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Es ist so lange her, seit ich zum ersten Male Opium nahm, daß ich, wäre es lediglich eine Zufallserscheinung meines Lebens gewesen, längst daran vergessen haben würde. Aber Hauptumstände vergißt man nicht, und daher kommt es, daß ich noch weiß, daß es im Herbst 1804 war. Damals war ich in London, war zum ersten Male seit dem Beginne meines Hochschulstudiums dahin zurückgekehrt – und so kam ich zum Opium: Von früh auf war ich gewohnt, den Kopf jeden Tag zumindest einmal ins kalte Wasser zu stecken. Als ich einmal vom Zahnweh geplagt wurde, gab ich der Unterlassung dieser Gewohnheit die Schuld, sprang aus dem Bett, steckte den Kopf in ein Waschbecken mit kaltem Wasser, und ohne die Haare zu trocknen, legte ich mich wieder zum Schlafe nieder. Ich brauche eigentlich das gar nicht besonders zu betonen, daß ich am nächsten Morgen aufwachte und die gräßlichsten rheumatischen Kopf- und Gesichtsschmerzen hatte, die mich während ungefähr zwanzig Tagen nicht mehr verließen. Es war – glaube ich – am einundzwanzigsten Tage, daß ich aufstand, und – es war Sonntag – in den Straßen spazierenging, lediglich, um meinen Schmerzen zu entrinnen, nicht etwa aus irgendeinem anderen Grunde. Zufällig traf ich einen Studienfreund, der mir Opium empfahl.
Opium! Schrecklicher Mittler du, von unvorstellbar großem Glück und namenloser Pein! Wohl hatte ich davon schon gehört, wie man von »Manna«, von »Ambrosia« gehört hat, mehr nicht! – Wie wenig stellte ich mir damals bei diesen Tönen vor. Welch feierliche Chöre löst es nun in meinem Herzen aus! Welch herzerquickende Schwingungen von traurigen und glücklichen Erinnerungen werden wach! Wenn ich mich für einen Augenblick von ihnen treiben lasse, so fühle ich geheimnisvolle Bande, die mir den Ort, die Zeit, den Mann, der mir zuerst das Paradies der Opiumesser öffnete, verbinden. Naß und traurig war der Sonntagnachmittag, und einen stumpferen Anblick hat diese unsere Erde nicht aufzuweisen als einen Londoner Regensonntag. Mein Heimweg führte mich durch Oxfordstreet, und in der Nähe des »herrlichen Pantheons«, wie es Wordsworth einst nannte, war eine Drogerie geöffnet. Der Drogist, dieser ahnungslose Mittler himmlischer Freuden, machte, vielleicht aus Sympathie mit dem verregneten Sonntag, ein dummes und unzufriedenes Gesicht, so wie es eben sterbliche Drogisten an Sonntagen zu machen pflegen. Als ich Opiumtinktur verlangte, gab er sie mir, so wie man irgend etwas Gleichgültiges zu geben pflegt, ohne weitere Umstände, gab mir auf meinen Schilling etwas zurück, das aussah wie ganz gewöhnliches Kupfergeld, das er aus einem ganz gewöhnlichen hölzernen Kasten genommen hatte. Ich aber muß sagen, daß trotz all dieser Anzeichen von schlichter Menschlichkeit der gute Mann für mich seitdem in der herrlich-verklärenden Erscheinung eines »unsterblichen Drogisten« lebt, der vom Himmel heruntergesandt wurde mit einem Spezialauftrage für mich. Ihre Bestätigung erhielt diese meine Anschauung über ihn, als ich das nächste Mal nach London kam. Ich suchte ihn in der Nähe des Pantheons und fand ihn nicht, und so scheint es mir, der ich seinen Namen nicht kenne – wenn er überhaupt einen hat –, daß er aus Oxfordstreet verschwunden ist, indem er seine körperliche Gestalt wieder abgelegt hat. Dir, lieber Leser, wird er wahrscheinlich vorkommen wie ein ganz gewöhnlicher irdischer Drogist. Das ist gar nicht ausgeschlossen. Ich aber will nun einmal mich in dem Glauben nicht beirren lassen, daß er sich zu einem Hauchwölkchen verflüchtigt hat. Denn ich kann die Stunde, den Ort, den Mittler nicht unter die flüchtigen Alltagserinnerungen einreihen – sie, die mir zuerst das Wissen von jener Himmelsgabe darboten.
Als ich in meiner Wohnung ankam, verlor ich keinerlei Zeit, die vorgeschriebene Dosis baldigst zu nehmen. Ich war in bezug auf das Geheimnis und die Kunst des Opiumnehmens völlig unwissend, und was ich nahm, nahm ich auf eigene Gefahr. Aber ich nahm es – und – eine Stunde später! – O Himmel! Welcher Umschwung! Welch ein Erheben meines Geistes aus dem letzten Abgrund seiner Tiefe! Welche Offenbarung der Welt in mir! Daß meine Schmerzen fort waren, bedeutete mir jetzt gar nichts mehr. Diese negative Wirkung verschwand für mich in der Flut des unermeßlichen positiven Erlebens, die sich vor mir aufgetan hatte – in dem Abgrund himmlischen Genusses, der sich mir eröffnet. Ich hatte die große Panacea, das geheimnisvolle Labsal zur Erfüllung aller menschlichen Wünsche gefunden! Das Geheimnis der Glückseligkeit, über das die Philosophen so viele Jahrhunderte nachgesonnen hatten, es war auf einmal entdeckt! Man konnte für einen Pfennig Glückseligkeit kaufen und in der Westentasche bei sich führen. In einer Reiseflasche konnte man Ekstasen mit sich herumtragen, und mit der Postkutsche konnte man in großen, viele Liter fassenden Flaschen Seelenfrieden verschicken. Aber wenn ich so rede, wirst du, lieber Leser, annehmen, ich machte Witze; ich versichere, daß niemand Witze macht, der viel Opium nimmt. Seine Freuden sind von so ernster, feierlicher Art, daß selbst in seinen glücklichsten Stunden der Opiumesser sich nie im Charakter des Allegro zeigen wird. Selbst dann denkt und spricht er, wie es einem Penseroso ansteht. Leider habe ich eine bedauerliche Art, selbst manchmal mitten im Elend Witze zu reißen, und obwohl ich von gewaltigen Gefühlen bewegt werde, fürchte ich doch, daß ich mich dieser Unart selbst in der Schilderung von Leid und Glück schuldig machen könnte. Du, lieber Leser, magst mir deshalb ein wenig Nachsicht mit meiner Schwäche schenken. Ich will mir Mühe geben, mit so wenig Seitensprüngen dieser Art, wie nur irgend möglich, ernst, wenn nicht gar ein wenig schläfrig zu sein, wie es sich gebührt, wenn man über eine so ernste Sache spricht, wie es das Opium nun einmal ist. Ich werde so unkaufmännisch, wie das möglich ist, und so schläfrig, wie man diese Wirkung fälschlich dem Opium zuzuschreiben pflegt, berichten.
Zuerst ein Wort über seine körperlichen Wirkungen. Über all das, was man über das Opium geschrieben hat, sei es von seiten Reisender in der Türkei – denen man das Privileg zu lügen ja als ein altes, unverjährbares Recht lassen muß –, sei es seitens der Medizinprofessoren an den Hochschulen, lautet meine Kritik, ihnen allen gegenüber: Lügen! Lügen! Lügen! – Ich habe einmal bei einem Buchhändler in irgendeinem Satiriker folgendes gelesen: »Ich habe die Überzeugung, daß die Londoner Zeitungen wenigstens zweimal wöchentlich die Wahrheit berichten, nämlich Dienstag und Sonnabend, nämlich – daß man sich genau verlassen kann – auf die Konkursverzeichnisse!« So leugne ich auch nicht, daß man tatsächlich den Leuten einige Wahrheiten über das Opium gesagt hat. Wiederholt haben gelehrte Leute mitgeteilt, daß es braun aussieht. Ich garantiere dafür, daß das stimmt! Ferner, daß es ziemlich kostspielig ist, wofür ich ebenfalls gutsage! Denn zu meiner Zeit kostete ostindisches Opium drei Guineas, und türkisches sogar acht das Pfund. (Also etwa 63–168 Mark! Der Übers.). Drittens hat man ganz wahrheitsgetreu mitgeteilt, daß, so man sich eine tüchtige Portion davon zu Gemüte führt, man wahrscheinlich das tun muß, was den meisten Menschen mit regelmäßiger Lebensführung nicht ganz angenehm ist, nämlich – sterben! – – Diese gewichtigen Aufklärungen sind alle zusammen, und jede einzelne für sich, tatsächlich wahr, und ich kann sie beim besten Willen nicht wiederlegen. Aber die Wahrheit war von je, und wird immer bleiben – erläuterungsfähig! In diesen drei Theoremen haben wir, glaube ich, den Wissensstoff, der bisher von Menschen über das Opium zusammengetragen wurde, erschöpft. Deshalb, würdige Doktoren! da hier noch Raum für Forschungen und zukünftige Entdeckungen ist, machen Sie mir ein wenig Platz und gestatten Sie mir, eine Vorlesung über den Stoff zu halten! – Nun denn: Erstens: Es wird von all denen, die jemals, sei es systematisch, sei es zufällig, sich mit dem Opium beschäftigt haben, nicht nur behauptet, sondern als bewiesen angenommen, daß es rauschbildend sei. Nun, lieber Leser, überzeuge dich selber, meo periculo, daß keine Quantität Opium berauscht oder auch nur zu berauschen vermag. Die Opiumtinktur wäre allerdings geeignet – ich bemerke, daß man sie gewöhnlich Laudanum nennt –, einen Menschen, der eine genügend große Menge davon zu sich zu nehmen vermöchte, berauscht zu machen. Aber – warum? ist hier die Frage! Nun, ganz einfach aus dem Grunde, weil das Laudanum so viel reinen Weingeist enthält, nicht aber, weil so viel Opium darin ist! Unverarbeitetes Opium, behaupte ich aufs entschiedenste, ist unfähig, einen Körperzustand hervorzurufen, der dem durch Alkohol erzeugten irgendwie ähnlich sieht. Nicht nur dem Grade nach ist es dazu unfähig, nein, sogar der Art nach! Nicht in der Quantität der Wirkung weicht es vollkommen ab, sondern in der Qualität. Der Genuß, den Wein bereitet, ist zunächst steigend, erreicht dann die Krisis, um wieder abzufallen. Der durch Opium erzeugte bleibt, wenn er einmal erreicht ist, während acht bis zehn Stunden konstant. Der erste Fall ist, wenn ich mich eines medizinischen Fachausdrucks bedienen darf, ein Fall von akutem, der zweite einer von chronischem Genusse. Der eine gleicht einer Flamme, der andere einem stetigen und gleichmäßigen Glühen. Aber der Hauptunterschied liegt darin, daß Wein die geistigen Fähigkeiten beeinträchtigt, während Opium – ganz im Gegenteil –, wenn es vorschriftsmäßig genommen wird, die großartigste Ordnung, Logik und Harmonie unter ihnen schafft. Wein raubt dem Manne die Selbstbeherrschung, Opium stärkt sie. Wein trübt und verwirrt die Urteilskraft, gibt der Verachtung und Bewunderung, der Liebe wie dem Hasse des Trinkers eine ungeheure Intensität. Opium breitet über die aktiven und passiven Fähigkeiten Heiterkeit, setzt sie ins Gleichgewicht und gibt dem Gemüt und der moralischen Urteilskraft im allgemeinen eine Art vitaler Wärme, der der Verstand zustimmt und die eine Körperkonstitution von ursprünglicher, sozusagen vorsündflutlicher Gesundheit immer begleiten wird. So z. B. macht Opium – wie Wein – das Herz weit und erzeugt einen Zustand von Wohlwollen; doch mit dem merklichen Unterschiede, daß in der plötzlichen überströmenden Güte, die die Betrunkenheit begleitet, immer eine Sentimentalität liegt, die sie dem Beobachter verdächtig erscheinen läßt. Man schüttelt sich die Hände, schwört ewige Freundschaft, vergießt Tränen – kein Mensch weiß, warum! Die Sinnlichkeit scheint den Menschen untergekriegt zu haben. Dagegen ist die durch das Opium hervorgerufene Ausdehnung liebreicher Gefühle kein fiebriger Anfall; nein – der gesunde Naturzustand kehrt zurück, in den unser Geist wieder gelangen würde, wenn jede Spur von Schmerz und Leid, die die Impulse eines ursprünglichen guten und gerechten Herzens mißleitet haben, verwischt worden wäre. Es muß zugegeben werden, daß Wein, bis zu einem gewissen Grade, den Intellekt anregt und kräftigt. Ich selbst bin nie ein großer Weintrinker gewesen, aber ich fand, daß ein halbes Dutzend Gläser meine Fähigkeiten vorteilhaft anregte, das Bewußtsein erhellte und ein Gefühl verlieh, als sei es » ponderibus liberata suis«; es ist ziemlich absurd, von jemandem zu behaupten, der Wein habe ihn »benebelt«, denn ganz im Gegenteil sind die meisten Menschen benebelt durch ihre Nüchternheit, und erst wenn sie trinken, kommt der wahre Charakter des Menschen zum Vorschein. Also von »benebelt« kann keine Rede sein! Aber immerhin führt der Wein den Menschen zu Torheiten und Dummheiten, und von einem gewissen Punkte an läßt er sich die intellektuellen Kräfte verflüchtigen. Opium dagegen beruhigt das Erregte und sammelt das Zerfahrene. Kurz, um mit wenig Worten alles zusammenzufassen: Ein Mensch, der betrunken ist oder sich auf dem Wege befindet, es zu werden, gerät in einen Zustand, der das »Allzumenschliche«, oft die brutale Seite der menschlichen Natur, zur Herrschaft in ihm gelangen läßt. Aber der Opiumgenießer (ich spreche von dem, der nicht etwa vom Mißbrauche des Opiums leidend geworden ist, sondern Maß und Ziel kennt) fühlt, daß der göttliche Teil seiner Natur die Oberhand gewinnt: daß seine moralischen Fähigkeiten in einen Zustand von wolkenloser Heiterkeit geraten, und daß über allem das große Licht des majestätischen Verstandes strahlt.
Dies ist die Lehre der wahren Kirche des Opiums, und ich selbst bin der einzige Gläubige dieser Kirche – ihr Alpha und Omega. Man darf nicht vergessen, daß ich auf Grund einer bedeutenden und tiefen persönlichen Erfahrung spreche, während die meisten unwissenschaftlichen Autoren, die über das Opium geschrieben haben, und selbst die, die ausdrücklich die medizinische Seite des Problems behandelt haben, durch den Abscheu, den sie darüber zur Schau tragen, beweisen, daß ihre tatsächliche Kenntnis seiner Wirkung gleich Null ist. Ich will indessen nicht anstehen, zuzugeben, daß ich einmal jemand getroffen habe, dessen fester Glaube an die berauschende Wirkung des Opiums so überzeugend war, daß sogar meine eigene Ungläubigkeit einen Stoß bekam. Es war ein Arzt, der selbst lange Opium genommen hatte. Zufällig erzählte ich ihm einmal, daß seine Feinde behaupteten, er rede, wenn er über Politik spreche, Unsinn, und seine Freunde entschuldigten ihn dann gewöhnlich damit, daß er sich in einem beständigen Opiumrausche befinde. Ich sagte zu ihm, daß mir die Anklage nicht prima facie erscheine und vielmehr absurd sei, aber – er verteidigte sie. Zu meiner Überraschung behauptete er, daß beide Teile, seine Freunde wie seine Gegner, sich im Rechte befänden. »Ich will nicht bestreiten,« sagte er, »daß ich Unsinn rede, andererseits aber behaupte ich, daß ich das nicht mit Vorsatz tue oder aus einem wie immer gearteten anderen Gesichtspunkte, sondern einzig und allein, einzig und allein (dreimal sagte er das), weil ich vom Opium betrunken bin, und das täglich!« Wir kamen in einen längeren Meinungsstreit über das Thema, und ich muß zugeben, daß die Autorität eines Arztes, und eines solchen, der dazu noch für sehr tüchtig galt, schwer gegen meine Behauptung ins Gewicht zu fallen scheint. Aber ich muß mich an meine Erfahrung halten, die der seinigen immerhin um täglich mehr als siebentausend Tropfen überlegen war. Und obwohl ich nicht annehmen zu dürfen glaubte, daß ein Mediziner die charakteristischen Merkmale des Alkoholrausches nicht kennen sollte, fiel es mir doch auf, daß er in einer späteren Auseinandersetzung den logischen Fehler beging, das Wort »Trunkenheit« in zu weitem Sinne zu gebrauchen und es auf jede Art nervöser Erregung zu beziehen, anstatt es auf eine besondere, an bestimmten Merkmalen erkennbare Art der Erregung zu beschränken. Ich habe sogar einmal behaupten gehört, daß jemand von dem Genuß grünen Tees »betrunken« geworden sein wollte, und ein Londoner Medizinstudent, dessen großes Wissen in seinem Fache mir Grund zum Respekt gab, versicherte mir einmal, daß ein Patient, der sich auf dem Wege zur Genesung befand, sich an einem Beefsteak »betrunken« habe.
Nachdem ich mich so lange bei diesem ersten und Hauptirrtum in betreff des Opiums aufgehalten habe, will ich mich über den anderen und dritten kürzer fassen: Es wird behauptet, daß auf den vom Opium erzeugten Aufschwung des Geistes notwendigerweise eine im Verhältnis stehende Depression erfolgen müsse, und daß seine natürliche und unmittelbare Endwirkung körperliches Erschlaffen und geistiger Stillstand sei. Was die erste dieser beiden Behauptungen anbetrifft, kann ich dem Leser versichern, daß sie ein Irrtum ist. Ich kann nur berichten, daß während der zehn Jahre, in denen ich mit gehörigen Zwischenräumen Opium nahm, die Tage, nach denen ich mir diesen Luxus geleistet hatte, stets solche waren, an denen ich mich in außergewöhnlich guter Stimmung befand.
Was nun die Abstumpfung angeht, die dem Opiumgenusse folgen soll oder, wenn wir den zahlreichen Bildern türkischer Opiumgenießer Glauben schenken wollen, sogar während des Opiumgenusses sich einstellen soll, so leugne ich sie gleichfalls. Gewiß gehört Opium zu den wichtigsten Narkotizis, und es ist nicht ausgeschlossen, daß es auch einmal diesen Endeffekt hervorbringen kann; aber unmittelbar hat es lediglich eine Anregung und Stimulation des ganzen Systems zur Folge. Das erste Stadium seiner Wirksamkeit dauerte bei mir wenigstens acht Stunden lang; es muß also die Schuld des Opiumgenießers selber sein, wenn er die Dosis nicht zu einer Zeit nimmt, die die ganze Dauer ihres narkotischen, einschläfernden Einflusses auf die Nacht, in seinen Schlaf verlegt. Türkische Opiumesser scheinen so absurd zu sein, die ganze Zeit gleich Reiterdenkmälern auf Holzblöcken sitzenzubleiben, die so dumm sind wie sie selber. Damit der Leser sich selber ein Urteil zu bilden vermag, inwieweit Opium geeignet ist, die geistigen Eigenschaften eines Engländers zu zerstören, will ich – indem ich die Frage illustrativ, nicht argumentiv beantworte – erzählen, wie ich selber während der Zeit von 1804–1812 einen Opiumabend in London zu verbringen pflegte. Ich will zeigen, daß Opium bei mir weder den Hang zur Einsamkeit förderte, noch weniger aber mich zur Faulheit und zu dem stumpfen Hang zur Selbstversunkenheit, den man gewöhnlich den Türken zuschreibt, hinführte. Ich gebe die Beschreibung von diesen Abenden auf die Gefahr hin, für einen überspannten Enthusiasten oder Schwärmer gehalten zu werden; jedoch kümmert mich das wenig. Ich möchte meinen Leser nur daran erinnern, daß ich damals ein fleißiger Student war und während der ganzen Zeit ernsthafte Studien trieb. Gewiß hatte ich wie jeder andere das Recht, mir ab und zu eine Ausspannung zu erlauben. Selten aber gestattete ich sie mir wirklich.
Ein verstorbener englischer Herzog pflegte zu sagen: »Nächsten Freitag, so Gott will, trinke ich mir einen Rausch an!« und in derselben Weise pflegte ich mir vorzunehmen, wie oft in einer gewissen Zeit und wann ich eine Opiumschwelgerei unternehmen wollte. Das geschah selten öfter als einmal in drei Wochen, denn damals wagte ich noch nicht, wie ich es später einführte, mir jeden Tag ein »Glas schwarzes Laudanum, warm und ohne Zucker«, zu Gemüte zu führen. Nein – wirklich trank ich damals selten Laudanum, nicht öfter als einmal in drei Wochen. Gewöhnlich an einem Dienstag- oder Sonnabendabend. Das tat ich aus folgenden Gründen: Damals sang die Grasini in der Oper, und ihre Stimme entzückte mich wie nie wieder eine. Ich weiß nicht, wie die Oper heutzutage ist, denn seit sieben oder acht Jahren bin ich nicht mehr drin gewesen, damals aber gab es für viele keinen besseren Platz, an dem man den Abend unter Leuten angenehm verbringen konnte. Fünf Schilling öffneten einem die Galerie, auf der viel weniger Unruhe herrschte als im Parterre. Das Orchester zeichnete sich durch seine Größe und sein ausgezeichnetes Zusammenspiel vor allen anderen englischen Orchestern aus. Meist kann ich dieses Zusammenspiel nicht vertragen, wegen der Vorherrschaft der Blechinstrumente und der absoluten Tyrannei der Violine. Die Chöre waren göttlich anzuhören, und wenn die Grasini in einem Zwischenspiele hervortrat, was oft geschah, und als Andromache am Grabe Hektors ihre leidenschaftliche Seele ausströmte, dann fragte ich mich, ob jemals ein Türke von all denen, die in das Paradies der Opiumesser eintreten durften, auch nur halb soviel Vergnügen empfunden hat wie ich. Aber ich gebe den Barbaren zuviel Ehre, wenn ich voraussetze, daß sie fähig seien, einen Genuß, der den intellektuellen Genüssen eines Engländers nahekommt, zu empfinden. (Anmerkung des Übersetzers für deutsche Leser: Wenn das nicht im englischen Text stände, hätte ich es nicht übersetzt. Aber es ist schon so.) Denn Musik ist ein geistiger oder sinnlicher Genuß, je nach der Veranlagung des Zuhörers. Mit Ausnahme der feinen Extravaganz in den »Zwölf Nächten« kenne ich in der ganzen Literatur nur eine gleichwertige Äußerung über das Wesen der Musik. Das ist eine Stelle in der » Religio Medici« von Sir T. Brown, die neben ihrer literarischen Schönheit auch in philosophischer Hinsicht bemerkenswert erscheint, da sie die richtige Theorie der musikalischen Wirkung enthält. Der Fehler der meisten Leute ist, daß sie annehmen, daß sie die Musik einzig mit dem Ohre aufnehmen, und daß sie sich deshalb ihren Wirkungen gegenüber völlig passiv verhalten. Aber dem ist nicht so. Durch die Reaktion des Geistes auf die Aufnahme durch das Ohr (der Inhalt wird durch die Sinne, die Form durch den Geist erfaßt) wird der Genuß erzeugt, und deshalb kommt es, daß Leute von gleich gutem Gehör in dieser Hinsicht so sehr voneinander abweichen. Da nun Opium die Tätigkeit des Geistes im allgemeinen anregt, regt es notwendigerweise auch jene besondere Art seiner Tätigkeit an, die uns befähigt, aus dem rohen Material organischer Töne einen höheren geistigen Genuß zu schaffen. »Aber«, sagte mir einmal ein Freund, »eine Aufeinanderfolge musikalischer Töne ist für mich dasselbe wie eine Aneinanderreihung arabischer Buchstaben. Ich kann keine Idee damit verbinden.« Ideen, lieber Freund, die gehören auch nicht hierher. Jede Idee, die hier möglich wäre, ist lediglich durch eine besondere Art von Gefühl ausdrückbar. Aber dieses Thema fällt hier zu sehr aus dem Rahmen. Es genügt zu sagen, daß z. B. ein Chor von schöner Harmonie mein ganzes vergangenes Leben wie einen gewirkten Teppich vor mir ausbreitete, und zwar nicht durch die Erinnerung heraufbeschworen, sondern wie in der Musik gegenwärtig und inkarniert. Es war mir nicht mehr schmerzlich, dabei zu verweilen. Die Einzelheiten der Begebnisse verschwammen oder schwanden in nebelhafte Abstraktion; alle Leidenschaften wurden gesteigert, vergeistigt, verfeinert. Und all das konnte man für fünf Schilling haben! Außer der Musik auf der Bühne und im Orchester hatte ich während der Vorstellungspausen die Musik der italienischen Sprache, von italienischen Frauen ausgeführt, denn die Galerie war gewöhnlich mit Italienern gefüllt, und ich lauschte ihnen mit einem Vergnügen, das dem gleich kam, mit dem der Reisende Weld in Kanada dem süßen Lachen indianischer Frauen zu lauschen pflegte. Denn je weniger man von einer Sprache versteht, um so empfindlicher ist man für die Melodie oder die Rauheit ihrer Worte. So wurde es mir hier zum Vorteil, daß ich nur wenig Italienisch gelernt hatte; lesen konnte ich es wohl, aber sprechen nicht im geringsten und verstehen vielleicht ein Zehntel von dem, was ich gesprochen vernahm.
Dieses waren meine Genüsse im Opernhause – aber ich kannte noch einen anderen Genuß, den ich mir nur an Sonnabendabenden verschaffen konnte, der gelegentlich mit meinem Opernenthusiasmus in Konflikt geriet; denn damals spielte die Oper nur Dienstag und Sonnabend abend. Ich fürchte, daß ich mich hier etwas dunkel ausdrücke, jedoch versichere ich den Leser, daß es nicht dunkler ist, als Marinus in seinem Leben des Proklus oder manche anderen Biographen und Autobiographen von bestem Rufe zu tun pflegen. Dieses Vergnügen, sagte ich, konnte ich mir nur an Sonnabenden verschaffen. Warum war die Sonnabendnacht für mich mehr als jede andere? – Ich hatte keine Arbeit, von der ich ausruhen konnte, keinen Lohn zu empfangen; aus welchem anderen Grunde, als um die Grasini zu hören, freute ich mich besonders auf die Sonnabende? Stimmt, lieber Leser! Alles, was du einwendest, ist unwiderlegbar. Aber so ist es und so bleibt es: Unterschiedliche Menschen leiten ihre Gefühle in unterschiedliche Kanäle, und die meisten zeigen ihre Gefühle für die Armen in erster Linie durch ihre Sympathie mit ihren Sorgen und Nöten; ich zeigte sie damals durch meine Teilnahme an ihren Freuden. Die Schrecken der Armut hatte ich ja erst kürzlich am eigenen Leibe erfahren, in einem Maße, daß ich kaum den Wunsch hatte, mich ihrer zu erinnern; aber die Freuden der Armen, ihre geistigen Tröstungen, ihre Erholungen von der körperlichen Arbeit mit ihnen zu teilen, kann niemals niederdrückend wirken. Der Samstagabend aber ist die Zeit für die regelmäßig wiederkehrende Erholung der Unbemittelten. In diesem Punkte sind sich die feindlichsten Sekten einig; ein brüderliches Band umschließt die ganze Christenheit bei ihrem Ausruhen von der Arbeit einen Tag lang und zwei Nächte. Deshalb fühle ich mich an Samstagabenden auch so, als wäre ich vom Joch der Arbeit erlöst, hätte meinen Lohn empfangen und es stände mir bevor, mich dem Genusse der Ruhe hingeben zu dürfen.
Um deshalb ein mir so sympathisches Schauspiel so tief als möglich genießen zu können, pflegte ich oft Sonnabend abends, nachdem ich Opium genommen hatte, auszugehen und, ohne mich um die eingeschlagene Richtung und Entfernung zu kümmern, nach all den Märkten und anderen Teilen Londons zu wandern, wo die Armen in der Samstagnacht ihren Lohn umzusetzen pflegen. Manche Familie habe ich beobachtet, wenn Mann, Frau und ein oder zwei Kinder über den Stand ihres Barvermögens berieten, wenn sie über den Preis von Lebensmitteln und Haushaltgegenständen ihre Meinungen austauschten, habe ich oft zugehört. Nach und nach wurde ich bekannt mit ihren Wünschen, ihren Nöten und ihren Anschauungen. Manchmal vernahm ich das Murren der Unzufriedenen, aber noch öfter den Ausdruck der Zufriedenheit oder wortreiche Äußerungen, von Geduld, Hoffnung und innerer Ruhe zeugend. Und alles in allem genommen muß ich sagen, daß der Arme philosophischer als der Wohlhabende ist, denn er unterwirft sich anstandsloser und heiterer allem, was er für ein unvermeidbares Übel oder für einen unausweichbaren Verlust hält. Wenn ich irgendwie die Gelegenheit sah, mich, ohne aufdringlich zu erscheinen, unter die Leute zu mischen, tat ich es und gab meine Meinung ab, die, wenn sie auch nicht immer richtig erschien, stets mit Bedacht aufgenommen wurde. Waren die Löhne ein wenig gestiegen oder erschien es so, als wenn sie steigen würden, war das Brot ein bißchen billiger geworden, schienen die Zwiebeln und die Butter im Preise herunterzugehen, so war ich froh; war jedoch das Gegenteil der Fall, so gewährte mir das Opium ein wenig Trost. Denn das Opium kann – wie die Biene, die gleichmäßig aus den Rosen und aus dem Ruß der Schornsteine ihren Honig zu holen weiß – alle Gefühle in Übereinstimmung bringen, gleichwie es Normalschlüssel gibt, die für jedes Schlüsselloch passen. Manche dieser Streifzüge führten mich weit weg, denn ein Opiumesser ist zu glücklich, als daß bei ihm die Zeit eine Rolle spielte. Und manchmal führten meine Versuche, mich nach nautischen Prinzipien heimwärts zu steuern, indem ich mich nach dem Polarstern richtete und mich nordwestlich halten wollte, statt alle Kaps und Landzungen zu umschiffen, an denen ich auf der Hinreise vorübergekreuzt war, plötzlich in solch verschlungene Probleme von Alleen, solch rätselhafte Kreuzungspunkte, solche Sphinxrätsel von Straßen ohne Durchfahrten, daß sie wahrscheinlich selbst den Wagemut eines Gepäckträgers verspottet oder den Verstand eines Droschkenkutschers verwirrt haben würden. Manchmal kam es mir so vor, als sei ich der erste Entdecker dieser » Terrae incognitae«, und es überkam mich ein leiser Zweifel, ob sie je schon in den Stadtplänen von London verzeichnet worden seien. All dies aber mußte ich in späteren Jahren teuer bezahlen, als das Gesicht des Menschen meine Träume tyrannisierte, als die Verwirrung meiner Schritte in London zurückkam und in meinen Schlaf hineinhöhnte, eine Verwirrung meiner moralischen und intellektuellen Fähigkeiten erzeugte, daß mein Gewissen und mein Verstand mit Angst und Grauen erfüllt wurden.
Ich habe gezeigt, daß Opium nicht notwendigerweise Untätigkeit oder Stumpfsinn erzeugen muß, daß es mich, ganz im Gegensatz dazu, oft in die Theater und auf die Märkte lockte. Doch muß ich aufrichtig gestehen, daß Märkte und Theater nicht die rechten Aufenthaltsorte sind für den Opiumesser, der sich im höchsten Stadium göttlicher Genüsse befindet. In diesem Stadium werden Massen drückend, und selbst Musik ist dann zu sinnlich und zu grob. Er sucht dann gewöhnlich die Einsamkeit und die Ruhe, als unerläßliche Bedingungen für jene Traumzustände und tiefen Versenkungen, die die Krönung alles dessen darstellen, was Opium dem Menschen zu geben vermag. Ich, dessen Fehler es immer war, zu verträumt zu sein und zu wenig Aufmerksamkeit zu haben, der ich kurz nach dem Eintritt in die Universität fast völlig in einen Zustand tiefer Melancholie verfiel, weil ich zu sehr über die in London durchgemachte Leidenszeit grübelte, kannte diese Neigung meines Geistes wohl und tat alles, ihr entgegenzuwirken. Ich war wie ein Mensch der alten Legende, der in die Höhle des Trophonius eingetreten ist, und als Heilmittel dagegen zwang ich mich, in die Gesellschaft zu gehen und meinen Verstand durch ununterbrochene Tätigkeit über wissenschaftlichen Stoffen in fortwährender Bewegung zu halten. Ohne dieses Heilmittel wäre ich wahrscheinlich ein hypochondrischer Melancholiker geworden. In späteren Jahren aber, als meine Gemütsruhe wieder völlig sichergestellt war, gab ich meinem natürlichen Hange zur Einsamkeit nach. Da fiel ich, wenn ich Opium genommen hatte, oft in solche Träumereien, und mehr als einmal geschah es in einer Sommernacht, in einem Zimmer, von dem aus ich die See und eine Meile Land unter mir und in derselben Entfernung die große Stadt Liverpool sehen konnte, daß ich bewegungslos, und ohne auch nur einen Wunsch nach Bewegung zu haben, von Sonnenaufgang bis zum Niedergang am offenen Fenster saß. Man wird mir Mystizismus, Böhmeismus, Quietismus und was weiß ich alles zum Vorwurf machen, aber das kümmert mich nicht. Sir H. Vane d. J. war einer der klügsten Männer unserer Zeit; aber meine Leser mögen sich selber überzeugen, ob er in seinen Schriften auch nur halb so unmystisch ist wie ich in den meinigen. Ich sage also, daß es oft vorkam, daß die Szenerie für den Inhalt meiner Träume typisch wurde. Die Stadt Liverpool war die Erde mit ihren Sorgen und ihren Gräbern, die ich hinter mir gelassen hatte, ohne sie ganz aus dem Gesicht zu verlieren oder sie gar völlig zu vergessen. Der Ozean, in ewig ruhevoller Bewegung, überbrütet von taubenähnlicher Stille, würde ziemlich richtig ein Bild meines Geistes und meiner Stimmung wiedergegeben haben. Ich kam mir vor, als stände ich in einiger Entfernung weit über dem Aufruhr des Lebens. Abgestreift waren Fieber und Kampf. Zuflucht hatte ich vor den geheimen Bürden des Lebens gefunden, einen Sabbat des Ausruhens, eine Ausspannung von allem menschlichen Mühen. Hier fand ich die Hoffnungen, die auf den Pfaden des Lebens blühen, vereinigt mit der Friedensruhe des stillen Grabes; die Schwingungen des Geistes waren zu einer unbewegten Ruhe – wie die Himmel – gekommen, und wo einst Angst und Pein war, fand ich jetzt nur noch halkyonischen Frieden; eine Seelenruhe, die nicht von Trägheit herrührte, sondern die Gegenwirkung eines machtvollen, gleichmäßigen Bestrebens war, überkam mich. Kräfte fühlte ich zu unendlicher Tätigkeit und zu unendlicher Seelenruhe.
O gerechtes, wunderbares und mächtiges Opium! Das du gleichmäßig den Herzen der Armen wie der Reichen, gegen Wunden, die nimmer heilen, gegen Qualen, die die Seele aufbrüllen lassen, lindernden Balsam reichst. Beredtes Opium! Das du mit gewaltiger Überzeugungskraft die Auswirkungen des Zornes fortnimmst, das du dem schuldbeladenen Manne für eine Nacht die Hoffnungen seiner Jugend wiederschenkest und das Blut von seinen Händen fortwäschest; das du dem stolzen Manne ein kurzes Vergessen von »nie gutgemachtem Unrecht schenkst und ungerächtem Schimpf«, das du zum Triumph der leidenden Unschuld Meineidige vor den Richterstuhl der Träume lädst und falsches Urteil zur Beschämung führst und ungerechter Richter Spruch umstürzest; das Städte baut und Tempel auf aus der Finsternis Herzen, aus den phantastischen Bildwerken des Hirnes, die weit die Kunst des Phidias und Praxiteles, Babylons und Hekatompylos in den Schatten stellen – das aus der »Anarchie traumschweren Schlummers« ins sonnige Licht verstorbne Schönheit ruft, die ohne allen Schandverfall des Grabes noch einmal leuchten darf für deinen Freund. Nur du allein kannst solche Gaben schenken, du wahrst die Schlüssel zu dem Paradies – gerechtes, mildes, mächtiges Opium! –