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Die Sonne stand hoch im Mittag und beleuchtete den Laubwald der Wiener Donauauen. Erste Herbststimmung lag über der Landschaft, Altweibersommer segelte fröhlich im Ostwind über duftende Grummetwiesen, umschwärmt von den letzten Insekten des Jahres, und draußen auf dem Strom rüsteten sich die Zugvögelgeschwader zur Reise nach dem Süden.

Einen Kilometer landeinwärts lag auf großer Waldblöße, mitten in einem Wipfelmeer von Zitterespen, Pappeln, Schwarzerlen, Ahorn, Eschen, Eichen und Weiden, ein geräumiges Jagdhaus heimischer Bauart.

Auf drei Meter hohem Steinsockel aus Nagelfluhtrümmern erhob sich der im Blocksystem gefügte Oberbau mit nur einem Stockwerk, aber zwei Mansardenzimmern unter Dach. Ampelopsis Veitchi, wilder Wein und Waldrebe hatten ihre Ranken um das Ganze geschlungen und nur die Fenster freigelassen. Vom großen, ringsum laufenden Schrott (Altane) schweifte der Blick über einen riesigen Steingarten, in dem der glückliche Besitzer alles zusammengetragen, was die österreichischen Kalkalpen an Wildblumen und interessanten Gesteinsformen herbergen. In großen Gruppen brannten Sommers letzte Steinrosen, blauten die großen Glocken des Enzians neben weißer Erika. Wo immer Generaldirektor Hubert Lenk in freier Bergnatur, in Wald und Heide gewaidwerkt, da hatte er, keine Mühe und Kosten scheuend, an lebenden Pflanzen, erratischen Blöcken, Tufsteinen, Nagelfluh- und Marmorgetrümmer, Ammoniten und anderen Versteinerungen heimgebracht, was sein schönheitstrunkenes Auge fand. Die Hängenelkensammlung auf dem Schrott war in Kennerkreisen Wiens berühmt und alljährlich Ende Juni das Ziel namhafter Blumenmaler.

Aus dem Unterholz des Laubwaldes kam mit typisch langsamen, etwas gleitenden Jägerschritten ein stattlicher Mann mit dunklem Andreas-Hofer-Bart, die Büchsflinte übers Kreuz geschlagen, den Schweißhund am Riemen zur Linken. Das amtliche Abzeichen ließ den Träger ohne weiteres als beeideten Privatbeamten erkennen. Als er hinter dem Rankengewirre des Schrott die schlanke Gestalt seines jungen Kollegen entdeckte, der soeben für den Jagdherrn die Tafel richtete, nickte der Bärtige zufrieden.

Unter der Haustür kam ihm der Junge entgegen und begrüßte seinen Vorgesetzten mit festem Händedruck, wie's Brauch ist unter Österreichs Waidgesellen. Dann wies er den Donau-Auen zu und meinte kopfschüttelnd: »Mittagszeit und der Herr alleweil no net zaruck von der Morgenpirsch – wird ihm dengerst nixen passiert sein?« Der Alte lachte gutmütig: »Patschi, was soll denn einem Jager passieren, wie unser Herr einer ist? 's gibt keinen zünftigeren net in der ganzen Weanerstadt. Den kapitalen alten Wanderhirschen wird er am End' ausspekuliert haben und geht ihm nimmer weg vom Tageseinstand.« – »Aber ich hab' Hunger wie drei Wölf und muaß bis vieri wieder in die Revür, also schaug, Hans, daß wir gessen haben, bis der Herr heimkummt.« Da war's Hans Seeaner ebenfalls zufrieden, deckte im Freien einen Gartentisch mit einfachem blauen Leinen und brachte in der Pfanne die heißen Speckknödel mit Kraut.

Wie sie fertig waren, stopfte der Oberjäger behaglich umständlich seinen Tiroler Maser, der aus dem Burgenland stammende Seeaner eine Shagpfeife, und beide tranken dazu Aprilmost. Der Niederösterreicher hatte keine Ruhe, zog die Taschenuhr und machte ein besorgtes Gesicht: »Eins – und unser Alter alleweil no net da!« Sein Gegenüber hatte bessere Nerven und begütigte: »Hans mer wollt glauben, du hätt'st Fuier im Hosenboden: Von unserem gnä Herrn muaßt von eh Geduld lernen und Sitzenbleiben, bis ein's schwarz wird. Glaub's, von alle die Prügelhirschgeweih, die wo unser Gnädiger drin hängen hat in seiner Stadtvilla, ist die Halbscheid erhockt. Aber net, daß du meina derfst, mit drei a vier Stündl auf d'Nacht oder in der Fruh, a beilei nit. Vierzehn Tag lang, allemal sieben bis neun Stund, regungslos wie die Katz vor dem Mausloch und dann auf zwei und drei eintupft, Kimm und Korn z'sammeng'schaut, vier Finger hinterm Blatt, grüaß mir die Ewigkeit und Juhu! Da muaßt Respekt haben vor sölchtene Herrnjaga, die wo's Geld hätten zum Hirschen z'sammpulvern auf Riegel und Treibjagd mit dem Lappzeugschwindel, aber 's Jagern auf stolze alte Weis' pflegen tun, wie unser Herr.«

Damit erhob er sich und holte aus der Zeugkammer einen großen Schwanenhals nebst Werkzeug und begann zu feilen. Auch der Junge blieb nicht müßig und arbeitete an einem Rönngarn. Das dauerte gute Weile, dann wurde sogar Brandkofler unruhig und meinte: »Hans, jetzten g'fallts mir selber nimmer! Kein Schuß, kein Hornruf nit – zwei hat's g'schlagen, ebbs ist net richtig, wir müaßn gehen suachen, richt dich nur gleich z'samm!« In kurzem waren beide marschfertig und holten die Hunde aus dem Zwinger. Der Oberjäger sprang noch schnell in das Schlafzimmer seines Herrn und brachte ein paar gebrauchte Handschuhe desselben herunter. Die Rüden bekamen daran Wittrung und den Befehl: »Such' den Herrn!« Wo dieser im meilenweiten Inselwald der Auwildnis sich ungefähr aufhalten würde, das wußten die Jäger natürlich – aber das »ungefähr« besaß die Ausmaße eines Heustadels, in welchem eine Maus sitzt! Man konnte eben nur auf die untrügliche Hundenase sowie das gute Glück vertrauen und losmarschieren. Die Suchmeldung schrieb Brandkofler für alle Fälle noch ins Tagesdienstbuch und legte dies aufgeschlagen ins Eßzimmer. Dann wünschte einer dem anderen Waidmannsheil; Seeaner verschwand im Westen, Brandkofler im Osten.

Brandkofler hatte bald das Überschwemmungsgebiet der Donau erreicht, und der Uferwald begann damit den Charakter einer indischen Dschungellandschaft aufzuweisen. Liersch (Waldrebe), Efeu, wilder Hopfen und wilder Wein sandten ihre Ranken bis in die Baumkronen. Weiden, Schlehdorn, Berberitzen, Weißdorn, Sanddorn und Judendorn bildeten zusammen mit Brombeere, Schilf und Riedgras Dickungen, in deren Inneres nur Wildwechsel und schmale, vom Jagdpersonal mit dem Standhauer geschlagene Pirschsteige führten. Weiter gegen das Inselgebiet des Stromes hinaus lichtete sich das Unterholz wieder an manchen Stellen und machte weiten Auwiesen, träumenden, tiefen, von Seerosen überdeckten Altwässern Platz. Dann kamen wieder wüste, mit ödem Kieselschutt, Gries und feinem Sand überdeckte Reißbahnen an jenen Stellen, wo der Strom bei Hochwasser einen schnell fließenden Seitenarm gegen das Ufer zu entsenden pflegte. Bei niederem Wasserstand lagen diese »Grieser« trocken und bildeten die Verbindung vom Ufer zum Inselgelände oder von einem »Wörth« zum andern.

Über eine Stunde dauerte nun schon dieser Kampf mit scharfen Dornen und schneidenden Schilfblättern in der brütenden Hitze des Septembertags. Schuhhoher pulvertrockener Donausand und staubfeiner zerbröselnder Hochwasserschlick ließen des Jägers Fuß bis zum Knöchel einsinken, aber der unermüdliche, treue Mann suchte rastlos weiter.

Er befand sich nun in jenem Teil des Geheges, wo der alte Hirsch Einstand genommen hatte, auf den sein Herr heute morgen gepirscht. Irgendwo mußte also der verlässige feinnasige Schweißhund »Pasch« ein Trittsiegel von Generaldirektor Lenk finden und dann war's ja gewonnen. Denn eine einmal gefundene Fährte, gleichviel ob von Wild oder Mensch, hielt der treue Rüde auf Befehl bis ans Weltenende! Wirklich verhielt »Pasch« am Rande eines zweimal zimmergroßen Schlammloches die Suche, stupfte mit der samtschwarzen Nase zu Boden und blickte seinen Herrn aus klugen Augen rutenwedelnd an. Der feuchte Boden war von Rotwildfährten bedeckt, ein starker Hirsch hatte sich hier gesuhlt, bis hoch hinauf an den Baumstämmen saßen frische Schlammspritzer von vergangener Nacht; der brunftige Recke hielt, nach den vorhandenen Trittsiegeln zu schließen, einen Harem von acht bis zehn mehr oder weniger jungen Frauen um sich versammelt. Der tadellos abgeführte Schweißhund aber hatte sich dadurch nicht verführen lassen, sondern wies Brandkofler den klar im Schlamm abgeprägten Druck von Herrn Lenks wohlbekannter gerippter Gummisohle.

Der Oberjäger atmete etwas erleichtert auf und befahl: »So recht, mein Hund, so brav, Pasch, such vorhin!« Die Reise begann von neuem, ging ohne Aufenthalt immer weiter gegen den offenen Strom. Es war also völlig klar, daß der Jagdherr – wahrscheinlich kurz nach Anbruch des Büchsenlichtes – irgendwo da draußen von einem der unzähligen kleinen Eilande her die unverkennbar grobe Stimme des zugewanderten Hirsches vernommen und auf seiner Muschel beantwortet hatte.

Brandkofler begann zu hoffen. Es konnte sein, daß der uralte, schlaue Hirsch aus irgendeinem Grund unzeitig mit dem Röhren aufgehört und sich faul dösend zur Tagesruhe in ein kühles Sumpfdickicht eingeschoben hatte. War dem wirklich so, dann saß der grunderfahrene Herrenjäger nicht weit davon, in guter Deckung beobachtend, mit der Doppelbüchse über den Knien und ließ sich von den letzten noch lebenden Uferschnacken des Sommers geduldig die Nase kitzeln. Es kam also auch darauf an, nicht durch unvorsichtiges Darauflosprellen den mißtrauischen Hirsch zu vergrämen. Einmal mitten am hellen Tag in seinem Haupteinstand aufgestört, würde der Kapitale sofort zusammenpacken und vermutlich dorthin zurückwechseln, wo er hergekommen, vielleicht hundert Kilometer und mehr!

Immer langsamer und lautloser schob sich in diesem alles beherrschenden Gedanken des Jägers breite Gestalt durch das Dickicht. Noch zehn Gänge, dann kam eine Blöße mit etwas eingeforsteten Fichten und Wacholder, wohl der beste Brunftplatz des unteren Revieres überhaupt. Jetzt machte der schmale Pirschsteig ein Knie und herumbiegend schoß »Pasch« vorwärts, indes sein Herr einen unartikulierten Entsetzensruf ausstieß. Jammervoll winselnd leckte der treue Hund an Gesicht und Händen des lang auf der Erde ausgestreckt liegenden Jagdherrn. Dessen Hut war über das Haupt geglitten und als Brandkofler hinspringend zugriff, färbte sich die Rechte rot. Ein Blick sagte dem erfahrenen Berufsjäger alles und ließ den starken Tiroler ächzend niederknien.

Kein Zweifel – Generaldirektor Lenk war ermordet worden – die Kugel hatte die hohe Stirn nur zu gut gefunden und vom Hinterhaupt ein Stück von wohl fünf Zentimeter herausgerissen. Der Kopf sah schrecklick aus. Es mußte nicht der geringste Kampf stattgefunden, vielmehr Lenk die Todeskugel völlig ahnungslos erhalten haben. Das bewies klar und einwandfrei der Umstand, daß des Toten wertvolle Doppelbüchse geladen, gesichert unterm Körper lag und dessen Linke sich noch fest um die an grüner Seidenschnur hängende Tritonmuschel krampfte, welche jeder Hirschjäger während der Brunftzeit führt. Auch der breite, schwere Standhauer, ein Meisterstück aus des berühmten Blümlhuber Blümlhuber, steirischer Kunstgewerbler und Klingenschmied, ist bis heute unerreicht in Bearbeitung härtester Edelstähle. Seine Waffengriffe bilden mit der Klinge ein Stück und sind als Filigran, Laubwerk und Figuren durchbrochen hergestellt. Stücke von ihm finden sich in den Sammlungen österr. Aristokratie und werden mit höchsten Preisen bezahlt. Werkstätte, das Tausende gekostet, stak tadellos festgeschlauft in der Scheide. Hätte der Jagdherr auch nur den geringsten Verdacht gehegt, es könnten Raubschützen ihr Unwesen treiben, so wäre die Lederschlaufe am Griff gelöst und dadurch diese fürchterliche Nahkampfwaffe verwendungsbereit gewesen. In der rückseitigen Beinkleidtasche befand sich auch unversehrt und gesichert der kleine englische Revolver mit Elfenbeingriff, von dem sich Lenk nie zu trennen pflegte, und in der grünen Steirerweste stak der kostbare Glashütter Chronometer mit Platingehäuse und Brillanten. Nicht streunendes Großstadtgesindel hatte also, um rauben zu können, gemordet, sondern ein Wilderer mußte aus dem Hinterhalt die Todeskugel versendet haben!

Jetzt erst kam dem Oberjäger zum Bewußtsein, daß er nach dem Wortlaut der genauen Dienstinstruktion schon fast zu viel an dem Toten herumgegriffen hatte und dies eigentlich Sache der Mordkommission war, die telephonisch zu alarmieren seine dringendste Aufgabe sein mußte. Bevor der Treue aber die grausige Stätte verließ, deckte er über den Kopf seines Herrn zum Schutz vor Fliegen den grünen Wettermantel, legte einen frischen Fichtenbruch darauf und faltete die Hände: »Der Herr geb' ihm die ewige Ruh und das ewige Licht leucht' ihm! Sankt Hubertus, hilf du dazu, daß wir den Mordhund z'sammpacken können, Amen!«

Ganz genau so hatte der Seelsorger im Ötztal es zwar nicht gelehrt, aber die Bitte kam aus vollstem treuestem Jägerherz und mußte also vom Herrgott wohl erhört werden. Dann nahm Brandkofler des Toten Schußwaffen, seinen Standhauer und Uhr an sich, befahl dem Schweißhund: »Bei Fuß, schließ dich an!« und fing in gleichmäßigem Tempo, immer tief atmend, langsam zu laufen an.

Seeaner war noch nicht beim Jagdhaus zurück, mußte also heimgerufen werden. Zu diesem Zweck ging Brandkofler in das Mansardenzimmer, schoß aus einer großkalibrigen alten Büchse fünf Schwarzpulverpatronen senkrecht gen Himmel und setzte sodann den Bronzehammer eines mächtigen Gongs in Bewegung. Bei der herrschenden östlichen Windrichtung mußte man die durchdringenden Töne bis ans äußerste westliche Revierende, wenn auch nur ganz verschwommen, hören. Dann alarmierte er noch telephonisch die nächstgelegene Gendarmeriestation des Fischerdorfes Satzenufer und ersuchte um Abstellung eines Postens zur Leichenwache und Benachrichtigung der Mordkommission in Wien.

 

Es war ziemlich spät abends, als der unermüdliche Dr. Rothenbucher vom Büroschreibtisch aufstand, um sich an den Waschapparat zu verfügen. Da schrillte nochmals der Fernsprecher und der Beamte hob etwas verärgert das Hörrohr: »Ja – Zentrale, Dr. Rothenbucher selbst am Apparat!« – »Wie bitte? Der Jagdherr vom Rotwildrevier Satzenufer im Revier ermordet – Postenführer Leitinger, haben Sie den Toten gesehen? Nein – aber alles Nötige veranlaßt. Gut schicken Sie mir morgen einen Gendarm nach Kilometer 96, unser Kraftwagen fährt mit Tagesgrauen hier ab, ich komme selbst mit. – Guten Abend!«

Die alte Kaiserstadt der Habsburger lag noch in tiefem Morgenschlummer, als vor dem Portal des Polizeipräsidiums schon der PKW mit leuchtenden Scheinwerfern startbereit wartete. Die Herren der Kommission erschienen in ihre Mäntel gehüllt: zigarettenrauchend, Schutzbrillen noch auf der Stirn, mit Aktenmappen, chirurgischen Besteckkasten, Photoapparat beladen, begrüßten einander, wickelten sich in die warmen Fußdecken und schon rollte der Wagen fast lautlos durch die menschenleeren Straßen, Richtung donauabwärts. Außerhalb der Stadtgrenze gab der Fahrer Vollgas und nun wurde aus flotter Fahrt geisterhaftes Rasen auf schnurgerader, gut gepflegter Heerstraße. Beißend kalt zogen die Nebel vom Strom herüber, indes oben am Firmament glitzernde Sterne wiederum einen schönen wolkenlosen Tag verhießen. Mählich dämmerte das Morgenlicht heran und mit völligem Hellwerden erreichte der Wagen auch programmäßig den Kilometer 96.

Aus dem Schatten einer mächtigen Eiche löste sich die Gestalt eines in khakifarbenen Mantel gehüllten Gendarmen, der mit wenigen Sprüngen am Chef war und sich vor diesem stramm aufpflanzte: »Gendarm Egid Behr möldet sich gehorsamst zur Stölle!« Dr. Rothenbucher dankte freundlichst, winkte »rühren« und hieß den Mann neben dem Wagenführer Platz zu nehmen. Die Landstraße wurde nun verlassen und nach Anweisung des Gendarmen durch Gemeindeverbindungswege, Forst- und Holzabfuhrschneisen gefahren, bis man in Wiesengelände kam, wo der Untergrund den vollbesetzten Wagen nicht mehr trug. Leer konnte dieser nach Aussage des Gendarmen recht wohl weiterfahren und beim Jagdhaus warten. Der Chef hatte sogleich nach Aussteigen die Generalstabskarte entfaltet, Kompaß daraufgestellt und Kilometerzirkel zur Hand genommen. »Einen Moment, bitte, meine Herren! Die kurze Verzögerung macht sich hernach doppelt bezahlt. Wir wollen uns ein Bild vom Revier und seinen Leuten entwerfen lassen. Herr Behr, wie groß ist das ganze vom Ermordeten zusammengepachtete Gehege?«

Der Gendarm wies in die Aulandschaft: »Alles in allem neuntausend Joch, davon zweitausend ärarisch, das andere der Gemeinde Satzenufer und einer Erbengemeinschaft gehörig. Das Jagdhaus steht aber auf eigenem Grund und Boden, der Oberjäger, was der Brandkofler is, tut aber net im Jagdhaus wohnen, sondern hat selm ein kleines Sacherl mit zwo Küh, Grasland und Wurzgarten dabei.«

»Und ein zweiter Jäger ist auch noch vorhanden?« fragte der Chef.

»Aber ja, bitte, das ist der Seeaner Hans, stammen tut der vom Neusiedler See da drunt. A junger fescher Kampl, vom niederösterreichischen Jagdschutzverein schon prämiiert für Wildereraufgriff, und der Oberjager, no das ist a Tiroler aus dem Ötztal, da macht alls a Kreuz in der Luft, was Lump heißt. Eins A mit Stern! Der arme Herr Generaldirektor ist ja selber a Gebirgler gewesen, in Bruck an der Mur daheim, Jager um und auf von Jugend.«

Der Chef nickte sehr befriedigt: »Sie haben also Herrn Lenk scheinbar auch persönlich gut gekannt und gern gehabt?«

Behr bekam feuchte Augen: »Ein so kreuzbraver Herr kommt in fünfzig Jahr nimmer daher zu uns. Was Gutes und Schönes steht im Feuerlöschhaus von Satzenufer, das hat er bezahlt, die große Büacherei im Volksschulhaus ist a seinige Stiftung, die Suppenanstalt für die Schulkinder desgleichen und der seidene Fahn' vom Krieger- und Veteranenverein, wo ein narrisches Geld kost' hat und der schönst auf zwanzg Stund im Landbezirk ist, auch wieder.«

Dr. Rothenbucher sann angestrengt nach und meinte halblaut: »Also unter der ordnungsliebenden Bevölkerung keinen Feind gehabt, aber gehaßt von den Wildfrevlern!«

Der Gendarm zuckte die Achsel: »Ja, aber bitte, Herr Doktor – unsere ansässigen zwo Büchsler, die wo man allenfalls müßte ins Aug' fassen, sitzen hinter Schloß und Riegel. Mein Kolleg' und ich haben natürlicherweis, sowie uns die Möldung von dem Mord ist zugangen, genauestens überlegt, wem man vorerst müßt die Hafteln 'neinhauen. Aber wir sind zu kanem Resultat net gekommen und wissen doch alle zwo ganz genau, wann und wo ungefähr a saures Bier im Krügel steht.«

Nach mehr denn halbstündiger Fußwanderung wurde das Aurevier erreicht und endlich meldete sich der Postenführer selbst zur Stelle. Zehn Minuten später stand die Kommission am Mordplatz. Den beiden Revierjägern schüttelten die Herren freundlich die Hand und dann wurde der Mantel vom Haupt des Toten weggenommen. Die Herren mit der Jägerei zogen den Hut, die Gendarmen standen in »Hab acht«.

Der Gerichtsarzt untersuchte die Leiche und gab ohne weiteres das Diktum ab: »Kugelschuß von der Hand eines sehr sicheren Schützen, aus Entfernung von etwa zehn bis zwanzig Gängen. Kaliber höchstenfalls acht Millimeter, glaublich aber 6,6. Das Geschoß war unbedingt Teilmantel, der Ausschuß ist fürchterlich. Ich bitte die Jägerei nun festzustellen, von wo aus der Mörder mutmaßlich geschossen, ob dort Fußspuren fährtbar und am Ende sogar die abgeschossene Patronenhülse im Sand liegt.«

Aber so sehr sich die Leute auch mühten, der schuhtiefe, pulvertrockene Donauschlick, der bis zu Meterhöhe auch an den Sträuchern hing und beim Anstreifen herabrieselte, hatte alles gleichmäßig zugedeckt. Überdies war in den letzten Tagen ziemlich starker Ostwind gegangen, welcher an freien Stellen jede etwa stehengebliebene Fährte völlig verwehte. Mittlerweile war der große photographische Apparat zur Aufnahme der Leiche zusammengestellt worden und trat in Funktion. Sodann ließ Dr. Rothenbucher Eschenstangen abhauen und die Tragbahre herrichten. Auf den Schultern seiner treuen Jäger und zweier Gendarmen zog Hubert Lenk zum letztenmal in sein schönes Jägerheim.

Dort angekommen öffnete der Polizeichef mit Hilfe der aus Lenks Beinkleidtasche entnommenen Schlüssel sämtliche Schränke und Schubladen. Brandkofler gab zu den einzelnen Räumen die Erläuterungen. Der Wohn- und Speiseraum war durchaus auf Jagd gestimmt. Die Wände und Decke mit Föhrenholz getäfelt, die Geweihe aber meist nur Abwurfstangen oder geringere Rehgewichtl von bescheidener Qualität. Dr. Rothenbucher war erstaunt und wandte sich zum Oberjäger: »Ich dachte, Ihr Herr hätte in diesem früheren Hofjagdgehege des alten hochseligen Kaisers Prachtstücke geschossen?«

Der Gefragte bejahte eifrig: »Ja, bitte, Herr Doktor, das was hier an die Wänd' umananda tut hängen, ist eh lauters Graffl. Unser Herr selig hat sich zwegen der Fuiersg'fahr nie net traut, da herein a brav's Gweih hängen. Ist auch alles von Holz und tät wegbrennen wie eine Heuschupfen. Aber in seiner Stadtwohnung z' Wean drin, da können der Herr Doktor Hirschgeweih sehng mit Prügelstangen und Rehgwichtl voller Perlen, mit Enden spannlang.«

Der nächste Raum enthielt des Generaldirektors Schlafgelegenheit, ein mächtiges Doppelbett mit Messinggestell, großem Waschtisch, zwei Nachtkästchen, Ottomane und Kleiderschrank, alles auf Weiß gestimmt. Den Fußboden bedeckten weiße Felle; als einziger Wandschmuck figurierte das fast lebensgroße Porträt einer bildschönen jungen Dame von südlichem Typ, nur mit knapp anliegendem, tief ausgeschnittenem Badetrikot bekleidet.

Der Künstler hatte die Aufnahme offenbar bei wunderbarer Beleuchtung am Donauufer gemacht. Das Modell hielt beide Hände schützend etwas über die Augen, wodurch die prachtvolle Figur erst vollends zur Geltung kam.

Der Beamte musterte das Kunstwerk eingehend und meinte bewundernd: »Herrgott, ist das schön! Aber – ich dachte, Herr Lenk war unverheiratet?«

Brandkofler machte eine zustimmende Bewegung: »Woll, woll, sell ist die Geheimsekretärin, Freiln Petrowitsch, unserm seligen Herrn seinige – rechte Hand!«

Der Doktor zog das Notizbuch: »Das müssen Sie mir aber ganz genau erzählen, Oberjäger! – Wie alt ungefähr?«

»Allerhöchstens dreißig!«

»Sehr gescheit?«

»Ganz arg g'scheit! Spricht fünferlei Sprachen, hat unsere Handelsakademie absolviert und spült Geigen, frei wie a Zigeunerische.«

»Und die Heimat der Dame?«

»Nisch, im Serbien drunt.«

»Ja – hm – und wer verkehrte sonst noch ständig mit Herrn Generaldirektor, soweit Ihnen das bekannt?«

Der Tiroler schnitt ein schiefes Gesicht: »Bloß unserm Herrn a seiniger Schwesternsohn, der wo in der Firma ist auch ang'stellt – der junge Herr Franz – Gräber – tut er sich schreiben.«

Das Notizbuch trat wieder in Aktion: »Wie stand der junge Herr zu seinem Onkel und zu dem schönen Fräulein Petrowitsch?«

Dem Jäger schien es plötzlich nicht mehr recht wohl in seiner Haut zu sein, er rupfte heftig den Bart. Rothenbucher kam ihm zu Hilfe: »Na, sagen Sie halt ruhig, die beiden jungen Leutl haben mitsammen ein Gspusi unterhalten und dem Onkel war's nicht recht.«

Der Gefragte atmete ordentlich erleichtert auf: »Ins Weiße g'schossen, Herr Doktor, die Ramasuri zwischen unserm gnä Herrn und dem jungen Spritzer – verzeihen schon – hab' sagen wollen: Herrn Franz, ja also die Ramasuri ist bloß alleweil um Jagerei und Schuldenzahlen gangen! Das Freiln kann den jungen Gräber net schmecken und außerdem hätt' unser Herr selig in dem Punkt no weniger Spaß verstanden als mit seine Hirschen. Wir Jager und das Freiln haben miteinand schon genug Verdruß ausfressen müssen zwegen dem jungen Herrn.«

Des Polizeibeamten Züge strafften sich unmerklich bei der Frage: »Es hat also der Neffe des Herrn Generaldirektors im Revier Jagderlaubnis gehabt und nicht immer im Sinne seines streng waidgerechten Onkels gehandelt – wenn ich Sie richtig verstanden habe?«

Der Tiroler wurde lebendig. »Spritzer und Blitzer, das gibt an Reim. Der Herr Franz möcht halt bloß umanandablitzen auf's Gwild und nix anschaun in Ruh! So wie kein Madel und kei junge Frau vor ihm sicher ist, kann er in der Revür den Schießfinger net gradhalten. Wia lang aber der Jagdherr hat hegen müassen, bis a Gwild ist auch guat jagdbar worden, das scheniert natürli einen Menschen net, für den das Geld bloß zum Außischmeißen auf der Welt ist. Zweng dem hat's auch den letzten großen Krach abg'setzt, wo unser Herr selig alsdann hat dem Herrn Franz die Revür verboten.«

»Können Sie genau sagen, wann das war und warum?«

»Aber ja, bitte! Dos is gwesen vor vierzehn Tägen am letzten Wochenend, wo sind der gnä Herr, das Freiln und der Herr Franz drauß im Steingarten beim Kaffee g'sessen, nach der Mittagsmahlzeit, und der Herr Franz hat g'meint, er soll dürfen einen ganz alten Hirschen schießen, den wo unser Herr immer wieder aufg'spart hat damit sich das Prügelgweih auch sicher gut vererben möcht'. Da ist der Herr Generaldirektor natürli siri worden und hat vorerst noch ganz ruhig g'fragt: ›Weißt du auch, Franz, wie alt dieser Kapitalhirsch ist?‹ Da nickt der Jung ganz eiskalt und sagt: ›Ja, Onkel – deine Jäger erzählen es doch immer von neuem, daß der ›Brüller‹ mindestens zwölf bis vierzehn Jahre auf dem Rücken hat.‹ Unser Herr ist daraufhin am Nasenspitzel frei kasig worden vor Wut, aber er hat vor lauter Rücksicht auf das Freiln noch gar net laut g'sagt: ›Soo – und wieviel glaubst du also, daß die Hege dieses Recken mich bare Auslagen gekostet bis heute?‹ Der Jung' hätt' spannen müassen, daß beim Alten das allerschwerst Wetter ist im Raufziehen g'west und einlenken. Aber na! Grad, als wann er's z' Fleiß getan hätt', schlupft er die Achsel, stimmt an seiner Klampfen umanand und lacht: ›Du hast ja Geld wie Heu, was liegt daran, wenn der Hirsch bis dato viertausend Schilling gefressen hat!‹ Aus war's!! Unser Herr ist vom Sessel in d'Höh', daß all's umg'flogen ist, ich glaub', er hätt' dem Franz eine runterzogen, wann das Freiln net grad noch sein' Arm erwischt und 's Betteln hätt' ang'hebt, er möcht' um Gotteswillen an sein krankes Herz denken und sich net aufregen. Unser Herr hat ja den ganzen Feldzug mitg'macht die vier Jahre als Rittmeister bei die Dragoner und einen schweren Herzfehler mit heimbracht. Er hat frei zum Fürchten ausg'schaut, schneeweiß im G'sicht, die Lippen ganz blau, und die Händ' sind dem sonst so eisenfesten Mann g'flogen wie im Fieber! In sei' Brieftaschen hat er gachlings neing'langt und zwei Papierer auf den Kaffeetisch hinknallt und losbrüllt: ›Frauenjäger – zahl' zuerst Ehrenschulden an deine Opfer; woher willst du das Geld zu den Alimenten nehmen, die immer mehr werden? Wohl gar mit diesen Schwindelwechseln da, wie dieser hier, die ich einlösen soll, damit du nicht in den Kerker wanderst als notorischer Gauner! Pack dich zum Teufel, tut mir nur leid, daß ich meiner einzigen lieben Schwester Sohn vor mir habe!‹ Ja und dann ist der stattliche Mann auf einmal z'sammg'ruscht in den Sessel, wir haben g'meint, es hätt' ihn troffen und um den Doktor telefoniert.

No, auf d'Letzt wär' alls noch mal recht worden. Das Freiln hat bitt', er soll noch ein einziges Mal Nachsicht haben und zahlen. Der Doktor hat ins gleiche Hörndl blasen und wir Jager haben uns den Herrn Franz z' leihen g'nommen und ihm vorg'stellt, daß die G'schicht in der Revür net a so weitergehen derf, indem daß wir vereidigt san. Als echter Windhund hat der Herr Franz alles versprochen und nix gehalten. Er ist heimlich im Reiherwörth pirschen gangen in aller Fruh, hat als Waffe den kleinkalibrigen Rumänerstutzen mitg'nommen, den unser Herr nie hat derschmecken können, weil er selber auf Schalenwild nur 's allergröbste Kaliber führt, und was dem Faßl hat den Boden ausg'schlagen, der Herr Franz hat die Frechheit g'habt und einen Schnecken um den Hals g'hängt – zum ›Rehbockschießen‹! – Jed's Krügel geht zum Brunnen, bis es bricht. Unser Herr ist mit Freiln Asta pirschen gangen auf den Wanderhirsch, hört ganz drauß im Grieß röhren, ändert das Pirschprogramm und rumpelt pfeilgrad auf den Jungen! Zum Schauen ist alls viel z'flink gangen. Es hat gleich eing'schlagen, eine Pfundswatschen rechts, eine links, das Freiln hat derweil den Repatierer entladen und dann ist der Herr Franz heimg'fahrn in die Weanerstadt mit dem Motorradl.«

Dr. Rothenbuchers markantes Gesicht schien aus Bronze zu sein bei der Frage: »Und die rumänische Repetierbüchse Kaliber 6,6 nahm Herr Gräber mit heim?«

»Aber ja natürlicherweis, denn jetzen hat er hier wirkli ausg'jagert g'habt!«

Der Beamte nickte versonnen vor sich hin: »Ja, das glaube ich auch – wo ist der Telephonapparat? Dort drüben? Danke, ich komme gleich wieder!«

Die Tür der Fernsprechzelle schnappte ins Schloß, des Doktors Finger spielten an der Drehscheibe: »Polizeipräsidium!« – »Hier Mordkommission; Dr. Rothenbucher selbst am Apparat des Jagdhauses von Generaldirektor Lenk. Kriminalinspektor Ländmeister übernimmt sofort die unauffällige Überwachung des Diplomkaufmanns Franz Gräber, Neffen des Ermordeten, bis abends acht. Dann wird der Mann verhaftet und gefesselt eingeliefert. Er trägt Waffen, ist ein geübter Kugelschütze, also Vorsicht! Seine Privatwohnung kommt unter Beobachtung von zwei Mann in Zivil, es ist darauf zu achten, daß auch nicht der kleinste Gegenstand mehr daraus entfernt wird. Es besteht dringende Gefahr der Verschleppung von Beweisstücken. Alles klar? Gut! Schluß.«

Nun verfügte sich der Chef wieder zurück und ließ, als wäre nichts geschehen, von Brandkofler das nächste Zimmer weisen. Es war das Gräbers. Unordentlich genug sah es in der Bude aus! Die Wände bedeckten mit Reißnägeln angeheftete Aktzeichnungen, Landschaftsstudien aus den Auen, Photos von bekannten Nackttänzerinnen Wiens, zum Teil mit Widmung. Eine trug den Vermerk »Josy Finelli ihrem lieben Malerbuben«. Dann wieder gab es wunderschöne Vergrößerungen von Amateuraufnahmen mit Urheberangabe der Firma »nach einer künstlerischen Naturaufnahme des Herrn Franz Gräber«. Malzeug, weißer Arbeitsmantel und Staffelei mit einer begonnenen Portätskizze von Hubert Lenk im Jagdrock sowie ein offener Schnitzkasten bewiesen glänzende Veranlagung. Überm Bett hingen Laute und Balalaika, auf dem Nachtkästchen lagen »Der Zupfgeigenhansl« und ein Roman »Wenn heiße Frauen lieben«. Die Schubladen waren versperrt, was den Polizeibeamten nicht im geringsten störte. Ein Schritt ans offene Fenster, ein Pfiff auf der Trillerflöte und der unten wachehaltende Autoführer kam heraufgesprungen. – »Herr Doktor befehlen?!« – »Überall öffnen!« – Der biedere Tiroler sah mit fassungslosem Staunen, wie grenzenlos fix unter den Sperrhaken der Wiener Polizei auch recht gute Franzosenschlösser willig nachgaben. Rothenbucher schüttelte den Kopf: »Wie Kraut und Rüben, der reinste italienische Salat!« Berge von Briefen, Rechnungen, Postaufträgen, Photos, Notizbüchern, Skizzenblättern, Wildzeichnungen, durchrissenen Wechseln, amtlichen Zustellungen aller Art lagen da friedlich beisammen.

In einer großen, schön in Kerbschnitt gearbeiteten Schatulle fand sich eine Sammlung Wildlocker, darunter auch der ominöse Tritonschneck des verdrießlichen letzten Morgens auf dem Grieß. Auch ein ganzes Sammelsurium von geladenen Patronen für Kugel und Schrot in verschiedenen Kalibern lag da. Zwei gefüllte Rahmen mit kleinkalibrigen Kanülenpatronen 6,6 entlockten dem Polizeibeamten einen leisen Pfiff. Der Oberjäger meinte arglos: »Das san die Malefizluader von der Rumänerspritzen, über die unser Herr selig ist alleweil so narrisch worden!«

Während der Autofahrer auf Befehl Rothenbuchers alles verpackte, kam Seeaner die Freitreppe herauf und meldete mit fast versagender Stimme: »Bitt' schön – der Sarg ist kommen – wann der Herr Doktor halt verlauben möchten, daß wir zwa Jager unsern guaten Herrn einbetten dürfen zur letzten Fahrt – das hat uns der gnä Herr alleweil auf die Seel' bunden bei Lebzeiten, daß er net von fremde Händ' möcht' den letzten Liebesdienst haben!« – Selbst die an viel Hartes und Trübes gewöhnten Beamten sahen ergriffen zu, wie Brandkofler und Seeaner das Innere des Sarges mit Eichenbrüchen auslegten und ihren Herrn darauf betteten. Der Gerichtsarzt hatte das durchschossene Haupt gereinigt, die Wunden völlig abgedichtet und die offen ins Leere starrenden Augen geschlossen. Der stattliche schöne Mann lag jetzt scheinbar friedlich schlummernd da. Rings um den Kopf häufte Seeaner die schönsten Blüten aus dem Steingarten und Brandkofler holte aus seines Herrn Zimmer einen Hirschfänger und den Muschelruf.

Der Gerichtsarzt hatte von Jägerbrauch keine Ahnung und fragte den Doktor, was das bedeute. »Wundervolle, sinnige Jägersitte; der Hirsch ist Waidmanns höchster Preis und den Muschelruf meistern die größte Kunst; den Hirschfänger aber bekommt nur der von der Lehre freigesprochene Waidmann. Es ist das genau wie mit dem Degen des Offiziers.«

Bevor Brandkofler seinem toten Herrn die Hände um den Hirschfängergriff legte, küßten er und Seeaner noch einmal dessen Rechte, welche ihnen im Leben stets Inbegriff von gütiger und gerechter Herrenhand gewesen. Seeaner hing den Muschelruf um Lenks Hals, und dann kam der harte Augenblick, wo der Sarg geschlossen werden mußte. Die beiden Jäger verließen wortlos das Zimmer, keiner dieser einfachen Naturmenschen wollte vor den Herren der Kommission merken lassen, daß sie am Ende ihrer Fassung waren und sich im Freien draußen ausweinen mußten. Wie das Leichenauto vorfuhr und seine traurige Last aufnahm, standen die Jäger schon wieder gefaßt in Parade und bliesen, wenn auch mit nassen Augen, auf ihren Pleßhörnern das Signal »Jagd vorbei«.

Wie der schwarze Wagen dem Gesichtskreis der Nachschauenden entschwunden war, winkte Dr. Rothenbucher nochmals den Oberjäger heran: »Brandkofler, ich glaube, wir haben vorhin nicht mehr alle Räume angeschaut, es ist ja natürlich nur Formsache, muß aber geschehen!«

Der Tiroler war sogleich bereit und öffnete das letzte der Zimmer mit dem kurzen Kommentar: »Dem gnä Freiln das seinig!« Der Polizeichef überflog mit einem Blick das helle freundliche Gemach, in dem peinliche Ordnung herrschte und sagte halblaut: »Ah – das Boudoir!« Ein feines Damenbett mit rosa Spitzenbaldachin, Frisiertisch mit dreifachem Spiegel, Nachtkästchen, Kleiderschrank, Waschtisch, dazu überall rotbespannte elektrische Leuchtkörper gaben schöngestimmte Lichteffekte, wie der Doktor sich durch einschalten überzeugte. Ein von der Decke herabhängender Stoßball, unterm Bett liegende Eisenhantel und ein in die Wand eingeschraubter Bruststrecker bewiesen, welch großen Wert die Inhaberin auf Körperkraft legte. Überm Bett zur Linken hingen an der Wand ein leichter Glockensäbel und ein Florettdegen, was Rothenbucher zur Frage veranlaßte: »Kann das Fräulein auch wirklich fechten?« Der ehemalige Kaiserjäger machte ganz begeisterte Augen: »Wie a k. k. Offizier; unser Herr selig und das Freiln wann amal san warm worden, nacha ist das lichte Fuier davong'flogen!«

Der Doktor faßte den Tiroler scharf ins Auge: »Nur noch eine Frage im Vertrauen: wenn ich mir alles so betrachte, habe ich unbedingt den Eindruck, daß Ihr heimgegangener Herr und das Fräulein einander mehr waren als nur Generaldirektor und Geheimsekretärin. Stimmt das?« Brandkofler wurde leicht verlegen: »Woll, woll, freili san die zwo einig g'west und wären bald Mann und Frau worden vor dem Standesamt – a so sind sie's eh schon g'west, und der Herrgott wird's unserm Herrn decht verziehen haben, weil er's so viel liab hat g'habt, das arme Madel!«

 

Sieben Uhr schlug es vom Turm des Stephansdomes, als Franz Gräber seinen Rollschreibtisch verschloß und das Büro verließ. Den Hut ein klein wenig unternehmend schief rückwärts gesetzt, nach dem »dernier cri« der Saison gekleidet, am linken Handgelenk ein goldenes Armband, in der gelb behandschuhten Rechten Aktenmappe, eine Operettenmelodie pfeifend, bot der junge Mann die echte Großstadtfigur des sogenannten Windhunds. Flotten Schrittes, dann und wann einem hübschen Mädchen unter den Hut guckend, nahm er Richtung auf die nächste Haltestelle der Elektrischen und wartete. Für eines Augenblickes Länge musterte sein Auge verstohlen die Harrenden, als befürchte er, unliebe Gesichter zu sehen. Es waren durchwegs Fremde, und zusammen mit zwei vornehm einfach gekleideten Herren nahm der junge Beamte im Wagen Platz und fuhr nach Hause. Seine Privatwohnung lag in einer trostlosen Straße, einige hundert Meter von der Haltestelle entfernt, und ohne umzusehen, nahm er den Weg dorthin. Während er noch beim Portier nach eingegangener Post frug, betraten die beiden Fahrgäste der Elektrischen ebenfalls den Vorraum. Der ältere der Herren lüftete höflich den Hut und fragte: »Herr Diplomkaufmann Franz Gräber, wenn ich mich nicht völlig geirrt habe?« Dessen »Ja!« und »Was verschafft mir das Vergnügen?« klang etwas erstaunt und wenig erfreut. Als Antwort klappte der Fremde den Revers seines Mantels hoch und zeigte das jedem Wiener wohlbekannte Metallschild der Kriminalpolizei! Im selben Augenblick fuhr draußen eine große Limousine vor, die Tür wurde aufgerissen, ein Beamter in Zivil und zwei Mann in Uniform versperrten den Ausgang. Gräbers flammender Protest gegen seine Verhaftung hatte keinen Erfolg; bis er sich umsah, war er gefesselt und saß im Wagen, der in rasendem Tempo dem Untersuchungsgefängnis zufuhr.

Die Zimmervermieterin Gräbers war nicht wenig erschrocken, als sie beim Öffnen der Korridortüre den Polizeibeamten und zwei Schutzleute vor sich hatte. Händeringend und jammernd führte sie die drei in Gräbers Heim, welches Dr. Rothenbucher treffend mit »Künstlerbude« kommentierte. Es war alles in allem ein betontes Gegenstück zu dem Zimmer im Jagdhaus draußen, nur daß hier Geweihe, Waffen, fein ausgeführte Aquarelle, Reproduktionen hervorragend schöner Landschaftsaufnahmen, Ölskizzen und raffiniert ausgeführte weibliche Akte alle Wände deckten. An einer Mandoline hing ein ganzer Flaggenwald von Erinnerungsbändern mit mehr als verwegenen Widmungen, wie »Brautnacht und sterben! Anni.« – »Dein Herz ist die süßeste Sünde! Vev.« – »Meinem unvergeßlichen Liebeslehrer. Steffi.« – »Wann's nur a Buberl werden tät', Maritschi wollt' selig sein!« – »Dem Meister von Laute, Liebe, Leben! Seine dankbare Lizzi.«

»Einpacken!« befahl Dr. Rothenbucher kurz. Dann wurden sämtliche Schubfächer und Schranktüren mit Sperrhaken geöffnet und alle vorgefundene Korrespondenz samt einem großen Lichtbildalbum, dessen Inhalt Casanova Ehre gemacht hätte, beschlagnahmt. Sehr nachdenklich betrachtete der Chef eine kostbare Scheibenpistole von Springers Erben, entnahm dem Nachtkästchen einen famos gearbeiteten Damenrevolver und zog unterm Kopfkissen des Bettes eine scharf geladene Trommelpistole größten Kalibers hervor.

Ein Krawattenkasten barg Damenstrumpfbänder, Miederschleifen, Haarnadeln, Souvenirlocken aller Schattierungen vom hellsten Friesenblond bis Blauschwarz und, tief darunter versteckt, eine kleine Kunstschützenscheibe mit rotem Zentrum, in dem mindestens fünfzehn Schüsse Kaliber 6,6 staken.

Der Doktor zeigte sie den beiden verständnisvoll dreinschauenden Schutzmännern: »Vor der Tat gründlich geübt!« Die Geschosse des im Jagdhause nicht aufzufindenden rumänischen Repetierers paßten haargenau in die Kugellöcher der Scheibe; aber auch hier im Zimmer hing die fieberhaft gesuchte Waffe nicht. Was sonst an Gewehren sich vorfand, wies größere Kaliber auf. Dann wurden Kleiderschrank und Wäscheschubladen entleert.

Dr. Rothenbucher hatte sein riesiges Vergrößerungsglas zur Hand und visitierte jedes getragene Stück aufs peinlichste. An einer mit Reithosenleder versehenen Hose hingen abgerissene Klettensamen, wie solche an den Donauufern massenhaft vorkommen, und feiner Schlamm. Ein Wink befahl die Hauswirtin herbei: »Bitte, liebe Frau, wann hat ihr Mieter diese Hose zum letztenmal getragen? Die Gefragte schüttelte den weißen Kopf: »A so a Schlamperei – i sag's ja! Vor acht Tägen hab' i gar net g'wißt, wie ma das Zeugs möcht' sauber kriegen, so voller Donauletten und Unkrautsamerei ist alles g'west, und jetzt hängt mir mein Herr die Hosen gar als a unputzte in Kasten und schnauft kein Sterbenswörtel, daß er s' in dera Zeit nochamal hat braucht.« In des Kriminalbeamten Gesicht spannten sich alle Muskeln bei der Frage: »War Herr Gräber in den letzten Tagen über Nacht von hier weg oder ist er einmal nachts mit dem Motorrad fortgefahren?« Der alten Frau kugelten die hellen Tränen über das Gesicht: »O mei, Herr Polizeirat, aus is, g'fehlt is, heilige Mutter Anna, steh mir bei – 's G'richt derf i net anlügen – ansonsten man ins Kriminal kommt und nach dem Absterben in d'Höll! Also – aber gelt, Herr Polizeirat – ganz was g'fehlt's hat er net ang'stellt, der arme Herr Gräber –, wird halt wieder a Weiberramasuri sein, a ganz a damische.«

Des Doktors Augen bekamen harten Stahlglanz: »Sie haben die reine Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen, nichts hinzuzufügen – alles andere braucht ihr Gewissen nicht zu belasten. Andernfalls müßte ich Sie wegen Beihilfe zu einem schweren Verbrechen oder Verschleppung des Tatbestandes vom Platz weg – verhaften!«

Die Alte rang die Hände und sank beinahe auf die Knie: »Aus wär's dö Schand! Wo mein Seliger k. k. Bürodiener ist g'wesen beim Herrn k. k. Hofrat Ritter von Ostermüncher und die goldene Mödaliö hat g'habt für fünfundvierzig Dienstjahr'. Na, na, Herr Polizeirat, bitt' schön, i sag's alls – ganz akkurat, wie's ist g'wesen! Alsdann, auf vorgestern z'Nacht is Herr Gräber heimkommen vom Büro und hat ang'fangt z'umanandwerken, so wie er's allemal markiert, bevor's außigeht zum Jagern in die Revür vom gnädigen Herrn Onkel. Wie i den Spitakl hab' g'hört bin i gangen nachschauen, ob er am End' noch möcht' Spiegeleier mit Salami essen, ehvor er abfahrt, oder an Tee mit Rum in sein' Thermos. I war drum net schlecht beleidigt, wie er mi dafür anschnauzt, er möcht' nix haben wie a seinige Ruh und – in trau mir's schier net sagen, die Keckheit – an schön's Madel, auch wann's gar nix net am Leib hätt' wär' ihm vor dem Jagern lieber als eine alte Bißgurn, wann's noch so staatsmäßig aufdonnert ist! Ich hab' nämli' mein Seidnes ang'habt, weil beim Elisabettenverein auf d'Nacht a Rosenkranz ist g'halten worden vom Hochwürdigen Herrn Vereinsbeistand. I hab' in meiner Fixwuat die Tür a wengerl laut und deutli' zug'macht und der Herr Gräber hat ang'hebt, die Arie aus der Oper Martha z'singen, was er allemal tuat, bal er kritisch ist veranlagt. I verinteressier' mi für alls, was Musi und Büldung is, und hab' ihn amal g'fragt, was er da singt, weil's a fremde Sprach' ist. ›Das ist was Höheres‹, hat er g'sagt, ›das verstehen Sie nicht, die Oper stammt aus Italien!‹ Sie san a Studierter, Herr Polizeirat, und werden den Text ja eh genau kennen. Der Herr Gräber singt bloß allemal den Anfang: ›Leccedu – Leccedu – Dicazz – Amarsch‹.«

Dr. Rothenbucher sah einen Augenblick ganz merkwürdig aus und schneuzte dann heftig. Sonderbarerweise war das Beispiel des hohen Vorgesetzten ansteckend; jeder von den beiden Schutzleuten hielt im Augenblick ein rotes schnupftabakduftendes Taschentuch in Händen. – Der Polizeichef hatte sich gefaßt und fragte weiter: »Ja, und dann?«

»Nacha bin i in mei' Andacht un ihn hab' i nimmer g'sehn, indem daß er in der Fruh schon furt ins Büro ist g'wesen, wie ich g'meint hab', es wär' Zeit zum Kaffee. Dieselbig Nacht bin ich ni net wach worden und auch in der Fruh net aufkommen. Mein Kopf hat brummt wie a Prater und a paarmal is mir frei letz (übel) worden.«

Mehr zu wissen verlangte der Herr Polizeirat nicht mehr, sondern legte an die Zimmertür Siegel an und fuhr mit seinen schwerbepackten Polizisten weg.

 

Der Nimmermüde war morgens acht schon wieder im Büro und beaufsichtigte die Arbeit seiner Leute, welche drei große Eichentische mit den im Jagdhaus und in der Privatwohnung Gräbers beschlagnahmten Sachen bedeckten. Zuletzt breiteten sie über jeden einzelnen Tisch ein weißes Leinentuch, so daß der Eintretende nicht wissen konnte, was hier verborgen lag. Um neun drückte Dr. Rothenbucher auf die Klingel und befahl: »Arrestant Franz Gräber vorführen!«

Der Verlangte betrat, eskortiert von zwei Schutzleuten mit umgeschnallten Revolvern, das Zimmer. Er war noch unrasiert, sah leichenblaß, übernächtigt aus und konnte, vor Wut bebend, kaum die verlangten Geburts- und Standesangaben machen. Dann aber war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei und er brüllte los wie ein Rasender: »Ich verlange sofortige Freilassung und werde mich über den Beamten beschweren, dessen Bürokratengehirn diese blödsinnige, durch rein nichts zu rechtfertigende Freiheitsberaubung veranlaßte. Ich will endlich wissen, welche Lumperei gegen mich ausgebrütet wird!«

Der Polizeichef war nicht aus der Ruhe zu bringen: »Den Grund Ihrer Verhaftung will ich Ihnen gerne sofort sagen – Sie sind des Mordes an Ihrem Herrn Onkel, dem Generaldirektor Hubert Lenk, bereits so gut wie überführt. Diese Korrespondenzsammlung beweist Ihre geradezu grauenhafte Überschuldung, betrügerischen Bankrott nennt es der Jurist. Hier, diese gerichtlichen Zustellungen in protestierten Wechselsachen, Alimentationsklagen, wie z. B. Steffi Allmansberger von St. Margarethen, Maritschi Collewa von Wiener Neustadt, sind greuliche Kommentare Ihrer Lebensweise, denn – wiederum hier das Gegenstück gröbster Ehrverletzung, die Aufstellung Ihrer Geschenke an Josy Finelli von der Adria-Bar! Anstatt Ehrenschulden zu begleichen bei Mädels, die Ihnen Liebe, Unschuld, Ehre und Glück darbrachten, werfen Sie an dieses Biest von einer Finelli Summen hinaus, die Ihr Vierteljahrseinkommen übersteigen. Sie haben die Nackttänzerin gemalt, sogar recht gut, aber deswegen brauchten Sie ihr noch lange kein Gefälligkeitsakzept zu geben, das nun in den Händen des sauberen Herrn Siegfried Donauer Ihnen das Genick bricht. Sehen Sie, nun werden Sie blaß!! Ja, und weil Ihr Herr Onkel das erfuhr und beim Notariat III morgen sein Testament abgeändert und Sie enterbt hätte, haben Sie sich kaltblütig, wie nur je ein Mordbube, eingeschossen mit dem kleinen rumänischen Repetierstutzen, welchen Ihr armer Herr Onkel wie in Vorausahnung nie leiden konnte, und ihn sodann gestern am frühen Morgen draußen im Revier durch Kopfschuß erledigt. Dann sind Sie mit dem Motorrad wieder nach Wien hereingeflitzt und ins Büro gegangen, als wäre nichts passiert. Ihre Hauswirtin hat a conto des verabreichten Schlafpulvers nichts mehr gehört und gesehen bis zum späten Morgen. Fein ausgedacht, aber die Rechnung ohne die Wiener Kriminalpolizei gemacht, welche Ihnen vor dem Schwurgericht zu lebenslänglichem Kerker verhelfen wird, nachdem leider nun einmal das Hängen abgeschafft ist!«

Der Arrestant starrte auf den Beamten, als hätte er einen Irrsinnigen vor sich, ballte plötzlich die gefesselten Hände und wollte sich auf Dr. Rothenbucher stürzen. Die Polizisten rissen ihn zurück, indes der Chef, seelenruhig beobachtend, den letzten fürchterlichen Trumpf ausspielte: »Ich bin noch nicht ganz fertig – Ihre ruchlose Tat hatte eine Mitwisserin, richtiger gesagt, Mithelferin – die junge Frau des Jägers vom Nachbarrevier, dem Grafen Waltershausen gehörig. Nach vollbrachter Tat haben Sie, um die letzte Fährte zu verwischen, das junge Weib auf dem Heimweg beim großen Schwall in den Strudel über den großen Steindamm hinuntergestoßen. Die Leiche wurde aber nicht, wie Sie das sicher erwarteten, in die offene Donau hinausgeschwemmt, sondern verhängte sich an Astwerk und konnte vom Fischermeister Peterbauer in Satzenufer geborgen werden.« Dr. Rothenbuchers bisher ruhig referierende Stimme wurde plötzlich zum Donner: »Und in der Rocktasche dieser Ihrer Helferin befanden sich noch zwei Rahmen zum Mordgewehr – einer mit fünf, der andere nur mehr mit vier Patronen, weil Sie ja die fünfte verschossen hatten auf Ihres größten Wohltäters edle Stirn, auf Ihrer armen Mutter Bruder, Sie – Parricidia!«

Gräber wankte und sank röchelnd mit dem ächzenden Ruf: »Ich bin kein Mörder, ich weiß von dem allen nichts!« zusammen.

Der Polizeichef kannte diese Manöver zur Genüge und sagte betont: »Zerreißen Sie meine Beweiskette mit einem Ruck, wenn Sie das können! Sie weisen mir nach, wo und bei wem Sie am fraglichen Tage vom Morgengrauen bis zur Bürozeit geweilt und wo sich derzeit das gesuchte Gewehr befindet. Nun?«

Der Gefragte warf trotzig den Kopf hoch: »Wenn Sie ohnedies immer mehr wissen als ich, dann spare ich mir meine Erwiderung auf all den Wahnsinn bis zur Verhandlung. Einer von uns beiden muß fürs Tollhaus reif sein. Den Repetierer habe ich übrigens – versetzt!« – »Und der Pfandschein?« – »Muß sich bei meinen Briefschaften finden, die Sie so indiskret durchwühlt haben!« – »Bei wem versetzt?« »Aus-wendig – kann ich's nicht mehr ganz genau sagen – ich meine, es war bei – Abraham Süß im elften Bezirk.« – »Gut! Werden sofort nachfragen.« Ein Druck auf den Fernsprecher, der befohlene Schutzmann trat ein: »Linsinger, Sie nehmen Polizeiwagen und fahren Tempo nach elftem Bezirk zum Pfandleiher Abraham Süß. Die auf den Namen Franz Gräber beliehene Repetierbüchse 6,6 zu dieser Patrone ist polizeilich beschlagnahmt und das Pfandbuch zu Polizeihänden mitzunehmen!«

Während der Polizist stramm kehrtmachte, wurde Herr Siegfried Donauer gemeldet. Der Vorgeladene warf einen schreckerfüllten Blick voll schlechten Gewissens auf seinen gefesselten Schuldner, dem Polizeichef die mit ungepflegten langen Nägeln bewehrte Hand hinstreckend, was dieser kalt übersah und kurz fragte: »Ist der Wechsel zur Stelle?«

Der Donauer packte seine schmierige Brieftasche aus und präsentierte mit tiefem Bückling den von Franz Gräber unterzeichneten Wechsel, zahlbar am 15. Oktober 1927, und fragte angstvoll: »Herr Polizeidirektor, Euer Gnaden, es wird doch nix fehlen, weil Sie haben gefangen den Aussteller und lassen legen in Ketten wie ä wildes Raubtier?«

Dr. Rothenbucher musterte den Gurgelabschneider mit offenem Widerwillen und sagte abweisend: »Man sollte noch viel mehr Raubtiere in Ketten legen! Das Papier geht zu Protest, bleibt da und Sie dürfen froh sein, dem Aussteller nicht Gesellschaft leisten zu müssen. Was Sie an Zins und sogenannter Bankprovision zu nehmen pflegen, grenzt haarscharf an Wucher. Sie können vorerst mal nach Hause gehen, das weitere wird sich finden.«

Kaum hatte Donauer mit wehenden Frackschößen das unheimliche Gemach verlassen, als der Polizist vom Pfandleiher zurückkam. Die Meldung warf Gräber zu Boden. Süß hatte nachweisen können, daß kein Pfandleiher mehr auf adaptierte Kugelgewehre Geld gab, und sein tatsächlich peinlich genau geführtes Pfandregister wies keinerlei Schußwaffen auf. Man setze mit so Schießgewehr nur grausam viel Geld zu und komme dabei stets mit der hohen Polizei in Konflikt, erklärte Herr Abraham dem Ordnungshüter sehr treffend!

Damit war die Voruntersuchung beendet und der Verhaftete wurde mehr getragen als geführt wieder in Gewahrsam gebracht.

 

Im Gebäude der Generaldirektion richtete der livrierte Bürodiener eben den Sitzungstisch. Es ging auf 10 Uhr 30 und Generaldirektor Lenk war immer noch nicht eingetroffen. Direktor Rudolf Stühler in Cutaway, gestreifter Hose, rehbrauner Weste und Lackschuhen wanderte, die Hände auf dem Rücken, ruhelos über den kostbaren Smyrnateppich seines feudalen Büros. Wo Lenk nur heute blieb? Das war sonst gar nicht seine Art, erst im letzten Augenblick einzutreffen. Und gar heute, wo die große Fusion ausgetragen werden sollte, von welcher vielleicht Sein und Nichtsein in der Zukunft abhing. Dem Direktor stand kalter Schweiß auf der hohen Denkerstirn beim Erwägen der Möglichkeit eines Unglücks mit dem Auto. Da fuhr unten ein schwerer Wagen vor und Stühler atmete auf.

Gleich darauf trat ein Diener ein und präsentierte ein Büttenkuvert. Ein Blick auf die inliegende Visitenkarte: »Ich lasse sogleich bitten!«

Dr. Rothenbucher betrat in eleganter Besuchstoilette das Zimmer und nahm auf die einladende Handbewegung Stühlers Platz: »Herr Direktor, mein Besuch ist zwar amtlich, ich möchte aber als Mensch nicht verfehlen, Ihnen in Ihrer Eigenschaft als rangältestem Chef der Gesellschaft nach Herrn Lenk mein tiefgefühltes Beileid zum jähen, grenzenlos tragischen Heimgang dieses edlen Mannes auszusprechen!«

Dem Polizeichef wurde momentan angst, so entsetzlich war die Veränderung im Gesicht des Gegenübers. Der Mann befand sich auf dem besten Weg, von einem Herzschlag getroffen zu werden, jedenfalls war er von Hause aus dazu disponiert! Ein schnell hingereichtes Glas Wasser trank der Direktor aus wie ein Verdurstender, riß sich hoch und sagte mit schluchzender Stimme, während ihm schon die hellen Tränen herunterliefen: »Mein Gönner, unser Lenk, der Riese an Geist, Genius der Gesellschaft – tot – wie konnte das passieren?«

Der Beamte wurde vorsichtig und langsam: »Ja – tot – kein Unglücksfall, wie Sie anzunehmen geneigt scheinen – sondern durch Meuchelmord gefallen im Jagdgehege!«

Es dauerte einige Minuten, bis Stühler sich so weit gefaßt hatte, um zu fragen: »Raubschützen natürlich?!«, und ohne eine Antwort abzuwarten, mehr zu sich selbst sagte: »Und noch Herzenskummer tragen müssen die letzten Tage her, nicht zum Ausdenken!«

Dr. Rothenbucher nickte beistimmend: »Ja, – leider bin ich amtlich völlig darüber informiert – schwersten Kummer über den rabenschwarzen Undank des Neffen, welcher Bankrotteur, Schürzenjäger, Wechselreiter, Defraudant ist – nun zum Mörder seines Onkels und einer Mitwisserin der Tat wurde!«

Diesmal erfolgte überhaupt keine Antwort. Nur die schreckhaft weitgeöffneten Augen und große, über völlig kalkfarbig werdendes Gesicht rinnende Schweißtropfen bewiesen, daß noch Leben in diesem sonst so stolzen Mann war. Das dauerte eine geraume Zeit, dann fuhr plötzlich der Direktor aus dem Klubsessel in die Höhe, als hätte ihn ein elektrischer Schlag zum Leben erweckt, und packte den Polizeichef beschwörend an den Schultern: »Hochverehrter Herr Doktor – was Sie gesagt haben, mag alles stimmen aufs Haar – aber in einem Punkt sind Sie, ist die Behörde in schauderhaftem Irrtum befangen, darauf leiste ich jeden Eid! Gemordet hat Gräber nicht! Ich hasse den Kerl offen und ehrlich, hätte ihn längst aus der Firma hinausgeworfen, weil ich wußte, wir würden eines Tages durch ihn schwere Anstände und Schaden bekommen. Auch Herr Lenk wußte das, gab mir in allem Recht, aber nahm, menschlich begreiflich, Rücksicht auf seiner einzigen Schwester Kind. Obendrein ist der Gräber kein dummer Mensch, ach, was sage ich – hochtalentiert, in kunstgewerblichen Sachen fast ein Genie, aber in toto Lump zu Wasser und zu Land.«

In diesem Moment läutete der Tischtelephonapparat kurz – lang – kurz. Stühler hob das Hörrohr: »Ja, bitte? Fräulein Petrowitsch – dringend – aber natürlich – sofort!«

Wenige Minuten später öffnete sich lautlos eine in der Damasttapete fast unsichtbar eingefügte Tür und die Angemeldete trat ein. Dr. Rothenbucher erkannte sie sogleich vom Bild her wieder, war aber trotzdem fasziniert von der blendenden Schönheit dieser hochgewachsenen Frau. Ihre Toilette war denkbar feudal, völlig dem wirklichen Verhältnis zum allmächtigen Generaldirektor und Hauptaktionär der Gesellschaft angemessen. Der schwarze Crepe de Chine ließ Arme, Hals und halbe Büste frei und gab zusammen mit dem ebenholzschwarzen Haar und einer teerosengelben Haut ein echtes Bild slawischer Rasse. Am linken Oberarm trug sie einen kostbaren Beinreif mit Smaragden, um den Hals eine große Perlenkette und an der Linken Solitäre von ausgesuchter Schönheit. Beim Erblicken des Besuchers warf Asta Petrowitsch einen fragenden Blick auf den Direktor und sagte: »Pardon – ich – «. In diesem Augenblick erhob sich Dr. Rothenbucher mit Verbeugung und Stühler stellte vor, ohne das Wort Polizei zu erwähnen. Die Geheimsekretärin legte dem Direktor ein Bankformular auf den Schreibtisch, tippte hin und sagte halblaut: »Ich wollte Herrn Direktor wegen dieser unerklärlichen Sperre um Aufklärung gebeten haben, nachdem Herr Lenk immer noch nicht da ist, die Devisenabteilung ist fassungslos!«

Stühler warf einen hilfesuchenden Blick auf seinen Besucher. Dieser richtete sich militärisch hoch auf: »Eine Sperre des Bankkontos verfügt die Kriminalpolizei bei Mordfällen stets dann, wenn Gefahr unberechtigter Abhebung vorliegt. In diesem Fall hebe ich die Sperre natürlich wieder auf, da wir ja Gräber als Mörder seines Onkels verhaftet haben.«

Asta Petrowitsch machte ein paar wankende Schritte auf Dr. Rothenbucher zu: »Bitte sagen, daß es nicht wahr ist!« Und als der Polizeimann nur trübe nickend bejahte, warf das schöne Weib, nach Halt suchend, die üppigen Arme in die Luft und sank mit dem Schrei: »Hubert – ermordet!« in sich zusammen. Stühler fing sie gerade noch auf und trug die Besinnungslose zum Diwan.

Rothenbuchers Vermutung, der Direktor sei schwer herzleidend, bestätigte sich nun. Denn Stühler hielt in seinem Schreibtisch eine ganze Spezialapotheke verwahrt, deren Inhalt Asta zugute kam. Immer wieder musterte des Doktors sachverständiger Blick ihre herrliche Figur. Sie lag mit herabgeglittenen Achselbändern und nur matt wogender Brust lange unverändert. Dann schien ihr allmählich die Besinnung und damit auch der volle Jammer wiederzukehren. Zuletzt löste sich der Krampf in haltloses stoßendes Schluchzen und hilfloses verhaltenes Wimmern auf. Beide Herren konnten das nur zu gut begreifen, denn Lenk war, wenn auch vielleicht zwanzig Jahre älter, doch ein Urbild männlicher Kraft, treuer Freundschaft und eines künftigen hingebenden Gatten gewesen.

Nach langem Zureden vermochte die Serbin wieder einigermaßen geordnet zu denken und auf Rothenbuchers Verlangen eine Bestätigung dessen zu geben, was Brandkofler ausgesagt. Aber daß Gräber der Mörder sei, wollte auch sie nicht glauben! »Ein Lump nach allen Regeln der Kunst, aber ein Mörder nicht, ganz gewiß nicht«, beteuerte das schöne Weib immer wieder.

Wundervoll war ihre anschauliche Art, zu erzählen, und das ausdrucksvolle Spiel ihres Rassegesichts mit den nachtdunklen Augen zu beobachten. Sogar Stühler, der keine Spur Jagdleidenschaft in sich hatte, lauschte fast andächtig der Beschreibung von Lenks letztem Pirschgang zusammen mit Asta und dem Zusammenstoß mit Gräber.

»Wir waren vor acht Tagen«, erzählte Asta, »am Abend noch etwas lange aufgeblieben. Der Verdruß mit Franz wollte gar nicht weichen, und ich munterte Hubert ganz gegen meine Art auf, Wein zu trinken, mehr als sonst, nur um ihn vergessen zu lassen. Zuletzt habe ich dann sogar noch die Toilette gewechselt, eine Farbe, die mein Bräutigam über alles liebte an mir – rote Schleierseide – meine Geige geholt und Mozart sowie slawische Liebeslieder gespielt. Dann sind wir zu Bett und waren lange vor Tag schon wieder im Revier. Überall röhrten die Hirsche, aber ganz draußen am Reiherwörth, da war eine Stimme, die wir noch nie gehört; es mußte der Hirsch erst zugewandert sein, das Gröbste, was man sich nur denken kann. Wir rannten erst eine Viertelstunde, immer Pirschsteige benutzend, darauf zu und begannen dann unter gutem Wind den Muschelruf zu gebrauchen. Die neue Stimme antwortete wütend und kam merkbar näher. Ganz toll wurde die Sache, als ein ebenfalls braver Hirsch sich von der Seite her dazuschrie. Hubert paßte das gar nicht, denn sobald der zweite von uns Wind erhielt, schlug er um und nahm den Kapitalen mit. Für alle Fälle machte er sich schußfertig und überließ mir den Gebrauch des Schnecken. Wir dachten jeden Augenblick, zwischen Wacholderstauden und Ufergestrüpp das Geweih auftauchen zu sehen, und waren deshalb tödlich erschrocken, als plötzlich über einem niederen Schneeballstrauch Kopf und Brust eines Jägers erschien, die Büchse halb erhoben, den Muschelruf an den Lippen, gleich mir. Sehen und erkennen war eins – beide Herren ließen die entsicherten Gewehre sinken und starrten einander an. Hubert wurde blaurot im Gesicht, trat vor, riß seinem Neffen die Waffe aus der Hand und sagte zu mir: ›Bitte, entladen!‹ Ich drehte mich so, daß ich Gräber im Rücken hatte und repetierte, die Mündung hochhaltend, alle Patronen aus der Kammer. In dem klirrenden Geräusch achtete ich nicht auf den Wortwechsel der Herren und war deshalb sehr erschrocken, als zwei klatschende Schläge hinter mir anzeigten, daß mein Bräutigam völlig außer Rand und Band geraten. Franz starrte mit brennenden Augen seinen Onkel an, ergriff mechanisch die ihm von mir hingereichte Büchse und verschwand.«

Dr. Rothenbucher streifte mit der Hand über die Stirn und fragte nachdenklich: »Nach allem, was ich bis jetzt gehört, ist aber Gräber am Spätnachmittag nach der Hirschdebatte vom Jagdhaus weg und war dann doch morgens widerrechtlich – um nicht zu sagen: wildernd – im Gehege! Wo hat er sich währenddessen in kalter Herbstnacht aufgehalten?«

Die Serbin wurde etwas verlegen: »Ja, dieses Kapitel hat meinem Bräutigam auch schweren Verdruß bereitet. Gräber unterhielt seit geraumer Zeit ein Liebesverhältnis mit der blutjungen Frau des Revierjägers des Grafen Waltershausen. Auch dieser hatte Gräber schon gedroht, er werde ihn aus dem Gehege hinausprügeln, und der Jäger war derart wütend, daß größtes Unglück zu erwarten stand, kamen die beiden zusammen.«

»Vielleicht wäre das der Übel kleineres geworden«, meinte Rothenbucher nachdenklich, um dann, den erstaunten Blick der Geheimsekretärin bemerkend, ergänzend hinzuzufügen: »So aber findet morgen Gegenüberstellung Gräbers mit der Leiche seines zweiten Opfers statt, das er ertränkte gleich einer Katze, mutmaßlich, um gefährliche Mitwisserschaft zu beseitigen.«

Fräulein Petrowitsch war neuerdings daran, umzusinken, und Direktor Stühler bekam wieder Herzstörung schwerster Art.

 

Eine Stunde später rief man telegraphisch Lenks einzigen, in Bruck an der Mur als Arzt tätigen Bruder herbei. Nachmittags fand die gerichtliche Besichtigung der Stadtwohnung des Ermordeten unter Rothenbuchers Leitung statt. Das Einfamilienhaus stand im feudalsten Gartenviertel, völlig in Grün versteckt. Dichte Eibenhecken hinter hohem schmiedeeisernem Zaun hinderten jeden indiskreten Blick. Der Besitzer war ja kein Neureicher und Kriegsgewinnler mit dem Bedürfnis, bewundert oder gar beneidet zu werden. Als die Herren der Kommission das große Tor durchschritten hatten, öffnete sich den schönheitstrunkenen Augen das Bild des in vollster Herbstpracht prangenden Parkes. Meisterhände eines Landschaftsgärtners mußten es gewesen sein, die einst den Grund gelegt zu dieser Farbensymphonie von heute. Denn es hatte mindestens ein Menschenalter gebraucht, bis solche Prachtexemplare von Blaufichten, Roteichen, Schwarzföhren, Blutbuchen, Sikafichten, Spitzahornen, Balsamtannen und anderen Solitären heranwuchsen. Inmitten einer tadellos geschorenen Rasenfläche plätscherte der mächtige Springbrunnen. Auf gemauertem Tropfsteinsockel ruhte eine lebensgroße Wassernixe aus grün patinierter Edelbronze. Zu beiden Seiten der Haustür lagen, Wächtern gleich, in voller Naturgröße die Bronzefiguren eines Hannoveraner Schweißhundes und eines Deutsch-Langhaar. Das Portal der Villa war in getriebenem Kupfer massiv gearbeitet und zeigte in der Mitte ein Hirschgeweih mit stehendem Schwert als Zeichen, daß der Hausherr im Weltkrieg auch in den Reihen des Karpathenkorps gefochten. Das Vestibül starrte von braven Hirschgeweihen, von der Decke herab bis zum Treppenhaus hingen, im Luftzug sich drehend, See- und Steinadler, Wildschwäne, riesige Raubmöven und einige Geier. Den Boden und die Treppe deckten völlig handgeknüpfte Orientteppiche in leuchtenden Farben.

Lenks Arbeitszimmer zeigte die Mäzenatennatur seines Besitzers unzweideutig. Denn selbst ein reicher Mann mußte hohe pekuniäre Opfer gebracht haben, um solche Prachtgemälde in wirtschaftlich schweren Zeiten zu erwerben. Wiens beste Schlachtenmaler hatten die Bilder zu diesem stilvollen Raum geliefert. Es waren fast durchwegs Motive aus dem Vormarsch der österreichischen Reiterei zu Kriegsbeginn. Über dem altflandrisch geschnitzten Schreibtisch hing ausgebreitet eine seidene schwarzgelbe Kriegsflagge mit dem Doppeladler des Kaiserreichs und darauf Lenks Offiziersdegen, Pistole, Helm und Kartentasche. Die Fensternische zur Linken des Schreibtisches war bis zur Decke hinauf mit seidenen Gebetsteppichen verkleidet, auf denen ausgesucht feine tauschierte Klingen funkelten. Es waren Säbel, Handschars, Kirgisendolche und kaukasische Kindschals russischer und türkischer Herkunft. Nach Öffnung zweier Schiebetüren vermochte der Blick in das Jagdzimmer nebenan zu schweifen, dessen zirbengetäfelte Wände in ihrer oberen Hälfte mit einer mattgrünen Damasttapete bespannt waren. Ein raffiniert ausgedachtes System von Beleuchtungskörpern ermöglichte nach Einbruch der Dunkelheit, den gesamten Trophäenwald in ein Meer von grünem und weißem Licht zu tauchen. Die Wand zur Rechten füllten nur ausgesucht gute Rehkronen aus allen Provinzen des alten Habsburger Reiches. Das Mittelstück bildeten präparierte Bruststücke von Ausstellungsqualität. Das Gegenstück dieser Herrlichkeit war zur Linken eine ebenbürtige Kollektion Gamskrucken, gruppiert um fünf Bartgamsköpfe, deren Träger Patriarchen des Reviers gewesen sein mußten. Der Mittlere war fast rein weiß – ein Zlatorog, wie die Südslawen solch gespensterhaft anmutendes Wild nennen, dessen Erlegung aber dem Jäger binnen Jahresfrist Tod und Verderben bringt.

Dr. Rothenbucher machte die Herren der Kommission eigens auf dies Beutestück aufmerksam und meinte: »Es ist doch manchmal kein Wunder, wenn besonders Jäger abergläubisch sind! Seine Kaiserliche Hoheit Kronprinz Rudolf, sodann Erzherzog Franz Ferdinand und König Ludwig III. von Bayern haben gleich Generaldirektor Lenk weiße Gamsböcke erlegt und es mit dem Leben bezahlen müssen, respektive sind einem tragischen Schicksal verfallen.«

Die Mittelwand bewies, daß der Hausherr auch in Asiens und Kleinasiens Hochregionen gejagt. Kapitale Steinbock- und Wildziegengehörne, zum Teil auf präparierten bärtigen Häuptern, leisteten riesigen Keilerköpfen aus Krim, Kaukasus, Abessinien, Anatolien, Siebenbürgen und Galizien Gesellschaft. Bärendecken, Wolfsschädel, von Hodeck wunderbar lebensvoll ausgestopfte Wildkuder und Auerhähne bildeten die Umrahmung. Lenks Hausfaktotum, ehemals Dragoner seiner Eskadron, drückte nun auf einen in der Wandtäfelung kaum sichtbaren Knopf. Eine schmale Tür öffnete sich und gab den Eintritt zum Schlafgemach frei.

Der Raum gemahnte durch die fürstliche Pracht seiner Teppiche etwas an den Orient. Zwei große französische Betten standen nebeneinander, über der seidnen Steppdecke des einen lag ein großer Strauß Maréchal-Niel-Rosen mit schwarzer Schleife. Auf eine fragende Bewegung des Polizeichefs erwiderte der halbinvalide Hausbesorger treuherzig: »Aber ja, bitte, Herr Polizeirat, dos is doch ganz selbstverständlich! Bitte, ich bin vier Jahre zusamm' mit meinem Herrn in seiner Eskadron g'ritten für Kaiser und Vaterland. Da hab' ich mir, wie das Malheur mit die verfluachten Wildpratschützen ist heut z'Morgen in der Zeitung g'standen, denkt, er soll, wann er umaschaut aus der Ewigkeit auf seinige Liegerstatt, sehng, daß alleweil noch Schwarz-Gelb Trumpf ist, wo alte k. k. Dragonerherzen tun schlagen!«

Über dem Doppelbett hing ein Ölgemälde von berückender Farbenpracht, gemalt von der Hand eines bekannten Münchener Professors. Es stellte in voller Lebensgröße Asta Petrowitsch als Waldnymphe dar, wie sie mit der Tritonmuschel über eine Wasserfläche rief. Jetzt begriff auch der Gerichtsarzt des Heimgegangenen Vorliebe für den Muschelruf, der ihn wohl nicht nur an herrliche Waidmannsfreuden, sondern auch an unvergeßliche Liebesstunden gemahnte. Außerdem waren noch zwei Kopien des berühmten Wiener Meisters Markt vorhanden: »Jagdzug der Diana«, und als Gegenstück: »Einzug Kaiser Karls in Antwerpen«. Sinnend stand der Kriminalist vor diesen Zeugen habsburgischer Frauenschönheit, denn Prinzessinnen des Herrscherhauses waren dem großen Maler Modell gestanden zu den Figuren der Jagdgöttin und ihres Gefolges sowie der Hetären, welche gemäß mittelalterlicher Sitte splitternackt, blumenbekränzt der Person des Herrschers vorausschritten.

Dr. Rothenbucher warf noch einen vergleichenden Blick über die drei Bilder und meinte halblaut: »Herr Lenk konnte für das Bild seiner Braut keine bessere Folie finden als diese –. Aber die Schönheit dieser Serbin ist jener der Prinzessinnen mindesten ebenbürtig!«

Eine flüchtige Überprüfung der Schränke und Schubfächer ergab nur »da Herren-, dort – Damenwäsche«. Die Schublade des einen Nachtkästchens barg einen mächtigen Gasser-Offiziersrevolver, die des anderen einen kleinen englischen Damenrevolver feinster Machart mit Elfenbeinschalen im Kaliber 9 Millimeter. Der Polizeichef wog die gar nicht zu verachtende Waffe in der Hand und sagte, zum Arzt gewendet, anerkennend: »Da sieht man wieder die praktischen Engländer mit ihrer reichen Erfahrung! Wo solch schwerer Weichbleibatzen einschlägt, braucht er gar nicht mal tief sitzen, so wächst doch kein Gras mehr.«

Der Doktor stimmte bei: »Ja, Herr Lenk hatte diese Vorliebe für Großkaliber wohl überhaupt von seinen vielen Auslandsreisen heimgebracht und, wie exemplum zeigt, sogar auf die schneidige Freundin überimpft. Aber ich glaube, wir haben alles gesehen und müssen daran denken, uns für die neuerliche Fahrt ins Unglücksrevier fertig zu machen. Diesmal wird die Gegenüberstellung Gräbers mit seinem mutmaßlichen zweiten Opfer vielleicht doch zu einem Resultat führen. Im Anfang leugnet ja fast jeder Untersuchungsgefangene verzweifelt.« –

Der Hausbesorger hatte den Satz vernommen und blieb mit weit offenen Augen und Mund stehen, dann faßte er sich ein Herz und sagte schluchzend: »Verzeihgn die Herrn vom G'richt, ober wann ich den Herrn Rat hab' recht verstanden, dann wird unser Herr Franz für an Mörder ang'schaut? Da san S' mit Verlaub aber schon ganz grausam im Irrtum! Der junge Herr ist a – verziehn schon – a Mistviech mit Endstrümmerhörndl, größer als das größte Hirschg'weih, was unser Herr selig jemals hat heimtragen aus der Revür, aber umbringen – ah gar kein Schein net!« Und kopfschüttelnd, völlig aus dem Konzept gebracht, geleitete der Treue die Herren zum Portal.

 

Vor dem Krematorium Wiens klangen halblaut gegebene Kommandorufe, klirrten Sporen, dröhnten der wuchtige Gleichschritt anmarschierender Dragoner und Feuerwehrleute. Es nahte die Standarte der Kavallerievereinigung, eskortiert von zwei Offizieren mit gezogenem Pallasch in der Uniform des alten Kaiserreichs, sodann der Krieger- und Veteranenverein Satzenufer mit der mächtigen, von Lenk gestifteten Fahne, ihr anschließend folgte dichtauf ein Wald von blinkenden Messinghelmen hinter dem prächtigen weißroten Banner mit der Inschrift: »Alle für einen, einer für alle.«

»Acht und halt! Einschwenken!« Hinter dem Kopfende des Sarges bauten die Fahnenträger auf, vor ihnen standen mit gezogenen Hirschfängern Lenks beide Jäger und zwei aus Nachbarrevieren. Zu Füßen des Sarges, den die alte schwarzgelbe Kriegsflagge nebst Helm und Degen des Entschlafenen deckte, hielten, ehernen Bildsäulen gleich, zwei Dragoner, Säbel blank gezogen, Wache.

In der Trauergesellschaft hielten sich Zivil und Uniform die Waage. Unmittelbar hinter Lenks Bruder und Asta Petrowitsch standen die intimsten Freunde des Entschlafenen, durchwegs Herren von der feudalen Jagdgesellschaft »Eichenbruch« in voller Jagdwichs, Gamsbart auf dem Hut, Hirschfänger umgeschnallt. Dann zwei ziemlich gleichstarke, jedoch grundverschiedene Gruppen, Offiziere aller Waffen, die Brust voll Orden, scharfe blaue, graue, braune Augen über meist kühn gebogenen Nasen, beherrscht in jeder Bewegung. Daneben die Vertreter der Hochfinanz, Handelsakademie, Kunst und Universität, teilweise von ostischem Gepräge mit lebhaftem Mienenspiel zu funkelnden Brillengläsern.

Wundervoller Gesang des Theaterchors leitete die Trauerfeier ein: »Wenn ich einmal soll scheiden, dann scheide nicht von mir –« Und anschließend häuften sich die Blumenberge neben Tannenbrüchen, sprachen die Vertreter all derjenigen, die gekommen, »ihrem« Lenk, dem Ritter ohne Furcht und Tadel, Vertreter des alten Regimes, wie genialen Leiter hochmoderner Unternehmungen, Kunstmäzen, Waidmann, Jagdherrn, Freund der Armen – nochmals Gruß und Dank zu sagen für all das, was er ihnen im Leben gewesen, geschenkt aus vollem, treuestem Jägerherzen mit nimmerleeren, nimmermüden Händen. Jetzt ein Trompetersignal, die Regimentsmusik setzt ein: »Ich hatt' einen Kameraden«, mit dessen letzten Klängen der Sarg hochgehoben und vorwärtsgetragen wird. Im Augenblick des Verschwindens dröhnen die drei Ehrensalven, senken sich salutierend Fahnen und Klingen, grüßt, von vier Jagdhörnern geblasen, zum letztenmal »Halali« und »Jagd vorbei«.

 

In einem reservierten Zimmer des Restaurants »Deutschherrn-Hof« war die Galatafel gedeckt für die Jagdgesellschaft »Eichenbruch«, welche es sich nicht hatte nehmen lassen, Dr. med. Lenk als Ehrengast in ihre Mitte zu bitten.

Das Präsidium führte Geheimrat Dr. med. Krüger, ihm zur Linken saß Forstmeister Freiherr von Hammerhaus. Daran schlossen sich Oberst der Kavallerie von Rotiorec, Major Poldi von den Kaiserjägern, Graf Fuchs von den Hoch- und Deutschmeistern, Kunstmaler Professor Scépany und Hofjuwelier Moraner. Nach dem offiziellen Trauersilentium für Hubert Lenk, »den treuesten Freund, den je die Sonne hat gebräunt«, brachte Baron Hammerhaus dem Toten das übliche »Horrido« mit den ergreifenden Worten: »Dem vorbildlichen hirschgerechten Herrenjäger, der da gefallen ist mit dem Muschelruf in der Hand, hinüber in die großen Jagdgründe ho ho Rüd ho!« Begeistert hatten die Herren in den Ruf eingestimmt und sodann tiefgerührt dem Bruder des Heimgegangenen die Rechte geschüttelt.

Der Geheimrat setzte sich und sagte kummervoll: »Wie es nur zugegangen sein mag – aber soviel ist sicher für uns alle – Gräber ist nie und nimmer der Mörder!«

Dr. Lenk atmete ordentlich auf: »Wie mich das freut, kann ich gar nicht aussprechen. Meiner Schwester Junge ein Mörder – Wahnsinn, es auch nur zu denken! Luftikus bis zum Exzeß, Bohemien, jawohl, beinahe reif für Kuratel – nochmals, zweimal jawohl – aber Mörder nicht die Spur.«

Baron Hammerhaus zwirbelte den prachtvollen schneeweißen Bart: »Unsern Freund hat Großstadtgesindel erschossen, dies Raubwild findet überall hin.«

Oberst Rotiorec widersprach: »Das glaub' ich am wenigsten. Bedenk doch, welche Werte Lenk bei sich trug, und nicht ein Knopf hat gefehlt. So ein Plattenbruder kann alles brauchen, und gar wenn's ein Raubschütz ist, schätzt er so selten erstklassige Waffen unbedingt.«

Moraner zuckte die Schulter: »Möglich wäre es aber trotzdem! Der Mörder kann sich nicht sicher genug gefühlt haben vor dem scharfen Jagdschutzpersonal – dieser Brandkofler hat in der Heimat schon einen Raubschütz erschossen und Seeaner ist vom Jagdschutzverein Niederösterreich für schneidige Angriffe prämiiert, hat im Handgemenge zwei ganz gefährliche Berufswilderer mit dem Hirschfänger auf Hochglanz hergerichtet, dazu schon im Feld die goldene Tapferkeitsmedaille erhalten. So was spricht sich bei den Lumpen herum, die Kerle haben einen ausgezeichnet eingerichteten Späherdienst, das weiß niemand besser als wir Juweliere.«

Dr. Lenk schaute versonnen in den Römer: »Meine Herren – ich werde nicht ruhen und rasten, bis der Mörder Huberts zur Strecke ist. Kann mir einer von Ihnen in Wien einen erstklassigen Privatdetektiv empfehlen, welcher nicht bloß abgebauter Kriminalist oder Gendarm, sondern auch Mann von Bildung und im gesamten Jagdwesen zu Hause ist? Ich bin gewillt, den Mann glänzend zu bezahlen und überdies eine Prämie von fünftausend Schilling auszuloben für denjenigen, der den Mörder erledigt.«

Geheimrat Krüger hob den Kopf: »Herr Kollege, ich kenne einen Herrn, der all das in sich vereint, was Sie brauchen. Er ist vom Polizeipräsidium konzessioniert, arbeitet viel in Sachen, welche die Kriminalpolizei selbst aus Mangel an Personal und Zeit nicht zu Ende führen kann – auch im Ausland. Er war Offizier bei den Kaiserjägern, ist Waidmann von Jugend auf und infolge eines schrecklichen Dramas im Elternhaus unbarmherziger Todfeind jedes Raubschützen, nimmt keinen Pardon und gibt keinen! Sie werden vielleicht seinerzeit von dem Fall gehört haben – sein Vater war kaiserlicher Förster und wurde schwerverletzt in noch lebendem Zustand von Raubschützen eingesteint, so daß er erstickte. Ein Schwarzangestrichener, der Oberleutnant Rudolf Rabenhofer in die Hände fällt, mag Gottes Barmherzigkeit anrufen, auf Erden hat er keine mehr zu erwarten!«

Dr. Lenks große Ähnlichkeit mit seinem Bruder trat in diesem Augenblick ganz auffallend in Erscheinung. Der ganze Mensch sprühte, jeder Nerv bebte bei den Worten: »Ich danke Ihnen aus vollem Jägerherzen, das ist mein Mann und er soll seine Mühe fürstlich belohnt sehen. Nun will ich nur noch versuchen, für das verwaiste Revier einen hirschgerechten Herrn zu finden – so gerne ich es selber übernähme, geht das nicht. Von meiner Praxis in Bruck will ich mich nicht trennen und zum Privatisieren fühle ich mich noch zu jung. Hubert hat die Pacht auf zwölf Jahre vorausbezahlt, und das erst vor zwei Jahren! Der Übernehmende kann also ein im besten Zustand befindliches Gehege samt fundus instructus bejahen.«

Geheimrat Krügers wohlgepflegte Rechte strich etwas aufgeregt über den Bart: »Und welche Abstandssumme oder sonstige Bedingungen wären inbegriffen?«

Dr. Lenk schüttelte den Kopf: »Das Revier gebe ich als Waidmann nur einem Waidmann, da will ich keinen Heller verdienen. Und Bedingung ist nur Übernahme des Jagdhauses zum Buchwert sowie der treuen Jäger mit gleichen Gehaltsbezügen.«

Dr. Krügers blasse Züge färbte freudiges Rot: »Wenn Sie solches Entgegenkommen belieben, dann bitte ich, mich als Rechtsnachfolger im Revier zu bestätigen. Ich verspreche feierlich, darin nur im Sinne unseres Freundes Hubert zu waidwerken und dem braven Jagdpersonal ein guter Jagdherr zu sein. Der von Ihnen ausgelobten Prämie von fünftausend Schilling schließe ich mich mit zweitausend an.«

Im Spätnachmittag empfing Dr. Lenk in der Villa den Geheimrat, welcher ihm Oberleutnant Rabenhofer vorstellte. Der über Mittelmaß ragende Kaiserjäger war ein bildhübscher Mann von etwas südlichem Typ und tiefbrünett. Scharfe feingeformte Nase, nachtdunkle Augen, kleiner Mund und blitzende Zähne wiesen darauf hin, daß seine Heimat im Süden der Donaumonarchie gestanden. Der geschäftliche Teil war bald erledigt und dann ersuchte Rabenhofer um Erlaubnis, sämtliche Räume des Hauses besichtigen sowie auch in irgendeiner Form des Jägerheimes in Satzenufer als Stützpunkt seiner Nachforschungen im Revier sich bedienen zu dürfen.

Beide Herren stimmten zu: »Wenn Sie wollen, können Sie jederzeit unerkannt übernachten, ich werde den Jägern diesbezüglich Bescheid sagen und Ihnen ein Zimmer reservieren lassen, in dem Sie ständig etwa benötigtes Handwerkszeug wie Verkleidungen, Waffen und dergleichen unter Verschluß halten können«, stimmte Dr. Krüger zu.

»Das ist mir am wichtigsten«, sagte der Kriminalist. »Ich werde mich in ganz verschiedener Gewandung wochenlang da draußen herumtreiben müssen, bis ich die richtige Fährte finde – falls nicht doch die Polizei in Herrn Gräber auf Anhieb schon den wahren Täter gefaßt hat! Es ist meine Pflicht, offen zu sagen, daß an Stelle von Dr. Rothenbucher auch ich sofort und ungesäumt zur Verhaftung geschritten wäre. Nach dem Polizeigrundsatz, bei jeder Tat zu fragen: cui bono – (wer hatte Nutzen davon?), muß man ja zum zwingenden Schluß kommen – nur der Neffe allein, weil nur die Tat verhindern konnte, daß der Onkel nächsten Tages sein Testament änderte.«

»Ich weiß natürlich, daß vom Leben Romane geschrieben werden, größer und besser, als die kühnste Phantasie solche je ersinnen kann – aber belastet ist bis dato dieser junge Mann in geradezu verzweifelter Weise. Wenn es Herrn Doktor recht ist, sprechen wir zusammen bei Dr. Rothenbucher morgen vormittag vor. Er wird Ihnen sicher gerne auflegen, was die Voruntersuchung bis jetzt Positives ergeben hat.«

Dr. Lenk verneinte: »Das möchte ich doch vermeiden. Sie haben von mir Vollmacht zur Vertretung wie ein Rechtsanwalt und Ihnen als Kollegen sagt der Polizeichef unter vier Augen vielleicht manches oder alles lieber als in Gegenwart von mir, der ich, juristisch betrachtet, ›befangen‹ erscheinen muß und es ja tatsächlich auch bin!«

Der Geheimrat pflichtete bei und überdies hatte Dr. Lenk von der Gesellschaft telephonisch die Bitte übermittelt bekommen, zu einer unaufschiebbaren Geschäftssitzung einzutreffen. Direktor Stühler war selbst am Apparat gewesen und schien reichlich nervös zu sein. Die Konkurrenz hatte natürlich sogleich aus des Generaldirektors Tod Kapital geschlagen und die vor dem Abschluß stehende Fusion ins Wanken gebracht. Dr. Krüger nickte gedankenschwer vor sich hin: »Ja, lieber Kollege, Huberts Genie wird überall schwer fehlen. Hoffentlich wirkt sich die Sache nicht auch noch materiell schlimm für Sie aus. Darf ich Ihnen guten Rat geben, so lassen Sie Fräulein Petrowitsch freie Hand. Das Weib ist hochgebildet, war in alle Pläne Huberts eingeweiht und besitzt eine Dispositionsgabe und strategisches Talent wie ein Feldherr. Juristisch-kaufmännisch ist Stühler eine Größe und hochanständig bis in den Kern. Aber an Weitblick und Mut übertrifft ihn die Serbin ganz gewaltig. Ich hatte immer das Gefühl, Hubert liebte in ihr nicht nur die berückende Schönheit, sondern vielleicht fast noch mehr ihre Geistesgaben. Dazu ist sie erprobt unbestechlich, uneigennützig stolz, eine bei den Balkanvölkern sonst gerade nicht häufige Eigenschaft.«

Dr. Lenk seufzte: »Verehrter Herr Geheimrat, ich gestehe offen, mich um die internen Angelegenheiten der Gesellschaft bis dato herzlich wenig gekümmert zu haben, obwohl ja auch mein großes Vermögen dort investiert ist. Wir zwei Brüder hatten zusammen zweidrittel Majorität, die nur dann fraglich würde, wenn die Gesellschaft bei der beabsichtigten Fusion nicht gut abschneidet. Dabei ist unser großer Waldbesitz in Kärnten und Krain noch gar nicht belastet – was ich auch mit Rücksicht auf meinen Sohn unbedingt vermeiden möchte. Der Junge kommt nächstes Jahr auf die Universität und soll dann hier Wohnung nehmen. Dies schöne Heim gebe ich niemals weg und lasse auch alles, genau wie es ist. Der invalide Hausbesorger darf bleiben, solange er lebt. Ich weiß, welch große Stücke mein Bruder auf seinen treuen Kriegskameraden gehalten, und bin froh, wenn mein Sohn ordentliches Personal hat.« Bald darauf empfahlen sich die beiden Besucher und Dr. Lenk ging an das Studium der für die Fusionssitzung vorbereiteten Unterlagen und Exposés.

 

Rabenhofer saß am Morgen des nächsten Tages dem Kriminalisten gegenüber und ließ sich von diesem das bisher vorliegende Untersuchungsmaterial auflegen.

Dr. Rothenbucher machte eine hoffnungslose Handbewegung: »Diesmal fechten Sie für eine verlorene Sache, stehen auf hoffnungslosem Posten, Herr Kollege! Gräber ist schwerem Kerker, meiner Ansicht nach, lebenslänglich verfallen. Die Obduktion der Jägersfrau ergab einwandfrei, daß sie im dritten Monat schwanger war und ein unerlaubter Eingriff versucht war. Der Ehegatte wohnte der Sektion bei. Er macht nicht den Eindruck eines intelligenten Mannes und erklärte offen, daß ihn die Frau zusammen mit Gräber nach allen Regeln der Kunst hinters Licht geführt hatte. Mit größter Naivität gestand der nicht mehr ganz junge Mensch, Gräbers schnelle Verhaftung zu bedauern, denn im andern Fall hätte er ihn draußen im Revier ausgelöscht wie ein Raubzeug. Es ist die alte Geschichte! Diesem Jäger war sein Dienst alles und die blutjunge Frau langweilte sich zu Hause. Außerdem ist sie aus anderem Milieu gewesen als er und fühlte sich von dem eleganten Windhund Gräber mehr angezogen und ›verstanden‹ als von dem etwas täppisch-ehrlichen Ehemann. Das Gehege des Grafen Waltershausen ist mehr lang als breit und der Jäger mußte deshalb stets jeden zweiten Tag in einer Blockhütte am anderen Revierende übernachten. Da war denn zu Hause die Luft rein und die Mäuse konnten tanzen! Nachweislich hat Gräber damals nach jener Hirschdebatte wieder Zuflucht bei der Jägersfrau gesucht und war die ganze Nacht bei ihr. Burschen von Satzenufer haben die Sache beobachtet und den Jäger im Wirtshaus mit den bekannten ominösen Trutzzeilen begrüßt:

›An der Försterei
hängt ein Hirschgeweih –
und am Fichtenkobel
singt a Krammetsvogel ...‹

Es gab daraufhin eine solide Prügelei, bei welcher die Riesenfäuste des Jägers mit den Ohren der Sänger in rupfende Berührung kamen. Einer vermißte hernach die Halbscheid solch wichtigen Körperteiles und der Gendarm von Satzenufer zeigte das Gefecht an. Gräber ist natürlich soweit gesetzkundig, daß er weiß, besser wegzukommen, wenn er die nicht völlig bewiesene Tat konstant ableugnet. Anderseits ist kein Geschworener so blöde, angesichts der Gewehrgeschichte noch an die Unschuld des Angeklagten zu glauben. Und in der zweiten Mordsache nimmt es der Jäger auf Eid, daß nicht er Vater des zu erwartenden Kindes gewesen sei. In letzterem Falle hätte die Frau auch wohl kaum die immerhin riskante und niemals schmerzlose Abortgeschichte gewagt. Beim Anblick seiner ermordeten Geliebten wurde der junge Mann derart schwach, daß man ihn fast wegtragen mußte, während er bei der Konfrontierung mit seines Onkels Leiche relativ gefaßt erschien. Er beteuert in beiden Fällen seine Unschuld, verweigert aber in völlig widersinniger Weise die Angabe des Verstecks der abgängigen Repetierbüchse Kaliber 6,6. Ebensowenig will er angeben, wie die beiden Patronenrahmen zu diesem Gewehr in die Taschen der ertränkten Jägersfrau gekommen sind.«

Oberleutnant Rabenhofer notierte sich alles und fragte so nebenher: »Hat der Gerichtsarzt am Halse der Wasserleiche Strangulationsmarken festgestellt oder sonst Anzeichen bemerkt, welche darauf schließen lassen, daß die Person vor dem Sturz ins Wasser mit dem – angenommenen – Mörder gerungen oder daß ihr dieser einen betäubenden Schlag versetzte?«

Der Polizeichef verneinte: »Fischermeister Peterbauer fand die Leiche rein zufällig in ganz intaktem Zustand. Der alte Praktikus hat, in einem langen Leben als Berufsfischer stets am Wasser tätig, schon viele Tote dem nassen Element entrissen und weiß, wie sehr die Polizei Wert auf sofortige Anzeige und Fernhaltung Unberufener legt. So war auch diesmal die Kommission zur Stelle, ehe von den schaulustigen Dorfbewohnern jemand das Drama ahnte. Auf diese Weise blieb auch der Tascheninhalt der Toten unberührt; wer weiß, ob wir sonst die ominösen beiden Patronenrahmen bei den Akten hätten.«

In tiefes Sinnen verloren fuhr Rabenhofer nach Hause. Er sah völlig scharf und deutlich in die Zukunft; passierte nicht ein Wunder, so wurde der Angeklagte mindestens in dem einen Falle Lenk schuldig gesprochen.

 

Die Fusion kam zustande durch Astas faszinierendes Auftreten. Sie allein war es, die nach Stühlers sachlicher Begründung des noch von Hubert Lenk ausgearbeiteten Exposés die wankend gewordenen Herren der Konkurrenz fortriß. Selbst die kühl berechnenden Geldleute vermochten sich der suggestiven Kraft dieser Feuerseele nicht zu entziehen und schauten mit schrankenloser Bewunderung in dieser Südslawin loderndes Auge. Das Exposé mußte in Deutsch, Italienisch und Französisch ausgefertigt und vorgetragen werden. Ebenso wurde die sehr hitzige Debatte in diesen drei Idiomen geführt, zu Protokoll genommen und verlesen. Die Generalsekretärin erledigte diese schwierige Aufgabe mit ebensoviel Ruhe wie verblüffender Schnelligkeit. Jede der vielen im Laufe der zuletzt hitzig geführten Debatte von gegnerischer Seite vorgebrachten Anfragen und Einreden wurde durch sie prompt, ohne einen Augenblick zu zagen, beantwortet.

Als das letzte Auto abgefahren, dankte Dr. Lenk zusammen mit Stühler in tiefbewegten Worten und überreichte ihr einen Scheck in Höhe von vierzigtausend Schilling für die Rettung der Gesellschaft. Doch Fräulein Petrowitsch lehnte die Annahme schlankweg ab mit den schlichten Worten: »Was ich getan, war meine einfache Pflicht und ich habe von – Hubert gelernt, immer nur den Pflichtweg zu gehen und nie nach Vergeltung zu fragen.« Und dann ging sie, wenn auch todmüde, wieder in ihr Zimmer und arbeitete weiter zusammen mit Stühler, der nun an Lenks Stelle die Generaldirektion übernommen hatte. Niemand wußte besser als er, daß der heutige Großkampftag nur durch dieses Weibes Genie siegreich geendet, und er gelobte sich im stillen, ihr das zu danken bis zum Tode.

 

Der eben zum Reviergang gerüstete Jäger Seeaner runzelte die kupferfarbene Stirn. Da draußen im Steingarten stand wie hergeweht ein solch verflixter Wiener Kräutlfex und Muckenschnapper, bewaffnet mit Botanisierbüchse und Schmetterlingsnetz, völlig versunken in Betrachtung einiger spätblühender Gentianen.

Der wackere Seeaner liebte diese Sorte gar nicht, denn die Kerle fanden überall hin, steckten ihre Nase in alle verborgenen Winkel, stöberten nachts mit der Taschenlampe im Revier nach Schmetterlingen und Käfern herum, alles Wild auf Wochen hinaus rettungslos vergrämend. Und der verrückte Naturapostel da sah ganz hervorragend gefährlich aus. Bepackt wie ein Maulesel mit Käferkeule, Raupenschirm, Schachteltornister, Brotbeutel, unfrisiert, in der Hand ein riesiges Vergrößerungsglas, vor den Augen eine dunkelblaue Brille, auf weißem Strohhut aufgespießte Schmetterlinge und Käfer steckend – es war zum Teufelholen – drei Hirsche hatte der verfluchte Spinnax sicher schon aus dem Revier geekelt!

Mit wenigen Schritten war er draußen: »Ober bitte, mein Herr, hier ist gesperrter Privatgrund, haben S' denn inn Ihrener Schul' daheim gar net Lesen g'lernt? Es stengen doch allorten die Taferl aufg'malt, wonach das Kräutlrupfen, Wurzelsammeln und Hundsviecherlaufenlassen strönge ist untersagt! Also bitt schön, schwingen S' Ihnen a wengerl flink auf Wean hoam!«

Der so freundlich Angesprochene schaute dem Jäger prüfend ins Gesicht und sagte trocken: »Ich dachte, Sie hätten von Herrn Geheimrat Dr. Krüger dienstliche Anweisung erhalten, Besuch zu erwarten?«

Seeaner guckte den Frager mit offenbarer Geringschätzung von oben bis unten an: »Daß ich net lach', unser Herr und solchene Heuhüpfer ins Jagdhaus einladen, na, na, mei' Lieber, mit dene G'spassetteln fangen S' den Seeaner-Hans net ein!«

Ein herzlich klingendes Lachen machte den Verärgerten aber doch stutzen: »Es ist gut, Jäger, wir wollen das Versteckenspielen aufgeben, und so sage ich Ihnen das Loswort: ›Rache für Lenk‹, und – hier ist meine Legitimation von der Kriminalpolizei Wien!«

Der Jäger war schnell gefaßt: »Das Maschkeragehen haben S' aber schon ganz am Schnürl, Herr Oberleinant, da derkennt Ihna der ausdrahteste Plattenbruader von der Vorstadt net. Aber jetzten kommen S' 'rein, was wir zwei dienstlich zum dischkerieren haben, derf net amal der Nußknackel (Eichelhäher) derlusen!«

Hinter vergilbenden Ranken verborgen hatte Rabenhofer auf dem Schrott Platz genommen, indes Seeaner die Mokkamaschine für seines Herrn Gast in Gang setzte. Dann versperrte er die Haustür, befahl Pasch auf die andere Seite des Schrotts und fühlte sich nun erst völlig sicher. »Weil S' nur grad da san, Herr Oberleinant. Schau'n S' bloß, daß der Herr Franz bald auslassen wird aus dem Kriminal. Er ist, frei g'sagt, a großer Schlawiner und hätt' schon längst meinetwegen in a Besserungsanstalt für Luftschiffer und Balznarrische g'hört – aber Mörder – da legst dich nieder, der Herr Franz und an seinigen Onkel umbringen – mein Oberkolleg', der Brandkofler, und ich, wir werden schon ganz tiefsinni'!«

Der Geheimpolizist nickte ernst: »Ja, mein Lieber, wir haben ein böses Stück Arbeit vor uns, wollen nur hoffen, daß nicht alles umsonst ist. Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, daß die Lage Gräbers durch seine eigene Schuld hoffnungslos aussieht. Wäre ich an Dr. Rothenbuchers Stelle gewesen, ich hätte genau so gehandelt. Gräber ist doch ein Mann von Bildung und muß wissen, daß die Geschichte mit dem verschwundenen Gewehr ihm den Kragen kostet. Und wie kommen die Patronenrahmen in der ertrunkenen Jägersfrau Taschen? Das ist ja nicht nachweisbar, daß die Person ertränkt wurde, ihre Leiche trägt keinerlei Spuren von Gewaltanwendung – aber, mein Gott, auf solch schlüpfrigem Damm genügt ja der geringste Stoß, um einen ahnungslos Vorausgehenden ins reißende Wasser zu befördern. Dazu der Umstand, daß Gräber ein heimliches Verhältnis mit ihr hatte und der Abtreibungsversuch vorbeigelang – da muß sich doch jeder Gerichtshof einen Vers, und zwar keinen guten, darauf machen!«

Seeaner starrte mit offenem Mund sein Gegenüber an, als sitze ein Gespenst da: »Verzeihgn, Herr Oberleinant, – was haben S' g'sagt? Dem Nachbarkolleg' sei' Weiberl war in andere Umständ' und das G'richt hat a Manklerei festg'stellt? Ja Kruzitürken noch amal, jetzt ist wirkli' Dreck Trumpf! Die G'schicht mit unserm Nachbarkolleg' seiner Ehe hat nämli' schon länger nimmer z'sammg'stimmt und nur weil's der Herr Graf Waltershausen, der wo natürli' ganz streng katholisch ist, net hat verlaubt, daß sich a seiniger Jager tut scheiden lassen, sind die zwei Leutl noch beinand blieben. Aber ›Ehe‹ ist das nie und nimmer net gewest, schon viel mehr a Fegfeuer oder gar die Höll' selber auf Erden. Der Kolleg' hat's uns zwei, dem Brandkofler und mir, selm verzählt und hat g'woant wie a Kind dabei. Er hat auch wollen sein' Dienst künden, sowie ihm der niederösterreichische Jagdschutzverein einen guten Platz hätt' besorgt, möglichst weit weg. Ein gutes Zeugnis kriegt er vom Grafen unbedingt, da fehlt sich gar nix, aber das Dreinreden unter Eheleut tut amal kein Gut net und der Franzi hat die G'schicht' satt bis an den Hals.«

»Sie wollen also sagen, daß auch das zu erwartende Kind nie und nimmer vom Gatten gewesen ist, vielmehr die Möglichkeit besteht, daß Gräber der Vater gewesen sein könnte?« fragte Rabenhofer gespannt.

Seeaner bejahte trübselig: »Das ist ja der kritische Umstand, der wo bei den G'richtsherren dem Faßl sein' Boden wird ausschlagen! Der Kolleg' nimmt's auf's Jurament, daß er sei' Alte höchstens no' mit dem Haselnußstecken hat ang'rührt, seit was a halbet's Jahr vergangen ist, und a anderer als unser Herr Franz hat net grasen dürfen in der Mariandl ihrem Almgarten – also!«

Auch des Oberleutnants Züge waren tiefernst geworden: »Eine ganz verteufelt ernste Sachlage das«, meinte er. »Obwohl natürlich immer noch die Möglichkeit besteht, daß die etwas leicht veranlagte Person selbst den Tod suchte oder ganz einfach auf dem schlüpfrigen Granitdamm ausgeglitten ist und ins reißende Wasser fiel. Aber dann bleiben noch die Unglückspatronen! Sagen Sie mal, wie hat denn diese rumänische Büchse eigentlich ausgesehen und was wird es in Wirklichkeit damit für eine Bewandtnis haben, daß Gräber über deren Verbleib ganz offenbar unwahre Angaben macht. Hier hakt die Anklage unbedingt mit tödlicher Sicherheit ein und muß es auch pflichtgemäß tun.«

Der Jäger zog angestrengt an seiner Shagpfeife: »Da sind der Brandkofler un i schon frei sinnierend worden und haben die halbe Nacht darüber dischkeriert, ohne Resultat. A Viecherei ist dahinter, möglicherweis recht a saudumme, wo er wieder eine neue Endsrammasuri ausg'fressen hat, der Herr Franz, und jetzt net traut, Farb' ansagen. Ja – wie das Büchserl ausschaun tut, soll ich explizieren, haben S'vorhin g'sagt. Das G'wehr ist so g'schmach, daß man's nie net verkennen kann. Der Herr Franz hat eines schönen Tags bei irgendeinem Vorstadttandler, wo er alleweil ins Altertümer-Einhandeln ist 'gangen, einen rumänischen Repetierkarabiner aufgabelt. Die Büchs hat g'schossen wie Gift, nur der Kommißschaft hat dem Herrn Franz scheußli' in die Nasen g'raucht. Er ist halt a halber Künstler und versteht, was schön heißt. No und da hat ihm a g'schickter kleiner Büchsenschifter das G'wehrl nach Ischlere Manier bis zur Mündung sauber neuschäften müssen; a extra schön's Hirschröserl hat hermüssen, er ist alle Drechslerladen abg'laufen, bis er das Richtige erwischt hat. Ja und dann ist er über's Schaftschnitzen eing'ruckt, der Herr Franz. Wochenlang ist er an die Sonntäg da herauß mit dem Schnitzmesser über dem harten Nußbaummaser g'hockt und hat getan, als ging's um's Leben. Aber sauber ist die Arbeit worden, der beste Berchtesgadener Herrgottsschnitzer hätt's net schöner machen können. Auf der Backenseiten ist a Kranzerl Edelweißstern, in der Mitten ein F und auf der andern Seiten schauen ein Gams- und ein Rehbockhaupt aus Efeuranken 'raus. Und Efeuranken sind auch wieder am Vorderschaft, da wo man beim Schießen die linke Hand einsetzen tut. Unserm gnädigen Herrn hat die Arbeit sakrisch gut g'fallen, und wenn der Herr Franz hätt' die Kirch beim Dorf lassen und bloß Rehböck auf verstandsame Weiten g'schossen, wär niemals ein Verdruß auskommen. Aber so ist im oberen Uferwald ein Galtstück zum Abschuß frei g'west, was der Herr Franz durft' strecken. Auf Rotwild ist bei uns bloß grob's Kaliber verlaubt, auch wir zwei Jäger dürfen unser Deputat niemals mit Militärkaliber erledigen. Den Herrn Franz muß also der Teufel reiten, er nimmt zum Ansitz auf die alte Schachtel den Rumänerstutzen anstatt seiner schwaren Büchsflinte mit der Expreßpatron' elf Millimeter. Auf den Schuß rumpelt die Urgroßmutter ins Dorndicket eini, das wo dorten aus alle Arten Stachelzeugs is z'sammg'setzt, von dem der Vater Noah die Sämerei hat in seiner Archen g'habt. Küß die Hand, an uns zwei Jager ist die G'schicht ausgangen, wir haben hernach ausg'schaut wie Heilige nach der Marterung! Das Stuk war schlecht 'troffen und hat noch eine Hetz' braucht bis zur Donau ans offene Wasser, wo ich ihm hab' die Reiben ablaufen und den Fangschuß geben können. Das Wildbrat ist a wengerl verhitzt g'wesen, nimmer ganz so, wie man's in der Feistzeit halt gern haben möcht', wo sich die großen Gasthöf und Hoteller grad reißen tun um solch feine Bröckerl.

Bei unserm Herrn ist schieach Wetter aufzogen über die Viechschinderei, wie er's g'nennt hat, weil mit dem großen Bleibatzen und dem Haufen Pulver dahinter das arme G'wild war' im Schnall dag'legen. Unser Herr selig hat's nie net mit dem Beten g'habt und ich wüßt' heut noch net akkurat zu sagen, was für eine Konfession die seinige ist g'wesen. Aber unser Herrgott ist ihm ganz g'wiß gut Freund blieben für all das, was er an arme Leut' getan und net auf die Letzt am G'wild. Futtern, hegen, anschauen mit Lust und Liab und, wenn die Zeit ist aus g'wesen, totschießen, daß es den Knall hat nimmer hören können. Ja und wann's diemalen wieder so ein Endstrumm von Kapitalhirsch mit dem Grobkaliber hat 'neing'haut, als hätt' der Blitz eing'schlagen, dann ist der Herr dag'standen mit glanzige Augen, sein Jagahütl in der Hand, und hat frei, als wenn er beten tat, ganz feierlich und stad g'sagt: ›Schicksal, wenn du mich lieb hast, laß auch mich einst so sterben in Kraft und Schönheit, ahnungslos und ohne Schmerzen!‹ – Freilich, so bald hätt' er sich's net g'wunschen, wo doch in etliche Monat wär' Hochzeit g'wesen. Es ist Sünd und Schad um das schöne Paar, denn wenn auch unser Herr viel älter ist g'west als das Fräul'n, zusammpaßt hätten die zwei, als wären s' füreinander erschaffen worden, und das arme Madl war in den Mann vernarrt ganz unsagbar. Sie kann arbeiten wie a Roß und ist g'scheit wie a hochstudierter Professor. Aber das sag' ich Ihnen, Herr Oberleinant, was die Serbin für dem Herrn seinige Aktiengesellschaft all's g'schafft hat, das ist aus Liab zu ihm geschehen. Ganze Nächt' ist sie an der Klappermaschin' g'hockt, wann er wieder a neue Gründung oder eine Millionenrammasuri ausbrüt hat. In der Fruh beim Mokka hat's dann dunkelblaue Ring' um die Augen g'habt wie ein junges Weiberl inwährends der Flitterwochen. Aber sie ist dabei so lustig g'wesen wie der Rotzaggel (Gartenrotschwanz) im Frujahr und hat ihrene Geigen singen und jubeln lassen, als wär' ein Mensch drin. Der Brandkofler und ich sind diemalen heimlich unt' g'standen und haben aufg'lust voller Andacht. Und auf die Letzt haben die zwei sich wieder abbusselt, als wär's ein Abschied für die Ewigkeit. Es muß ihnen wahrhaftig vorgangen sein!«

Rabenhofer hatte mit keinem Wort des Jägers anschauliche Darstellung unterbrochen. Als Försterssohn verstand er es glänzend, mit diesen einfachen goldtreuen Berufsjägern umzugehen, und als ehemaliger Offizier wußte er seine Leute nach Wert und Unwert abzuschätzen.

Dieser Niederösterreicher hatte die Seele eines Kindes und war bei allem ein Mann von Stahl und Eisen, sobald es hart auf hart ging. Das war einer von jenen Prachtkerls, welchen rotes Herzblut taktweise in die Stiefel rinnen darf, ohne daß deswegen die Faust zittert. »Von Fräulein Petrowitsch habe ich nun das Bild ganz klar vor mir«, meinte er, »aber dieser Gräber ist immer noch im Halbdunkel. Nur darin sind sich alle Personen, die ihn genau kennen, restlos einig, daß sie ihn für keinen Mörder halten – immerhin etwas wert und für mich ein Ansporn, nicht zu verzagen.«

Mit Anbruch der Dämmerung verabschiedete sich der Besucher und strebte Satzenufer zu. Beim Tafernwirt gab's einen guten Heurigen und der Geist des süßen Traubenmostes stieg mächtig in die Köpfe. Es waren durchwegs Stammgäste, die hier verkehrten, Schiffsleute, Arbeiter der Stromregulierung, Lotsen der Dampfer, Fischer, dann und wann ein Gendarm oder Jäger. Von rauchgeschwärzter Balkendecke herab hingen Schiffsmodelle aller Art, und um Donauverkehr und Fischerei drehte sich auch meist das Gespräch der rauhen Gesellen.

Heute herrschte jedoch ausgesprochene »Hetz«-Stimmung, denn trotz der schon etwas kühlen Oktobernacht saß da draußen im Garten ein hellicht spinnender Wiener »Muckenprofessor«, über den ein Sterbender nochmals lustig werden konnte! Alle beobachteten durchs niedere Fenster den Kerl mit höchstem Gaudium und eine Lachsalve nach der andern dröhnte durch das kleine Lokal, wenn der fidele Schiffsmeister von Eferding wieder eine seiner treffenden Bemerkungen verzapft hatte. Es war aber auch tatsächlich zum Schreien. Da saß der Käferfex hinter einer riesigen Karbidlampe mit Spiegelreflektor so andächtig wie die Katze vor dem Mausloch, hielt sein Netz bereit und beförderte das anschwirrende Muckenviehzeug in ein großes Stopselglas, wo offenbar scharfes Gift darinnen war, denn die Tiere verendeten fast sofort.

Ganz reif für die Gummikammer schien der Professor zwar noch nicht zu sein, denn er hatte wenigstens einen bildsauberen Durst und trank seinen Federweiß mit verständnisvoller hingebender Andacht. Eben hatte er wieder ein frisches Glas erhalten und der Wirt nahm die Gelegenheit wahr, den Gast auszufragen: »Sie erlauben schon, Herr Professor, was g'schiecht jetzten mit dene verreckten Mucken und Mistkäfer übereinand in dem Glasl da? So ein Marschierpulverl wie das, was da drin ist, möcht' am End für Ratzen und Mäus, Wanzen und Flöh' auch gut sein! Haben S' extra auf das fliegete Viechzeug studiert in der Weanastadt drin und san S' am End gar Käferdoktor, heuntzutags gibt's ja dös all's!«

Der Gefragte schüttelte wehmütig das blaubebrillte Haupt: »Nein, zum Titularprofessor habe ich es noch nicht gebracht, aber ich halte Vorlesungen über Insekten und meine Doktordissertation geht auch über dieses Fach. Zur Zeit forsche ich nach dem Vorkommen der Maura und der Macroglossa fuciformis in der weiteren Umgebung Wiens.«

Der Tafernwirt war mit sich im reinen. Den armen Kerl hatte es schwer! Ein Jahrl vielleicht noch, dann trank er keinen Heurigen mehr in der Freiheit und fing seine Insekten ohne Reflektor. »Ja, ja«, meinte er mitfühlend, »jetzten wundert's mich freili nimmer, wann der Herr Doktor blaue Brüllenglasl tragen muaß, wann er alle Staunzen und Mistkäfer, dö wo rings um Wean umanandafludern, lateinisch oder sonsten in einer fremden Sprach' kann anreden! Wie lang haben S' jetzten da drauf studieren müassen und fallt Ihna die Anred' für a jed's Viech bereits ein, bald Sie's nur fludern sehen, oder muaß es erst im Glasl verreckt sein? Was haben S' denn eigentlich drin, tät von dem Marschierpulverl ein Mensch auch das Absterbensamen kriegen?«

Der Gast rückte seine Brille: »Die chemische Formel dieses sehr starken Giftes ist KNC. Ich habe es der Vorsicht halber in Gips eingegossen; die Dämpfe können trotzdem entweichen, und falls mir etwas passieren sollte, kann ein Unberufener keinen Unfug damit anstellen.«

Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch: »Das haben S' aber fein ausgedrückt. Na, na, mei' lieber Herr Mu... Doktor, alle Tag wird bei uns na doch net jemand umbracht und die Rammasuri mit unserm Herrn Generaldirektor ist ja noch gar net auskocht beim G'richt in Wean! Von unserer Gegend da hat den liaben Menschen keiner durchgetan, die Schweinerei stammt von Weaner Großstadtlucki, die wo ins Wildpratschiaßen rausfahren kommen sind. Aber meinen S' net, Herr Doktor, es wird Ihnen heraußen z'frisch und Mucken fludern auch keine mehr.«

Der Gelehrte war einverstanden, packte sein Zaubergerät liebevoll zusammen und übersiedelte zu den anderen Gästen. In schrankenloser Gutmütigkeit, welche nur noch von seiner Käferweisheit übertroffen wurde, merkte er nicht, daß nun ein wahres Kreuzfeuer von Witzen auf ihn einprasselte. Ein Plättenführer von Wesenufer erkundigte sich teilnehmend, warum der Herr Professor blaue Augenfenster trage: »Wissen S', Herr Doktor, in meiner Hoamat da ist ein Kolleg von Ihna unser Baderwaschel, der kann sovül, daß Sie's gar net glauben! Wenn S' dem sagen, warum Ihrene Augenliachten nimmer recht paragraphenmaßig ist, dann geht er außi und fangt 's Grassammeln an, wie a Goaß mit junge Kitz. Ja, und aus dera Graserei wird nachher a große Sud g'macht und da müssen S' Ihnen die Augen damit einwaschen. I garantier' Ihnen Sie kriegen hernach a G'schau, so scharf wie ein Lämmergeier!«

Ein hünenhaft gewachsener Rottmeister von den Stromregulierungsarbeiten wollte wissen, ob der Herr Professor am Ende im Krieg als Folge eines Gasangriffes kranke Augen bekommen.

»Nein, ich war nie diensttauglich infolge eines sehr peinlichen Unterleibsleidens. Ich kann lautes Krachen nicht hören, ohne sofort auf die – Gelegenheit zu müssen. Es ist dies, medizinisch ausgedrückt, Schwäche des Schließmuskels.«

Dieser bescheiden-sachlich vorgebrachten Erklärung folgte sekundenlanges Schweigen. Dann aber brach ein Lachorkan los, daß die Fenster klirrten. Nur der Herr Professor lachte nicht, sondern schaute kopfschüttelnd fassungslos auf die lustige Bande: »Ja, Sie haben leicht lachen, meine Herren, wer über so glänzende Nerven verfügt, keine Furcht kennt, dem geht es immer gut! Ihr Herr Wirt sprach vorhin sogar von einem Mord in jüngster Zeit. Sehen Sie, wenn nun mir armen Doktor der Entomologie solch ein Mordgesell' im Wald begegnen und auf mich anlegen würde, müßte ich ihm glattweg meine gesamte, immerhin nicht billige Ausrüstung anbieten, mich am Ende ausziehen bis auf's Hemd und in diesem schenierlichen Zustand auf Seitenpfaden, von Damen ungesehen, Wien zu erreichen suchen.«

Jetzt schrie, lachte, brüllte, wieherte es durcheinander wie im Tollhaus. Der Schiffmeister von Eferding aber jubelte: »Wirt, steck an, i zahl' a Faßl Heurigen vom Besten. So jung und so schön wie heunt kummen wir nimmer z'samm' und der Herr Doktor-Professor soll leben und seine Staunzen daneben – Vivat hoch!!«

Der also Geehrte wollte bescheiden abwehren, es half aber alles nichts. Des Eferdingers Argument war auch zu einleuchtend: »Schenieren S' Ihnen nur net, Herr Doktor, wann sich einer Jahr und Tag muaß von Käfer und Staunzen nähren wie a Mauerschwaiberl, nacher derf er auch amal eine Nacht durchsaufen, bald's nixen kosten tut. Und ich hab' heunt die Spendierhosen an und rechen es mir zur Ehr', wisenschaftlich dischkerieren z'dürfen!«

Das »Wisenschaftliche« war bald erledigt und dann ging das Gespräch von selbst auf den Mord an Generaldirektor Lenk und das tragische Ende der jungen Jägersfrau über.

Der biedere Tafernwirt kannte Gräber recht gut, weil er bei ihm oft, von der Entenjagd ausruhend, zugekehrt war. Seine Verhaftung durch die Kriminalpolizei ärgerte den Braven schwer: »Jeder Wirt muaß Menschenkenner sein, Herr Doktor, ansonsten darf er übers Jahr s' Häusl zusperren und den Bettelsack umhängen. Zum zweiten muaß er selber a ehrlicher Kampl sein und nie nixen G'stohl'nes net kaufen, sonsten ist er verratzt und verraten von der Bagasch. Es könnt' einer in der Saison oft amal Wildprat oder Fisch und Krebsen brauchen und die Lumpen feilen's billig an. Finger weg von dem Zeugs, oder es brennt eines schönen Tags die ganze Pratzen. Und gar erst Schwärzer Unterschluff geben oder Revoluzzer, mir gangst! Alsdann, daß mer wieder auf das Menschenkennen tut zurückkommen: Mich wann s' fragen auf Eid und Seligkeit, nachher sag' ich's dene Federfuchser in der Weanastadt, aber kerndeutsch, vastehst? Der Gräber ist a Kittellupfer und Springginkerl, a verzogenes Muatterbuberl, dem der Vater ist z'bald wegg'storben. Der Kerl hat Talenter zum Neidigwerden, aber sei Lüftigkeit ist so groß, daß es ihn fortwachelt wie a Papierfetzerl, bald nur a Winderl geht. Aber da ist noch ein Endstrumm Weg bis zum Umbringen, no dazu eiskalt und ausstudiert! In der gachen Hitz kann's diemalen passieren, daß einer ebbs tut, wo er hernach Bacherl trenzt. Von dera Sorten ist der junge Herr Franz aber schon gar keiner, da ist er viel z'leger und woach veranlagt. Wann ich der Polizeipräsident von der Weanerstadt wär', i wüßt, wohin greifen! Freilich gang der Griff in a Wespennest, es könnt' sogar sein, daß Hurnaußen drinsitzen. Das Motorradl ist a schöne Erfindung, aber die schönst' Sach' wird a Teufelszeug, wann's in unrichtige Händ' tut kommen. Und wann nachher auf dem Benzinwagl so a verfluchter Lucki drobenhockt mit anem Plattenbruader hintdrauf und a jeder hat den Abschrauber oder so ane Armeepistolen mit Anschlagkolben im Rucksack, nacher darnach kann's wüld aufgehn. Da schnackelt's auf der Stell', wann solchene Raubersg'selln mit Jagern z'sammrumpeln und wann's pressiert, tun s' ihn auch staad durch. Der Herr Generaldirektor selig ist ein harber Jager g'west, und als Dragonerrittmeister der harbste Offizier vom Regiment! Es san in unserer Gegend da mehra, die wo in seiniger Eskadron haben dient. Wann die übers Verzähln richten von ihrem ›Teufelsrittmeister‹, nacha muaßt spitzen! Wie die Unsern im Vierzehnerjahr ins Serbien eini san mit Hurra, da ist der Herr Lenk mittens durch Dorfstraßen durchg'ritten, wo das Zivil links und rechts hat aus die Häuser mit Jagdg'wehr und Revolver rausblitzt, als wenn er kugelfest wär' g'wesen. Und in seiner Revür da hat er überhaupt nix g'schiechen und wär auf all's las mit der eisern' Zang. So was spricht sich rum unter die Lumpen und keiner von die Bazi hat sich verlangt, mit dem Herrn anz'bandeln. Drum laß ich mir's auch net nehmen, er ist ahnungslos auf einen Weaner Raubschütz g'rumpelt, der wo ihn aus dem Hinterhalt mit einem g'stohlenen Repatierer oder einer Armeepistoln hat z'sammblitzt. Ausg'raubt ist er freilich net worden; aber der Mörder wird halt die Jager g'forchten haben, die genauestens zum Herrn passen. Es hätten ja die drei net schöner von Tauben können zusammtragen werden und die Jager sind für ihren Herrn durchs Feuer gangen. Wann die Weaner Polizei möcht' Razzia halten in Vorstadtbeißerl, wo Wildbrat tut auf der Speis'karten stehen, da glaub ich, möcht's allerhand Überraschung geben. Aber g'schmaach ist das G'schäft net und den Finger derf einer flink am Drucker haben, sonst schnackelt's beim andern vonerst!«

Der Eferdinger Schiffmeister tat einen tiefen Zug aus dem Glas und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Recht hast, alter Praktikus, an die is a Polizeipräsident verlorengangen du hätt'st die Bazi in eine Nacht z'sammg'fangt, wie der Peterbauer seine Brachsen. Aber eins hast vergessen: was a ganz ausdrahter Oberbazi ist, der stiehlt in der Weanastadt eine Zillen und fahrt damit bei der Nacht am Wasser runter ohne Strapaz und G'fahr. Landen tut er, wo er mag, und die Jager sollen schmecken, wann der Teufel seine Spießg'sellen um die Weg hat. Hehler gibt's überall und das g'stohlene G'wild fahrt auf der Bahn in Kisten und Körbeln kreuzg'mütli nach der Stadt. Brauchst bloß im Polizeibericht lesen, was alleweil Zillen, Schinnaggel und sogar teure Ruderboot g'stohlen werden, dann weißt auch akkurat, daß mindestens die Halbscheid ist zum Wildbratschießen mißbraucht worden. Und frag den Peterbauer, was die Raubersg'sellen von der Weanervorstadt sonst noch alles mitgehn lassen, nachher wirst a Hellseher. Die teuersten Zugnetz, Fischkalter mit Zentnerladungen Karpfen und Hechten, große Lagel mitsamt Prachthüchel von fünfazwanzg Pfund, Legangeln, Setznetzerl, Reußen, Krebsteller, Ruder, es gibt nix, was so ein Schlawiner net brauchen kann.«

Über allem war es längst Mitternacht geworden und der »Muckenprofessor« schlief, ungewohnt des schweren Getränks und dicker Tabakwolken, am Tisch fast ein. Auch die andern Gäste hatten etwas Blei in den Gliedern und sagten gute Nacht.

Am nächsten Morgen ließ sich der Doktor den Weg zum Fischermeister zeigen, um, wie er sagte, dort Wasserjungfrauen im Larvenzustand zu beobachten. Der Tafernwirt schaute ordentlich besorgt drein. Jetzten hat's g'schnappt – aber nur nix merken lassen und der heiligen Annastasia danken, wann der narrische Kerl gut draußen ist beim Loch: »Wasserjungfrauen haben S' g'sagt, Herr Doktor? Da san S' in der Jahreszeit a wengerl spat dran, die Saison is vorbei, das Wasser is z'kalt für das Weibervolk. Im Juli oder gar August, da können S' am großen Wörth die Weiberl mit und ohne Larven umanandschwimmen sehng, grad packweis!«

Der Muckenprofessor sah tatsächlich komplett geistesgestört aus, so werkte, zuckte und zappelte es in seinem Gesicht. Dann machte er einen sehr energischen Ruck und sagte belehrend: »Nein, es handelt sich um eine besonders schöne Jungfernart, von der ich hoffe, daß Herr Peterbauer als Berufsfischer sie kennt, diese Sorte ist ausgezeichnet durch drei steife Borsten am Hinterteil.«

Damit schüttelte der »Wahnsinnige« dem Wirt die Rechte und pilgerte seinem fernen Ziel, dem alten Fischeranwesen Peterbauers zu. Dieser war eben mit acht Knechten vom Morgenfang in vier Ruderbooten heimgekehrt und empfing seinen Besucher mit Verständnis. Solch harmlose Gesellen fanden im Sommer öfters den Weg zu ihm und seine Söhne hatten einen staatlichen Fischereikurs absolviert und waren viel in Berührung mit Zoologen gekommen. Wie erstaunte deshalb der biedere Meister, als der Blaubebrillte, nach einem vorsichtigen Blick zur Tür, sein Polizeischild wies.

Peterbauer war schnell gefaßt, nickte nur und ließ den Besuch in das Staatszimmer treten. Dort entwickelte Rabenhofer in kurzen Sätzen dem aufmerksam Lauschenden die Sachlage im Mordprozeß und ersuchte um Beihilfe auf der Suche nach Lenks Mörder. Die sagte ihm der alte Fischer freudig zu: »Ich bin nimmer der Jüngste«, meinte er. »Aber wann der Herr Oberleutnant einen Fahrer brauchen bei der Mondscheinlichten, wo die Weaner Raubschützen ihrene Wildbratmetzgerei praktizieren mit Antenflinten, Rehpfosten, Fuchsschrött und Hackblei, nachher bin ich schon da mit der Hacken! Wissen S', ich hab' selber allerhand Graserl zum Rupfen mit dem Raubersvolk. Der heilige Petrus hat halt mich alten Apostelfischer nie net verlassen, ansonsten läg' ich schon längst stumm und staad im tiefsten Altwasser und die Krebsen taten mi abfieseln. Es san mir und meine Söhn' im achtzehner und neunzehner Jahr unterschiedliche Käferln am Ohrwaschel vorbeig'flogen, große und kleine, aus Blei und Stahl. Aber sagen S' mal, Herr Oberleutnant, wenn der Herr Geheimrat die Revür übernommen und sich soviel Geld kosten laßt zum Lumpenfangen, warum packt er's nachher bloß halbet an?«

»Halb – wieso, jetzt bin ich aber gespannt«, meinte Rabenhofer.

»Ganz natürli! Wann ich der neue Jagdherr wär', tät ich den Spieß umdrahn und die Wildschützen auf dem Wasser z'sammpracken und zum Teufel schicken. So eins von dene neumodischen Benzinschifferl, fest baut, vorn a scharfe Stahlschneid und hohe Kupferbordwänd' – Herr Oberleutnant – da fahren S' amal mit Hurra und siebzig Kilometer auf ane Zill'n mit sechs Lumpen los. Nachher werden S' spitzen, wie das Zeugl auseinandbricht und die Bande kopfüber ins schwarze Wasser kugelt. Da bleibt nimmer viel Zeit zum Schiaßen, wann das Ding richtig andraht wird. Raus aus dem Hinterhalt, wie a alter Lauerhuach unter Weißfisch, daß all's spritzt, zupackt und z'sammbissen!«

Rabenhofer war begeistert: »Ihre Idee ist großartig, Herr Peterbauer, nur wird die Unterbringung des sehr wertvollen Motorbootes keine geringen Schwierigkeiten machen, und sicher muß das Ding vor Diebstahl und Beschädigung sein, sonst erleben wir etwas!«

Der Fischer lachte fröhlich: »Das lassen die Herren nur meine Sorg sein! Dem Herrn Geheimrat garantier' ich, daß dem Schifferl nie nix passiert. Schauen S' nur 'naus da beim Fenster. Derselbige Bach, der wo ins Altwasser tut münden, hat warme Quellen, friert auch im strengsten Winter net zu. Eine schwimmende Bootshütten mit einbruchsicherem Tor baut uns der Schiffszimmermann im Ort drin auf eine Wochen. In vierzehn Tag haben wir volle Mondliachten, da kann sich allerhand rühren. Einer vom Herrn Geheimrat seine Jager sollt' das Steuern auch lernen. Ins Fahrwasser einführen tu ich ihn gern. Das bleibt sich auch nie net gleich, a jed's Hochwasser bringt Änderung, wirft neue Grieser auf und reißt alte fort. Wo vonerst Gumpen sind g'wesen von Dreizimmertiefen, da sitzen S' hernach auf einmal fest, weil versunkene Baumstämme, Wurzelstöck' und anderes Teufelszeug ist zusammtragen worden. Da lernt einer nie net aus und muaß anen guaten Merks haben für so was, von Natur!«

Rabenhofer war hochbefriedigt und beeilte sich, nunmehr nach Hause zu kommen und Bericht zu erstatten. Der Geheimrat fragte telephonisch an, ob ein Motorboot von gewünschten Eigenschaften greifbar sei. Er hatte Glück, denn es lag Verkaufsordre der Erben des Conte Guardini vor, welcher im Targa-Florio-Rennen zu Tode gestürzt war. Das von ihm auf der Donau benutzte Motorboot war feinster Sporttyp von ursolider Bauart und flog mit Vollgas nur so übers Wasser. Die wenigen gewünschten Änderungen nahm die Werft nach Peterbauers sehr praktischen Ratschlägen zur vollsten Zufriedenheit vor. Auch den Jäger Seeaner hatte der neue Jagdherr im Kraftwagen dazu eigens aus dem Revier geholt, nachdem sich herausstellte, daß dieser in seinem früheren Dienst schon Motorboot gesteuert im sehr schwierigen Fahrwasser der Marchauen. Dem Chefingenieur der Werft wurde bei der Unterhaltung mit diesem Prachtmenschen ordentlich das Herz warm: »Ich bin Konstrukteur mit Leib und Seele«, meinte er. »Aber manchmal könnte einem alles verleidet werden durch die ewige blöde Verhetzung des Personals, für das man doch so warm fühlt und ihm nur das Beste wünscht. Einmal raus aus der ewigen Tretmühle und solchen Renner selber steuern dürfen, den man gebaut hat, dann wüßte man doch, für was man gearbeitet! Um solche Jagdfahrt nach Raubschützen in der Mondscheinpracht schweigender Donauauen beneide ich die Herren.«

Rabenhofer lächelte: »Diese Passion begreife ich und wohl jeder, der einmal als Führer an den Feind gehen durfte, vollkommen. Gefahr ist das Schönste, was es für einen echten Mann gibt, besonders dann, wenn damit auch noch ein hoher idealer Zweck verbunden ist. Vielleicht läßt es sich einmal richten, daß wir Ihre Aushilfe in Anspruch nehmen. Eine Ablösung kann unter Umständen leicht in Frage kommen, denn es ist keine Kleinigkeit, vier – fünf Nächte lang nacheinander auf dem Strom zu kreuzen oder, im Schilf verborgen, auf die Boote der Raubschützen zu lauern!«

 

Peterbauer hatte es sich nicht nehmen lassen, nach der ersten wohlgelungenen Probefahrt im Revier die Teilnehmer zu sich ins Fischerhaus einzuladen. Dr. Krüger war über die alte Siedlung welche auf vielhundertjährige Geschichte zurückschaute, ganz hingerissen. Türken, Slawen und Franzosen waren hier durchgezogen, so mancher Peterbauer hatte dabei sein Leben gelassen oder seinerseits dafür gesorgt, daß im stillen mit Seerosen bedeckten Altwasser wilde Reiterherzen mit heißem Blei zur ewigen Ruhe gebracht wurden.

Der alte Fischermeister mit seinen bärenstarken Söhnen sah auch in den Revolutionsjahren nach dem Krieg schwere Tage und konnte wochenlang nicht auf das Wasser, ohne Waffen mitzunehmen. Er verstand bei einem feinen Niederösterreicher Tropfen, der in den Gläsern blinkte, ganz vorzüglich zu erzählen:

»Sehen S', Herr Geheimrat, wie Anno dazumal wir alle haben irr werden müassen an unserm Kaiser Karl, der sich selber und dem Doppeladler ist untreu worden und fahnenflüchtig, da hat's g'heißen: Hilf dir selber, nachher hilft dir Gott! Recht leicht g'sagt, aber bitterschwar, wann alles auf dem Kopf tut stehen, die höchsten Behörden verschlossen san wie Ratzen im Kellerloch und Plattenbrüder, Lucki und Stenz übers ›Regieren‹ tun richten! Selbige Regierung hat auch amal ane Donaubereisung ang'sagt – auf Salondampfer! Vorn dran ist a Maschineng'wehr g'standen mit etliche Lucki als Bedienung und auf der Kommandobrücken hat einer als ›Admiral‹ Befehler geben, die wo er selber net hat verstanden. Der Herr Lenk und ich sind im Kormoranwörth im Schilf dring'hockt wie Stockanten. Meine Söhn'n und drei Fischerknecht waren auch dabei. Ja, und wie derselbige ›Regierungsdampfer‹ ist mit rotem Fahnenfetzen voraus breitseit vorbei, hat's tuscht, aber schon a bisserl gar grob! Die drei Lucki am MG. haben zappelt wie Hasen in der Kesseljagd und den Herrn Admiral hat's auf die Schnauzen hing'haut, daß er 's Aufstehen für alle Ewigkeit vergessen. Sie machen Ihnen gar kanen Begriff net, wia tadellos der Dampfer auf anmol ›kehrt marsch!‹ auf Wean hoam ist und nimmer kommen! Auf das nauf war Ruh' im Aurevür und Fischwasser, wenigstens sind's net gleich in helle Haufen ang'ruckt zum Rauben, wie anderwärts. Wir haben unter die Einheimischen natürli auch solchene, die wo gern Wildbrat schießen und schwarz fischen. Die zwei harbsten davon, den Krieninger-Maxe und den Achwallner-Lois, hat's ja auch schon öfters erwischt und zur Zeit sitzen s' wieder im Loch.«

»Haben diese mit Großstadgesindel Verkehr gepflogen, während sie in Freiheit waren?« forschte der Detektiv.

Peterbauer schüttelte das weiße Haupt: »Ah, beileib net, das sind zwei ganz ausdrahte, heimliche, die wo mit keiner Konkurrenz net teilen mögen und den Erlös vom Raub selm einsackeln. Aber das laß ich mir net nehmen, es gibt schon Leut hierum, die wo den Weana Raubschützen zutragen und ausspekulieren! Der Herr Lenk selig hat alleweil Verdacht g'habt auf die Arbeiter vom Flußbau. Da ist mitten unter kreuzbrave, ordentliche Leut natürlich auch allerhand aus der Fremd' zug'standenes Ausländerzeugs dabei, von dem man die Straflisten tut erst erfahren, wann s' wieder was Neues ausg'fressen haben. Das ist ja das schönste an unseren neuen G'setzer, daß auch der größte Mistlump auf Erden net in seinem Fortkommen – gut kerndeutsch g'sagt – in seiner Lumperei zu Wosser und zu Land darf geschädigt werden. Solchene Oberbazi verderben a ganze Gegend; besonders unsere jungen Burschen die wo nimmer beim Militär haben dienen müssen und ganz zuchtlos aufwachsen in Fabrik und Werkstuben, die fludern auf solchene Kunden zu, wie Eintagsfliegen auf's Dampferlicht zum Flügelverbrennen.«

Der Detektiv war im Bilde. Alle Spuren wiesen nach Wien. Unter der Voraussetzung, daß Gräber nicht der Mörder war, mußte man ihn unter dem gefährlichsten Gesindel der Vorstadt suchen und – finden.

Dr. Rothenbucher stellte auf Ersuchen eine genaue Liste aller derjenigen Gastwirte auf, die schon wegen Kauf von gefreveltem Wild, Edelfischen und Krebsen Polizeistrafen erhalten hatten. Auch unter den Verbrechern gibt es große Feinschmecker, und die Nachfrage war in Lokalen, wo reiche Beute versilbert zu werden pflegte, ziemlich bedeutend.

Eine der verrufensten Verbrecherherbergen Wiens stand am Donaukanal draußen. Die Lokalitäten lagen so versteckt, daß Straßenpassanten kaum hinfanden. Das primitive Schild am Eingang einer Kellertreppe wies eine Maus, welche eben im Begriff steht, ins Loch zu schlüpfen und nach rückwärts lange Nase zeigt. »Zum Mausloch« lautete denn auch die vielsagende Inschrift, und jeder Polizist tat im Vorbeigehen unwillkürlich einen Griff nach der Pistolentasche.

Es war noch früh am Abend, als ein Fremder die steile dunkle Kellertreppe hinabturnte und mit kurzem Gruß das Lokal betrat. Das verlangte Glas Heurigen stürzte der Gast hinunter wie ein Verdurstender und ließ es sogleich nachfüllen. Der Wirt musterte seinen Besucher mit Mißtrauen. Irgend etwas an dem Kerl gefiel ihm nicht ganz – machte es die nicht mehr neue grüne Livree eines herrschaftlichen Leibjägers oder Büchsenspanners oder die sehr achtungsgebietende drahtige Figur, – solange man nicht die Strafliste eines Menschen kannte, durfte man ihm kein Vertrauen schenken – das war oberster Grundsatz auf Mauslochterritorium!

Der Gast kümmerte sich um nichts, hatte den Kopf zwischen zwei gebräunte, ziemlich leistungsfähige Fäuste gestemmt und stierte in den Tisch. Als der Wirt vorsichtig nähertrat, bekam er von unten herauf einen scheuen Blick, was auf ihn sehr beruhigend wirkte. Immerhin hieß es vorsichtig auf den Busch klopfen: »A wengerl lausige Zeiten, Herr Nachbar? Es muaß heutzutags mancher mit Zeugs vorliebnehmen, was er früher nie net estimiert hätt'! Die guten Tröpferl, die wo Sie in Ihrner früheren Stellung zum Trinken haben kriegt, gibt's halt bei mir da im Mausloch leider net!«

Der Grünlivrierte schlug mit flacher Hand auf den Tisch: »Recht hast Wirt – hol der Teufel den Herrendank! Solang' einer auf Buchstab und Tüpferl nach Guster von den Großkopfeten tut leben und schnurren wie a Angorakater, ist alles halleluja. Laßt dir aber nur das geringste beifallen, nacher kriegst einen Tritt und kannst ohne Zeugnis fechten gehen auf der Landstraßen.«

Der Herbergsvater setzte seine Gönnermiene auf. An dem dummen Kerl war noch Geld zu verdienen, der hatte sein Letztes noch lange nicht versilbert und vertrunken! »Jo, jo, man woaß schon, wie's zugehen tut bei höchste Herrschaften. Braucht einer bloß vom Kammerkatzerl was wollen, das für gewöhnlich beim gnä Herrn selm tut aus und ein schlupfen, nachher ist der Krach da!«

Sein Gegenüber machte eine ärgerlich verneinende Bewegung: »Pah – Weiber! Um dasselbige Federvieh hab' ich mich mein Lebtag net mehr kümmert, als was zur G'sundheit ist unbedingt notwendig. Aber na, mir hat die Jagerei das G'nack brochen – bin halt ein Försterssohn aus großer Familie von vierzehn Kindern und hab' net können die Forstschul' besuchen. Also bin ich Büchsenspanner worden – drunt im Kärntnerischen steht die Herrschaft – und hab' müssen alleweil zuschauen, wie mein Herr Hirschen und Gams nacheinander z'sammblitzt. Jeder Mensch hat amal schwache Stunden, und so muaß mich der Teufel reiten und ich brenn' anen Zwölferhirschen nieder mit Stangen wie a Arm so dick. Wie ich hab' das G'weih auf die Post geben, guat verpockt, vastehst, in meinige Heimat, kommt der Förster dazu und schnuffelt sein Schweißhund alleweil an der Kisten umanand. I woaß net, hat er scho Verdacht g'habt, er tut a dumme Red' und i fall' drauf rein und werd' hitzig. Aus war's! Er draht sein Amtsschild raus und konfisziert die Kisten zur Öffnung.«

»Ja und dann« – frug der Wirt lauernd.

»Dann haben s' mich Knall und Fall ohne Zeugnis entlassen, zum Einspinnen war nimmer weit. Jetzten nimmt mich keine Herrschaft nimmer und ich muaß mich auf die Gegenseiten schlagen. Sollen aber spitzen, die Großkopfeten, wann's bei mir wild tut aufgehn! Scheuchen tu ich nix mehr, und mein G'schäft versteh' ich aus dem Fundament.«

Der Hehler triumphierte innerlich. Ein größeres Rindvieh als diesen abgebauten, grünangestrichenen Lakai gab's im ganzen Herrgottstiergarten wohl nimmer. Der plapperte in einer Verbrecherspelunke sein Vorleben aus wie eine Jungfrau im Beichtstuhl. Dieser Strohkopf, richtig bearbeitet, mußte in Zukunft Wildpretlieferant von Mauslochwirts Gnaden werden und konnte sehen, welche Bettelpreise er dafür ausbezahlt erhielt. Vorerst hieß es einseifen, das Rasieren kam hernach und der Gurgelschnitt zuletzt. »Ja, Herr Nachbar, so geht's, wer auf Herrenleut traut, hat auf Sand gebaut. Aber Rache ist süß und schmeckt kalt am besten. Da müssen S' Ihnen mit a paar Stammgäst' von mir anfreunden, die wo Gustierer san vom Wildbratschießen, aber no net so ganz paragraphenmaßig mit alle Finessen. Es gibt da in der Umgebung von unserer Weanastadt allerhand Revür mit haufig G'wüld. Bald einer recht gut beinand ist mit der Spritzen, kann er packweis Geld verdiena. Wann S' Ihna a wengerl gedulden wollen, meine Gäst' werden heunt zum Nachtmahlen eintreffen, da können S' gleich speziöll wem damit.«

Der brotlose Büchsenspanner war einverstanden: »Es gibt Stunden im Leben, wo einer s' Alleinigsein nimmer tut aushalten und a mitfühlende Seel' braucht zum Dischkerieren.«

Bis zum Eintreffen der Stammgäste wußte denn auch der Beherrscher aller Mauselochgeheimnisse schon viel mehr von seinem Gast, als dieser ahnte. Der süffige Heurige und die etwas dumpfe Luft des unterirdischen Kellerraums legten sich schwer aufs Gehirn und lösten die Zunge. Das Ausfragen verstand der alte Banditenbeherberger auch ganz vorzüglich, und als nacheinander Schichtl-Beni, Cavalla-Giacomo, schöner Adi, Geigl-Schorsch und zuletzt der grüne Gustl eingetroffen waren, konnte ihnen der Wirt durch Geheimzeichen bekanntgeben, daß der »Neue« nicht von der Polizei, ein großartiges Objekt zum Wurzen und Ausbund eines verbotenen Mondkalbes sei. Die Stammtischrunde des Mauselochkellers konnte sich tatsächlich sehen lassen! Schichtl-Beni war ehemals Zirkuskünstler gewesen und dann wegen Unterschlagung aus dem Artistenbund für immer ausgeschlossen worden. Seinen wahren Namen kannte nur die Polizei. Cavalla-Giacomo hatte einst die Musikhochschule zu Bologna besucht, entstammte besserem Hause und war durch Weiber auf die schiefe Ebene gekommen. Er nannte sich »Fremdenführer«, war aber ein gefährlicher Zuhälter, Bordellschlepper und Mädchenhändler. Der schöne Adi war Hotelräuber, Hochstapler, Heiratsschwindler. Geigl-Schorsch hatte bereits große Einbrüche genial durchgeführt, war gelernter Schlosser und Autoführer, er besaß bedeutende Körperkraft und nicht wenig Intelligenz. Der »grüne Gustl« hatte seinen Spitznamen von der Liebhaberei für jägermäßiges Auftreten, das jedoch wenig zu seinen rohen Zügen und stierartigen Bewegungen paßte.

In nüchternem Zustand konnte er blendend liebenswürdig und lustig sein; musikalisch veranlagt, beherrschte er Laute und Zither, sang gar nicht übel und hatte in Meran als Silberschmied gelernt. Dann hatte den talentierten Menschen das ewig weibliche hinabgezogen; Veruntreuungen und andere Straftaten brachten Gefängnis. Der Anfang vom Ende war da; Suff, Dirnen, Hochstaplerei taten ein übriges, und nun hatte den schwachen Charakter zu allem Überfluß eine neue große Leidenschaft ergriffen – das Wildern in den Donauauen. Der Wirt vom Mausloch nahm die gefrevelte Beute – durchwegs Hirsch und Rehe – ab, und den Erlös vertrank Gustl in wenig tollen Nächten zusammen mit den Genossen seiner Streifzüge in Dirnengesellschaft bei den Klängen der Zupfgeige. So stak er unentrinnbar in den Klauen des doppelte Kreide führenden Hehlers und mußte auf immer größere neue Einnahmequellen sinnen, welche gnadlos auf Sumpf und Schwerverbrechen zuführten.

Anfänglich war der grüne Gustl gar nicht erbaut von dem neuen Besucher und des Quartierwirts Vertrauensseligkeit erregte sogar seinen hellen Zorn. Er griff sich den Wirt draußen in der Küche und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube: »Ich hab' heunt z'Nachmittag schon a ganz vertrückende Gurgel g'habt und etliche Viertel trunken. Aber nüchterner als du, alte Rindshaut, bin i alleweil und hab' mein' Verstandskasten so scharf beinand wie 's Messer im Hosensack. Aber das sag' ich dir, alter Wuchererg'sell, wann der Kerl im Lakaieng'wandl am End doch von der Polizei ist und uns alle ins Kriminal bringt durch deinige Dummheit, nacher danach tu ich dich dafür durchi, ohne Gnad und Pardonn! Vastehst, Gurgelabschneider, blöder Hammel?«

Der so liebevoll Interpellierte maß seinen Stammgast von oben bis unten: »Ich glaub' alleweil, Gustl, du hast bei meiner Konkurrenz mehr trunken, als ich dir verlauben kann. Zahl erst amal deine Schulden bei mir und nachher sauf, wo s' dir kreditieren! Meinst, ich bin so blöd im Hirn wie du und woaß net, wo ihr Bande, außer im Mausloch, no überall zukehren tuts? Druck dich nur gleich in das Beiserl ›Zum Schmachtlockerl‹ und laß dich ans Kriminal verkaufen von dem blonden Mensch, das wo dorten bedient!«

Der Hieb hatte gesessen – Gustl wurde blaß vor Wut und duckte den Kopf zwischen die breiten Schultern, gleich einem zum Stoß ansetzenden Stier: »Soo – daher wachelt 's Lüfterl? Ah, schau mir einer den Feinspinner an. Unter G'schäftsaufsicht möcht' man g'stellt werden als anständiger Kerl und in d' Sklaverei verkauft wie a polizeilich Numerierte ins Kanarihäusl vom Tiefen Graben. Aber na, Freunderl, so wetten wir net. Leg amal auf, was ich dir schuldi bin und ich verzähl' dir, um wieviel du mich hinters Licht hast führen wollen mit meine Warenlieferungen. Nacher danach wird sich ausweisen, wer von uns zwei Schulden hat zum rechtmachen!«

Des Mauslochwirts Züge strafften sich wie die eines Raubtiers; der ohnedies stechende Blick glich täuschend dem einer Giftschlange, welche im Begriffe ist zu beißen: »Machen mer's kurz! Für dich ist das Nottürl zum Donaukanal von heunt ab zuagschlossen, wann die Kriminaler Razzia pfeifen und alle Revolver im Hafenviertel ledig. Daherinn kummandiert alleweil no' der Mauslochwirt Theobald Rieselsberger, wie er sich bürgerlich tut schreiben, und net a herg'laufener Plattenbruader! Und jetzten schwing die, Gustl, und bald's du dich net kavalürmäßig benehmen kannst gegen meinige Gäst', nachher raucht's aber grob!«

Da ging der Verbrecher mit hängenden Schultern, die Augen am Boden, Hände in den Hosentaschen, zurück ins Gastzimmer. Er hatte seinen Meister gefunden wie ein Tiger den Bändiger. Die Nottüre war ja der Weg zur Rettung und Freiheit, ohne sie mußte man eines Nachts vor den Revolvermündungen der Polizei beide Hände heben und vielleicht auf Jahre hinaus in den Kerker wandern. Der berühmte unterirdische Rettungsstollen der Mauslochkaschemme war durchaus kein Weg durch blumige Auen, stank vielmehr wie die Pest und wimmelte von Ratten. Es war eben nichts anderes als ein alter, außer Dienst gesetzter Sammelkanal für die Latrinen eines Häuserblocks und mündete in die Donau. Man konnte, bei mittlerem Wasserstand mit dem Boot hinfahrend, direkt hineinspringen und umgekehrt im Notfall, schwimmend im Strom, noch unter den Augen der Polizei verschwinden. Auch die Wildtransporte aus den Donaurevieren gingen sehr oft diesen Geheimweg. Ein Verrat desselben stand niemals zu befürchten, weil ein ungeschriebenes Gesetz unter Verbrechern auf derartiges gnadlos Todesstrafe verhängte.

Der Neue hatte indessen die edle Tafelrunde völlig in seinen Bann gezogen und bestellte nun sogar »Bowle extra schwer« zur Besiegelung der Freundschaft. Das Rezept dieses Göttertrankes war dem Wirt völlig neu und die Kosten der Herstellung überstiegen normale Mauslochverhältnisse ganz bedeutend. Eine diesbezügliche vorsichtige Anzapfung quittierte der Grünlivrierte sogleich mit Hervorziehen seiner Brieftasche und barer Bezahlung. Sodann gab er Donaubrachsen, in Schmalz gebacken, zu Hirschfilet in Auftrag, pro Mann doppelte Portion!

Die Stimmung hob sich zusehends, das Gespräch kam von selbst aufs Fachliche, und der grüne Gustl fragte in seiner lauernd-süffisanten Art, ob man als Büchsenspanner bei G'schwollschädeln außer Gewehrputzen und Stiefelschmieren auch Schießen lerne. Der also Angepöbelte sagte kein Wort, stand trotz merklicher Bezechtheit ganz stramm auf den Beinen und verlangte vom Wirt sechs Kerzen. Diese steckte er in die Hälse von ebensoviel geleerten Weinflaschen und plazierte die Beleuchtung in Reih und Glied auf ein leeres Bordbrett. Dann die kurze Frage, ob man scharfe Schüsse bis auf die Straße hören könne, und nach Verneinung ein Griff in die rechte Hosentasche. Keiner der gewiß waffengewandten Bande konnte auch nur so schnell schauen, wie der grün angestrichene Lakei die Kugeln auf volle Raumlänge in die Weinflaschen jagte, daß Scherben und Splitter flogen.

Indes alles sprachlos staunte, schwang der Schütze schon die Trommel seiner Waffe aus, entfernte mit einem Druck die leeren Hülsen und füllte aus der Westentasche neue Patronen auf, mit vielsagender Kopfbewegung nach dem Treppeneingang: »Mer kann nie net wissen, wann man seinen Handwerkzeug tut brauchen!«

Die Banditen starrten den »Neuen« in wortloser Hochachtung an, der ehrenwerte Herr Theobald Rieselsberger war sogar etwas blaß um die Nase. Wer den langbeinigen Kerl mit seinem funkelnden Schießeisen zum Feind bekam, mochte keine Geschäfte mehr drehen, der hatte auf Erden ausgeschnappt für immer!

Es war so ziemlich der Gedankengang von allen, den der Wirt zum Ausdruck brachte mit den Worten: »Allerhand Hochachtung! Es ist doch schon a schöne Lacken, was da von dem schwaren Zeugs ist heute abend z'sammeng'suffen worden und in dem Zustand geht ka anzige Kugel daneben. – Darf man sich anfragen, was die feine Kugelspritzen da wohl 'kostet hat.«

Eine großartige Handbewegung: »'kost hat sie mich gar nixen, weil s' ein Präsent ist von jemand, den ich amol hob aus dem Wasser zogen. Es ist eine amerikanische Waffe, für Kunstschützen gebaut, Preis in London zehn Pfund Sterling.«

»Abgebrannt« war dieser Jagdlakei überhaupt nicht. Er trug ganz achtbare Werte an sich spazieren und hatte Not bisher nur dem Namen nach gekannt. Aus seiner Messertasche lugte der Griff eines wahren Prachtstücks von Genickfänger. Herr Rieselsberger verstand sich auf Abschätzen von Pfandobjekten ziemlich leidlich, wenn ihm auch sonst jedes Schönheitsgefühl mangelte. Er wußte natürlich nicht, daß die Griffschalen dieser gefährlichen Klinge echtes Steinbockhorn, die Altsilberfiligranarbeit von Juwelier Moraner stammte und der Stahl aus Sheffield. Aber er hatte solches »Luxuszeugs« schon in Schaufenstern am Ring bestaunt und sich ob des verrückten Preises entsetzt. Auch die goldgefaßte Hirschgrandlnadel in der grünseidenen Krawatte war keine Durchschnittsarbeit und die in Altsilber nach Steirermanier tief sitzenden Westenknöpfe mit Stuckgrandeln desgleichen.

Der grüne Gustl und sein Tischnachbar, der schöne Adi, hatten gleich anfangs lüsterne Blicke darauf geworfen. Angesichts der bewiesenen Schießfertigkeit getraute sich niemand mehr Zweifel zu äußern an jagdlicher Befähigung. Ganz bescheiden geworden, fragte der grüne Gustl bloß an, ob der Neue sich mit allem auskenne, um Wild heranzulocken, insbesondere das »Hirschbrüllen« nachzumachen verstehe. Auch welche Gewehre er besitze und ob er es nicht drehen könne, für die Tafelrunde solche »billig« zu beschaffen.

Der Büchsenspanner a. D. zuckte die Achsel: »Ich hab' gar kane Veranlassung nimmer, auf noble Herrschaften ihrene Spritzen Obacht z'geben, daß sie net von selber auf d' Reis' gehn. Momentan ist die Luft net rein, aber in vierzehn Täg oder drei Wochen steht a hochherrschaftliche Villa unbewohnt, wo bloß a wackliger Portier tut haushüten, der anen Schlaf hat wie a Zaunigel im Winter. Ich kenn' alle Zimmer wie meinige Taschen und woaß ganz genau den Gewehrschrank vom Herrn mit mindestens acht oder zehn erstklassigen Büchsen, wo jede ist ihre drei- bis viertausend wert. Es san da englische, deutsche und steyrische G'wehr beinand, nur das Beste, was existiert. Und was den Hirschruf auf dem Schneck tut anlangen, so muß einer das können aus dem Fundament, der Leibjäger sein will. Ich hab' einen solchenen Schnecken noch aus dem Nachlaß vom Vater her. Ich werd' euch, wann ich sein werd' recht guat aufg'legt, amal was vorschreien.«

Cavalla hatte bereits Glasaugen und war sichtbar schwer betrunken bei der unüberlegten Frage: »Guat aufg'legt, maledetto, gibt sich auch, daß du bist schlecht aufg'legt? Was dann?«

In den nachtdunklen Augen des Büchsenspanners sprang es auf wie Funken: »Ja, das gibt's bei mir, inbesonders dann, wenn einer recht dumm fragt. Wünsch di' aber niemals net z'wissen, was am End steht!«

Herr Theobald Rieselsberger war es plötzlich etwas eng um den Hals, so, als spüre er das Würgen einer Hanfschlinge. Sein geübter Wirtsblick sagte ihm mit absoluter Sicherheit, daß dieser grünangestrichene Lakei immer noch spiegelnüchtern, also praktisch überhaupt nicht betrunken war. Solche Leute aber stellten eine riesige Gefahr vor, denn man konnte sie nie betrügen oder in unüberlegte Manöver hineinhetzen. Es war klüger, sich gut damit zu stellen und das Melkgeschäft nicht zu übertreiben. Er gebot deshalb Feierabend, geleitete den »Neuen« auch feierlich bis auf die menschenleere Gasse und sah ihm gedankenvoll nach, bis dessen hohe Gestalt schnurgeraden, festen Schrittes sich im Schatten der uralten Hafengebäude verlor.

Von den Stammgästen war keiner mehr imstande, klar zu überlegen. Jeder wankte spundvoll seiner Schlafstelle zu. Unter die Raubschützenbande vom Mauslochkeller war in dieser Nacht eine Leitung gekommen, welche sich die Zügel nimmer würde entreißen lassen, bis das Schicksal sich erfüllte. Um Oberleutnant Rabenhofers sonst so freundliche, gewinnende Züge spielte ein grausam hartes Siegerlächeln, als er vor dem Bettgehen noch sorgsam die treue Waffe reinigte. Sein Blick suchte das Bild des ermordeten Vaters, dessen Tod er rächen wollte, solange Atem in ihm war! Seines Lebens große Aufgabe bildete die Jagd auf Raubschützen und er würde deren so viele zur Hölle senden, wie er habhaft werden konnte, bis ihn selber heißes Blei oder kaltes Eisen haschte. Er war rückenfrei, unbeweibt und brauchte nicht um andere sorgen. Während er sich abschminkte und die falschen Bartkoteletten löste, analysierte er die Charaktere der Verbrechergesellschaft. Ob der Mörder Lenks sich darunter befand, war noch fraglich, aber Beziehungen zu ihm unterhielten die Kerle sicher, und hatte er nur einmal den Anfang der Fährte, so wollte er sie auch halten bis zum Ende – dafür war er echtes reinrassiges Försterblut!

 

Wenige Tage später saß Rabenhofer mit Hans Seeaner zusammen in einer der schönsten Wildkanzeln des Reiherwörths. Es war dieser der Lieblingsplatz des Ermordeten gewesen und deshalb auch besonders sorgfältig ausgebaut. In fast elf Meter Höhe hatte der Zimmermann zwischen die untersten mannsstarken Äste einer uralten Zitterespe eine Art Sommerhaus hineinkonstruiert. Man war dort auch bei schlechtestem Wetter völlig geschützt und hatte freie Sicht auf tausend Meter lange Waldwiesen, nach oben und unten. Hier stand das Rotwild auch unter Tags in Rudeln herum, selten oder nie kamen Donaufischer in das Innere der an den Ufern von Dorndickungen geschützten Insel. Kein Jagdgast durfte hierher geführt werden, auch Gräber war nicht ausgenommen.

Der aus massiven Eichenbohlen bestehende Kanzelboden war handhoch mit getrocknetem Moos bedeckt, was ein Pärchen Haselmäuse veranlaßte, hier sein Nest zu bauen. Seeaner lachte wehmütig: »Ja, an dene g'spaßigen Viecherl mit ihrene kohlschwarzen Guckerl hat unser Herr selig auch sei' helle Freud' g'habt und die Petrowitsch hat s' sogar mit Nuß g'futtert, so daß die Bande ist ganz vertraut worden.«

Der Detektiv untersuchte mehr aus Gewöhnung als in direkter Absicht die Moosdecke und machte allerlei Funde. Ein paar stählerne sowie vier echte Schildplatt-Haarnadeln, ein ausgerissener Perlmutterknopf und zuletzt ein seidenes Strapsband bestätigten, daß der Generaldirektor nicht nur hehre Waidmannsfreuden, sondern auch selige Schäferstunden gekostet. – Eine lange 82er Expreßhülse 9,3 erzählte vom Schuß auf den besten und zugleich letzten Bock, welchen Lenk noch vergangenen August auf diesem Inselboden gestreckt. Die schon völlig mit Grünspan bedeckte Hülse 474 stammte vom Vorjahr und hatte einen Zwölferhirsch von vier Zentnern im Feuer geworfen. Ganz in der Ecke versteckt lag noch eine ziemlich blanke Hülse, bei deren Anblick Seeaner vor Wut ordentlich blaurot anlief und seinen schwersten Jägerfluch zwischen den Zähnen zerdrückte: »Da hört sich doch schon der G'müshandel auf, jetzt weiß ich nimmer, bin ich a Jager, der sein Dienst vasteht, oder a Hausdepp, den wo a jeder Bua kann an der Nasen 'rumführen wie der Zigeuner sein' Tanzbärn!«

Rabenhofer hatte im ersten Moment nicht völlig begriffen. Jetzt erst kam ihm die Lage völlig zum Bewußtsein! Die Hülse stammte unbedingt aus Gräbers Repetierer und bewies schlagend, daß dieser sich nicht gescheut, sogar in das innerste, ihm streng verbotene Gehege des Onkels einzubrechen und zu wildern.

Prüfend wog der Detektiv das schlanke kleine Ding auf flacher Hand und schüttelte dann den Kopf: »Mein lieber Seeaner – daß hier frech gewildert wurde, dürfte klar sein. Aber – mir kommt die Hülse verdammt frisch abgeschossen vor, riechen Sie nur mal her, der unangenehm scharfe Schmauch des Nitropulvers haftet noch, und wie Sie wissen, ist dieser sehr bald weg.«

Der Jäger zog den Geruch ein, wie der Schweißhund warme Schweißspritzer bewindet: »Vergelt's Gott tausendmal – der Herr Franz hat die Patrone net verschossen. Aber, Herr Oberleinant – jetzten soll's wüld aufgehn! Die Büchs steckt also noch in der Revür und ist in der Pratzen von einem Raubschütz und – war es am End schon, wie unser Herr selig ist durchtan worden.«

Rabenhofer überlegte. Die Möglichkeit, daß noch eine zweite derartige Waffe im Revier von unberufener Hand benutzt wurde, war gering. Außerdem hatte er als ehemaliger Offizier und Sohn eines Berufsjägers das denkbar beste Auge für alles, was mit Waffe und Schuß zusammenhing. Er wußte deshalb genau, daß jede Büchse an der abgeschossenen Hülse ihre Spur hinterläßt, wenn diese auch mit freiem Auge kaum, im Vergrößerungsglas oder gar Mikroskop dafür um so deutlicher sichtbar ist. Gräbers Büchse nun hatte einen Schlagbolzen, der nicht nur wenig zentral aufsetzte, sondern überdies an der Spitze eine kleine Einbuchtung aufwies. Der Raubschütze, welcher die ominöse Waffe jetzt führte, mußte ein ganz verwegener frecher Bursche sein und überdies vom Revier und dessen Schutzpersonal mehr wissen, als ein Großstadtwilderer je auszuspekulieren vermochte. Denn die Benützung dieser elf Meter hohen, frei in der Zitterespe stehenden Wildkanzel war das Nonplusultra aller Frechheit und eigentlich nur zu erklären, wenn der Raubschütze todsicher über den jeweiligen Aufenthalt des Personals auf dem laufenden war. Der Jäger war ganz zerschmettert. Bei den großen Ausmaßen des Geheges durfte man froh sein, mindestens jeden vierten Tag an die gleiche Stelle wieder hinzukommen. Hatte also ein Schwarzgeher wirklich verlässige Spione, so konnte er in fast völliger Sicherheit seinem Frevlergeschäft nachgehen.

Jetzt glaubte Seeaner auch zu wissen, wohin der brave Hirsch gekommen, welchen er seit vier Tagen nicht mehr beim Rudel fährtete und hörte. Rabenhofer tröstete: »Sind wir bloß froh, daß nun das Motorboot zur Stelle ist. Ich lasse es mir nicht nehmen, die Hauptrolle spielt bei allen Teufeleien hier das Vorstadtgesindel, auf dessen Fährte ich schon arbeite. Aber wer ist an Ort und Stelle der Spion dieser Bande?«

Seeaner glühte vor Wut: »Von mir aus kann er direkt von der höllischen Abkochanstalt für alle Lumpen der Welt außag'schloffen sein. Amal schlagt ihm die Uhr zwölf und er geht hin, wo er herkommen ist! Bloß schad, daß man solchen Bluatshund flink muaß z'sammschießen und net vorher darf a bisserl schinden! Aber passen S' nur auf, Herr Oberleitnant, der Kerl geht ins Garn, eh daß ein Jahrl rum ist. Es muaß von eh a ganz eiskalter Mordg'sell sein, ansonsten gab er net mit der nämlichen Büchs in der gleichen Revür schwarz, wo er kurz vorher den Jagdherrn z'sammenbrennt hat, als wär's a G'wild. Ich trau mir wetten, daß es einer ist von dene, die wo im Krieg 's Leutumbringen g'wöhnt haben. Solchene gibt's, und das san die Allerg'fährlichsten, weil sie's vier Jahr haben auf Staatskosten studieren dürfen.«

 

Abends wurde im Jagdhaus großer Kriegsrat gehalten. Brandkofler war äußerlich viel beherrschter als sein jüngerer Kollege, aber wie es in ihm rumorte, bewiesen die zwei nacheinander abgebissenen beinernen Mundstücke seiner Tabakspfeife! Rabenhofer konnte die beiden Jäger sehr gut verstehen. Sie waren keine Durchschnittsqualität, stolz auf bisherige Erfolge und maßlos ehrgeizig. Gelang es ihnen nicht, den unheimlichen Mordschützen zur Strecke zu bringen, so triumphierte das ganze Gesindel auf zehn Stunden im Umkreis und der Respekt war vorbei.

Das gleiche galt aber auch für Rabenhofer. Seine Ehre als Detektiv stand nicht weniger auf dem Spiel; viel mehr noch: es ging um eine schöne Anstellung im Staatsdienst, wie ihm Dr. Rothenbucher vertraulich angedeutet hatte. Die Lösung seiner Preisaufgabe war mit Auffindung der unscheinbaren Messinghülse um ein Stückchen näher gerückt. Es galt nunmehr, festzustellen, ob sich nicht auf dem Metall ein Fingerabdruck des Schützen auf chemischem Weg hervorzaubern ließ. Rabenhofer hatte sich wohl gehütet, die Hülse fest anzufassen.

Wenige Stunden später hatte er auch die absolute Gewißheit, daß eine sehr derbe, offenbar dem arbeitenden Stand gehörende Pfote sich daran verewigte. Ein Vergleich mit den Fingerabdrücken Gräbers ergab absolute Unähnlichkeit. Der Untersuchungsrichter hatte strikt verboten, dem Gefangenen zu sagen, daß sich eine Spur der gesuchten Waffe gefunden, da der junge Mann auch jetzt noch unbegreiflicherweise jede Auskunft verweigerte.

 

Das neue Motorboot »Blaufalk« lag startbereit. Eine glitzernde Vollmondnacht senkte sich über Strom und Auen, die Raubschützenbande vom Mauslochkeller wollte unter Führung des grünen Gustl ausrücken, weil der »Lakai« dummerweise genötigt war, auf mehrere Wochen hinaus zu verreisen.

Hans Seeaner am Steuer, Peterbauer als Reserve, Rabenhofer im Ausguck und Brandkofler als Besatzung, schoß das blaugraue Ding, sich von der Wellenfarbe kaum abhebend, in rasendem Tempo stromauf. Am äußersten Reviereck angekommen, schob Peterbauer das Ganze kunstgerecht in hohes Schilf. Man vermochte von diesem Lauerplatz aus das Hauptfahrwasser des Stromes zu übersehen. Wenn die Bande an ihrem Programm festhielt, kam sie ungefähr um zehn Uhr in Sicht. Die Donau hatte hier zwar eine enorme Breite, und gewöhnliche Fischerboote waren gar nicht so leicht zu bemerken. Aber wenn ständig zwei scharfe Augenpaare, mit Marinenachtgläsern bewaffnet, im Ausguck lagen, so konnte ihnen kaum etwas entgehen. Überdies kamen von Zeit zu Zeit immer wieder auf Bergfahrt begriffene Dampfer mit Schleppzügen, deren riesige Scheinwerfer sogar in stichdunklen Nächten die Fahrrinne taghell erleuchtet hätten. Peterbauer haßte diese »Strompest« tödlich, weil durch sie jedem Lebewesen auch die letzte Spur Nachtruhe geraubt wurde.

Rabenhofer gab sich mit allen Sinnen dem Zauber der Mondnacht hin und genoß als Waidmann die Schönheit des Vogelzuges, der nun voll eingesetzt hatte. Ungeheure Geschwader, von der großen Graugans bis zum kleinsten Singvogel reisten donauabwärts, die stille Nacht mit Lockrufen, Frage und Antwort erfüllend. Sie alle hatten eine große Sehnsucht im kleinen tapferen Vogelherzen – den Süden, gingen den Weg, welchen schon Millionen ihrer Vorfahren gezogen nach urewigem Naturgesetz. So mochte es vielleicht auch manchem Menschen bestimmt sein, Jäger zu sein oder selber von Stärkeren gestreckt zu werden. Ihn zog es nach Väterart zu Kampf und Fehde gegen die Frevler, wie die Vögel nach Süden. So wenig, wie diese wußten, ob sie die Heimat wiedersahen, konnte er sagen, wann und wo das Todesblei für ihn flog oder der Meuchlerstahl blitzte. –

Es wurde Mitternacht und kein Boot kam! Den Detektiv faßte Ungeduld, und als gar aus weiter Ferne nacheinander Schüsse hörbar wurden, gab's kein Halten mehr. Seeaner behauptete, nach dem Knall zu urteilen müßten die Frevler im »Geiereck« arbeiten, während Peterbauer und Brandkofler auf »Brüllerwörth« rieten. Für alle Fälle ging der Blaufalk in windender Fahrt talwärts und lief dann in ein Altwasser, welches, von hohem Gestrüpp umgeben, tadellosen Schutz gegen Sicht gewährte. Hier wurde Kriegsrat gehalten. Soviel war allen klar, daß die Raubschützen in der Gegend einen vorzüglich arbeitenden Späher haben mußten. Jedenfalls hatten sie die große Fahrrinne vermieden und einen Seitenarm der Donau benutzt, wenn nicht Seeaner recht behielt, welcher annahm, daß die Kerle ausnahmsweise mit Motorrädern den Anmarsch betätigt haben müßten.

Rabenhofer beschloß, an Land zu gehen und zu pirschen. Brandkofler warnte: »Herr Oberleinant, das tut amal kein gut net! Alleins auf Raubschützen jagern hat unser Herr selig alleweil streng verboten, da kann's passieren, daß man selber zur Streck kommt. Nehmen S' Ihnen wenigstens den Hans mit, der kennt die Revür wie seine Taschen und hat Lichter und Lauscher wie a Luchs.«

Doch der lange Kaiserjäger blieb eigensinnig: »Ach was, mir sind schon so viele blaue Bohnen am Kopf vorbei, daß es auf einige mehr oder weniger gar nimmer zusammengeht. Ich halte das Stilliegen hier einfach nicht mehr aus!«

Der Oberjäger schüttelte das mächtige bebartete Haupt: »Lumpen werden ersessen, aber net erlaufen. Wann S'aber schon meinen, es muß vadraht gehn, dann drahn wir halt in St. Huberti Nam' mit und gengan a spekulier'n! Der Peterbauer setzt uns da drenten am Damm ab und geht mit dem Schiffl wieder ins tiefe Wasser. In längstens drei Stund sind wir retour – oder a net – wie Gott will.«

Damit machten sich die beiden Revierjäger fertig, und Rabenhofer prüfte nochmals die Ladungen seines Teschner-Drillings, den ihm Dr. Lenk eigens zu solchen Raubschützenjagden geliehen. Zehn Minuten später hatten die drei den hohen Granitdamm erklettert und verschwanden lautlos im Schlagschatten der Uferweiden. Der alte Fischer sah ihnen mit recht gemischten Gefühlen nach, steuerte das Boot zurück an seinen Liegeplatz, schob zwei schwere Gasser-Revolver griffbereit neben sich, zündete seine Pfeife an und schaute in die herrliche Mondlandschaft hinaus, seinen Gedanken nachhängend.

Der Tiroler hatte ganz und gar recht! Diesem ehemaligen Offizier war der Rassegaul durchgegangen, die Geschichte konnte elend dumm enden. Wenn er mit dem Gesindel zusammengeriet, war Schluß – einer gegen drei oder vier – da fällt der Karren von selber um. Wiener Plattenbrüder – Schwerverbrecher ersten Ranges, grausam, skrupellos zu jeder Schandtat bereit, keine Spur mehr an sich vom alten gutherzigen Österreichertum, international verseucht, mit der Todeswaffe in der Faust auf dem Kriegspfad gegen Gesetz und Recht! Da entschied bloß die Übermacht mit dem Finger am Drücker.

 

Rabenhofer war wieder ganz Offizier am Feind. Jenes undefinierbare Glücksgefühl durchströmte ihn, das nur derjenige voll zu ermessen vermag, welcher selbst in verantwortlicher Stellung, die Hand am Stahl, sein Leben für hohes Ziel in die Schanze schlug. Mann gegen Mann, zeig', was du wert bist!

Meilenweit dehnte sich hier der herbstlich gefärbte Laubwald, da und dort röhrte noch ein Hirsch, gefallenes Laub raschelte im trockenen Donausand. Bis zum Knöchel versank des einsamen Pirschgängers Fuß darin und es dämpfte den Schritt zur – Menschenjagd. Wehrhaftes Raubwild in Menschengestalt schlich da vor ihm herum, gleich Tigern im Dschungel. Die ganze Umwelt erinnerte auch täuschend an tropische Wälder. Kein Baum ohne Schlingengewächse, die, von Krone zu Krone greifend, tausend Schatten über den Boden zauberten und das Mondlicht nur stückweise durchließen. Schmale Pfade nur, von kaum zwei Mannesbreite, durchquerten diese Wildheimat, die von Dorngebüsch aller Art starrte. Ein Abweichen von diesen Zwangswechseln war unmöglich, und jeder Zusammenstoß mußte naturnotwendig zum Kampf mit der blanken Waffe führen, wenn nicht schon vorher der eine Gegner im Feuer liegenblieb. Weiter als zehn Schritte war nirgends freie Sicht, mehrere Personen mußten hintereinander gehen, was im Falle eines Zusammenstoßes sehr wichtig werden konnte. Es kam alles darauf an, den Vormann sofort im Feuer zu strecken, um die Hinterleute moralisch zu erschüttern.

Eine gute halbe Stunde dauerte nun schon dies nervenpeitschende Dahinschleichen mit gespannter Waffe im Arm, als in einer Entfernung von schätzungsweise tausend Meter ineinander hinein Schüsse fielen.

Da waren also die beiden Revierjäger an das Lumpenpack geraten und lichtes Feuer aus den Rohren geflogen. Dem Ton nach kam der letzte Schuß aus Brandkoflers schwerem Kugelkaliber; wenn diese Pille gesessen hatte, tat dem Raubschützen kein Zahn mehr weh. Jetzt galt es aber, schleunigst dem Personal zu Hilfe zu eilen.

Fünf Minuten flog der langbeinige Offizier den schmalen Steig entlang, dann mäßigte er das Tempo wieder auf Sprungschritt, um zuletzt nur mehr zu schleichen. Nach seiner Berechnung mußte er in etwa zehn Minuten am mutmaßlichen Gefechtsort, einer größeren Auwiese eintreffen. Die Überraschung war deshalb um so gründlicher, als er, um eine Ecke biegend, fast auf einen Raubschützen hinaufprallte. Der Mann trug eine schwarze Gesichtsmaske und hatte die Waffe ebenfalls schußbereit. Rabenhofer riß sein Gewehr hoch, sah aber im selben Moment schon das Feuer aus seines Gegners Rohr als runde Scheibe blendend auffahren, fühlte gleichzeitig reißenden Schmerz schlagartig durchs Gehirn toben und verlor das Bewußtsein.

 

Im Jagdhaus Satzenufer huschte eine Rote-Kreuz-Schwester ins Zimmer, wo Brandkofler den Kaffeetisch deckte. Die bleichen Wangen der Eintretenden färbte für einen Augenblick helles Rot und die ernsten braunen Augen blitzten schalkhaft auf, so urkomisch wirkte der bärenstarke Tiroler mit seinem Riesenbart bei der Kammerkatzenarbeit: Der Oberjäger sah aber so versorgt aus, daß die Heiterkeit blitzschnell verschwand: »Wir bringen ihn schon durch«, meinte sie tröstend. »Der Mann hat eine Prachtnatur und Schädelknochen wie aus Stein! Das Gehirn ist nicht verletzt, nur der ungeheure Schock warf ihn besinnungslos hin.«

Der Tiroler nickte finster: »Woll, woll, sell ischt guet. Aber daß die Lumpe auskomme sin, ischt net guet, denn jetzund wird die Bande erst ganz frech! Und der Hans langt mit seinigem Durchschuß im Arm. Zwo Fingerbreit weiter und der Knochen ischt kaputt. Das bißle Muskelfleisch scheniert einen Kerl wie meinigen Kolleg' net, aber a fürchtige Blamaschi ischt des ganze G'fecht für uns!«

Droben im ehemaligen Boudoir lag Rabenhofer mit verbundenem Kopf und blinzelte noch immer sehr benommen ins abgeblendete Licht. Der Geheimrat und sein erster Assistenzarzt waren zufrieden und heilfroh, daß die Sache noch so ausgegangen. –

Dieser Urmensch von einem Niederösterreicher wollte überhaupt vom Bettliegen nichts wissen und wäre am liebsten mit durchschossenem Armfleisch im Revier herumgelaufen. Beim Detektiv war der Schädelknochen angerissen, aber die Hirnhaut nicht verletzt. Die auf vier Schritt Entfernung abgefeuerte Postenladung hatte noch nicht gestreut, sondern war, zum Klumpen geballt, durch den Hut Rabenhofers gefahren, ihn dem Getroffenen vom Kopf reißend. In dem alten moosgrünen Velours gähnte gerade überm Seidenband ein Loch von vier Zentimeter Durchmesser.

Die beiden Jäger vermochten nicht zu sagen, wieviel Raubschützen ihnen gegenüberstanden. Sie hatten beim Versuch, eine schmale vom Mond erleuchtete Waldwiese im Sprung zu überqueren, Feuer erhalten, und Brandkofler konnte dasselbe erwidern. Seinem Kollegen war durch den starken Kugelschlag die Waffe aus der Hand geprellt worden. Um großen Blutverlust zu vermeiden, schnürte ihm Brandkofler das verletzte Glied oberm Durchschuß und dann nahmen beide – Seeaner den schweren Gasser-Revolver in der gesunden Hand – Richtung zum Ufer. Sie waren gar nicht weit gekommen, als ihnen der Doppelknall von Schüssen, fast wie einer klingend, anzeigte, daß auch der Detektiv ins Gefecht gekommen.

Der lange Kaiserjäger hatte Stunden hindurch bewußtlos gelegen, war aber unter den Händen des Geheimrats erwacht und zusehends frischer geworden. Auch das Denkvermögen kehrte schneller zurück, als die Ärzte gehofft. Der Offizier schien eine Natur zu besitzen, noch zäher als eine Wildkatze, meinte Dr. Krüger hochbefriedigt. Der Raubschütze mußte Rabenhofer für tot gehalten haben und nahm sich, im Bewußtsein, nicht einmal Zeit, das wertvolle Gewehr an sich zu reißen. Nach dem Gefecht mit den zwei Revierjägern hatte sich die Bande offenbar zerteilt, um etwaige Verfolger irrezuführen. Der alte Peterbauer war wütend! Eine solche Gelegenheit kam so leicht nicht wieder. Jetzt würden die Kerle einerseits noch mehr spionieren lassen, andererseits immer angriffslustiger werden.

Die nächsten Wochen brachten für den tollkühnen Detektiv einen Rückschlag im Befinden, beinahe kam es zu einer Gehirnhautentzündung. Seeaners Durchschuß heilte gut und glatt aus. Immerhin war die Hirschbrunft längst herum, die letzte Zugvogelschar donauabwärts gewandert, als der Wackere wieder, seine schwere Büchse im Arm, Dienst machen konnte wie zuvor.

Auf Rabenhofers ausdrückliches Verlangen wurde die Mauslochbande in keiner Weise behelligt und blieb völlig ahnungslos. Sie verlegte den Schauplatz ihrer Tätigkeit nur in andere Reviere und suchte unter diesen auch das Gehege des Grafen Waltershausen heim. Dessen tüchtiger Jäger war auf Wunsch entlassen worden und der neue kam aus anderen Verhältnissen in völlig ungewohntes Gelände mitten unter fremde Nachbarschaft und Menschen. Sein Herr weilte fern der Heimat auf Jagdreisen, und so fehlte auch die früher mit Lenks Personal bestandene Zusammenarbeit. Der grüne Gustl hatte leichtes Spiel und seine Erfolge hoben ihn bei der Bande zu Halbgottstellung.

 

Gegen Franz Gräber wurde die Anklage erhoben auf Doppelmord. Lange vor dem Verhandlungstag waren sämtliche Plätze im Sitzungssaal gegen Karten vergeben worden. Der Verteidiger verzweifelte innerlich von vornherein, denn das hartnäckige Schweigen des Angeklagten auf die wichtigsten Fragen des Untersuchungsbeamten sagte genug.

Der Staatsanwalt hatte mit Bienenfleiß gearbeitet, und sein Anklagegebäude stand wie Granit. Wer noch im geringsten zweifeln sollte, der mußte beim Anblick des aufgetürmten Beweismaterials über den Charakter Gräbers dem Ankläger beistimmen, wenn er ihn als »kernfaul« bezeichnete. Daß die nähere Umgebung des Ermordeten, angefangen von Dr. Lenk bis zu den Revierjägern und Fischermeister Peterbauer, den jungen Menschen für absolut unfähig hielt, jemand zu ermorden, machte immerhin einigen Eindruck auf Gericht und Zuhörer. Aber diese Zeugen waren eben nach Begutachtung des Staatsanwaltes befangen, voreingenommen für den Angeklagten!

Der weitere Verlauf der Verhandlung stand daraufhin nur mehr im Zeichen persönlicher Zusammenstöße zwischen Staatsanwalt und Verteidiger, zunehmender Nervosität bei Vorsitzendem und Geschworenen, rasender Verbitterung bei den Freunden Lenks. Das Schicksal Gräbers war damit entschieden, sein fortgesetztes leidenschaftliches Beteuern, kein Mörder zu sein, galt als Verstocktheit. Nur von der Anklage, die Jägersfrau ermordet zu haben, sprachen ihn die Geschworenen »mangels vollen Beweises« frei, hingegen mit allen gegen eine Stimme »schuldig«, den Generaldirektor vorsätzlich mit kalter Überlegung aus dem Hinterhalt erschossen zu haben, um einer Testamentsänderung vorzubeugen. Damit war bei Versagung mildernder Umstände lebenslänglicher Kerker ausgesprochen.

Der Angeklagte brach mitten unter der Urteilsbegründung bewußtlos zusammen und mußte weggetragen werden. Jedermann wußte auch, daß die vom Verteidiger angekündigte Berufung gegen das Urteil nur eine leere Formsache war, gelang es nicht, völlig neues Entlastungsmaterial beizubringen.

 

Dr. Lenk stand vor einem Rätsel und auch Rabenhofer hatte fast jede Hoffnung verloren, jemals Licht in das Dunkel dieser Mordsache bringen zu können.

Solange Schnee lag, hielten die Raubschützen Ruhe. Wie aber mit Eröffnung der sommerlichen Schußzeit auf Rehböcke und Schmaltiere die Absatzmöglichkeit für Wild in Hotels und Lebensmittelgeschäften da war, erschienen sie kühner als je auf dem Plan.

Eines schönen Tages tauchte im Mauslochkeller der schon totgeglaubte »grün angestrichene Lakai« wieder auf, mit süßsaurem Gesicht vom grünen Gustl, mit Jubel begrüßt von den anderen Mitgliedern der Bande und dem Wirt. Wo er so lange gesteckt sei, ob er was ausgefressen oder gedreht habe, geschnappt und eingesponnen worden sei, wollten sie wissen.

Eine großartige Handbewegung: »Ich schnappen und einspinnen dazu? Ah na, liebe Spezeln, da weiß ich mir was Besseres! Hab' das Massel g'habt, einen steinalten Jagdkavalier z'treffen, dem wo grad der Büchsenspanner ist sterbenskrank worden, zwölf Stund' vor der Abreis' auf eine großartige Jagdexpedition in die kleinasiatischen Gebirger da drunt und a paar umliegende Gegenden. Ja, und der hohe Herr hat sogar sein G'spusi mitg'habt, a harbe, fesche, resche Gnädige mit so beiläufig fünfazwanzg Jahrl. Ich hab' mir nie viel aus Frauenzimmer g'macht, aber bei der ist das Prinzgemahl-Sein wirklich kein Opfer net g'wesen! Es war ganz wüldromantisch, alleweil im Jagdzelt beinand sein und der Alte bei Nacht halbtot vor Überanstrengung mit anem Schlaf, daß er's größte Dunnerwetter net hat vernommen, wann der Blitz umanandag'werkt in nächster Näh'. Er ist kein z'widerer Herr net g'wesen und hat mich nobel bezahlt. Ihr wird's spitzen, was ich zum Abschied für anen großartigen Büchsdrilling hab' als Präsent kriegt, noch viel nobliger als meine gute alte Bock, die wo g'wiß a sauberes Büchserl ist. Ja, und erst mein Zeugnis! Ich hab's selm net g'wißt, was in mir für Tugenden verborgen stecken, wie die Flöh' in der Dachsschwarten. Es ist wirkli schad, daß wir net haben beinandbleiben können, indem daß die Herrschaften jetzten ins Kanada nauf sein g'reist, weil der Herr vor seinem seligen Absterbensamen noch unbedingt will anen Grizzlybären auf die Decken legen. Für die Reis' kommt a Büchsenspanner doch zu g'schmalzen, da muß er sich im Kanada droben zur Aushilf' einen pensionierten Indianerhäuptling oder ausrangierten Trapper zulegen. Aber da hocken wir beinand so vertrocknet als wie Heuschrecken in der Wüsten. So a Wiedersehen braucht Anfeuchtung! Also, Wirt, i stift' a Boolen vom alten Ausmaß, scharf auf scharf, in treuer Freinschaft. Hoffentlich habt's ihr das Mondenscheinjagern noch net ganz verlernt in der Zwischenzeit. Ich g'freu mich schon ganz narrisch auf anen feschen Riegler in die Donau-Auen, möcht' amal anen schwaren Zwölferhirschen z'sammenbrennen!«

Der grüne Gustl lachte gallig: »Wir haben die Zeit her nix getan als Hirschen ausspekaliert für seine Exzillenz den Herrn Büchsenspanner und Prinzgemahl! So einfach geht die G'schicht' grad net wie das Büchserlspannen im Jagdzelt. Wirst deine Zuckerguckerl groß aufreißen, wann du wirst sehng, was der neue Jagdherr von Satzenufer hat für anen mistigen Benzinteufel in Dienst g'stellt! Das Einirutschen in die Revür ist jetzten das größte Kunststück; mit der Zillen umanandkutschieren wie a Fiaker von Anno dazumal am Ring, das hat sich aufg'hört. Derselbige Benzinteufel fahrt seine siebzg Kilometer bergauf, bald er richti Gas unterm Schwanz kriagt, vastehst!«

Der Büchsenspanner nickte gleichmütig: »No jo, bittä, ihr sad's aber no alle gonz frisch beinand und habt's eure Kohlrabi recht achtbar obenstecken! Also gonz so g'fahrlich muß der Sparifankerl am Wosser net sein, wann man am – Land bleibt und sich tut redlich mit Wildbrat nähren. So g'wandte Brüader, wie wir san, finden doch allemal wieder das richtige Loch, es muß ja net grad allemal das Mausloch von unserm Patent-Herbergsvater sein. Sollst leben, alter Oberbazi!!«

Damit hatte der Sprecher wie stets die Lacher auf seine Seite gebracht und gewonnen. Voll Neid mußte der grüne Gustl feststellen, daß der Lakai tipptopp gekleidet war und ganz offenbar nicht nur seine Wertsachen versetzt, sondern sogar neue erworben hatte! Übrigens mußte auch bei der Bande das Geschäft nicht übel gegangen sein, die Leute sahen ganz wohlgenährt und ordentlich angezogen aus.

Als die Geister des Alkohols sich bemerkbar machten, lenkte der Lakai wieder das Thema auf Hirsche und Donaurevier. Man kam überein, bei günstiger Witterung und Vollmond ein Riegeln auf Hochwild zu veranstalten. Cavalla machte dazu die Bemerkung: »Wann ise alles sehr gutt baldowert und man weiß genau, was Jäger haben im Sinn mit Benzinteufel.« Er bekam sogleich einen giftigen Blick vom grünen Gustl und das Diktum: »Wannst a Bedürfnisanstalt willst eröffnen für etliche solide Messerstich, nacherdernach kannst deinigen Brotladen noch amal aufreißen. Du waßt doch, daß 's Ausplappern über unsern Baldowerer ist bei Lebensstrafe verboten!«

Der Büchsenspanner war zum Glück so in ein Gespräch mit Geigl-Schorsch vertieft, daß er vom Disput nichts bemerkte. Jeder von der Bande hatte die fortwährende Bevormundung durch den Anführer satt und ärgerte sich über die grundlose Beleidigung des splendiden Gastes. Dieser blieb heute nicht so lange wie sonst üblich und auch Cavalla erklärte, aufbrechen zu müssen, um einem »Geschäft« nachzugehen. Er begleitete den Lakai durch einige Straßen und führte dabei bittere Klage über die Roheit des grünen Gustl, der im Vertrauen auf seine Stierkraft bei jeder Gelegenheit Drohungen gebrauche. Besonders heute schien er reizbar; das Wiedererscheinen des ihm überlegenen Gastes erweckte offenbar Befürchtungen, es möchte mit seiner unbeschränkten Herrschaft über die Tafelrunde des Mauslochkellers bald vorbei sein. Außer ihm wußte ja auch nur der Wirt selbst, wer in Satzenufer die Revierspionage für die Bande besorgte. Der Baldowerer war ein sehniger Mann jüngerer Jahre in Gebrigstracht, scheinbar dem Arbeiterstand angehörig, mit sehr verarbeiteten Händen, wenn er, was dann und wann vorkam, selbst einen Raubzug in den Auen kommandierte, war er maskiert und ließ sich auch vom grünen Gustl keinen Ton dreinreden.

 

Geheimrat Dr. Krüger war völlig gleicher Meinung mit seinen Revierjägern, man müsse die Bande vorerst ganz frech werden lassen und dürfe unter keiner Bedingung zugreifen. Auch der Polizeichef, den man ins Vertrauen gezogen, stimmte bei. »Sie haben die Leut ja schon in der Tasche, Herr Kollega«, meinte er anerkennend. »Ein Wink von Ihnen und das Überfallkommando ist da; über den Hafenbezirk geht der Hagelschauer einer Razzia größten Ausmaßes!«

Rabenhofer wehrte ab: »Gerade das möchte ich, wenn irgend möglich unbedingt vermeiden. Mir ist darum zu tun, die Abrechnung im grünen Revier zu halten und selber mit vornedran zu sein. Zuwarten will ich gerne, die Ernte sehe ich reifen, aber es geht mir gegen den Strich, daß das Gesindel beim nächsten Raubzug, jetzt mitten im Juli, am Ende Muttertiere von den Kälbern wegknallt.«

Brandkofler biß mit Wucht wieder auf das Beinmundstück seiner Pfeife: »In Teufels Nam' nacherdanach müssen wir halt die armen Kalberl abschießen, wann man s' net mit Stellnetz am End lebendig fangen und aufziehen kann. Unser Stand an Kahlwild ist so groß, daß uns a paar Alttier' noch net umbringen. Hätten wir nur a anzigs Hochwasser über Dammhöhen, wären Hunderte von Stück beim Kuckuck und die Kalberl allesamt!«

Der alte Peterbauer kam aus dem Sinnieren nicht mehr heraus, wer von den männlichen Bewohnern der Gemeinde nur der raffinierte Spion der Raubschützen sein könnte. Nach seiner felsenfesten Überzeugung waren dieser und Lenks Mörder entweder überhaupt personengleich oder doch mindestens im Komplott gewesen. Auch Rabenhofer hielt das für nicht ausgeschlossen. Jedenfalls hatte man in dem Baldowerer einen Gegner gefährlichster Sorte vor sich, wahrscheinlich ein Subjekt mit schweren Vorstrafen oder gar steckbrieflich verfolgt!

Eine arge Enttäuschung wurde dem Detektiv zuteil, als der Termin für die Mondscheintreibjagd feststand. Im Mausloch gab Herr Rieselsberger bekannt, daß aus Sicherheitsgründen völlig getrennter Ausmarsch nötig sei und die Mitglieder nur paarweise teils in gestohlenen Zillen, teils mit Motorrädern nach Satzenufer abfahren würden. Auch der Treffpunkt im Jagdrevier sollte erst an Ort und Stelle bekanntgegeben werden, wo die Bande sich diesmal versammelte. Als Bewaffnung war vorgeschrieben Gewehr, Browning, langes Messer, auf Jagdpersonal mußte ohne weiteres Feuer eröffnet werden, Gesichtsmaske selbstverständlich.

Wenn der alte Hehler geglaubt, es würde sich bei dieser kuriosen Bestimmung im Gesicht des Büchsenspanners auch nur ein Muskel rühren, so hatte er sich geirrt. Auf die neugierig täppische Frage des ehrenwerten Herrn Theobald, wie der Herr Lakai ins Jagdrevier zu gelangen gedenke, hatte dieser ein verächtliches Lächeln: »Wann ich so nobel bin, mich um eure sogenannten G'schäftsgeheimnisser und Schwarzgehertricks net zu kümmern, so gehen euch die meinigen auch an schönen Dreck an. Das merkts euch g'fälligst. Ich werd' da sein auf den Tupfer und meinigen Kram versteh' ich alleweil noch zehnmal besser als der greane Gustl, der, im Grund genommen, nix ist als a polizeiwidrig dumm's Rindviech!«

Er war auch »da«, der grün Angestrichene, in einem verwetzten Jagdanzug undefinierbarer Farbe, lederner Jacke und ebensolcher Motorhaube. Den Gesichtsausschnitt deckte völlig ein schwarzes Lammfell mit Ausschnitten für Augen, Nase und Mund. Seine Bewaffnung war erstklassig; der Büchsdrilling erregte den blassen Neid des grünen Gustl, der nur eine doppelläufige großkalibrige Entenflinte führte. Er pflegte daraus in Fett gegossene Posten und Roller zu schießen, was ihm von seiten des Büchsenspanners das Diktum »g'schertester von allen g'scherten Hammeln« eintrug.

Der Baldowerer musterte den Neuen ebenso interessiert wie dieser ihn, beide hatten sich zugenickt, Namen zu nennen war bei der Bande strenge verboten, die Gesichtsmasken wurden im Revier grundsätzlich niemals gelüftet. Wer das geheime Losungswort nicht kannte, war Feind und Tod verfallen.

Aus verschiedenen untrüglichen Anzeichen wußte Rabenhofer schon nach den ersten fünfzehn Minuten, daß der ortsansässige Spion, welcher heute persönlich den Oberbefehl führte, im Gebirge beheimatet sein mußte. Mitten hinein in die niederösterreichischen Redewendungen fielen Ausdrücke, die nur der Hochgebirgler gebraucht; seine Art, sich in der Ebene zu bewegen, verriet dem kundigen Auge doch sofort den Bergbewohner von Jugend auf. Der dunkelgrüne Neuenberger Hut war uralt, sicher nicht in Wien gekauft, und die verschlissene Spielhahnfeder darauf stammte unbedingt von einem Hochgebirgshahn, die Flachlandhähne haben viel kürzere Schäfte. Auch die nicht üble Büchsflinte des Banditenführers stammte todsicher von Peterlongo in Innsbruck. Die Art der Schäftung war zu charakteristisch.

Sein Geschäft verstand der Kerl wirklich nur zu gut! Er führte zuerst durch einen langen, ganz seichten Wasserarm, der kaum die Stiefel netzte, so daß für etwa nachsuchende Hunde jede Wittrung verlorenging. Dann im Gänsemarsch auf schmalem Granitdamm, hierauf in Booten quer über reißendes Wasser von sicher zweimal Zimmertiefe, hierauf eine Viertelstunde scharfer Marsch durch Auböden mit pulvertrockenem Sand, nochmals Überfahrt auf Booten, die angekettet im Schilf gelegen hatten, und man war endlich am Jagdort angelangt. Zu seiner höchsten Befriedigung hatte der Detektiv diesmal feststellen können, daß die benutzten Boote Brandstempel des staatlichen Flußbauamts trugen. Der Spion war also, hundert gegen eins zu wetten, ein Arbeiter oder Rottenmeister. Dazu stimmten auch seine schauderhaft verrissenen wettergebräunten Tatzen, von denen Cavalla gesprochen.

Die Schützen wurden auf ihre Stände verteilt und dem Neuen sogar ein vielversprechender zugewiesen. Getrieben sollte mit schlechtem Wind ein schmaler Wörth werden, dessen Ufer dicht bewachsen, dessen Inneres aber eine üppige Wiese barg. Das angeriegelte Hochwild würde zuerst über die vom Mond hell erleuchtete freie Fläche wechseln, dort Feuer erhalten, seitwärts auszubrechen versuchen, nochmals beschossen werden, und wenn alles sehr gut ging, zurückpreschen. Es konnte aber auch passieren, daß die geängstigten Tiere sofort das tiefe Wasser annahmen und, einen Kanal durchrinnend, sich im Dickicht der nächsten Insel in Sicherheit brachten. Alles kam darauf an, daß gleich beim ersten Anprellen gut geschossen wurde und womöglich das alte Kopftier im Feuer liegen blieb. Dann würde das führerlos gewordene Rudel am ehesten auseinandergesprengt mehrmals an Schützen geraten.

Fast Dreiviertelstunden waren vergangen, als es vor Rabenhofers Stand lebendig zu werden begann. Im Nebelschleier der Auwiese tauchten, schemengleich ins Groteske vergrößert, sich bewegende Tiergestalten auf, schoben sich durcheinander, gingen in Linie und kamen näher. Mit Befriedigung stellte Rabenhofer fest, daß wenigstens kein ganz hochwertiger jagdbarer Hirsch sich dabei befand. Lediglich ein Achter, der noch nicht blank gefegt hatte, trollte am Schluß. Aber einige übergehende, d. h. Tiere ohne Kälber und ein scheinbar uraltes Stück waren dabei. Letzteres hatte es besonders wichtig, spielte mit den riesigen Lusern, steckte andauernd den Windfang in die Höhe und bewies deutlich, daß es dem Landfrieden in keiner Weise traute. An diesem zähen Braten mochten sich die Mauslochbrüder nur ruhig ihr Zähne schärfen, es war gut, wenn das überständige Stück wegkam. Wie der mächtige Kasten sich einmal ordentlich breitschob, ging das Elfenbeinkorn tief in den Rumpf und der Donnerknall des schweren Büchskalibers riß durch die kirchenstille Landschaft.

Die Alte war in rasender Hochflucht zimmerlang geradeaus gegangen und dann zusammengebrochen. Das Rudel flüchtete mit Gepolter weiter und wurde draußen am Ufer vom Geknalle der Postenschießer empfangen. Ein Schmaltier quittierte den Bleihagel aus den Rohren des grünen Gustl und blieb im Gras schlegelnd liegen. Cavalla löste beide Läufe auf den Achterhirsch ohne Erfolg. Dann fiel noch ein Schuß bei der durchgehenden Wehr, und damit war Ruhe.

Rabenhofer trat zu seinem Geltstück und begann sogleich mit dem Auslösen der prachtvoll dunkelbraunen Grandl. Sodann legte er den Büchsdrilling griffbereit zur Rechten, kniete sich zwischen die Hinterläufe seiner Beute und fing an, sie gemütlich aufzubrechen, als sei er der Jagdberechtigte und nicht ein Raubschütze. Zuletzt drehte er den schweren Körper um und ließ unter Hochheben der Vorderläufe den letzten Rest Schweiß ausrinnen.

Ein höhnisches Lachen machte ihn auffahren und der hinten herantretende grüne Gustl prallte mit offenem Mund vor der auf ihn gerichteten Revolvermündung zurück. Der Büchsenspanner maß ihn mit offener Verachtung: »Hausdepp, damischer, wanns du manst, du kannst mit mir Spassetteln treiben beim Schwarzgehen, nacherdanach bist schwer im Irrtum! So a Lausbuberei kann einem bei mir 's Leben kosten, ich hab' die Faust schneller am Schnackldammerl als du blöder Kerl schauen kannst! Hast gemeint, weil meinige Büchs im Gras liegt, bin i zum Erschrecken? Da mußt erst 's Schulgehen anfangen und bei mir lernen.« Damit schränkte er dem Stück korrekt die Läufe, steckte einen Bruch in dessen Äser und säuberte sich die Hände im taunassen Gras. Indessen waren auch Cavalla und Schichtl herangetreten, die der grüne Gustl im Gefühl seiner schmählichen Niederlage nun gemein zu behandeln suchte. Mit groben Ausdrücken schmähte er auf die Fehlschießerei und befahl das von ihm erlegte Schmaltier auszuweiden. Das Wild sah böse zugerichtet aus, mindestens acht oder zehn Roller saßen über dem Rumpf verstreut und der Panseninhalt quoll beim Aufschärfen sogleich heraus. Dazu stellten sich die Wilderer möglichst ungeschickt an, worüber ihr Hauptmann in Wut geriet.

Der Neue schnitt die ausbrechende Schimpferei jäh ab: »So, jetzund hab' ich von dera Ramasuri aber grad genug bis zum Hals. Wann einer so dumm ist, daß er Hochwild muß mit Posten z'sammspritzen, weil er anders nix tut treffen, nacherdanach ist's doch kein Wunder net, wenn das schöne Wildbrat nur mehr Dreckhaufen ist. Und woher soll denn der Cavalla und der Beni wissen, wie man a G'wild ordnungsmaßig behandeln tut? Der ane hat Geigen g'spielt und Flöten blasen, der andere ist am Trapez umanandag'flogen wie a Fledermaus in der Mondscheinlichten. Räum dir deinen Dreckhaufen selber auf, du g'scherter Lackl, dann bist gleich blamiert und jeder sieht, daß du nix hast g'lernt als Maulaufreißen!«

Der so wenig schmeichelhaft urwienerisch Interpellierte nahm den Kopf tief zwischen die Schultern und wollte sich mit einem unartikulierten Grunzton auf den Sprecher stürzen. Darauf hatte dieser nur gewartet. Die vorfahrende Rechte des grünen Gustl war im Moment ausgefangen und der Daumen nach rückwärts gedreht, daß es krachte. Gleichzeitig landete des Angegriffenen Linke mit hochelegantem Schwung unterm Kinn des Rohlings, so daß diesem der Unterkiefer fast aus der Pfanne flog. Er strauchelte nach rückwärts, glitt auf dem grünen Panseninhalt des aufgebrochenen Wildkörpers aus und fiel direkt in die scharf duftende Bescherung. Zu allem Überfluß kamen nun gerade die Leute, welche unter Führung des Baldowers getrieben hatten, heran und sahen den Theatervorhang hochgehen. Verhaltenes Gelächter, höhnische Bemerkungen bewiesen die Mißliebigkeit des Hauptmanns. Dazu saß dieser immer noch mit schief gehaltenem Unterkiefer und verdrehten Augen am Boden, vergeblich versuchend, hochzuwerden. Da packte der Lakai ihn beim Kragen, hob den ganzen Jammer in die Luft, als wäre er eine Strohfigur, gab ihm eine Maulschelle, daß es tuschte und der Kinnbacken einschnappte. Dann ein Untergriff so flink, daß es fast nicht zu sehen war, der Körper drehte sich wirbelnd um seine Achse und stand auf den Beinen! Gedämpftes Bravo und mühsam verhaltener Jubel.

»So, Manderl, jetztund weißt, wer und was ich bin! A Lakai, der was kann, ist alleweil noch besser als ein Lackl, der nix g'lernt hat. Von heut nacht ab hast du ausregiert, wenn ich da bin, verstanden? Heuochsen kann man zum Befehlen net brauchen und du bist dümmer als der größte Ochs von Niederösterreich.«

Der total ausgedrehte Daumen kostete noch schwere Arbeit, bis er wieder eingerichtet war, wobei der Baldowerer den Arm halten mußte und der Patient vor Schmerz halb ohnmächtig wurde. Das Ansehen des Büchsenspanners stand von jetzt ab auf Granit und seine sachverständigen Ratschläge wurden für kommende Streifzüge hoch bewertet. Leider war er gezwungen, öfters zu verreisen, und konnte erst im Herbst wieder aktiv an einem Hauptschlag teilnehmen. Die Bande hatte sommersüber ihre Tätigkeit abwechselnd auf verschiedene weit voneinander entfernte Gehege verlegt und beschlossen, erst mit Eintritt der Hirschbrunft wieder in Satzenufer einzubrechen, damit das Jagdpersonal inzwischen sich beruhigte und sorgloser würde.

Im Mausloch war Festsitzung anberaumt, der lange Büchsenspanner hatte versprochen, seinen Muschelruf mitzubringen und der Tafelrunde das Hirschschreien vorzumachen. Nachdem alle bis auf den grünen Gustl versammelt waren, begann die Galavorstellung. Von den steinernen Kellerwänden zurückgeworfen, dröhnte grimmes Röhren, hallte der Sprengruf. Der musikalische Cavalla war in Ekstase: »Ist sich Liebe bei Mensch und Vieh immer gleich, wenn wird zu serr gewaltig, braucht sie irgendeine Ablenkung. Dann macht Mensch Musik, Vogel singt, Viech schreit.«

Herr Theobald Rieselsberger segnete im stillen den Entdecker dieses Meeresschnecken, denn ein normaler Mensch mußte von solcher Brüllerei Wahnsinnsdurst bekommen. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt, als der grüne Gustl, nicht mehr völlig nüchtern, in Begleitung eines Frauenzimmers unzweifelhafter Qualität die Kellertreppe heruntergeturnt kam. Die Person hatte künstlich gebleichte Haare, war von großer, viel zu üppiger Figur und trat mit frechem Gesicht, den Büchsenspanner von oben bis unten musternd, an den Tisch. Dieser steckte die Muschel, ohne ein Wort zu sagen, in seine innere Joppentasche, winkte dem Wirt »Zahlen« und erhob sich.

Im Gesicht des grünen Gustl jagte Röte und Blässe: »Was is denn dos wieder für a neue G'schwollschädelmanier, wann ich mit einer Dame in die G'sellschaft komm', einfach abz'hauen. Da muß i –«

»Sofort das Maul halten, oder es gibt diesmal anstatt Daumendreher und Kinnhaken in Gegenwart der Schickse da solide Prügel!« donnerte ihn der Lakai an.

Das Weib kreischte auf: »Gustl, wannst a Kaffalür bist, nachher nimmst die Ehre deiner Dame in Schutz. Schickse hat er mi g'heißen, der ausg'haute Lakai da, der wo doch nix anderes ist als a Spitzl!«

In diesem Augenblick hatte der Mauslochkeller die größte Sensation seit Jahren! Des Büchsenspanners Faust griff rücksichtslos in die Lockenpracht der Numerierten und warf das falsche Gebilde zu Boden. Spärliche ungepflegte braune, von grauen Strähnen durchzogene Haare kamen zum Vorschein. Die Tafelrunde wieherte, lachte Tränen, der grüne Gustl fuhr wie ein Rasender nach der Messertasche, fühlte sich im gleichen Augenblick emporgehoben und flog wie ein Gummiball gegen die Kredenz, wo das große Wasserschaff zum Spülen der Biergläser stand. Im Bestreben, einen Halt zu finden, riß sein Arm die skalplose »Dame« mit, und beide lagen, im kühlen Naß der herabgeschmetterten Gläserwanne. Der Held des Abends jedoch verließ mit einem lachenden »Servus, Spezeln, auf baldigs Wiederschau'n im Massengrab« das Lokal.

 

Im Jagdhause zu Satzenufer war als Gast des Geheimrats ein englischer Lord eingetroffen, der einen Hirsch schießen sollte. Brandkofler hatte bei Peterbauer zum Diner Donauhuchen und Solokrebse bestellen müssen, und die Fischerknechte erzählten im Wirtshaus, daß ausgerechnet gestern am Motorboot ein Defekt eingetreten sei, der vor mehreren Tagen nicht behoben werden könne. Jäger Seeaner war schon in der Früh mit dem herausmontierten Teil nach Wien in die Werft gefahren und noch immer nicht zurück.

In einer Ecke der großen Gaststube saßen Arbeiter des Flußbauamtes, tauschten Vermutungen aus, welche Trinkgelder es wohl für Brandkofler und Seeaner absetzen werde, ob der Lord auch ein guter Schütze sei und am Ende gar der starke Zwölfer vom Kormoranwörth dies Jahr zum Abschuß gelange. Der jüngste unter den schon ziemlich gereiften Leuten wurde von seinen Kameraden kurzweg Hans genannt, trug sich gebirglerisch, war schweigsam und lauschte mit anscheinend geringer Aufmerksamkeit auf diese Gespräche jagdlichen Inhalts. Nur ein ganz scharfer Beobachter hätte das versteckt triumphierende Leuchten der unangenehm stechenden Augen bemerkt. Floiten-Hans wußte alles, was zu erfahren notwendig war, um kommende Nacht die Jägerei an der Nase herumzuführen und reich mit Beute beladen lange vor Tagwerden abzuziehen!

 

Um zehn Uhr mußte bei wolkenlosem Oktoberhimmel der Mond voll emporsteigen. Für neun war Treffen der Raubschützen vereinbart. Alle hatten zugesagt, nur Schichtl-Beni mußte irgendein größeres Ding zu drehen haben, denn er fehlte seit einer Woche bei den abendlichen Dämmerschoppen.

Im Auwald und drüben im Inselgewirre des Stromes röhrten die Hirsche, daß es eine Pracht war. Wie die Kirchenuhr vom Dorf ihre neun Schläge bis zum Donauufer herüberklingen ließ, wurde es bei der alten Weide lebendig, an der die Boote des Flußbauamtes angekettet lagen. Der Baldowerer zog die Schlüssel aus der Tasche und öffnete sämtliche Vorlegschlösser. Je zwei Mann bestiegen eine Zille und fuhren los. Es war die Losung ausgegeben heute nacht nicht zu treiben, sondern zu pirschen, etwa erlegtes Wild sogleich ins Boot zu schleppen und damit an den vereinbarten Sammelplatz, eine alte nicht in Betrieb befindliche Zeughütte, zu fahren. Im Dachgebälk des kleinen, aber festen Holzgebäudes war ein Flaschenzug angebracht, an dem auch der schwerste Hirsch mühelos hochgezogen und zerwirkt werden konnte. Die Werkhütte hatte wilder Hopfen und Liesch umsponnen, sie stand nicht mehr inventarisiert und kein Ingenieur besuchte sie infolgedessen auf Inspektion. Floiten-Hans trug den Schlüssel zum schweren Vorlegschloß stets in der Tasche.

Rabenhofer mußte im stillen das Organisationstalent dieses Kerls bewundern. Dessen Operationsplan für heute nacht war mustergültig ausgedacht und richtig berechnet. Durch die sehr weit auseinanderliegenden Arbeitsgebiete der Raubschützen wurde das gesamte gegen den Strom sich ausbreitende Inselrevier gleichzeitig verseucht und die Jägerei durch die bald da, bald dort fallenden Schüsse total irregeführt und nervös gemacht. Außerdem stand hundert gegen eins zu wetten, daß heute überhaupt kein Schutzpersonal um die Wege war. Nach absolut sicherer Meldung befanden sich der Geheimrat und sein hoher englischer Gast im Anwesen Peterbauers, der beide zum Essen gebeten. Das gab bei der bekannten Vorliebe des Geheimrats für den alten Fischermeister und der Bewunderung des Lords für schwere Huchen und Hechte eine lange Sitzung bei gutem Wein! Überdies fehlte der als Draufgänger ersten Ranges gefürchtete Seeaner, welcher wahrscheinlich in Wien saß und fluchend auf die Reparatur wartete. Geigl-Schorsch wußte aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie wenig eilig es die großen Reparaturwerkstätten mit Vornahme solch hereingeschneiter Arbeiten haben. Übrigens hatte der grüne Gustl seine Bande seit einiger Zeit um zwei Mann vermehrt für den Fall daß jemand fehlen sollte, wie das bei Schichtl-Beni und dem Lakai oft vorkam. Die beiden Neuen waren ein rumänischer Schiffsheizer, dessen Dampfer regelmäßig Wien anlief, und ein Vorarbeiter von der Werft, welcher sich nebenamtlich mit Reparaturen von Schußwaffen beschäftigte, deren Existenz der Polizei nicht bekannt werden durfte. Beide Kerle schossen sehr gut und waren auch, nach ihrem Aussehen zu urteilen, jeder Schandtat fähig.

Der Baldowerer verteilte erst im letzten Augenblick die einzelnen Pirschreviere und verschwand sodann selber in einem kleinen Boot um die Ecke des nächsten Rinnsals. Das scharfe Auge des Detektivs hatte deutlich bemerkt, daß der Mann heute nicht wie sonst die Büchsflinte trug, sondern einen Ischlerstutzen. Nur war, über das Schloß und halben Vorderschaft gehend, ein Schutzleder aufgeknüpft, wie solches Herrenjäger im Hochgebirge gerne benutzen, um Beschädigung kostbarer Waffen beim Klettern im waxen (schroffen) Gestein zu vermeiden.

Der lange Kaiserjäger hatte seinen Muschelruf um den Hals hängen und trachtete, möglichst bald ins Innere seines ihm zugewiesenen Reviers und fort von Geigl-Schorsch zu kommen. Das Hirschkonzert war in vollem Gang und bald peitschte ein heller Büchsenschuß einige tausend Meter unterhalb durch die Stille der Nacht. Das Röhren verstummte sofort und nach einer Viertelstunde ging Rabenhofer zum Angriff über und gebrauchte seinerseits kräftig den Schnecken. Eine wahrhaft stiermäßige Stimme antwortete in regelrechter Folge – der Detektiv nickte befriedigt – das war Brandkofler! Und nun meldete sich in auffallend hoher Lage ein Hirsch, anfangs schüchtern, dann immer frecher werdend. Also stand auch Seeaner schon auf Posten!

Da und dort fielen Schüsse, wiederholt bekam Rabenhofer Wild in Schußweite zu sehen, dann krachte es endlich bei Geigl-Schorsch, der alsbald mit Eulenruf Signal gab, getroffen zu haben. Es lag ein Schmaltier, und beide trugen es mit vereinten Kräften zum Boot. Die Zeit war ohnedies fast um und über eine halbe Stunde galt es scharf zu rudern, bis man den schweren Wildkörper geborgen hatte. Wie Schorsch seinen Platz an der Ruderbank einnahm, bemerkte er in bissigem Ton: »Das Wildbratschießen bloß z'wegen dem Fleisch taugt halt net recht für so feine Herren. Das Hirschenrudel ist zweimal beim Herrn Büchsenspanner anprellt, ohne daß er's hat der Mühe wert g'funden, anzuzünden, da wird unser Capo net ganz einverstanden sein.«

Der Lange stieg mit waagrecht ausgestreckten Armen, die Büchse in der Linken haltend, balancierenden Schrittes über die Ruderbank, um zu seinem Sitz zu gelangen, ließ aus dem rechten Rockärmel ein handlanges, in Leder genähtes Etwas herausgleiten und schlug es fast ohne Kraftaufwand nur so aus dem Gelenk auf den Schädel des Sprechers. Der Schwerverbrecher hatte einen festen Kopf, aber solch modernem Totschläger war er doch nicht gewachsen. Lautlos sackte der starke Bursche zusammen und war wenige Minuten darauf zu einem hilflosen Bündel zusammengeschnürt.

 

»Blaufalk« lag seit Stunden lauernd unter den überhängenden Ästen uralter Uferweiden. Jetzt rief draußen im offenen Fahrwasser ein Reiher und gleich darauf kam's im Morgennebel dahergeschossen wie ein Pfeil. Der Detektiv ruderte, daß sich die zähen Hölzer bogen, kam breitseits und machte fest. Seine Ladung löste beim alten Peterbauer und dessen Knechten helle Begeisterung aus und wurde als gute Vorbedeutung genommen. Kaum vergingen zehn Minuten, so ruderte Brandkofler heran, als gelte es das Leben, und nach ihm kam als letzter Seeaner. Das Haltetau glitt ab und das Motorboot schoß vorwärts – dem letzten Kampf mit der Räuberbrut entgegen.

Floiten-Hans sammelte seine Leute, von denen nur der Lakai und Geigl fehlten. Der grüne Gustl fluchte wie ein Wahnsinniger, denn Zeit durfte keine mehr verloren werden, jede Minute war in der Frühe kostbar.

Peterbauer fuhr mit seiner Mannschaft stets lange vor Tag fort, um die nachtsüber ausgelegten Reusen und Legangelschnüre zu bergen. Mochten die zwei Verspäteten sehen, wie sie allein zurecht kamen! Die Boote der Raubschützen fuhren in Kiellinie mit kurzen Zwischenräumen, im Bootkranz saß immer ein Mann mit schußfertigem Gewehr. Floiten-Hans regelte mit leisen Zurufen das Tempo der Ruderer. Nun kam noch eine böse Wegstrecke mit »schwerem«, d. h. scharf fließendem und tiefem Wasser, das die Kräfte des Fahrenden sehr anstrengt. Die Donau sandte hier von ihrem Hauptwasser eine besonders scharfe Strömung nach dem Lande zu, und der Seitenkanal war zu allem Überfluß noch durch einen Hochwasserdamm, der steil aus der Tiefe wuchs, besonders gefährlich zu befahren. Des erfahrenen Anführers Boot hatte genau zwei Drittel dieses Zwangswechsels hinter sich, als dem kühnen Raubschützen fast der Herzschlag aussetzte!

Was da aus Frühnebelschleiern graublau, meterhohen Gischt aufwerfend heranbrauste, war der – Tod! Auch aus den nachfolgenden Zillen gellten Schreckensrufe, die Raubschützen hatten den gefürchteten »Blaufalk« erkannt, einer rief: Verrat.

Aus des Baldowerers Büchse flog helles Feuer, dann krachte, splitterte Holz, schrien, brüllten sechs, acht Kehlen zugleich. Das Motorboot rammte mit eleganter Wendung eine zweite Zille, wurde von einer dritten mit grobem Hagel beschossen, daß die Bleibatzen von den Kupferwänden abprallten und singend an der Wasseroberfläche auffuhren. Die letzte der Zillen hatte gewendet und ihr Führer gedachte im Nebel zu entkommen, als aus der grauen Wand ein von drei Fischern gerudertes Boot herausschoß, in dem zwei Gendarmen saßen. Der Postenführer von Satzenufer hatte die schwere Steyr-Armeepistole in der Faust, sein Kollege den Mannlicher-Karabiner am Kopf. »Hände hoch!« Der rumänische Schiffsheizer ließ das Ruder fallen und folgte dem Befehl, sein Kamerad, der Werftarbeiter, knallte in heller Wut einen Kugelschuß nach dem Gendarmenboot und sank gleich darauf mit Bauchschuß ächzend zusammen. Drüben hatte der »Blaufalk« indessen schauderhaft gehaust, überall schwammen Bootstrümmer, trieben erlegte Wildkörper auf den jagenden Wogen, reckten sich Arme rettungsuchend empor. Floiten-Hans hatte keinen Augenblick die Geistesgegenwart verlassen. Der zähe Gebirgler sah, daß alles verloren war und nur schleunige Flucht aus der Gegend noch Rettung bringen konnte. Die kleine, leichte Repetierbüchse über den Rücken gehängt, sprang er ins Wasser und tauchte weg, so daß Rabenhofers nachgesandter Revolverschuß darüberging. Doch der alte Peterbauer kannte sein Wasser ebensogut und wußte genau, in welcher Gegend ein guter Taucher bei dieser scharfen Strömung bestenfalls emporkommen konnte. So war denn auch das Motorboot kaum zwanzig Meter entfernt, als der kühne Raubschütze fast atemlos seinen Kopf aus den Wogen hob. Wohl tauchte er nochmals weg, aber beim nächsten Atemholen flog, von sicherer Hand geschleudert, eine Leine mit daranhängendem apfelgroßem Bleistück über den Schwimmer und legte sich würgend um Hals und ausgestreckten rechten Arm.

Wie der Körper über Bord gehoben wurde, sah Floiten ein, daß er endgültig verspielt hatte. Vier schwarze Pistolenmündungen drohten ihm entgegen, die stählernen Achter schnappten Raubtierkiefern gleich um seine Handgelenke und ein festes Hanfseil wurde um die Beine gewickelt. Der Blick des Detektivs fiel auf die Büchse des Gefangenen und wurde wilder Triumph! »Meine Erwartungen sind erfüllt, wir haben des Generaldirektors Mörder vor uns, das ist die vermißte Büchse Gräbers!«

Da überzog Leichenblässe die braunen Gesichtszüge und ein Tobsuchtsanfall folgte, wie selbst der erfahrene Detektiv noch keinen gesehen. Der Postenführer von Satzenufer suchte indessen scharfen Blickes die Wasseroberfläche nach etwa auftauchenden Körpern ab. Sein ausgestreckter Arm wies auf einen eben hochkommenden, unkenntlich verstümmelten Kopf und das Ruderboot hielt darauf zu. Der Körper schien kein Leben mehr zu haben und wurde ins Boot gehoben. Es war klar, daß die stählerne Rammschneide des »Blaufalk« beim Auftreffen eines Raubschützenbootes diesen Kerl mitgenommen und schwer verletzt haben mußte. Die eine Kinnbackenhälfte war zerschmettert, so daß sämtliche oberen Stockzähne der linken Gesichtsseite blank lagen. Von der Kopfhaut fehlte ein Teil und das linke Schulterblatt bestand samt Achselgelenk und Schlüsselbein nur mehr aus Knochensplittern. Wie das Gendarmenboot längsseit des »Blaufalk« kam, rief der Detektiv: »Gratuliere, Sie haben gefunden, was uns noch abging, das ist ja der Hauptmann der Bande, genannt ›grüner Gustl‹!«

Unter den Gefangenen, die bei Bewußtsein waren, brach eine fürchterliche Wut aus. Jetzt erkannten sie alle den »Lakai«, der ihnen sonst nie anders als mit schwarzen Bartkoteletten und ebensolcher Kinnfliege bei völlig veränderter Frisur gegenübergetreten war. Selbst Peterbauers Fischerknechte merkten jetzt erst, daß auch der englische Lord und dieser schneidige Geheimpolizist da wohl wesensgleich waren.

Im Untersuchungsgefängnis gab es einen großen Tag, an dem auch Herr Rieselsberger trauriges Wiedersehen mit den Resten seiner Stammgäste feierte. Der grüne Gustl erwachte zwar zu kurzem Bewußtsein seiner Lage, bekam örtliche Anästhesieinjektion, versank darauf wieder in Lethargie und starb am dritten Tag infolge Gehirnhautentzündung. Geigl-Schorsch überwand dank seiner vorzüglichen Raubtierkonstitution den Schlag des Büchsenspanners nach einigen Wochen und konnte mit seinen Komplicen dem Schwurgericht überstellt werden. Der Werftarbeiter erlag schon in Satzenufer dem erhaltenen Bauchschuß. Völlig unverletzt waren nur Cavalla und der rumänische Schiffsheizer geblieben. Von Schichtl-Beni fehlte von jener Zeit ab jede Spur, er hatte Wien offenbar ganz verlassen.

 

Dr. Rothenbucher setzte die Aufnahme des Oberleutnants Rabenhofer in den Staatsdienst durch. Während beide zusammen das Material für die bevorstehende Schwurgerichtsverhandlung bearbeiteten, kam neue Meldung, die nochmals etwas an den Fall Lenk rührte. Generaldirektor Stühler hatte sich im Sommer mit Asta Petrowitsch verlobt und wollte in kurzem heiraten.

Der Polizeichef schüttelte den Kopf: »Wenn das nur gut ausgeht! Die beiden Menschen passen vielleicht durch Bildung und Charakter famos zusammen, aber diese Serbin ist ein kerngesundes Rasseweib und er gesundheitlich eine Ruine, sein Herz kann jede Stunde nein sagen. Wir müssen übrigens am Hochzeitstag gratulieren; wie mir der Geheimrat gestern auf der Straße mitteilte, will Stühler uns sogar zum Hochzeitsfrühstück einladen. Ein eigentliches Diner findet nicht statt, weil das Trauerjahr erst drei Wochen um ist und die schöne Braut ihre erste Liebe offenbar nicht vergessen kann. Ich wenigstens fasse die Sache als Vernunftehe von beiden Seiten auf. Er bekommt eine repräsentationsfähige Frau ersten Ranges und ein Finanzgenie dazu. Sie kann ihrer Schönheit die richtige Folie geben und hat ein Arbeitsfeld für ihren Verstand und Tatendrang. Vielleicht wäre sie mit dem schneidigen und schönen Herrenjäger Hubert Lenk noch glücklicher geworden. Harmonisch kann sich das Zusammenleben dieser beiden Menschen auch gestalten!«

 

Generaldirektor Stühler konnte nach der standesamtlichen Trauung in der Hoteldiele nicht nur seine, sondern auch sämtliche alten Freunde Lenks begrüßen. Die Prachtfigur Rabenhofers in der ordenbedeckten Uniform seines stolzen Kaiserjägerregiments fiel besonders auf. Er überreichte der feenhaft schönen Braut einen riesigen Strauß La-France-Rosen »als Rächer von Rittmeister Lenk«. Frau Stühler konnte vor Bewegung kaum danken, indes ihr die hellen Tränen über das rassig kühne Gesicht liefen.

Stühler selbst war so nervös, daß ihm sein Hausarzt noch im letzten Moment eine Injektion machte. Die Jungvermählten ließen auch die Hochzeitsgesellschaft sehr bald allein und reisten über München an die oberitalienischen Seen ab.

 

Kurz vor Ostern fand endlich nach äußerst langwierigen amtlichen Nachforschungen über die Personen und Vorstrafen der angeklagten Raubschützen die große Schwurgerichtsverhandlung statt. Sie gestaltete sich zur Sensation Wiens, als bekannt wurde, daß Gräber wahrscheinlich unschuldig am Tode Lenks sei und mit sehr großen Erleichterungen wegen bevorstehender Entlassung aus dem Kerker als Zeuge fungieren würde.

Floiten-Hans verwickelte sich in immer größere Widersprüche und brach fast zusammen, als ihm der Staatsanwalt auf den Kopf zusagte, er habe mit Gräbers Büchse gewildert und sei beim Zusammentreffen mit dem Jagdherrn von Satzenufer, genau wie schon früher auch, fest entschlossen gewesen, von der Todeswaffe aus dem Hinterhalt Gebrauch zu machen. Seine Vorstrafen begannen schon mit dem Alter von sechzehn Jahren, wo er als Ziegenhirt Gams gewildert und einen ihn dabei betretenden bäuerlichen Jagdbesitzer mit dem Handbeil niederschlug. Aus der Korrekturanstalt entflohen, hatte er in Siebenbürgen als Holzfäller gearbeitet, war mit Gendarmen in Konflikt geraten und verwundet worden. Die militärische Disziplin war Floiten ein Greuel, deshalb desertierte er nach der Schweiz und wurde Lastträger in Graubünden. Sein Einbruch in ein Bannwaldgebiet brachte schwere Strafe und Ausweisung. Der Zusammenbruch des Kaiserreichs und die nachfolgende Anarchie lockte den Verbrecher in die alte Heimat, wo er sich sofort einer Bande marodierender Soldaten anschloß, welche Wildfrevel im großen betrieben. Dabei erschoß Floiten einen Revierförster und flüchtete unerkannt. Nach den genauen Aufzeichnungen der Kirchenbücher seines Heimatdorfes wurde in der Familie Jahrhunderte hindurch immer Wildfrevel betrieben. Unter Fürsterzbischof Lang von Salzburg starb der erste dieses Namens als Mörder eines »Jagtpurschen« am Rad, und von da an fanden sich immer wieder Floiten vermerkt, die gehängt, erschossen, geköpft oder sonst auf unsanfte Weise hinüberbefördert worden waren.

Lange vor Beginn der Verhandlung stand das Publikum schon Kopf an Kopf, um acht Uhr mußten zwei Damen bewußtlos hinausgeschafft werden und um neun Uhr begann die Sitzung mit dem Namenaufruf der Zeugen.

Die Angeklagten wurden zur Verlesung der Anklageschrift unter schwerer Bedeckung von Wachmännern hereingeführt und mußten dann wieder abtreten. Als Kronzeuge fungierte Oberleutnant Rabenhofer, der von diesem Tag an der gefeierte Liebling der Wiener Weiblichkeit war. Nach ihm kam Gräber. Selbst seine besten Bekannten zweifelten im ersten Augenblick, ob dieser weißhaarige ruinöse Sträfling mit der fahlen Hautfarbe und den müde blickenden Augen wirklich einst der leichtsinnige, zu jeder Liebestollheit aufgelegte Windhund und Hasardeur gewesen sein könnte.

Der Vorsitzende redete ihm freundlich zu, nun doch endlich zu sagen, warum er sich über die Vorgänge jenes unseligen Septembers so in Schweigen hülle. Jetzt nach Verhaftung des wahren Mörders könne er mit jeder Wahrheit herausrücken, auch wenn er sich dadurch vielleicht einer anderen minder großen Straftat bezichtige, welche ja im voraus durch die bisher erlittene entehrende und dazu unschuldig erhaltene schwere Kerkerstrafe abgeglichen sei.

Gräber schüttelte nur müde das Haupt: »Herr Rat, ich habe mit dem Leben abgeschlossen und wünsche nur mehr zu sterben. Überflüssig zu sagen, daß ich Onkel Hubert nicht erschossen habe, so wenig ich weiß, auf welche Art die arme Frau des Jägers ins Wasser geraten ist. Wie meine Beziehungen zu ihr waren, sage ich nicht vor der Öffentlichkeit; ihr Mann lebt ja noch und muß sich sein Brot als beeideter Jäger verdienen. Ich schwöre jederzeit, daß er von dem, was wir hinter seinem Rücken gemacht, keine blasse Ahnung hatte. Der Mann war im Dienst treu und hätte uns alle erschossen, wußte er den wahren Sachverhalt!«

Der Sitzungssaal wurde nun gemäß Gerichtsbeschluß von den Zuhörern geräumt und der Zeuge unter Ausschluß der Öffentlichkeit weiter vernommen. Es war offensichtlich, daß dieser nun ganz anders aus sich herausging und mit jedem Satz frischer wurde.

»Sei es drum, einmal muß die Last vom Herzen, das ohnedies bald genug hat. Ich fühle, daß es zu Ende geht und will nicht mehr länger schweigen. In Onkel Huberts Revier war nach meinem Geschmack und Unverstand viel zuviel Ordnung. Ich wollte mich auch jagdlich so austoben, wie ich es in der Liebe gewohnt war.

»Auf jeden Verstoß aber gab's Krach und ich brauchte Onkels gute Laune so sehr bei meinen vielen Schulden. Da kam es mir gerade recht, daß ich per Zufall die hübsche Marianne kennenlernte, das junge Weib des Jägers des Grafen Waltershausen. Ich brauchte sie wirklich nicht zu verführen; die rassige, von ihrem Mann vernachlässigte Frau warf sich mir buchstäblich an den Hals, um endlich zu erfahren, wie Mannesliebe tut. Wir trafen uns heimlich im Revier, im Jägerhaus, wenn ihr Mann dienstlich abwesend war, auch bei Nacht, ich besuchte mit ihr in Wien hier auch Kino und Kaffeehaus. Die Frau wußte sich gut anzuziehen, stammte aus kleiner subalterner Beamtenfamilie, hatte gegen den Willen der Eltern den einfachen bäuerlichen Menschen geheiratet und es schwer bereut.

Ja – und nun kommt das Bittere! Ich sah im Revier des Grafen ein paar selten starke Böcke, auch einen sehr guten Hirsch und beredete mit Marianne den Plan, diese hervorragenden Wildstücke zu freveln. Und dann schlug das Verderben ein. – Wie ich mit Marianne zusammen daran war, dem gewilderten Hirsch das vierzehnendige Geweih auszusägen, überraschte uns ein im Gesicht geschwärzter Mann – Floiten-Hans. Er wurde von dieser Stunde an mein und der Jägersfrau böser Geist, riß mich immer tiefer auf die Bahn des Wilderns und nicht genug damit, zwang er Marianne, ihm hinterm Rücken ihres Gatten Spiondienste zu leisten für Wildereien einer ganzen Bande Raubschützen aus Wien, und zuletzt mußte ihm das schöne Weib sogar gegen ihren Willen den Körper leihen. Es kam zwischen mir und Floiten zu einem wilden Auftritt im Revier, wobei ich, in meiner Wut und vor Mitleid mit der armen Frau bebend, Floiten mit der Waffe bedrohte und ihm das Versprechen abzwang, forthin das Revier des Grafen zu meiden und Marianne nie mehr anzurühren. Am Tage darauf suchte sie mich in Wien auf und gestand weinend, in anderen Umständen zu sein. Nach der Sachlage bin ich sicher nicht der Vater des Kindes gewesen, sondern der brutale Floiten. Ich tat ihr den Willen und ging mit ihr zu einer weisen Frau, welche derartige Eingriffe berufsmäßig vornimmt. Marianne wurde dabei sehr schwach und ich brachte sie nach Hause, als ihr Mann zum Glück abwesend war. Meine Repetierbüchse hatte ich in einer alten Uferweide versteckt, die Patronen verwahrte mir Marianne. An jenem Tage vermißte ich beim Nachschauen die Waffe und mußte annehmen, daß Floiten das Versteck gefunden und sie gestohlen hatte. Dann erfolgte meine Verhaftung und ich sollte sagen, wo der Repetierer sei. Die Nachricht vom Tode des armen Weibes, das mich abgöttisch geliebt, und die Anschuldigung, Marianne ermordet zu haben, gaben mir den Rest. Ich ließ dem Verderben seinen Lauf.«

Der alte, ehrwürdige Vorsitzende konnte nur den Kopf schütteln und sagte leise zu seinem Beisitzer: »Typisch willensschwacher Mensch, hemmungslos im Liebesaffekt, aber ohne Nerven, wenn Unglück eintritt.«

Zum Zeugen gewendet, fuhr er laut fort: »Das ist ja fürchterlich; Sie konnten mit einer relativ geringeren Strafe davonkommen und nahmen schweigend lebenslänglichen Kerker auf sich!«

Gräber bejahte müde: »Einmal mußte meine Unschuld an den Tag kommen und straffrei wäre ich auch niemals weggekommen für meine Wilderei im gräflichen Revier und – die – Defraudation bei der Aktiengesellschaft.«

Der Richter starrte Gräber an wie einen Wahnsinnigen: »Nun hört sich aber manches auf! Sie waren doch im Besitz von Jagdkarte und Waffenpaß, also lag der volle Tatbestand des Wilderns nach österreichischem Recht nicht vor. Graf Waltershausen konnte Strafantrag stellen, hat es aber nie getan, ebensowenig wie Herr Generaldirektor Stühler jemals gegen Sie als Neffen seines von ihm hochverehrten Amtsvorgängers und Freundes eingeschritten wäre. Ihr Onkel, Dr. Lenk in Bruck, bezahlte sämtliche von Ihnen eingegangenen Verpflichtungen bis auf den letzten Groschen. Niemand ist Ihnen mehr böse, Sie können, wenn der Staatsanwalt die Erlaubnis gibt, frei weggehen und haben mehr als hart für Ihre Vergehen gebüßt.«

Über des blassen Mannes abgehärmten Züge flog es fast wie Erschrecken: »Und wer gibt mir Arbeit? Ich habe das Lotterleben satt auf ewig, weiß aber, daß die Leute vor mir davonlaufen wie vor einem Pestkranken.«

Der Vorsitzende lächelte gütig: »Herrn Lenks Freunde sind immer für Sie eingetreten und haben nie an Ihnen gezweifelt; diese Herren kannten Sie besser als das Gericht, man muß dies heute offen zugeben! Ich glaube, Arbeit bekommen Sie bei Ihrer Begabung genug und sofort, ich zweifle nicht, daß Sie in Zukunft ein anderer Mensch sein werden!«

 

Nun kam die Sensation des Tages: Hans Floitens Vernehmung. Der an sich schön gewachsene Gebirgler mit den eisenharten Muskeln und kühn gebogener Nase machte gleichwohl keinen guten Eindruck. Das verschlagene Auge, die stets nach einigem Zögern sichtbar genauestens überlegten Antworten ließen sofort den gerichtserfahrenen Gewohnheitsverbrecher erkennen.

Infolge des Beweismaterials mußte er zugeben, Gräbers Büchse aus dem ihm bekannten Versteck gestohlen und damit gefrevelt zu haben. Die in seinem Gepäck vorgefundenen Hirschgrandl ließen keinen Zweifel, daß sich unter den gewilderten Rotwildstücken auch der stattliche Hirsch befunden hatte, welchen Seeaner vermißte und Rabenhofer durch Auffindung der Patronenhülse als gestohlen deklarierte. In die Enge getrieben, mußte Floiten endlich zugeben, daß er in jener Nacht die Bande führte, als Seeaner und Rabenhofer verwundet wurden.

Schreckliche Wut erfaßte den Elenden, als ihm Gräbers Zeugenaussage vorgehalten wurde. Bei der Gegenüberstellung bekam der rabiate Mensch einen Tobsuchtsanfall und mußte in weiterem Verlauf der immer stürmischer werdenden Verhandlung von zwei Wachmännern an Handfesseln gehalten werden.

Auf die Frage des Vorsitzenden, wo er am Morgen, als Lenk erschossen wurde, sich aufhielt, zuckte der Angeklagte zusammen. Dann erklärte er, im Revier des Grafen Waltershausen auf einen starken Hirsch angesessen zu sein. Daraufhin wurde ihm das Lohnbuch des Rottmeisters seiner Arbeitsgruppe vorgelegt, ausweislich dessen er mit kurzer Verspätung am Arbeitsplatz erschienen sei. Sowohl der Rottmeister als die Jäger bezeichneten es als absolut unmöglich, vom angegebenen Ansitzplatz bis zur Arbeitsstelle in der Zeit von einer Stunde, selbst im Dauerlauf zu gelangen. Hingegen war von der Mordstelle aus der Weg in dreißig Minuten, bei Bootbenutzung sogar in zehn Minuten bequem zu bewältigen.

Der Rottmeister bekundete, daß weder er noch die Arbeitskollegen Floitens diesen gerne leiden mochten. Er war stets verschlossen, dauernd zu Gewalttaten aufgelegt. Sonst konnte gegen ihn keine Klage geführt werden, insbesondere verstand er sich auf Rudern und jede Art Wasserarbeit vorzüglich. Gegen Jagdherren hegte er einen geradezu abnormen Haß und konnte nie begreifen, daß die Bevölkerung von Satzenufer und Umgebung ihren Jagdpächter so vergötterte. In seinen Augen war dieser Generaldirektor auch nur ein verkappter Blutsauger und Volksausbeuter, seine Wohltätigkeit nichts weiter als Sand in die Augen der Dummen. Wie fanatisch der Angeklagte Lenk haßte, bewies eine Episode ganz schlagend.

Der Rottmeister hatte aus Gefälligkeit an einem Samstagabend den Generaldirektor durch zwei Arbeiter über einen Donauarm rudern lassen, was viel Weg ersparte. Darauf erschien Lenk in der Arbeiterkantine, setzte sich zu den Leuten, von denen fast alle im Krieg gewesen waren, und ließ für seine »Mitkämpfer« ein mächtiges Faß auflegen. Die Stimmung wurde urgemütlich, Lenk war wiederum ganz Eskadronsvater und der Lustigste von allen. Da kam Floiten-Hans herein, übersah mit einem Blick die Lage, drehte sich um und schmetterte die Tür ins Schloß, daß es knallte. Es war einen Augenblick ganz still im Raum geworden, jeder dieser einfachen Männer schämte sich vor dem gütigen Jagdherrn, aber dieser tat, als habe er nichts bemerkt.

Der Vorsitzende wendete sich tiefernst zu dem Angeklagten: »Wollen und können Sie vielleicht dies mehr als sonderbare Benehmen erklären, welches andernfalls auf Sie ein sehr ungünstiges Licht werfen würde. Waren Sie vorher einmal mit dem Ermordeten in irgendwelche Meinungsverschiedenheiten geraten, oder glaubten Sie sich von ihm als Raubschütze beobachtet?«

Ein häßliches wildes Lachen! »Der und mi ausspekalirn, daß i net heunt no lach. Net amal meinige eigne Arbeitskollegen haben was g'spannt und die Jagerei, die verdammte, erst recht net! Ah na, mir steigt allemal der Hassak auf, bald i nur an Herrischen zum G'sicht krieg, daß mir frei der Luft ausgeht.«

»Jawohl« – ergänzte der Vorsitzende – »und wie Ihnen an jenem unseligen Septembermorgen der Jagdherr von Satzenufer ahnungslos anlief, stieg Ihnen dieser Ihr gottloser, völlig unbegründeter Haß eben derart auf, daß Sie den edlen Menschenfreund kaltblütig durch die Stirn schossen und dann befriedigt zur Arbeit gingen, als wäre nichts geschehen.«

»Was – dös lügst du ...!« Die Beisitzer sprangen in diesem Moment erschrocken auf, einer deckte mit seinem Körper den Richter, indes die Schutzleute den Angeklagten an den Schließketten rücksichtslos zu Boden schleuderten und ihm die Gummiknüppel auf den Schädel wetterten.

Im Zuhörerraum brach eine Panik aus. In das Brüllen Floitens, der wie ein gereizter Auerochs um sich stieß, mischten sich gellende Frauenstimmen und Heulen junger Mädchen. Brandkofler, Seeaner, Gendarmen, Fischerknechte, alles sprang zu Hilfe, so daß in kurzem die Ruhe wiederhergestellt war und das Verhör fortgehen konnte. Zum Erstaunen aller beantwortete nun Floiten die Frage, ob er sich als Vater des von der Jägersfrau erwarteten Kindes betrachte, mit einem glatten »Ja«!

»Warum haben Sie das arme Weib so ins Unglück gebracht, Sie mußten doch wissen, daß sie von ihrem Mann sodann verstoßen würde?«

»Herrenjager und Jagaknecht – is oaner schlechter als der ander, i speib's allesamt an und bald i anem Greanspatz das Ärgste antun kann, tu i 's ganz kalt. Für den Jagagraf ist's a Blamasch g'wesen, daß a seiniger Jager hat a Weib g'habt, die wo's mit Wildbratschützen hat g'halten. Sollt' das Kind von dem Weibets a wieder a Wildbratschütz werden. Wann das dumme Luder is von selm ins Wasser einig'hupft, geht's mi gar nix an. Mir kann außer dem Wildbratschiaßen und dem Stehlen von dera Malefizbüchsen koa Mensch was beweisen!« –

»Der Mord an Herrn Lenk ist durch Indizien und negatives Alibi so gut wie bewiesen; ob Sie auch Frau Marianne auf dem Gewissen haben, wird vielleicht die Zukunft lehren, die Sonne bringt es an den Tag. Ihre Hände sind schon früher rot geworden von Menschenblut, das Gericht weiß, was von Ihnen zu halten ist!«

Die Verhandlung gegen die übrigen Raubschützen gestaltete sich ganz einfach. Die Leute waren überführt und wußten als alte Gewohnheitsverbrecher, daß Leugnen nur verschlimmert. Cavalla fand sogar ein Wort der Anerkennung für Rabenhofer mit dem Diktum: »Warr Signor Oberrleutnant wirklich serr schlauer Hund!«

 

Das Urteil lautete, wie es mußte, für Floiten auf lebenslänglichen Kerker, für die anderen auf lange schwere Freiheitsstrafen, da es sich ja durchwegs um rückfällige Verbrecher handelte. Die Inselwaldungen der Donau hatten Ruhe und das geplagte Personal atmete auf.

Rabenhofer hatte im Drange neuer Aufgaben im Kampfe gegen die Verbrecherwelt fast auf die Sache Lenk vergessen, als er zwischen den Weihnachtsfeiertagen jäh nochmals daran erinnert wurde.

Dr. Rothenbucher kam morgens in das Arbeitszimmer Rabenhofers mit der Frage: »Herr Kollege, haben Sie schon die neueste Polizeimeldung von heute nacht gelesen? In der Villa Stühler wurde eingebrochen, große Werte aus dem Tresor des auf Geschäftsreise abwesenden Hausherrn geraubt, der Portier ist ermordet in den Anlagen gefunden, die Frau Generaldirektor, welche nahe vor ihrer Entbindung steht, lag gefesselt auf dem Sofa. Sie hörte nachts Hilferufe ihrer Kammerzofe, ergriff einen scharfgeschliffenen Handschar und eilte ins Hochparterre. Das kräftige Mädel lag im Ringkampf mit einem maskierten Räuber, und als Frau Stühler mit geschwungener Waffe eindrang, kamen zwei mit Revolvern bewaffnete Einbrecher, ihrem Komplizen beizustehen. Die Kerle behandelten jedoch beide Frauen merkwürdig anständig, selbst der Kammerkatze ist bis auf das total zerrissene Nachthemd, Hautkratzer und allerdings starken Druckstellen an Armen, Hals, Schulter und Busen nichts passiert. Wir wollen sogleich hinausfahren und den Tatbestand aufnehmen.«

 

In der Villa Stühler sah es toll aus. Die beiden Herren überblickten sofort, daß hier Einbrecher von Klasse gehaust und fast keine Spuren hinterlassen hatten. Im Souterrain waren große Glastüren eingedrückt, die Scheiben kunstgerecht mit Schusterpech überklebt, um ein Klirren der Scherben zu verhindern. Nicht ein einziger Fingerabdruck fand sich, die Räuber hatten wildlederne Handschuhe getragen. Auch an dem zum Aufschweißen des Tresors verwendeten Apparat hatte man mit höchster Sachkenntnis die letzte Fährte verwischt. Scharfer Salzsäuregeruch und frischer Rost auf blankem Metall bewiesen, daß der Räuberkapitän etwas von praktischer Chemie verstand.

Frau Stühler war in Gesellschaft des bereits telephonisch herbeigerufenen Geheimrats Krüger und empfing die Herren, wenn auch noch sehr matt, so doch völlig gefaßt. Ihr Puls ging wieder normal und der Arzt hatte die Gewißheit, daß die durchgemachte Aufregung keine schädlichen Folgen für Mutter und Kind hinterlassen würde. Trotz ihres Zustandes war die Frau immer noch blendend schön, sah womöglich noch durchgeistigter aus und ertrug den schweren Verlust ihrer Schmucksachen mit unglaublicher Fassung. Nur bei Erwähnung des Umstandes, daß die Hälfte davon Geschenke ihres ersten Bräutigams waren, füllten sich ihre dunklen Märchenaugen mit Tränen und die Rechte griff jäh nach der Herzgegend. Auf Wunsch Dr. Rothenbuchers erzählte sie sodann, wenn auch mit etwas verschleierter, eigentümlich apathischer Stimme, wie sich alles zugetragen.

»Mein Mann ist seit Samstag verreist. Ich habe dem Portier Erlaubnis gegeben, ins Kino zu gehen, er brauchte vor Mitternacht nicht nach Hause kommen. Wo der alte Mann hingeraten ist, weiß ich bis zur Stunde immer noch nicht; er war die Pünktlichkeit selbst und man sagte mir vorhin, daß ihn die Räuber am Ende gar gefangensetzten! Ich bin sehr in Sorge um ihn.«

Ein Blick des Einverständnisses flog unmerklich von den Herren der Polizei zum Geheimrat. Der Tod des treuen Dieners mußte der hochschwangeren Frau tunlichst lange verheimlicht werden.

»Ich habe«, fuhr Frau Asta fort, »lange keinen Schlaf finden können, ruhte vielleicht tagsüber zuviel und spielte auf meiner Geige slawische Volksmelodien, las dann ein wenig und setzte mich an den Schreibtisch, als es mir war, als würde unten im Souterrain eine Tür heftig zugeschlagen. Diese Pöbelsitte ist in unserm Hause bei sofortiger Entlassung verboten, mein Mann, sonst die vornehme Ruhe selbst, wird darüber fast tobsüchtig. Ich lauschte deshalb ärgerlich nach unten, wer sich derartiges erlaubt haben könne. Da vernahm ich deutlich halberstickte Rufe Tinas, meiner Kammerzofe, sprang zur Tür und horchte hinaus. Kein Zweifel, das Mädel rang mit irgendeinem Eindringling auf Tod und Leben, ich hörte ihren keuchenden Atem, halblaut herausgestoßene Verwünschungen und wußte genug! Mein nächster Griff nach dem Tischtelephon, um das Überfallkommando zu verlangen, ergab eine schreckliche Enttäuschung: Man hatte den Draht durchschnitten. Unten gelte es ›Hilfe‹ und ich konnte nicht mehr müßig zusehen. Aus einer Waffentrophäe an der Wand riß ich die Nationalwaffe meiner serbischen Heimat, den Handschar, ein Erinnerungsstück aus der Fluchtzeit, heraus und sprang nach unten.

Ich habe im Krieg Wildes erlebt und erschrecke vor nichts mehr. Deshalb verlor ich auch bei dem sich mir bietenden Anblick den Kopf nicht. Meine Zofe war nur mehr mit dem letzten Rest ihres Nachthemdes ausstaffiert und rang mit einem maskierten Einbrecher verzweifelt Brust an Brust. Dessen Akkumulatorenlampe stand auf dem Flurteppich und beleuchtete die untere Partie der Kämpfenden taghell. Das Mädel war, wie sie mir selbst erzählte, früher in einem Zirkusbetrieb tätig und kennt daher auch eine Menge Kunstgriffe. Es ist an ihr eine Turnlehrerin verloren gegangen und sie versteht auch recht gut zu boxen. Der Einbrecher hatte böse Arbeit mit ihr, sie war durch keinerlei Kleider mehr behindert, er trug ziemlich dicken Winteranzug.

In dem Augenblick, wo ich mich mit geschwungenem Handschar auf den Kerl werfen wollte, um ihn zu erledigen, öffnet sich die Tür nebenan und ein greller Lichtstrahl blendet meine Augen. Eine offenbar verstellte tiefe Stimme sagte: ›Hände hoch!‹ und hinter mir knackten gleichzeitig die Spannfedern zweier Revolver! Ich bin selbst viel zu sehr waffenvertraut, als daß ich nicht weiß, daß man mit blanker Klinge allein gegen zwei Revolvermündungen restlos geliefert ist. Ich folgte deshalb, wenn auch zähneknirschend, dem Kommando der Räuber, die nun sehr höflich wurden. Tina gab auch sofort jeden Widerstand auf und bettelte rührend, man möge auf meinen Zustand Rücksicht nehmen. Daraufhin forderte mich der vermeintliche Anführer der Bande mit sehr eleganter Bewegung seiner behandschuhten Rechten auf, voraus und nach oben zu gehen, mit dem recht theatralisch gesprochenen: ›Toujours après vous, madame!‹ Seine Linke hielt aber trotz aller Höflichkeit unentwegt den großen gespannten Revolver schußfertig, wenn auch sehr korrekt stets mit der Mündung nach oben gerichtet. Der Mann ist also mit größter Wahrscheinlichkeit Linkser, obwohl es ja Menschen gibt – auch ich zähle dazu –, die imstande sind, das Faustrohr mit jeder Hand zu bedienen.

Tina wurde gleichzeitig von ihrem Ringkampfgegner auf dieselbe Weise in ihr Schlafzimmer zurückgeleitet. Um sie war mir viel mehr Angst, als um mich selbst. Das Mädel war ja splitternackt, dazu bildhübsch und vor einem Räuber mit geladener Waffe! Der Anführer mußte meine Gedanken erraten haben, denn er sagte tröstend: ›Niente Angst, Signora, Vorstellung ganz schmerzlos für Beteiligte, wenn kein Widerstand!‹ Die ganze Ausdrucksweise des Burschen erinnerte an diejenige von Varietéansagern oder Konferenciers in Barbetrieben.

Oben angekommen, verlangte man von mir die Schlüssel zum Tresor meines Mannes. Ich erklärte wahrheitsgemäß, daß er dieselben stets bei sich trüge, weil in dem Schrank nicht nur seine, sondern auch Papiere der Aktiengesellschaft lägen. Der Räuber war frappierend gut unterrichtet, denn seine nächste Frage war: ›Capisco, wenn aber will gnädige Frau anlegen Schmuck, was dann?‹ Meine Antwort befriedigte ihn offenbar durchaus, als ich sagte, mein Zustand verbiete mir, Gesellschaft zu besuchen. Ich hätte deshalb kein Interesse an Schmuck und vorgezogen, meinen Tresorschlüssel im Safe unseres Bankhauses aufzubewahren. Der Räuber nickte auf diese Erklärung genau so, als habe er etwas Ähnliches schon erwartet und meinte bedauernd: ›Haben sagt Madame ganze Wahrheit, doch macht nichts aus, nur wenig mehr Arbeit. Bitte, nehm Sie Platz dort in Sofa und mach nicht Mucks, sonst werden angebund!‹ Ich hatte aber den Eindruck, daß der Mann sehr gut Deutsch kann, und dies Durcheinander von französischen, italienischen Brocken und schlechtem Deutsch nur Mache war. Während mich der eine Räuber nicht aus dem Auge ließ, öffnete der Anführer das Fenster und pfiff. Bald darauf fuhr ein Auto vor und vier maskierte Leute trugen einen Stahlzylinder herein, denselben, der dort mit Rost bedeckt steht. Es ging alles unheimlich schnell; die Kerle arbeiteten lautlos mit einer Gewandtheit, die nur Berufseinbrecher haben können.

Das Ausräumen machten sie gründlich, ohne dabei die sehr wertvollen Papiere der Gesellschaft sowie die privaten Aufzeichnungen meines Mannes, wie Exposés, Rentabilitätsberechnungen, Diagramme, Rechenschaftsberichte usw. im geringsten anzutasten oder zu durchwühlen. Diese Sachen legten sie mir sorgfältig auf das Sofa, ebenso alle Industrieaktien und Staatspapiere. Es interessierte sie nur Bargeld und Schmuck. Letzterer repräsentierte ja allein einen Wert von Hunderttausend – das Versicherungsverzeichnis liegt im Banksafe. Mich trifft der ideelle Verlust schon genug, denn es waren fast durchwegs Geschenke meines Bräutigams – größtenteils nach Bestellung bei Hofjuwelier Moraner in hochkünstlerischer Ausführung gearbeitet.

Zuletzt kam mir etwas wie Weinen an, worauf der Anführer aus der Küche Sodawasser holte und mich ersuchte, dazu einen Schluck Henessy zu trinken. Es sei notwendig, mich zum Abschied etwas anzubinden, er garantiere aber auf ›Kavalierswort‹, daß es mit größter Schonung und aller Achtung vor meinem Zustand gemacht werde. Wirklich legte er mir sogar bei jedem Handgelenk einen seidenen Fetzen unter, damit die Fesseln nicht einschnitten. Dann küßte er mir voll Respekt die Rechte und versicherte auf mein: ›Bitte, behandeln Sie auch meine Zofe als anständiges Mädel, mir ist sehr Angst darum!‹, daß Tina genau wie Madame ›nur bisserl angehängt‹ würde, ›damit nicht macht Dummheit, wenn fort Besuch. Baldowerer geht noch spazieren auf Straße eine Stunde mit Pistole in Sack‹. Dann machte der Brigant eine richtige Theaterverbeugung, löschte das elektrische Licht aus und ich war allein. Man mußte mir in das Sodawasser aber doch ein Schlafmittel gegeben haben, denn ich erwachte erst spät von dem Lärm, welchen die Lieferanten verursachten, die das Haus offen und Tina gefesselt und nackt im Bett fanden.«

Die Zofe wurde nun ebenfalls sogleich über die Ereignisse der Nacht vernommen. Das offenbar kerngesunde Mädel sorgte sich rührend um ihre Herrin, um sich selber kam ihr keinen Augenblick irgendwelche Sorge. »Wissen S', Herr Rat, in meinigem früheren Beruf ist man net aus Zucker oder Marzipan! Da lernt man schon zupacken, wenn's pressiert, und wie ich hab' müssen Artistinnen massieren beim Sarassani, da haben s' mir allerhand Griff beibracht, die einem von Nutzen sind, bald Mannsbilder zudringlich werden. Freilich, der schwarz ang'strichene grausliche Kerl von heut nacht ist gar z'grob worden. Es war ja ganz ausg'schamt, wie er mir mein g'schmachs Nachthemderl hat auf Fetzen g'arbeit. Auf die Letzt bin ich wahrhaftig dag'standen wie d' Frau Eva im Paradies. Ich hab' an ganz ausgezeichneten Schlaf und es muß schon auf Mitternacht gangen sein, jedenfalls ist keine Tram nimmer g'fahrn, da scheppert's auf amal am Portier seiner Glastür ganz spassig. ›No‹, hab' ich mir denkt, ›der alte Lalli könnt' auch heimlicher tun, wenn er schon amal hat ein Schöpperl Heurigen trunken. Er wird mir doch meine Gnädige net aufwecken!‹ Indem daß ich mir das so denk, schlupf ich aus dem Bett, spitz mit dem Kopf zur Tür 'naus und mach' ›pss psst‹. Wissen S', Herr Rat, ich bin kein wenig schreckig veranlagt, aber damals wär' mir doch schier das Blut umg'standen, wie mich in demselben Augenblick eine Endstrummpratzen bei der Gurgl nimmt und zudruckt. Ich hab' eine Fixwut kriegt und gleich 's Boxen ang'hebt, so wie mir's beim Sarassani ist beibracht worden. Schreien hab' ich net wollen, aus lauter Angst, die gnädige Frau könnt' sich verschrecken und vom Kind kommen. Im Anfang, wie ich noch so ganz voller Wut bin g'wesen, hab' ich mir einbildt, ich krieg' den Kerl unter und hab' ihm auch ein paar ganz nahrhafte Stöß' beibringen können, daß er fast ist damisch worden. Aber dann ist's bei ihm auch wild aufgangen und es hat mir graust. Daß ich hab' um Hilf g'schrien, ist mir net wißlich, gern hab' ich's g'wiß net getan.

Recht schenierlich ist's noch worden, wie mich der Kerl hat auf mein Bett naufbunden. Jetzt ist's aus, hab' ich mir denkt, jetzt wird er frech. Aber er ist g'wesen wie a Lamperl. Dann hat mich der Schlawiner noch ganz warm zudeckt, und dann ist er 'naus. Ich war alleinig in der Finstern mit meine Sorgen um die gnädige Frau und das Kind.«

Dr. Rothenbucher warf einen prüfenden Blick auf das lebensprühende Gesicht der bildhübschen Person und sagte vorsichtig: »Ich möchte bloß noch amtlich feststellen, wie weit Ihre Ringkunst geht. Herr Kollege Rabenhofer wird die Güte haben, das zu prüfen. Bitte, schonen Sie sich gar nicht, sondern gehen so scharf ins Zeug wie heute nacht. Vielleicht ziehen Sie dazu einen ärmellosen Pullover an, alles andere ginge sonst zu Schaden.«

Frau Asta brachte sogleich das Gewünschte aus eigener Garderobe, ein paar kleine Tische wurden zur Seite geschoben und dann ging der improvisierte Ringkampf auf dem großen Smyrnateppich in Szene. Rabenhofer schonte im Anfang absichtlich, konnte aber bald feststellen, daß die Person tatsächlich so ziemlich alle Artistenkunstgriffe und einige sehr bedenkliche Polizeitricks beherrschte. Dazu steckte in diesem weiblichen Sprühteufel mehr als halbe Manneskraft. Sie war auch durchaus nicht prüde und es gewährte ihr offensichtlich Freude, dem stattlichen schönen Kaiserjäger die volle Kraft ihres jugendfrischen weiblichen Körpers zu beweisen. Sowohl Frau Stühler wie der Polizeichef vergaßen fast völlig darauf, daß das Ganze eigentlich ein kleines Mißtrauensvotum darstellte. Zuletzt legte Rabenhofer seine Gegnerin mit elegantem Schwung auf den Teppich, wo Tina einen Augenblick völlig außer Atem mit wogenden Brüsten und zerzauster Frisur liegenblieb, bis Dr. Rothenbucher abwinkte. Im Hinausgehen musterte das Mädel seine üppigen festen Arme und meinte bedauernd: »No, ärmellos kann ich vierzehn Täg lang nimmer aufwarten, das wird der reinste Regenbogen!«

Sich an die Hausfrau wendend, fragte der Beamte so nebenbei: »Hat diese Staatsperson einen Schatz, und wer ist der Glückliche?«

Frau Asta lächelte müde: »Ja, die Tina ist wirklich eine Staatsperson, aber seit sie bei mir in Stellung sich befindet – etwa sechs Monate – hatte sie bestimmt kein Verhältnis. Aus ihren Bemerkungen zu schließen, machte sie beim Zirkus schlimme Erfahrungen in der Liebe und ist seitdem sehr vorsichtig.«

Auf Wunsch von Frau Stühler untersuchte Geheimrat Dr. Krüger die Zofe noch ganz gründlich, ob sie nicht doch irgendwelchen Schaden erlitten. Er kam hochbefriedigt zurück mit der beruhigenden Nachricht, daß nicht das geringste fehle, im übrigen sei ihm in reicher vierzigjähriger Praxis noch nicht leicht ein so kerngesundes Femininum – ausgenommen Frau Generaldirektor selber – vorgekommen wie diese Tina.

Ob das Mädel mit guten Zeugnissen ins Haus gekommen wäre, wollte Rabenhofer noch wissen.

Frau Stühler zuckte die schönen Schultern: »Zeugnisse – warten Sie mal, wie war das? Ach ja – wissen Sie, das Personal engagiert eigentlich immer mein Mann. Er ist da etwas eigentümlich, aber sein ›System‹ hat sich nicht übel bewährt. In unser Haus kommt grundsätzlich nur ›schönes‹ Menschenmaterial von heiterer Gemütsart und gutem – Appetit. Das ärztliche Gesundheitszeugnis ist bei uns Grundbedingung, und je fanatischer bei uns ein Angestellter auf Körperpflege aus ist, desto mehr gilt er.«

Der Polizeioffizier lachte fröhlich: »Na, dann muß die Kleine ja den größten Pflasterstein bei Herrn Gemahl und gnädiger Frau im Brett haben, denn blitzsauberer kann ein Mensch nicht gewaschen sein!«

Nachdem noch photographische Aufnahmen von der Arbeit der nächtlichen Besucher gemacht waren, empfahlen sich die Herren von der Polizei und fuhren zum Leichenhaus.

Der ermordete Portier war schon an die sechzig Jahre, hatte als Landstürmer den ganzen Krieg gegen Italien mitgemacht und sah selbst im Tode noch recht stramm und solide aus. Ein Aufseher der städtischen Anlagen hatte auf seinem morgendlichen Kontrollgang Amselgezeter in einer dichten Gruppe von Koniferen gehört und bei Nachschau den Toten gefunden. Es war offensichtlich, daß der Portier nicht hier, sondern auf offener Straße mit einem Bleitotschläger schwerster Sorte niedergewettert und ins Gebüsch verschleppt worden war. Ein Kampf hatte sicher nicht stattgefunden und Wertsachen fehlten keine. Die Villa Stühler lag in Sicht des Mordplatzes, nach Anschauung der Polizeibeamten war der alte Mann vorzeitig nach Hause gekommen, dem oder den Aufpassern der Räuber genauestens persönlich bekannt und erledigt worden, bevor er an Gefahr nur dachte. Der tödliche Hieb saß auf dem Hinterhauptsbein, Knochensplitter der massiven Schädeldecke waren tief ins Gehirn gedrungen. In der rechten Manteltasche steckte sogar noch der Revolver in gesichertem Zustand. Fußspuren fanden sich nirgends, der Boden war beinhart gefroren und ohne Schneedecke. Nur am Ast eines Säulen-Juniperus entdeckte Rabenhofers scharfer Jägerblick ein winziges Fäserchen grünen Stoffes, so als wenn der Täter eine paspelierte Steirerjoppe oder ein ähnliches im Gebirge übliches Kleidungsstück getragen hätte. Das war alles, und selbst die noch gleichen Tages in später Abendstunde über das Hafenviertel niedergehende Razzia größten Ausmaßes hatte außer einem durch die Lunge gestochenen Polizisten und zwei schwer angeschossenen Plattenbrüdern keinerlei greifbaren Erfolg. Die geraubten Juwelen waren und blieben verschwunden.

Wochenlang beobachteten zwei der gewiegtesten Kriminaler die schöne Zofe, welche bei der Entbindung Frau Astas von einem Mädchen enorm wertvolle Dienste leistete. Zum größten Kummer Stühlers wurde die Mutter des Kindes aber immer trübsinniger, obwohl Geheimrat Krüger keinerlei organisches Leiden zu finden vermochte. Tina erfaßte eines schönen Tages ihr alter Wandertrieb und sie nahm Stellung als Stewardeß auf einem Mittelmeerdampfer.

Monate vergingen, auf dem Grabe des alten Portiers sproßten die ersten Sommerblumen, als Rabenhofer durch die Post ein »Wertpaket« zugestellt erhielt. Es trug den Aufgabestempel Port Said und enthielt nichts weiter als ein in Saffianleder solide gebundenes, ziemlich umfangreiches Tagebuch und als Begleitschreiben folgenden Brief:

 

»Indien, 15. Mai 19...

Geehrter Herr Oberleutnant und Kamerad vom Mauslochkeller!

Wie Sie unsere Stammtischbrüder vom Mausloch haben rumgekriegt und in die Luft g'sprengt, war allerhand. Aber der Schichtl-Beni ist doch noch schlauer und lacht.

Sie haben mir einmal eine Fotzen vom grünen Gustl, dem gemeinen Aas, erspart und deshalb will ich Ihnen heute den Mörder vom Generaldirektor ausliefern, obwohl es meiner Gemahlin Tina nicht ganz recht ist. Unserm Baldowerer Floiten-Hans wird es freilich nicht viel helfen, er hat ja einen Forschter derschossen und kommt aus dem lebenslänglichen Schofeleck nicht raus. Ich werde mit dem Geld vom Stühler ein ehrlicher Kerl und mache in der weiten Welt draußen ein kleines Hotel auf.

Das Tagebuch habe ich Frau Stühler vom Schreibtisch weggenommen, weil ich gemeint, es könnte was drinnen stehen über meine Braut Tina, die uns alles ausbaldowert hat. Der Portier hat mich und meine Frau recht gedauert; es war ein Mißgriff von unserm Baldowerer, der wo die Straßenwache hat halten müssen und der den Kopf verloren hat, wie der Portier ist viel zu bald heimkommen. Das Rötelmachen hab ich nie nicht mögen, außer in letzter Not.

Es grüßt Sie
samt Gemahlin Tina
Schichtl-Beni.«

 

Das Tagebuch von Asta Petrowitsch, nun Frau Generaldirektor Stühler – kein Zweifel war möglich!

Einzig Rabenhofer löste mit zitternder Hand die Verschnürung und durchblätterte in fliegender Hast stockenden Atems die Zeilen. Der erste Teil war in französischer Sprache geschrieben, der Rest ab 1918 bis zur Einbruchsnacht deutsch. Angefangen wurde das Dokument in Nisch nach dem Institutsaustritt, geschildert das abenteuerlichste Leben auf der Flucht vor den siegreichen Österreichern in den Gebirgen gegen die montenegrinische Grenze und eine mit riesiger Tapferkeit durchgeführte Durchbrechung der deutsch-bulgarischen Front, um Saloniki zu erreichen. Dann kam die Tätigkeit für General Sarrail und nach dem Frieden angestrengtes Studium in Wien und die Stellung bei der Aktiengesellschaft. Von hier weg ging es meteorgleich aufwärts – dem Glück entgegen, bis ein Zufall alles in Scherben schlug.

Rabenhofer las und las und zuletzt rannen ihm, ohne daß er's wußte, die hellen Tränen über die Wangen. Denn nicht ein gemeiner Mörder hatte Hubert Lenk erschossen, sondern ein Mensch, der ihn liebte mit allen Fasern eines glühenden Frauenherzens, treu bis zum letzten Atemzug, nur unter dem fürchterlichen Zwang heimatlicher Blutrache, einst geschworen in jugendlicher südslawischer Begeisterung auf den vom Popen geweihten Handschar!

Der ehemalige Detektiv las noch immer, als schon die Nacht hereinsank, und legte das verhängnisvolle Manuskript um Mitternacht aus der Hand – zerschlagen an Geist und Körper.

Er hatte bis heute seinen gefahrvollen Beruf geliebt, eben um der Gefahr willen. In diesem Augenblick graute ihm davor, denn eiserne Pflicht schrieb ihm unweigerlich vor, morgen das erhaltene Bekenntnis einer großen, wahrhaft ritterlichen Frauenseele seiner vorgesetzten Behörde auf den Tisch zu legen, und dann war Frau Astas Schicksal und damit dasjenige ihres Gatten und Kindes besiegelt!

*

Dr. Rothenbucher starrte seinen eintretenden jüngeren Kollegen an wie ein Gespenst: »– Rabenhofer – Kollege – wie sehen Sie aus? Was ist passiert, Sie sind ja schwerkrank, ich telephoniere sofort um den Polizeiarzt!«

Der Kaiserjäger schüttelte nur todmüde das Haupt: »Bitte, das zu lesen, und wenn Herr Doktor dann keinen Kieselstein, sondern ein echtes Österreicherherz im Leibe haben, geht es Ihnen genau wie mir!«

Der Polizeichef winkte seinem Offizier, Platz zu nehmen, stellte das Läutwerk ab und machte sich an das Studium des ominösen Schriftstücks, das wörtlich lautete:

 


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