Georg Queri
Der bayrische Watschenbaum
Georg Queri

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Hiasl, lüag'!

Der Hiasl stand in der Holzhütte und hackte drauflos, soweit es seine Pfeife erlaubte, das verwöhnte Ding. Sie wollte entweder zärtlich gestopft oder bedachtsam ausgeklopft sein; einmal gab sich der Wassersack und das andre Mal der Beißer in Behandlung, oder das Weichselrohr strotzte von Saft und Schmer und verlangte mit langen Hühnerfedern gereinigt zu werden. Und dann kam das große Manöver mit Stahl und Stein und Zunder – ach, was sah ich gerne zu, wenn er die Funken schlug, den Schwamm zum Glühen brachte und endlich wollüstig sog und schmauchte, friedsam und beglückt!

Aber mein Großvater fluchte. »Den sei Pfeiferl stiehlt mir mei Zeit und mei Geld. So langsam arbeit' ja koa Maurer net als wia der. Dö Himmiherrgottspfeif', dö malafizische!«

Ich erinnere mich indessen nur an ein einziges Mal, daß der Großvater seine Klagen wegen der Pfeife an den Hiasl selbst richtete. Auch dieses einzige Mal hätte er's nicht tun dürfen: der Hiasl empfand es als schweres Unrecht und lief klappernd und fluchend zum Untern Wirt und seinem Seefelder Bier. Erst drei Stunden später erschien er wieder am Hackstock, reinigte die Pfeife, stopfte sie andächtig und arbeitete mit Stein und Zunder, bis es Feierabend läutete. Und dann mußte er sich wieder einem inneren Zwange fügen und klapperte wieder zum Untern Wirt.

Mein Großvater fluchte diesmal erst, als der Hiasl außer Hörweite war.

Ich aber muß das Klappern erklären: Der Hiasl hatte linksseitig ein Stelzbein, seit dem Siebziger Kriege. Auch fehlte ihm seit dem Krieg das linke Auge; die Lider kniffen sich über der leeren Höhle zu und verharrten in einem ewigen schrecklichen Hohn. Und dann kam die scharfgekrümmte Nase dazu, wie zum Zuhacken bereit, und der fuchsrote Bart, biergebeizt und verwildert, und die überaus kühne Adlerfeder auf dem grünen Spitzhütl.

Das war wohl allerhand. Unser kleiner Hüterbub', der Zacherl, hatte einmal den Teufel im Wangerer Wald gesehen. Er war als Jäger verkleidet und trug eine Hahnenfeder auf dem grünen Spitzhütl – sonst hätte der Hiasl den Zacherl furchtbar bei den Ohren genommen: der Teufel hatte auch die scharfe Nase, den fuchsroten Bart und das verkniffene Auge. Aber statt der Adlerfeder sah der Zacherl eine Hahnenfeder, das war sein Glück.

Die Stadtbuben, die im Sommer auf unsern Hof kamen, waren dem Hiasl gegenüber recht scheu, weil sie ihre Märchenbücher hatten mit den Menschenfressern drinnen. Aber dann gingen sie doch mit mir in die Holzhütte und lernten, wie man eine Tabakspfeife behandeln muß. Manchmal ließ uns der Hiasl auch rauchen und husten und lachte uns elendiglich aus. Und wenn er sehr spaßhaft aufgelegt war, dann zog er mit den Fingern die Augenlider von der toten Höhle weg und hieß uns die französische Flintenkugel suchen, die man ihm hineingeschossen habe. Oder er schnallte sein Holzbein ab und schlug damit wild in die Luft hinein – so habe er damals die schwarzen Turkos erschlagen, reihenweise.

»Ja, Hiasl, hast denn du im Krieg scho dein' Stelzfuaß g'habt??«.

Da war er sehr ärgerlich und hieß mich ein Malafizriesenrindvieh. Und selbstverständlich habe er mit dem Schießprügel so zugeschlagen.

»Kannst dir dös net vorstelln, du Malafizriesenrindviech?!«

Und erbost schnallte er sein Bein wieder an und klapperte zum Untern Wirt.

 

Es war ihm schon arg gut zuzuhören, wenn er von den Turkos und Zuaven erzählte – nach seiner Sprechweise von den Türkln und Zuaffen (mit dem deutlichen Ton auf »Zu«).

Sie kamen immer in dicken Haufen aus Weinbergen oder aus Wäldern hervorgestürmt, sahen aus wie die Teufel und schrien so laut und so gräßlich, daß alle Leute erschraken. Nur der Hiasl nicht, bei Gott, niemals. Er hatte nur immer zugehauen, von vielen Gewehren die Kolben abgeschlagen und die Kerle reihenweise totgemacht, einmal ein halbes Dutzend, einmal ein ganzes – wie er gerade zum Erzählen aufgelegt war.

Die Stadtbuben störten den Hiasl oft in seinen Erinnerungen. Sie waren viel zu neugierig und hatten eine Unmenge Fragen: ob er gar nie besiegt worden sei??

Der Hiasl lachte verächtlich. »Ös Lausbuam, moant's vülleicht, mir werd a Schwarzer Herr?! Da dürfat da Teifi selber kemma, na packat'n ich bei dö Hörndl!«

Und mit rabiaten Armen fuchtelte er in der Luft.

Ja, aber warum er dann doch ein Auge verloren habe??

»Indem daß im Krieg halt g'schossn werd, net wahr. so müaßts enk dös merka, daß da schon oft oana troffa worn is. Batsch – da sitzt nachat's Kügerl, und 's Aug' rinnt aus, net wahr. Im Krieg is scho allerhand vorkemma. Aber wann der oa schiaßt, na schiaßt der andere aa, net wahr. Schiaßt du her, schiaß ich hi – batsch, legt's dich hi, und's Aufsteh' werst vergessn, dös mirkst dir. Dös giebt's fei net, daß der Hiasl net hischiaßt, wann oana herschiaßt!«

Ja, wenn aber einem Soldaten ein Auge ausgeschossen sei, dann müsse er doch heim vom Krieg?? Oder ins Lazarett??

Wegen einem einzigen Aug' tät er noch lang nicht heimgehn und in kein Lazarett erst recht nicht, brummt der Hiasl. »Oans von zwoa ab tuat oans, nach Adam Riese, net wahr, und wann ma mit oan' Aug auf d' Uhr schaugn ko, ko mar aa mit oan' Aug züln und schiaßn. Bitschbatsch und bitschbatsch, da wird halt weiterg'schossn, wann Krieg is.«

Ja, und wie denn das mit dem Bein gekommen sei??

»Mit dem Haxn, net wahr? Wia's mit dem Haxn kemma is?« Der Hiasl schaut liebevoll in seine Pfeife, stochert mit dem Zeigefinger drin herum und erklärt, daß es eine Kanonenkugel gewesen sei.

Ob es eine große Kanonenkugel gewesen sei oder eine kleine??

Jetzt steckt er die Pfeife in den Mund, weil er beide Hände und beide Arme braucht, um vor seinen Bauch einen Kreis aufzubauen, so groß wie die Kanonenkugel gewesen ist. Dann nimmt er die Pfeife wieder aus den Zähnen, legt sie vorsichtig auf den Hackstock und versucht allerhand pfeifende, gurgelnde, donnernde Geräusche aus der Lunge zu pressen, um die große Kanonenkugel ansausen, bersten und poltern zu lassen. Unterdessen sind auch seine Hände nicht müßig und schnallen wieder einmal das Bein ab, um es weit wegzuwerfen.

»So is er mir wegg'flogn, mei Haxn!«

Ein Grauen faßte uns.

»Eigntli is er no vül weiter g'flogn,« wiederholt der Hiasl gleichmütig. »A fufzg Meter weit is er g'flogn. Is in den Bach neig'falln und furtg'schwumma. Wern ihn scho d' Fisch g'fressn ham.«

Wir schleichen bedrückt und langsam aus der Hütte, Mitleid im Herzen gegen den armen Hiasl und Haß gegen die Fische, die ihm das Bein weggefressen haben.

»Er lacht!« sagt einer der Stadtbuben plötzlich, bleibt stehen und horcht. »Jetzt lacht er!«

Ich empöre mich gegen die Stadtbuben. »Moant's ös vülleicht, dös is zum Lacha, wann oan' a Kanonakugel an Haxn wegreißt und teanan 'n d' Fisch fress!?«

»Aber gelacht hat er!« beharren die Stadtbuben und stecken Zweifel in ihren Gesichtern auf.

 

Man muß auch wissen, daß der Hiasl vom Militär einen schönen Batzen Geld bekam für seine Tapferkeit, sein Auge und sein Stelzbein.

Aber er konnte sich nie ganz auf sein Gedächtnis verlassen: meistens war's so viel, daß er dem Bauern zu Reissen im Niederbayrischen seinen Hof mit neunhundert Tagwerk Grund abkaufen konnte.

Wieviel das sei?? meinten die Stadtbuben.

»Dös ganze Gebürg kunnt ma 'neistelln und dö Stadt Münka und ganz Tutzing und Hadorf.« Und dann wär' noch Platz für zehn Paare Schuhplattler zum Tanzen.

Was er da alles gebaut habe??

»Nix als wia Radi, lauter Radi und wieder Radi.«

Ob er die alle selber gegessen habe??

Haha! Da müsse er völlig lachen. Die Rettiche seien so groß gewesen, daß ein Mann in einem Jahr kaum einen habe aufessen können. Die meisten vier Zentner schwer, viele noch schwerer.

Wie schwer dann diese gewesen seien??

Das sei gar nicht auszusprechen gewesen, wie schwer Aber so groß seien sie gewesen, daß man sie nur habe aushöhlen brauchen, um sie als Kuppeln auf die großen Kirchtürme zu setzen.

Wo man so eine Kuppel sehen könne??

Ja, die könne man leider nirgends sehen. (Hier mußte der Hiasl über die Plackerei mit den Stadtbuben ein wenig seufzen und sich ausrastend seiner Pfeife widmen.)

Warum keine solche Kuppel zu sehen sei??

»Weil's halt koane gibt, net wahr!« sagte er verärgert.

Warum aber nicht??

»Himmiherrgotthaxn, net wahr, weil's halt koane gibt. Ös macht's enk ja koan Begriff net, wia lang als dös dauert, bis daß ma an solchern Radi ausgrabt, net wahr. A ganz's Regiment alte Feldzugskameradn hat mir g'holfa von Johanni bis – ich woaß net wia lang. Dö ham fei was essn und trinka möge, dö altn Feldzugskameradn! A Schmarrnpfanna ham ma g'habt, da drin is mei Hüaterbua mit der Egg' und vier Roß davor von Zehni bis Elfi umanandg'fahrn, daß der Schmarrn schön roggl werd und net anbrennt. Dös is enk a Pfanna g'wesn! Und dös hat a Geldl kost' – wia ih den erste Radi ausgraben g'habt hat, bin ich auf der Gant g'wesen.«

Was sei er gewesen??

»Auf der Gant. Bankrott. Firti mit'n Geld und mit Haus und Hof.«

Und was aus dem großen Rettich geworden sei??

Der sei in die Stadt gekommen. In der Stadt seien die ganz gescheiten und die ganz großen Maulaufreißer. Wenn schon die kleinen Stadtbuben das Maul so aufreißen könnten und immer fragen und nix als fragen – die Großen könnten's noch viel besser, und drum habe er den ganz großen Rettich in die Stadt geschickt.

Und wuppsdich – so ein Stadtfrack mit seinem großen Maul habe den Rettich auf einmal verschlungen.

– – Dann klapperte der Hiasl wütend aus der Holzhütte, ließ uns allein und belämmert zurück und widmete sich dem Untern Wirt und dem Seefelder Bier.

 

Aber anderen Tags war er wieder bereit, uns Red' und Antwort zu stehen, und behauptete, einmal sehr reich gewesen zu sein, weil er einem französischen Major das Leben gerettet habe. Der Major sei auf der Flucht in einen tiefen Brunnen gefallen und habe heraufgeschrien: »Ich bin ein französischer Königssohn. und der wo mich rettet, kriegt zehntausend Gulden!«

Ob der französische Königssohn das auf französisch gesagt habe??

»– –, der wo mi derrettn tuat, der kriagt vül Geld, mir kimmt's auf zehntausend Guld'n net o'. Gut, denk ich mir, dös Geldl kannst braucha, Hiasl. Ziahg'n nur ausser und laß dich schö zahl'n. Und ih ziahg'n rauf, und er zahlt mir zehntaus'nd Guld'n auf'n Tisch – –«

Ob der französische Königssohn auf seiner Flucht einen Tisch mitgehabt habe??

»– – und zahlt mir dö zehntaus'nd Guld'n hi und bedankt sich schö und flücht' weiter. Denk' ih mir: Was tuast mit zehntaus'nd Guld'n, Hiasl? An Bauernhof übernehma, a Wirtshaus oder a Kramerei? – –«

Ob er damals den großen Bauernhof im Niederbayrischen erworben habe, den mit den Rettichen??

Der Hiasl sah verdutzt in seinen Pfeifenkopf und spuckte verlegen aus. Damals – nein, damals habe er sich auf den Tierhandel verlegt. »Mit zehntaus'nd Guld'n, net wahr, da kann ma scho an Handl ofanga. Was waar denn net dös!«

Was das für Tiere gewesen seien??

»Frösch'!« sagte er kurz.

Jetzt guckten wir Buben uns hochverlegen an, aber er blieb steif und fest dabei und wiederholte, er habe die ganzen Frösche von Oberbayern zusammengekauft.

Wieviel das gewesen seien?? frugen die Stadtbuben, die sich schon wieder erholt hatten.

Genau wisse er's nicht mehr. Aber weit über hunderttausend Frösche habe er allein vom Bezirksamt Weilheim gekauft.

Was er damit gemacht habe??

Wieder mußte der Hiasl in die Pfeife gucken. Er mußte auch mit dem Zeigefinger in der Asche stochern, bis er die Antwort fand: er habe sie alle nach Preußen verkauft.

Warum nach Preußen??

Weil die preußischen Frösche vor lauter Heikelsein und preußischer Einbildung keine Salatschnecken fräßen, während die bayrischen – und so weiter.

Wie er aber die vielen Frösche bis nach Preußen gebracht habe??

Er habe sie überhaupt nicht nach Preußen gebracht.

????

Nein. Er habe sie zusammengetrieben, einen um den anderen auf die Freisinger Landstraße und immer weiter bis Regensburg hinauf. Und da sei ihm die Donau dazwischen gekommen.

Warum er sie nicht über die steinerne Brücke getrieben habe??

Verwirrt sah der Hiasl die Stadtbuben an und dann seine Pfeife. Über die steinerne Brücke – ja, das habe er schon tun wollen. Freilich habe er das tun wollen. Aber die Frösche seien bayrische Frösche gewesen und hätten nicht preußisch werden wollen.

Allesammen seien sie in die Donau gehüpft und hätten sich ertränkt.

Nur zwei seien durchgebrannt und nach Oberbayern zurück, damit die Rasse nicht ausstirbt. Es könne ihm niemand so ins Gesicht lügen und behaupten: daß es in Oberbayern keine Frösche mehr gebe. Dem wolle er's einmal richtig hinsagen, wenn ihm einer so ins Gesicht lügen tät!

Himmisapperment!

So ein Lügenschippel könnt sich auf was gefaßt machen, Kreuzmillionlaudonnochamal!

 

Es kam aber auch vor, daß die Franzosen einen schönen großen Bauernhof im Französischen in Brand geschossen hatten, und daß der Hiasl den Brand löschte und den schönen Hof rettete.

Der Bauer sagte: »Hiasl, koa Geld' hab' ih net, der Butter is mir ausganga, 's g'selchte Fleisch is stinkar worn, und der Bäurin ihre Hennan mögn net legn – aber von mein' Bienenhaus sollst a Paarl ham vo meine Bienen, da werst deine Wunder erleben!«

Ob er dann ein Wunder erlebt habe??

Die Stadtbuben sollten ihr Maul halten, das Wunder komme schon noch. Er habe die Bienen in sein Schnupftabaksglasl gesteckt und habe den ganzen Feldzug nicht mehr daran gedacht, erst beim Einzug in München, wie er den Buchwieser Ferdl getroffen habe. Der Buchwieser Ferdl sei sehr erfreut gewesen, seinen alten Freund wiederzusehen, und habe laut geschrien, vor allen Leuten und vor dem König: »Grüaß' dich Good, Hiasl, hast an guatn Schmalzlertabak, hau' a Pris her!« Jawohl, einen guten Schmalzlertabak habe er schon, und an einer Prise für einen guten alten Freund liege ihm gar nichts, aber gerade jetzt beim Siegeseinzug und vor allen Leuten und vor dem König, nicht wahr, das schicke sich doch nicht.

Pause. Der Hiasl muß tief in die Pfeife gucken, den Wassersack abnehmen, die Tabaksbrüh' herauslaufen lassen, den Wassersack wieder anmachen, Feuer schlagen, den Zunder auflegen und ziehen und saugen und paffen.

Die Stadtbuben aber fragen dringend, ob jetzt das Wunder mit den Bienen bald komme??

Die Stadtbuben sollten ihr Maul halten, das Wunder komme schon noch. Und der König habe den ganzen Dischkurs mit angehört und sich gar nicht darüber geärgert, sondern vor allen Leuten gesagt: »Hiasl, so hau' eahm halt das Glasl hin, daß die arm' Seel an Ruah gibt!« Jawohl, habe der Hiasl gesagt, Herr König, wannst du es verlangst, dann soll der Ferdl eine Pris' haben. Und er habe ihm das Glasl hingegeben, und der Ferdl habe geschnupft und gleich darauf auwehauweh geschrien. Von wegen die Bienen von dem französischen Bauernhof in Frankreich, wo ihn an der Nasen beschädigt haben.

Aber das richtige Wunder??

»Himmikreuzsternlaudonhaglelement! Wann ih allaweil sag', das Wunder kimmt scho no!«

Und der Ferdl habe mit seinem Getu' und seinem wüschten Auwehauwehgeschrei das Bienenpaar verjagt. Und wenn der König nicht gewesen sei mit seiner Freundlichkeit und hätt' nicht ein paar reitende Schandarm gleich auf die Jagd geschickt, so hätt' die Bienen der Teufel geholt, und das Wunder hätt' sich niemals nicht ereignen können. Aber so – –

– – Stellt euch das vor: in diesem allerschönsten Augenblick kommt mein Großvater mit seiner Wut daher, blinzelt die Pfeife an, brüllt und tobt, haut mir zwei Watschen herunter, den Stadtbuben nur eine per Kopf und jagt uns aus der Holzhütte heraus, bevor das Wunder noch richtig geschehen ist.

Dann spricht er mit dem Hiasl ein Wort, aber es fällt nicht auf den richtigen Boden. Der Hiasl spricht ein Wort dagegen und klappert dann einfach weg zum Untern Wirt und zum Seefelder Bier.

Mein Großvater schreit uns über den ganzen Hof hinweg an: »Ös Lausbuabn, ös miserabligen, ös stehlt's mir d' Zeit und's Geld, ös Malafizlausbuabn!«

»Aber das Wunder?« stammelten die Stadtbuben und sahen mich anklagend an.

 

Auch anderen Tags ereignete sich das Wunder nicht sofort. Wir mußten uns sehr um meinen Großvater herumpirschen, um die Holzhütte ungesehen zu erreichen, und dann verhinderte den Hiasl die verwöhnte Pfeife noch lange am Reden.

Als sie aber endlich richtig brannte, war von den Bienen keine Rede, sondern nur von Weinbergen und von schwarzen Türkln und Zuaffen. Der Hiasl fand sich aus der sehr blutigen Schlacht (in der ihm ein Bajonett abbrach und ein anderes krumm wurde wie eine Sichel) erst in einem Bauernhof wieder zurecht, in dem es nichts mehr zu essen und zu trinken gab.

»Nix zum Essen is arm, hab' ih mir denkt, und steck' an Gockl auf'n Sabl und tua'n schö bratn und sag' zu mein' Kameraden: paß du auf den Gockl auf, daß er net obrennt, ih find' derweil an Wein.«

Wenn es aber doch nichts zu essen und zu trinken gegeben habe??

»Ös Lausbuabn, was versteht's denn ös vom Kriag!! Im Kriag werd's Sach vergrab'n, net wahr, und da muaß ma fleißi nachgrabn.«

Ob man die Gockl auch vergraben habe??

»Lausbuab'n, malafizische! – – Ich nimm also mei Schaufl und grab' und grab', und auf oamal g'spür ih was Hart's. Ah was, denk' ih mir, werd a Stoa sei. Aber wiar ih weitergrab', speibt der Stoa Feuer und is aus Eisen.«

Ob es auch eiserne Steine gebe??

»– – und is aus Eisen und is an eisernes Kastl, so lang und so broat, und wiar ih's aufmach', san lauter goldene französische Kronataler drin, über siebentausend Guldn Wert. Denk' ih mir, dös Geld kannst guat braucha, da fangst amal a große Igelzucht o – –«

Was für eine Zucht?? – »A große Igelzucht.«

Warum aber eine Igelzucht??

»Z'wegn dö Federn von dö Viecher.«

Ob es auch Igel mit Federn gebe??

Wenn es das gegeben hätte, dann hätte er auf die Zucht verzichtet. Aber gerade wegen der Seltenheit' und weil die Weibsbilder alles auf die Hüt' stecken, so habe er Igel mit Federn züchten wollen.

Ob es ihm gelungen sei?

Es sei ihm nicht gelungen, schimpft er. Er sei abermals auf die Gant gekommen, von Haus und Hof. So bankerott sei er gewesen, daß ihn das Gericht mir einem Fußtritt aus seinem Haus geschickt habe. Nichts habe er mitnehmen dürfen als – –

Als die Igel??

Nein, die Igel seien zu Protokoll genommen worden und in die Akten gekommen. Aber sein Schnupftabaksglasl habe er mitnehmen dürfen.

Das mit den Bienen??

Ja, das mit den Bienen. Und wie er die erste Prise geschnupft habe, sei ihm der französische Bauernhof in Frankreich eingefallen, der Buchwieser Ferdl, der König von Bayern, die Bienen und die reitenden Schandarmen. »Und ih fahr' also auf Münka hinteri und suach' meine Schandarm.«

Ob er sie gleich gefunden habe??

Nicht gleich. Sie hätten alle beide ihre Gäule im Leihhaus gehabt, und zu Fuß habe er sie nicht erkennen können. »Ich frag' also an Packträger, ob er net woaß, wo dö zwoa Schandarm wohna. Balst a Maß zahlst, führ ih dih hi, sagt der Packträger und führt mih hi. Guat, ih kimm zu dö zwoa Schandarm, dö fallen mir gleih um an Hals und sag'n: Gott sei Dank und juhe, Hiasl, weilst nur grad da bist beim Dasein! Willst g'wiß deine Malafizbienen hol'n?«

Ja, die wolle er holen.

Gott sei Dank und juhe, weil er nur die Luderbienen holen wolle! Das sei ja aus der Weis', wie die sich vermehren: im ersten Jahr eine Million, im zweiten Jahr zwei Millionen, und die Schandarmen hätten den ganzen Tag Obacht geben müssen, daß ihnen keine davonfliegt.

Ob sie auch viel Honig gehabt hätten??

Viel Honig, und guten französischen Honig. Man habe sie auch melken können, und dann sei ein türkischer Honig gekommen.

Ob er da wieder reich geworden sei??

Reich und arm sei er geworden. Alle Leute seien gekommen, um beim Bienenmelken zuzuschauen, und er habe sich vor lauter Drängelei gar nicht mehr rühren können. Zuerst habe er seinen Melkstuhl an den Köpfen zerschlagen, dann habe er sein Stelzbein abgeschnallt und an den Leuten zersplittert. Aber es habe nichts geholfen, und in seiner Wut habe er die Bienenstöcke unter die Leute geworfen. »Wia halt an anderer sein' Hund hetzt, net wahr, so hab' ih halt meine Biena loslassn auf d' Leut'. Da san s' aber auseinander!«

Die Bienen??

Die Leut' und die Bienen. Es sei ganz Nacht geworden, wie die vielen Bienen ausgeschwärmt seien, und dann wieder lichter, weil sich die Leute zerstreut hätten und die Bienen sie verfolgt hätten. Dann habe er seinen Bienen gepfiffen und habe ihnen gerufen und habe sie gebeten, aber sie seien nicht mehr zurückgekommen, keine einzige mehr.

Warum sie nicht mehr zurückgekommen seien??

»Wann ih halt net französisch pfeiffa ko!« schimpfte der Hias und wandte sich seiner Pfeife zu.

 

Am nächsten Tag sahen wir den Hiasl nicht, weil er nach Weilheim zum Amtsgericht vorgeladen war. Mein Großvater greinte: »Wann s'n nur b'haltn taaten, den Malafizlump'n, den gottvergessna! Der stiehlt mir mei Zeit und mei Geld.« Aber abends sagte er: »Je größer der Lump, desto größer 's Glück. A paar tausend Markl hat er g'erbt, ham s' eahm beim Amtsg'richt bekanntgebn. A seiniger Vetter is g'storbn im Unterland und hat eahm 's ganze Geld vermacht. Da kann er wieder lang schwoab'n, bis dös ganze Geldl durch d' Gurgl g'runna is. Drei Höf' hat er aso scho verjuxt.«

Ich lief mit der Nachricht zu meinen Stadtbuben. Es freute uns alle sehr, daß der Hiasl nun wieder so reich geworden war, und wir wünschten ihn lebhaft herbei, um ihm wenigstens vom Froschhandel und von der Igelzucht abzuraten.

Jetzt glaubten wir ihm auch manches, weil er schon drei Bauernhöfe klein gemacht hatte. Aber an das Bienenmelken wollte niemand von uns glauben.

Es sei auch gleichgültig, sagten die Stadtbuben, ob wahr oder nicht wahr, wenn nur der Hiasl bald wieder käme wegen des Pfeifenrauchens und seiner schönen Geschichten. Aber der Hiasl kam nicht. Es verfloß der ganze Sommer, die Stadtbuben zogen ab, und ich war wieder allein auf unserem Hof. Ich sehnte mich sehr nach unserem Hiasl, seiner Pfeife und seinen Feldzüglertaten, aber er saß in München und ließ die Erbschaft durch die Gurgel rinnen.

Es kam ein anderer Taglöhner für ihn, aber der war wortarm, arbeitete viel und schnupfte, statt zu rauchen. Er war auch im Krieg gewesen, aber wohl nicht da, wo man mit den wilden Schwarzen raufen mußte, weil er mir nie etwas erzählte.

Einmal wurde er krank, und der Doktor sagte zu meinem Großvater, daß er ihm eine Kugel herausschneiden müsse, eine Kugel von Anno Siebzig. Sie sitze im Kreuz und mache ihm viel Beschwerden.

Nicht im Auge? frug ich den Großvater. »Der Hiasl hat oane ins Aug' kriegt.«

»Der Malafizlump!« schimpfte der Großvater. »Seit ihm 's Roß geschlagen hat, stiehlt er mir mei Zeit und mei Geld.«

»Aber ins Aug' ham s'n g'schoss'n, dö Schwarz'n!« beharrte ich.

»Hör mir auf mit deine Schwarz'n! A Roß hat'n g'schlagn in der Batterie. 's Aug' is hing'wen und der Haxn aa.«

»Großvater, wann aba da Hiasl – –«

»Hör' mir auf mit dem Malafizlump'n. 's Roß hat'n g'schlag'n.«

 

Als der Taglöhner wieder geheilt war, wußte er auf meine Fragen nichts anderes, als daß ihm eine französische Kugel durch die Rippen durch und im Kreuz stecken geblieben sei. Und jetzt sei sie eben herausgeschnitten, und er sei froh.

Ob er viele Schlachten mitgemacht habe und auch mit den schwarzen Türken und Zuaffen??

Ja, viele Schlachten. Und auch mit den Schwarzen.

Auch, wie die Schwarzen in den Weinbergen waren??

Ja, auch in den Weinbergen.

Und dann schenkte er mir die Kugel, die sie ihm herausgeschnitten hatten, und das Geschenk war so gegeben, als ob er damit vom Erzählen erlöst sein wollte.

Er enttäuschte mich schwer. Ich sehnte mich mehr als je nach dem Hiasl und seinen Weinbergen und seinen Schwarzen und frug den Großvater oft, ob er nicht bald wiederkomme.

»Dös woaß ih guat: wann er's Geldl versuffa hat, na kimmt er scho wieder, der Lump! Ja muaß'n ih wieder ham,« schimpfte der Großvater, »und muaß'n wieder rausfuattern, wann eahm 's G'wandl z'weit worn is. Nachat stiehlt er mir wieder mei Zeit und mei Geld, der Malafizlump.«

»Großvater, hat der Hiasl vül Geld g'erbt??«

Der Großvater sagte ganz ingrimmig: »Viertausend Markel – muaß alles versuffa sei!« Und dabei sah er mich an, als ob ich das viele Geld geerbt habe und es in der Stadt versaufen wolle.

Ich entlief ihm und ging in die Holzhütte zu unserem neuen Taglöhner. Er hackte eifrig drauf los und war nicht auf meine Unterhaltung begierig. Einmal schnupfte er, aber dann nahm er gleich wieder sein Beil auf und arbeitete weiter, und der Großvater hätte ihn gewiß gelobt, wenn er das gesehen hätte.

Ich frug ihn, wie lange man brauche, um viertausend Mark zu versaufen??

Das war das erstemal, daß ich ihn richtig lachen hörte und sah, so sehr, daß er mit dem Holzhacken aufhören mußte, und daß ihm das Beil aus der Hand fiel. Er wieherte die Hütte an und sagte mehrmals ächzend: »Büable, du bringst mich um, Büable! Ich muß mich ja totlacha!«

Ah, und wie er dann Atem holte und sich den Bauch betastete, ob er nicht zersprungen und geplatzt sei.

»Büable, is dös a Frag'!! Ih hab no nia koan' Hunderter net versuffa, Büable, vül weniger an Taus'nder. Ih bin an armer Teufl, Büable.«

»Aber da Hiasl, der is reich!« triumphierte ich. »Der hat viertausend Mark!!«

»Ja, da Hiasl!« seufze er, »da Hiasl!«

Und dann hackte er wieder fleißig Holz.

»Da Hiasl is so reich, daß er viertausend Mark hat!!«

»Zum Versauffa,« gab der Taglöhner zurück, »zum Versauffa.«

»Der Hias hat scho vül mehra g'habt!!«

Der Taglöhner sagte seufzend: »Dös is halt a Glücksmensch. Der is net als wia unseroaner. Der kann alle zehn Finger g'rad sei lass'n, na geht's eahm aa guat. Der hat scho ganze Bauernhöf' versuffa.«

»Drei Höf'!« rühmte ich.

»Drei große Höf', und jetzt versauft er an kloan'. Der hat halt 's Glück. Überhaupts: wia'n damals 's Roß so g'schlag'n hat bei da Batterie, da waar' a jeder andere higwen und alleluja und in der Ewigkeit, aber an Hiasl hat's bloß an Aug' kost' und an Haxn.«

»Dös is net wahr!!«

»Es hat eahm net mehra kost'. Mir ham alle g'moant, 's Roß hat'n umbracht, so hat's ausg'haut und wieder ausg'haut und nochamal, aber es hat eahm bloß an Aug' kost' und an Haxn. Der hat halt a Glück, der Mensch.«

Ich wünschte mir, sehr groß und sehr stark zu sein, um den Taglöhner hauen zu können. »Ja, woaßt du dös ganz g'wiß?? Bist denn du dabei g'wen!?«

Er sagte verdrießlich: »Ich bin freilich dabei g'wen. Ich bin mir lang g'nua im Kriag g'wen.«

»Aber dö große Kanonakugl??«

Da sei keine große Kanonenkugel dabei gewesen. Sie hätten einfach zurück gemußt, das ganze Bataillon, und seien auf die Artillerie gestoßen, die noch nicht fertig aufgeprotzt hatte. Und da habe er den Hiasl beim Zurückgehen gesehen und habe ihm zugerufen: »Schaug', daß d' z'ruckkimmst, Hiasl!« und da habe der Hiasl hinter dem Sattelgaul gestanden und den störrigen Fuchswallach bearbeitet. Der Gaul sei wild geworden und habe elendiglich ausgeschlagen.

»Aber dö große Kanonakugl??« Das Weinen stand mir nahe, weil der Taglöhner nichts von der großen Kanonenkugel erzählen wollte.

»Da gibt's koa große Kanonakugl dabei. Dös Schinderviech hat an Hiasl hinterig'schlag'n, daß er für tot dag'legen is voller Bluat und Dreck.«

Es war keine große Kanonenkugel dabei!!

»Wia s'n z'ruckbracht ham, da bin ih aa dabeig'wen und hab'n z' Füaß'n trag'n, und da Stabsarzt hat g'sagt: Der Mann, sagt er, der braucht bloß mehr an Feldgeistlichen und zwei, die wo ihn eingrab'n. Aber er hat alles to und hat g'schnitt'n und g'naht, und weil da Hiasl so a Sauglück hat, drum is er mit'n Leb'n davokemma.«

»Warum verzählst denn dös net von derselbn groß'n Kanonakugl??« frug ich hoffnungslos.

»Weil mir da durchaus nix davo bekannt is.«

Und damit war er zu Ende, begann wieder Holz zu hacken und war nicht mehr zu sprechen.

 

Und der Hiasl kam nicht und kam nicht.

»Großvater, moanst, daß er bald kimmt??«

»An viertaus'nd Markl kann oana lang sauffa!« schimpfte mein Großvater. »Vülleicht geht's dösmal schneller aa? 's Sauffa hat er richti g'lernt. Dö wo so langsam arbat'n, dö san beim Geldverputz'n net dö schlechtern. Was mir der Lump Zeit und Geld g'stohl'n hat, dös is gar net zum Derrechnen!«

»Gel, Großvater, er werd dö viertaus'nd Mark bald versuffa ham??«

Mein Großvater steckte sowas wie ein Lächeln in sein grimmiges Gesicht und sagte: »Der scho! Der Haderlump, der nixnutzige. Stiehlt mir mei Zeit und mei Geld, der Kerl, der malafizische!«

»Großvater, hast du scho amal an Taus'nder versuffa??«

Im ersten Augenblick wollte mir der Großvater ein paar Watschen geben, das sah ich deutlich. Aber ich sah auch, wie er über die Frage erschrocken war und sich in der Stube umguckte, so völlig erschrocken und ertappt, wie er manchmal auf die Großmutter schaute, wenn sie grob war.

»Du Lausbua!« schrie er jetzt und war wieder stark und grimmig, »dir wer ih nachat a Wörtl verzähl'n, du Lausbua!«

Aber ich war schon an die Türe hingeflitzt.

»Obst scho amal an Taus'nder versuffa hast, Großvater??« (An der offenen Tür war leicht keck sein.)

»Du Malafiz – –«

Aber mein lieber alter Großvater war meinen neun Jahren gegenüber viel zu langsam.

Als ich mich im Garten hinter einem dicken Apfelbaum geborgen hatte, fiel mir ein, daß ich dem Großvater nichts Böses hatte sagen wollen, überhaupt nichts gegen ihn. Ich hätte nur arg gern gewußt, wie lange Zeit man braucht, um tausend Mark in lauter Bier aufzubrauchen. Und das hätte ich mir dann leicht ausrechnen können, wie lange viertausend herhalten, und wann der Hiasl wieder mit seiner Pfeife und seinen Feldzugsgeschichten in unserer Holzhütte arbeiten würde.

 

Die Lehrerin, die wir in der Schule hatten, gab mir zu Unrecht das spanische Rohr und ließ mich auf zwei kantigen Holzscheitern neben dem Ofen knien, bis die Schule aus war.

Sie war ein Frauenzimmer mit langen Haaren und kurzem Verstand (das sagte mein Großvater von allen Frauenzimmern) und verstand meine Frage nicht, und vom Trinken verstand sie erst recht nichts, weil sie nicht ins Wirtshaus ging wie die andern Bauern.

Sie hätte mich sonst nicht auf den Scheitern knien lassen.

Sie hätte dann auch gewußt, daß ich nicht vor lauter Reue und Scham weinte, sondern nur darum, weil der Hiasl noch immer nicht kam.

Die Großmutter sagte mir einmal, daß der Hiasl jetzt bald kommen müsse. Aber das tat sie nur, weil ich krank war, und weil sie mich trösten wollte.

»Ih glaub's net, Großmuatter, und ih stirb.«

Nein, nein, ich dürfe nicht sterben. Was würde dann der Hiasl sagen, wenn er wiederkäme und ich sei tot! Der würde schön schimpfen!

»Wann kimmt er denn??«

»Bald, bald!«

»Wiavül Tans'nder muaß er no versauffa??«

Aber da kam mein Großvater in die Stube herein, und die Großmutter traute sich nicht mehr so recht mit der Sprache heraus. Sie meinte, der Hiasl sei jetzt älter geworden und vernünftiger und würde nicht mehr viel Tausender versaufen. Andere seien auch älter und vernünftiger geworden – vielleicht der Hiasl auch.

»A schöner Dischkurs!« brummte mein Großvater und ging wieder aus der Stube.

»Büaberl, wer mir bald wieder g'sund!« sagte die Großmutter und ging auch. Ich hörte sie durch die Holzwände unseres Hofes mit dem Großvater ziemlich laut sprechen, und es mußte sich um den Hiasl handeln, weil viel von Tausendern und vom Saufen die Rede war.

 

Aber der Hiasl kam nicht.

Mich schickten sie in die Stadt auf die Studi, und die neuen Verhältnisse waren nicht so, daß sie mich viel an den Hiasl erinnerten.

In der Weihnachtsvakanz war er noch nicht da, zu Ostern nicht und in der großen Vakanz auch nicht.

Als er wiederkam, war ich schon zwölf Jahre alt und sagte ihm ins Gesicht, daß er mich schwer belogen habe. Erstens sei er niemals Infanterist gewesen, sondern Kanonier, zweitens sei das mit den Schwarzen, dem linken Aug' und der großen Kanonenkugel alles erstunken und erlogen. Wahr sei aber der Fuchswallach mit dem Ausschlagen.

Er lachte mich diebisch aus.

»Gel, Büaberl, dös ärgert dich!«

Nein, das ärgere mich gar nicht. Ich sei groß genug, um mir das nicht anmerken zu lassen. Und Pfeife könne ich jetzt auch schon rauchen, ohne daß mir sehr übel würde.

»Da, rauch'!« sagte er lustig.

Ich rauchte natürlich sehr fest, viel schneller als der Hiasl, und er lobte mich aufrichtig.

»Rauch' nur zua, Büaberl!« sagte er immer wieder anerkennend.

Aber sein Tabak war doch stärker als der, den wir in der Studi heimlich rauchten, und es schien mir, daß mir doch sehr übel werden würde.

»So,« sagte der Hiasl freundlich und merkte gar nicht wie mir zumute war, »so, Büaberl, und iatz gehst a bissl in' Gart'n 'naus, gel?«

Ja, ich ging in den Garten und legte mich unter einem dichten Holzapfelbaum ins Gras und war unglücklich wie nie in meinem Leben. Viel unglücklicher als in der Zeit, in der ich auf den Hiasl gewartet hatte.

Und jetzt sah ich ihn aus der Holzhütte auftauchen und mit seinem scharfen rechten Auge durch den ganzen Garten schielen.

Als er mich entdeckt hatte, lachte er laut und schallend und ging wieder in die Hütte zurück, vermutlich um an seiner Pfeife zu hantieren.

Mein Großvater hatte ganz recht: der Hiasl stahl ihm andauernd Zeit und Geld.

Was brauchte er nach mir zu gucken, statt Holz zu hacken?

 

Ich war am anderen Tag schon wieder von der Pfeife genesen, aber jetzt war der Hiasl krank geworden. Er lag in einem kleinen Kämmerl in unserem Hof, und der Doktor sagte, es werde nicht lange dauern.

»Wia moant er dös: net lang dauern?« sagte meine Großmutter.

»Dös konn aso und aso hoaß'n!« meinte der Großvater. »Aber ih denk mir, es hoaßt aso,« und er winkte mit der Hand, als wenn er jemand verabschieden wolle.

Ich lief zum Hiasl ins Kammerl. »Wia geht's dir denn, Hiasl!?«

»O mei, dahi werd's halt geh'. Dersell mit die g'spitzig'n Hörndl und mit der rauchen Haut wart' ja scho lang auf meiner.«

»Stirbst du gern, Hiasl??«

»Warum net! Im Bett is's schö sterben. Wann ih nur net so mager waar. Paß auf: sagst zu deiner Großmutter, wann ih amal tot bin, muaß s' mih mit Schweinsfett'n spicka, daß mich d' Würm ehnder anehma. – Und iatz möcht ih schlaffa,« sagte er plötzlich, drehte sich um und tat, als ob er schnarchte.

Ich erzählte der Großmutter vom Hiasl.

Sie war ganz entsetzt und schalt ihn einen Heidenchristen. »Wia sich nur oana so versündigen ko! Aber ih hol' an Herr Pfarrer.«

Der Herr Pfarrer kam und verhandelte mit dem Hiasl nett und christlich und sagte zu der Großmutter, daß der Hiasl durchaus nichts Heidnisches an sich habe.

»Also net!« seufzte die Großmutter erleichtert.'

Ich schlich gleich zum Hiasl und log: der Herr Pfarrer habe ihm den Himmel versprochen, ganz gewiß sei es wahr.

»Ujeh,« sagte der Hiasl. »Allaweil mit die Flitscherl am Buckl umanandlaffa und an ganz'n Tag singa, ujeh. Aber du,« versprach er, »du erbst mei Pfeiferl. Darfst es gleich nehma – ih kimm nimma zum Raacha.«

»Muaßt bald sterb'n, Hiasl??«

»Dös woaß ih net!« grollte er. »Mach daß d' weiterkimmst, du Lausbua.«

Einen Tag darauf ließ er mich holen. Er war recht schwach geworden und sprach viel leiser wie sonst. Ich solle ihm was von meiner Studi erzählen, was ich schon alles wisse, und was ich noch lernen würde. Und ob ich einmal ein Herr Doktor oder ein Herr Pfarrer werden wolle – wenn ich aber ein Herr Pfarrer werden sollte, das wär' ihm recht lieb, die Herrn Pfarrer reden viel mit dem Gottvater selber und könnten für allerhand Leutl ein gutes Wort einlegen.

Aber ehbevor ich ihm alles erzählen konnte, war er eingeschlafen und erwachte erst wieder, als ich mich auf leisen Zehen entfernen wollte.

»Bist du dag'wesen, Büaberl?« sagte er verwundert. »Heut konn ih dir nix verzähl'n, heut bin ih so kaputt. Und olüagn will ih dih nimmer.«

Ich sagte, er hätte mich noch nie im Ernst angelogen.

Er wehrte ab. Er habe mich oft angelogen, o ja.

»Nein, nein, Hiasl!«

O ja, o ja. »Von die Schwarz'n und vo mein' Aug' und vo mein' Haxn – alles derstunka und derlog'n. Alles derlog'n, Büaberl!« winselte er und sah jämmerlich drein.

»Dös macht ja nix, Hiasl!«

»Wann's aber alles derlog'n is!« jammerte er. »Und dö sell groß' Kanonakugl is durchaus net wahr.«

»Geh, sei stad, Hiasl!«

Ich nahm seine linke Hand, die kraftlos zum Bett heraushing. Er ließ sich's gern gefallen, daß ich sie streichelte, und schlief dabei ein. Aber er erwachte bald wieder, wunderte sich, daß ich an seinem Bette saß, und bat mich, den Herrn Pfarrer zu holen.

Ich lief wie ein Wieserl.

Der Herr Pfarrer kam und blieb lang beim Hiasl. Dann ging er zu der Großmutter und sagte ihr einen schönen Gruß von dem armen Teufel, und sie solle ihm einen Rosenkranz beten. Und einen schönen Gruß an den Großvater, und er solle ihm nichts mehr übelnehmen und alles verzeihen. Die nasse Gurgel sei halt schuld.

»Woaß scho, woaß scho,« wehrte der Großvater gerührt ab.

Und, daß er nicht vergesse, einen schönen Gruß an mich, und es sei alles verlogen, insbesondere die große Kanonenkugel.

Und der Hiasl sei ganz friedsam gestorben.


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