern, dem spanischen Pip und andern Uebeln mehr laborirt habe. Er erzählt uns ausführlich davon und läßt nichts aus, fügt auch hinzu:
»Was für Noth von Cholicis doloribus er gehabt, wird wissen und davon reden können der hochgelahrte Herr Doctor Hermeranus Bulderkarr, verordneter alter Medicus dieser Stadt, der ihn curirt hat.«
Wir aber wollen diese Litanei menschlicher Schwachheiten und Hinfälligkeiten dem ausführlichen Grabprediger nicht nachspinnen; hat doch der selige Herr Rector selbst unter sein Bildniß geschrieben:
– wenn der Tod mich greifet an,
Weiß ich geschwind werd dahin gan.
Ist »endlich der letzte Morbus, die letzte Krankheit, zu ihm getreten, die mit ihm zum Tode und Ende geeilet und gearbeitet.« Acht Tage vor Christi Himmelfahrt hat er bei einem Begräbniß in Sankt Jakobs' Pfarr gegenwärtig sein müssen, daher kommt er krank, von Fieberfrost geschüttelt nach Haus und legt sich auf's Bett, um nicht wieder davon aufzustehen. Freilich »präscibiret« der Doctor Bulderkarr Medicamente, nach denen er sich »woll tausend Gulden besser« befindet; aber
»Kein einiges Gesetze
Steht im Justinian,
Das durch die schwarzen Netze
Des Todes reißen kann.«
wie ein anderer treffliche Poet, Herr Martinus Opitz von Boberfeld, singt. Weder Hermeranus Bulderkarr noch der andere Doctor, Herr Franz Berkey, vermögen durch ihre Kunst und Wissenschaft das hohläugige Gespenst mit der Sichel, die alles Lebendige wie Gras wegmäht, aus dem Krankenzimmer zu vertreiben, und es spricht der Magister Aaron am Sarge:
»Wird darnach um sieben Uhr Abends (am Sonnabend) zu mir geschicket, komm auch eilend bald darauf zu ihm hin, befinde ihn sehr schwach – die Brust kocht mit ganzer Macht, redet aber noch deutlich und verständlich. Sind bei ihm seine Söhne und etzliche Schulcollegen. Frage darauf, ob er auch in seinem Herzen behalten wolle Christum Jesum, und bei demselben bleiben. Antwortet er:
»Wo sollen wir dann fliehen hin,
Da wir mögen bleiben?
Zu Dir Herr Christ alleine.«
»Ich fragte, ob er auch in seinem Herzen vergeben hätte Allen, die ihn beleidiget? Antwortet er: er hätte gar keinen Feind und fing an: Remitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris, vergieb uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern. Ich fragte ihn auch, ob er es dafür halte, daß er einen gnädigen Gott und Vater im Himmel habe? Antwortet er: cor contritum et humiliatum Deus non despiciet, ein zerbrochen und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten. Ich fragte, ob er auch glaube eine Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben? Antwortet er: Amen, cupio dissolvi, ich begehre aufgelößt zu werden. Fragte ich, ob er auch wolle ein geistlicher Ritter und Ringer bleiben? Antwortet er: Militavi et adhuc militabo!«
Und so kämpft der alte Rector durch lange Stunden mit dem Tode; bis es allmählig still wird, und der Magister Aaron sich über den Kranken beugt und leise spricht:
»Behüte seinen Ausgang aus diesem Leben und Hingang zum ewigen Leben!«
Und dann drückt man dem Rector die einst so klaren Augen zu, und groß Wehklagen und wilder Jammer erfüllt das Sterbegemach. Aber in der Ulrichskirche am Himmelfahrtstage ruft Aaron Burkhart mit dem Psalmisten:
»Er ist nun fröhlich, sein Mund ist voll Lachens und ist voll großer Freude wie ein Träumender. Er ist nun aus dieser Schularbeit in die himmlische Academiam, Freud und Freundschaft derselben versetzet. Nun kann er singen und jubiliren:
Streit ist entzwei und ich bin frei,
Der Nam des Herrn steh mir bei,
Des Gott's Himmels und Erden.
Solche Freude wollen wir ihm nicht mißgönnen, dazu gratuliren und wünschen eine fröhliche Auferstehung mit dem Leibe zum ewigen Leben.
Bitten, Gott wolle uns allen auch in Gnaden helfen zu seiner Zeit zum seligen Ende, ja verhelfen zum ewigen Leben. Bitten, er wolle trösten die nachgelassene Wittwe und die Betrübten; denen er, ein Vater der Waisen und ein Richter der Wittwen, nimmt sich ihrer Noth an und schaffet ihnen Recht. –
Woll' ihm lassen befohlen sein, das geistliche und weltliche Regiment sammt dem Hausstand; insonderheit unserer Schul wiederum zu seiner Zeit zeigen eine taugliche qualificirte Person zu solcher Schularbeit, damit also in unserer Schul mögen Leute erzogen werden, die dermal eins ihm in seiner großen Haushaltung wohl dienen können.
Gott woll' ihm lassen befohlen sein die Noth der ganzen Christenheit; abwenden alles, was schädlich ist und geben, was uns sämmtlich an Leib und Seel zu diesem und jenem Leben, hie zeitlich und dort ewiglich, möge nöthig, dienlich und selig sein, um seines lieben Sohnes Jesu Christi willen.
Wer nun solches mit mir begehrt, sprech Amen und bete mit Andacht das heilige Vater Unser!«
Und sie beteten mit dem Leichenredner: die Verwandten, die Herren vom Rath, die Bürger, die Schüler, die Männer, die Frauen und die Kinder. Sie senkten den Leib des Dichters und Gelehrten hinab in die dunkle Erde; aber die lichte Frühlingssonne sah über die Schultern und Köpfe der sich drängenden Menge mit in die schwarze Gruft und lächelte, als wollte sie sagen: wie thöricht Ihr Euch doch härmt! Glaubt Ihr wirklich meinen Dichter zu begraben? wer hat jemals einen Dichter begraben? Laßt nur den schwarzen Stein fallen auf die Grube; Stein ist Stein, Asche ist Asche; aber Geist ist Geist und zersprengt und zerstört Stein, Erde und Asche!
Die Sonne wußte wohl, warum sie über die thörichten Menschen lächelte; – das Licht und die Geister verstehen einander, ganz nahe Verwandte sind sie und grüßen sich, wo sie einander begegnen. Die Sonne wußte wohl, daß der alte Rector Rollenhagen noch lange nicht todt sei, und »Doctor Sperling,« der »bunte Kirchsperling,« welchen Herr Georg Rollenhagen so trefflich besungen, hatte auch eine Ahnung davon. Ueber dem Grabe, zu Haupten des schwarzen Sarges sang er auf der ausgestreckten Hand des Apostel Paul's an der hohen Säule und zwitscherte so freudig und lustig seinen Glauben an die Unsterblichkeit der Dichter, der Sänger und an seine eigene Unsterblichkeit aus, daß sich manch ein geneigt Haupt auf sein helles Rufen erhob.
Sie legten den wuchtigen Stein auf das Grab und verließen unter den Klängen der Orgel die Ulrichskirche. Sie suchten ihre Häuser mit allen ihren eignen Sorgen und Nöthen wieder auf. Auch die Wittwe, die Kinder und übrigen Verwandte gingen. Zuletzt blieb der Magister Aaron allein in dem leeren, weiten Gotteshause, neben dem Grabe des alten Freundes zurück. An die Kirche gränzte der Pfarrgarten von Sankt Ulrich, und eine Thür führte aus dem Garten in die Sakristei. Durch diese Thür lugte ein kleines Mädchen, das Töchterlein des Predigers Aaron Burkhart. Es hatte das Schürzchen aufgenommen und es mit Blüthen und Grün aller Art gefüllt. Leise schlich es und furchtsam durch die stille, feierliche Kirche zum regungslosen Vater. Leise zupfte es den Vater am Aermel des schwarzen Chorrocks, und der Magister schreckte zusammen und sah auf. Er hob das blondgelockte Kind mit allen seinen Blumen und grünen Ranken auf den Arm:
»Schütt aus Dein Schürzlein!« sagte er. »O liebes Herz, wir haben da einen guten, trefflichen Mann zur Ruhe gelegt; – gieb ihm Deine Blumen, denn er hat uns auch manche Blüthe vom Lebensbaum gebrochen und sie uns dargeboten auf güldener Schale.«
Mit Frühlingsblumen, buntfarbig und duftend bedeckte das Kind das Grab des Dichters, nachdem der Vater vor dem Volk über dem Sarge geredet hatte.
Das war das Begräbniß Domini M. Georgii Rollhagii an unsers Herrn Himmelfahrtstage, anno MDCIX.