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Mozart

Mozart.

Geboren den 27. Januar 1756 in Salzburg.
Gestorben am 5. December 1791 in Wien.


Das Kind ist des Mannes Vater.

Lewes.

Es giebt in der Welt der Kunst und Poesie Gestalten, die den Frühlingssonnenschein mit all seinem Zauber hereinbrechen lassen, wenn wir ihre Namen nennen, und die uns eine Welt voll Glück und Jugendglanz bringen in ihren Schöpfungen, die vielleicht längst schon vor uns versank. Gestalten, denen gegenüber wir eine heiße Dankbarkeit empfinden, bis an unser Lebensende. – Zu ihnen gehört in erster Reihe im Reiche der Musik: Wolfgang Amadeus Mozart. Ich meine, wer Ohren hat zu hören, müsse ihn eben lieben aus vollem warmen Herzen, seine Musik kann keinen Feind haben, wie der Mensch im Leben keinen Feind hatte, dessen Bescheidenheit, Frohsinn und Herzenswärme alle seine zahlreichen Biographen einstimmig rühmen. Sein großes Bildniß, aus der Brückmann-Gallerie in München, hängt in meinem Musikzimmer, unter all meinen andern zahlreichen Lieblingen, als einer der Liebsten von ihnen Allen, und wenn das Original vielleicht auch nicht genau so berückend umhergewandelt sein sollte zu seiner Lebenszeit, so hat man doch das Gefühl, in der Erinnerung an die Mozart'sche Musik, daß es eigentlich so und nicht anders ausgesehen haben könnte. – So mußten die Augen blicken, die auf der Partitur des Dou Juan ruhten, so die Lippen lächeln, als die Hand eine Melodie zu der Hochzeit des Figaro niederschrieb und zu dem Goethe'schen Veilchenlied. Man hört eben diesen Mozart noch immer fragen, – wie der wirkliche, lebende Wolfgang Amadeus, überströmenden Herzens unzählige Male gefragt haben soll –: »Hast du mich lieb?«

Und da tönt denn in allen Sprachen noch bis zur Stunde die Antwort zurück, ein brausender Chor, von denen, die das Bild und von denen, die seine Musik kennen: »Ja! Du gottbegnadigtes Menschenkind und tausend und abertausendmal Ja! wir haben Dich lieb – und wie lieb!«

Das schöne Salzburg, wo der gesegnete Süden mit lachenden Augen über die Berge zu schauen scheint, ist Mozart's Geburtsstadt. Sein Vater, Leopold Mozart, war damals Vicekapellmeister des musikfreundlichen Erzbischofs, – von den sieben Kindern, die ihm die treue Lebensgefährtin geboren, war der Wolfgang Amadeus das jüngste. Fünf kleine Gräber lagen auf dem herrlichen Friedhofe da draußen und von dem reichen Segen blieb eben nur Nannerl, die 5 Jahre ältere Schwester, sowie das letztgeborene Wunderkind.

Alle Biographien wissen nur rühmliches aus dem Vaterhause Mozart's zu berichten, Leopold Mozart besaß vorzügliche Charaktereigenschaften, große Energie, Klugheit, Scharfsinn und Fleiß, sowie eine umfassende allgemeine Bildung. Er trieb Latein, beherrschte auch mehrere lebende Sprachen, spielte mit Vorliebe Geige, für die er eine sehr gute Violinschule geschrieben, und man kannte ihn als einen sehr tüchtigen Lehrmeister. Ein wenig Haustyrann scheint er doch gewesen zu sein – Ordnung und Pünktlichkeit in allen Dingen gingen ihm über alles. Das herzenswarme Element vertrat im Hause die heitere, pflichttreue und zärtliche Mutter, die sich nach der alten Art einer schlichten Hausfrau ihrem Manne in allen Dingen völlig unterordnete und stets voll Bewunderung und Vertrauen zu dem Herrn des Hauses aufschaute.

Trotz aller seiner Strenge hingen die beiden Kinder an dem Vater mit großer Zärtlichkeit und unterwarfen sich ihm nach allen Richtungen hin blindlings. Das Haus Leopold Mozart's erscheint als ein Musterbild guter bürgerlicher Einfachheit und zugleich echter Frömmigkeit, die es wie ein Orgelaccord durchzieht zu allen Zeiten. Die Eltern waren gläubige Katholiken und die Kinder wurden es mit ihnen und besuchten an ihrer Seite die Kirche täglich, wie es ihr Cultus gebot. – Das reichbegabte Nannerl war schon vom achten Jahre an eine der besten Schülerinnen ihres Vaters und wenn sie an dem Spinett saß und in ihrer gewissenhaften Weise übte, da hätte kein Spielzeug der Welt den dreijährigen Bruder abgehalten, sein Näschen an die Tasten zu legen, auf denen die Mädchenfinger herumtanzten. War der Knabe allein, dann versuchte er mit den winzigen Händen Accorde zu greifen, oder ließ die Fingerchen über die Tasten stolpern, die Läufer Nannerls nachahmend. Mit heimlichem Vergnügen beobachtete ihn der Vater und spielte eines Tages seinem Wolfgang ein kurzes Menuett vor. – Eine halbe Stunde später spielte das Kind das Musikstück dem väterlichen Lehrmeister mit einer Sicherheit und Grazie nach, als ob er es seit Monaten studirt. »Gieb Acht«, sagte Leopold Mozart nach dieser Erfahrung zu seiner Frau, »aus unserm Jungen wird einmal ein ordentlicher Musikant!« – Nun wuchsen die Stücke, die der Lehrmeister seinem kindlichen Schüler vorlegte, – und wurden immer schwieriger, aber die Kinderhände bewältigten sie alle in kürzester Zeit. Nach kaum einem Jahre dictirte der Knabe dem Vater allerlei Compositionen, die er selber erdacht. Wolfgang Amadeus componirte in der That, ehe er eine Note von der anderen zu unterscheiden vermochte. Mit dem brennendsten Eifer übte er nach Anweisung seines Lehrers und ehe noch der Knabe sein sechstes Lebensjahr vollendet, durfte mit voller Berechtigung Leopold Mozart sein Kind der staunenden Welt zeigen als Clavierspieler.

Kein Vorwurf trifft diesen ebenso gewissenhaften als zärtlichen Vater, die Wunderblüthe dieses Genius durch irgend welche Mittel vorzeitig zur Entwicklung getrieben zu haben, – er sorgte vielmehr für die leibliche Gesundheit seines Sohnes in allen Stadien seines Studiums zu allererst und hielt das Kind eher zurück als daß er es jemals antrieb. – Nie quälte er es durch pedantische Regeln oder pünktliches Einhalten der täglichen Uebungszeit. Er ließ ihm volle Freiheit, weil er fühlte, daß es hier keines Zwanges bedürfe. Ein Vorbild dürfte dieser wackere Mann, der vor der Lichtgestalt des Sohnes sich bescheiden in den tiefsten Schatten zurückzog, für so manchen späteren Wunderkindvater sein, bis auf unsere Tage. Wie manches Talent verkümmerte und verkümmert noch zur Stunde unter der Hetzpeitsche solcher unnatürlichen Zucht jämmerlich, oder vermochte in geringstem Maße nur die Erwartungen zu erfüllen, mit denen man der Entwicklung eines ungewöhnlichen Musiktalents entgegenzusehen ein wohlbegründetes Recht zu haben glaubte.

Die Melodien, die wie lustige Sommervögel sich in dem Kinderköpfchen des kleinen Mozart jagten, versuchte der Knabe endlich festzuhalten, – die Finger nahmen die Feder zur Hand. Ach, wie weit und mühevoll erschien aber der Weg durch die schwarze Fluth des Tintenfasses und wie schadenfroh grinsten die großen Klexe auf dem Papiere den jugendlichen Komponisten an! Und als dann gar noch Thränentropfen in die schwarzen runden Teiche fielen und sie zu See'n werden ließen, da war der kleine Wolfgang kreuzunglücklich. Kein Wischen mit den Händchen wollte helfen, – es wurde Alles nur immer schwärzer, Papier, Finger und – Wangen. Da kam denn der Vater dazu und sah das Tintenunglück und mußte sich gewaltsam zusammennehmen, um nicht zu lachen. »Was machst Du denn da?« fragte er in seiner wohlthuenden Ruhe das erregte Kind.

»Ein Clavierconcert, Papa, – der erste Theil ist bald fertig, – – aber die Tinte! – –« »Nun, gieb es nur her, – es wird etwas Schönes sein!«

»Nein, nein! es ist ja noch nicht fertig und Du kannst es auch wegen der Tinte nicht lesen!«

Der Vater aber nahm es ihm aus der Hand, nie hätte der kleine Wolfgang jemals etwas dem Vater verweigert!

Aufmerksam sah Leopold Mozart es nun durch, – trotz der auseinandergeflossenen Tinte erkannte das Auge des erfahrenen Musikers doch den Gang des Satzes und die Art des Aufbaues und zu den Schmerzensthränen des Sohnes tropften jetzt langsam die Freudenthränen des Vaters auf das Papier. Alles war nach den Regeln der Kunst niedergeschrieben mit staunenswerther Sicherheit, nur fand der Vater dies Opus I unbrauchbar, weil es zu schwer sei. Er sprach das auch aus, – da rief aber Wolfgang Amadeus, glühend vor Eifer und zugleich freudig bewegt, daß die Tintenklexe ohne Schelte geblieben: »Aber Papa! dafür ist es ja ein Concert, man muß so lange fleißig daran üben, bis man's herausbringt!«

»Nun so versuche Du selber Dein Heil, – Du wirst nicht weit kommen!« hieß es endlich.

Da tanzten denn die Kinderfinger über die Tasten und wenn sie auch an manchen Stellen stolperten und nicht vorwärts kamen, so hätte doch jedem Hörer klar werden müssen, was der jugendliche Komponist gewollt. – In das Charakterbild des kleinen Mozart gehört auch eine erstaunliche Begabung für die Mathematik, das Wolferl rechnete so sicher und unfehlbar wie ein alter Zahlenkünstler und löste spielend die schwierigsten Aufgaben.

Mit Vollendung des sechsten Lebensjahres erschlossen sich die Thore der schönen Kaiserstadt an der Donau dem genialen Knaben. Leopold Mozart begab sich zu längerem Aufenthalte mit seiner ganzen Familie nach Wien, um seine Kinder an dem kunstliebenden Hofe Franz I. und seiner geliebten, musikbegeisterten Kaiserin vorzustellen. Die einfachen Coulissen des Salzburger Lebens verschwanden, – eine prachtvolle Decoration wurde eingeschoben und Wolfgang und Nannerl erschienen als Hauptacteure auf der Bühne.

Das erste Geschenk des gütigen Kaisers Franz, der den kleinen Salzburger sofort ins Herz schloß, war ein Staatskleid, nach der neuesten französischen Mode gearbeitet, von blauem Sammet, mit goldenen Borten besetzt, dazu passende Kniebeinkleider, Spitzenmanschetten und Jabot, Schnallenschuhen und seidenen Strümpfen, einem Hut und Porzellandegen. Das schlichte Kind verwandelte sich in einen reizenden Miniatur-Cavalier. Das goldig schimmernde Haar, das sich leicht lockte, wurde in einen zierlichen schwarzseidenen Beutel mit Schleife eingebunden. Der Knabe wurde nun geradezu ein Lieblingsspielzeug des Hofes, sowohl von dem Kaiserpaar selbst, wie von den kaiserlichen Kindern, die mit Niemand lieber sich jagten und haschten wie mit dem Wolferl. Bei solchem fröhlichen Spiel geschah es denn eines Tages, daß der kleine Cavalier auf dem glatten Parquet ausglitt und der Länge nach hinfiel. Nach Kinderart sprangen die Gefährten lachend davon und überließen ihm allein das schwierige Aufstehen. – Aber Eine kam doch zurück, ein reizendes Geschöpf, neigte ihr Köpfchen zu ihm herab und gab ihm die Hand, damit er sich erhebe. »Hast Du Dir auch nicht weh gethan?« fragte eine liebliche Stimme. Das Wolferl erhob sich nun mit Hülfe der Erzherzogin Maria Antoinette, der künftigen Königin von Frankreich. »Nein, ich bin nur ein Wenig erschrocken,« lautete die Antwort, »aber ich danke Dir, Du bist brav und ich will Dich auch heirathen!« –

Die Kaiserin ließ sich den ersten Bewerber ihrer Tochter, die ihr seinen Antrag sofort mittheilte, kommen, liebkoste ihn in gewohnter Weise und fragte ihn voll mütterlicher Zärtlichkeit: »Warum willst Du denn die Maria Antoinette eigentlich heirathen?«

»Aus Dankbarkeit, weil sie so gut gegen mich war,« sagte das Kind ernsthaft.

Der gütige Kaiser selber neckte den allgemeinen Schützling gern. – Eines Tages trat er an das kostbare mit Malereien und Goldeinlagen bedeckte Clavier, an dem der kleine Mozart eben saß und spielte, während die Kaiserlichen Kinder um ihn herumstanden und zuhörten.

Leise legte der Kaiser Franz seine Hand auf die Schulter Wolfgang's und sagte: »Aber mit zehn Fingern allerlei Weisen spielen, das ist doch keine Kunst, wohl aber mit einem Finger, – schau einmal her!« Und er hob den Knaben vom Klavierstuhl und setzte sich selber an seinen Platz, um nun langsam mit einem Finger eine einfache Melodie zu spielen. Das Kind schob sich zwischen die Kniee des Spielers, lächelte ihn an und spielte dann mit einem seiner kleinen Finger eine allerliebste Variation auf dasselbe Thema.

»Nun, es geht ganz leidlich«, meinte der hohe Herr. »Aber könntest Du auch auf verdeckten Tasten spielen?«

»Ich will's einmal versuchen!«

Ein Tuch wurde über die Claviatur gebreitet und das Wolferl spielte, als ob keinerlei Hinderniß da sei, zum größten Vergnügen seines Gönners und seiner Gespielen.

Ein anderes Mal spielte der kleine Mozart wiederum vor dem Kaiserpaar und einem glänzenden Hofstaat allerlei Fremdes und Eigenes, oftmals unterbrochen durch Ausrufungen der Bewunderung. Da plötzlich sanken die Kinderhände von den Tasten, – die Kaiserin legte eben ein Concert ihres Lehrmeisters, des berühmten Theoretikers und Componisten Wagenseil auf das Notenpult. »Wirst Du das spielen können?« fragte die schöne Frau.

»Aber Herr Wagenseil ist ja nicht hier?« antwortete Wolfgang Amadeus. »Kann man ihn nicht holen lassen, wenn ich dies hier versuche? Er versteht es, ob ich's auch recht mache!«

Und nach kaum einer halben Stunde stand der gestrenge Musiker neben dem Clavier und wandte dem kleinen Spieler die Blätter um. Als die bewunderungswerthe Leistung vorüber war, da klopfte der Gefürchtete den Knaben auf die Schulter mit dem heiteren schlichten Wort: »Du hast Deine Sache brav gemacht, mein Sohn!«

Da strahlte das Kindergesicht so sonnig auf, daß die Kaiserin sich niederbeugte, um die Stirn des Wolferl mit ihren Lippen zu berühren, und die Hofdamen sich nur mit Mühe zurückhielten, nicht über ihn herzufallen, um ihn gründlich abzuküssen. –

Unter den vielen und mannichfaltigen Geschenken, mit denen man das Wunderkind in der Kaiserstadt an der schönen blauen Donau überschüttete, befand sich auch eine kleine werthvolle Geige, die irgend ein Musikfreund dem Knaben brachte. Wie ihn dies Instrument interessirte! Er nahm es als seinen kostbarsten Schatz mit zurück nach Salzburg, als die Märchenzeit in Wien vorüber gerauscht war, und trug dies Geschenk sofort zu dem treuesten Hausfreunde, dem fürstlichen Leibarzt Barisam. Mit leuchtenden Augen vertraute er ihm an, daß er lernen wolle, Geige zu spielen, und bat ihn zugleich in seiner zärtlichen, unwiderstehlichen Weise, ihm ein Zimmer zu überlassen zum Ueben, da er den Vater zu überraschen gedenke. Der heitere alte Herr sagte zu. – Ein Lehrer war bald gefunden in einem Schüler Leopold Mozart's, dem jungen Wenzl, und nun warf sich Wolfgang mit der leidenschaftlichen Energie seines Wesens auf das Geigenspiel. In welcher Weise dies wunderbare musikalische Genie auch diese schwere Kunst bewältigte, beweist folgende von einem Mozartbiographen mitgetheilte Geschichte.

Wenzl brachte seinem Lehrmeister eines Tages einige neue Trios eigener Composition, die Leopold Mozart mit ihm und einem anderen tüchtigen Geiger spielen wollte, um sie kennen zu lernen. Man verabredete für die allernächste Zeit die Aufführung. – Als die Ausführenden sich in Mozart's Hause versammelt hatten, erschien auch das Wolferl, seine kleine Geige im Arm, und bat in kindlicher Bescheidenheit, aber mit glühenden Wangen, um die Erlaubniß, die zweite Geigenstimme übernehmen zu dürfen. Der Vater wies ihn lachend ab. – Da brach der Knabe in Thränen aus, und Wenzl, der junge Componist selber, bat für ihn, bis Leopold Mozart endlich sagte: »Nun, so magst Du Dich neben Schlater's Pult setzen und in seine Stimme sehen, aber Du mußt so leise spielen, daß man Dich nicht hört, sonst schicke ich Dich sogleich fort!«

Das Trio beginnt, aber zur grenzenlosesten Verwunderung des Vaters verstummt gar bald die zweite Geige und die Kinderhand führt die Stimme fehlerlos weiter bis an's Ende, und nicht nur bei diesem Trio, sondern auch bei den übrigen.

Da gab es nachher eine Scene voll Rührung und Freude, an der alle Familienglieder Theil nahmen. Der kleine Geigenspieler wurde lebhaft umarmt, besonders von dem überraschten Nannerl, – deren Küsse und Umarmungen das Wolferl stürmisch erwiederte.

In dem Kinde und dem Knaben Mozart treten uns, nach den übereinstimmenden Schilderungen aller seiner Zeitgenossen, eine ungemein lebhafte Empfindung entgegen und das zärtlichste Herz. Es gab für ihn nur eine wichtige Frage, sobald irgend ein Menschenkind, das ihm entgegentrat, ihm sympathisch erschien, sie lautete: »Hast Du mich lieb?« Liebe zu geben und zu empfangen scheint dieser sonnigen Natur Lebensbedürfniß gewesen zu sein und der Ausspruch eines alten Hausfreundes des Mozarthauses bestätigt diese Annahme. Er sagt: »Ich ward dem Wolferl äußerst lieb, weil ich mich viel mit ihm abgab, so daß er mich wohl zehnmal am Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und wenn ich es zuweilen, auch nur zum Spaß, verneinte, standen ihm gleich die hellen Zähren im Ange, so zärtlich, so wohlwollend war sein gutes Herzchen«. – Nun, er hat denn auch durch sein ganzes wunderbares Ich, wie es in all seinen Schöpfungen sich offenbart, Liebe gesäet, in der schönsten Weise und wenn wir unsere Tonmeister vor uns vorbeiziehen lassen, so werden wir gar mancher Gestalt die leidenschaftlichste Bewunderung entgegenbringen, – eine Zärtlichkeit aber, wie sie für unseren Wolfgang Amadeus Mozart in unserem Herzen aufwallt, keinem Zweiten.

In den Jahren 1762-66 führte der Vater seine beiden Wunderkinder in langsamen Etappen nach Deutschland, Holland und Paris zu Concerten. Aber es war weder Eitelkeit noch Gewinnsucht, die den braven Mann dazu veranlaßte, es trieb ihn vielmehr das Verlangen, seinen Sohn den allzueifrigen Studien in Salzburg eine Weile zu entziehen. Wolfgang war daheim nur mit Mühe zu einem Spaziergang oder Ausflug zu bewegen, er hätte am liebsten Tag und Nacht mit Clavier und Geige Zwiesprach gehalten und es bedurfte der ganzen Energie des Vaters und der Bitten der Mutter und Schwester, um den Knaben zu veranlassen, sich einige Ruhe und Erholung zu gönnen. Auf Reisen geschah das von selbst und dabei gerieth er in das höchste Entzücken über all das Neue, das ihnen auf Schritt und Tritt entgegentrat. Die künstlerischen Leistungen beider Geschwister, denn auch Nannerl hatte sich zu einer ausgezeichneten Clavierspielerin entwickelt, erregten überall Enthusiasmus. In Paris, wo sich Vater und Kinder für längere Zeit niederließen, verwöhnte man Schwester und Bruder in auffallendster Weise und erstickte sie fast, bei jeder Gelegenheit, mit Zärtlichkeiten und Bonbons. Das Wolferl sah sich überall zum Herzenskönig erhoben, – seine kindliche Heiterkeit, seine Naivität, die Schelmerei seines Wesens und der Blick der wunderschönen Augen entzückten alle Welt. – In dem einen Moment offenbarte sich bei ihm jenes gottbegnadete Genie, das sonnengleich blendende Strahlen versendete, im nächsten Augenblick lachte, sprang und spielte der wunderbare Pianist und Componist als glückliches Kind mit seinen Altersgenossen, als ob es keinen Contrapunkt und kein Clavier in der Welt gäbe. Im Jahre 1763 erschienen bereits vier Sonaten für Clavier und Geige von ihm.

In diese erste Pariser Zeit gehört ein Brief des, damals auf der Höhe seines Ruhmes stehenden, deutschen Gelehrten Grimm, des geistvollen Freundes eines Rousseau und Diderot. – Er schrieb:

»Die echten Wunder sind zu selten als daß man nicht gern daran glauben sollte, wenn man einmal das Glück gehabt hat, so etwas zu sehen. Ein Capellmeister aus Salzburg, Namens Mozart, ist hier soeben mit zwei ganz allerliebsten Kindern eingetroffen. Seine elfjährige Tochter spielt das Clavier auf eine brillante Manier; mit einer erstaunlichen Präcision führt sie die größten und schwierigsten Stücke aus. Ihr Bruder, der künftigen Februar erst 7 Jahre alt wird, ist eine so außerordentliche Erscheinung, daß man das, was man mit eigenen Augen sieht und mit eigenen Ohren hört, kaum glauben kann. Es ist dem Kinde ein leichtes, mit der größten Genauigkeit die schwierigsten Stücke auszuführen, und zwar mit Händchen, die kaum die Sexte greifen können, nein, es ist unglaublich, wenn man sieht, wie es ganze Stunden hindurch fantasirt und so sich der Begeisterung seines Genius und einer Fülle entzückender Ideen hingiebt, welche er mit Geschmack und ohne Wirrwarr aufeinander folgen läßt. Der geübteste Capellmeister kann unmöglich eine so tiefe Kenntniß der Harmonie und Modulation haben, welche er auf den wenigst bekannten, aber immer richtigen Wegen durchzuführen weiß. Er hat eine solche Fertigkeit in der Claviatur, daß, wenn man sie ihm durch eine aufgelegte Serviette entzieht, er nun auf der Serviette mit derselben Schnelligkeit und Präcision fortspielt. Es ist ihm eine Kleinigkeit, Alles, was man ihm vorlegt, zu entziffern; er schreibt und componirt mit einer bewundernswerthen Leichtigkeit, ohne sich dem Clavier zu nähern und seine Accorde darauf zu suchen. Ich habe ihm ein Menuet aufgesetzt und versucht, den Baß darunter zu legen, das Kind hat die Feder ergriffen und ohne sich dem Clavier zu nahen, hat er dem Menuet einen Baß untergesetzt. Sie können sich wohl denken, daß es ihm nicht die geringste Mühe macht, jede Arie, die ihm vorgelegt wird, zu transponiren und zu spielen, aus welchem Tone man es verlangt. Allein Folgendes, was ich gesehen habe, ist nicht weniger unbegreiflich. Eine Dame fragte ihn letzthin, ob er wohl nach dem Gehör und ohne sie anzusehen, eine italienische Cavatine, die sie auswendig wußte, begleiten wurde. – Sie fing an zu singen. Das Kind versuchte zwar einen Baß, der nicht nach aller Strenge richtig war, weil es unmöglich ist, die Begleitung eines Gesanges, den man nicht kennt, im Voraus anzugeben. Allein sobald der Gesang zu Ende war, bat er die Dame, wieder von vorne anzufangen, und nun spielte er nicht allein mit der rechten Hand das Ganze, sondern fügte zugleich mit der linken den Baß ohne die geringste Verlegenheit hinzu; worauf er zehnmal hintereinander sie ersuchte, von Neuem anzufangen, und bei jeder Wiederholung veränderte er den Charakter seiner Begleitung. Er hätte noch zwanzig Mal wiederholen lassen, hätte man ihn nicht gebeten, aufzuhören. Ich sehe es wahrlich noch kommen, daß dieses Kind mir den Kopf verdreht, höre ich es nur noch ein einziges Mal, und es macht mir begreiflich, wie schwer es sein müßte, sich vor Wahnsinn zu bewahren, wenn man Wunder erlebt.« – –

Zahllose Geschichten dieser Art flattern durch die Biographien unseres Mozart, und nicht nur dieser deutsche Gelehrtenkopf stand auf dem Punkte, »verdreht« zu werden von diesem wunderbarsten und doch kindlichsten aller jener sogenannten Wunderkinder, die je über die Erde gegangen, – wem das Wolferl immer in der Fremde begegnete, den nahm seine Art und sein Wesen gefangen. Die französische vornehme Gesellschaft, wie später die englische und holländische, wurde ihm unterthan. Ueberall überschüttete man die Familie Mozart mit Aufmerksamkeiten, Gold und Ehren, die Herzen aber eroberte sich das Wolferl im Fluge. Wie ihn die Königinnen und Prinzessinnen küßten, herzten und auf den Schooß zogen, so saß er in London auf den Knieen Christian Bach's, des Sohnes des großen Leipziger Cantors, dem er Fugen und Präludien Sebastian Bach's und Händel's vorspielte. Ueberall verdiente er in vollem Maße jenes Lob, das Grimm später über Wolfgang Mozart niederschrieb: »Er ist übrigens«, so lautet die Stelle eines seiner Briefe, »eines der liebenswürdigsten Wesen, das man sehen kann; Alles, was er sagt und thut, ist voll Geist und Gefühl, vereint mit der Anmuth und dem holden Wesen seines Alters. Er benimmt sogar durch seine Munterkeit die Furcht, die man hat, daß seine frühreife Frucht vor der Zeit abfallen möchte: bleiben diese Kinder am Leben, so werden sie nicht in Salzburg sich halten lassen. Bald werden Souveraine sich um ihren Besitz streiten. Der Vater ist nicht nur ein geschickter Tonkünstler, sondern auch ein Mann von Verstand und Geist; nie sah ich einen Mann von seinem Stande oder mit seinem Talent, der so viele Verdienste in sich vereinigte.« – –

Bald lag eben diese Reisezeit nur noch wie ein schöner Traum hinter den Heimgekehrten, sie erstand aber vor der Mutter, die nicht genug hören und fragen konnte, und vor einigen treuen Freunden, die sich mit dem Vater und den Kindern freuten. – Die Uebrigen, denen die erlebten Triumphe der Reisenden zu Ohren kamen, schüttelten die Häupter und lächelten über eine Welt da draußen, in der man zwei Kinder bewunderte, die doch im Grunde nichts weiter konnten, als ganz artig Clavier spielen. Man neidete ihnen aber die mitgebrachten Schätze doch noch mehr als den Ruhm. –

Das Wolferl selber saß gar bald wiederum an seinem Clavier oder hielt seine Geige im Arm, als ob er gar nicht aus Salzburg weggekommen, und sein Lehrmeister, der Organist Eberlein, meinte sogar, er sei noch fleißiger geworden als zuvor. Dabei fand er aber doch zum Glück noch Zeit, mit der Schwester und deren niedlichen Freundinnen auf den Wiesen umherzuspringen oder in den Gebirgen herumzustreichen, gelegentlich auch ein paar Verse an die Eine oder die Andere zu versuchen. Im Winter übte er sich auf den Gassen Salzburg's im Schlittern, warf Schneeballen und half Schneemänner aufrichten, fuhr allerlei Mädchen in kleinen Stuhlschlitten, warf sie gelegentlich um, verdiente sich überall zärtliche Blicke und Küsse und blieb der Liebling von Jung und Alt, Frauen und Männern.

Mit seiner ersten Oper » la finta simplice« ging Mozart voll froher Hoffnungen nach Wien. Aber sie erfüllten sich damals nicht, denn Neid und Cabale verschlossen dem 12jährigen Componisten den dramatischen Kunsttempel, seine Oper wurde bei Seite gelegt. Da nahm ihn die Kirche an ihr Herz. Ein neues Gotteshaus für ein Waisenasyl sollte eingeweiht werden, man gab Wolfgang Amadeus Mozart den Auftrag, für diese Feier eine Messe und ein Posaunenconcert zu componiren, unter der Bedingung, daß er die Aufführung selber dirigire. – Und als der Tag der Einweihung heraufgezogen war, da füllte das musikbegeisterte Wien die heiligen Hallen, daß kein Apfel mehr zur Erde konnte. Der Hof erschien in seiner Loge und die Augen Aller richteten sich erwartungsvoll auf jene zarte Knabengestalt am Dirigentenpult, auf dies junge Angesicht mit dem Stempel des Genie's auf der leuchtenden Stirn. – Ruhig und sicher schwang die kleine weiße Hand den Tactstab, – die Compositionen wirkten mächtig und die Kaiserstadt an der schönen blauen Donau war wieder einmal für eine Weile Mozart-trunken. – –

Das waren jene Jugendblätter mit Goldschnitt aus der Kinderzeit unseres geliebten Mozart, dessen unsterbliche Musik auf unsere Herzen wie Sonnenschein und Frühlingsschönheit wirkt. Wir finden dies Kinderglück in seinen Schöpfungen so oft wieder. – Auch eine frohe zweite Reise- und Schaffensperiode war ihm noch vergönnt, ehe des Erdenlebens schwerer Kampf auch diese Wundererscheinung unerbittlich ihn in seine Kreise zog. Er durfte Italien sehen – als neuernannter Concertmeister des Erzbischofs von Salzburg, in Begleitung des treuen Vaters. Wer war seliger als Wolfgang! Die Reise ging über Bologna nach Rom, – es war das sorglose Umherflattern eines schönen Falters auf blumigen Gefilden an einem leuchtenden Sommermorgen. In wenig veränderter Form wiederholten sich nun die früheren Triumphe, flogen ihm Bewunderung und Liebe zu. Die Theaterdirektoren wurden aufmerksam auf ihn, – die Bestellungen mehrten sich, – eine Carnevalsoper entstand » Lucio Silla«, die man in Mailand aufführte unter großem Jubel, und die reizende Operette » la finta giardiniera«. Italien nannte ihn gar bald » il maëstrino divino«, den göttlichen kleinen Meister. Glückselige Briefe flogen zur treuen Mutter und Schwester nach Salzburg. Sie alle, in ihrer Zärtlichkeit dankbaren Fröhlichkeit, durchzittert aber wie Harfenklang jene Frage des warmen, goldenen Kinderherzens: »Hast Du mich lieb?« – –

Die blumengeschmückten Thore der ersten Jugendzeit schlossen sich nach jener Reise für immer. –

In der Heimathstadt Salzburg fand sich kein Plätzchen, wo der in Italien Gefeierte sorgenlos schaffen durfte. Niemand kümmerte sich um ihn. Man war gewohnt, fremde Capellmeister wie Meteore in der Welt einziehen und vorüberziehen zu sehen, mit einem Gefolge von eigenem Orchester mit einer Equipage mit vier Pferden – und vor Allem mit goldgefüllten Händen. Was wollte, solchem Prunk gegenüber, der jugendliche, bescheidene Deutsche bedeuten? Der lief umher in bescheidenstem Anzug und gab Musikstunden, soviel er ihrer nur bekommen konnte. Was konnte also an dem blassen, schlanken Menschen Besonderes sein? Wäre er wirklich etwas Außergewöhnliches, so würde man ihn doch gleich in Italien behalten haben! Ein hübsches Gesichterl hatte er freilich und dem Blick der großen blauen Augen widerstand nicht leicht Jemand, aber das war – mit dem bischen Clavierspielen – auch so ziemlich Alles, meinten die guten Salzburger damals. Auch in Mannheim, der Residenz des liebenswürdigen, geistvollen Churfürsten Carl Theodor, hatte man nur Versprechungen für den jungen Mozart, deren Erfüllungen offenbar noch in nebelgrauer Ferne lagen. Und so schnürte denn, auf den Rath des Vaters, der Wolfgang Amadeus wiederum sein Bündel und ging auf gut Glück nach Paris. Freilich that er es mit centnerschwerem Herzen, er wäre viel lieber in Mannheim geblieben, wo eben seine künftige Schwägerin, die vielbewunderte Aloysia Weber, nachherige Frau Lange, eine bezaubernde Colloratursängerin, ihm »neue Freuden, neue Schmerzen« brachte und wo er sich und Andere jeden Morgen fragte: »Sprecht, ist das Liebe, was hier so brennt?!« – –

Zum Glück ließ man ihn nicht einsam in die Fremde ziehen. Der Vater kränkelte leider damals, aber die treue Mutter begleitete ihn. – – Ach, in der schönen, großen Seinestadt war's im Grunde nicht viel anders als in der Heimath. Das verhätschelte, einst bezaubernde Kind war zum Jüngling erwachsen, an dem man nichts Besonderes mehr fand. Warum war er nicht in seiner Heimath geblieben? Er mußte doch wohl dort nicht verwendbar gewesen sein?! Was sollte also Paris mit ihm? fragt man. Auch der ehemalige Enthusiast, Herr von Grimm, war abgekühlt. Die Prinzessin von Bourbon, die einst das Wolferl auf ihrem Schooße mit Bonbons gefüttert, empfing ihn, als er sich bei ihr, auf Grimm's Rath, meldete, nicht einmal selber, sondern verwies ihn an ihre Hofdame, eine Herzogin Chabot. Diese nun ließ, – Mozart schilderte diesen Empfang in einem wehmüthig-muthwilligen Briefe seinem Vater, – den jungen Musiker stundenlang in einem eiskalten Salon warten, mit der Anweisung, dort zu verweilen, bis der Herzog erscheine, der eben auswärts beschäftigt sei. – Das Lachen und Plaudern der im Boudoir der Herzogin Versammelten drang zu dem Einsamen, Frierenden wie eine fernere heitere Musik. Der Aermste lief verzweifelt auf dem Teppich auf und nieder in seinem dünnen Röckchen, um sich zu erwärmen. Wie zum Hohn ließ man ihm sagen, er dürfe, damit ihm die Zeit nicht zu lang werde, etwas Clavier spielen. Lange widerstand er der Versuchung, das kostbare, eingelegte Instrument zu berühren, aber immer länger wurden die Blicke, die er ihm im Vorbeirennen zuwarf, bis er endlich, blau gefroren und vor Frost zitternd, vor den Tasten Platz nahm. Ach, die Töne waren zitternd und verstimmt wie der Spieler selber, aber es schien, als ob sie unter diesen Händen sich wandelten, – denn immer schöner und wunderbarer klang es, verlockende Weisen zogen daher. Die frivole Gesellschaft im Boudoir durchschauerte es seltsam und Einer nach dem Anderen schlich sich in das eisige Gefängniß Wolfgang's und lauschte ihm, der Kälte nicht achtend. Der endlich zurückkehrende Herzog aber stürmte herein und nahm den Halberstarrten sofort in seine Arme. – –

» Cher enfant!« ries er zornig, »wie ist man mit Ihnen umgegangen! – Kommen Sie zu mir und erholen Sie sich von dieser Behandlung! Nie soll Ihnen dergleichen in meinem Hause wiederum geschehen!« – –

Chabot war es nun, der den jungen Musiker seinem Freunde, dem Herzog von Guyenes so warm empfahl, daß ihn jenes tonangebende Haus zum musikalischen Lehrmeister der einzigen, reizenden Tochter ernannte, die sehr bald wie alle Andern ein wenig für ihn schwärmte. So fleißig sich die schöne Schülerin auch zeigte, der junge Lehrmeister klagte der treuen Mutter gegenüber sowie auch in seinen Briefen an den Vater: »Ach, sie hat leider keine musikalischen Ideen!« –

In Paris, der diesmal so kalten Fremde, traf den zärtlichsten Sohn der tiefste Schmerz seines Lebens, er verlor die geliebte Mutter durch den Tod. Die brave Frau verbarg vor ihrem Wolferl, mit dem Aufgebot aller ihrer Kraft, ihr immer mächtiger werdendes Heimweh nach dem schönen Salzburg sowie ihre wachsenden körperlichen Leiden und legte mit einem rührenden Lächeln die Hund auf's Herz, um heldenhaft tapfer ihrem angstvollen Pfleger zu versichern: »Es schmerzt nicht!« Der Tod schreckte sie nicht, nur der Gedanke an das Weh der Ihrigen und an die Verlassenheit ihres Sohnes in dem ihr so schrecklichen, fremden Paris, wo die Leute: »kein deutsches Wort« redeten.

Als sie entschlummert war, nahm Herr von Grimm den verzweifelnden Einsamen in sein Haus und redete ihm liebevoll zu, gab ihm aber zugleich den dringenden Rath, sobald wie möglich in die Heimath zurückzukehren und sich dort ernstlich um einen Posten als Organist oder Capellmeister zu bewerben. Ach, es bedurfte keines Zuredens, – die Sehnsucht nach Vater und Schwester erfüllte Herz und Gedanken des Trauernden im Wachen und Traum, selbst die sonst so mächtige Trösterin Musik half nicht, dies Verlangen zu überwinden. So kehrte denn Wolferl am 26. September 1778 nach Salzburg zurück, um sich in den Armen seiner Lieben Trost zu holen und sich wiederum mit voller Kraft und ganzer Seele in das Studium seiner Kunst zu vertiefen.

Auf die dringenden Bitten des Vaters, der sich nach diesem gemeinsamen Schmerz begreiflicher Weise nicht von dem Sohne trennen wollte, nahm Wolfgang eine armselige Concertmeisterstelle an in der Capelle des Erzbischofs mit einem Gehalt von 500 Gulden. –

Während dieser harten Arbeitszeit nun, ohne Hoffnung auf eine bessere Lage, in tiefer, unbeachteter Einsamkeit, entstanden Compositionen über Compositionen, Kammermusik, Clavierconcerte und die Opern »Zaïde« und »Idomeneo«. – Man führte die letztgenannte Oper gar bald in München auf und berief den Componisten, sie dort zu dirigiren. Der Jubel, mit dem man diese Schöpfung aufnahm, beglückte den jungen Dirigenten. Die Welt erschien ihm endlich einmal wieder in Sonnenschein getaucht. Aber diese Sonnentage versanken nur zu bald, und die alte Trübsal, der Frohndienst, nahm ihn wieder in die Arme. Sein Herr, der Erzbischof, nahm den jungen Concertmeister freilich in seinem Gefolge mit nach Wien, aber die schöne Kaiserstadt, an der Wolfgang's ganzes Herz hing, blieb für ihn wie in einem undurchdringlichen Nebel eingehüllt. Keine Fröhlichkeit, kein heiteres Genießen, – nur eine Knechtschaft, noch schlimmer als in Salzburg. Zu jeder Stunde mußte er bereit sein, vor seinem Herrn nach dessen Wunsch zu musiciren oder zu dirigiren, – ohne jemals den Lohn eines anerkennenden Wortes zu empfangen. Dabei durfte Mozart weder ein eigenes Concert veranstalten noch in irgend welchem vornehmen Hause musikalisch auftreten. – Da brach denn die Künstlerseele endlich diese Ketten: – der erzbischöfliche Concertmeister löste seinen Contract, verzichtete auf seine 500 Gulden – und war frei. Aber wie ließ sich's köstlich arbeiten in dieser goldenen Freiheit – wenn auch oft genug ohne irgend welchen Kreuzer in der Tasche! – Belmont und Constanze, diese Oper, über die sich ein blauer Himmel leuchtend ausspannt, entstand in eben dieser Zeit und – ein »Liebchen« fand sich auch, das den Schmetterling festhielt. »Mit tausend Küssen«, wie es in dem köstlichen Liede des alten Wächters heißt, hat Mozart es seiner jungen Frau sicherlich gelohnt. Er verheirathete sich 1782 mit Constanze Weber, der jüngsten Schwester der Sängerin Aloysia, Wolfgang's erster Liebe. – Glücklich waren sie wohl, jene Beiden, aber Frau Sorge blieb doch die Mitbewohnerin dieses Künstlerheims. Fleißiger hat wohl nie ein Genie gearbeitet als der Wolfgang Amadeus, um der geliebten Frau das Leben zu versüßen, und jene tragikomische Geschichte ist leider volle Wahrheit, die da erzählt, daß das junge Ehepaar gar manches Mal im Winter im engen Kämmerlein umhertanzte, um sich zu erwärmen, weil eben kein Holz gekauft werden konnte für den Ofen. –

Von Morgen bis Mittags 2 Uhr quälte sich Mozart Tag für Tag mit seinen verschiedenen Schülern. Nach dem allerbescheidensten Mittagsmahl gönnte er sich nur eine Stunde Ruhe, – dann wurde componirt bis zum Abend. Den Schluß des Tages bildeten entweder Gesellschaften in den Häusern vornehmer Musikfreunde, wo man ihn stets auf das Herzlichste empfing, oder er dirigirte. Seine Oper: »Die Entführung« (Belmont und Constanze) gefiel den Wienern ungemein, – dem Kaiser vor Allem, obgleich er dem Componisten lächelnd sagte: »Es sind aber doch gewaltig viel Noten darin!« Die Antwort lautete: »Aber doch nicht mehr als sein müssen, Majestät!« – –

Kaiser Franz Joseph blieb seinem Lieblingscomponisten von Herzen zugethan. Er liebte die Musik und schrieb zuweilen selber sogar, für seine eigene hübsche Baßstimme, irgend eine kleine Arie in italienischer Manier, um sie im strengsten Incognito dann und wann in irgend welche Oper einführen zu lassen, die man auf dem Theater in Schönbrunn aufführte.

Die Musiker allein wußten darum. Es geschah aber nicht selten, daß solch ein untergeschobenes Kind auch dem Publikum gefiel. Als nun einmal eine dieser Arien besonders freundlich aufgenommen wurde, da fragte der Kaiser am Schlusse der Oper seinen dirigirenden Capellmeister in seiner gewohnten liebenswürdigen Freundlichkeit: »Nun, was sagst Du zu dieser Arie?«

Da haben denn die unwiderstehlichen blauen Künstleraugen den hohen Herrn schalkhaft angesehen und der Wolfgang hat dann frisch und fröhlich geantwortet: »Je nun, die Arie ist wohl gut, – aber der sie gemacht hat, ist doch noch viel, viel besser!«

Im Jahre 1785 entstand das edle Oratorium » Davide penitente« und, ein seltsamer Contrast, der heitere »Schauspieldirector«. In der ersten glänzenden Aufführung in Schönbrunn, dieser sogenannten »Komödie mit Gesang« traten die beiden gefeierten Sängerinnen Cavaglieri und Lange auf, und trotz der Schönheit der Italienerin trug die reizende Aloysia den Sieg davon. –

Zwei Jahre später verlor Mozart den geliebten Vater, der noch kurz vor seinem Tode der Gast des Sohnes in Wien gewesen. – Ergreifend klingt die Klage des zärtlichsten und gehorsamsten Sohnes: »Ach, – ich habe so wenig für ihn gethan und er so viel für mich!«

Nur die Tröstungen seiner jungen Frau und die geliebte Kunst vermochten den Tiefgebeugten allmählich wieder aufzurichten. Ein Brief Wolfgang Mozart's findet sich unter den von ihm hinterlassenen Briefen, der den Vater noch auf dem Sterbebett erreichte und der folgende rührende Stelle enthält:

»Da der Tod, genau zu nehmen, der wahre Endzweck des Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes! Und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat, mir die Gelegenheit zu verschaffen, ihn als den Schlüssel zu unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. Ich lege mich nie ins Bett, ohne zu bedenken, daß ich vielleicht, so jung als ich bin, den anderen Tag schon nicht mehr sein werde.« –

Vier Jahre später war dies wunderbar reiche Leben schon für diese Erde erloschen. – – –

Mozart sah sich genöthigt, jede Bestellung, die ihn erreichte, anzunehmen, um die Noth fernzuhalten von denen, die er liebte. Er componirte, was man eben verlangte, Opern, Symphonien, Messen, Kammermusik, Märsche, Tänze, glänzende Arien für verschiedene, ihn belagernde Sängerinnen und Sänger, – – er hat sogar Stücke für Spieluhren geschrieben. Der Melodienschatz dieser Künstlerseele war eben unerschöpflich und es waren nur Perlen und echte Edelsteine, die er so verschwenderisch verschenkte. Kein Bittender ging von ihm, der nicht bei ihm eine offene Hand gefunden, und nicht nur musikalisch Bittende, auch kein Bettler klopfte umsonst an die Thür dieses warmherzigsten, großmüthigsten Menschen – das letzte Stück Brod war er zu theilen jederzeit bereit und sein »Stanzerl« hatte nur immer zu wehren, daß er nicht seine Kleider vom Leibe weggab. Selten wohl hat das Genie einen solchen Doppelnimbus um sich verbreitet, – neben seiner Größe einen derartigen Zauber echter Herzensgüte, Seelengrazie und hinreißender Liebenswürdigkeit. –

Der Kaiser ernannte nun endlich seinen Liebling zum Kammercomponisten und bewilligte ihm einen festen Gehalt von 800 Gulden! – Unter die erste Quittung über dieses Einkommen schrieb Mozart die Worte:

»Zuviel für das, was ich leiste, zu wenig für das, was ich leisten könnte!« – – –

Als im Frühjahr 1789 Mozart's Hand noch einmal den Wanderstab ergriff, um Concerte zu geben, denn es galt, sich neue Einnahmen zu verschaffen, um der Kinder willen, – hatte doch seine geliebte Frau ihn mit zwei Söhnen beschenkt, – da empfing man ihn überall mit Jubel und entließ ihn mit Trauer. In Dresden, in Leipzig und Berlin erwarb sich seine Persönlichkeit nicht minder als sein Spiel alle Herzen, überall erstanden ihm neue begeisterte Freunde. In Berlin bot ihm Friedrich der Große 3000 Thaler, wenn er die Stelle als Capellmeister annehmen wollte. Aber Mozart lehnte ab mit den Worten: »Soll ich meinen guten Kaiser ganz verlassen?«

»Ueberlegen Sie sich die Angelegenheit«, sagte darauf freundlich der König, »und wenn Sie auch erst nach Jahr und Tag kommen sollten, – ich halte mein Wort!« – –

Ein Jahr später war alle Erdensorge für ihn vorüber.

Und nun blühte es weiter und immer reicher in diesem Wundergarten: »Die Hochzeit des Figaro« wurde niedergeschrieben und »Don Juan« geschaffen. Diese Partitur ist einem Raffaelischen Gemälde zu vergleichen. Keine Schönheit und Tragik in Tönen reicht an dieses Wunderwerk hinan.

Sagte doch der alte Haydn, nach der ersten Aufführung dieser Oper, als man sich mit allerlei Spitzfindigkeiten an ihn herandrängte und um seine Meinung ihn befragte: »Euren kleinen Streit kann ich nicht ausmachen, – aber das weiß ich, daß Mozart der größte Componist ist, den die Welt hat.« – –

Wir vermögen kaum den Reichthum der Schöpferkraft zu fassen, die sich in dieser letzten Daseinsepoche Mozart's offenbart: neben einer Symphonie und verschiedenen Quartetten erstand das melodienfunkelnde Märchen von der Zauberflöte, dann die Krönungsoper la Clemenza di Tito zur Krönung des Kaisers Leopold, auf deren Partitur mancher Thränentropfen fiel, denn Mozart überwand nur langsam das Weh um seinen guten Kaiser – – und nun, zum erschütterndsten Schluß jenes wunderbare Requiem, dessen Töne die Schauer des Todes durchbeben.

Alle Biographen Mozart's erzählen uns die geheimnißvolle Sage von einem unbekannten, düster blickenden Manne, der dies Werk bei dem Componisten bestellte. Sie lautet folgendermaßen:

»Mozart saß einst ganz trübsinnig und krank in seinem Lehnsessel, als ein Wagen vor seiner Wohnung hielt und ihm ein Fremder gemeldet wurde, der ihn zu sprechen wünschte. – Ein unbekannter, ernster Mann, in gesetzten Jahren und dem Ansehen nach von Stande, trat mit den Worten herein:

»Ich komme mit einem Auftrag von einem sehr angesehenen Manne zu Ihnen.«

»Von wem?« fragte Mozart.

»Er will nicht genannt sein.«

»Nun, der Name thut nichts zur Sache, – was steht dem Ungenannten zu Diensten?«

»Eine Todtenmesse von Ihnen. Er hat eine Freundin verloren, deren Andenken ihm unvergeßlich sein wird, und der zu Ehren er diese Trauermesse alljährlich aufführen lassen will.«

»Ich nehme den Antrag an«, – sagte Mozart nach einer gedankenvollen Pause.

»Thun Sie es recht con amore«, erwiederte der Fremde, »Sie arbeiten für einen Kenner.«

»Das ist mir desto lieber.«

»Wie bald können Sie damit fertig sein?«

»In vier Wochen.«

»Und wie hoch schätzen Sie Ihre Arbeit?«

»Hundert Dukaten.«

»Sehr wohl«, sagte der Fremde und zählte alsbald hundert Dukaten auf den Tisch, – »nach vier Wochen komme ich wieder zu Ihnen.« – –

Mozart stand einige Zeit in Nachdenken versunken, – dann lief er an seinen Schreibtisch und fing an, in fieberhafter Eile zu componiren. Seine Gattin bat ihn zärtlich, weniger hastig zu arbeiten, aber umsonst, – – er blieb am Schreibtisch bis tief in die Nacht hinein. – – Tag für Tag beschäftigte ihn nun die Composition des Requiem. Als einst seine treue Gefährtin in ihn drang, sich zu schonen, antwortete er mit Heftigkeit: »Ich setze es für mich selbst, dies Requiem, und muß eilen, damit es zu meinem Begräbniß fertig wird.«

Wirklich fühlte er sich sehr angegriffen und die Arbeit rückte langsamer vor, als er es wünschte.

Mittlerweile waren die bestimmten vier Wochen verflossen und der Fremde erschien, um die bestellte Composition abzuholen.

»Ich habe mein Wort nicht halten können«, rief ihm Mozart erregt entgegen, »meine Arbeit ist noch nicht fertig!«

»Gut Ding will Weile haben,« entgegnete der Unbekannte ernst. »Wie lange glauben Sie, noch daran zu arbeiten?«

»Noch vier Wochen. Ihre Aufforderung hat sehr viel Interesse bei mir erregt und so habe ich mich weiter darin vertieft, als ich Anfangs zu thun gedachte.«

»In dem Fall reicht auch das Honorar nicht,« sagte der Fremde, und legte noch 50 Ducaten auf den Tisch. »In vier Wochen komme ich wieder.« – –

Und so ging er zur Thür hinaus. – –

Constanze lief an's Fenster, um ihm nachzuschauen und den Wagen fortrollen zu hören, – – aber Alles blieb leer und still.

Vier Wochen später lag wohl die Composition des Requiem fast vollendet auf dem Tisch, – – – aber unten vor dem Hause wartete der Leichenwagen auf die irdischen Ueberreste des Genius, der auf Erden den Namen Mozart getragen. – –

Der Fremde ist nie wieder erblickt worden. – –«

Das ist die wörtliche Mittheilung eines alten Biographen, die alle späteren aufgenommen, und genau so lebt sie bis zum heutigen Tage im Munde des Volkes. –

In unseren Tagen erschien ein ergreifendes Bild des großen Malers Muncaczi: der sterbende Mozart. – –

Auch ihm war jene ernste Mythe offenbar bekannt, wie die bedeutsame Schöpfung dies zeigt. Die Partitur des Requiem ruht auf den Knieen des Sterbenden, schon halb Verklärten, – der zusammengebrochen im Lehnstuhl ruht. Die eine der schlanken, vergeistigten Hände blättert in der Partitur, – die andere ist kraftlos am Lehnsessel herabgesunken. – Einige treue Freunde halten Notenblätter in den Händen und singen dem scheidenden Meister irgend eine Stelle aus diesem seinem letzten Werke, – – Constanze lehnt schmerzverloren hinter dem Sessel an der Thür, einer der jungen Söhne drückt sich angstvoll an die arme Mutter. Ueber dem Ganzen schweben, – als Motto, – unserem Ohr und unserer Seele vernehmbar, die heiligen Töne:

» Et Lux perpetua luceat ëis.« –


Ja, das ewige Licht brach so früh herein für ihn, – unseren herrlichen, unvergeßlichen Mozart!

»Hast Du mich lieb?« hat er einst mit seiner Kinderstimme so zärtlich gefragt. – –

Und ich meine, er müsse es hören, wenn es jetzt von unzähligen Stimmen aufsteigt, das jubelvolle, dankbare: »Ja!« für unseren unsterblichen Wolfgang Amadeus. – – –

Eben diesen jungen, begeisterten Mozart, wie er im Herzen der ganzen Welt lebt, hat vor Kurzem erst eines großen Künstlers Hand in Wien plastisch dem Volke vor Augen geführt: Victor Tilgner. Aber er ist heimgegangen, ohne mehr den brausenden Jubelruf zu hören, der die feierliche Enthüllung seiner herrlichen, letzten Schöpfung begleitete, ohne jenen strahlenden, wie auch thränenfeuchten Blicken begegnen zu dürfen, die ihm zu danken versucht haben würden. Aber sein edler Name wird fortan unzertrennlich sein von dem unseres Mozart, – das sagt Alles und ist wohl der beste schönste Dank für den so früh Geschiedenen. – – –

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