Alexander Puschkin
Die Hauptmannstochter
Alexander Puschkin

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Neuntes Kapitel.
Trennung

Trommelschlag weckte mich am Morgen. Ich ging zum Sammelplatz. Dort ordneten sich Pugatschows Scharen in der Nähe des Galgens, an dem immer noch die gestrigen Opfer hingen. Die Kosaken hatten aufgesessen, die Soldaten standen unter Gewehr. Die Fahnen wehten. Einige Kanonen, unter denen ich auch die unsere erkannte, wurden auf bewegliche Lafetten gebracht. Ringsum standen alle Einwohner und erwarteten den Usurpator. Ein prachtvolles weißes Pferd kirgisischer Rasse wurde vor der Treppe zum Kommandantenhause von einem Kosaken am Zügel gehalten. Mein Blick suchte die Leiche der Kommandantin. Sie war ein wenig zur Seite geschoben und mit einer Bastmatte bedeckt worden. Endlich trat Pugatschow aus dem Hausflur. Das Volk nahm die Mützen ab. Pugatschow blieb auf der Treppe stehen und grüßte alle. Einer der Ältesten übergab ihm Kupfergeld in einem Sacke, und er streute es mit beiden Händen aus. Schreiend stürzte das Volk herbei, um etwas zu erhaschen, und die Sache ging nicht ohne Reibereien ab. Pugatschow stand da, umringt von seinen Anführern. Unter diesen befand sich auch Schwabrin. Unsere Blicke begegneten sich; in meinem konnte er Verachtung lesen, er wandte sich mit einem Ausdruck aufrichtiger Wut und erkünstelten Hohnes ab. Pugatschow sah mich unten in der Menge stehen, nickte mir zu und rief mich heran.

»Höre,« sagte er mir, »reise sofort nach Orenburg und melde dem Gouverneur und sämtlichen Generälen von mir, daß sie mich in etwa einer Woche zu erwarten hätten. Rate ihnen, mir mit Unterwürfigkeit und kindlicher Liebe zu begegnen, sonst werden sie einem grausamen Tode nicht entgehen. Glück auf den Weg, Euer Wohlgeboren!«

Hiernach wandte er sich ans Volk und sagte, indem er auf Schwabrin zeigte:

»Dies, Kinder, ist euer neuer Kommandant. Gehorcht ihm in allem, er ist mir für euch und die Festung verantwortlich.«

Entsetzt hörte ich diese Worte: Schwabrin der Kommandant der Festung! Marja Iwanowna war in seiner Gewalt! Gott, was wird mit ihr geschehen! Pugatschow stieg die Treppe herunter. Man führte ihm sein Pferd vor. Ohne auf die Kosaken zu warten, welche ihm helfen wollten, schwang er sich gewandt in den Sattel. In diesem Moment sah ich meinen Saweljitsch sich aus der Menge hervordrängen, an Pugatschow herantreten und ihm ein Blatt Papier überreichen. Es war mir unbegreiflich, was er damit bezweckte.

»Was ist das?« fragte Pugatschow ernsthaft.

»Lies! Du wirst es schon sehen!« antwortete Saweljitsch.

Pugatschow nahm das Papier an sich und prüfte es lange mit bedeutsamer Miene.

»Was schreibst du so eigentümlich,« meinte er zum Schluß, »unsere hellen Augen können da nichts entziffern. Wo ist mein Obersekretär?«

Ein junger Mann in Korporalsuniform trat eilig auf Pugatschow zu.

»Lies laut!« sagte der Usurpator, ihm das Papier überreichend.

Ich war äußerst gespannt darauf, zu erfahren, was denn mein Erzieher eigentlich Pugatschow zu schreiben hätte. Der Obersekretär las mit lauter Stimme, buchstabierend, folgendes vor:

»Zwei Schlafröcke, der eine aus Baumwolle, der andere ein gestreifter seidener – sechs Rubel.«

»Was soll das heißen?« fragte Pugatschow ärgerlich.

»Befiehl nur weiterzulesen.«

Und der Obersekretär las weiter:

»Ein Uniformrock aus feinem grünen Tuche – sieben Rubel. Weiße Tuchhosen – fünf Rubel. Zwölf holländische Leinwandhemden mit Manschetten – zehn Rubel. Ein Futteral mit einem Teegeschirr – zweieinhalb Rubel . . .«

»Was für ein Blödsinn!« unterbrach Pugatschow, »was geht mich das Teegeschirr und diese Hosen mit Manschetten an!«

Saweljitsch räusperte sich und wollte Erklärungen geben.

»Väterchen, beliebe zu sehen, dies ist das Register der herrschaftlichen Sachen, welche von den Schuften geraubt wurden . . .«

»Welchen Schuften?« fragte Pugatschow drohend.

»Verzeih! Ich habe mich versprochen,« meinte Saweljitsch, »nicht die Schufte, sondern deine Kinder haben bei uns alles durcheinandergeworfen und fortgeschleppt. Sei nicht böse; wenn ein Pferd auch vier Beine hat, so strauchelt es manchmal doch. Befiehl nur weiterzulesen.«

»Lies« sagte Pugatschow.

Der Sekretär fuhr fort.

»Eine Leinwanddecke und eine taftene Decke aus Baumwolle – vier Rubel. Ein Fuchspelz, gestickt, mit rotem Fries – vierzig Rubel. Außerdem ein Hasenpelz, deiner Gnaden in der Herberge auf der Steppe übergeben – fünfzehn Rubel.«

»Und was noch!« schrie ihn Pugatschow mit flammenden Augen an.

Ich gestehe, daß ich für meinen armen Erzieher zu fürchten begann. Er wollte sich wieder auf Erklärungen einlassen, allein Pugatschow unterbrach ihn.

»Wie wagst du es, mir mit solchen Kindereien zu kommen!« schrie er, riß das Papier aus den Händen des Sekretärs und warf es Saweljitsch ins Gesicht. – »Alter Narr! hat man auch geraubt – was ist denn dabei! Du hast ewig zu Gott für mich und meine Kinder zu beten, daß du und dein Herr nicht dort neben jenen Ungehorsamen hängen. Hasenpelz! Ich werde dir zeigen, was ein Hasenpelz ist. Weißt du nicht, daß ich dir deine eigne Haut vom lebenden Leibe abziehen lassen kann, um Pelze daraus zu machen?«

»Wie es dir beliebt,« antwortete Saweljitsch, »ich bin ein Diener und für das herrschaftliche Gut verantwortlich.«

Pugatschow hatte augenscheinlich einen Anfall von Großmut. Ohne ein Wort zu verlieren, wandte er sich ab und ritt fort. Schwabrin und die Ältesten folgten ihm. In Reih und Glied verließ die Bande die Festung. Das Volk geleitete Pugatschow. Ich blieb mit Saweljitsch allein auf dem Platze zurück. Mein Erzieher hielt noch immer sein Register in den Händen und betrachtete es mit tiefer Bekümmernis.

Er hatte meine guten Beziehungen zu Pugatschow bemerkt und gedachte sie auszubeuten, doch war seine gutgemeinte Absicht fehlgeschlagen. Eigentlich hätte ich ihn für seinen unangebrachten Eifer schelten müssen, ich konnte mich aber des Lachens nicht enthalten.

»Lache nur, Herr«, antwortete Saweljitsch. »Lache nur, wenn es aber alles neu anzuschaffen gilt, werden wir schon sehen, ob das komisch ist.«

Ich eilte zum Hause des Priesters, um Marja Iwanowna zu sehen. Die Popenfrau empfing mich mit einer betrübenden Nachricht. Nachts war bei Marja Iwanowna ein heftiges Fieber ausgebrochen. Sie lag bewußtlos im Fieberwahn. Die Popenfrau führte mich in ihr Zimmer. Ich trat leise an ihr Bett. Die Veränderung in ihrem Gesicht entsetzte mich. Die Kranke erkannte mich nicht. Lange stand ich vor ihr und hörte weder auf Vater Gerasim noch auf seine gute Frau, die mich zu trösten suchten. Düstre Gedanken bewegten mich; die Lage der armen, hilflosen Waise, die inmitten böswilliger Aufrührer zurückblieb, und meine eigene Ohnmacht setzten mich in Schrecken. Schwabrin peinigte ärger als alles meine Einbildungskraft. Da ihm vom Usurpator die Macht übergeben worden war und er allein in der Festung zu befehlen hatte, wo das unglückliche Mädchen, der unschuldige Gegenstand seines Hasses, zurückblieb, konnte er alles beginnen. Was blieb mir zu tun übrig? Wie sollte ich ihr helfen? Wie sie aus den Händen des Schurken befreien? Ein Mittel blieb: ich entschloß mich, noch zur selben Stunde nach Orenburg zu reisen, um die Befreiung der Festung Bjelogorsk zu beschleunigen und mich nach Möglichkeit selber daran zu beteiligen. Ich verabschiedete mich vom Priester und Akulina Pamphilowna und empfahl jene ihrem Schutze, die ich schon als mein Weib ansah. Ich ergriff die Hand des armen Mädchens und küßte sie unter Tränen.

»Leben Sie wohl,« sagte die Popenfrau, mich hinausgeleitend, »leben Sie wohl, Peter Andrejewitsch, vielleicht sehen wir uns in besseren Tagen wieder. Vergessen Sie uns nicht und schreiben Sie uns öfters. Die arme Marja Iwanowna hat außer Ihnen jetzt keinen Trost und keinen Beschützer mehr.«

Als ich den Marktplatz betrat, blieb ich einen Augenblick stehen, schaute auf den Galgen, verneigte mich vor ihm, verließ die Festung und beschritt den Weg nach Orenburg, von Saweljitsch begleitet, der nicht zurückbleiben wollte.

Ich schritt, mit meinen Gedanken beschäftigt, dahin, als ich plötzlich hinter mir Pferdehufe hörte. Ich schaute mich um und sah: aus der Festung ritt ein Kosak, der ein Baschkirenpferd am Zügel führte, auf mich zu und machte mir von weitem Zeichen. Ich blieb stehen und erkannte bald unsern Urjädnik. Nachdem er uns erreicht hatte, kletterte er von seinem Pferde, überreichte mir die Zügel des andern und sagte:

»Euer Wohlgeboren! unser Vater schenkt Ihnen dies Pferd und einen Pelz von seiner eignen Schulter.« (An den Sattel war ein Schafpelz gebunden.) »Ferner«, sagte stockend der Urjädnik, »bewilligt er Ihnen . . . einen halben Rubel, aber ich habe ihn auf dem Wege verloren, verzeihen Sie gnädigst.«

Saweljitsch sah ihn schief an und murrte.

»Auf dem Wege verloren! Was aber klimpert dir dort in der Tasche? Gewissenloser Mensch!«

»Was mir dort in der Tasche klimpert?« entgegnete der Urjädnik, der durchaus nicht verlegen wurde. »Gott verzeih dir, Alter! Dort klirrt ein Reitzaum und kein halber Rubel.«

»Schon gut«, meinte ich und unterbrach den Streit. »Danke in meinem Namen dem, der dich geschickt hat, und wenn du auf dem Rückweg den verlorenen Halben wiederfinden solltest, so behalte ihn als Trinkgeld.«

»Ich danke Ihnen sehr, Euer Wohlgeboren,« antwortete er und wandte sein Pferd, »ich werde ewig zu Gott für Sie beten!«

Bei diesen Worten sprengte er von dannen, wobei er die eine Hand in der Tasche hielt und war schon nach einer Minute unseren Blicken entschwunden. Ich zog den Pelz an und stieg zu Pferde, während ich Saweljitsch hinter mir aufsitzen ließ.

»Siehst du nun, Herr,« sagte der Alte, »ich habe dem Betrüger nicht umsonst meine Aufstellung überreicht; der Dieb schämte sich. Wenn diese klapperdürre Baschkirenmähre und der Schafpelz auch nicht die Hälfte dessen wert sind, was uns diese Betrüger gestohlen haben und was du ihnen selber zu schenken beliebtest – immerhin, es wird uns nützlich sein; von einem wilden Hunde kann man nicht mehr als einen Büschel Wolle erhalten.«


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