Wilhelm Raabe
Die Gänse von Bützow
Wilhelm Raabe

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Dreizehntes Kapitel

Enthält die Copia eines Briefes Auctoris und beschließt die merkwürdige Historia von den Gänsen von Bützow.

Bützow, am 30. Mai 1795.

Hochedelgeborener, wohlgelahrter Herr Magister, insbesondere zu verehrender Herr Kollega, lieber Freund!

Sein Schreiben vom Fünfzehnten des vorigen Monden ist mir richtig zu Handen gekommen und hat mir eine besondere Freude verursachet, indem ich daraus ersehen habe, daß es Ihm noch immer nach bestem Wunsche in Berlin, auspiciis et auctoritate gloriosissimi regis Friderici Guilelmi II, gehet und Er sich mit Seinen Korrekturen und literarischen labores taliter qualiter nach bestem Vermögen durch die Welt schlägt. Daß Er die ihm von mir vorgeschossenen zwanzig Taler so balde remittiert hat, freuet mich als ein weiteres Testimonium Seiner soliden Zustände, und verbitte ich mir übrigens alle weitern Danksagungen in diesem Punkte; schreibe Er mir hingegen künftig ausführlicher über das dortige Gelehrtenwesen; es dringet von Tag zu Tag weniger davon in unsere kimmerische Nacht herüber, und ich will es Ihm nur gestehn, Magister, ich vermisse Ihn doch sehr. Es ist vieles anders geworden hier in Bützow seit Seiner Hegira und wenig zum Bessern. Wie die große Gänserevolution ausgegangen ist, weiß Er bereits im einzelnen, doch will ich Ihm nunmehr die Sache im ganzen wiederholen, damit Er Seinen Kindern und Kindeskindern später davon verzählen kann: Den Doktor Wübbke, Seinen Freund, hat man in seinem Bette verhöret, und sein zerschlagener Buckel ist ihm diesesmal gut zustatten gekommen; – er hat ihm sein Alibi am 28sten Dezember beweisen helfen, und was die vorhergehenden Machinationes, Einblasungen und Aufstachelungen anbetrifft, so hat sich der Herr Doktor gar trefflich herausgelogen, und kein Katechumene ist jemals in einem weißern Gewande umherstolzieret als der Doktor Wübbke an diesem heutigen Tage. Was die andern anbetrifft, so ihre Gänse mit Gewalt heimgeholet und in Grävedünkels Hause weder Tisch noch Topf, weder Bank noch Stuhl heil und ganz gelassen haben, so sind sie natürlich mit dem Herrn Justizrat von Raven vor Herzogliche Justizkanzlei zu Schwerin getreten und haben des Sophokles Antigone zitieret:

»Wir sind bereit, zu halten glühend Erz
In unsrer Hand, zu gehn durch Flammen und
Zu schwören bei den Göttern einen Eid,
Daß wir's nicht selbst getan und daß wir nicht
Des Täters noch Ersinners Hehler sind.«

Herzogliche Justizkanzlei zu Schwerin hat aber weder auf den Justizrat noch auf den Sophokles etwas gegeben, sondern hat den Schneider Schmidt mit Zuchthaus zu einem halben Jahr begnadigt, den Sattler Scherpelz, den Schuster Haase und Fuhrmann Martens zu vierwöchentlichem Gefängnisse bei Wasser und Brod, »mit Verstattung warmer Speise ein um den andern Tag« grausam kondemniert, endlich sieben andere Bürger vierzehn Tage lang ins Loch setzen wollen. Es sind auch die eilf Condemnati eine geraume Zeit im Loche gehalten, aber es hat doch allmählich ein immer deutlicher Gemurmel gegen den hochlöblichen Magistrat gegeben, und hat der Defensor ihn, den Magistrat zu Bützow, sogar ex lege diffamari belangen und ihn als einen verdächtigen Richter perhorreszieren wollen. Sind also auf allerhöchsten Spezialbefehl Serenissimi die Akten an eine hochgelahrte und hochpreisliche hallische Juristenfakultät abgegangen, und hat dieselbe wegen Unzulänglichkeit der Beweismittel nichts von Zuchthaus und Gefängnis wissen wollen und die Inkulpaten nur in die Kosten des Prozesses und der geführten Verteidigung verurteilt, welches mich, unter uns gesagt, von der hochlöblichen Fakultät recht gefreuet hat.

Also hat Senatus Buetzoviensis richtig und, ebenfalls unter uns gesagt, ganz nach Verdienst diesmal den kürzern gezogen. Ein jeglicher arme Sünder ist in den Schoß seiner Familie heimgekehret; die Gänse haben mit Triumph wiederum Besitz ergriffen von den Gassen der Stadt, und Grävedünkel hat nicht mehr das Recht, wie Zieten aus dem Busch hinter der Ecke vorzuspringen, die zeternde Unschuld am Halse zu packen und sie erbarmungslos ins Prison zu schleppen.

Unsern armen Freund, den Bürgermeister Hane, hat infolge des allzu großen Ärgernisses und hinzugekommener neuer Alteration wirklich der Schlag gerührt, und haben wir ihm vor acht Tagen feierlich das letzte Geleit gegeben.

Die Mamsell Hornborstel hat ihn auf dem Gewissen; und da Er, Magister Albus, wie ich zur Ehre der Menschheit annehmen will, noch nicht gänzlich der Ansicht des Censors Metellus Numidicus, welcher die Weiber vor versammeltem Senate ein »notwendiges Übel« nannte, verfallen ist, so will ich Ihm das Nähere mitteilen.

Der Herr Leutnant von Schlappupp erhielt richtig durch Vermittelung unseres seligen Freundes, des Bürgermeisters, mit dem größesten Teile seiner Mannschaft sein Quartier im Hause der Mamsell Hornborstel und nahm mit seinem großen Hunde von der besten Putzstube Besitz: Er kennt ja Seine Sacharissa, Magister, und ich brauche Ihm weiter nichts zu sagen.

Den Herrn Leutnant kennt Er aber nicht, also will ich ihn Ihm nach besten Kräften beschreiben. Stelle Er sich vor den Spiegel, wenn Er einen hat, und lege Er Seiner Statur anderthalb Schuhe zu, streiche Er sich Seine, unter uns gesagt, etwas hagere Physiognomie schön safrangelb an, hänge Er sich einen rostgrauen Schnauzbart von formidabelster Länge unter die Nase, welche Er meinetwegen um anderthalb Zoll herabziehen und etwas rötlich – mit einem angenehmen Rot aus dem Schminktopf Auroras – färben kann: imaginiere Er sich in schwefelgelbe Hosen, eine Husarenjacke und ein ewiges Leibweh, verbunden mit einem leichten podagristischen Hinken, hinein, und der Kriegsmann stehet leibhaftig und lebendig vor Ihm; und wenn Er es noch möglich macht, einen leichten spirituosen Dunst um und eine boshaft grimmige dänische Bulldogge mit Stachelhalsband neben den tapfern Sohn des Mars zu imaginieren, so hat Er nicht nötig, sich den Kerl von Herrn Chodowiecki porträtieren zu lassen.

Herr Kollega, wenn der Kasus nicht eine so betrübliche Folge gehabt hätte, so würde ich Ihm bestens dazu gratulieren: am Tage vor dem plötzlichen Hinscheiden des regierenden Bürgermeisters von Bützow Dr. Hane, meines vielbetrauerten Freundes, hat die Mamsell Julia Hornborstel ihm und der Stadt – ihre Verlobung mit dem Leutnant von Schlappupp notifizieren lassen! – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nach wieder fester gefaßter bützowscher Gänsefeder kann ich Ihm nur noch mitteilen, daß der Herr Leutnant von seiner Gage lebte und jetzo, einem publiquen Geheimnis zufolge, gewillt sein soll, das Gut Borstwischhausen in der Nähe von Güstrow anzukaufen. Auch glaube ich Ihm, Kollega, die Versicherung, daß weder Er noch der Doktor Wübbke zur Hochzeit geladen wird, geben zu können, und fällt mir dabei die schöne Historie vom Kaiser Maximilianus ein, welcher, als ein hispanischer Ritter und der Ritter Rauber aus dem Lande Krain um seine natürliche Tochter warben, ihnen zwei große Säcke übergab und das schöne Fräulein demjenigen versprach, welcher den andern in den Sack stecke. Damals und dort insakkierte der Krainer den strampfelnden Spanier und zog mit der Dame ab; allhier zu Bützow aber habt Ihr, Kollega Albus, und der Doktor Wübbke Euch gegenseitig in den Sack gestopft, und der Ritter von Schlappupp möge es ihr gesegnen, Hekate, welche nach Hesiod, wie Er weiß, Magister, die Göttin der Krieger, der Bürgermeister, der Advokaten und der – Wettkämpfer ist.

Doch was schreibe ich ihm noch von der Mamsell Hornborstel und der Stadt Bützow; sitzet Er ja nunmehr mitten im preußischen fridericianischen Uhrwerk, im erleuchteten Berlin, vernimmt ganz anderes Vogelgeschrei und höret ganz andere Räder schnurren. Was kann Ihm noch der Pastor Primarius Klafautius gelten, da Er tagtäglich mit seinem Krüglein zum mystischen Born des Herrn von Wöllner gehen und schöpfen kann. Nun bleibe Er in Seiner jetzigen illuminierten Stellung ein komplaisanter Mensch und vergesse Er uns nicht gänzlich. Meine Diskretion ist Ihm bekannt; so melde Er denn ein wenig mehr von der Monarchie Friedrichs des Großen und ihrem heutigen Zustande. »Pourriture avant maturité«, war doch ein böses Wort des Marquis von Mirabeau! – Sage Er uns auch Seine Meinung darüber, man wird Ihm sehr dankbar dafür sein, Kollega, und wenn Er je wieder etwas Bützowsches brauchen sollte, so stehe ich, wie Er weiß, stets zu Diensten.

Nun gehabe Er sich ferner wohl, und wenn Er den Boëthius nicht mehr nötig hat, so schicke Er ihn mir mit Gelegenheit retour. Das war doch noch ein anderer Mann und Geheimer Rat als der Rosenkreuzer Chrysophiron, vulgo Johann Christoph Freiherr von Wöllner!

Dem teutschen Biedermann und Verfasser des Sebaldus Nothancker gebe Er meine besten Grüße und bestelle Er mir bei ihm ein Exemplar seiner soeben ans Licht getretenen »Geschichte eines dicken Mannes«.

Damit verbleibe ich, Herr Kollega, für jetzt und alle Zeiten

Sein ergebenster Diener und Freund
J. W. Eyring.
Rect. emer. Buetzoviensis.


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