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Mit dem 1. Oktober 1879 begann also nun die neue Aera für das Elsaß, unter der Führung eines so bemerkenswerten und eigenartigen Staats- und Kriegsmannes wie Manteuffel, gestützt von einem Ministerium, von dem zwei Vertreter, Herzog und von Pommer-Esche, aus der bisherigen, von Berlin aus geleiteten Verwaltung der elsaß-lothringischen Angelegenheiten genommen waren, also mindestens Kenner der Regierungsgeschäfte des Landes sein mußten, – und dessen beide andre Mitglieder, Dr. v. Mayr und der Mitverfasser, aus der eigensten Initiative des Fürsten Bismarck für ihre Posten erwählt waren.

Manteuffel griff die Dinge ganz eigenartig, jedenfalls frei von jeder schematischen oder hergebrachten Art an. Seine reiche Persönlichkeit, die ebenso viel hatte vom Wesen eines frischen, energisch handelnden Kriegsmannes, wie vom wägenden Diplomaten, ebenso viel vom Philosophen, der aus den Ereignissen des Lebens sein klares Fazit zieht, wie vom Mystiker, der glaubt, aus den Instinkten seines eigenartig bewegten Gefühlslebens sich die Gesetze für sein Handeln nehmen zu müssen, sprach sich sehr interessant in seinem gesamten Wirken aus.

Wie schon erwähnt, war seine Lieblingsgestalt in Geschichte und Dichtung Wallenstein, und der Stern- und Schicksalsglaube des Friedländers erschien ihm durchaus nicht befremdend oder unverständlich. Ueberhaupt sind wir der Meinung, daß in der Beurteilung des Feldmarschalls Manteuffel diese sentimental-mystische Note seines Wesens nicht genug beachtet wird; sie gibt den Schlüssel zu manchen scheinbar unverständlichen Dingen ... Alle Worte Wallensteins waren ihm bestimmende Seherworte. In den tragisch erschütterndsten Momenten seines Lebens fand er an ihnen Stab und Aufrichtung. So soll es (nach Keck, »Mitteilungen aus dem Leben des Feldmarschalls v. Manteuffel«) den dabei Anwesenden einen schaurigen und fast übernatürlichen Eindruck gemacht haben, als der Marschall am Abend des Todestages seiner heißgeliebten Frau plötzlich sich aus tiefer Versunkenheit erhob und mit entrückter Miene die Strophen aus »Wallensteins Tod« sprach:

»Die Blume ist hinweg aus meinem Leben,
Und kalt und farblos seh' ich's vor mir liegen,
Denn sie stand neben mir, wie meine Jugend,
Sie machte mir die Wirklichkeit zum Traum,
Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge
Den goldnen Duft der Morgenröte webend ...

Was ich mir ferner auch erstreben mag,
Das Schöne ist doch weg – es kommt nicht wieder ...«

Die Strophen, die ihm die ganze gigantische Größe seines Verlustes zeigten, wirkten aber zugleich wie die seherische Erkenntnis, daß er persönlich dem Glück entsagen müsse, und daß er seines Lebens konzentrierte Kraft nur noch für die erhabene, ihm vom Kaiser übergebene Aufgabe im Reichsland einzusetzen habe ... So war ihm Schiller und speziell dessen »Wallenstein« wieder, selbst inmitten seines dunkelsten Schicksals, Deuter und Führer geworden.

Er ließ dem eroberten Land gegenüber nun die volle Wärme seiner Humanität wirken, aber auf der Basis der gewordenen historischen Entwicklung, die er als unverrückbaren »Fels von Erz« hinstellte. Seine schöne Großmut ist ihm oft als falsche Sentimentalität ausgelegt worden. Daß er in seinen idealen Bestrebungen sich manchmal über die Grenzen ruhiger Staatsklugheit hinreißen ließ, ist richtig. Für die Beurteilung von Manteuffels Charakter ist dieser Idealismus gewiß nicht von Schaden, für die politische Entwicklung der Dinge im Elsaß ist er es aber zweifellos öfters gewesen.

In dem zugleich strengen und doch mildhumanen Geist, den wir oben, als für des Marschalls Denk- und Handlungsweise charakteristisch bezeichneten, sind nun all seine Ansprachen gehalten, die er bei seinen Begrüßungsfahrten ins Land hielt. Seine erste Reise hatte das Oberelsaß und Colmar zum Ziel, die zweite: Lothringen.

Am 11. Oktober war es, als er in der Präfektur in Colmar, bei Gelegenheit des Empfanges von staatlichen Beamten und kommunalen und parlamentarischen Vertretern sehr eindrucksvolle und eigenartige Reden hielt, die in der Presse des In- und Auslandes mit lebendigstem Anteil diskutiert wurden.

Der Feldmarschall sprach zuerst zur Geistlichkeit und zu den elsässischen Körperschaften gewendet, folgende Worte: »Ich respektiere die Anhänglichkeit, welche die Elsässer gegen den großen Staat hegen, mit dem das Land 200 Jahre verbunden war. Eine solche Zeit läßt sich nicht wegwischen. Aber wenn ich heute hier stehe, so bedenken Sie, daß nicht Deutschland den Krieg mit Elsaß-Lothringen angefangen hat, sondern daß er uns von Frankreich aufgedrungen ist. Wenn Sie jetzt zu Deutschland gehören, so erinnern Sie sich, daß das Land schon früher einmal 700 Jahre gemeinsamer Geschichte mit Deutschland erlebt hat – und bedenken Sie, daß Deutschland mehr wie jedes andre Land die Eigentümlichkeiten seiner einzelnen Landschaften anerkennt und pflegt. Deutschland wird auch in Elsaß-Lothringen das Gute pflegen und fortbilden, was das Land in seiner Verbindung mit Frankreich gewonnen hat.

In der Politik aber mache ich einen Strich und Front gegen alles, was es mit dem Auslande halten wollte. Von der Geistlichkeit insbesondere erwarte ich, daß sie den Worten der Schrift gemäß, die Obrigkeit, als von Gott gesetzt, anerkenne und Ehrfurcht und Gehorsam gegen sie üben und lehren wird; nicht nur in äußerer Form, sondern wie der Apostel es ausspricht: ›des Herrn wegen, also in Wahrheit und mit dem Herzen.‹«

Zu den Beamten gewendet, fügte er dann hinzu, es sei nicht genug, der allgemeinen Beamtenpflicht nachzukommen und alle Kräfte dem Wohl des Landes zu widmen; vielmehr sei eine besondere Ehrenpflicht gegen ganz Deutschland zu erfüllen, die, daß auch der am zähesten an Frankreich hängende Elsaß-Lothringer die Vorzüge der deutschen Verwaltung anerkennen müsse. – Und zu den Juristen sprach er: »Gerechtigkeit soll das Land regieren; das ist Grundsatz deutscher Rechtspflege. Von der Lafayetteschen fraternité, liberté, égalité haben die beiden ersten sich vielfach als Phrase erwiesen; die égalité hat sich behauptet als Gleichheit vor dem Gesetz, – und so soll sie auch hier ihr Recht behalten.«

Die strengen, männlichen Worte, die mit Stolz betonten, daß das, was die zum Kampf Herausgeforderten mit ungeheuren Blut- und Lebensopfern errungen, nun auch unwandelbar festgehalten werden solle, waren aber auch erfüllt von liebreich-verständnisvoller Auffassung der Lage der Eingeborenen. Das trat in der Rede des Marschalls in Metz noch viel bedeutsamer zutage, – und die schöne Hingerissenheit seines eignen Gefühls hatte ersichtlich auch alle Angeredeten in ihren Zauberkreis gebannt.

Am 15. Oktober hatte der Statthalter in der Präfektur (Bezirkspräsidium) von Metz die Behörden und Körperschaften von Lothringen um sich versammelt und folgendes zu ihnen geredet:

»Ich begrüße Sie von Herzen. Der Mensch ist abhängig von äußeren Eindrücken; denen unterliege ich heute. Als ich in Metz einfuhr, trat es lebendig vor meine Seele, wie viel Blut ich auf den Gefilden von Metz habe fließen sehen, und wie oft ich des Nachts darüber gedacht, der Stadt Schaden zu tun. Aber noch viel mehr werde ich jetzt darüber nachdenken, dem Lande wohlzutun, und all mein Sinnen und Vermögen konzentriere ich in diesem Gedanken. Es hat sein Schweres, an jedem Ort dasselbe zu sagen; und doch kann ich nicht anders. Aber Sie werden es gelesen haben, was ich den Beamten, den Juristen, den Lehrern in Colmar ausgesprochen. Das rufe ich Ihnen ins Gedächtnis. Hier in Lothringen ist es fast noch mehr unsre Pflicht, daß wir uns anstrengen, um dem Lande den Uebergang in die neuen Verhältnisse zu erleichtern. Denn im Elsaß gibt es viel mehr geschichtliche Anklänge, die uns auf Deutschland zurückführen, als hier in Lothringen. Aber die Herren von Lothringen bitte ich, daß sie recht vertrauensvoll in die neuen Verhältnisse hineintreten und sich klar machen, wie die Situation eigentlich liegt. Vergegenwärtigen Sie sich, daß wir in Ruhe und Frieden lebten, daß Kaiser Napoleon uns die Pistole auf die Brust gesetzt, uns gezwungen hat, unser Vaterland zu verteidigen. Auch unsrer Söhne Blut ist geflossen! Gott hat für uns entschieden!

Wären wir geschlagen worden, da frage ich jeden, ob wir ein Dorf diesseits des Rheines behalten hätten. Da wir nun gesiegt, haben wir unsre Grenzen sichergestellt. Und dieses Metz gehört zur Sicherung, und wird mit Gottes Hilfe Jahrhunderte hindurch seinen jungfräulichen Ruf, wenn es angegriffen werden sollte, wieder bewahren. Ich fühle mit Ihnen, wie schwer es Ihnen sein muß, von dem durch Geist und inneres Leben ausgezeichneten Frankreich getrennt zu sein. Aber jetzt gehören Sie zu Deutschland. Schließen Sie sich ihm offen und ehrlich, ohne Hintergedanken an. Das erfordert Ihre Pflicht gegen Elsaß-Lothringen. Einigen wir uns auf dem gemeinsamen Boden: für das Interesse und Wohl dieses Landes zu wirken.

Ich kann nichts leisten, wenn die Elsaß-Lothringer diesen Patriotismus nicht bewähren. Auch mir wird es vielfach schwer gemacht, volles Vertrauen zu bewahren. So sind mir Zeitungsartikel vorgelegt worden, worin von dem Eide gesprochen wird, den die Herren leisten, die in den Kreistag, Bezirkstag oder Landesausschuß eintreten. In jenen Artikeln wird ausgesprochen: man möge nur den Eid leisten, – man könne ja dabei denken, was man wolle. Ein deutsches Gemüt schreckt da zurück, und auch in dem chevaleresken Lande Bayards empört eine solche Sophisterei, die weder deutsch noch französisch ist.

Ich habe heut einen Brief erhalten, den ich Ihnen hier zur Kenntnis bringe. Was den darin angedrohten Sturm aus Westen betrifft, der uns über den Rhein treiben soll, so wünsche ich einen solchen nicht, – aber, obgleich über 70 Jahre: fürchten tue ich ihn wahrhaftig auch nicht! Und wenn in dem Brief gesagt ist, daß ich mich nicht bemühen solle, den Elsaß-Lothringern die Cour zu machen, denn es sei doch vergeblich; ja meine Herren: ich will den Elsaß-Lothringern die Cour machen, weil ich mich in ihre Gefühle hineindenke. Aber diese Rücksichtnahme hört auf, – das spreche ich eben so offen aus, – sobald sie mit dem Auslande paktieren sollten.

Ich habe freier als gewöhnlich gesprochen, weil die Erinnerungen an die Vergangenheit mich aufgeregt haben. Ich wiederhole meinen Wunsch, daß gegenseitiges Vertrauen Platz greift und daß wir gemeinschaftlich für das Wohl des Landes wirken. Dazu gebe Gott seinen Segen!«

Die Rede hatte eine achtunggebietende und tiefe Wirkung bei allen, die sie hörten, – wie überhaupt Manteuffel durch seine Persönlichkeit stets einen sehr lebendigen Einfluß gewann. Diese schlanke, gereckte Gestalt, biegsam und regsam in den Bewegungen, denen aber geistige Kraft mehr die Stählung gab als körperliche; im Auge ein strenger Wille neben einer warmleuchtenden Güte – und dazu diese seltsame Stirn, hochgebaut, wie große Denker und sehr Tatkräftige sie haben. Die Stimme hell und hallend, aber in ihren Modulationen den wechselnden Ton der Stimmungen klar gebend ... Diese Rede hatte übrigens, wie die später in Mülhausen gehaltene, einen ebenso fühlbaren Eindruck auf weitere Kreise gemacht, und ist auch von der französischen Presse, insbesondere von dem politisch ernsten »Temps«, würdig besprochen worden. Auch in den östlichen Provinzen Preußens, die räumlich und in ihren Interessen am weitesten abliegen von Elsaß-Lothringen, fanden sich eingehende Leitartikel in den Zeitungen über Manteuffels politische Einführungsreden im Reichsland. Am Tage nach der eben zitierten Rede (15. Oktober) waren Einladungen zu einem Gastmahl ergangen an den Bischof, die höheren Offiziere und Beamten, den Gemeinderat von Metz und andre.

Der Bischof lehnte die Einladung ab; das war nicht etwa tendenziös aufzufassen, da er alt war und nie Einladungen annahm; aber es sagten auch die sämtlichen Herren vom Metzer Gemeinderat ab, außer einem: dem Bankier Mayer.

Der Marschall, der, wie das wohl verständlich ist, durch diese beabsichtigte Kränkung und scharfe Verneinung seiner gastfreundlichen Bitte sehr betroffen war, faßte sich mit dem an ihm bekannten energischen Ruck schnell und redete zu den Gästen seiner Tafel, die nun hauptsächlich aus Offizieren und Beamten bestand, etwa folgendes: Indem er heute Gäste zu sich geladen habe, sei es hauptsächlich seine Absicht gewesen, sich inmitten der Gemeindeverwaltung von Metz zu befinden; aber außer seinem Nachbar (Bankier Mayer hatte den Platz neben dem Marschall) sei niemand vom Gemeinderat erschienen. Dieser Mangel an Entgegenkommen werde ihn jedoch nicht irre machen an den freundlichen Gesinnungen, die er für die Stadt Metz und ihre Bewohner hege. Nein, nun erst recht möchten sich diese seines ganzen Wohlwollens versichert halten. Er trinke auf das Wohl der Stadt Metz!

Mayer antwortete, Seine Exzellenz Freiherr v. Manteuffel habe ihm gegenüber Veranlassung genommen, zu erklären: »Mit dem Tage, an dem ich zum Statthalter in Elsaß-Lothringen ernannt wurde, bin ich selbst Elsaß-Lothringer geworden, und werde ich deshalb auch mit allen Kräften für das Wohl des Landes tätig sein.«

Mayer dankte für diese Gesinnungen und betonte, daß er den Intentionen des Statthalters, so viel er könne, im Lande fruchtbaren Boden schaffen wolle. Ein Hoch auf Manteuffel und das Land schloß die kurze Rede.

Es war nun aus dieser Metzer Reise als Fazit doch eine starke Verstimmung in des Statthalters Seele zurückgeblieben. Er war selbst sehr impulsiv, mit überwallendem, warmem Gefühl entgegengekommen, – und wenn er auch auf Enttäuschungen gefaßt war und gefaßt sein mußte bei den heiklen politischen und sozialen Bedingungen der Lage, so war er doch auf eine so negative Antwort auf seinen ersten Werberuf nicht vorbereitet gewesen. Diese Verstimmung äußerte sich nun in einer für den Marschall höchst bezeichnenden Weise. Als alter Militär stellte er sich nämlich auf den strengen, soldatischen Standpunkt, der in grausamer Konsequenz den Gedanken betont, daß der Oberst als verantwortlicher Führer des Regiments auch persönlich haftbar ist für jeden Fehler, den die ihm Unterstellten begehen. Was nun aber für das Militär, aus Rücksichten der Disziplin, die im soldatischen Leben gewissermaßen das Rückgrat des Verkehrs ist, durchaus richtig sein kann, erscheint doch recht bedenklich, auf zivildienstliche und politische Verhältnisse angewendet.

Manteuffel machte nämlich für das Ausbleiben des Gemeinderats auf dem Diner am 16. Oktober den damaligen Bürgermeisterei-Verwalter, Freiherrn v. Freyberg, verantwortlich, obwohl der Marschall ganz nach eignem Ermessen die Einladungen hatte ergehen lassen, ohne den Bürgermeisterei-Verwalter um Rat zu fragen. Freyberg, ein vorsichtiger und einsichtsvoller Mann, der die Zusammensetzung des Gemeinderats aus fast durchgehend oppositionellen Elementen kannte, hätte dem Statthalter sonst gewiß von den betreffenden Einladungen abgeraten.

Manteuffel sprach dem Herrn v. Freyberg aus, daß er von einem Bürgermeister verlange, er müsse einen größeren Einfluß auf den Gemeinderat haben, und er betätigte seine Unzufriedenheit, indem er bald darauf Freybergs Versetzung in eine andre Stelle anordnete.

Die Analogie mit dem militärischen Leben, die der Marschall da unwillkürlich gezogen hatte, war schon insofern unbillig, als ein von der Regierung eingesetzter Beamter nicht identisch gemacht werden konnte mit einer gewählten Körperschaft (noch dazu in einem eroberten Land), die zwar im gleichen Wirkungskreis und unter seinem Vorsitz tätig war, aber deren einzelne Elemente durchaus nicht eines Geistes mit ihm waren. Die Herren vom Gemeinderat waren im Gegenteil zum großen Teil sehr französisch und protestlerisch gesinnte Bürger der Stadt; von dem Obersten eines Regiments ist aber mit Recht anzunehmen, daß er und seine Offiziere und Soldaten von durchaus einmütigem Geist beseelt sind.

Die Ablehnung der Einladung seitens des Metzer Gemeinderats war zweifellos eine feindselige Kundgebung, und es wäre demnach wohl richtiger gewesen, dieser Demonstration auch mit einer politischen Maßregel zu antworten; etwa mit der wirkungsvollen Verfügung, den Gemeinderat zu suspendieren, nötigenfalls zu dessen Auflösung zu schreiten. Das aber hatte sich der Statthalter unmöglich gemacht durch seine Rede bei dem Diner, die, mehr christlich als politisch, auf den Mangel an Entgegenkommen mit dem Versprechen noch größeren Wohlwollens antwortete.

Am 27. Oktober schloß sich dann als dritte Begrüßungsreise ins Land die Fahrt nach Mülhausen an. Der Statthalter wurde in der bedeutenden Industriestadt sehr sympathisch begrüßt, und es waren ebenso beim Empfang in der Kreisdirektion Damals war Kreis- und Polizeidirektor in Mülhausen der jetzige preußische Minister des Innern, Freiherr v. Hammerstein, der nach seiner Stellung in Mülhausen und vor seiner Stellung in Berlin auch lange Jahre Bezirkspräsident in Lothringen war. wie auf dem folgenden Diner alle Geladenen erschienen. Das hieß also auch: alle oberelsässischen und Mülhauser Körperschaften, als Bezirkstag und Landesausschußmitglieder, Gemeinderat, Handelskammer.

Der Statthalter vermied es, in Mülhausen eine politische Rede zu halten; er sprach vielmehr in kluger Beschränkung und ohne Pathos von wirtschaftlichen Interessen und von gemeinsamen Werken des Friedens, die eine Forderung dieses regsamen Industriezentrums seien.

Mit solchen Worten traf Manteuffel in den Kernpunkt des gegenwärtigen Lebens und fand die Pflanzstätte, von der aus auch für die Zukunft einheitlich gewirkt werden konnte von ganz verschiedenen Geistern und Kräften. Diese wirtschaftlichen Ziele, die gemeinsam zu erstreben Manteuffel betonte, führten am letzten Ende ja auch zu politischen Zielen. Ein allmählich aufsteigender Weg der Friedensarbeit!

Die elsässischen Herren begegneten solcher Auffassung auch ersichtlich mit vielem Entgegenkommen; denn sowohl des Bürgermeisters Mieg-Köchlin kurze Rede, als auch besonders die längere des Präsidenten der Handelskammer, Albert Schlumberger, zeugten dafür.

Der »Temps« nannte die Statthalterrede einen » prudent discours«, verschwieg aber das Hoch, das Mieg-Köchlin auf Manteuffel ausbrachte, und ignorierte die entgegenkommende Rede A. Schlumbergers völlig, obgleich sie nur, wie auch Manteuffels Ansprache, von einem Zusammenwirken auf wirtschaftlichem Gebiet handelte und jede politische Andeutung unterließ. Ueber des Grafen Wilhelm Bismarck stete Anwesenheit bei des Statthalters Reisen konnte die Pariser Zeitung sich nicht enthalten, die gehässige Bemerkung zu machen, daß der Fürst-Reichskanzler tatsächlich die Regierung in Elsaß-Lothringen führe und seinen Sohn als vermittelnde und beobachtende Person dorthin deputiert habe.

Bemerkenswert unter den verschiedenen Ansprachen, die Manteuffel in den ersten Monaten seiner Anwesenheit im Reichsland hielt, ist die an den unterelsässischen Lehrerverein. Er sprach zu diesem: »Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und für die Aussprache so loyaler Gesinnungen, ganz besonders aber freut mich Ihr Wort, daß die Lehrer mit dem Ortsvorstand und der Geistlichkeit Hand in Hand gehn müssen zum Gedeihen der Schule. Das zeigt, daß Sie auf richtigem Wege sind. Die ganze Geschichte lehrt, welchen Nachteil Priesterherrschaft hat, und auch die Schulen hat sie gelegentlich schwer geschädigt. Rein naturgemäß hat sich die öffentliche Meinung stets dagegen aufgelehnt. Selten jedoch hält solche Gegenwirkung das richtige Maß, auch hierbei hat man vielfach – wenn ich mich des Ausdrucks von der Gasse bedienen darf – das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Man hat nicht bloß die Geistlichkeit, sondern auch die Religion ganz aus Unterricht und Schule bannen wollen. Rom, Athen und Sparta zeigen aber das Fehlerhafte solchen Strebens. Von dem Augenblick an, wo ihre Jugend im Zweifel an ihre Götter erzogen ward, sind diese Staaten gesunken und untergegangen. Tiefe Bedeutung hat das Schillersche Wort: ›Und alles wanket, wo der Glaube fehlt.‹«

Der Marschall suchte den persönlichen Kontakt mit dem Reichsland nicht nur durch solche Fahrten und damit verbundene eingehende Informationen über die Bedürfnisse der Bevölkerung herzustellen, sondern er trat dieser dadurch noch besonders nahe, daß er regelmäßig an einem Tag der Woche mehrere Stunden offen hielt für den Besuch von jedermann, der Anliegen, Wünsche, Fragen, Bitten etc. zu stellen hätte.

Außerdem übte er in fürstlichstem Sinne Gastfreundschaft, die ihm aber selbstverständlich nur die höheren Kreise des Landes nahe brachte.

Allabendlich von 10 Uhr an (nachdem er selbst fast jeden Tag ein Diner gegeben) empfing seine Tochter, die Freiin Isabelle, die Gesellschaft Straßburgs, beziehungsweise derer, die aus dem Reichsland vorübergehend nach der Hauptstadt kamen. Alle diese Empfänge, bei denen die Tochter des Marschalls von den Herren des ihm beigeordneten Zivildienstes und seinen Adjutanten umgeben war, und die dadurch einen etwas feierlich-offiziellen Charakter hatten, waren ein starkes Bindeglied für die Gesellschaft; sie hätten es noch in viel höherem Maße sein können, wenn die Gemahlin Manteuffels ihnen den Reiz ihres als milde und doch stark geschilderten geistigen Wesens hätte mitteilen können.

Aber leider ist sie ins Elsaß nur als Schwerkranke gekommen; sie hat den Boden, im eigentlichsten Sinne des Wortes, nicht mehr betreten; sie wurde in einer Krankenbahre in das neue Heim getragen und ist dann am 11. November 1879 dort gestorben.

Wir alle, die wir damals in Straßburg und in der Umgebung Manteuffels lebten, haben sie nur im Sarg gesehen. Und doch wäre ihr Leben und Wirken gewiß von reichster Bedeutung für ihren Gemahl sowie auch für das soziale Leben im Reichsland gewesen und hätte dadurch des fördernd-politischen Charakters, im friedlichsten Sinne, nicht entbehrt.

Hertha v. Manteuffel muß nach Schilderungen ernster und bedeutender Persönlichkeiten eine ungewöhnlich begabte und gebildete Frau gewesen sein.

Sie lebte in glücklichster Verbindung mit ihrem Gemahl und ist ihm in seinen mannigfachen Missionen und verschiedenen bedeutsamen und verantwortlichen Stellungen eine verständnisvolle und tatkräftige Stütze gewesen.

Manteuffel war in seinen, der allgemeinen Kritik besonders ausgesetzten Posten, so in Schleswig, an der Spitze des Militärkabinetts, in Nancy etc., natürlich auch das Ziel vieler Anfeindungen, vielen Neides und vieler Mißgunst. Da soll Frau v. Manteuffel es besonders verstanden haben, durch ihre Verachtung leichtfertiger, oberflächlicher Kritik, durch ihre milde, sachliche Auffassung die Höhe seiner Stellung und die Größe seiner Aufgabe von dem entfesselten Intrigenspiel der kleinlichen Leidenschaften freizuhalten. Diese verständnisvoll-treue Kameradschaft mußte wohl zur Stärkung und Konzentration von Manteuffels Tatkraft beitragen.

Hertha v. Manteuffel war die Tochter des Kriegsministers Job v. Witzleben, dessen Laufbahn in den Freiheitskriegen begann. Sie hatte den Freiherrn Edwin v. Manteuffel in ihrem 26. Jahre geheiratet, 1844, und mit ihm vom Aufgang seiner Bahn an alle Phasen seines vielgestaltigen Lebens durchlebt. Sie hat in milder Kraft im engen Kreis der Familie gewirkt, aber unwillkürlich ihre feine und regsame Intelligenz auch ausgestrahlt in die viel weiteren Sphären seiner Wirksamkeit; nicht direkt etwa durch Eingreifenwollen in Gebiete, die ihm allein zur Betätigung gegeben waren, sondern indirekt durch verstehende Teilnahme, sittliche Größe und feine Geistesbildung.

Die Tatsache allein, daß Leopold v. Ranke in ebenso naher und wahlverwandter Freundschaft mit Frau v. Manteuffel stand, wie mit dem Marschall, ist kennzeichnend für ihre intellektuelle Bedeutung. Diese seltene Frau hätte gerade in der Stellung als Gemahlin des Statthalters in Elsaß-Lothringen ihren Wert entfalten und die Eigenschaften ihres Geistes und Herzens zu reicher Wirkung bringen können ...

Die Tochter des Marschalls, Freiin Isabelle, war ja gewiß von besten Absichten und gutem Willen beseelt, einen bedeutenden »Salon« zu schaffen, einen Boden, aus dem zwanglos die neue Gesellschaft mit der der Eingeborenen freundliche Beziehungen anknüpfen konnte, aber sie war doch dazu ihrem geistigen Wesen und ihrer Persönlichkeit nach nicht in solchem Maße prädestiniert wie ihre ausgezeichnete Mutter.

Manteuffel fühlte es tief und hat es der Verfasserin gegenüber öfters ausgesprochen, daß das Erlöschen des geistigen Fluidums, das, von seiner Gemahlin ausstrahlend, alle Mitglieder der Familie durchdrang und einheitlich beseelte, sich peinvoll bemerklich mache. Die Mittlerin, die Vermittlerin fehlte, und es war nicht mehr das schöne »Miteinander« in der Familie, sondern mehr ein »Nebeneinander« ...

Trotzdem nun der Marschall durch den Tod seiner Frau bis in den Herznerv getroffen und erschüttert war, fühlte er die Notwendigkeit, seine persönlichen Empfindungen den Forderungen seines neuen Pflichtkreises unterzuordnen.

Es war ein Zug klassischer Größe und ungewöhnlicher Selbstdisziplin in ihm, daß er einer Aufgabe, die ihm sein König stellte, jederzeit seine persönlichen Neigungen, Leiden, Freuden und Aspirationen opferte.

Sein König! Manteuffel sagte nie, außer wenn er offiziell sprach: »der Kaiser«; denn im Kern seines Wesens fühlte er sich als Preuße. Er hatte überhaupt in seiner herben Festigkeit, in der rücksichtslos strengen Pflichtauffassung, dabei in seiner höfischen Gewandtheit etwas, das an Friedrichs des Großen bedeutende Generale erinnerte ...

Am 16. Dezember wurde vom Statthalter die erste Landesausschußsession unter der neuen Regierung eröffnet. Die Rede, die Manteuffel bei dieser Gelegenheit hielt, war kurz, brachte nur einiges Sachliche und enthielt sich jeder allgemein politischen Betrachtung. Tags darauf fand dann Galatafel im Statthalterpalast statt, wozu nicht nur die Mitglieder des Landesausschusses, sondern das gesamte Ministerium, die Generalität, der Bischof etc. eingeladen waren. Am Schluß der Tafel, bei der sonst gar keine Rede gehalten wurde, erhob sich der Statthalter und hielt eine sehr bemerkenswerte Rede; sie wurde von allen Anwesenden mit tiefer Bewegung und wachsender Zustimmung aufgenommen und von lebhaften Beifallsbezeigungen begleitet.

Sie lautete: »Ich kann die Herren des Landesausschusses, die ich zum ersten Male die Freude habe, an meiner Tafel zu sehen, nicht scheiden lassen, ohne Ihnen ein herzliches Willkommen zu sagen. Vielen von Ihnen mag es schwer geworden sein und noch schwer werden, unter den gegebenen Verhältnissen und gegebenen Bedingungen hier zu tagen. Daß Sie das dennoch tun, ist Bewährung von wahrem Patriotismus. Fern sei es von mir, diejenigen richten zu wollen, die Elsaß-Lothringen heute den Rücken wenden, ihre Kinder nicht auf heimatlichem Boden erziehen, nicht inmitten der Sitten und Gebräuche des Landes aufwachsen lassen, oder diejenigen, die in Groll über die Gestaltung der Dinge sich fernhalten von den Beratungen der Kreistage, der Bezirkstage, des Landesausschusses. Aber die Geschichte hat ihr Urteil gesprochen über die Emigration. Nutzen hat Frankreich nicht von ihr gehabt, den Lauf der Dinge hat sie nicht geändert, und schon Achilles hat sein Schmollen mit dem Tode des Freundes bezahlt und seinen Waffengefährten sich doch wieder anschließen müssen. Ich wünsche und hoffe, daß ohne solches Opfer die Kräfte für Elsaß-Lothringen bald wiedergewonnen werden, die sich ihm jetzt entziehen. Sie, meine Herren des Landesausschusses, bitte ich, den Ausdruck meiner warmen Anerkennung des elsaß-lothringischen Patriotismus, den Sie durch Ihr Hiersein bewähren, freundlich aufzunehmen.

Und nun erlauben Sie, daß ich von mir selbst und meiner persönlichen Auffassung unsers Verhältnisses spreche. Ich tue dies mit voller Offenheit, denn Sie müssen wissen, wie es in meinem Innern aussieht.

Meine Frau war krank, als ich in mein Amt trat. Sie ist mir hierher gefolgt und hat sich von der Anstrengung der Reise nicht mehr erholen können; sie ist früher gestorben, als es die Aerzte erwarteten.

Da ist mir aus allen Teilen des Landes und aus allen Ständen Teilnahme erwiesen worden, ohne daß ich und meine Frau gekannt waren. Rein menschliches Mitgefühl für das Geschick des Nächsten zeigt gesunden Sinn einer Bevölkerung, und die Teilnahme der Elsaß-Lothringer hat mir unendlich wohlgetan.

Ernste Kämpfe habe ich in den letzten Wochen in meinem Innern durchgekämpft. Die Sehnsucht, in meinem Alter mich in die Stille zurückzuziehen, das Grab zu pflegen und der Erinnerung allein zu leben, wurde mächtig und mächtiger. Aber im Beginn meiner übernommenen Aufgabe freiwillig vom Platz zu weichen, entspräche weder meiner Vergangenheit, noch wäre es im Geist der Entschlafenen. Ich will mit Gottes Hilfe Herr werden über diese unmännliche Sentimentalität, und wie die Dogen von Venedig einstmals sich mit dem Meere vermählten, so will ich werben um Elsaß-Lothringen und will mit ihm die Anerkennung seiner vollen Selbständigkeit in der Gesetzgebung und in der Verfassung des Reiches erstreben.

Denn Elsaß-Lothringen ist kein okkupiertes, ist kein annektiertes Land. Es ist nach einem Kriege, der Deutschland aufgedrungen wurde, diesem von neuem beigesellt, man könnte sagen: revindiziert. Von wie tiefer Bedeutung ist das! Vor tausend Jahren wurde dieses Land, auch erst nach blutigen Kämpfen, dem Deutschen Reiche zugesprochen, und von da an stieg dieses mehr und mehr und wurde die erste weltliche Macht. Als es dann von dieser Weltstellung herabsank und die Zentralgewalt zu schwach geworden war, um die Grenzen des Reiches mit den Waffen zu behaupten, verlor es einen Teil derselben, und zuletzt kam selbst Straßburg – mir schneidet es in das Herz, diese alte freie Reichsstadt noch nicht in dem Landesausschuß vertreten zu sehen – kam selbst Straßburg an Frankreich. Und jetzt beim Wiedererstehen des Deutschen Reiches ist Elsaß-Lothringen ihm wieder zugesprochen.

Ich sehe hierin ein glücklich Omen für Deutschlands Zukunft. Daß diese Wiedervereinigung abermals im Gefolge großer Feldschlachten geschehen, bringt der Gang der Weltgeschichte mit sich. Denn darauf beruht ja die Poesie bei unserm vielfach eintönigen Soldatenleben, daß wir wissen, wie von uns die Entscheidung der Schlachten abhängt, und von dieser Entscheidung wieder das Geschick der Völker. Diesem Geschick war auch Elsaß-Lothringen verfallen, aber von dem Augenblick des Rückfalls ans Deutsche Reich traten seine alten deutschen Landesrechte wieder ins Leben. Nie hat es diese verwirkt, nicht freiwillig war es zu Frankreich getreten, die Schwäche des Reiches hatte das herbeigeführt.

Gleichberechtigt mit allen Ländern, die das Reich bilden, hat Elsaß-Lothringen inmitten desselben seinen Platz wieder einzunehmen. Doch wie bei allen Staaten- und Kraftveränderungen, die dem zunächst davon Betroffenen nicht nur in nationaler Beziehung, sondern vor allem in dem Gefühlsleben Schweres auferlegen, so befindet sich auch Elsaß-Lothringen in solcher Uebergangsperiode. Da wollen wir ehrlich und offen zusammenhalten, das Schwere uns gegenseitig tragen helfen und vereint dahin streben, durch weises Maßhalten und durch richtige Erkenntnis der Verhältnisse diese Uebergangsperiode selbst abzukürzen.

Habe ich das erreicht, dann spreche ich mir die Berechtigung zu, das liebe Grab zu pflegen und der Erinnerung zu leben. Bis dahin aber rufe ich hell und laut in das Deutsche Reich hinein: Elsaß-Lothringen hoch!«

So ging das erste Vierteljahr zu Ende, das übrigens noch Anfang November Manteuffels Ernennung zum kommandierenden General des XV. Armeekorps gebracht hatte. Damit war eine schwierige militärische Kompetenzfrage gelöst. Man hatte Manteuffel zuerst zum Oberbefehlshaber der Truppen in Elsaß-Lothringen ernennen wollen, um neben ihm den kommandierenden General in all seinen Befugnissen walten zu lassen. Das hätte aber wohl, bei der ganz eigenartigen Stellung Manteuffels als Statthalter mit teils landesherrlichen Rechten und mit der militärisch höchsten Würde als Generalfeldmarschall, eine nicht ganz klare Stellung für den kommandierenden General neben ihm ergeben. So belehnte man denn den ausgezeichneten Mann auch noch mit diesem Kommando, und er stellte nun in seiner Persönlichkeit die Vereinigung der Zivil- und Militärgewalt dar.

Eine Zeit stiller Versenkung in seinen Kummer um die tote Gemahlin, wie er es tiefinnerst ersehnte, gönnte er sich nicht in seinem fast feurig zu nennenden Pflichteifer für die Mission im Reichsland.

So fühlte er auch die Notwendigkeit, sein Haus im großen Stile der Gastfreundschaft zu öffnen; und es ergingen Einladungen zu großen Abendempfängen Auf den allabendlich um 10 Uhr stattfindenden kleineren Empfängen seiner Tochter erschien der Marschall nur ganz ausnahmsweise; er beschränkte sich auf die ohnehin schon anstrengende Gepflogenheit, fast jeden Tag ein Herrendiner zu geben. nicht nur für die Gesellschaft von Straßburg, sondern auch für die von ganz Elsaß-Lothringen.

Diese großen Empfangsabende waren denn auch ein starkes und glänzendes Bindemittel, und es begegneten sich im Statthalterpalast auf freundlich bereitetem Boden die verschiedensten Elemente. Die Gesellschaft von damals (es erscheint hier der gebotene Augenblick, sie zu skizzieren) zeigte ein Getriebe der mannigfachsten, teils bedeutsamen, teils feinen und eigenartigen Typen.

Sie war wie ein buntes Gemälde aller deutschen Stämme. Sächsische und württembergische Regimenter garnisonierten in Straßburg, bayrische in Lothringen, und die Beamtenschaft wies die ganze Musterkarte der Bundesstaaten auf. Dazu kamen dann noch einige Persönlichkeiten der eingeborenen Gesellschaft, die stark mit französischen Elementen verquickt war, und auch einzelne Charaktergestalten der benachbarten Schweiz.

Es war in Manteuffels Salon alles vertreten: Offiziere aller Waffengattungen, Beamte aller Berufszweige, Aerzte, Advokaten, Kaufherren, Gutsbesitzer, Abgeordnete, Gelehrte, vornehme Privatleute, Studenten – nur ein Element fehlte: Künstler!

Das lag nun einesteils darin, daß der Boden des Reichslandes noch zu jung war in seiner neudeutschen Kultur, um eigne heimische Kunststätten entwickelt zu haben (denn Kunst ist die Blume, die nur in der weichen und stillen Luft des Friedens aufstrebt und blühen kann); anderseits wohl aber auch darin, daß der Feldmarschall-Statthalter, trotz seines regen Geisteslebens, kein Verständnis, keine Erkenntnis und darum auch keine Fühlung für die Kunst besaß.

Das einzige künstlerische Gebiet, das ihm nicht ganz verschlossen blieb, war die Literatur – aber auch diese nur in engeren Grenzen. In der Dichtkunst war Manteuffels Geschmack »sehr unmodern«, wie er sich ausdrückte; sein Interessenkreis umschloß nur Schiller und – schloß mit ihm. Den freilich hegte er wie einen befreundeten Geist alle Zeit seines Lebens neben sich. Zu allem, was er tat und wirkte, gab ihm Schiller immer ein Leitwort – und von Schillers Werken wieder stand ihm »Wallenstein« am nächsten.

Als Kuriosum soll hier auch bemerkt werden, daß der Marschall es liebte, wenn er geistig müde war, sich an den Indianergeschichten Coopers zu erfrischen. Es mag wohl der kriegerische und dabei naturfrohe und einfache Zug in diesen Erzählungen gewesen sein, der ihn wie ein Ritt in einen Urwald anregte ...

Also nochmals: Künstler fehlten ganz in Manteuffels Salon, und damit eine geistige Essenz, die jeder Geselligkeit besonders feinen Reiz gibt. Aber die Gesellschaft erwies sich auch ohne dies als äußerst interessant und eigenartig.

Die nähere Umgebung des Statthalters, ein kleines Zivilkabinett, wie man es nennen könnte, und die militärischen Adjutanten, waren die Herren: Geheimer Rat Jordan und Graf Wilhelm Bismarck, der Oberst v. Strantz, Graf Max Pourtalès und Freiherr Edwin v. Manteuffel, des Marschalls Sohn.

Von diesen Herren ist als allgemein interessierende Persönlichkeit besonders Graf Wilhelm Bismarck zu nennen. Er war in seiner temperamentvollen Beweglichkeit eine sehr aktive Gestalt. Sorglose, leichtherzige Studentenfröhlichkeit, vereint mit edelmännischen Allüren, machten ihn für jeden Salon zu einer sympathischen Gestalt.

Der Kopf gemahnte ganz an die Charakterzüge seines herrlichen Vaters. Besonders anziehend an ihm waren die Augen: große leuchtende, feuchte Blicke. Angeli Der berühmte Wiener Maler war damals vorübergehend in Straßburg; er malte den Marschall für die Nationalgalerie.
Später war noch ein andrer Maler vielfach und gern gesehen beim ersten Statthalter; es war der bekannte Porträtist Schüler aus Frankfurt, der den Auftrag hatte, Manteuffel für die Stadt Königsberg zu malen; auch er war nur vorübergehend in Straßburg.
nannte sie »Seelöwenaugen«.

Graf Wilhelm Bismarck, von liebenswürdigem, oft hinreißendem Humor, war ein sehr gescheiter und lebhafter Mann, aber es fehlte ihm damals doch an der nötigen geschlossenen Konzentration, um seine Intelligenz in bedeutender Weise wirksam zu machen.

Seine Berufung in das Statthalterbureau, in die nächste Nähe Manteuffels, ist von Kreisen, die dem Marschall übel wollten und seine Stellung zu Bismarck als scharf-gegensätzlich hervorzuheben bemüht waren, gedeutet worden als eine Ueberwachung durch den Reichskanzler, der als von stetem Mißtrauen gegen Manteuffel erfüllt dargestellt wurde.

Diese Auffassung trat, wohl aus allgemein deutschen politischen Wohlfahrtsgründen, nur in privaten Unterhaltungen hervor; in der Oeffentlichkeit wurde ihr nur in den ausländischen Zeitungen, z. B. im »Temps«, Ausdruck gegeben.

In Wahrheit hatte Graf Wilhelm Bismarcks Berufung als Manteuffels »Ziviladjutant« (wie die Gesellschaft es ziemlich bezeichnend nannte) wohl den Grund, dem Sohn des Reichskanzlers, der zur Verwaltungslaufbahn bestimmt war, in das neue und interessanteste Gebiet deutschen Verwaltungsdienstes direkten Einblick zu gewähren und ihm dadurch ein wichtiges Erfahrungskapital zu verschaffen. Uebrigens war Graf Bismarck nur einige Jahre in Straßburg und wurde dann zu seinem Vater nach Berlin in die Reichskanzlei berufen.

Oberst v. Strantz (lebt noch als verabschiedeter General in Hannover), der schon in Nancy des Feldmarschalls Stab beigegeben war, wirkte nicht nur als sein erster Adjutant in Straßburg, sondern er war auch mit allen Funktionen eines »Hofmarschalls an diesem kleinen Hofe«, so konnte man's wohl nennen, betraut. Alle Anordnungen für Gastlichkeit, Reisen, Ausgaben, allgemeine Führung des kleinen Hofhalts lagen in seiner Hand. Er war eine schöne, elegante Erscheinung, gewandt, sehr beweglich, vielleicht allzu beweglich, um würdig zu erscheinen, – mit einem leichten Hang zur Medisance, – doch im Grunde dem Feldmarschall und seiner Familie treufest ergeben. Neben ihm walteten Graf Pourtalès und Freiherr Edwin v. Manteuffel, des Statthalters Sohn.

Ersterer, Rittmeister bei den Gardedragonern, der vornehme, kühle, etwas unnahbare Typus des Gardekavallerieoffiziers, war eine hübsche, aber etwas gedrechselte Erscheinung, nicht besonders hervortretend, während der junge Manteuffel, Hauptmann im 1. Garderegiment, in seiner bescheidenen, natürlichen Liebenswürdigkeit sehr sympathisch wirkte. Er ist später, nach des Vaters Tode, als Offizier nach Afrika gegangen und dort gestorben.

Als Chef des Generalstabes des XV. Armeekorps, das Manteuffel kommandierte, hatte er auf besonderen Wunsch den Chef seines Hauptquartiers in Nancy, Generalmajor von der Burg erbeten.

Burg war einer der Generale mit internationaler Bildung und einer interessanten Vergangenheit. Er hatte den Feldzug in Mexiko, attachiert der französischen Armee, mitgemacht, – war lange Zeit in Paris bei der Botschaft und im französisch-deutschen Krieg mit besonderen und ausgezeichneten Aufträgen betraut gewesen. Burg war eine sehr charakteristische Erscheinung, mit kräftiger Adlernase und scharfblickenden Augen, sehr aufrecht und martialisch von Haltung. Bei den Offizieren und in der Gesellschaft war er etwas gefürchtet durch seinen derb-offenen Ton und seine oft beißend sarkastischen Reden.

Eine interessante Gestalt, die in den letzten Jahren von Manteuffels Tätigkeit im Reichslande, von Ende 1883 an, unter seinen militärischen Adjutanten wirkte, war Graf Hutten-Czapski, jetzt Major a. D. und Mitglied des preußischen Herrenhauses.

Mit seiner Persönlichkeit wollen wir uns etwas eingehender beschäftigen, und zwar vor allem aus dem Grunde, weil sich ein Dunstkreis von Vorurteilen und unbesonnen nachgesprochenen Ueberlieferungen um seine Gestalt gebildet hat, die deren wahre Linien in einer gewissen Richtung entstellen.

Graf Czapski ist durch seine weitverzweigten, auch internationalen gesellschaftlichen Beziehungen eine sehr bekannte Persönlichkeit, ebenso in den vornehmen Salons von Paris und Berlin, wie in denen von Rom.

Ueberallhin hat ihn nun die Legende verfolgt, die in der Gesellschaft prüfungslos nachgesprochen und geglaubt wird: er sei ein weltliches Mitglied des Jesuitenordens, das rastlos und geheim für dessen Zwecke wirke.

Wer den klaren und edelmännischen Charakter des Grafen Czapski kennt, muß den Widerspruch einsehen, der darin liegt, daß er, der als Offizier den Eid der Treue für Kaiser und Reich geleistet hat, daneben als Mitglied des Jesuitenordens im geheimen staatsfeindliche Tendenzen hätte verfolgen sollen. Die Haltlosigkeit dieser Sage erweist sich dem ernsthaft und unparteiisch Prüfenden sogleich.

Graf Czapski entstammt einer alten polnischen Familie; sein Vater starb früh, und seine Mutter, die eine bedeutende Frau gewesen sein muß, verstand es, überall, wo sie lebte, einen geistig angeregten Kreis um sich zu sammeln. So war ihr Salon in den letzten Jahren vor dem vatikanischen Konzil, Ende der sechziger Jahre, der Sammelpunkt aller liberalen Katholiken und Anti-Unfehlbarkeitskreise.

Vom Grafen Czapski, dem man die Fabel der Zusammengehörigkeit mit dem Jesuitenorden angedichtet hat, wurde z. B. auch als ganz sicher erzählt, er habe seine Ausbildung in einer Jesuitenschule in Paris erhalten, während es authentisch festgestellt ist, daß er in Paris das staatliche »Lycée Bonaparte« einige Jahre besuchte und später von einem protestantischen Pfarrer bis zu seinem siebzehnten Jahr erzogen wurde.

Wenn man nun mit klarem Blick alle Nebel der ungeprüft nachgesprochenen » on dit's« durchdringt, so zerfällt die Jesuitenlegende in nichts, und es löst sich die einfache Tatsache als Wahrheit, daß Graf Czapski ein überzeugter Katholik ist und unter seinen weitverbreiteten internationalen Beziehungen auch solche zur Gesellschaft in Rom, aber nicht nur zur kirchlichen, sondern auch zur weltlichen, mit Lebhaftigkeit pflegt.

Der Graf war eng befreundet (von seiner Pariser Zeit her, wo er als Rittmeister bei den Gardehusaren auf zwei Jahre zur deutschen Botschaft kommandiert war) mit dem Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst, der damals dort Botschafter war und später als zweiter Statthalter nach Elsaß-Lothringen kam. Die Tatsache, daß Hohenlohe, der ein Katholik, aber Gegner der Jesuiten war, dem Grafen auch in kirchlichen Angelegenheiten Vertrauen bewies, spricht ebenso gegen die Legende.

Czapski war auch dem als liberal bekannten katholischen Theologen Professor Fr. Xaver Kraus, der an der Freiburger Universität wirkte und im vorigen Jahre starb, nahe befreundet. Uebrigens war und ist der Graf, der gern soziale Beziehungen pflegt, durch seine liebenswürdigen persönlichen Eigenschaften und seine umfassende Bildung in allen Gesellschaftskreisen eine willkommene und sympathische Erscheinung.

Wir haben es für eine schöne Pflicht gegenüber dem tadellosen Edelmann, den wir auch auf Grund näherer Freundschaft richtig beurteilen können, gehalten, durch diese Worte beizutragen zur Tilgung eines Vorurteils, das aus absolut falschen Annahmen hervorging; und es würde uns aufrichtig freuen, der Wahrheit, der wir überall ernst nachstreben, auch in diesem Falle eine lichte Gasse bereitet zu haben ...

Der leitende Minister des elsaß-lothringischen Ministeriums, Staatssekretär Herzog, erinnerte in seiner Erscheinung an einen Marquis aus der Rokokozeit. Sein grauweißes Haar, wie mit Puder bedeckt, seine funkelnd schwarzen Augen und die etwas gespreizte Art seines Wesens, die bewußt-zierliche Haltung erweckten äußerlich jenen Eindruck; sein geistiges Wesen freilich erinnerte durchaus nicht an einen Rokokomarquis ... Wohl hatte Herzog feinhumanistische Bildung und war ein sehr gescheiter Mann, aber er war dabei ein starrer Bureaukrat, mit dem Dogma der Unfehlbarkeit eines hohen Beamten. Er war aus einfacher, kleiner Familie (in Schlesien) hervorgegangen und hatte die natürlichen Gaben von Talent und Intelligenz scharf in die autodidaktische Schule seiner Energie und eines großen Ehrgeizes genommen und dadurch eine starke Ernte von Kenntnissen und Erfahrungen gewonnen.

Da sein geistiges Wesen und alles, was er mit ihm an äußeren Ehren und staatlichen Aemtern und Würden erlangt hatte, Ergebnis strenger Selbstschulung und einer rastlos hohe Ziele erstrebenden Kraft war, so ist es psychologisch verständlich, daß er auf sein Selbst stolz war.

Jemand, der seinem Leben gegenüber immer Meister gespielt hat, suhlt sich auch leicht als Meister andern gegenüber. Herzog betonte gern das Herrschende, das er durch die Höhe seiner Stellung gewonnen hatte; aber er übertrieb es, weil er, wie alle eitlen Naturen, sein Ich als eine inkommensurable Größe gegenüber allen andern Menschen empfand. Seinem etwas steifen und eigenwilligen Wesen waren Schmiegsamkeit und feinere Anpassungsfähigkeit an übergeordnete Naturen fremd. Das wurde ihm bald zur Schicksalswendung in seiner stolzen Laufbahn.

Er begegnete in dem Feldmarschall-Statthalter einer auch stark selbstbewußten Persönlichkeit, ohne aber deren große Züge zu besitzen: den weiten, historischen Blick und den idealistischen Schwung, – vor allem aber auch ohne den Hintergrund einer unvergeßlichen, geschichtlichen Vergangenheit.

Beide hohen Aemter des Statthalters und des Staatssekretärs waren mit Machtbefugnissen belehnt; das des Statthalters seiner Natur gemäß mit viel höheren. In beiden Herren waren sehr autokratische Neigungen; es war daher nur eine logische Konsequenz, die aus den Dingen und Menschen sich ergab, daß Konflikte entstanden. Wir werden das nachher eingehender behandeln, wenn wir von dem Ausbruch des Konflikts und seiner Lösung, nämlich der Verabschiedung Herzogs, nach neunmonatlicher Wirksamkeit als Staatssekretär, berichten.

Herzog war unverheiratet; mithin fehlte ihm das große erzieherische Moment des Familienlebens, – denn die tägliche Hebung von Rechten und Pflichten in großen und kleinen Fragen des Lebens bewahrt Geist und Charakter vor dem Erstarren in unfruchtbarer Ichsucht. Herzog machte den Eindruck einer hochintelligenten, aber im engen Kreis seines Ichs starren und eigensinnigen Kraft. In der Gesellschaft wirkte er denen gegenüber, die er sich überhaupt nahekommen ließ, sehr anregend, – und als Erscheinung war er vornehm-sympathisch.

Unterstaatssekretär des Innern war damals Herr v. Pommer-Esche (nachmals Oberpräsident in Sachsen), der Typus eines korrekten, etwas bureaukratischen, aber gewandten Verwaltungsbeamten von speziell preußischem Gepräge. Wenn Pommer-Esche mehr schematisch wirkte, so war dafür der neben ihm fungierende Unterstaatssekretär v. Mayr (ein Bayer) eine durchaus originelle Erscheinung, die sich in keinen irgendwie fertigen Rahmen eines »Beamtentypus« fügen ließ.

Herr v. Mahr, der im Grund seines Wesens imponierend ernst zu nehmen war durch seine wirklich reiche Intelligenz, hatte in der Gesellschaft so sehr die Allüren eines ungebundenen, ausgelassen lustigen Studenten, daß er niemals das Ansehen und die Schätzung gewann, die ihm seine natürlichen Gaben und seine hohe Staatsstellung hätten sichern müssen.

Im Amt trat wohl seine geistige Bedeutung hervor; da verschaffte sich sein reicher Besitz an nationalökonomischen Kenntnissen, seine ungemein schlagfertige Urteilskraft Achtung, – aber in der Gesellschaft verdarb ihm sein halb frivoler, halb derber Witzton, eine gewisse nachlässige Art, alles ins Komische zu rücken, die Wirkung. Vielleicht gehörte er zu den Menschen, die aus Prinzip ihr wahres Gesicht der Gesellschaft verhüllen und absichtlich eine Maske tragen; wenn er, als Lebensphilosoph, dann die heitere gewählt hatte (die übrigens im allgemeinen viel erfolgreicher ist als die tragische), so war sie ihm zu sehr ins Komische geraten, – und nur die, die ihm näherkamen und sie lüfteten, erkannten darunter die geistreichen ursprünglichen Züge.

Unterstaatssekretär für Justiz war damals der Mitverfasser.

Die Stelle des Unterstaatssekretärs für Handel, Gewerbe u. s. w. war noch offen; sie wurde in der ersten Hälfte des Jahres 1880, nachdem die Verhandlungen mit Julius Klein zu keinem Ergebnis gekommen waren, dem Bezirkspräsidenten des Unterelsaß, Herrn Ledderhose, verliehen. Ledderhose war eine äußerst konziliante und milde Natur, von feiner Freundlichkeit im Umgang, von einer Liebenswürdigkeit, die nicht anerzogener Form, sondern einem warmen Herzen entsprang. Für allgemeine politische Fragen hatte Ledderhose weder reges Interesse noch ausgesprochene Begabung, während er den innerpolitischen Verwaltungsfragen verständnisvoll gegenüberstand und an ihrer Lösung, die ja auch im Rahmen seines erwählten Lebensberufes lag, wirksam arbeitete.

Er hatte als Bezirkspräsident auch das Kuratorium der Universität verwaltet, wozu ihn seine vielseitige Bildung, sowie seine anpassungsfähige Liebenswürdigkeit als besonders vorbestimmt erscheinen ließen. Er behielt die Kuratorialgeschäfte auch als Unterstaatssekretär und erwarb sich bedeutende Verdienste um die glückliche Entwicklung der jüngsten deutschen Hochschule der Wissenschaften.

Der Altelsässer Julius Klein, dessen interessante Gestalt schon im Beginn dieser Blätter auftauchte, spielte im öffentlichen Leben von Straßburg, und auch im gesellschaftlichen, eine Rolle, die weit über die Sphäre hinausragte, in der seine bürgerliche Stellung lag. Klein war nämlich Apotheker, ein Beruf, auf dessen Vertretern, wie ein geistreicher und jovialer Elsässer Herr einmal bemerkte, in Frankreich seit Molières » Malade imaginaire« immer ein leiser Hauch des Komischen lag; und einer mußte in persönlicher Würdigkeit und geistigem Ernst schon recht Bedeutendes leisten, um diese Nuance vergessen zu machen. Und einen hohen Wert von Intelligenz und Bildung hatte Klein und dabei eine herzgewinnende Liebenswürdigkeit und eine fesselnde Erscheinung.

Er war von seinen Mitbürgern und Landsleuten so geschätzt, daß die kleine Hinterstube in seiner Apotheke (er hat letztere noch bis Ende der achtziger Jahre tätig verwaltet) selten von solchen leer war, die Rat oder Beistand in allen möglichen Staats-, Rechts- und Lebensfragen bei ihm suchten. Auch sehr hohe deutsche Beamte haben es nicht verschmäht, den hervorragenden Politiker um seine Meinung in Fragen von Bedeutung anzugehen.

Dem Mitverfasser hat er persönlich nahegestanden, und der Verfasserin war er in solcher Freundschaft verbunden, daß sie tiefe Einblicke in diese seltene Natur tun konnte.

Klein hatte eine ungewöhnlich feinfühlige Seele; ein im besten Sinne des Wortes femininer Zug war ihm eigen. Ein weiches Gefühlsleben, viel Kunstsinn, besonders für Musik und Literatur, machte ihn auch im Verkehr mit klugen Frauen zu einem sympathischen Gesellschafter. Eine etwas elegische, schwärmerische Note klang in seiner lebhaften, geistreichen Art zu plaudern immer mit an. Kleins Erscheinung, besonders sein Kopf, war so anziehend, daß er, selbst in großen Versammlungen, einem Fremden immer hätte auffallen müssen. Die Stirn war breit und gedankenvoll; die Augen hatten einen eigentümlich tiefsinnigen Blick; zwischen den Brauen lag eine schwermütige Falte (ich nannte sie immer die »Laokoonsfalte«, weil sie ihm einen so leidvollen Ausdruck gab), während ein feines Lächeln um seine Lippen stand.

Er ist nun lange tot – aber er gehört zu den Unvergeßlichen –, er wird auch in den Büchern der Geschichte des Landes unvergänglich stehen.

Von Gestalten alteingesessener Elsässer trat als besonders markant die des älteren Barons Zorn v. Bulach hervor. Zur Zeit, da diese Blätter geschrieben werden, stehen seine beiden Söhne auf hervorragenden Posten in der weltlichen und kirchlichen Verwaltung ihrer Heimat; der ältere, Baron Hugo, ist Unterstaatssekretär im Ministerium in Straßburg und soeben von Seiner Majestät dem Kaiser zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Titel »Exzellenz« ernannt worden, – der jüngere, Baron Franz, ist Weihbischof ebendaselbst. » M. de Bulach père«, wie er allgemein genannt wurde, ist nicht mehr unter den Lebenden; er starb 1890. Er war durchaus das Bild eines Grandseigneurs, der Typus einer Herrennatur. Heiß und kräftig von Temperament, etwas hastig in seinen Bewegungen, eine energische, eigenwillige Natur.

Bulach, der übrigens im Landesausschuß lange Zeit Vizepräsident neben dem Präsidenten Schlumberger war, hatte eine durchaus französische Erziehung und Bildung genossen; außerdem hatte er, abwechselnd mit dem Aufenthalt im Elsaß, viel in Paris gelebt, da er Deputé im Corps législatif war und die Stellung eines Kammerherrn des Kaisers Napoleon bekleidete. Es war daher nur natürlich, daß seine Neigungen stark nach Frankreich gravitierten.

Bulach war ein echter, stolzer Edelmann und sehr angesehen im Lande. Er besaß eine imponierende Erscheinung mit kühn geschnittenen Zügen und befehlend blitzenden Augen. In seinem Wesen lagen gewisse feudale Züge so stark ausgeprägt, daß er sie auch seinem Heim und seiner ganzen Lebensführung mitzuteilen verstand. Wenn man in Osthausen, dem Schloß seiner Väter, über die Zugbrücke des Schloßgrabens einfuhr und am Haustor von dem ritterlichen alten Herrn empfangen wurde, der den Glanz eines sicheren Reichtums und stolze Besitzeswürde in seiner ganzen Umgebung zum Ausdruck brachte, so hatte man den Eindruck: dieser alte Herren- und Rittersitz ist in all seiner prachtvollen Eigentümlichkeit bewahrt geblieben durch die Jahrhunderte.

Eine ganz anders geartete, besonders durch schöne Züge von Humanität anmutende Persönlichkeit war der Altelsässer Jean Schlumberger, einer der bedeutendsten Industriellen Elsaß-Lothringens und Präsident des Landesausschusses von dessen ersten Tagen an bis zum Jahre 1903, als er durch Krankheit gezwungen, zum allgemeinen, großen Bedauern des Landes, sein Mandat niederlegte. Schlumberger wirkt wie eine Verkörperung der Ehrenhaftigkeit, des Altruismus und der bürgerlichen Tugend in Staat und Familie.

Er hat von Anbeginn der deutschen Regierung im wiedergewonnenen Reichsland an zu den wenigen Bekennern der Politik gehört, die den neuen Boden der geschichtlich vollzogenen Tatsachen anerkannten und den Mut besaßen, dieses Anerkennen auch zu einem Bekennen zu machen. Er stellte sich, obgleich damals schon bejahrt (er ist jetzt im 84. Jahr), fest und jugendlich tapfer in die Reihen derer, die ihre Kraft mit der neuen Regierung gemeinsam der Verwaltung ihres engeren Vaterlands widmeten. Seine Großherzigkeit gegenüber »Enterbten« der Menschheit, sein streng rechtlicher Sinn, seine arbeitsfreudige Rührigkeit und sein vermittelnd-herzliches Wesen haben ihm die Freundschaft aller Kreise erobert.

Auch der Feldmarschall Manteuffel, der ihn oft in seine Tafelrunde bat, hatte ein tiefgründiges Vertrauen zu ihm und war ihm persönlich befreundet. Der alte Präsident Schlumberger (er hat später den erblichen Adel erhalten, wurde Ehrendoktor der Universität Straßburg, und neuerdings zum Wirklichen Geheimen Rat und Exzellenz ernannt) hat dem ersten Statthalter, auch über dessen Grab hinaus, innige Anhänglichkeit und Treue bewiesen.

Von altelsässischen Herren, die im öffentlichen Leben des Landes eine angesehene und teils recht einflußreiche Rolle spielten, waren im Salon des Statthalters unter andern öfter zu sehen: Baron Reinach-Hirtzbach, Schwager des älteren Barons Bulach, Präsident des oberelsässischen Bezirkstages; Mieg-Koechlin, der verdiente damalige Bürgermeister von Mülhausen, eine feine, freundliche Erscheinung; dann der in jener Zeit als Landgerichtsdirektor in Straßburg tätige, später politisch besonders hervortretende Dr. Gunzert, und Eduard Koechlin, das Finanzgenie des Landesausschusses. Ihnen gesellte sich aus Lothringen der bedeutende Großindustrielle Ed. Jaunez zu, jetzt als Nachfolger von Schlumberger Präsident des Landesausschusses, den man als den geistigen Führer der Lothringer Deputierten bezeichnen kann, und der auch beim Statthalter in sehr hoher Schätzung stand. – Eine bemerkenswerte Persönlichkeit, die nur kurze Zeit während der ersten Statthalterschaft in Straßburg wirkte, aber im politischen Leben des Landes sehr hervortrat, und deren Einfluß und Tätigkeit so nach Deutschland wie nach Frankreich spielte, soll hier etwas eingehender behandelt werden.

Es ist Karl August Schneegans, ein Straßburger Kind. 1836 dort geboren, hatte er später das protestantische Gymnasium besucht, und dann in der » Académie des lettres« in Straßburg klassische Philologie studiert. Er war eine reich veranlagte Natur; geistreich, von gediegener, humanistischer Bildung, ein klarer Dialektiker als Journalist und politischer Redner, mit großem Blick für die geistigen Strömungen in der Geschichte, dabei mit dichterischem Schwung und Talent Schneegans hat sich mit Grazie und Geist auf den Gebieten der Lyrik und Epik (Roman und Novelle) in französischer, und mehr noch in deutscher Sprache hervorgetan. und von sensitivem Gefühl. Eine Natur, in der alle Anregungen und Eindrücke des Lebens einen starken, und dabei fein vibrierenden Widerhall fanden.

Nachdem er kurze Zeit in seinem ersten Beruf (Philologie) als Lehrer in Paris tätig gewesen war, und auch dort schon einzelne Artikel für den »Temps« geschrieben hatte, wandte er sich bald ganz der Journalistik zu. Er trat 1861 in Straßburg als Redakteur in den »Courrier du Bas-Rhin« ein, blieb dabei Mitarbeiter des »Temps«, und schrieb zugleich Korrespondenzen für deutsche Zeitungen. Während des Krieges Beigeordneter des Gemeinderats seiner Vaterstadt, ging er nach der Belagerung von Straßburg (Ende 1870) nach Bern, wo er die Zeitung »Helvétie« gründete. Er hatte damals die Absicht, Schweizer zu werden, – wohl um sich auf eine Insel zu retten, die unberührt von dem Sturm der politischen Dinge war, die, das Schicksal seiner engeren Heimat umwälzend, auch in seine eindrucksfähige Seele hocherregte Wogen warf.

Im Winter 1871 wurde Schneegans zum Abgeordneten für den Niederrhein in die Nationalversammlung gewählt und nahm an den Verhandlungen in Bordeaux Ueber diese geschichtspsychologisch interessanten Vorgänge in Bordeaux und deren Wirkung auf Schneegans und seine elsässischen Freunde geben die im Märzheft der »Deutschen Rundschau« teilweise veröffentlichten Memoiren von Schneegans bemerkenswerte Aufschlüsse. Uebrigens wird die Herausgabe seiner gesamten Memoiren vorbereitet von seinem Sohn Heinrich, der zurzeit als Professor in Würzburg wirkt. teil. Hier begann sich nun offenbar die seelische Wandlung in Schneegans vorzubereiten, die nach schweren inneren Kämpfen den Mann, der seinem Vaterland Frankreich treu und warm anhing, dahin drängte, sich von diesem loszusagen, um seiner engeren Heimat, dem Elsaß, all seine Kraft und Liebe zuzuwenden; denn in Bordeaux teilte sich ihm und fast allen elsässischen Abgeordneten das bittere Gefühl mit, daß Frankreich in jener ernsten Zeit nur von dem trägen Wunsch erfüllt war, Ruhe und Frieden wieder zu erlangen, – selbst um den Preis Elsaß-Lothringens, für dessen Geschick es keine innere Anteilnahme zeigte.

Die Elsässer kehrten nach ihrer Protesterklärung am 17. Februar 1871 tief erbittert und enttäuscht in ihre Heimat zurück; Schneegans nach Bern, wo er in seiner Zeitung »Helvétie« eine beredte Schilderung der Vorgänge von Bordeaux gab, die zuerst die Gemüter sehr erbitterte, später aber Männer wie Kablé doch nicht verhinderte, ihre Liebe für Frankreich und ihre Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit des Elsaß mit dem alten Vaterlande leidenschaftlich in Wort und Tat zu bekunden.

Doch zu Schneegans zurück. Er hatte zunächst für Frankreich optiert und ging im Mai 1871 nach Lyon, wo er die Leitung einer neugegründeten, liberalen Zeitung, »Journal de Lyon«, übernahm. Doch die allzu klerikale Richtung im Verwaltungsrat und die Tatsache, daß Schneegans von seinen liberalen Freunden in Lyon nicht genügend unterstützt, ja sogar im Stiche gelassen wurde, führte einen Konflikt herbei, der mit einer endgültigen Scheidung endete. Schneegans mochte wohl immer tiefer empfinden, daß Frankreich, das er sich als innerlich tieftrauernd über den Verlust des Elsaß vorgestellt hatte, in Wahrheit dessen Schicksal ziemlich kühl gegenüberstand. Da zog ihn denn seine heißeste Heimatliebe zurück nach dem Geburtsland, er machte 1874 seine Option rückgängig und ging auf die Bitten seiner Freunde nach Straßburg, die gleich ihm den echtesten Patriotismus darin zu erkennen meinten: auch unter den neuen politischen Verhältnissen ihre Kraft einzusetzen für eine glückliche Entwicklung und Verwaltung des Landes. Des verehrten toten Freundes Küß Worte in seinem letzten Brief mochten ihm wohl auch leitend wie ein Gebot und eine Verheißung vorgeschwebt haben: »Frankreich ist für uns verloren! Denken wir daran, uns das Elsaß zu retten!«

Für sein Ideal der Autonomie trat er von nun an in freiem Bekenntnis und mit der Tat ein. 1874 wurde Schneegans Mitredakteur des »Elsässer Journals«, und 1876 ward er in den Reichstag gewählt. So waren ihm zwei Gebiete offen, Journalistik und Parlament, auf denen er erfolgreich für seine Sache wirken konnte. Er hat dann im Reichstag, den Intentionen des Reichskanzlers entgegenkommend, den der Autonomistenpartei sympathischen Antrag auf Verlegung der Regierung nach Straßburg (Einsetzung der Statthalterschaft) gestellt, der nach starker Befürwortung durch eine längere Rede des Fürsten Bismarck vom Reichstag angenommen wurde.

Nach der Einführung der Neuorganisation wurde Schneegans als Ministerialrat in die Abteilung des Innern berufen; aber sei es nun, daß er nicht seinen, mehr auf das allgemein politische Gebiet weisenden, besonderen Fähigkeiten entsprechend beschäftigt wurde, oder daß die Verhältnisse im Lande noch nicht reif dazu waren, ein ersprießliches, gemeinsames Wirken von eingewanderten Beamten mit elsässischen Politikern in der Landesregierung möglich zu machen: kurz, Schneegans fühlte, daß die Stelle eines Ministerialrats in Straßburg nicht der fruchtbare Boden für sein Wirken sein würde, und trat daher schon im Frühjahr 1880 in das Auswärtige Amt in Berlin, auf Bismarcks Veranlassung, der ihn besonders schätzte, und wurde im selben Jahre zum Konsul in Messina ernannt. 1888 ward er dann Generalkonsul in Genua, und starb dort im März 1898.

Schneegans war ein bedeutender Sohn des Landes, auf den das Elsaß mit begründetem Stolz schauen kann. In dem für das Reichsland so bedeutsamen und bewegten ersten Jahrzehnt nach dem Kriege und speziell in der Entwicklungsgeschichte des Autonomismus, der für die Regierung die ansehnlichste Stütze aus einheimischen Kreisen war, hat Schneegans eine führende Rolle gespielt, wie überhaupt das geistige Wesen dieses hervorragenden Elsässers mit tiefen Wurzeln aus dem Boden einer großen Zeit aufwuchs und deren Lebenselemente enthält.

Die Universität war in Manteuffels Salon mit sehr bedeutenden Erscheinungen vertreten. Die jüngste deutsche Hochschule fand ganz naturgemäß ein besonderes Interesse und eine gewisse mütterliche Zärtlichkeit beim Reich; die hervorragendsten Kräfte wirkten in den verschiedenen Fakultäten. So z. B. in der juristischen Professor Dr. Laband (noch heute Staatsrechtslehrer an der Straßburger Universität), Sohm, Schulze, Merkel, Knapp, Geffcken. Geffcken, der mit der Tochter des berühmten Dichters Immermann verheiratet war, einer geistig und äußerlich vornehmen Erscheinung, hat später viel von sich reden gemacht durch die Veröffentlichung der Tagebücher des Kronprinzen (nachmaligen Kaisers Friedrich). Geffcken war, ehe er nach Straßburg kam, in der hanseatischen Diplomatie tätig. In der philosophischen: Nöldeke (noch heute in Straßburg), Michaelis (desgleichen), Erich Schmidt, Baumgarten neben andern. In der medizinischen: Leyden, v. Recklinghausen, Kußmaul, Laqueur, Hoppe-Seiler, Freund, Jolly, Waldeyer. Bei den Theologen: Holtzmann, Reuß (ein Altelsässer). Als Nationalökonom leuchtete Schmoller, und unter den Naturwissenschaftern: de Bary und Kundt (der spätere Nachfolger von Helmholtz in Berlin) hervor.

Diese hervorragenden Intelligenzen brachten ein sehr vielseitiges, geistiges Leben in die Gesellschaft. Wenn es auch natürlich ist, daß ein tiefes Studium und die fortwährende Konzentration in strenge Wissenschaften die Geister im besten Sinne einsam macht, so war den meisten der genannten Herren doch auch ein frischer, geselliger Zug eigen, – und das dünkelhafte Beharren in seinem gelehrten Element, das man dem deutschen Professor nachsagt, war bei ihnen wenig zu finden.

Professor Laband, von den Tagen der Universitätsgründung bis heute in Straßburg tätig, ist wohl allezeit die in der Gesellschaft bekannteste und durch mannigfache Beziehungen mit dem öffentlichen wie sozialen Leben am meisten mit Straßburg verbundene Persönlichkeit gewesen. Er ist auch Mitglied des Staatsrats von Elsaß-Lothringen. Seine Bedeutung als Staatsrechtslehrer ist weltbekannt; er gilt als ausschlaggebende Autorität in allen Fragen, die seine Wissenschaft berühren. Labands Unterhaltungsgabe hat, trotz ihrer scharfpointierten Art, der Tiefe seiner Gründe, der überlegenen Sicherheit seines Wissens, nie etwas Lehrhaftes oder gar aufdringlich Selbstbewußtes. Er versteht die große Kunst, liebenswürdig zuzuhören, und die Personen, mit denen er sich unterhält, durch seine Anregung zur vollen Betätigung ihrer geistigen Eigenschaften zu bringen. Der berühmte Professor hat auch viel Verständnis für die Künste, insbesondere für Musik und Literatur, und mancher Künstler kennt ihn als Mäcenas. Er ist eine von den vielseitigen Naturen, die auf allen Gebieten ihres Wirkens, den strengen wie den heiteren, ihres Erfolges sicher sind.

Den Universitätskreisen nahe, aber damals noch nicht zu ihnen gehörend, und erst in der zweiten Hälfte der Aera Manteuffel in Straßburg wirkend, stand Dr. Theobald Ziegler. Er hat seit einigen Jahren zuerst neben dem ausgezeichneten Philosophen Windelband den Lehrstuhl der Philosophie und Pädagogik an der Straßburger Universität inne. Ziegler war ursprünglich Philologe und wirkte an Gymnasien als Lehrer. Am protestantischen Gymnasium in Straßburg war er als Konrektor der Nachfolger des hochverdienten, klassisch gebildeten Professors Dr. Albrecht, jetzigen Direktors des Oberschulrats.

Zieglers schriftstellerische Tätigkeit begann sehr früh. Mit 28 Jahren veröffentlichte er sein erstes, auf gründlichen Studien beruhendes Buch über das Straußsche Werk: »Der alte und der neue Glaube«. Daran schloß sich eine Reihe von bedeutenden Arbeiten, die sich teils mit ethischen, teils mit sozialen, am meisten aber mit literarischen Problemen beschäftigten. Seine letzten Arbeiten: »Die geistigen und sozialen Strömungen im 19. Jahrhundert«, dann das geistvolle Buch über »Friedrich Nietzsche« und zuletzt die bedeutsamen Abschnitte in Bielschowskis Werk »Goethe« haben in der gelehrten und gebildeten Welt große Anerkennung erfahren. Ziegler vollendete in Bielschowskis Buch das Faustkapitel, fügte den Schlußabschnitt hinzu, brachte in das sechzehnte Kapitel eine Darstellung von Goethes Verhältnis zur Romantik, und beleuchtete im vierten Kapitel Goethes Stellung zu Fichte, Schelling und Hegel. Albert Bielschowski ist vor der Vollendung seines Werkes »Goethe« gestorben. Einige bekannte Professoren und Gelehrte, wie Ziegler, Max Friedländer, Wershoven, Dr. Leppmann haben in selbstloser Weise an der Vollendung des Werkes gearbeitet und sie herbeigeführt.

Des Professors Ziegler feiner, durchgeistigter Charakterkopf, wenn er auch erst später in der Gesellschaft auftauchte, darf hier nicht vergessen werden.

Ein andrer Mann von Bedeutung, der von der ersten Zeit seiner Anwesenheit in Elsaß-Lothringen an (er war noch während des Krieges dem Zivilkommissar Grafen, jetzt Fürsten, Guido Henckel von Donnersmark beigegeben) bis heute einen heilsam fühlbaren Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten hatte, war der derzeitige Bürgermeister von Straßburg, Otto Back, eine intelligente und charaktervolle Persönlichkeit. Rheinländer von Geburt, stellt er das Sonnigbehagliche und dabei Arbeitsregsame seines Heimatlandes dar. Er war Verwaltungsbeamter und zwar Landrat in der Rheinprovinz, ehe er 1870 ins Reichsland kam. Unter Möller, Polizeidirektor in Straßburg, wurde er bei Auflösung des Gemeinderats zum Bürgermeistereiverwalter von Straßburg bestellt. Da trat nun seine eigentlichste Begabung glänzend zutage: Verwaltung kommunaler Angelegenheiten.

Von großen Gesichtspunkten aus erfaßte er seine Pflichten gegenüber der alten Reichsstadt Straßburg. Eine neue Blüte wollte er der ehemals Herrlichen und Mächtigen geben, deren Entfaltung besonders durch zwei Hemmnisse in Schranken gehalten wurde, erstens durch die Zerstörung infolge der Belagerung im Kriege 1870-1871, und zweitens dadurch, daß die Stadt in alte Festungsmauern eingeengt war. Backs erstes Ziel war daher die Stadterweiterung. Dazu ist ihm der erste Statthalter, Edwin Manteuffel, ein mächtiger Helfer gewesen, und die Stadt darf es dem Feldmarschall nie vergessen, daß er so tatkräftig eintrat für die Verwirklichung eines kühnen und großen Planes. Es waren zwar schon Verhandlungen mit dem Kriegsministerium in Berlin im Gange gewesen, – aber die Verzögerung der Vertragsratifikation bedrohte ihren Fortgang. Auf Manteuffels direkte Intervention kam dann telegraphisch die Zustimmung des Kriegsministeriums, und – die Bauarbeiten begannen. Der würgende Ring der Mauern fiel; in die engsten Stadtteile, die unter gesundheitsbedrohlichem Mangel an allen möglichen Wohlfahrtseinrichtungen litten, wurde die neue Wasserleitung geführt, und draußen vor den Wällen breiteten sich bald neue, stolze Stadtteile aus.

Back wurde dann freilich von dem Posten als Bürgermeistereiverwalter zu staatlichen Verwaltungsstellen berufen, die ihn (er war Bezirkspräsident und später kurze Zeit Unterstaatssekretär) jahrelang von dem Einfluß auf das städtische Verwaltungswesen fernhielten. Doch als unter dem späteren Statthalter Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst der Gemeinderat wieder gewählt wurde, ward auch ein Bürgermeister fest ernannt, und nun trat Back wieder in den Wirkungskreis, der seinem eigentlichsten Elemente entsprach. Unter seiner tätigen Mitwirkung ist dann viel geschehen zur Verbesserung der Wasserläufe behufs Sicherung der durch Ueberschwemmungen bedrohten Gebiete. Ferner hat Back unter anderm das Riesenwerk der Kanalisation in Szene gesetzt und den Schmuck der ehemals recht grauen, baumleeren Straßen mit herrlichen Anlagen und Plätzen bewirkt. Er hat auch den Rheinhafen gebaut und namhafte Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen. Die Umrisse dieses Bildes reicher Tätigkeit zeigen zugleich die kräftige und regsame Eigenart dieses Mannes. Back ist auch auf sozialem Gebiet von milder und vermittelnder Wirkung, was bei den besonderen Entwicklungsbedingungen des Reichslandes ebenfalls von politischer Bedeutsamkeit ist.

Wir haben nur einige charakteristische Typen der damaligen Gesellschaft gezeichnet, die teils ihrer Stellung wegen, teils um ihrer geistigen Bedeutung oder ihrer sozialen Wirkung willen hervortretend waren. Es würde zu weit führen, wenn wir noch nähere Schilderungen der reichbewegten Geselligkeit von damals geben wollten. Eine vornehme Gruppe von Studierenden der jungen, ausgezeichneten Hochschule, die in jener Zeit von den deutschen Höfen besonders kultiviert wurde, soll aber doch hier nicht unerwähnt bleiben. Der jetzige Kronprinz von Sachsen, Prinz Aribert von Anhalt, Prinz Ernst von Meiningen, Herzog Georg von Mecklenburg, Prinz Thurn und Taxis, der jetzige Erbprinz von Hohenzollern, Prinz Max Hohenlohe-Oehringen, Fürst von der Leyen, Graf Schönborn, Prinz Leopold Isenburg-Birstein, ein besonders flotter und liebenswürdiger Kavalier, Graf Castell-Castell, Graf Castell-Rüdenhausen u. s. w., u. s. w. studierten in der Zeit der ersten Statthalterschaft in Straßburg; sie gaben dem »kleinen Hofe« einen gewissen feudalen Glanz, und dazu waren einige unter ihnen auch geistig von eigenartiger und vornehmer Prägung.

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