Ludwig Quidde
Erinnerungen. Im Kampf gegen Cäsarismus und Byzantinismus im Kaiserlichen Deutschland
Ludwig Quidde

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Wilhelm II.

Was ich mit dem Caligula gewollt und gemeint habe, kann ich heute ja ohne Rücksicht auf den Staatsanwalt aussprechen. Auch heute aber muß ich an erster Stelle wiederholen, was in meiner »Erklärung« vom 23. Mai 1894 steht, daß es mir höchst zuwider war, die Schrift durch die Kreuzzeitung in die Sphäre der persönlichen Skandalsucht hineingezogen zu sehen. 51 Was ich bezweckte, war etwas sehr Ernsthaftes: das deutsche Volk zu warnen vor den Gefahren, die in der unberechenbaren, einer konsequenten Politik unfähigen und oft an die Grenze geistiger Abnormität streifenden Persönlichkeit des Kaisers lagen, gleichzeitig den Byzantinismus, die Charakterlosigkeit und den Servilismus zu bekämpfen, mit dem nicht nur (wie wir heute nach Veröffentlichung der Memoirenwerke noch viel besser wissen als damals) die nächste Umgebung des Kaisers, sondern große Teile der Bevölkerung das Selbstbewußtsein und die tolle Überhebung des Monarchen förmlich züchteten und seine Unberechenbarkeit erst zu einer das Leben des Reiches bedrohenden Gefahr machten.

Ich habe die in die Augen fallenden Ähnlichkeiten mit den Berichten römischer Schriftsteller über Caligula benutzt, um dem Leser klarzumachen, wie bedenklich bezeichnend diese Züge im Charakter und in der Handlungsweise des Kaisers seien, Züge, über die man im Publikum sich wunderte, sich ärgerte, lachte, spottete, auch entrüstete, ohne sich aber klarzumachen, wie ernst man sie doch als Symptome einer dem Ernst des öffentlichen Lebens nicht gewachsenen Persönlichkeit an so hoher Stelle zu nehmen habe.

Wilhelm II. teilte mit Caligula das Spielerische, die Neigung, zu posieren, zu glänzen, die nervöse Hast, die sprunghaft und widerspruchsvoll von einem Gegenstand zum andern eilt, den Glauben, alles selbst zu wissen und zu können, die Sucht, alles selbst auszuführen, die Mißachtung fast jeder selbständigen Kraft, die dilettantische Besserwisserei und die Geringschätzung ernster Sachlichkeit und Sachkunde, die Prunk- und Verschwendungssucht, die sich besonders auf Bauten wirft, das Gefallen an kriegerischem Schaugepränge, an spielerischen Manövern, die auf theatralischen Schein hinauslaufen, die Neigung, rednerisch zu glänzen und mit Kraftworten den Menschen imponieren zu wollen (»oderint dum metuant«), die Vorliebe für Äußerungen, die einem Bramarbas besser anstehen als einem seiner Stellung bewußten Herrscher, die komödiantische, in Äußerlichkeiten sich gefallende Art, die sich auch in fortwährendem Wechsel der Kleidung betätigt, die Berufung endlich auf göttliche Sendung in Wendungen, denen nicht viel am Anspruch auf Gottähnlichkeit fehlt.

Wie viele von Caligula berichtete Einzelheiten, oft ganz unbedeutender Art, genau auf Wilhelm II. passen, war förmlich unheimlich. Meine Schrift war deshalb voll von Anspielungen, die man heute nicht mehr verstehen wird. Mir selbst geht es so. In alten Zeitungsausschnitten fand ich zu der Bemerkung meiner Schrift, Caligula habe einen Offizier, der seine 52 Unzufriedenheit erregt hatte, mit einem ganz inhaltlosen Briefe an König Ptolemäus nach Mauretanien geschickt, die kritische Glosse, weshalb ich nicht lieber gleich gesagt hätte, an den Sächsischen Hof nach Dresden. Ich habe heute keine Ahnung mehr, um was es sich dabei handelt. So wird es vielen Lesern noch mehr als mir selbst mit vielen Stellen ergehen. In welch geradezu verblüffendem Grade Parallelen sich darboten, zeigt eine Korrespondenz, die ich nach Erscheinen des Caligula mit einem Münchner Kollegen hatte. Nicht lange Zeit vorher hatte der Kaiser die Schack-Galerie, die ihm durch Testament des Grafen Schack zugefallen war, der Stadt München als Geschenk überlassen. Der Kollege schrieb mir, so viel ich auch von Caligula berichten könnte, was an die Gegenwart erinnerte, so würde ich doch sicherlich nicht behaupten können, daß Caligula einer italienischen Provinzialstadt eine Gemäldesammlung oder ein Museum geschenkt habe. Ich konnte ihm prompt eine Stelle aus einem der römischen Autoren zitieren, in der von einer ganz ähnlichen Schenkung berichtet wurde. Ich habe im Augenblick nicht die Zeit, nach der Stelle wieder zu suchen, und es kommt ja auch nicht darauf an.

Um recht zu würdigen, wie bedenklich die doch nicht nur auf Äußerlichkeiten beschränkte Ähnlichkeit Caligula–Wilhelm II. war, muß man sich an die Dinge erinnern, mit denen damals und später Wilhelm II. die Welt in Erstaunen setzte. Es waren oft nur kindische, oft aber auch sehr gefährliche Extravaganzen. Die heute Lebenden wissen zum Teil nichts mehr davon, wie er in der Nacht die Garnisonen alarmierte, wie er in militärische Dinge mit immer neuen Verordnungen, oft der kleinlichsten Art, eingriff, wie er bei Manövern sich nicht als Oberster Kriegsherr zurückhielt, sondern als Führer einer Partei auftrat und glänzende Manöversiege erfocht (nach den neueren Veröffentlichungen auch in den Kriegsspielen, die zu sehr ernstem Zweck in der Armee gepflegt wurden), wie er sich nicht genug tun konnte in Prunk und Repräsentation, wie er es für nötig hielt, zu jedem Anlaß in der dazu passenden Uniform zu erscheinen (man behauptete, daß er zu einer Dampferfahrt auf dem Wannsee Marineuniform angezogen habe, und daß es nichts Seltenes sei, wenn er am Tag mehrmals die Kleidung wechsle), wie er es schicklich fand, den Minister Scholz, der es nur zum Einjährigen oder Unteroffizier gebracht hatte, zum Leutnant zu ernennen, wie er (ein Beweis seiner inneren Unsicherheit) bald Menschen, besonders auch ausländischen Herrschern, schmeichelte, bald sie durch Taktlosigkeiten vor den Kopf stieß, wie er seine Energie sich in großen Worten austoben ließ, um dann oft genug, wenn er auf ernste Hindernisse stieß, einen Rückzug anzutreten, wie er es liebte, als Mann 53 in den Dreißigern den überlegenen, fürsorglichen Landesvater zu spielen, und wie er sich dann wieder wie ein grimmer Tyrann gebärdete, wie er den Soldaten sagte, sie müßten auf seinen Befehl auf Vater und Mutter schießen, wie er von dem Bewußtsein seiner gleichsam göttlichen Mission sprach und dem Volk erzählte, er führe es herrlichen Zeiten entgegen, wie er die Nörgler, die an seine göttliche Sendung nicht glauben wollten, aufforderte, auszuwandern und den Staub von den Pantoffeln zu schütteln, wie er die ganze Sozialdemokratie als Reichsfeinde behandelte, wie er auf der anderen Seite aber auch alle jene vor den Kopf stieß, die in der Neugründung des Reiches das Werk Bismarcks und daneben auch Moltkes verehrten, indem er alles Verdienst seinem Großvater zuschrieb, neben dem alle anderen nur des großen Kaisers Handlanger gewesen seien, wie er unter offenbarer Anspielung auf die Widerstände, die er bei Bismarck gefunden hatte, drohte, wer sich ihm entgegenstelle, werde er zerschmettern, wie er aber zugleich das Ausland in Unruhe versetzte, indem er waffenklirrende Reden hielt und bei den unpassendsten Gelegenheiten mit dem Säbel rasselte, wie er später Deutschland vor der ganzen Welt bloßstellte, indem er den nach China abgehenden Soldaten empfahl, keinen Pardon zu geben und ein Andenken wie vor Jahrhunderten die Hunnen zu hinterlassen, so daß noch nach tausend Jahren kein Chinese wagen solle, einen Deutschen schief anzusehen.

Es ist ja gar nicht zu ermessen, welchen Schaden der Kaiser mit seinen Reden im Innern und nach außen angerichtet hat. Und dabei kam nur ein Teil dessen, was er für die Öffentlichkeit bestimmt hatte, in die Öffentlichkeit. Seine Umgebung, insbesondere die verantwortlichen Männer, waren oft genug in Angst, was er wohl sagen würde, und darauf vorbereitet, das Bedenklichste zu unterdrücken. Vom Fürsten Bülow erzählten Journalisten, daß er bei einem bestimmten Anlaß gesagt habe, zum Glück habe die Welt ja nicht alles erfahren; aber es dringe noch immer viel zu viel durch; mehr als zweimal am Tage könne er ihn unmöglich trockenlegen.

Über die Persönlichkeit als Ganzes ist ja nicht leicht zu urteilen. Mit einem einfachen Verdammungsspruch ist es nicht getan. Gar nicht zu bestreiten ist, daß der Kaiser eine ungewöhnlich reich und vielseitig begabte Persönlichkeit ist, ausgestattet mit rascher Fassungsgabe und mit mannigfachen Interessen. Aber er ist der geborene Dilettant, der auf Grund zufällig erworbener, oft zusammenhangloser Kenntnisse alle Fragen zu beherrschen glaubt, über alles redet, als ob er ein Fachmann sei, auch in alles glaubt eingreifen zu können. Das ist zugleich das Kennzeichen der Halbbildung. 54 Während der wahrhaft Gebildete immer mehr die Grenzen seines Wissens erkennt und dadurch bescheidener wird, verführt die Halbbildung zur Anmaßung und zur Leichtfertigkeit des Urteils auch über die schwersten und verwickeltsten Probleme. Ich habe diese Gedanken einmal in aller Öffentlichkeit und unter den Augen eines überwachenden Polizeibeamten auszuführen versucht, als ich von den damaligen Nationalsozialen nach einem Vortrag Naumanns über den Kaiser zu einem rednerischen Zweikampf herausgefordert wurde. Naumann lebte ja damals noch dem Glauben, nicht nur Demokratie und Kaisertum miteinander versöhnen zu können, sondern auch auf Wilhelm II. für die Durchführung seiner Ideale rechnen zu dürfen. Er ist dann später wohl sehr gründlich von dieser Auffassung zurückgekommen.

Es wäre unrecht, nicht auch sympathische Züge der Persönlichkeit anzuerkennen. Oft konnte man Leute treffen, die von seiner Liebenswürdigkeit ganz gefangengenommen waren. Ich erinnere mich der Rede, die er bei der Hochzeit seiner Tochter mit dem Braunschweiger Herzog gehalten hat. Sie war herzgewinnend, auch ganz einfach und natürlich.

Gegen manche Zeugnisse, die seine Liebenswürdigkeit und Jovialität preisen, muß man freilich sehr mißtrauisch sein; denn oft erhielt man bei näheren Nachfragen ein Bild, das keineswegs anziehend war. Er liebte burschikose, ja mehr als burschikose Scherze, auf Kosten der Teilnehmer einer Gesellschaft, seiner Gäste. Das reizend zu finden, dazu gehörte oft ein durch Untertanengeist verdorbener Geschmack. Andere fanden es geschmacklos, entwürdigend für des Kaisers Gäste, würdelos für ihn. Es gab ja aber Leute genug, die sich geehrt fühlten, wenn sie gewürdigt wurden, das Objekt verletzender Späße oder kränkender Kritik zu sein – wenn sie nur beachtet wurden. Jemand, den ich gut gekannt habe, gehörte zu den Günstlingen des Kaisers, war aber vorübergehend in Ungnade gefallen. Eines Tages kam er frohlockend: Jetzt bin ich wieder obenauf; der Kaiser hat an den Rand eines von mir herrührenden Schriftstückes geschrieben: »S. ist ein Esel.«

Oft ist davon gesprochen worden, daß er fast nur von Schmeichlern umgeben war und selten ein Wort freimütiger Kritik zu ihm drang. Man konnte ihm offenbar mit ganz dick aufgetragenen Schmeicheleien kommen, ohne daß er dadurch abgestoßen wurde. Freimütige ernsthafte Kritik wurde in manchen Fällen gut aufgenommen. Fürst Eulenburg konnte sie im Vertrauen auf des Kaisers Freundschaft wagen. Der jüngere Moltke hat sie einmal mit Nachdruck und Erfolg an den Manöver- und Kriegsspielkomödien geübt. Im allgemeinen bleibt es aber doch dabei, daß 55 Schmeicheleien ihn in eine immer maßlosere Überschätzung seiner Persönlichkeit hineinsteigerten, und daß für nüchterne Kritik kein Raum war.

Es scheint mir auf ihn, mutatis mutandis, d. h. mit starken Abschwächungen, aber doch in den charakteristischen Grundzügen zuzutreffen, was von Caligula gesagt wurde, daß er über Schmeichler und Freimütige sich zugleich ärgerte und freute, daß er sich manchmal die schlimmsten Dinge sagen ließ, bald über Nichtigkeiten auf das Äußerste aufgebracht war. Eben jenen Günstling, von dem schon die Rede war, fragte er in einer Herrengesellschaft, als die Schrift seines Erziehers Hinzpeter über ihn erschienen war, was er dazu sage. »Verlangen Majestät, daß ich die Wahrheit sage?« »Natürlich, weshalb würde ich Sie sonst fragen?« »Majestät wissen, ich bin ein treuer Diener meines kaiserlichen Herrn; aber was zu viel ist, ist zu viel, eine so widerwärtige Schmeichelei ertrage ich nicht.« »Sie sind aber grob!« »Ja, Majestät, die Wahrheit über alles.« Alles war starr; aber der Kaiser blieb guter Laune. Die Keckheit der Äußerung war nicht Männerstolz vor Königsthronen, sondern ein klug, vielleicht instinktiv, auf Verblüffung berechneter und gelungener Versuch, zu imponieren. Ich würde die Geschichte nicht glauben, wenn sie mir nur der als Renommist bekannte Günstling des Kaisers erzählt hätte. Sie wurde mir aber, fast wörtlich übereinstimmend, von anderer, unbedingt zuverlässiger Seite bestätigt.

In vielen Äußerungen, die vom Kaiser überliefert sind, spricht sich ein, gelinde gesagt, wenig vornehmer Geschmack aus. Von echter innerer Vornehmheit war oft nichts zu spüren. Herrisch und hochfahrend? Ja. Vornehm? Nein.

Alle unsere bürgerlichen Vorstellungen von Wohlerzogenheit überschreitet, was er sich gegen seine Umgebung herausnahm an Geschmacklosigkeiten, wie wenn er z. B. einem hohen Offizier die Gnade erwies, das Getränk, das dieser trinken wollte, mit seinem Finger umzurühren, oder an Vergewaltigungen, wie wenn er erwachsenen selbständigen Mitgliedern des königlichen Hauses, da sie ein Verbot, Schlittschuh zu laufen, übertreten hatten, Hausarrest diktierte und Soldaten ihnen vor die Tür stellte.

Vorgänge in seinem Privatleben gehen uns ja an sich nichts an; wohl aber interessieren sie uns unter dem Gesichtspunkt, daß darin Eigenschaften hervortreten, die für sein öffentliches Wirken so bedenklich waren: die Neigung zu Taktlosigkeiten und Übergriffen.

Damit hat er Deutschland in seinen internationalen Beziehungen unsagbar viel geschadet. Man denke nur an das Verhältnis zu England und zu 56 der ihm verwandten Königsfamilie, zur Großmutter Viktoria, zum Onkel Eduard einerseits und zu Rußland und »Niki« andererseits.

Zur Taktlosigkeit tritt als der unsympathischste aller Charakterzüge eine aus dem steten Posieren, auch bei den wichtigsten Gelegenheiten, sich ergebende Unwahrhaftigkeit von geradezu groteskem Ausmaß. Kann es etwas Abstoßenderes geben als seine Haltung bei Bismarcks Entlassung? Zuerst drängt er ihn in verletzendster, jedem Schicklichkeitsgefühl Hohn sprechender Weise zur Einreichung seines Entlassungsgesuches. Es kann ihm gar nicht schnell genug gehen. Dann, als er glückselig ist, endlich das Joch abgeworfen zu haben, telegraphiert er dem Großherzog von Sachsen-Weimar: »Mir ist so weh ums Herz, als hätte ich noch einmal meinen Großvater verloren. Aber von Gott Bestimmtes ist zu ertragen, auch wenn man daran zugrunde gehen sollte.«

Das für die Leitung der nationalen Geschicke schlimmste Element in ihm war vielleicht die Unberechenbarkeit und Sprunghaftigkeit seines Handelns. Er hatte oft genug überhaupt kein festes, konsequentes Wollen, sondern nur Wallungen.

Das ist, wie in vielen, vielen anderen Fällen auch zu beobachten in seiner Haltung vor Ausbruch des Krieges. Wenn man einen Teil seiner Randbemerkungen zusammenstellt, so gewinnt man das Bild eines besonnenen durchaus auf Erhaltung des Friedens bedachten Mannes. In anderen Bemerkungen aber, und zwar aus den gleichen Tagen, tritt uns eine Persönlichkeit entgegen, die sich mit größter Brutalität und Verantwortungslosigkeit über alles hinwegsetzt. Und dabei die Form eines Teils dieser Randbemerkungen! Auf welchem tiefen Niveau des Geschmacks und des Gefühllebens!

Zu Anfang des Krieges habe ich im neutralen Ausland viel die Meinung gefunden, der Kaiser sei der Hauptschuldige, der ihn herbeigeführt habe. Ich habe das immer, auch ehe das heute bekannte Aktenmaterial vorlag, auf das entschiedenste bekämpft. Er hat gewiß nicht auf den Krieg bewußt hingearbeitet. Dafür hatte er schon, wie ein guter Beobachter zu sagen pflegte, seine Regimenter und seine Schiffe viel zu lieb. Die waren ihm ja, als Spielzeuge für seine Manöver und Paraden, viel zu schade, um im Krieg gefährdet zu werden. Er führte oft genug, zu seinem und zu unserem Schaden, kriegerische Reden, »das Schwert im Munde«, um Bethmann Hollwegs gegen Herrn v. d. Heydebrand gerichtete Worte zu zitieren; aber er war weit entfernt davon, das Schwert ziehen zu wollen und konnte sich viel eher mit Recht rühmen, ein Friedensfürst zu sein.

Ich weiß zufällig von zwei verschiedenen Gelegenheiten, bei denen er in 57 vertraulichem Gespräch, wo es nicht auf den Eindruck nach außen ankam und er sich ungezwungen geben konnte, sein tiefes Gefühl für den Wert des Friedens und seinen Abscheu vor einer auf Krieg ausgehenden Politik aussprach. Die berühmte Rede, die er in Bremen gehalten hat, entsprach wirklich mehr seiner Gesinnung als das auf Wirkung berechnete und in der Wirkung – ach! – so fehlgehende Bramarbasieren.

Nicht durch konsequentes Handeln und Wollen, was seiner Natur ganz fernlag, wohl aber durch seine Unzuverlässigkeit, durch seine Neigung zu Provokationen und durch seine allen vernünftigen Überlegungen unzugängliche Flottenpolitik ist er mitschuldig geworden an der Entstehung der politischen Atmosphäre, aus der der Krieg entstand. Unschuldig ist er im Sinn der Anklage, die noch im Versailler Vertrag gegen ihn erhoben wurde, vertreten von Leuten, die zum Teil schuldiger waren als er. Schuldig ist er, weil er in den entscheidenden Tagen nicht die Kraft seiner besseren Einsicht hatte. Schuldig ist er vor dem deutschen Volke, da er das Kapital von internationalem Vertrauen auf deutsche Politik, das er übernahm, statt es zu mehren, verwirtschaftet und damit das Unheil über uns heraufbeschworen hat.

Aber daran ist das deutsche Volk nicht ohne schwere Mitschuld, besser gesagt: ein großer Teil des deutschen Volkes in allen seinen Schichten.

Wie böse es in der nächsten Umgebung des Kaisers aussah, wurde schon erwähnt. Heute wissen wir, daß es damit noch schlimmer und verächtlicher stand, als wir damals ahnen konnten. Veröffentlichungen, die seit dem Zusammenbruch erfolgt sind, zeigen uns, daß gar mancher in dem Kreise, der dem Kaiser schmeichelte, schlimmer über ihn dachte als der Verfasser des Caligula.

Ein Gegengewicht, möchte man meinen, hätte die auf ihre wissenschaftliche und geistige Unabhängigkeit so stolze Welt der Gelehrten und Künstler bieten müssen. Gewiß gab es in ihr unabhängige Geister, die entweder unbekümmert um das offizielle Treiben ruhig ihrer Arbeit nachgingen oder auch, wenn diese ihre Kreise störte, mutig protestierten. Aber wieviel Byzantinismus daneben, groß geworden schon im vorangegangenen Menschenalter, als die Anbetung des Erfolges um sich griff und Männer, die früher aufrecht standen, den Rücken vor den Hohenzollern oder vor dem eisernen Kanzler bis zur Erde beugten!

Unabhängige Künstler wissen davon zu erzählen, wie viele ihrer Kollegen sich dem von ihnen innerlich zum mindesten belächelten dilettantischen, nur auf Glanz und Repräsentation gerichteten Geschmack des Kaisers 58 anpaßten. Aus der Gelehrtenwelt erwähne ich nur ein Beispiel, das mir gerade in den Sinn kommt. Bei einer akademischen Feier an einer deutschen Universität sagte der Festredner: Was den deutschen Gelehrten erhebe, sei das Bewußtsein, daß streng, aber gerecht auf der Arbeit eines jeden von uns das Auge unseres erhabenen Herrschers ruhe. Gewiß waren so ekelhafte Äußerungen der Knechtseligkeit eine Ausnahme; aber daß sie überhaupt möglich waren, sogar möglich, ohne einen Sturm der Entrüstung zu erregen, ist schon schlimm genug.

Was konnte man in vielen, gut bürgerlichen Kreisen nicht für Kaisertoaste erleben! Zum Übelwerden! Und dabei waren es im übrigen Leben ganz ehrenwerte, anständige Leute, die sich so erniedrigten. Die Empfindung dafür, das Bewußtsein der Unwahrhaftigkeit oder Würdelosigkeit war ganz verloren gegangen. Den einzigen würdigen Kaisertoast habe ich in der Königshalle in Königsberg (dem vornehmsten Lokal der Stadt) vom kommandierenden General bei der Feier des Krönungstages (18. Januar) gehört: »Der alten Sitte gemäß erheben wir unser Glas und trinken auf das Wohl Seiner Majestät des Kaisers und Königs. Kaiser Wilhelm lebe hoch!«

Wie sündigte nicht ein großer Teil der Presse! Wenn der Kaiser sie las, besonders bei festlichen Anlässen, mußte er glauben, ein wahrer Halbgott zu sein, überall geliebt und bewundert. Eine an sich unbedeutende, aber bezeichnende, komische Kleinigkeit ist bei mir haften geblieben. Manche Zeitungen hatten sich so daran gewöhnt, von Wilhelm I. als dem »Heldenkaiser« zu sprechen, daß sie schon gar nicht mehr wußten, daß es eigentlich »Kaiser« hieß, und daß sie munter weiter das Klischee auf Wilhelm II. als »Heldenkaiser« Nr. 2 anwandten.

Und die Volksmassen? Wie dicht standen sie, und wie jubelten sie ihm zu, wenn er, von Exerzierübungen oder einer Parade zurückkehrend, an der Spitze seiner Regimenter durch das Brandenburger Tor einzog! Daß viele von ihnen dem Umzug eines Zirkus ähnlich zugejubelt hätten, sagte er sich sicher nicht. Seine Umgebung wird ihn darin bestärkt haben, daß das alles Bekundung einer ungemessenen Bewunderung sei. Ebenso und noch mehr, wenn er unterwegs war und überall festlich empfangen wurde. Bei seiner Reiselust kam er aus den Huldigungen gar nicht heraus.

Was wollte die Kritik in der Presse und in den Reden der Opposition dagegen besagen? Das erschien als gehässiges Nörglertum, und angesichts des stetig fließenden Stromes begeisterter Huldigungen konnte man diese Auffassung dem Kaiser nur zu leicht suggerieren.

Nur einmal schlug das um, mit elementarer Gewalt, und da gerade aus 59 einem Anlaß, bei dem der Kaiser relativ am wenigsten im Unrecht war. Alle Älteren erinnern sich des furchtbaren Sturmes, der gegen ihn losbrach nach dem Daily-Telegraph-Interview im Jahre 1908, in dem der Kaiser unter anderem die Engländer daran erinnerte, daß er ihnen einen Feldzugsplan zur Niederwerfung der Buren gemacht haben wollte. Das war ja haarsträubend, besonders in Erinnerung an das berühmte Krüger-Telegramm, das die Buren ermutigt und, wie mir selbst Buren gesagt haben, in den Krieg voll Vertrauen auf die Hilfe des deutschen Kaisers hineingetrieben hatte. Aber der Kaiser war insofern unschuldig, als er gerade in diesem Falle nicht auf eigene Hand gehandelt hatte, sondern das Manuskript durch des Reichskanzlers Hände gegangen war. Ja, einer der Nächstbeteiligten hat mir erzählt, daß Bülow der Urheber der Aktion war. Als sie mißglückte und nun wirklich alles über den Kaiser herfiel, von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, deckte Bülow den Kaiser nur sehr unvollkommen und benutzte die Gelegenheit vielmehr, um sich auf das Piedestal eines Vertreters der Volksstimmung gegen den Kaiser zu stellen. Der Kaiser mußte geloben, künftig vorsichtiger und schweigsamer zu sein. Es war die schlimmste Demütigung, die einem Hohenzollern widerfahren war, seit Friedrich Wilhelm IV. sein Haupt vor den Leichen der Barrikadenkämpfer entblößen mußte. Begreiflich, daß der Kaiser das Bülow nie verziehen hat. Ich habe mich damals sehr zurückgehalten, da ich mit meinem Freunde Venedey einen Widerwillen dagegen empfand, mit einzustimmen, »wo jeder dreckige Kerl seine Stiefel am Kaiser abwischte«.

Ich habe so ausführlich von diesen Dingen gesprochen, weil die Verächtlichmachung des Byzantinismus, der monarchistischen Liebedienerei, ein Hauptzweck des Caligula war und ich noch heute das Bedürfnis fühle, die Schrift auch nach dieser Seite hin zu erläutern.

Die Hauptsache ist aber doch, aus dem Caligula und aus dem Rückblick auf die Kaisergestalt Wilhelms II. zu lernen, wie gefährlich es ist, in einem Volke ohne feste demokratische Tradition eine solche Summe von Gewalt in die Hände eines Mannes zu legen, den der Zufall der Geburt, der Abstammung, an die höchste Stelle im Staat stellt. Die furchtbare Gefahr liegt darin, daß jahrzehntelang Persönlichkeiten bestimmend für das Geschick ganzer Völker werden können, denen jede, aber auch jede Eignung dafür fehlt. Die Geschichte fast aller Dynastien in allen Ländern bietet dafür Beispiele. Daß Wilhelm II. nicht alleinsteht oder auch nur alle anderen Vertreter dieses Typus an Gefährlichkeit für das Gemeinwohl überragt, versteht sich von selbst.

60 Der Wiederkehr solcher Möglichkeiten in Deutschland, der Wiederkehr der Monarchie gilt es vorzubeugen, nachdem uns der Zusammenbruch von 1918 unerwartet die Republik gebracht hat.

Gewiß ist diese Republik nichts weniger als vollkommen. Oft denke ich des Ausspruchs eines französischen Republikaners aus der Zeit der Dritten Republik: »O comme elle était belle, la république – sous l'empire!« (O wie war sie schön, die Republik – unter dem Kaiserreich!) Die Republik hat mit den Folgen des Krieges und des Versailler Friedens eine böse Erbschaft übernommen, die wirtschaftliche Not und die ganze Verwilderung des Rechtsbewußtseins, die der Krieg mit sich gebracht hat. Sie leidet dazu an der Schwäche, daß man zunächst eine Republik ohne Republikaner organisieren mußte, und daß die Republikaner viel zu nachsichtig, viel zu duldsam, viel zu vertrauensselig waren. Französische Republikaner, die mit Deutschland sympathisieren, haben mir oft gesagt, sie begriffen nicht, daß wir die Angehörigen der gestürzten Dynastien oder wenigstens die Thronprätendenten unter ihnen nicht des Landes verwiesen hätten, daß wir nicht gründlich Kehraus in den oberen Verwaltungsstellen gemacht, ja munter weiter reaktionäre Leute an einflußreiche Stellen befördert, daß wir nicht auch nach den tollen Erfahrungen mit der politischen Justiz für einen gewissen Zeitraum die Unabsetzbarkeit der Richter aufgehoben hätten, um erst einmal Herren im Hause der Deutschen Republik zu werden.

Wir wissen ja, wie das gekommen ist; wir wissen auch, daß nicht nur falsche Vertrauensseligkeit daran schuld ist, sondern daß manches, was in Frankreich möglich war, in Deutschland sich nicht durchführen ließ. Aber die Folge ist: Wir haben eine Schwäche der Staatsgewalt gegenüber Kräften, die die Verfassung verhöhnen, wie seit Jahrhunderten nicht. Um so mehr müssen alle, die es wohl meinen mit der Zukunft des deutschen Volkes, sich zusammenschließen, um die Republik zu säubern und zu stärken, um vor allem Republikaner nicht nur im Sinne äußerer Verfassungstreue, sondern Republikaner der Gesinnung zu erziehen.

 


 


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