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Die Schrift von 1894 ist trotz ihrer dreißig Auflagen seit vielen Jahren vergriffen.
Seit dem Zusammenbruch 1918 bin ich immer wieder aufgefordert worden, eine neue Ausgabe zu veranstalten, natürlich (wie meist hinzugefügt wurde) mit einem erläuternden Bericht über die Bedeutung und die Schicksale der Schrift.
Ich habe mich lange dagegen gesträubt.
Mein erster Grund, solche Aufforderungen abzulehnen, lag in der geänderten Stellung zu Kaiser Wilhelm. Seit dem teilweisen Unrecht und der schweren Demütigung, die er 1908 nach dem Daily-Telegraph-Interview erlitten hatte, hatte ich die Waffen gegen ihn gesenkt. Ich war nicht unter seine Verteidiger gegangen; aber ich enthielt mich des Angriffs. Auch sprach bei mir zu seinen Gunsten, wie er 1911 der infamen Kriegshetze der Alldeutschen standgehalten hatte. Während des Krieges mußte ich ihn sogar gegen ungerechte Vorwürfe verteidigen. Die Forderung der Entente, ihn als Kriegsverbrecher auszuliefern, habe ich als eine dem deutschen Volk angesonnene Schmach betrachtet. Seit seiner Flucht nach Holland war er kein Faktor mehr von irgendwelcher Bedeutung für unser öffentliches Leben, und es schien mir unwürdig, dem Gestürzten noch Steine nachzuwerfen, zumal da es einen ekeln konnte, wie viele von denen, die ihm vorher schmeichelten, nun über ihn herfielen.
Dieses Bedenken wurde stark erschüttert, als er mit seinem mehr als anfechtbaren Erinnerungswerk in die öffentliche Diskussion eingriff, es schwand vollends, als der Kaiser sich unentwegt huldigen ließ und solche Huldigungen durch seine Haltung ermutigte, vor allem aber, als die monarchistische Agitation, die auf Rückführung der Hohenzollern gerichtet ist, immer ungescheuter sich breit machte.
Es gab ein zweites Bedenken: die Frage, ob die Neuausgabe auf Interesse und Verständnis rechnen könne. Einer meiner Freunde warnte: Die Schrift sei schon fast legendarisch geworden; die Leute erinnerten sich, daß ich vor mehr als 30 Jahren den Caligula veröffentlicht habe, und daß das eine fast prophetische Warnung an das deutsche Volk gewesen sei; die jüngere Generation werde die Schrift nicht mehr verstehen und schätzen 62 können. Es würde die Wirkung nicht stärken, sondern abschwächen, wenn sie jetzt wieder leibhaftig vor die Augen der Leser komme.
Auch dieses Bedenken erledigte sich, und zwar auf dem Wege des Experiments. Wenn junge Leute mich um die Schrift baten, lieh ich sie ihnen und warnte sie, sie würden wohl nichts darin finden und wahrscheinlich nicht verstehen, weshalb sie ihrerzeit ein solches Aufsehen gemacht habe. Regelmäßig sprachen die Empfänger, wenn sie die Schrift zurückbrachten, von dem starken Eindruck, den sie davon empfangen hätten.
Die noch zurückgebliebenen Hemmungen wurden überwunden durch die Erwägung, daß wir jetzt in einem Entscheidungskampf zwischen der Republik und der monarchistischen Bewegung stehen.
Nicht, daß es entscheidend wäre, ob am 20. Juni [1926, bei der Volksabstimmung über die Fürstenenteignung] die 20 Millionen Stimmen erreicht werden. Ich bin gewiß Republikaner und doch ein Gegner der entschädigungslosen Enteignung. Aber die Frage ist, ob nicht, nachdem der Reichstag so kläglich versagt hat, das Ja beim Volksentscheid das geringere Übel ist. Wird der zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf angenommen, so bleibt es ja den Ländern unbenommen, aus freien Stücken den Angehörigen der Dynastien angemessene Abfindungen zu gewähren.
Entscheidend aber ist, daß die Hunderte von Millionen aus unserem verarmten Land nicht in die Hände der Hohenzollern und der Koburger kommen dürfen, um dort vielleicht als Mittel zur Nährung des Kampfes gegen die Republik verwandt zu werden.
In dieser Lage ist es Pflicht jedes Republikaners, die Revision der monarchischen Gesinnung, zu der die ungeheuerlichen Ansprüche der entthronten Herrscherhäuser bei Millionen von Mitbürgern endlich Anlaß gegeben haben, zu fördern und dazu beizutragen, daß auch nach etwaigem Mißerfolg des Volksbegehrens der Reichstag ein Gesetz verabschiedet, das den Fürsten geben möge, was ihnen billigerweise zukommt, aber dem Volke sichert, was des Volkes ist.
Den Wiederabdruck der Schrift habe ich mit viel umfangreicheren Darlegungen begleitet: mit Erläuterungen, die zu einem Versuch der Charakteristik Wilhelms II. angewachsen sind, und mit persönlichen Erinnerungen. Ich hoffe, der Leser wird sie zum Teil lehrreich finden, da sie ihn in die früheren Zustände versetzen, zum Teil auch unterhaltsam, und deshalb die Verbindung der verschiedenartigen Bestandteile zu einem Ganzen billigen.
Pfingsten 1926
L. Quidde