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Die Mutter läßt die Aepfel abnehmen. Vorsichtig langen die Männer die schönsten mit dem Brecher von den schwerbelasteten Bäumen: die übrigen werden herabgeschüttelt und rollen prasselnd in das schon etwas gelblich gefärbte Gras. Munter springt die Kinderschaar an's Auflesen, um bei jedem neuen Regen unter Jubel und Lachen die Flucht zu ergreifen … Die Sonne scheint goldig und warm, ohne zu belästigen, die Luft ist wunderbar klar und still und von Gebüsch zu Gebüsch ziehen sich feine weiße Fäden – Herbstfäden … Hie und da wiegt sich noch eine Mücke oder Wasserjungfrau in dem durchsichtigen Aether und eine fleißige Biene holt den Honig aus Astern und Georginen …
Selbst der Vater hilft beim Obstbrechen. Er hat heute einmal den Actenstaub von sich geschüttelt, die ernsten Bücher beiseite gelegt, und denkt an nichts, als mit den Seinen fröhlich zu sein. Er gibt sich der seltenen Erholung aus ganzer Seele hin; wenn man ihm zusieht, möchte man meinen, der lächelnde Mann kenne keine größere Sorge, kein wichtigeres Problem, als die prachtvollsten Früchte wohlbehalten von da oben herabzuholen.
Etwas entfernt, am Rande der Rasenfläche, auf welcher sich die Bäume erheben, steht ein zweiter Mann und neben ihm eine schlanke Mädchengestalt, deren feine Glieder ein zartgraues Kleid umhüllt. Ihre großen dunklen Augen ruhen träumerisch auf dem lebensvollen Bilde vor ihr; er aber senkt den Kopf und sein Blick heftet sich mit unaussprechlich tiefer Zärtlichkeit auf sie: »Victorine!«
Sie schrickt leise zusammen und ihre Wangen überzieht so warmes, sammetartiges Roth, wie das dort auf dem großen Apfel, den der Vater eben triumphirend in die Höhe hält. Dann schiebt sie ihren Arm in den seinen, faltet ihre Hände auf dem letzteren und bleibt so fest an ihn geschmiegt.
Die Beiden sind ein Brautpaar! in wenig Tagen wird ihre Hochzeit stattfinden.
Das Mädchen ist die verwaiste Nichte jener fröhlichen Familie dort, in deren Mitte sie nun seit fast Jahresfrist weilt; der Mann ist ein Freund derselben. Hier in diesem Garten haben sie sich kennen gelernt.
Beide sind jung, obschon sie nicht mehr in der allerersten Jugend stehen. Der Sturm des Lebens hat bereits über sie hingebraust und in ihrem Herzen und Geiste seine Spuren zurückgelassen. Das Dasein war für Beide nicht leicht gewesen … wie es das für Keinen ist, der mit idealerfüllter Seele hineintritt in's Leben! – Der Weg, auf den sie zurückblicken, ist mit Trümmern und Schutt besäet … Nun wollen sie sich auf den Trümmern muthig eine Hütte bauen! –
Es ist nicht die vielbesungene erste traumgleiche Frühlingsliebe.
Ueber den Häuptern der Beiden hat die Sonne heiß gebrannt, der Staub des Weges sich schwer auf ihre Brust gelegt, und vor ihren schmerzenden Augen sind längst die rosigen Schleier zu Boden gesunken, die uns Allen die Welt verhüllen, wenn wir am Anfange unserer Laufbahn stehen.
Nicht an hellem Maienmorgen, beim fröhlichen Reigen unter blühenden Blumen sind sie einander begegnet, sondern an schattenlosem Mittag, wo der graue Meilenzeiger einsam den Weg bezeichnet, haben sie sich »gefunden!« … Müde Wanderer Beide …
Aber welches Band ist wohl fester? Jenes, das ein Paar sorgloser, lächelnder Kinder, umkost von der linden, süßen Luft des Frühlings, unter Tändeln und Spielen, halb unbewußt schlingt … oder jenes, wenn auf stürmischem Ocean, umtost von dem Lärm der Brandung, zwei Schiffbrüchige sich die Hände reichen, um gemeinsam zu kämpfen, gemeinsam zu tragen, gemeinsam zu leben … und … gemeinsam unterzugehen!? …
Die Kinder lachen laut auf, denn ein großer dicker Apfel ist dicht neben Hänschen niedergefallen, und der Schreck darüber hat den kleinen Helden gleichfalls niedergezwungen. Plötzlich im weichen Grase sitzend, blickt er ganz verdutzt um sich und erregt dadurch noch mehr die Heiterkeit seiner Geschwister.
Auch das Brautpaar lächelt leise. Aber von dem Kleinen hinweg blicken sie sinnend in die Ferne. Duftig und klar liegt die Landschaft da. Vom Horizont heben sich die blauen Berge ab, deren Spitzen man zu keiner Zeit so deutlich wahrnimmt als zu dieser. Mehr in der Nähe leuchten die rothen Dächer der Häuser, unter deren jedem Menschen wohnen und mit ihnen Freud und Leid, Glück und Unglück, Schmerz und Lachen … Ganz in der Nähe aber streicht ein leiser Luftzug durch die Bäume und macht raschelnd hie und da ein welkes Blatt zu Boden fallen.
Die Braut schmiegt sich noch dichter an den Verlobten und sein Arm legt sich fest um sie. »Ich liebe Dich,« flüstert er leise, wie beruhigend.
Seltsame Poesie des Herbstes, die wie keine das Herz ergreift! Sterben und doch nicht sterben! Vergehen und doch nicht vergehen! Ein ewiger Tod und doch ein ewiges Werden!
Niemals ist das Antlitz der Natur geheimnißvoller denn im Herbste! Und niemals glauben wir – erfüllt von heiligen Schauern – dem Geheimnisse näher zu sein, ohne daß wir es doch je enträthseln könnten!
Kein Atom geht verloren im All; Alles, was welkt, blüht wieder auf, – nichts, das »ist«, kann jemals aufhören zu »sein«!
Wohl! Aber ein ewiger Wechsel vollzieht sich! Was war, kehret wieder, aber – es ist nicht mehr dasselbe! Ich weiß, daß der Frühling Feld und Flur wieder mit Blumen schmücken wird; – aber es sind andere, als die der Winter erstarren gemacht! Ich weiß, daß die kahlen Zweige der Bäume sich auf's Neue mit Blättern bekleiden werden, wenn die Sonne wieder warm scheint; – aber es sind nicht dieselben, die der Herbstwind herabgestreift! …
Es gibt keine völlige Vernichtung in der Natur. Auch das dürre Blatt, das auf die Erde sank, existirt weiter, – nur in anderer Gestalt.
Ja! Aber – wir erkennen es nicht mehr! – – –
Der Mensch gleicht dem Blatte. Der Baum des Lebens bleibt; die Blätter fallen ab! … Was wird aus ihnen?! …
Victorine sieht zu ihrem künftigen Gatten auf: »Das Dasein ist ein unsicher Ding und was darauf folgt, wissen wir nicht! Wir wollen es einander verschönern, so viel wir können; wir wollen einander helfen – es schön zu finden!«
»Ja!« sagte er innig und schloß ihre Hand fest in die seine. –