Wilhelm von Polenz
Wurzellocker - Erster Band
Wilhelm von Polenz

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Zweites Buch

Fritzens Roman wuchs inzwischen zu einem Umfange heran, der den Autor selbst in Erstaunen setzte. Jeder Einfall lockte neue Einfälle herbei, so daß es war, als habe er – wie er in der Jugend manchmal gethan – zur Sommerszeit bei Nacht das Fenster geöffnet, und nun kamen die Motten und Schmetterlinge scharenweise herbei, vom Strahle der Kerze angelockt. Jede Gestalt seiner Phantasie hatte noch einen Schweif von Kindern und Kindlein hinter sich, wie auf alten Bildnissen die Fürstinnen-Mütter. Er fand es schwierig, dem Gedränge zu wehren derer, die schon da waren und derer, die Einlaß begehrend, von ihm aufgenommen sein wollten in sein Buch.

Sein Geist brütete in einem fort über diesem Werke, selbst wenn er nicht daran arbeitete. Bei Tag und bei Nacht, beim Essen, beim Ausgehen, überall war er bei seiner Arbeit; wie ein Vogel, der ein Nest hat, keine wichtigere Sorge kennt, als Futter herbeizuschleppen für seine Jungen.

Manchmal fuhr er aus dem Schlafe auf mit einer funkelnagelneuen Idee, die ihm im Traume irgendwoher aus der Dunkelheit des Unbewußten gekommen war. Dann lag er stundenlang wach und sann das Erfundene zu Ende, fiebernd vor Erfinderglück, aber im stillen auch wieder qualvoll beunruhigt und bangend, wie sich das Neue einfügen würde in das schon Stehende.

Oder er sah eine menschliche Physiognomie, die ihn frappierte, wurde Zeuge eines scheinbar bedeutungslosen Vorgangs, las etwas ganz Indifferentes in der Zeitung, hörte ein Wort, das vielleicht garnicht für ihn berechnet war, und sofort wurde ihm ein solch harmloses Erlebnis zum Schlüssel für eine Schatzkammer voll goldener Dinge, deren Fülle ihn beängstigte. Wo anfangen, wo enden, wenn er diese Reichtümer einheimsen wollte in seine Scheuern. Jedes Kunstwerk hatte doch seine natürlichen Grenzen; man mußte sich irgendwie beschränken auf das Mögliche.

Da hieß es denn streichen, kürzen, ändern, nachträglich herausnehmen und wieder einfügen, umstellen, stützen, motivieren. Er kam sich oft vor wie einer, der in ein Riesenfaß keltern soll, und jemehr Trauben er sammelt und auspreßt, desto größer und größer wächst das Gefäß, so daß er verzweifeln muß, es jemals gefüllt zu sehen.

Der Verleger Weißbleicher drängte, er wollte das Manuskript haben. Der Termin, zu dem der Roman ursprünglich fertig sein sollte, war längst überschritten. Für den Weihnachtsmarkt konnte das Buch schon garnicht mehr in Frage kommen.

Weißbleicher war sehr ungehalten. Er hielt Bertings Behauptung, daß ihm der Stoff unter den Händen gewachsen sei, für eine Bemäntelung von Schreibfaulheit. Hatte es irgend welchen Sinn, an einem Roman so lange zu düfteln und zu feilen! Das Publikum wollte ja garnichts künstlerisch Vollendetes. Etwas Neues, Überraschendes, Verblüffendes war die Hauptsache. Auf die Feinarbeit im Einzelnen zu achten, hatte der heutige Leser nicht mehr die Geduld.

Darum erschien es Zeit- und Kraftverschwendung, wenn ein Autor lange an seinem Werke herumbosselte. Haushälterisch sein mit den Mitteln, war ein wichtiges Handwerksgeheimnis. Ein Gedanke genügt für ein Buch; kam einem beim Schreiben ein neuer, so notierte man sich den für das nächste. Auf diese Weise konnte man im Jahre ganz gut seine zwei, drei, ja vielleicht sogar vier Romane schreiben. So wurde man populär, bekam einen Namen. Mühelos ging das, man mußte nur fleißig sein. Ökonomie vor allem! Die Reklame besorgte der Verleger. Dann verdiente man spielend einen Haufen Geld.

Das die Geschäftsprinzipien, welche der Verleger dem jungen Autor, als unbedingt zum Erfolge führend, anempfahl.

Fritz Berting hätte über die Ratschläge des emsigen Banausen lachend zur Tagesordnung übergehen können, wenn nicht gerade jetzt die Frage des Geldverdienens abermals brennend für ihn geworden wäre. Rechnungen von Kaufleuten und Handwerkern liefen ein, die bezahlt sein wollten, und in der Ferne drohte schon wieder der Quartalsschluß mit der fälligen Miete. Der Wunsch, durch seine Kunst etwas zu verdienen, wurde Fritz sehr nahe gelegt.

Wenn es nur nicht so schrecklich gewesen wäre, ums Geld zu schreiben. Der Gedanke an den Preis lähmte, statt anzuspornen, er tötete die Fähigkeit des Hervorbringens in ihrem Urquell, der Freiheit. Es schien wie eine Sklavenpeitsche, die über einem geschwungen wurde von unsichtbarer Hand.

Schlimmer aber zu ertragen war das, was in einem selbst bohrte und nagte: der künstlerische Ehrgeiz. Er sehnte sich nach Anerkennung, hatte Hunger nach der süßen Speise des Erfolges. Was war ein Künstler ohne die Resonanz der Menge! Was bedeutete der Dichter ohne das Podium der Öffentlichkeit, von dessen Höhe allein er weithin gehört werden konnte!

Und wenn er sich nun seine künstlerische Laufbahn ansah, war sie nicht ein großer Mißerfolg? Wer wußte denn etwas von dem Dichter Fritz Berting? Ein paar Kenner vielleicht, die seine Gedichte gelobt hatten und ihm bestenfalls ein kleines lyrisches Talent zusprachen. An sein verunglücktes Drama wollte er garnicht denken.

Gleichgültigkeit ist schlimmer als Feindschaft und Verfolgung. Denn in der Feindschaft liegt doch wenigstens Beachtung. Niederdrückend, vernichtend ist das Gefühl: man will nichts von dir, du bist überflüssig, du magst sprechen oder schweigen, weinen oder lachen, niemand kümmert sich darum.

Und dazu in den Blättern lesen zu müssen von den Erfolgen anderer! Was für Leute wurden da als große Dichter gepriesen, was für Erzeugnisse als epochemachende Werke! Jede Woche entdeckte die berliner Kritik ein neues Genie. Kaum wurde ein Buch veröffentlicht, ein Stück aufgeführt, so verkündeten die begeisterungsfähigen Propheten der Presse sofort den Anbruch einer neuen Kunstära.

Er kannte die meisten dieser Leute und wie sie mit einander zusammenhingen, wußte, warum der jenen lobte, warum jenes Werk von diesem Kritiker in Grund und Boden verurteilt wurde. Er sah sie leibhaftig vor sich, die Konventikel, Cliquen, Gesellschaften für gegenseitiges Lob, die das herstellten, was dem Publikum als Kunstkritik vorgesetzt wurde, und was die Menge, wenn sie es gelesen, als ihre eigene Meinung annahm.

Fritz Berting sehnte sich nicht nach dem Berliner Hexenkessel zurück. Er war ja mit versengten Flügeln geflohen aus dieser Hölle, in der so mancher seiner Freunde noch brannte.

 

Wenn Fritz den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen hatte, dann fühlte er sich manchmal in seine Schulzeit zurückversetzt. Wie damals war man nun wieder an sein Pensum gebunden. Freilich jetzt war es ein anderes Arbeiten, ein selbsterwähltes, verantwortungsvolles, klippenreiches. Statt der Censur des Lehrers standen die Selbstkritik, der Zweifel am Gelingen als viel härtere Zuchtmeister im Hintergrunde. Für den Schüler war die Arbeit Zwang, die freie Zeit Glückseligkeit gewesen. Heute waren Arbeit und Freiheit gleichmäßig von Sorgen durchsetzt, und von jenen unsichtbaren Ketten gebunden, welche wir uns selbst, ohne es zu wissen und zu wollen, mit den Jahren schmieden.

Das Leben, das Fritz und Alma führten, war jetzt, wo die kalte Jahreszeit angebrochen, noch einförmiger als im Sommer, wo es doch hie und da ein Spaziergang oder ein Ausflug unterbrochen hatte. Früh kaum erwacht, nachdem man eine Tasse dünnen Kaffees hinuntergestürzt hatte, ging er an den Schreibtisch, sie zu ihrer Nähmaschine. Bis zum Mittag wurde ohne Unterbrechung gearbeitet. Dann eine halbkalte Mahlzeit, die man aus einer nahen Speisewirtschaft holen ließ. Darauf ging Fritz aus, um sich mit Lehmfink im Café zu treffen. Dann wieder ein paar Stunden Arbeit; wenn Fritz es nicht vorzog, auf dem Sofa liegend eine Cigarette an der andern anzuzünden, über sein Buch nachzudenken oder auch Grillen zu fangen, je nachdem seine Laune war.

Des Abends in ein feineres Lokal der inneren Stadt zu gehen, wie man es früher wohl gethan, verboten die Kassenverhältnisse. Man blieb lieber in der wohlfeilen Gegend, in der man gekannt war, und wo man, wenn das Geld einmal ganz ausgegangen, Kredit erhielt.

Wer ihm das vor einigen Jahren gesagt hätte, daß seines Vaters Sohn einmal dahin kommen würde, Abend für Abend in ein Bierlokal zu gehen, wo als Stammgäste Fabrikarbeiter, Handwerksgesellen, Ladenjünglinge verkehrten, eine Gesellschaft, in der der Unteroffizier als Standesperson hervorragte!

Anfangs hatte ihn das Unästhetische dieser Atmosphäre gestört: der Geruch von Bier und Speisen, der Dunst von Fünfpfennig-Cigarren, der ordinäre Ton, der schmuddelige Anstrich des Ganzen. Mit der Zeit aber fand er sich wohl oder übel darein. Manchmal fühlte er sogar ein gewisses, dem Gegensatz zum Gewohnten entspringendes Gefühl des Behagens in dieser Umgebung. Hier konnte er seine Studien ergänzen. Dieses Völkchen ahnte nicht, daß ein beobachtendes Auge auf ihm ruhe; sie zeigten sich völlig ungeniert in ihren primitiven Bedürfnissen und harmlosen Belustigungen, Liebeleien, Eifersüchteleien, gedankenlos sich schlagend und vertragend, wie es einer ohne Erziehung und ohne Sittenkodex aufgewachsenen Klasse eigen ist.

Den ganzen Abend spielte hier ein soeben aufgestelltes Orchestrion allerhand Gassenhauer, oder auch Partieen aus bekannten Opern. Viele lockte das nach »Stadt Paris«. Niemand von den Gästen schien dieses monotone Geräusch als Karikatur von Musik zu empfinden. Und auch Fritz, der doch musikalische Kultur hatte, war bald soweit, daß ihm etwas fehlte, wenn das Instrument wegen Mangels an Gästen einmal nicht in Gang gesetzt wurde.

Fritz und Alma hatten ihren Platz für sich. Sie sprachen mit niemandem, aber bald waren sie mit den Physignomieen der Stammgäste vertraut und hatten allerhand Eigentümlichkeiten an ihnen entdeckt, die zu beobachten harmlose Belustigung gewährte.

Da war ein Liebespärchen, dessen Verkehr darin bestand, daß er wortlos ein Gericht der Speisekarte nach dem andern verschlang, während sie stumm dabei saß, und ohne selbst irgend etwas zu genießen, sich mit seligem Lächeln an dem Anblick seines Appetits sättigte. Ein junger Commis mit durchgezogenem Scheitel im pomadisierten Haar, der die Anknöpfmanschetten unter den Ärmeln hervorzuziehen pflegte und einen großen Glasdiamanten in der bunten Krawatte trug, kam des Büffettfräuleins wegen und ließ dieser fetten, sehr viel gähnenden Schönheit zuliebe namhafte Summen aufgehen. Ein älterer Mann im Arbeitskittel war das Ärgernis von Wirt und Kellner, weil er den ganzen Abend über nur einen Schnitt Bier trank, dazu selbst mitgebrachtes trockenes Brot und Käse verzehrte, dafür aber sämtliche im Lokale ausliegende Zeitungen durchlas.

Alma war groß im Herausfinden solcher Züge. Sie hatte den offenen Blick des Naturkindes, das alles bemerkenswert findet. Fritz mußte sich sagen, daß er im Beobachten ein Stümper sei gegen das Mädchen. Auch die Schlüsse, die sie aus reinen Äußerlichkeiten auf Charakter und Wesen der Menschen zog, überraschten ihn oft durch ihre Richtigkeit. Ihre Sinne waren unblasiert, und dazu besaß sie jene durchaus weibliche Genialität, zwischen sich und der Umgebung sofort ein Verhältnis herzustellen.

Das Mädchen hatte wahrhaftig nicht viel Spaß vom Leben: den ganzen Tag über Arbeit und Plackerei, des Abends als einzige Zerstreuung stundenlanges Sitzen in einem raucherfüllten Raume. Aber sie wußte aus der geringsten Blume noch ihren Honig zu saugen. Wenn sie lachend ihre schönen Zähne zeigte, konnte man nicht gut griesgrämig sein. Es lag etwas Ansteckendes in der Anspruchslosigkeit dieses sonnigen Temperaments. Fritz nannte sie eine »kleine Lebenskünstlerin«, weil sie es so meisterhaft verstehe, sich den Verhältnissen anzupassen und den Augenblick auszukosten.

Alma und Fritz hatten sich, nachdem sie eine Zeit lang in ›Stadt Paris‹ verkehrt, so sehr an das dort aus- und eingehende Publikum gewöhnt, daß ihnen jeder neue Gast sofort auffiel. Und auch sie waren dort bekannte Persönlichkeiten geworden. Daß Alma häufig bewundernd angestarrt wurde, war für Fritz nichts Neues. Solche von Neid nicht immer freien Blicke erhöhten das Glücksgefühl sicheren Besitzes.

Nur eines Abends fand er das Benehmen eines Gastes doch etwas dreist. Ein junger Mann, der erst an einem entfernteren Tische gesessen hatte, von wo aus er Alma unausgesetzt fixiert, erhob sich, als in ihrer Nähe ein Platz frei wurde, und ließ sich dort nieder, in der kaum mißzuverstehenden Absicht, dem Gegenstande seines Interesses näher zu sein.

Er war seiner Kleidung nach zu schließen ein Mann des besseren Arbeiterstandes. Fritz fiel das hastig scheue Wesen des langaufgeschossenen, schmalbrüstigen Gesellen auf, der auch auf seinem neuen Platze keine rechte Ruhe fand. Sobald man ihn ansah, blickte er in eine andere Richtung, wie auf Unrecht ertappt. Dann wieder hob er sein dunkles, tiefliegendes Auge und ließ es glühend auf Alma haften.

Hatte man es mit einem Kranken zu thun? Der Mensch zeigte jene bläulich-weiße Gesichtsfarbe eines, der kürzlich aus einer Anstalt entlassen.

Das Benehmen des Burschen erregte die Aufmerksamkeit auch der anderen Gäste. Alma hatte ähnliche Aufdringlichkeiten sonst mit Gleichmut hingenommen; heute zeigte sie sich peinlich berührt. Röte des Unwillens war ihr ins Gesicht gestiegen.

Fritz wollte dem Wirt ein Zeichen geben, den lästigen Gesellen zu entfernen, aber das Mädchen bat inständig, er möge doch keinen Aufstand erregen; man wolle lieber gehen.

An keinem der nächsten Abende sah man den sonderbaren Heiligen wieder, und Fritz verlor den kleinen Zwischenfall schnell aus dem Gedächtnis.

* * *

Der Dichter Karol, alias Siegfried Silber, kam eines Tages zu Fritz. Er brachte ein Paket, das er vorläufig noch in seinem Umschlage ließ. Trotzdem er offenbar bemüht war, indifferent zu erscheinen, konnten die unruhig funkelnden Augen des kleinen Mannes das Interesse nicht gänzlich verleugnen, das er hier an allem nahm.

Fritz Berting war froh, Alma sicher hinter ihrer Nähmaschine jenseits des Korridors zu wissen; ihm lag gar nichts daran, jenen eingeweiht zu sehen in seine häuslichen Verhältnisse.

Er bot dem Kollegen einen Stuhl an. Silber behauptete zwar, es eilig zu haben und um keinen Preis stören zu wollen, er wisse aus eigener Erfahrung, wie peinigend es sei, aus der künstlerischen Stimmung gerissen zu werden, aber schließlich nahm er den Stuhl doch an und blieb sogar ziemlich lange darauf sitzen. Er freue sich so sehr, Herrn Berting einmal allein sprechen zu können, sagte er.

Fritz wußte ganz gut, warum jener das »allein« so stark betonte. Mehr als einmal nämlich war man sich in dem Café begegnet, wo Fritz Berting und Doktor Lehmfink einander zu treffen pflegten. Einmal hatte sich Silber unaufgefordert an den Tisch der beiden gesetzt, aber es wurde ihm zu verstehen gegeben durch kurz angebundene Antworten und frühen Aufbruch, daß man auf seine Gesellschaft keinen Wert lege.

Fritz hatte die Behandlung, die man dem kleinen Manne damals angedeihen ließ, eigentlich ungerechtfertigt hart gefunden. Lehmfink trug Schuld daran, dem, wie er selbst gestand, dieser Kollege im höchsten Grade wiederwärtig war.

»Der kleine Siegfried Silber ist eine Reporternatur,« hatte Heinrich Lehmfink erklärt. »Du brauchst nur seine Augen anzusehen, Berting! Ohne das Taschenbuch zu ziehen, macht er sich beständig Notizen. Zufällige Bemerkungen anderer bügelt er frisch auf, und bringt sie als eigenes Patent in den Handel. Wenn du dich heute mit dem Menschen über ein litterarisches Thema unterhältst, so kannst du es erleben, wie es mir ergangen ist, nach einiger Zeit einen schlechten Aufguß deiner Ideen in irgend einem Feuilleton wiederzufinden. Er hat ja seine Laufbahn im Kleidermagazin des Vaters begonnen; seine litterarischen Gewohnheiten erinnern daran. Er hätte besser gethan, beim Trödlergewerbe zu bleiben; in der Litteratur kann er nur Schaden stiften. Mit seinen emsigen Fingern versucht er sich an allem, am Größten wie am Kleinsten. Nichts giebt es, wozu er nicht den Beruf in sich fühlte. Er wird nie um Einfälle verlegen sein. Ich will ihm nicht Fleiß absprechen und geistige Beweglichkeit, auch ein gewisses Geschick zum Kombinieren ist ihm eigen, ein ganz nettes Jongleurtalent, aber er soll mir den ersten originellen Gedanken nachweisen, der von ihm selbst stammt. Dagegen hat er die feinste Witterung für das, was zeitgemäß ist und was Erfolg verspricht.«

Hier hatte Fritz dem Freunde widersprochen. Nach Erfolg streben sei schließlich nichts Unrechtes, in seiner Weise thue es jeder. Silber aber, dem obskuren Feuilletonisten oppositioneller Organe, die unter dem Sozialistengesetze in steter Gefahr schwebten, kassiert zu werden, könne man nicht gut den Vorwurf machen, daß er Opportunist sei.

Lehmfink hatte gelächelt und erwidert: »Es ist richtig, mit den regierenden Gewalten kokettiert Siegfried Silber nicht; vielmehr drapiert er sich mit dem roten Mantel. Wie lange, wird sich zeigen! Vielleicht thue ich ihm Unrecht; aber ich müßte mich sehr täuschen, er kommt sich als Revolutionär bedeutend und höchst interessant vor. Auch darin schlägt bei ihm die Rasse durch, in diesem Agieren einer freiheitlichen Rolle. Wenn es ihm gar gelänge, eine Märtyrerkrone sich zu erwerben, so wette ich, würde er sie in Gold umzumünzen verstehen.«

Fritz Berting mußte an diese Worte denken, als Siegfried Silber jetzt vor ihm saß, in gesucht devoter Haltung. Ein Mensch, dessen letzte Motive schwer zu ergründen waren. Er kam vom Hundertsten ins Tausendste; erzählte von seinen literarischen Absichten, seinen volkserzieherischen Plänen, sprach von dem Arbeiterbildungsverein, dessen »geistiger Mittelpunkt« er sei. Dazwischen immer Fragen nach der Ansicht des anderen und dann jener lauernde Blick, mit dem er die Antwort gewissermaßen einsaugen zu wollen schien. Lehmfink hatte vielleicht doch nicht so ganz unrecht, obgleich bei dem Urteil über einen Siegfried Silber sein Antisemitismus mit in Betracht zu ziehen war.

Schließlich merkte Silber doch, daß er lange genug geblieben sei. Er sprang auf, bat um Entschuldigung. Es sei ein wahrer Hochgenuß, sich »mit einem Ebenbürtigen« zu unterhalten; ein Glück, das ihm so gut wie niemals blühe. – Dann schnürte er das Paket auf, welches er die ganze Zeit über in den mageren, unruhigen Fingern gehalten hatte, und legte ein Manuskript auf den Tisch. Dies sei sein Roman: »Im Getto«. Es liege ihm außerordentlich viel daran, Herrn Bertings Ansicht darüber zu hören. Er lasse das Manuskript hier und sehe mit Spannung dem Urteil entgegen.

Fritz Berting war nicht gerade entzückt von der Aussicht, sich durch den umfangreichen Stoß eng beschriebenen Papiers durcharbeiten zu müssen. Er ließ das Manuskript über eine Woche lang unberührt liegen, bis er eines Tages, als die eigene Arbeit durchaus nicht in Fluß kommen wollte, nach dem »Getto« griff, erst darin herumblätternd hie und da zur Stichprobe ein paar Zeilen lesend. Dabei wurde sein Interesse rege. Er begann von vorn und legte erst spät abends das dicke Manuskript weg, bis zur letzten Zeile durchgelesen.

Der Roman schilderte die Schicksale eines modernen Juden, der sich vom kleinen, ärmlichen Bocher emporgearbeitet hat, aus eigener Kraft zum reichen, einflußreichen Manne. Trotz seines Erfolges ist das Geschick des Helden ein tragisches. Die Welt beugt sich vor seiner Überlegenheit, man fürchtet ihn, aber liebt ihn nicht, und gerade Liebe ist es, was er sucht. Geheime Neigung treibt ihn zu dem Volke, in dessen Mitte er lebt. Er will nicht ein Fremder bleiben, er will angesehen sein von ihnen als ihresgleichen.

Aber überall stößt er auf Verkennung, Widerwillen, Haß, Verachtung. Ein junges Mädchen aus christlicher Familie, um dessen Hand er wirbt, weist ihn ab. Ein Freund, in dessen Adern blaues, arisches Blut fließt, den er vom Bankerott gerettet, verleugnet ihn schnöde. Er erstrebt ein Ehrenamt in seiner Heimatgemeinde, um die er große Verdienste hat, muß aber erfahren, daß man sein Geld zwar gern annimmt, die Ehren des Vollbürgers ihm zuzuerkennen jedoch nicht gesonnen ist.

Überall die Schranken des Gettos, die noch lange nicht beseitigt sind in unseren Tagen, und die um so drückender und erniedrigender wirken, weil sie nicht mehr als eine weithin sichtbare Mauer, sondern mehr wie eine gläserne Wand Mensch von Menschen, Rasse von Rasse scheiden.

Das Buch schließt damit, daß der Held das zu sein sich vornimmt, wozu ihn die christliche Gesellschaft gemacht hat: ein kalter, gefühlloser Feind und Schädling, ein Vampyr am fremden Blute, kurz, ein Jude, wie er vom Antisemitismus als typisch für das ganze Volk hingestellt wird.

Offenbar hatte Silber viel Selbsterlebtes in das Buch verarbeitet. Darüber verzieh man Übertreibungen und Ungerechtigkeiten. Fritz hatte öfters lächeln müssen über die Verzeichnungen, die dem Autor vor allem dort begegnet waren, wo er das Leben der guten Gesellschaft hatte darstellen wollen. Silber kannte die höheren Stände jedenfalls nur vom Hörensagen. Das vornehme Milieu war aus der Froschperspektive gesehen und mit der Feder des Pamphletisten geschildert. Echt wirkte er nur da, wo er die Geistesverfassung des Helden schilderte, die Zerrissenheit seiner Seele, das Schwanken zwischen Haß und Zuneigung gegenüber dem Germanentum, die Liebe zum eigenem Volke als ganzem, aber auch die instinktive Abneigung gegen den einzelnen Semiten, der durch Erscheinung und Wesen den Volksgenossen an die verhaßten Sklavenketten erinnerte, die man trug. Die tiefe Zwiespältigkeit im jüdischen Charakter war hier von einem geschildert, der sie im eigenen Gemüt erlebt hatte.

Nimmermehr hätte man Silber eine solche Leistung zugetraut. Dies hier war wohl einer von jenen glücklichen Griffen, die dem Künstler nur selten vergönnt sind und immer nur dann, wenn der Geist voll ist von unverarbeiteten Eindrücken, die sich mit Naturkraft in einem Bekenntnisse entladen. Daher die Übertreibungen und Unwahrscheinlichkeiten, aber auch die Unmittelbarkeit und die Kühnheit des Buches. Das war wirklich mit Herzblut geschrieben, mochte Lehmfink den kleinen Silber zehnmal einen Plagiator nennen, hier hatte er etwas wiedergegeben, was ihm vom Geschick mit brennenden Lettern auf die Haut geschrieben worden war.

Fritz entsann sich noch deutlich der nervösen Geste, mit der Weißbleicher damals Karol aufgefordert hatte, sein Manuskript abzuholen. Jetzt, wo er es gelesen, konnte sich Fritz schon denken, warum gerade dieses Buch peinlich auf Weißbleicher und seine Art wirken mußte. Weil es ein Bekenntnis geheimer Leiden war, weil einer da aus der Schule schwatzte über Dinge, welche alle Eingeweihten kannten, die öffentlich ausgesprochen zu sehen aber doch genierte. Daher des klugen Verlegers mißbilligendes Urteil: »Das Publikum will nun mal solch unsympathische Stoffe nicht.«

Fritz Berting brachte das Manuskript dem Dichter persönlich zurück. Siegfried Silber bewohnte ein winziges Zimmer im vierten Stockmerk einer Mietskaserne. Die Luft war schlecht, und der Raum machte nicht gerade einen sauberen Eindruck. Fritz fand, daß seine eigene Wohnung, die ihm bisher ärmlich genug vorgekommen war, gegen dieses traurige Gelaß gehalten, elegant und komfortabel sei. Dem Bett konnte man nur den einen Vorzug nachrühmen, daß es wenig Platz wegnehme. Ein schmaler Tisch, der noch dazu wackelig war, mußte als Waschtisch und zugleich als Schreibsekretär dienen. Kleider und Wäsche lagen in einer offenen Holzkiste. Ein eisernes Öfchen war zwar da, aber Silber entschuldigte die Kälte im Zimmer damit, daß er nicht zu heizen wage, da der sogenannte Ofen an Stelle von Wärme unerträglichen Rauch verbreite. Der kleine Mann trug über dem Nachthemd von fraglicher Sauberkeit den Winterüberzieher. Er hatte geschrieben. Auf dem wackeligen Tisch lagen die Manuskriptbogen, daneben stand die Theemaschine; außerdem machten Tintenfaß, Haarbürste, einige Hemdkragen, Butterbüchse und ein angeschnittenes Brot sich den Platz auf der Tischplatte streitig. Das einzige prächtige, was es in dem ganzen Räume gab, war ein Bücherbrett mit neuem Konversationslexikon, von dem ein Band, wohl eben benutzt, bei dem Manuskript lag.

Fritz hatte schon manche Bohemien-Wohnung gesehen; er wunderte sich daher nicht allzusehr über das, was er hier fand. Er legte sein Paket auf das Bett und setzte sich selbst auf den einzigen vorhandenen Stuhl. Der Dichter des »Getto« aber war über den Besuch so in Ekstase, daß er es auf dem Bett nicht lange aushielt. Wie er es fertig brachte, sich in dem engen Raume zu bewegen, war ein Rätsel, aber tatsächlich lief er, während Fritz seine Ansicht über den Roman aussprach, hastig auf und ab.

Als Fritz geendet, hielt ihm der Autor mit theatralischer Gebärde die Hand hin zum Einschlagen, und dankte mit Worten überschwänglicher Freude. Nun sei es ihm ganz gleichgültig, ob sein Roman gedruckt werde oder nicht. Was könne dem Stolze, der Genugthuung gleichkommen, daß ein »Eigentöner« ihn anerkenne. Jetzt habe sein Werk die Weihe erhalten, und er scheue sich fast, es nun noch dem profanen Lesepöbel vorzulegen.

Fritz suchte das Gespräch auf anderes Gebiet zu lenken in der Sorge vor weiteren Liebeserklärungen. Aber der geschmeichelte Autor ließ ein Thema, das ihm so gut mundete, nicht ohne weiteres fahren. Immer und immer wieder fragte er: welche Partieen des Buches Fritz am besten gefallen hätten, was er von der und der Stelle, von diesem und jenem Charakter halte. Mit einer Gier, die der Komik nicht entbehrte, stürzte er sich auf jeden Brocken der Anerkennung, der ihm dargereicht wurde.

Ein Paar Tage darauf erhielt Fritz einen Brief von Siegfried Silber, in welchem dieser ihn einlud, einem Vortrage beizuwohnen, den er im Arbeiterbildungsvereine über Heinrich Heine halten wolle. Fritz war sofort entschlossen, die Einladung abzulehnen. Einmal wollte er den allzu beifallssüchtigen Kollegen um keinen Preis in seiner Eitelkeit bestärken, und dann behagte ihm auch das Milieu nicht, in dem der Vortrag stattfinden sollte. Er hegte für den Verfasser des Buches der Lieder, den er in einer gewissen Periode seines Lebens vergöttert hatte, soviel Dankbarkeit und Liebe, daß er ihn nicht gern profanisiert sehen mochte. In Berlin war er mit jenen Bestrebungen flüchtig in Berührung gekommen, welche die Devise: »Die Kunst dem Volke« auf ihr Panier geschrieben haben. Er hatte sich nicht davon überzeugen können, daß hierbei etwas Heilsames herauskomme. Als Mittel zum Zweck war ihm die Kunst zu schade, sie hatte höhere Aufgaben zu erfüllen, als Schulmeisterin der Massen zu sein. Wohl konnte man die Poesie herabdrücken von ihrem erhabenen Sockel, aber nimmermehr den Proletarier zu ihr emporziehen. Denn aller wirklich reine Kunstgenuß setzte ästhetische Kultur voraus, und die war von Menschen nicht zu verlangen, deren Tag im Kampf um das Brot aufging.

Er schrieb etwas Ähnliches an Silber und dankte ihm für seine freundliche Einladung, von der er jedoch keinen Gebrauch machen könne.

Während dieser Briefwechsel geführt wurde, sah Fritz den Dichter Karol täglich von weitem im Café. Man grüßte sich, aber an den Tisch von Berting und Lehmfink wagte er sich doch nicht ein zweites Mal heran, obgleich sein spähender Blick oft genug voll schlecht verhehltem Interesse da hinüber wanderte, wo die beiden saßen.

Eines Tages jedoch, als Lehmfink, abgehalten durch irgend einen Zufall, dem Café ferngeblieben war, kam Silber zu Fritz heran und fragte gesucht bescheiden, ob er sich heute ausnahmsweise an den Tisch setzen dürfe. Diese Bitte konnte nicht gut abgeschlagen werden.

Es war der Tag, an dem abends der Vortrag im Arbeiterbildungsvereine stattfinden sollte. Silber bestürmte Fritz zu kommen. Ganz gut könne er zwar die Auffassung verstehen, wonach die Kunst Kaviar ist fürs Volk; ja, bis zu einem gewissen Grade teile er sie. Denn auch er sei Künstler, habe empfindliche Nerven, und der Gedanke, die Poesie zu erniedrigen, erscheine ihm, als solle eine geliebte Person vor seinen Augen geschändet werden. Aber eins bitte er doch zu bedenken: es handle sich hier um eine »Menschheitsangelegenheit«. Die soziale Frage sei nicht so sehr eine Magenfrage, als das unwiderstehliche Drängen der unteren Schichten empor zum Licht. Der Anteil an den Glücksgütern der Welt sei den Proletariern versagt, solle ihm auch noch der Weg versperrt bleiben, der zu Schönheit führe, zur Freiheit im Geist? – Wenn die oberen Zehntausend dem Sehnen des Volkes nach Erlösung von jahrtausende altem Druck in frivoler Weise mit dem Sozialistengesetze geantwortet hätten, so sei es officium nobile der Intellektuellen, sich der Mißhandelten anzunehmen. Das Höchste müsse man ihnen reichen: die Kunst. Und wenn diese Ärmsten zunächst auch noch unfähig erscheinen sollten, die köstliche Gabe ganz zu erkennen, ihr feinstes Aroma zu genießen, so sei der Wein darum doch nicht verschüttet. Wenn ihnen nur eine Ahnung davon aufgehe, daß es über dem Kampf ums Dasein noch ein höheres Reich gäbe ästhetischer Begeisterung, so wäre schon viel gewonnen. Den geistig Armen ein Fenster zu öffnen nach dieser Richtung hin, das sei die Aufgabe, die er sich gestellt habe, und er glaube nicht ganz unbegabt für solche Mission zu sein. Doch liege ihm unendlich viel daran, von einer hochgebildeten Persönlichkeit zu erfahren, ob seine Methode die richtige sei. Kurz, es würde ihm zur höchsten Genugthuung gereichen, wenn er von Berting, der ihm schon über seinen Roman das wertvollste Urteil gegeben, nun auch über diese Seite seiner Thätigkeit etwas Maßgebendes zu hören bekäme. –

Der kleine Mann besaß eine Art aufdringlicher Beredsamkeit, der man sich schwer zu entziehen vermochte. Fritz Berting lächelte über die Geschicklichkeit dieses Menschen und über die eigene Schwäche. Sich so einfangen zu lassen! – Aber er sagte schließlich zu, schon um der Unbequemlichkeit zu entgehen, gegen den zungengewandten Silber die Gründe seines Fernbleibens noch weiterhin verteidigen zu müssen.

Er begab sich in der neunten Abendstunde nach dem Restaurant, welches ihm als Versammlungslokal des Arbeiterbildungsvereins bezeichnet worden war, ohne sich allzuviel Genuß von dem Abend zu versprechen.

In einem kleinen Saale, in dessen Mitte ein langer Tisch aufgestellt war, fand er etwa drei Dutzend Männer versammelt. Man sah ihnen die Arbeiter durchaus nicht auf den ersten Blick an. Nichts war da von groben Manieren, von überlauten Stimmen, nichts vom Schweiß und Staub der Arbeit zu merken, ohne die mancher Gebildete sich den Proletarier nun einmal nicht denken kann. Im Gegenteil! In ihrem ganzen Wesen und Auftreten hoben sie sich vorteilhaft ab von dem formlosen Sich-gehen-lassen des Mittelstandsphilisters. Man hatte es mit Leuten zu thun, die das, was sie sich an Bildung mühsam genug erworben hatten, mit doppelter Sorgfalt wahrten. In der Art, wie sie ihre korrekten Perioden bauten, wie sie jedes Wort mit peinlicher Genauigkeit aussprachen, verriet sich geheime Sorge vor Sprachfehlern, die sie hätten zu Ungebildeten stempeln können.

Siegfried Silber saß am unteren Ende der langen Tafel. Nachdem der Präsident des Vereins ein paar kurze Worte der Begrüßung gesprochen, erhob sich der Vortragende und begann seine Rede.

Er sprach glatt und gewandt, in jenem leichtfließenden, unbefangenen Tone, der von vornherein dem Hörer das angenehme Gefühl der Sicherheit giebt und den Eindruck hervorruft, als schüttle der Redner alles aus dem Ärmel. Im Fluge ließ er zur Einleitung ein paar Jahrhunderte Litteraturgeschichte an den Ohren der erstaunten Hörer vorüberrauschen, nannte einige große Namen: Lessing, Goethe, Herder – die Bekanntschaft mit ihren Werken setzte er als selbstverständlich voraus. Hie und da streifte er auch Geschichte, Wissenschaft und Philosophie. Das alles im Handumdrehen, als operiere er mit einer Laterna magica, die einzelne grelle Bilder auf die Wand wirft, um sie ebenso schnell wieder verschwinden zu lassen.

Die Hörer folgten dem Abbrennen dieses dialektischen Feuerwerks voll Interesse. Einzelne machten sich Notizen. Die meisten hingen wie gebannt an den beredten Lippen des jugendlichen Vortragenden. Hin und wieder entfesselte eine besonders gepfefferte Bemerkung Gelächter oder Beifallsstürme. Bei diesem Publikum fiel nichts unter den Tisch.

Fritz Berting, dem der Vortrag nicht allzuviel Neues bieten konnte, hatte Zeit, sich die Physiognomieen der Hörer zu betrachten. Es waren intelligente Gesichter darunter. Man hatte es offenbar mit einer geistigen Elite zu thun. Mehr aber noch als Intelligenz zierte sie der Ausdruck des Willens, der Aufmerksamkeit, des Ganz-bei-der-Sache-seins. Da sah man keine blasierte, gelangweilte Miene der Übersättigung und auch nicht die stumpfe Gleichgültigkeit derer, die niemals Appetit empfinden. Diese Männer fühlten gesunden Hunger, Neugier im besten Sinne. Sie wollten sich bereichern, etwas davontragen; nicht umsonst wollten sie ihre Feiertagskleider angelegt haben.

Siegfried Silber war ihr Mann. Er würzte den Vortrag mit Anekdoten, Vergleichen, Pointen, verstand es, das litterarische Thema dem Laien mundgerecht zu machen. Gelegentlich ein Citat, ein Vers, ein Stück Heinescher Prosa.

Fritz mußte im geheimen lächeln über die geschickte Art, wie der Redner den Stoff für seine Hörerschaft zurechtgestutzt hatte. Der Heinrich Heine, den er schilderte, war mehr der Dichter des »Wintermärchens« und des »Atta Troll« als der des »Liederbuches« und der »Neuen Gedichte«. Silber zeigte den Märtyrer Heine, der um seiner vorgeschrittenen Ideen willen verfolgt wurde vom Haß der Fürsten, Pfaffen und Bourgeois, und im Exil endete. Ein Schicksal, verständlich und ergreifend gerade für diese Hörer. Die Vergleiche, die er zwischen der vormärzlichen Reaktion und dem Drucke zog, der neuerdings wieder auf Deutschland laste, schlugen ein, machten die straff gespannten Saiten politischer Erregung vibrieren, in der sich eine Menschenklasse befand, über welcher das Ausnahmegesetz aufgerichtet war. Er stempelte Heinrich Heine zum Volkshelden, zum großen politischen Kopf, zum Vorläufer der modernsten Freiheitsideen.

Was wohl Lehmfink sagen würde, hätte er diesen Vortrag mit angehört, fragte sich Berting wiederholt. Heinrich Heine zur größten Erscheinung gemacht des geistigen Lebens in Deutschland seit Goethes Tode! –

Aber man hatte nicht den Eindruck, als ob jener bewußt fälsche, oder auch nur übertreibe. Siegfried Silber glaubte an Heines Größe. Für ihn war das, was an dieser in tausend Farben schillernden Persönlichkeit dem Germanen Lehmfink fragwürdig, verdächtig und abstoßend erschien, echt, natürlich und vertraut. Weil selbst in Fragen des Geschmackes das Blut doch schließlich den Ausschlag giebt. Der kleine Siegfried Silber fühlte sich dem Landsmanne verwandt. Für ihn war Heinrich Heine der klassische Interpret seiner eigenen tiefsten Gefühle und Schmerzen.

Fritz war es noch nie so stark aufgefallen, wie durch und durch semitisch Silber eigentlich sei, als heute abend, da er ihn vor dieser Versammlung von deutschen Arbeitern sprechen hörte.

Eine fremdartige Erscheinung: scharfe, markante Züge, das Haupthaar schwarz glänzend, wie das Gefieder eines Raben; durch den dünnen, an der Spitze geteilten Bart die gilbliche Haut hindurchschimmernd. Rote, volle Lippen. Das Weiß der Augen mit der dunklen Pupille doppelt glänzend in der Umrahmung dichter, schwarzer Wimpern; oft blitzte dieses Auge wie ein Dolch, wenn sich das schwere Lid plötzlich hob. Dazu die Beweglichkeit und Ausdrucksfähigkeit der Züge, das Drastische der Gesten, der schlaffe Körper mit den mageren Gliedern, unschöne, nervös zappelnde Hände. Viel Theaterpose, wenig Würde, das ganze Wesen an der Oberfläche liegend, aber darum umso kecker, lebhafter und intensiver.

Und dagegen seine Hörer, diese großköpfigen Arbeiter mit den schweren, ausgearbeiteten Gliedmaßen; die Stirnen sorgenvoll, nachdenklich, der Blick gutmütig, träumerisch, das Wesen ernst, zurückhaltend, verinnerlicht und schwerfällig.

Fritz bedauerte in diesem Augenblicke lebhaft, kein Zeichner zu sein, daß er diesen Gegensatz hätte mit ein paar Strichen festhalten können. Diese Hörerschaft und diesen Redner! Das Bild hätte Bände von Rassen-Psychologie sprechen müssen.

Siegfried Silber war die wichtigste Eigenschaft seines Stammes eigentümlich: sich durchzusetzen. Wenn man bedachte, der ganze Mensch war zweiundzwanzig Jahre alt. Seine äußere Lage war ursprünglich auch nicht günstiger, seine Bildung nicht besser gewesen als die seines Publikums. Und hier saßen sie nun, mancher Graukopf unter ihnen, und lauschten andächtig den Worten dieses fremden Jünglings, machten seine Weltanschauung zu der ihrigen, erkannten ihn an als ihren geistigen Führer.

* * *

Das entstehende Kunstwerk ist für den Künstler was für die Mutter die unter ihrem Herzen heranwachsende Frucht. Alle Kräfte des Körpers wie der Seele werden nach dem einen Punkte gezogen, wo neues Leben sich entwickelt. Ein natürlicher Schutztrieb lehnt das Schädliche ab, macht gleichgiltig gegen alles, was nicht Bezug hat auf dieses Wichtigste, stößt sogar das sonst Geliebte und Gewohnte von sich.

Fritz Berting war in dieser Zeit heißesten Ringens mit dem Stoffe äußerst empfindlich geworden gegen die Vorgänge und Einwirkungen der Außenwelt. Das geringste Geräusch, ein lautes Wort, ein unangenehmer Geruch im Quartier, ein Mißton von der Straße her, konnten ihn aus dem Konzept bringen. Eine Frage, die ihn nötigte, seine Gedanken von der Arbeit abzuwenden, war imstande, ihn auf Stunden hinaus unfruchtbar zu machen.

Alma hatte infolge dessen keinen leichten Stand. Von dem, was sich in ihm abspielte, ahnte sie nichts; daß Fritz in keinem normalen Zustand sei, sah sie, merkte es täglich und stündlich. Es verging kaum ein Tag, wo er sie nicht zu Thränen gebracht hätte durch sein schroffes, ungerechtes Wesen.

Sie konnte sich den rätselhaften Zustand nicht anders erklären, als daß er krank sei. Gern hätte sie geholfen, wie damals in Berlin nach seiner Niederlage. Sie wollte ihn pflegen, ihm durch ihre Liebe ersetzen, was er verloren, gut machen, was ihm Böses widerfahren war. So verstärkte sie ihre Zärtlichkeit gegen den Geliebten, und vermehrte dadurch nur seinen Widerwillen gegen das, was auf ihn wie lästige Zudringlichkeit wirkte.

Er wußte jetzt, daß er einen großen Fehler begangen hatte, mit Alma zusammenzuziehen. Er hatte sich dadurch selbst die Freiheit unterbunden und eine schwere Last aufgebürdet. Ohne Ehemann zu sein, trug er doch das ganze Joch des Ehestandes.

Was hatte er früher geahnt von den Plackereien, den Ausgaben eines Hausstandes? Was hatte er gar von der Verantwortlichkeit gewußt für ein fremdes Wesen?

Nun war er gebunden. Die intimen Erlebnisse der Liebe, wenn sie auch nicht die Bedeutung eines geschriebenen Kontraktes hatten, waren doch Ketten, die den Menschen unsichtbar an den Menschen fesselten. Selbst wenn diese Erlebnisse flüchtig waren wie die Wellen, von denen die eine verdrängt wird durch die andere, so ließen sie sich doch nicht wegwischen aus dem Gefühle und aus dem Gedächtnis. Von dem Wesen einer Frau, mit der man verkehrte, wie er mit Alma Lux, behielt man etwas im Blute fürs Leben.

Und wenn es auch nur die Gewohnheit gewesen wäre, sie um sich zu haben, ihr Anblick, das Bewußtsein, sie jeden Augenblick herbeirufen zu können.

Dazu all die Dinge, die man von einander wußte, die Geständnisse, die sie ihm gemacht, der unvergeßliche Duft von dem, was sie ihm in der allerersten Zeit ihrer Liebe gewesen, das Opfer ihrer Jungfräulichkeit, ihm gebracht – alles das waren Fesseln!

Er konnte das Mädchen nicht auszahlen für ihre Liebe; sie war keine Dirne. Er konnte ihr auch nicht kündigen wie einem Dienstboten, ihr sagen: so, nun ist die Zeit abgelaufen, geh deiner Wege!

Aber gerade, daß sie ihm so viel war und immer mehr werden mußte, beunruhigte ihn oft aufs äußerste. Was sollte daraus werden? Heiraten! – Damit hätte er das, was ihn jetzt schon drückte, zu einer Bürde gemacht fürs ganze Leben.

Er wußte auch, daß Alma das gar nicht von ihm verlangte, nie verlangt hatte und niemals verlangen werde. Wozu hätte er mehr thun sollen, als von ihm gefordert wurde? Sie durch das Band der Ehe zur Treue zu verpflichten, war nicht nötig. Er traute ihr durchaus; auf ihre Ehrlichkeit, Reinheit und Treue hätte er Häuser bauen wollen.

Aber es gab in diesem Verhältnisse, dem zur wirklichen Ehe nur die rechtliche Sanktion zu fehlen schien, noch andere Schwierigkeiten. Fritz merkte es wohl, daß ihm und Alma von den Menschen keine besondere Achtung entgegengebracht wurde. Da war gleich zu Anfang, als er sich bei der Polizei angemeldet hatte, der Beamte gewesen, der ihn nach den Papieren des »Frauenzimmers« gefragt hatte, dabei etwas von »wilder Ehe« munkelnd. Der Herr von der Steuerkommission, der einige Wochen später auftrat, um sich nach Fritzens Vermögensverhältnissen zu erkundigen, zeigte sich zwar höflicher, schüttelte aber doch auch bedenklich den Kopf. Schriftsteller ohne feste Einnahme, und das Fräulein, Konfektioneuse von Beruf, jetzt ohne Anstellung! – Dieses Paar schien im höchsten Grade verdächtig. Man sah in ihm ein Individuum, auf welches die Behörde ein Auge zu behalten für angezeigt hielt. Das war ein deprimierendes Empfinden für einen, der wie Fritz Berting bisher, im Bewußtsein guter Abkunft und Erziehung, das Gefühl voller Freiheit und Unabhängigkeit genossen hatte.

Unangenehmer fast noch war die Neugier der kleinen Leute zu ertragen, der Händler, Bediensteten, Handwerker, mit denen man täglich in Berührung kam. Bei ihnen herrschte weniger Grobheit als zudringliche Respektlosigkeit diesem interessanten Paare gegenüber. Man lächelte sie verständnisvoll an, wo immer sie auftraten. Auf der Straße wandten sich die Köpfe, gelegentlich wurde ihnen auch etwas nachgerufen. Eines Tages bekam Fritz einen Brief zotigen Inhalts mit Karikaturen, die sich auf ihn und Alma bezogen, anonym zugesandt.

Das Pikante der illegalen Verbindung war es, was die Menschen zu einer mit Neid, Neugier und Lüsternheit stark durchsetzten, moralischen Entrüstung reizte.

Fritz litt darunter mehr als Alma. Er fühlte sich getroffen in seinem gesellschaftlichen Stolze sowohl wie in seinem männlichen Ehrgefühl. Erlebnisse wie diese zeigten ihm, daß er deklassiert sei, daß er und Alma in einem Zustande der Vogelfreiheit lebten. Gern hätte er sich und die Geliebte verteidigt. Aber die Pfeile der Verachtung, die sie beide trafen, wurden von unsichtbaren Schützen abgeschossen. Er hatte es mit einem unpersönlichen Gegner: der öffentlichen Meinung, zu thun.

Alma empfand in diesen Dingen anders als ihr Geliebter. In der Klasse, aus der sie stammte, legte man auf persönliche Ehre geringen Wert. Sie war im Leben genug hin und her geschoben worden, um zu wissen, daß die Menschen überall gehässig, klatschsüchtig und neidisch sind und keinem sein Glück gönnen wollen. Was bedeutete ihr die öffentliche Meinung? Wenn Fritz nur treu zu ihr hielt! Ihr Stolz war, ihm treu zu sein, ihre Ehre, ihn allein zu lieben, und ihr Glück, sich von ihm geliebt zu wissen.

Das Verhältnis zur Quartierwirtin begann seine Schattenseiten zu zeigen. Frau Klippel gehörte zu den Personen, die, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht, unfehlbar die ganze Hand nehmen. Fritz bereute jetzt lebhaft, sich mit ihr auf Unterhaltungsfuß gestellt zu haben. Das Material, das sie ihm für seine Lokalkenntnis geliefert hatte, war teuer bezahlt.

Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß Frau Klippel, ebensogut wie sie Fritz mit der schmutzigen Wäsche des ganzen Stadtquartiers bekannt gemacht hatte, auch über ihn und Alma allerhand Ungeheuerlichkeiten verbreitete. Vielleicht war vieles von der Mißachtung und Neugier, die sie um sich her lebendig sahen, nur Folge der Klatschsucht ihrer Wirtin.

Fritz fand es äußerst schwierig, sich die redselige Person vom Halse zu halten, nachdem er einmal geduldet, daß sie ihre Neuigkeiten bei ihm ablade. Er konnte sich manchmal nur durch Verriegeln der Thüre vor ihrer Zudringlichkeit schützen. Schwerer aber noch rächte es sich, daß auch Alma in eine gewisse Vertraulichkeit mit der Quartierwirtin geraten war. Es hatte sich eingebürgert, daß sie ihre Mahlzeiten mit der Familie Klippel einnahm, so oft Fritz allein auswärts essen ging; und das war in der letzten Zeit öfters vorgekommen. Es erschien so bequem, Alma brauchte dann nicht Toilette zu machen zum Ausgehen, und wurde weniger unterbrochen in ihrer Arbeit.

Aber der hinkende Bote kam nach in Gestalt einer Rechnung von Frau Klippel. Darin stellte die Quartierwirtin für Almas Beköstigung unverschämte Forderungen.

Fritz bezahlte die Rechnung, hielt aber nicht hinter dem Berge mit seiner Ansicht über den Preis. Das gab wiederum Frau Klippel Anlaß zu erklären, daß sie viel zu wenig nehme in Anbetracht der Unannehmlichkeiten, die sie von Mietern habe, über welche die Leute allerhand redeten. Fritz verbat sich dergleichen Anzüglichkeiten.

So gab ein Wort das andere. Bei Frau Klippel war nun einmal die Schütze gezogen, die für gewöhnlich eine Flut schmutzigen Wassers zurückstaute.

Sie wäre eine anständige Frau, betonte sie sehr stark. Mit zweien zugleich es zu halten, sei nicht »komilfo«, das habe sie niemals gethan. Wenn der Herr etwa glaube, daß er Fräulein Lux für sich allein habe, dann täusche er sich gewaltig.

Alma, die im Nebenzimmer war, hatte die überlaut geführte Unterhaltung mit angehört. Sie kam jetzt hereingestürzt, bleich vor Erregung, und fuhr auf die Verleumderin los. Fritz wunderte sich, wie die Entrüstung das sanfte Mädchen verwandelt hatte. Frau Klippel fühlte sich durch Almas Dazwischentreten auch nicht besänftigt, und so gab es denn ein richtiges Weibergezänk. Fritz mußte die beiden schließlich mit Gewalt trennen.

Er führte Alma in sein Schreibzimmer, schloß die Thür ab und suchte das Mädchen zu beruhigen. Ihre Erregung machte sich Luft in einem Strom von Thränen. Fritz tröstete sie; nicht ein Wort glaube er von Frau Klippels thörichten Anschuldigungen.

Da warf sie sich ihm um den Hals und flüsterte in sein Ohr: sie müsse ihm ein Geständnis machen.

Fritz erzitterte. Für ihn gab es ein geheimes Schreckgespenst, das einen sehr leisen Schlaf hatte und ihn bei jedem kleinen Zufall, bei jeder noch so entfernten Anspielung in dumpfe Furcht jagte: die Möglichkeit, daß ihr Verhältnis Folgen haben könne.

Darum bedeutete das, was er jetzt zu hören bekam, geradezu eine Erleichterung für ihn.

Alma gestand ihm, sie habe in der letzten Zeit ein paar Mal mit einem alten Bekannten gesprochen. Es sei derselbe Mensch, der sie neulich in »Stadt Paris« so auffällig angestarrt habe. Den Tag danach hätte er sie auf der Straße angeredet, auch sei er, als Fritz gerade ausgegangen, einmal hier im Quartier gewesen zu kurzem Besuch. Doch könne sie beschwören, daß zwischen ihr und Ludwig Glück weder jetzt noch früher irgend etwas Unrechtes vorgefallen sei.

Ängstlich blickte sie auf den Geliebten, was der zu ihrem Geständnis wohl sagen würde. Fritz war durchaus nicht empört, in ruhigem Tone forschte er, wie lange Alma den Mann schon kenne.

Sie erzählte: Ludwig Glück habe, als sie noch zur Schule gegangen, mit ihr und den Eltern in ein und demselben Hause gewohnt. Von Beruf sei er Stuckateur. Ihre Freundschaft hätte anfangs darin bestanden, daß er ihr gelegentlich etwas aus Holz, Thon oder Pappe angefertigt habe. Denn Ludwig Glück sei ein halber Künstler. Später, als sie die Schule verlassen, habe er manchmal Andeutungen gemacht, daß er sie liebe und sie gefragt, ob sie nicht einig werden könnten. Alles in der ehrlichsten Absicht. Sie hätte sich jedoch nicht entschließen können, ihn zu nehmen, trotzdem ihr von den Ihren stark zugeredet worden sei, sich diese Versorgung nicht entgehen zu lassen. Ludwig habe sich die Abweisung schwer zu Herzen genommen und sei auf Wanderschaft gegangen. Dann waren jene Ereignisse in ihrer Familie eingetreten, die sie aus dem Hause trieben und schließlich nach Berlin führten.

Ludwig hatte sie neulich seit Jahren zum ersten Male wiedergesehen. Es war ihm, wie er erzählte, nicht gut gegangen. Krankheit hatte ihn ganz heruntergebracht. Auch hier habe er Monate lang im Krankenhause gelegen, und jetzt suche er vergeblich nach Arbeit.

Fritz erkundigte sich, ob Ludwig Glück jemals Briefe an sie geschrieben habe. Alma zögerte mit der Antwort, bejahte aber schließlich. Er habe eine Zeit lang ziemlich regelmäßig an sie geschrieben. Sie hätte oft lachen müssen über den närrischen Menschen, der soviel Zeit habe, lange Briefe an ein Mädel zu schreiben, das nichts von ihm wissen wolle. Und wenn sie ihm geantwortet hätte, so sei es nur geschehen, um ihm zu sagen, er solle sich die Liebesgedanken aus dem Kopfe schlagen.

Ob sie die Briefe aufgehoben habe? Alma wurde verlegen. Einen oder den anderen besitze sie wohl noch. Aber sie bat, daß Fritz die Dinger nicht lesen möge; sie seien so lächerlich, wie der ganze Ludwig Glück selbst.

Fritz vermutete, daß die Briefe Interessantes enthalten könnten, und bestand darauf, alle zu sehen. Alma entschloß sich endlich, sie zusammenzusuchen und herbeizubringen. Es waren ihrer schließlich doch ein ganzes Päckchen.

Fritzens Auge fand in den Briefen manches, was Alma nicht erkannt, oder wenn sie es erkannt, doch nicht hatte beachten wollen. Vor allem fand er darin echte und tiefe Leidenschaft. Das, was Alma komisch erschienen war, bedeutete nichts anderes, als die verzweifelten Gebärden und Zuckungen einer Liebe, die keine Erwiderung findet. Alle Tonarten hatte der Unglückliche angeschlagen verliebter Sehnsucht, alle Register gezogen der Überredung. Dabei kein falsches Pathos, keine Briefsteller-Phrasen, echte Naturlaute eines überquellenden Gefühles. Nicht selten erhob sich die Anrede zu poetischem Schwung. Die Liebe schien den einfachen Menschen über sich selbst hinaus gesteigert zu haben; hatte ihn getrieben, das Stärkste und Größte, dessen seine Natur fähig war, zu Füßen des angebeteten Wesens auszuschütten.

Alma suchte den Eindruck des Gelesenen mit ängstlicher Miene aus Fritzens Zügen zu erforschen. Fritz las mit wachsendem Interesse. Für ihn waren diese Briefe charakteristische Proben starker, menschlicher Gefühle. Manche Wendung darin erregte seine Künstlerfreude. Das ganze Verhältnis der beiden Menschen lag jetzt, wo er diese Dokumente in Händen hielt, klar vor ihm. Wenn es noch einen unaufgeklärten Punkt gab, so war es Almas Abneigung gegen einen Mann, der so heiß um sie geworben hatte.

Er legte die Briefe zusammen, steckte sie zu sich und meinte, um ihr die Angst zu nehmen, in scherzendem Tone: dieser Glück scheine ein sehr netter Mann zu sein. Warum sie ihn denn nicht geheiratet habe?

Statt darauf zu antworten, begann Alma zu weinen. Wie Fritz denken könne, daß sie sich mit einem anderen Manne eingelassen hätte, brachte sie unter Schluchzen hervor. Sie habe Mitleid gehabt mit Ludwig Glück, das sei alles, was sie je für ihn empfunden. »Der Mensch ist mein Unglück!« rief sie außer sich. »Ich wollte, daß alles aus sein sollte zwischen mir und ihm. Von Berlin aus habe ich es ihm geschrieben, daß ich einen anderen liebte, und daß er nichts mehr zu hoffen habe, daß er mich in Ruhe lassen solle, wenn er ein ehrlicher Mensch sei. Ich dachte, nun würde er sich zufrieden geben. Aber da ist er wieder! Ich weiß nicht, was er will. Niemals habe ich ihn ermutigt. Neulich erst habe ich's ihm ins Gesicht gesagt, daß er mir widerwärtig ist. Mag er sich nur ins Wasser stürzen, der abscheuliche Mensch. Es ist mir ganz gleichgiltig. Als er mich in »Stadt Paris« so anstarrte, da wurde mir ganz Angst. Ich habe die ganze Nacht darauf nicht schlafen können. Ich dachte, du könntest etwas merken, Fritz! Und wie er dann zu mir kam, ganz abgerissen, noch viel magerer als früher, war er mir wie ein Leichnam. Ich habe immer so ein Grauen vor ihm gehabt. Zu denken, daß ich mit so einem – und nun gar seitdem ich dich kenne. Er ist so ganz, ganz anders als du. – Es giebt ja keinen auf der Welt wie du!«

Damit warf sie sich dem Geliebten um den Hals und drohte ihn zu ersticken mit leidenschaftlichen Küssen.

Nun hatte Fritz mehr erfahren, als er gefragt hatte. Einen neuen Beleg hielt er in der Hand, wie er geliebt werde. Auf den Stuckateur Ludwig Glück brauchte er wahrlich nicht eifersüchtig zu sein!

Das schmale, ungesund bleiche Gesicht, die tiefliegenden Augen, die glühend auf Alma gerichtet waren, wie er sie neulich abend, ohne zu ahnen, wen er vor sich habe, gesehen hatte, kamen ihm wieder ins Gedächtnis. Und er empfand in seinem Siegesbewußtsein ein eigenartig mitleidiges Interesse für den armen Kerl.

* * *

Während der Wintermonate hatte Fritz Berting so fleißig an seinem Romane gearbeitet, daß er um die Osterzeit ein Manuskript von beträchtlichem Umfang in den Händen hielt. Als er aber den letzten Satz des letzten Kapitels niedergeschrieben hatte und für einen Augenblick aufatmend die Feder aus der Hand legte, wußte er, daß damit die Arbeit noch nicht beendet sei. Das Haus stand zwar in seinen Mauern und war unter Dach gebracht, die letzte Hand jedoch war noch daranzulegen. Er las das Ganze durch, langsam, mit kritischem Blick, ließ es auf sich wirken wie das Werk eines Fremden. Manche Überraschung wartete seiner da. Szenen, von denen er viel gehalten hatte, die er mit Begeisterung niedergeschrieben, enttäuschten ihn in ihrer Wirkung, andere, die er schon fast vergessen, wirkten überraschend durch ihre Kraft. Da galt es zu streichen und zu ändern, Widersprüche auszumerzen. Vieles ließ sich durch Herausholen des Charakteristischen mehr in Wert setzen; anderes mußte der Stimmung wegen gedämpft werden.

Endlich war es so weit, daß sein künstlerisches Gewissen ihm sagte: jetzt ist es genug! Das Werk steht. Hat es Fehler, so sind diese in der Natur des Ganzen begründet, gehören zur Individualität; sie weiter austilgen, hieß vielleicht der Eigenart Abbruch thun.

Er packte also eines Tages die Bogen zusammen und trug sie zum Verleger.

Weißbleicher, der längst auf das Manuskript gewartet hatte, erklärte, sofort setzen lassen zu wollen, damit das Buch, das ja eigentlich im Winter hatte erscheinen sollen, nun wenigstens noch zur sommerlichen Bade- und Reisesaison zurecht käme.

Nachdem er sein Werk aus der Hand gegeben hatte, war es Fritz zu Mute, als habe er von einer Geliebten Abschied genommen. Er fühlte sich zwecklos auf der Welt, das Herz wie ausgeleert. Jetzt an eine neue Arbeit gehen, wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Er hatte soviel Kräfte an die alte hergegeben, daß ihm zunächst alle Spannkraft fehlte zum Schaffen.

Es war der Wunsch in ihm, ein paar Wochen lang, ein beschauliches Dasein zu führen. Er glaubte sich das Recht zum Ausspannen durch die vorausgegangene Anstrengung wohl erworben zu haben.

Er hatte wieder Freude am Theaterbesuch gefunden. Früher, wo es sein Ehrgeiz gewesen, mit seinen Stücken die Bühne zu erobern, war das Theater für ihn eine unglückliche Liebe gewesen; es wurde ihm bei dieser unnahbaren Spröden nie so recht wohl. Nun, wo er sich das Werben um die Grausame aus dem Sinn geschlagen hatte, bedeutete ihm ein Billet fürs Parkett nichts weiter als die Aussicht, sich einige Abendstunden hindurch angenehm zerstreuen zu lassen. Er wollte in der Stimmung, in der er sich jetzt befand, nichts Aufwühlendes, nichts Überwältigendes.

Von Berlin her war Fritz Berting an die Kämpfe gewöhnt, die der jüngst auf die Bühne gedrungene Naturalismus entfesselt hatte. Davon gab es hier nichts zu spüren. Unter einem alternden Intendanten führte das Schauspielhaus ein beschauliches, von keinem Aufbegehren der Moderne getrübtes Dasein. Man ruhte auf Lorbeeren einer abgeschlossenen, großen Glanzperiode der Komödie aus. Wohl hörte man, daß auswärts Schlachten geschlagen wurden, daß eine Schar jugendlicher Stürmer und Dränger auch Thaliens Tempel berannten, aber bei sich wollte man keine Aufregung haben. Publikum, Kritik und Intendanz schienen stillschweigend einen Pakt geschlossen zu haben, die Revolution in ihrer Mitte nicht aufkommen zu lassen. Wenn man eine Premiere brachte, so war es mit einem Stück, das auf so und so viel anderen Bühnen sich als ungefährlich ausgewiesen hatte.

Da gab es keinen Kampf, keine unberechenbaren Entscheidungen; von vornherein stand hier der Erfolg fest. Auf den Gedanken, daß es ein Richteramt auszuüben habe, war das Publikum überhaupt noch nicht gekommen; kritiklos nahm es mit allem vorlieb, was man ihm zu bieten für gut befand. Ihr Urteil über das, was sie am Abend gesehen und gehört, holten sich diese wohlerzogenen Leute dann am nächsten Morgen aus der Theaterbesprechung ihrer Zeitung.

Nach kurzer Zeit übersah Fritz den Stil von Komödie, der hier gespielt wurde. Das Beste daran war die Tradition, von der man sich aus einer besseren Zeit gewisse Reste bewahrt hatte. Es war ein geschlossenes Ensemble da von Schauspielern, in welchem das Mittelgut vorwog. Fritz kannte sehr bald die einzelnen Mimen bis herab zu den Statisten, mit ihren zwei oder drei stets wiederkehrenden Gesten. Ja, selbst die Kostüme und die Requisiten der Bühne wurden ihm alte, gute Bekannte. Es bereitete ihm ein prickelndes Behagen, zu wissen, daß Frau Soundso, wenn sie Rührung darstellen wollte, unfehlbar den und den Augenaufschlag hatte, und daß Herr X, wenn es Leidenschaft zu markieren galt, mit dem Fuße aufstampfte und so schnell zu sprechen begann, daß niemand ihn verstand.

Auch das Publikum zu beobachten, war belustigend. Es bestand zum großen Teil aus Damen. Besonders in den Abonnementsvorstellungen wog das weibliche Geschlecht vor. Fritz war von Berlin her ein kritisches, herrisches, oft sogar übermütiges Parkett gewöhnt, das dem Darsteller wie dem Autor gegenüber seine Wünsche zur Geltung zu bringen wußte. Diese hier wollten nur Unterhaltung und Rührung; etwas fürs Auge und womöglich auch fürs Gemüt. Mit psychologischen Problemen, überhaupt mit allem, was das Denken herausforderte, hätten sie nichts anzufangen gewußt, und vor socialen Stoffen lief ihnen eine Gänsehaut über den Rücken.

Nur in einer Beziehung zeigte man einen Anflug von Temperament, ja von Begeisterungsfähigkeit. Das war in der innigen Verehrung für einzelne Darsteller. Mit den Schauspielern wurde von den abonnierten Damen jeden Alters ein Kultus getrieben, der mit der Kunst wenig, umsomehr aber mit der äußeren Erscheinung der betreffenden Herren zu thun hatte. Der Held, der erste Liebhaber, der Bonvivant, bis herab zu den Episodendarstellern, jeder hatte seine größere oder kleinere Clique von Anhängerinnen, die das Repertoire der Woche nicht etwa daraufhin studierten, welche Autoren zur Aufführung kämen, sondern ob Stücke gegeben würden, in denen ihre Freunde beschäftigt waren. Die betreffenden Mimen aber nahmen die Billets doux, Blumen, Bonbonnieren, gestickten Kissen, und was ihnen sonst von ihren Verehrerinnen ins Haus geschickt ward, gnädigst an, und erlaubten nur zu gern, daß mit ihren Photographieen ein schwunghafter Handel getrieben wurde, ja, ließen sich herab, in die ihnen von zarter Hand zugesteckten Stammbücher niedliche Verse von Baumbach oder Julius Wolff einzuschreiben.

Fritz Berting war durch Silber in diese Verhältnisse eingeweiht worden. Er begriff nun das Vorwiegen des weiblichen Elements, den Erfolg der ältesten Ladenhüter, die immer und immer wieder aufgeführt werden konnten, das starke Einschlagen alles Sentimentalen und Idyllischen, den Mangel an Psychologie und Stilgefühl bei diesem Publikum. Alles war hier auf das Persönliche zugeschnitten. Man ging unter dem Deckmantel scheinbaren Kunstgenusses allerhand pikanten Liebhabereien nach.

Von Siegfried Silber hatte Fritz auch erfahren, daß an einer Hinterpforte des Schauspielhauses allabendlich dem Drama noch ein Satyrspiel folge. Von Blumensträußen, Lorbeerkränzen, Händedrücken, Gewandberühren, ja von Handküssen wurde gemunkelt, die das männliche Geschlecht dort über sich ergehen lassen müsse.

Einer der stattlichsten Schauspieler des Ensembles, der besonders im Ritterstück und der Römertragödie mitwirkte, war Waldemar Heßlow. Er besaß schöne äußere Mittel: hohen, proportionierten Wuchs, ein Gesicht, aus dem sich alles machen ließ, ein kräftiges, nie ermüdendes Organ. Aber er war der Schrecken des Regisseurs. Selten lernte er seine Rolle, niemals vertiefte er sich in sie. Er hatte das ja nicht nötig. Wenn er in enganliegendem Tricot, das die Pracht seiner herkulischen Gliedmaßen zur gewünschten Geltung kommen ließ, oder im strahlenden Brustharnisch wuchtig auf die Bühne trat, seine Stimme je nach Bedürfnis grollen, heulen oder säuseln ließ, hie und da noch ein bedeutungsvolles Stirnrunzeln, einen schmachtenden Blick, eine pathetische Geste einschob, so war er seiner Wirkung sicher. Stimmung, Geist, Stil, Zusammenspiel waren ihm völlig gleichgiltig.

Wenn Waldemar Heßlows Name auf dem Zettel stand, dann konnte der Kassierer sicher sein, eine große Zahl Vorderplätze im Parkett und den Logen an sichere Kunden loszuwerden. Diesem Mimen galt, wenn der Vorhang fiel, der stärkste Applaus, und selbst bei offener Szene rührten sich, wenn Heßlow eine seiner Kraftstellen gehabt hatte, zarte Hände, um dem Vergötterten zu zeigen, daß seine Getreuen zur Stelle seien.

An einem Abende, wo sich dieser Beifall besonders bemerkbar gemacht hatte, begab sich Fritz Berting, nach Schluß der Vorstellung, zu jener Hinterpforte, wo, wie ihm gesagt worden war, diese Ovationen noch intimeren Charakter anzunehmen pflegten.

Richtig, da standen zwei dunkle Mauern vermummter Gestalten. Eine Gasse blieb frei. Erwartungsvoll waren die Blicke nach der kleinen Pforte gerichtet.

Erst kamen einige weibliche Wesen, die man unbeachtet durchließ. Ein Cylinder erschien; schon fuhren die Köpfe zusammen, alles drängte nach der Thür. Aber es war nur der Komiker, ein älterer, korpulenter Mann. Er grüßte höflich, aber keine Hand streckte sich ihm entgegen.

Da endlich kam der Erwartete. Sofort war ein Ring um ihn geschlossen; jede der stürmischen Verehrerinnen suchte ihrem Ideal so nahe wie möglich zu kommen. Die Hinteren drängten nach vorwärts und bewirkten dadurch, daß die vorderen dem Gegenstande der allgemeinen Liebe buchstäblich auf den Leib gedrückt wurden. Waldemar Heßlow nahm alles mit, was sich ihm bot. Den weichen Kalabreser auf dem Lockenhaar, mit hochaufgeschlagenem Mantelkragen, rückte er langsam in der Menge vorwärts.

Auf einmal machte er Halt. »Bitte, meine Damen, durchlassen!« Da diese Aufforderung keine Wirkung hatte, schob er die Nächststehende fast ein wenig rücksichtslos bei Seite, drängte sich durch den Knäuel seiner erstaunten Verehrerinnen und stand vor einer jungen Dame still, die über dem pelzverbrämten Theaterumhang einen Shawl von leuchtender indischer Seide trug. Sie stand im vollen Licht der Bogenlampe ein wenig abseits von dem übrigen Schwarm. Heßlow zog vor ihr den Hut, reichte ihr die Hand und ließ sich in ein Gespräch mit ihr ein. Glühende Augenpaare waren auf die Beneidenswerte gerichtet, die von dem schönen Waldemar in solch unerhörter Weise ausgezeichnet wurde. Jetzt neigte er sich sogar zu ihr herab, huldvoll lächelnd, voll Aufmerksamkeit für das, was sie sagte. Wie er seine Zeit vergeuden konnte an die eine, während so viele andere Herzen zitterten! Abermals zog er vor ihr den Hut, und that das, was ihm sonst geschah, küßte die kleine Hand, die sie ihm reichte. O, verkehrte Welt! Entrüstung malte sich in vielen Gesichtern. Mit einem Kopfnicken, das sehr von oben herab kam, entließ sie den Mimen. Wer war denn diese unausstehliche Person im rotgelben Shawl? Es war an ihr garnichts Besonderes zu entdecken! –

Fritz sah ihr Gesicht deutlich, in dem Augenblick, als sie es zu dem sehr viel größeren Heßlow erhob. Es prägte sich seiner Erinnerung tief ein. Nicht daß es ungewöhnlich schön gewesen wäre, aber es war beinahe mehr, nämlich: interessant. Die Stirn, soweit man sie sah, hoch und gewölbt, die Nase schmal mit ungemein fein geschnittenen Nasenlöchern, der Mund, klein mit schmalen Lippen, klang wunderlich zusammen mit dem zarten Kinn. Und darüber ein Augenpaar, dessen Ausdruck auf den ersten Anblick kaum festzustellen war. Die Figur, durch den Theaterumhang nahezu verdeckt, schien graziös zu sein.

Fritz taxierte das Mädchen auf sechzehn, höchstens siebzehn Jahre. Wie kam sie hierher? Was suchte eine so aparte Persönlichkeit in Waldemar Heßlows Gefolge? Sie sah eigentlich zu vornehm und auch zu intelligent aus für eine blinde Verehrerin des Mimen.

Dann entschwand ihm das Gesicht. Einige derer, die noch nicht in Berührung mit ihm gekommen, drängten sich zwischen Heßlow und die gefährliche Rivalin. Was nun mit ihm geschah, sah Fritz nicht mehr; seine Neugier war vollauf befriedigt. Er schritt nach dem nächsten Halteplatz der Straßenbahn.

Während er im überfüllten Wagen saß, dachte er im stillen an das eben Erlebte. Vor allem das originelle Gesicht des jungen Dinges wollte ihm nicht aus dem Gedächtnis, wie sie so gänzlich unbefangen zu dem langgewachsenen Mimen aufgeblickt hatte. Unwillkürlich regte sich in ihm die Eifersucht. Wie kam gerade dieser Waldemar Heßlow dazu, solches Glück zu machen! –

Während er noch über Liebeslaune und Frauengeschmack nachsann, fiel sein Blick von ungefähr auf ein Gesicht in der Reihe von Fahrgästen ihm gegenüber. Da war der rotgelbe, indische Shawl wieder und das feine Näschen darunter, Waldemar Heßlows Favoritin. Neben ihr saß eine einfacher gekleidete Person, mit der sie sich unterhielt; offenbar das Dienstmädchen, das sie nach Haus begleitete.

Fritz konnte das Gesicht nun genauer betrachten. Sie hatte den Shawl gelüftet, er sah die Form des Schädels, die, wie er vermutet hatte, edel war. Das mattblonde Haar schien nicht allzu reich. Die Gesichtsfarbe war gleichmäßig bleich, an der Schläfe schimmerte blaues Geäder durch die zarte Haut. Er erkannte jetzt das, was ihn auf den ersten Anblick an diesem jugendlichen Kopfe so stark angezogen hatte: er besaß Rasse.

Es war nicht das erste Mal, daß ein Gesicht ihm einen plötzlichen, starken, unvergeßlichen Eindruck machte. Die menschlichen Züge blieben nun einmal das interessanteste Gebilde der Erscheinungswelt. Die meisten Gesichter erzählten ja wie aufgeschlagene Chroniken Eigenschaften, Herkunft und Geschichte ihrer Träger, für den, der Augen hatte zu lesen. Aber bei manchen Menschen war es doch etwas anderes; ihre Gesichtszüge verbargen mehr als sie offenbarten. Sie glichen wertvollen Inschriften in einer Sprache, zu der man den Schlüssel nicht hat. Und gerade dieses Sphinxartige macht sie so anziehend, sehnsuchtweckend und verwirrend.

Auch hier fühlte er sich in dem seltsamen Banne eines menschlichen Antlitzes, dessen Geheimnis ihn tief beunruhigte.

Wenn sie nur ein einziges Mal das Auge voll aufschlagen wollte, wie vorhin, als sie den Schauspieler angeblickt hatte! Aber sie war ganz in Unterhaltung vertieft mit ihrer Nachbarin. Und den Klang der Stimme, den er so gern vernommen hätte, verschlang das Geräusch des Wagens.

Da blickte sie nach seiner Richtung. Fritz sah ein Paar nicht allzu große, zunächst verschleierte Augen, die, als ihr Blick dem fremden begegnete, plötzlich einen scharfen, bohrenden Ausdruck annahmen, daß er den Eindruck hatte, als komme er mit Stahl in Berührung. Dazu vibrierten die feinen Nasenlöcher, und um die schmalen Lippen legte sich ein spöttischer Zug.

Sie sah ihn eine Weile ruhig an, sein Anstarren mit Gleichmut aushaltend, wobei der Zug von Spott sich zur Herbheit verstärkte. Bei der nächsten Haltestelle erhob sie sich und verließ mit ihrer Begleiterin den Wagen.

Fritz Berting stand gleichfalls auf, obgleich er noch nicht an seinem Ziele angekommen war. Die Art und Weise, wie dieses junge Ding seinen Blick erwidert hatte, reizte ihn, festzustellen, was hinter soviel Sicherheit eigentlich stecke.

Sie hatte es nicht weit von der Haltestelle zur Wohnung. Vor einem villenartigen, im Garten zurückgelegen Hause machte sie Halt. Während die Begleiterin mit dem Aufschließen des Gartenthores beschäftigt war, schritt Fritz dicht an dem jungen Mädchen vorbei, ihr ins Gesicht blickend.

Es war, als rufe ihm ihr Blick zu, stehen zu bleiben; etwas Vieldeutiges lag darin. Aber sofort war auch das spöttische Lächeln wieder da, das zu sagen schien: Mich anzureden wagst du ja doch nicht!

Nach einiger Zeit kehrte er um, schritt noch einmal an dem Hause vorbei, und sah gerade noch, wie im Parterre ein paar Fenster hell wurden.

Fritz war unzufrieden. Es kam ihm vor, als habe er sich hier ein wenig blamiert. In früheren Zeiten, ehe er mit Alma zusammenlebte, war er ja manchmal einem Mädchen »nachgestiegen«. Aber daß er sich nicht hatte entschließen können, im entscheidenden Augenblick die Betreffende anzureden, war ihm noch nicht begegnet.

Er traf die junge Dame fortan häufig im Theater. Wahrscheinlich war man schon mehrfach gleichzeitig dort gewesen, ohne daß er sie früher bemerkt hätte. Sie hatte Abend für Abend einen bestimmten Platz inne in einer Parkettloge, wo sie ziemlich versteckt saß.

Fritz hätte gar zu gern herausbekommen, ob sie des Schauspielers Heßlow wegen ins Theater gehe. Aber er kam zu keiner klaren Erkenntnis darüber. Das Fräulein saß auf dem Platz, gleichviel ob der schöne Waldemar mitwirkte oder nicht. Sie applaudierte niemals. Überhaupt benahm sie sich so unauffällig wie nur möglich. Vielleicht war es wirkliches Kunstinteresse, was sie in die Vorstellungen trieb. Wer weiß, sie war am Ende eine Theaterschülerin! Man that ihr wohl unrecht, wenn man sie mit den Verehrerinnen Heßlows in einen Topf warf. Aber warum war sie dann neulich an der Triumphpforte des Mimen gewesen? Das Rätselhafte, was sie von Anfang an für ihn gehabt, umschwebte auch fernerhin ihre Erscheinung.

* * *

Weißbleicher teilte alle Romane in familienblattfähige, die von dem jungen Mann im Buchhandel den Eltern als Weihnachtsgeschenk für ihre erwachsenen Töchter empfohlen zu werden pflegten, ferner in bahnhofsfähige, jene nicht allzu umfangreichen, handlichen Bücher, die, ohne langweilig zu sein, doch nicht gerade unanständig waren, und schließlich in litterarische Leckerbissen, die vom Bücherstand des Bahnhofshändlers schon aus Sorge vor der Zensur ausgeschlossen waren, Bücher, die man auch nicht der höheren Tochter in die Hand gab, welche aber nichtsdestoweniger sicher waren, ihre Liebhaber zu finden.

Der kundige Verleger schmunzelte zufrieden über das ganze fette Gesicht, als er das Manuskript aus der Hand legte.

Jetzt handelte es sich vor allem darum, dem Kinde den richtigen Namen zu geben. Der Titel, den der Autor für den Roman wollte, war nach Ansicht des Verlegers unmöglich. Fritz Berting wollte zwar auf seiner Überschrift bestehen, aber Weißbleicher konnte ihm nachweisen, daß sie bereits verwendet sei; es galt also, einen neuen Titel zu finden.

Und da hatte denn der Verleger einen Gedanken, der Roman müsse heißen: »Das Geschlecht«. Fritz machte Bedenken geltend. Der Titel verrate zu viel, schmecke nach Tendenz, sei prahlerisch. Weißbleicher lächelte über so viel Sachunkenntnis. Das sei ja gerade Zweck des Titels, ins Auge zu fallen, die Neugier zu erregen. »Ein richtiger Titel muß magnetische Kraft haben,« sagte der geschäftskluge Mann. »Pikanter Titel ist bereits ein Dritteil Erfolg.«

Das zweite Dritteil des Erfolges mußte seiner Ansicht nach die Ausstattung und der Waschzettel bestreiten. Das letzte Dritteil blieb dann für den Inhalt des Buches übrig.

Fritz mußte sich den Vorschlägen seines Verlegers um so mehr fügen, als er ja auf den Roman einen nicht unbedeutenden Vorschuß erhalten hatte, den ihm Weißbleicher öfter als es angenehm war, vorhielt. »Das Geschlecht« sollte in Prima-Ausstattung herauskommen mit einem intimen Titelbilde. Weißbleicher wollte etwas thun für das Buch.

Seitdem der Verleger in dem Manuskript ein sicheres Pfand in den Händen hielt, für das, was er in diesen Autor an Geld gesteckt hatte, nahm er sich des jungen Mannes auch noch in anderer Weise an. Fritz Berting sollte gesellschaftlich lançiert werden; das war ein nicht zu verachtendes Hilfsmittel für den litterarischen Erfolg. Und besonders wenn man wie Fritz aus guter Familie stamme, ein nettes Äußere habe und die Umgangsformen der höheren Kreise beherrsche, meinte Weißbleicher in väterlich protegierendem Tone, dürfe man sich diese Chance nicht entgehen lassen.

Er sprach dann von einer Frau Hilschius, bei der er Fritz einführen wollte. Die Dame sehe in ihrem Salon eine Menge bedeutender Künstler. Dieses schöngeistige Haus sei das einzige am Orte, wo ernsthaft über Litteratur gesprochen würde.

Dann gab er Fritz ein Buch zu lesen, einen Roman seines Verlages, mit dem er sehr geheimnisvoll that. Der Name des Autors sei ein Pseudonym, unter dem sich eine Dame der ersten Gesellschaft verberge.

Fritz las den Roman und fand ihn herzlich schwach. Er sprach mit Lehmfink darüber, fragte ihn, ob er etwas von dem Buch und der Verfasserin wisse. Heinrich Lehmfink lachte, als er den Namen hörte. Er habe den Roman, der, weil er à clef geschrieben sei, in skandalsüchtigen Kreisen ein gewisses Aufsehen erregt habe, zur Besprechung zugeschickt bekommen. Es sei ein seichtes Machwerk voll Indiskretion, Sentimentalität und Aktualitätssucht.

Fritz hielt mit seiner Kritik nicht zurück, als er dem Verleger das Buch wieder brachte. Weißbleicher war in seiner Geschäftsehre gekränkt, einen Roman, der schon zwei Auflagen erlebt hatte, so scharf kritisiert zu sehen. Es sei eine »mit Herzblut geschriebene Dichtung«, behauptete er. Gerade daß die Verfasserin darin ihr eigenes ungewöhnliches Schicksal niedergelegt habe, mache es zu einem echten »Document humain

Dann erzählte er unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit Fritz die Geschichte der Dichterin, eben jener Frau Hilschius, die er als eine Beschützerin der Künste geschildert hatte und die, wie er wohl sagen dürfe, seine intime Freundin sei.

Nach Weißbleicher stammte die Dame aus reicher, angesehener Kaufmannsfamilie. Ungewöhnlich jung hatte sie einen Geschäftsfreund ihres Vaters, einen Sechziger, geheiratet. Aus dieser Ehe stammte eine Tochter. Als der Gatte früh gestorben war, heiratete die Witwe im Jahre darauf einen Offizier. Die Ehe ging zunächst ganz glücklich. Ein Sohn wurde geboren. Der Mann nahm den Abschied, um seinen musikalischen Neigungen leben zu können. Man machte ein Haus, sah einen Kreis von Künstlern aller Art bei sich. Auf einmal hörte die Welt von einem Ehezerwürfnis. Es gab ein Duell, in welchem der Gatte den Liebhaber, einen Allerweltsmann: Musiker, Theaterdichter, Publizist, verwundete. Dann kam es zum Scheidungsprozeß, der durch Indiskretionen der Presse zu einer Skandalaffäre aufgebauscht wurde. Während der Prozeß noch im Gange war, starb der Gatte. Alle Welt nahm an, daß der, welcher das Glück dieser Ehe gestört hatte, nunmehr die schwer kompromittierte Frau heiraten werde; aber der Liebhaber zog sich zurück, und Frau Hilschius blieb im Witwenstande.

 

Fritz Berting war erstaunt, nachdem er diese Geschichte gehört hatte, bei seinem Besuche in Frau Hilschius Salon, wohin er in Weißbleichers Gesellschaft ging, eine ältere korpulente Dame vorzufinden, deren Äußeres durchaus nicht an Liebesabenteuer denken machte. Auch sah man ihr die Verfasserin eines sensationellen Romans, von dem der Verleger behauptet hatte, er sei »mit Herzblut« geschrieben, in keiner Weise an. Das einzige an ihrem sonst recht unbedeutenden Kopfe, was nach Genialität aussah, war die Lockenperücke, und diese war mit Kunst unordentlich gemacht.

Fritz Berting kam in eine Gesellschaft von mindestens zwanzig Personen. Es war der Mittwoch der Frau Hilschius, an dem sie von acht Uhr abends an offenes Haus hatte. Die Hausfrau empfing ihn mit den Worten: »Wir kennen Sie ja längst, Herr Berting, wenigstens Ihrer geistigen Physiognomie nach.« – Danach nahm sie ihn bei der Hand und stellte ihn der Gesellschaft vor: »Fritz Berting, der bekannte Dichter, Autor von ›Leiser Schlaf‹, dessen großer Roman ›Das Geschlecht‹ demnächst bei unserem Weißbleicher herauskommen wird.« –

Fritz war zunächst etwas verdutzt über die Epitheta, die man seinem Namen angehängt hatte. Doch beruhigte er sich etwas, als Frau Hilschius ihm die übrigen Anwesenden mit ähnlichen Titulaturen bezeichnete. Da war keiner, der nicht »genial«, »hervorragend«, zum mindesten »berühmt« gewesen wäre. Und niemand von diesen Herren und Damen zuckte mit der Wimper oder sagte etwas dagegen.

Fritz sah da zwei junge Herren mit sehr viel ungekämmtem Haar, die ihn, als er von Frau Hilschius als »bekannter Dichter« eingeführt wurde, mit kritisch erhobenen Augenbrauen mißgünstig von der Seite ansahen. Er schloß daraus, daß er es mit Kollegen von der Feder zu thun habe. Eine Anzahl junger Damen war da, denen man mit der Bezeichnung »Gänschen« kaum unrecht gethan hätte; jedoch versicherte Frau Hilschius von der einen, sie sei eine geniale Malerin, einige waren Klaviervirtuosinnen, ja sogar eine hoffnungsvolle Dichterin war darunter.

Diese letztere, eine junge Dame mit niedlichem, aber völlig leerem Puppengesicht, verwickelte Fritz Berting in ein Gespräch. Sie erzählte ihm, daß sie Gedichte »mache«. Ein Band sei schon heraus, »Epheuranken« heiße er, und ein neuer werde demnächst erscheinen. Ihr Verleger sei Herr Weißbleicher. Sie fragte, ob Herr Berting auch Gedichte habe erscheinen lassen, und als Fritz bejahte, schlug sie sofort vor, daß man die Bände austauschen wolle. Schließlich that sie einen tiefen Seufzer, und indem sie Fritz treuherzig anblickte, rief sie: »Ach, es ist wunderschön, Gedichte machen! Man kann alles sagen, was man im Herzen hat; alle tiefsten Erfahrungen, alle Gefühle und Leidenschaften ausströmen lassen! Finden Sie nicht auch, Herr Berting?«

Fritz, völlig überrumpelt, bejahte. Aber der Nachsatz, der nun kam, setzte ihn noch mehr in Staunen. Mit einem tieferen Seufzer nämlich rief die junge Dame: »Ach, wenn es nur nicht so furchtbar viel Geld kostete!« – Er erkundigte sich teilnehmend, was denn dabei so kostspielig sei. »Haben Sie denn nicht auch für Ihre Gedichte bezahlen müssen?« fragte sie. »Herr Weißbleicher hat mir gesagt, daß alle Dichter das thäten!« –

Diese Worte klärten Fritz Berting mit einem Schlage über eine Erscheinung auf, die ihm bis dahin dunkel gewesen war: die vielen Gedichtsammlungen im Weißbleicherschen Verlage. Und dazu Weißbleicher, der immer behauptete: er lasse sich die Unterstützung junger, aufstrebender Talente viel Geld kosten! – Die Kleine hier hatte in aller Unschuld das wichtigste Geschäftsgeheimnis des beliebten Verlages ausgeplaudert.

Der Mann mit den schlauen Augen in dem fetten Biedermannsgesicht spielte in diesem Salon die tonangebende Rolle. Die Dame des Hauses nannte ihn: »Mein lieber Weißbleicher!« Die Jünglinge mit dem langen, ungekämmten Haar vergaßen gänzlich ihren germanischen Dichterstolz, dienerten mit geschmeidigem Rückgrat, wo immer die Hängebacken, die Glatze und der dicke Leib des allmächtigen Verlegers sich blicken ließen.

Bei der Damenwelt hatte Weißbleicher sich in die tonangebende Rolle zu teilen mit einem dunkelgelockten, noch sehr jungen Manne, dessen bleiches, feines Profil Fritz von Anfang an aufgefallen war. Besonders von den jüngeren waren immer einige um diesen Jüngling zu finden, mit Andacht seinen Worten lauschend.

Fritz erkundigte sich bei einer Dame, die neben ihm stand, wer der junge, sympathisch aussehende Mann eigentlich sei.

»Ich bitte Sie, das ist doch mein Bruder!« sagte die kleine, dunkeläugige Person. Und als Fritz diese Antwort mit einem Gesicht aufnahm, welches deutlich erkennen ließ, daß er so klug sei wie zuvor, rief sie lachend: »Na, dann muß ich mich also vorstellen! Ich bin nämlich die Tochter des Hauses. Der da, den Sie so nett einen ›sympathischen jungen Menschen‹ genannt haben, ist mein Stiefbruder. Dies hier ist der Salon der Frau Hilschius, meiner Mutter, wo sie jeden Mittwoch eine Anzahl berühmter, genialer, hochbedeutender Menschen sieht. Sind Sie nun orientiert, Herr Berting?«

Fritz war betreten über sein Versehen und stammelte einige entschuldigende Worte. Die kleine Dame blickte ihm schelmisch dreist in die Augen. »Na, deshalb keine Feindschaft nich'!« sagte sie mit dem unverkennbaren Accent von Berlin W. »Die Familienverhältnisse sind bei uns etwas verwickelt. Man kann nicht von jedem verlangen, daß er sich das alles umgehend zurecht klaviert.«

Fritz sah, daß die Tochter des Hauses nicht an Verblüffung leide. Er war sehr bald im lebhaften Gespräch mit ihr über die Anwesenden. Sie komme nicht selten von Berlin herüber zu diesen Mittwochen ihrer Mutter, erzählte Annie Eschauer, weil es ihr einen Hauptjux mache, soviel harmlos verrückte Leutchen beisammen zu sehen.

»Meine Mutter ist die gutmütigste Person, die ich kenne,« sagte Frau Eschauer. »Sehen Sie, von dieser Gesellschaft kommt die Hälfte hierher des Büffetts wegen, das es nachher giebt. Die anderen aus Neugier, um des Klatsches willen. Noch andere, weil sie hier Professor Wallberg zu treffen hoffen, der aber heute nicht da ist. Schließlich schickt uns auch Weißbleicher seine zahlungsfähigen Lyriker männlichen und weiblichen Geschlechts. Aber meine gute Mutter denkt, das alles komme der Kunst wegen zu ihr. Sie glaubt wirklich: soviel Nasen, soviel Genies habe sie in ihrem Salon.«

Fritz erkundigte sich, zu welcher Kategorie von Gästen sie ihn eigentlich zähle?

Frau Eschauer rief lachend: »Ach, ich dachte, sie verstünden Spaß! Wissen Sie, Ihnen sieht man auf den ersten Blick den Weißen Raben an. Was Sie hier wollen, weiß ich noch nicht recht; werde mich aber bemühen, es herauszubekommen. Vielleicht haben Sie Absichten auf das blonde Lämmchen mit den ›Epheuranken‹ – wie?«

Sie wurde von der Hausfrau abgerufen. Mutter und Tochter verschwanden im Nebenzimmer, wo offenbar das Buffett zurecht gemacht wurde. Aus den lebhaften Blicken, welche die Jünglinge mit dem langen Haar nach jener Thür sandten, war das mit einiger Sicherheit zu schließen.

Der Sohn des Hauses trat zu Fritz. Er stellte sich selbst vor. »Ich bin Theophil Alois Hilschius.« Darauf erzählte er ungefragt, daß er ein Drama geschrieben habe: »Sulla«. Wann und wo er es einzureichen beabsichtige, fragte Berting den offenherzigen Jüngling. Eingereicht sei es längst, war die Antwort; aber keine Bühne habe bisher den Mut gehabt, es aufzuführen. Ob es denn so außerordentliche szenische Anforderungen stelle, erkundigte sich Fritz. »Das nicht, aber psychologische!« war die stolze Antwort des Achtzehnjährigen. »Übrigens will ich nicht vorgreifen, denn meine Sulla wird nachher vorgelesen werden.«

Weißbleicher kam zu den zweien heran. Er klopfte dem Sohne des Hauses vertraulich auf die Schulter. »Der kann was! Theophil Alois Hilschius! In ein paar Jahren wird die Welt den Namen kennen.«

Der Jüngling trug das Lob mit Würde. Inzwischen wurden die Flügelthüren zum Nebenzimmer geöffnet. Eine Tafel war zum Buffett hergerichtet worden. Man erblickte Braten, Salat, Kompotte, Schüsseln mit süßen Speisen, eine Bowle. Alles drängte dorthin, gelockt von dem erfreulichen Anblick; voran die Dichter.

Fritz blieb im Salon mit Theophil Alois, der ihn von seinem Stücke unterhielt. Es werde demnächst in einer intimen Liebhaberausgabe bei Weißbleicher herauskommen.

Frau Annie Eschauer kam. Sie trug in der einen Hand ein Glas Bowle, in der anderen einen Teller mit einer Kollektion von Leckerbissen. Beides präsentierte sie Fritz. »Ich will gut machen, was ich vorhin verbrochen habe. Seien Sie mir nicht mehr bös, Herr Berting! Kommen Sie dort hinein, wir wollen uns unterhalten. Theophil, hole mir was zu knabbern! Du weißt, ich liebe das Krokante.«

Sie führte Fritz in ein kleines Boudoir, das neben dem Salon lag. Dort strahlte eine aus einem von türkischen Shawls gebildeten Baldachin herabhängende Ampel rötliches Licht aus. Er mußte der Dame gegenüber Platz nehmen. Theophil Alois erschien sehr bald mit Bowle und einem Teller voll Konfekt für seine Schwester. »Brav, mein Junge!« rief Annie, und streichelte dem Stiefbruder das seidige Haar. »Nun kannst du dort hinein zu den kleinen Mädels gehen. Die mit den ›Epheuranken‹ hat schon lange nach einer gleichgestimmten Seele geschmachtet.«

»Mein Bruder ist nämlich ein Wunderknabe,« meinte Annie, »und dabei noch so furchtbar jung. Er nimmt sich selbst entsetzlich ernst, das gute Kind. Doch das haben wir alle in dem Alter gethan.«

»Studiert Ihr Herr Bruder, gnädige Frau?«

»O nein! Er quält sich noch mit dem Abiturientenexamen.«

Fritz entfuhr ein Ausruf des Staunens.

»Ja, sehen Sie, Herr Berting, Theophil behauptet, die Lehrer seien solche Idioten. Sie verstehen ihn allesamt nicht. Der deutsche Lehrer hat ihn durchfallen lassen. Mein Bruder sagt, der Mann gehöre einer anderen litterarischen Richtung an als er. Der arme Junge, die Professoren wollen nichts von seinen Aufsätzen wissen und die Theater nichts von seinen Stücken! Aber das Mutterherz glaubt an sein Genie. Er soll nur das Examen machen, nachher darf er Dichter werden, hat Mama erlaubt.«

»Dichter werden!« rief Fritz. »Der Unglückliche!«

»Sie sind es doch auch!«

»Gerade darum möchte ich jeden jungen Menschen warnen, sich auf so dornenvollen Pfad zu begeben.«

Annie Eschauer nahm auf einmal eine ernstere Miene an. Sie rückte ihm näher und sagte halblaut: »Wissen Sie, Herr Berting, daß Sie etwas ganz ganz Anderes sind, als die Herrn Poeten dort am Buffett, das lehrt mich ein einziger Blick. Ich kann diesen Ekel von Weißbleicher sonst nicht ausstehen; aber daß er Sie uns zugeführt hat, dafür bin ich ihm sehr dankbar.«

Fritz sah sie erstaunt an. Was wollte diese Dame? Was wußte sie von ihm?

Es war ein eigentümliches Gesicht, in das er blickte. Etwas Unausgeglichenes lag darin. Die Augen, groß und glänzend, hätten schön sein können, wären sie ruhiger gewesen. Die Nase ein wenig zu kurz für die starkentwickelte Kinn- und Wangenpartie. Die lebhaft gefärbten aufgeworfenen Lippen über weißen Zähnen, und das rotbraune, buschige Haar machten an den Kopf einer schönen Mulattin denken. Die Figur war kaum mittelgroß, untersetzt, der Busen üppig.

Wie in ihrer Erscheinung das Unvermittelte der Mischlingsnatur lag, so schien auch ihr Wesen jäh und unberechenbar. Der Ton ihrer Unterhaltung wechselte zwischen dem Graziösen der Weltdame und der Burschikosität eines berliner Gassenjungen. Dumm war Annie Eschauer sicher nicht. Sie schien geistige Interessen zu haben. Fritz hörte ein Paar recht treffende Urteile von ihr. Aber als er dann näher auf das Thema eingehen wollte, sprang sie ab; ihr Interesse schien flackernd wie die Flamme ihrer unstäten Augen.

Ein schwüler Hauch sinnlicher Verführung ging von ihrer üppigen Erscheinung aus. Sich ein dauerndes seelisches Glück oder auch nur gute Kameradschaft mit ihr zu denken, war schwer.

Es kamen immer neue Gäste. Während Fritz im Tête-à-tête saß mit Annie Eschauer, traten ins Nebenzimmer, das er von seinem Platze aus übersehen konnte, durch die Eingangsthür drei Damen; zwei ältere und eine ganz junge.

Fritz erschrak, als er die Züge der Jungen betrachtete. Diese hohe, gewölbte Stirn, die schmale, rassige Nase, das feine Kinn. Und um den Kindermund genau das spöttisch überlegene Lächeln, das sie neulich im Tramwagen gehabt, als sie seinen forschenden Blick kühl erwidert hatte. Mehr als ein Mal hatte er in der letzten Zeit an diese Begegnung denken müssen. Und nun war es ihm wie eine Vision, als er diese graziöse Figur abermals vor sich erblickte.

Frau Annie fand mit fixem Blick schnell heraus, welcher Gegenstand das Interesse ihres Herrn so plötzlich auf sich lenkte. »Kennen Sie die Kleine da, Herr Berting?« fragte sie. Fritz beeilte sich zu verneinen. Nur eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einer Dame seiner Bekanntschaft habe ihn an dem Fräulein frappiert, und er möchte wohl wissen, wer sie sei.

»Hedwig von Lavan. Theophil schwärmt für sie. Er hat sie in der Tanzstunde kennen gelernt. Sehen Sie, da ist er schon bei ihr!«

Fritz war enttäuscht. Was hatte er in das Gesicht des Mädchens alles hineingesehen von interessanten Eigenschaften; und nun entpuppte sich die Bewunderte als die Tanzstundenschwärmerei eines Gymnasiasten. Wie sie jetzt, behütet von den beiden alten Damen, sich mit Theophil unterhielt, kam sie Fritz auf einmal recht unbedeutend vor. Er begriff nicht seine Eselei, ihr neulich Abend nachgelaufen zu sein. Was konnte man von einem Gänschen erwarten, das für Waldemar Heßlow schwärmte und sich von Theophil Alois Hilschius die Cour machen ließ! –

»Mein Brüderchen hat gar keinen schlechten Geschmack,« fuhr Annie Eschauer fort. »Fräulein von Lavan ist ein niedlicher Käfer, finden Sie nicht auch? Übrigens ist sie Waise.«

»Wer sind denn die beiden Damen, die mit ihr kamen?«

»Ihre Adoptivmütter, zwei Schwestern: Fräulein Ida und Amanda Tittchen. Alte Schachteln, die das Mädel angenommen haben an Kindesstatt. Theophil weiß die ganze Geschichte. Eine von den beiden Alten da ist verlobt gewesen mit dem Vater von Fräulein von Lavan. Die Tittchens haben nämlich Geld. Herr von Lavan, ein alter Schwerenöter, starb, ehe er in den sauren Apfel beißen mußte, Amanda heimzuführen. Es ist die mit dem schwarzen Kleide; sie markiert immer noch die trauernde Witwe. Den besten Coup hat bei der ganzen Geschichte die kleine Hedwig gemacht. Ihr Vater hatte nichts als Schulden, während sie sich in die Erbschaft der Schwestern Tittchen wahrscheinlich nur mit einem Mops oder einem andren Lieblingstier zu teilen haben wird.«

Fritz hatte über Frau Annies belustigender Kritik die eben erlebte Enttäuschung schon ganz vergessen. Er betrachtete sich die Damen Tittchen genauer. Altmodische Erscheinungen, mit großen, aufgedunsenen, gutmütigen Gesichtern. In ihrer Kleidung verleugneten sie, trotz der prächtigen Sachen, die sie auf sich gehängt hatten, die Spießbürgerabkunft nicht. In dieser Gesellschaft von Künstlern schienen sie sich nicht ganz geheuer zu fühlen; sie hielten sich befangen in der Nähe der Thür und betrachteten die fremden Menschen um sich her neugierig-ängstlich aus großen, runden, erstaunten Vogelaugen.

»Ich will Sie den alten Schachteln vorstellen, wenn es Ihnen Spaß macht,« sagte Annie Eschauer.

Fritz ward bei dem Vorschlage nicht ganz behaglich zu Mute. Würde ihn Fräulein von Lavan wiedererkennen? –

Die Tanten lächelten den jungen Mann verlegen an und machten linkische Knixe, als er sich vor ihnen verbeugte. Fräulein von Lavan hingegen sah Fritz ruhig in die Augen. »Ich glaube, wir haben uns schon aus der Entfernung im Theater gesehen,« sagte sie. Dabei hatte sie wieder jenes spöttische Lächeln, das Fritz so deutlich im Gedächtnis geblieben war. Dieser Gegensatz von Jugend und Kaltblütigkeit in einer Person setzte ihn von neuem in Erstaunen.

Er war froh, seine Befangenheit hinter einigen Phrasen über das Theater notdürftig verbergen zu können. Stillschweigend nahm er an, daß die hiesige Bühne ihr über alles gehe. Aber sie übte an den Vorstellungen sowohl wie an dem Publikum eine Kritik, die Fritz äußerst treffend erschien. Sie kannte die Bühnen von Wien und München, und stellte Vergleiche an. Fritz, der sie mit Staunen von Paris und Rom sprechen hörte, als seien diese Städte ihr ganz vertraut, erfuhr, daß sie eigentlich ihr ganzes Leben an der Seite des Vaters auf Reisen verbracht habe.

Hedwig von Lavan besaß ein schwaches, aber dabei wohlklingendes Organ. Sie pflegte nur halblaut, wie verschleiert, zu sprechen. Das gab der Unterhaltung mit ihr etwas Diskretes.

Fritz war angenehm berührt, endlich auf jemanden gestoßen zu sein, der dialektfrei sprach. Wie ein lange vermißter reiner Laut stach ihre Sprechweise ab von dem verdorbenen Deutsch, mit dem die Autochthonen schon bald ein Jahr lang sein verwöhntes Ohr gequält hatten.

Nun sah er auch die grauen Augen, über deren Ausdruck er sich neulich im Unklaren geblieben war. Sie fielen weder durch Tiefe, noch durch Feuer auf; ungewöhnlich ruhig, fest, ja hart war der Blick. Fritz hatte wieder das Gefühl, als komme er mit Stahl in Berührung, diesen kalten, beobachtenden Sternen gegenüber.

Unwillkürlich nahm er sich zusammen in dem, was er sagte, viel mehr als er es vordem Frau Eschauer gegenüber gethan hatte.

Welch ein Gegensatz zu der üppigen, herausfordernden Annie! Hedwig erschien ihm fast wie ein geschlechtsloses Wesen, mit ihrem kaum angedeuteten Busen, den knabenhaft mageren Gliedmaßen und dem schmalen Schädel unter dünnem Haar, in den sich ihr kapriciöses Gesichtchen fortsetzte.

Sie sprachen vom modernen französischen Romane. Mit Fräulein von Lavan traf sich Fritz in seiner Begeisterung für Guy de Maupassant. Sie stellte den unerbittlichen Vivisektor Zola weit über Daudet, den sie langweilig, süßlich und unwahr nannte.

Fritz erkundigte sich, ob sie Balzac kenne. Hedwig verneinte, fügte aber hinzu, sie hätte den Namen oft von ihrem Vater gehört, der Balzac den großen Vorläufer Zolas genannt habe.

»Balzac hat die feinere Künstlerhand,« meinte Fritz. »Aber Zola ist doch der größere Kerl. Eine einzigartige Kombination von Gelehrtem, Dichter, Techniker, Pionier, Politiker, Nationalökonom, wie sie nur das neunzehnte Jahrhundert hervorbringen konnte. Cyklop und moderner Baumeister in einer Person. Sein Bau mag in Einzelheiten Roheiten und kahle Flächen aufweisen, als Ganzes ist er riesenhaft. Balzac ist der intimere, der romantischere dabei, ein Kenner der Sitten und der Gesellschaftsseele, wie es nicht viele giebt.«

Hedwig interessierte sich für Balzac. Da Fritz die Comédie humaine studiert hatte, fast wie ein wissenschaftliches Buch, konnte er ein genaues Bild seiner Eigenart geben. Das Mädchen folgte seinen Worten mit dem Ausdrucke sachlichen Ernstes. »Ich danke Ihnen,« sagte sie, »das ist mir von großem Wert. Ich werde mir auf alle Fälle Balzacs Werke anschaffen.«

Fritz meinte: Die Mühe könne er ihr ersparen. Er besitze diesen Autor in einer guten Ausgabe. Wenn es ihr recht sei, wolle er ihr die neun oder zehn Bände, die es seien, übermitteln.

»Sagen Sie mir, bitte, Ihre Adresse« erwiderte Hedwig. »Ich werde zu Ihnen schicken nach den Büchern.«

Fritz zögerte. Er dachte an Frau Klippels Neugier und an Almas leicht erregte Eifersucht. »Nein, ich bringe die Bände selbst,« rief er. »Wo wohnen Sie?«

»Ich wohne im ersten Stock, Herr Berting,« war die Antwort. »Wenn ich nicht irre, kennen Sie das Haus bereits.« Sie sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen.

Fritz errötete und stotterte dasselbe, was er vorhin schon Annie gegenüber behauptet hatte, von einer ungewöhnlichen Ähnlichkeit mit einer Dame seiner Bekanntschaft. An dem überlegenen Lächeln, das sofort auf ihrem Gesicht erschien, sah er, daß sie ihm nicht glaube, und daß er die Dummheit nur größer gemacht habe. Jetzt fing ihn die Sicherheit dieses kleinen Dinges doch an zu verdrießen. Er sann nach, ob er ihr nicht irgend eine Bosheit versetzen könne.

Nebenan wurde Leben. Die jungen Damen reckten die Hälse und drängten alle nach einer Richtung. Fritz Berting, durch seine Größe begünstigt, blickte über die blonden und braunen Zöpfe hinweg, und erkannte für einen Augenblick ein glattrasiertes Männergesicht.

Der Schauspieler Heßlow hier, der schöne Waldemar Heßlow! –

Gleich darauf erschien die Verfasserin der »Epheuranken« in der Thüröffnung, und rief hochgeröteten Angesichts in das Zimmer: »Er ist da!« worauf sie wieder in der Richtung entschwand, wo soeben der Mime zu sehen gewesen war. Jetzt hörte man auch eine tiefe Männerstimme, die sich wohlgefällig auf den einzelnen Silben wiegte.

»Wissen Sie wer dieser er ist, Fräulein von Lavan?« erkundigte sich Fritz, dabei betrachtete er Hedwigs Miene scharf, was sich wohl darauf malen würde.

Das Mädchen lauschte einen Augenblick. »Ach, Herr Waldemar Heßlow!« sagte sie anscheinend unbefangen.

»Kennen Sie den großen Mann, Fräulein?«

»Natürlich! Er verkehrt bei meinen Tanten.«

»Heßlow ist einer unserer bedeutendsten Schauspieler.«

»Ganz und gar nicht, Herr Berting! Ich finde ihn als Schauspieler herzlich schwach. Er hat mir schon manche Rolle total verdorben.«

Wenn Fritz versucht hatte, sie in Verlegenheit zu versetzen, so war das mißglückt.

In diesem Augenblicke trat Annie Eschauer zu ihnen: »Der schöne Waldemar ist da!« verkündete sie. »Da drinnen wird er von seinen Verehrerinnen gefüttert. Das ist ein Anblick, den sie sich nicht entgehen lassen dürfen, Herr Berting!«

Fritz verbeugte sich vor Fräulein von Lavan und folgte Annie.

Als sie das Eßzimmer betraten, bot sich ihnen ein eigentümlicher Anblick. Am Tische saß Waldemar Heßlow, eine Serviette vorgesteckt, das Haar kühn aus dem großen Gesicht mit der Adlernase nach hinten gestrichen. Hochgerötet; eines Kenners Auge hätte ihm angesehen, daß er eben erst abgeschminkt war. Er kam von der Bühne, wo er eine seiner Renommierrollen, den Grafen Essex, gespielt hatte. Hinter ihm, neben ihm, gegenüber: Damen, die froh waren, ihn bedienen zu dürfen. Er aß und trank mit vollen Backen.

»Hier sind mir zu viele Gänse um einen Gänserich!« sagte Frau Annie. »Kommen Sie ins Rauchzimmer, Herr Berting.«

Sie fanden da die jungen Männer mit dem langen Haar ganz allein. Sie saßen und schwiegen mit verdrossenen Mienen. »Die armen Kerle!« raunte Frau Annie Fritz zu, »der schöne Waldemar hat sie vom Eßtisch verdrängt.« Dann hielt sie ein Dienstmädchen an und befahl ihr, Bowle und Gläser in dieses Zimmer zu bringen. »Warum so düster, meine Herren? Ich kann die Trauerkerzen-Begräbnis-Stimmung nicht ausstehen. Lassen Sie uns eine rauchen!« Dabei öffnete sie ein Wandschränkchen, holte Cigarren hervor und forderte die jungen Leute auf, sich zu bedienen. Sie selbst zündete sich eine Cigarette an, und auch Fritz mußte eine nehmen.

Dann kam die Bowle. Die Tochter des Hauses schenkte selbst aus und setzte sich zu den Langhaarigen, deren Gesichter sich vor den gefüllten Gläsern aufhellten; den Rest von Weltschmerz vertrieb Frau Annie durch ihr Geplauder.

Endlich schien Waldemar Heßlow soweit gestärkt zu sein, daß er es unternehmen konnte, den ›Sulla‹ vorzulesen. Die Mutter des Autors ging durch alle Zimmer, um den Gästen dieses Faktum mitzuteilen. Die jungen Leute im Rauchzimmer warfen noch einen wehmutsvollen Blick auf die Cigarren, welche von vorzüglicher Qualität waren. Wie der Sulla ausfallen würde dagegen, schien sehr fraglich. Aber die Frau des Hauses hatte befohlen, und niemand, am wenigsten die jungen Dichter, wollten es mit dieser mütterlichen Freundin verderben.

Man begab sich in den Salon zurück, wo inzwischen Stühle gestellt worden waren. Waldemar Heßlow saß an einem kleinen Tischchen, flankiert von zwei silbernen Kandelabern, welche die Feierlichkeit des Anblicks erhöhten. Hinter ihm lehnte der Autor, bereit, die Seiten des Manuskripts umzuwenden, die Arme verschränkt, die Stirn runzelnd, in einer Art Gladiatorenstellung, als sei er bereit, den Kampf mit der Bestie Publikum aufzunehmen.

Das Manuskript, das vor Heßlow lag, war bedenklich stark, wie Fritz mit einem schnellen Blicke konstatierte.

Erst ließ der Vortragende die Menge sich beruhigen. Dann als kein Stuhl mehr gerückt wurde, kein Flüsterlaut mehr erklang, begann er: »Sulla, Tragödie in fünf Akten, von Theophil Alois Hilschius.«

Fritz hatte richtig vermutet: fünf Akte, dazu ein Verzeichnis von einigen zwanzig handelnden Personen. Und um das Maß voll zu machen: Verse! Fritz war wütend auf Weißbleicher, daß er ihn darauf nicht vorbereitet hatte.

Waldemar Heßlows Vorlesen war seines Spieles auf den Brettern würdig. Er nutzte sein volles Organ aus, als habe er einen Saal auszufüllen und nicht ein mittelgroßes Zimmer. Er war offenbar ganz in seinem Element. Die jugendliche Phrasenhaftigkeit des Stückes gab ihm Gelegenheit, stolzklingende Tiraden mit dem gehörigen Pathos herauszuschmettern und sich im sentimentalen Tiefsinn langgedehnter Monologe zu ergehen.

Stück und Vortrag schienen nichtsdestoweniger der Zuhörerschaft zu gefallen. Nach Schluß des ersten Aktes hörte man Weißbleichers öliges Organ: »Vielversprechend! Die Exposition klar, die Charaktere interessant angelegt, die Entwickelung fesselnd. Sehr vielversprechend!« Frau Hilschius strahlte und sah sich voll Stolz um. Schon wollte sich eine Unterhaltung hervorwagen; aber Waldemar Heßlow deutete durch ein Räuspern an, daß er Aufmerksamkeit für den weiteren Verlauf der Tragödie erbitte.

Sulla, obgleich »Thatmensch«, besaß eine merkwürdige Neigung zu weitschweifigen Monologen, und verlängerte dadurch sein Leben und das Stück ungemein. Fritz hatte schon wiederholt verstohlen gegähnt, sich dabei besorgt umsehend, ob etwa jemand das Verbrechen bemerke. Aber die meisten Augen waren nach vorn gerichtet, wo zwischen den silbernen Kandelabern Waldemar Heßlow saß, unentwegt Jamben skandierend, während Theophil Seite um Seite umblätterte.

Fritz überlegte, daß er in der Nähe einer Thür sitze, die schwerlich verschlossen sein würde. Er benutzte den Augenblick, wo Sulla den Befehl erteilte, dreitausend Gefangene niederzumetzeln, um, während ein Schauder bleichen Entsetzens über die Zuhörer ging, unbeachtet zu entkommen.

Gott sei Dank, er war draußen! Unwillkürlich richteten sich seine Schritte nach dem Rauchzimmer. Aber wie erstaunte er, als er hier in weißlichen Qualm gehüllt die beiden langhaarigen Kollegen antraf. Vor ihnen stand die geöffnete Cigarrenkiste und die Bowle. Beides machte einen ziemlich leeren Eindruck.

»Ist Sulla tot?« fragte einer der Dichter teilnahmsvoll.

»Nein, er hat noch zwei und einen halben Akt zu leben,« war Fritzens Antwort.

»Wir sind schon nach dem ersten Akte gegangen. Leider ist die Bowle alle, und Bier giebt's hier nicht. Da wird's wohl das Beste sein, wir gehen.«

»Zu Sulla?«

»Gottbewahre! In ein Bierhaus natürlich. Kommen Sie mit?«

Die Dichter erhoben sich, nahmen die letzten Cigarren aus der Kiste, steckten sie ein und gingen.

Fritz Berting, vor die Wahl gestellt, den Sulla weiter über sich ergehen zu lassen, oder mit den Kollegen einige Nachtstunden zu verbringen, zog die gemeinsame Flucht vor.

*

Am Tage darauf, als er mit Lehmfink im Café zusammentraf, erzählte Fritz dem Freunde von den Erlebnissen im Salon der Frau Hilschius. Im Anschluß daran unterhielten sie sich über das schöngeistige Leben des Platzes, und Fritz äußerte die Ansicht, es sei doch erstaunlich, daß eine so große Stadt in ihren geistigen Interessen so völlig im Rückstand geblieben war.

Heinrich Lehmfink hielt sich lange genug am Orte auf, um übersehen zu können, welche Kräfte fördernd, welche hemmend am Werke seien, dem lokalen Geistesleben die Eigenart aufzudrücken. Mittelmäßigkeit, behauptete er, sei hier das charakteristische Gepräge: in der Kunst, der Gesellschaft, der Politik.

Und dabei waren doch alle Vorbedingungen vorhanden, die eine große Entwickelung hätten hervorrufen können. Herrliche Mittel: Schönheit der Natur, Reichtum, gute Vorbilder, alte Tradition. Doch bei so viel Gunst der Verhältnisse fehlte eines: die Triebkraft des Bodens.

War dieses Erdreich vielleicht übersättigt? War die Kultur im Alter lendenschwach geworden, nicht mehr fähig zur Zeugung? Hatte dieses an sich begabte Volk schon zuviel verausgabt, war es jetzt in das Alter eingetreten der Beschaulichkeit, wo man lieber genießt und das Erworbene vorsichtig ordnet, statt sich noch einmal in den Kampf der Meinungen zu stürzen und alles aufs Spiel zu setzen?

Oder lag es daran, daß durch den Gang der Weltereignisse der ganze Staat herabgezogen worden war von seiner ehemaligen Bedeutung auf ein niedriges Niveau? Mußte das nicht verhängnisvoll auf das Selbstgefühl jedes Einzelnen zurückwirken? Denn in dem verkleinerten, beschnittenen Terrain fehlte dem Strebsamen der Raum, sich auszubreiten; von vornherein wurde dem Drang, sich hervorzuthun, ein Dämpfer aufgesetzt, weil dem Läufer nur eine kurze Bahn vorgesteckt war. Die Eigenart konnte sich nicht ausleben. Die vielen, reichbeanlagten Naturen, die dieser intelligente Stamm hervorbrachte, wurden unterbunden in ihrer Entwickelung. Oder sie wurden ganz verdrängt, gingen ins Ausland.

Der Fluch der Enge lag auf Stadt und Land. Da die hohen Ziele genommen waren, da der Ausdehnung ins Weite ein Damm vorgelegt war, da die großen Aufgaben des deutschen Lebens, die in Angriff zu nehmen man ehemals sich zum Fluche versäumt hatte, von einer jüngeren, kräftigeren, skrupelloseren Nation gelöst wurden, zog man sich beleidigt auf sich selbst zurück, bearbeitete das kleine Gebiet, das einem gelassen worden war, mit peinlicher Sorgfalt, die zur Pedanterie und zur Zersplitterung edler Kräfte ausarten mußte. Der ehemals freigewachsene Baum, in seinem Wipfel verschnitten, trieb eine buschige, zwerghafte Krone, in der ein Ästchen dem andern Luft und Licht wegnahm.

Die äußere Lage des Staates wirkte auch auf die Kultur zurück. Wie in der Politik ließ man die großen Fragen der Zeit in Kunst und Wissenschaft auswärts entscheiden, gewöhnte sich aber daran, über alles spießbürgerlich weise zu raisonnieren und zu moralisieren. Keine großen Ideen beschäftigten die Gemüter; Ideal war: Gemütlichkeit, Bequemlichkeit in Ruhe genießen. Jeden, der sie darin zu stören wagte durch Äußerung neuer Ansichten, blickten sie mißtrauisch, bedenklich von der Seite an und verdächtigten ihn, wenn sie unter sich waren, aufrührerischer Gesinnung halber.

Zwar gab es einen Hof, welcher den Brennpunkt bildete für die gute Gesellschaft; früher war von hier, wenigstens für die Kunst, wiederholt segensreiche Befruchtung ausgegangen. Aber jetzt war man da so ganz beschäftigt mit militärischen Dingen, mit konfessionellen Interessen und mit Rangfragen, daß für ein Mäcenatentum großen Stils Zeit nicht übrig blieb.

Die Kunst, welche einstmals dieser Stadt einen Kuß aufgedrückt hatte, der ihrem Angesicht unvergängliche Schönheit verlieh, war zu einem äußerlichen Zierat geworden. Bei dem weiteren Aufbau, im Aufstellen von Monumenten, bei Errichtung öffentlicher Gebäude, wurde ein Abderitenstreich nach dem anderen begangen.

Selbst auf die Kunst übertrug der Spießbürger sein instinktives Grauen vor Eigenart. Das Kunstwerk sollte »schön« sein. Unter »schön« verstand er das, was ihn amüsierte, seine Neugier befriedigte, seine Sinne kitzelte. Häßlich war das, was stark, neu, ungewöhnlich auftrat, zum Nachdenken zwang und den Menschen in seiner Verdauung störte.

Nur für Musik legte man viel Interesse an den Tag; musikalisch zu sein, gehörte sogar zum guten Ton. Diese Kunstbethätigung entsprach am meisten dem verschwommenen, gedankenlosen Phäakentum dieses genußfrohen Völkchens. Hier machte man im Wagnerkultus sogar der Moderne seine Reverenz; freilich erst nachdem sich der verstoßene Sohn dieses Landes auswärts den Freipaß eines berühmten Namens geholt hatte.

Denn vor allem, was weither kam, lag man auf der Nase. In der Gesellschaft spielten Fremde die tonangebende Rolle. Kein Wunder, daß sich der Ausländer wohl fühlte unter Menschen, deren verwaschene und schmiegsame Individualität es gelassen duldete, daß der Engländer sich unter ihnen stolz als Engländer, der Russe ungeniert als Russe suhlen und aufführen durfte.

Die öffentliche Meinung aber war mit diesen Zuständen durchaus zufrieden. Es ging ja alles gut und glatt, man verdiente Geld, und – worauf man den höchsten Wert legte – die Gemütlichkeit wurde nicht gestört. Die Presse schließlich machte diesen Ton mit; denn wie lange wäre sie »maßgebend« geblieben, wenn sie den Leuten nicht das gesagt hätte, was sie gern hören wollten! –

 

Heinrich Lehmfink war in seine schwäbische Heimat gereist, um, wie er sagte, Mutter und Schwester, die lange nichts von ihm gesehen hätten, wieder einmal aufzusuchen.

Die nächste Folge davon war für Fritz, daß sich im Café der Dichter Karol, alias Siegfried Silber, mit an seinen Tisch setzte. Allerdings pflegte der kleine Mann pro forma noch immer zu fragen, ob es auch erlaubt sei, und jedesmal dankte er ausdrücklich für die Genehmigung; doch wohl nur, um zu zeigen, daß er die Abweisung, die ihm einstmals widerfahren war, nicht vergessen habe.

Die langhaarigen jungen Leute, mit denen Fritz neulich gemeinsam aus der Sullavorlesung geflohen war, um mit ihnen dann noch ein paar Stunden im Bierhause Litteratur zu schwatzen, verkehrten in demselben Café. Dadurch, daß Fritz Berting sich mit ihnen grüßte, erfuhr Siegfried Silber, dessen Blicke so leicht nichts entging, und den keinerlei Verschämtheit hinderte, allem, was ihn interessierte, auf den Grund zu gehen, daß Berting im Hause der Frau Hilschius verkehre. Diese Thatsache schien Silber sehr zu interessieren; wiederholt kam er im Gespräche darauf zurück. Wen man alles dort treffe, wollte er wissen, welche Art Person Frau Hilschius wäre, ob sie sehr reich sei. Nach den fernliegendsten Dingen erkundigte er sich. Schließlich mußte Fritz dem Wißbegierigen sogar den Roman borgen, den Frau Hilschius geschrieben hatte.

Berting konnte nicht lange im Zweifel darüber sein, was das zu bedeuten habe. Silber wollte in den Salon der Frau Hilschius eingeführt sein.

Fritz lachte über den Ehrgeiz des kleinen Mannes. Er selbst hatte es eigentlich verschworen, dort wieder hinzugehen. Aber da Silber wirklich viel daran zu liegen schien, mit den Kreisen in Verbindung zu kommen, die bei der schöngeistigen Dame verkehrten, versprach Fritz die Einführung am nächsten Mittwoch zu bewerkstelligen. Im letzten Augenblicke wurde ihm allerdings bange, daß Siegfried Silber mit seinem oft recht vernachlässigten Aufzuge ihn dort blamieren könne. Wie seine Manieren in Damengesellschaft sein mochten, wußte man auch nicht. Als Fritz an das scharfe Mundwerk von Annie Eschauer und an die spöttische Miene von Fräulein von Lavan dachte, that ihm sein Versprechen beinahe leid.

Aber schließlich erwiesen sich solche Befürchtungen als übertrieben. Silber hatte reine Wäsche angelegt für diese Gelegenheit, und weder Frau Annie noch Hedwig von Lavan waren an diesem Mittwoche da.

Frau Hilschius war erfreut, einen »bekannten Autor« mehr in ihrem Salon zu begrüßen; denn als solchen hatte Fritz Berting den Neuling eingeführt. Nur Weißbleicher, der Patron des Hauses, rümpfte die Nase und meinte mit einem mißbilligenden Seitenblicke auf seinen Stammesgenossen: »Solche Elemente« gehörten doch eigentlich nicht hierher.

Fritz konnte nicht finden, daß Siegfried Silber seine Rolle schlecht gespielt hätte. Im Gegenteil! Man mußte nur wissen, aus welchen Verhältnissen der Mensch stammte. Hinter dem Ladentisch seines Vaters hatte er sicher keine Gelegenheit gehabt, sich gesellschaftlichen Schliff anzueignen. Dies hier war sein erstes Debut im Salon. Dafür war die Sicherheit seines Auftretens erstaunlich. Schnell hatte er sich über die Anwesenden orientiert. Die Sterne zweiten und dritten Ranges ignorierte er, unterhielt sich nur mit Leuten, die etwas zu bedeuten hatten. Mit dem Sohne des Hauses, Theophil Alois, freundete er sich an. Als Fritz Berting gelegentlich an den beiden vorüberkam, klangen ihm große Worte über die »Zukunft der deutschen Litteratur« in die Ohren, die einen »Heiland»brauche. – Fritz war keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß jeder der beiden Jünglinge sich selbst für diesen Heiland ansehe.

Als man aufbrach, hatte Silber die Genugthuung, daß ihn Frau Hilschius aufforderte, doch ja in Zukunft ihre Mittwoche mit seiner Gegenwart zu beehren.

 

Wenige Tage darauf erhielt Fritz durch Weißbleicher, mit dem er der Korrektur seines Romanes wegen jetzt öfters zusammen kam, eine Einladung von Frau Hilschius, bei ihr im intimen Kreise zu Mittag zu speisen. Nur die Familie würde da sein, der Verleger selbstverständlich, und Professor Wallberg.

Fritz hatte diesen Namen schon wiederholt von Weißbleicher mit besonderer Betonung nennen hören, auch andere Leute, besonders die litteraturbeflissenen Damen im Salon der Frau Hilschius hatten den Namen Wallberg mit einer gewissen Ehrfurcht und Scheu in den Mund genommen. Fritz erkundigte sich daher, was es mit diesem Manne so besonderes auf sich habe. Weißbleicher gab zur Antwort: Professor Wallberg sei eine »kritische Koryphäe«, ein Mann, von dem ein paar Zeilen genügten, einen jungen Autor berühmt zu machen. Zwar gehöre der Professor der alten Schule an, aber – und das sagte der kundige Geschäftsmann mit bedeutungsvollem Augenzwinkern – wenn er an einem jungen Autor Gefallen finde, vor allem wenn er bei der Jugend auf das gehörige Maß von Bescheidenheit stoße, lasse er sich auch herbei, einen Vertreter der modernen Richtung zu lancieren. Der Verleger deutete dann noch an, daß zwischen seinem Verlage und dieser Autorität Beziehungen zartester Natur bestünden, die seinen Autoren zu gute kämen.

Frau Hilschius empfing Fritz Berting mit großer Zuvorkommenheit, als er ihrer Einladung folgend mittags um zwei Uhr sich zu Tisch einfand. Von Annie Eschauer wurde er mit der Vertraulichkeit einer alten Bekannten begrüßt. Sie sei auf der Durchreise nach Karlsbad, erzählte sie, und da habe sie um dieses Diners willen einen Tag zugegeben. Während Fritz sich mit den beiden Damen unterhielt, saß Theophil Alois in einsamer Größe auf einem Hocker, Bein über Bein geschlagen, die Hand am Kinn, mit gerunzelter Stirn, düster, als wälze er den Plan zu einem neuen Sulla in seinem Haupte. Bis ihn seine Stiefschwester durch die boshafte Frage, ob er das Lateinisch für morgen schon präpariert habe, zu einem mißmutigen: »Unverschämtheit!« veranlaßte. Beleidigt verließ er das Zimmer. Seine Mutter, deren Liebling er war, ging ihm nach, wohl um ihn zu trösten. Annie lachte und meinte: »Familienszene!« –

Die Unterhaltung zwischen Annie und Fritz wollte eben intimer werden, als Weißbleicher kam. Er setzte sich zu den beiden. Professor Wallberg schien seine Bedeutung dadurch beweisen zu wollen, daß er warten ließ.

Endlich kam der große Mann und entschuldigte die Verspätung damit, daß er den Besuch eines auswärtigen Bühnenleiters – er nannte einen aristokratischen Namen – empfangen habe, der seine Ansicht über ein Theaterstück habe einholen wollen. Er verweilte bei diesem Thema, wie es schien, nicht ungern, da es ihm Gelegenheit gab, noch andere glänzende Persönlichkeiten seiner Bekanntschaft namhaft zu machen.

Der Professor war ein großer, ehemals gewiß recht stattlicher Mann, mit weißem Vollbart. Das noch ziemlich volle Haupthaar trug er ohne Scheitel einfach nach hinten gestrichen, wo es ihm in graugelben Strähnen bis tief ins Genick fiel. Die Gesichtsfarbe war gleichmäßig rötlich. Hinter der goldenen Brille lagen ein Paar graue Augen, aus deren Sprache man nicht recht klug werden konnte. Im Knopfloch trug er eine Ordensrosette, die in vielerlei Farben erstrahlte.

Man ging zu Tisch. Zunächst führte Professor Wallberg die Unterhaltung so gut wie allein. Er sprach von Litteratur, doch hatte alles, was er sagte, mehr oder weniger Bezug auf seine Persönlichkeit. Er erzählte allerhand Anekdoten, citierte Aussprüche berühmter Leute, die beweisen sollten, daß das literarische Leben der letzten Decennien sich um einen einzigen Mittelpunkt drehe, um ihn.

Frau Hilschius hing bewundernd an den Lippen des großen Mannes, Theophil blickte verehrend zu dem grauen Haupt auf, selbst Weißbleicher, der sonst so beredte, schwieg, und dachte vielleicht über die »zarten Beziehungen« nach, die zwischen seinem Verlage und diesem Litteraturpapst bestanden. Einzig Frau Annie machte dem Professor hie und da durch eine Zwischenbemerkung ein wenig Opposition, die Wallberg jedoch abzuschwächen verstand, indem er alles, was Frau Eschauer äußerte, für »allerliebst amüsant« erklärte und durch diesen Freipaß den Pfeilen ihres Witzes von vornherein die Spitze abbrach.

An Fritz Berting hatte Professor Wallberg noch kein einziges Mal das Wort gerichtet, er nahm wohl stillschweigend an, auch in ihm einen Bewunderer zu besitzen. Vielleicht um festzustellen, wes Geistes Kind der junge Mensch, der ihm von Frau Hilschius als Dichter und Verfasser eines demnächst erscheinenden Romans vorgestellt worden war, eigentlich sei, begann er von der modernen Jugend und ihren Bestrebungen.

Der alte Herr sprach sich nicht gerade freundlich aus über den Naturalismus. Er nannte ihn die roheste Art der Kunstübung, ein Zurücksinken in den Zustand der Wilden, ohne die Urwüchsigkeit der Barbarei, vielmehr mit der perversen Raffiniertheit des fin de siècle verquickt. Decadence und Naturalismus seien Erscheinungen, die sich gegenseitig bedingten. Decadence erzeuge Naturalismus, und das mißratene Kind des Naturalismus wiederum sei die Decadence.

»Ach, so etwas Decadence zur Abwechselung ist gar nicht übel« meinte Annie. »Die früheren Dichter sangen mir zuviel vom treuen deutschen Herzen, vom schönen Rhein, von Minne, Tugend und lauter solchen unmöglichen Sachen. Es wurde einem dabei immer zu Mute wie nach Lindenblütenthee. Da lobe ich mir die Jungen, die sind amüsanter. Ich kenne einige Dichter der jüngsten Schule in Berlin, sie gehen bei uns ein und aus im Hause, und ich muß sagen, die Leute sind ganz charmant!«

»Ein echt weiblicher Grund, deshalb die ganze Richtung zu loben,« höhnte der Professor. »Aber mir, Gnädigste, gestatten Sie wohl, mich durch das meinetwegen noch so bestechende Äußere der jungen Autoren nicht beeinflussen zu lassen und der Sache etwas tiefer auf den Grund zu gehen. Es handelt sich beim Naturalismus um mehr als eine bloße Mode; eine Krankheit ist er, eine Seuche, welche die Geister befallen hat. Moralische Verwilderung, krasser Nihilismus! Nichts wird mehr anerkannt, es giebt keine Autoritäten mehr, jede Pietät fehlt, jeder Respekt. Alles alt Bewährte, jede Tradition will diese Richtung vernichten und weiß doch nichts Neues an die Stelle des Alten zu setzen. So handeln Menschen, die das moralische Gleichgewicht verloren haben und darum ihrer Sinne nicht mehr mächtig sind.« –

Professor Wallbergs Stirn und Hals hatten sich dunkel gefärbt bis unter das gelbgraue Haar; in fanatischem Hasse blitzten seine grauen Augen unter den Brillengläsern hervor.

»Mir kommt es vor,« fiel hier Fritz Berting ein, der Annie Eschauers Augen längst auf sich gerichtet sah mit der deutlichen Frage: ›wirst du hierauf nichts erwidern?‹ »mir kommt es vor, als handle es sich beim Naturalismus nicht um Erkrankung, sondern um den Anfang eines Gesundungsprozesses. Die neueste Revolution in der Litteratur ist mit Nichten ein Kind der Decadence, sie ist Reaktion, berechtigte Reaktion gegen Unnatur und Impotenz der vorigen Generation. Der Naturalismus ist eine Notwendigkeit geworden und wird hoffentlich eine Erlösung werden. Hätten wir ihn noch nicht, so müßte er erfunden werden. Decadence ist eine Erscheinung des Gesellschaftslebens. In diesem Sinne ist Decadence immer da, eben so gut wie es überall verbrecherische Menschen giebt. Der Künstler wird einen solchen Wandlungsprozeß auf dem Gebiete der Sitten mit Interesse verfolgen, ihn eventuell auch verwerten; im übrigen hat Kunst mit Moral nichts zu thun, und der Vorwurf der Immoralität, der so oft gegen uns erhoben wird, geht glatt am Ziele vorbei.«

Professor Wallberg blickte mit maßlosem Staunen auf den jungen Menschen, der es wagte, ihm in solcher Weise zu widersprechen. Weißbleicher hatte, während Fritz sprach, versucht, durch Blicke und Worte ihm verständlich zu machen, er solle seine Zunge in Acht nehmen; erfolglos! Theophil saß mit offenem Munde da. Annie aber, um deretwillen Fritz den hingeworfenen Fehdehandschuh eigentlich nur aufgenommen hatte, nickte ihm lebhaft beistimmend zu.

Frau Hilschius war besorgt um das gute Einvernehmen ihrer Gäste. Sie wußte, daß der Professor Widerspruch nicht vertrage. Darum machte sie den Versuch, das Gespräch auf ein anderes Gebiet zu lenken, begann von bildender Kunst zu sprechen und wiederholte dabei unbewußt einen Artikel, den sie am Morgen in einer bekannten Zeitschrift gelesen hatte.

Aber es dauerte nur wenige Minuten, da war man wieder bei der Litteratur angelangt. Der Professor hatte noch eine Anzahl Vorwürfe auf dem Herzen gegen die junge Richtung, die er sich von der Galle reden wollte, umsomehr, als dieser Fritz Berting, dessen Namen er vordem niemals gehört, ja nun das Visier gelüftet und gezeigt hatte, welcher Schule er angehöre.

Der Naturalismus sei im Grunde gar keine Kunst, behauptete Professor Wallberg. Er verwische die Grenzen zwischen Handwerk, Wissenschaft und Kunst. Die Empirie werde zum Götzen erhoben und die Schönheit von ihrem Throne gestoßen.

Fritz Berting erwiderte: der Naturalismus gehe auf Wahrheit aus und suche darum das Charakteristische auf.

»Nein!« rief der alte Mann und blitzte ihn wütend über den Tisch an. »Nein! Die Entschuldigung kennen wir; sie ist faul! Unter dem Deckmantel Wahrheitsliebe wühlt ihr mit Behagen im Kehrichthaufen und sucht alles daraus hervor, was häßlich, schmutzig und ekelhaft ist.«

»Es giebt überhaupt keine Erscheinung des Lebens und der Natur,« sagte Fritz darauf, »die nicht für das überzarte, empfindliche Gemüt etwas Erschreckendes oder Abstoßendes enthält, ebenso, wie es nichts giebt, woraus die Lüsternheit nicht, wenn sie will, Kapital schlagen kann. Schön und häßlich sind eben relative Begriffe, und liegen im Auge des Beschauers. Die Kunst aber kann Erscheinungen wie Tod, Geburt, Geschlechtsleben, Krankheit nicht entbehren zur Darstellung, weil sie notwendige Teile des Lebens sind und weil sich die Natur darinnen am unmittelbarsten und stärksten offenbart. Die Moderne ist nur mutiger, sie verwirft das Feigenblatt und sie ist auch ehrlicher; Schminke, Schönheitspflästerchen und falsches Haar gehören nicht zu ihren Requisiten.«

In gereiztem Tone unterbrach ihn der Professor. »Und das Ende wird sein, daß die Kunst im Wachsfigurenkabinett anlangt. Es ist nicht nötig, Leichen darzustellen, noch weniger sie zu secieren, das ist nur eine Spekulation auf die Nerven des Publikums. Aber das ist es ja gerade: der Naturalismus will allen anderen Berufen ins Handwerk pfuschen. Einmal führt er sich als Arzt auf, dann wieder geriert er sich als Nationalökonom. Und was ist er im Grunde, wenn man ihn bei Lichte betrachtet? Photograph! Gesteht es doch nur offen ein, daß ihr mit eurer Wirklichkeitstreue, mit dem Geschrei nach Wahrheit, auf eurer Suche nach menschlichen Dokumenten euch die Technik des Photographen zum Muster genommen habt, daß ihr im besten Falle Retoucheure seid, aber niemals frei schaffende Künstler!«

»Den Vorwurf, daß wir die Wirklichkeit wieder zu Ehren bringen wollen,« erwiderte Fritz, der im Gegensatz zu dem Professor sich die Ruhe ziemlich gewahrt hatte, »glaube ich, können wir uns gefallen lassen. Nicht das mechanische Reflektieren der Photographenplatte streben wir an, sondern die Objektivität des Auges, und die Treue der Hand im Wiedergeben. Wir haben Ehrfurcht vor der Natur, wir wollen ihr dienen, ohne ihre Sklaven zu sein. Die bengalische Beleuchtung, mit der die vorige Künstlergeneration so viel gearbeitet hat, verachten wir als Mache. Wir beobachten und ergründen, statt wild darauflos zu fabulieren. Die Naturwissenschaft hat uns die Methode realistischen Sehens und der Determinismus das logische Denken wieder gelehrt, die dem Künstler ganz abhanden gekommen waren.«

»Naturwissenschaft, Determinismus! Behängt nur mit solchen Flicken eure krasse Nacktheit. Der wahre Name für eure Weltanschauung ist Materialismus, Pessimismus, Nihilismus und für eure Schreibweise: Pornographie. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Mit Ekel, mit sittlichem und ästhetischem Ekel nur kann man eines eurer Bücher in die Hand nehmen. Was soll man von einer Jugend erwarten, die nicht allein der Ideale bar ist, nein, die auch noch alles, was früheren Generationen heilig war, in den Kot hinabzieht!«

»O, wir haben Idealismus! Wir haben uns die schwierigere, die undankbarere, die gefährlichere Aufgabe gewählt. Darin liegt unser Idealismus, daß wir den Mut haben, in die Schächte des Lebens hinabzusteigen, dort nach neuen Werten zu graben und in Tiefen zu leuchten, die bisher ängstlich vermieden worden sind. Das erfordert mehr Kühnheit und Entsagung, als die grüne Wiese des Opportunisms abzugrasen. Der Sieg ist auf unserer Seite, weil wir den Bedürfnissen der Zeit Rechnung tragen. Die Zeit ist realistisch und schreit nach Realismus. Ganz große Leute, wie Goethe, sind unsere Helfer.«

»Nun rufen Sie auch noch Goethe an, das ist wahrhaftig Blasphemie!«

»Ich meine nicht den Geheimrat Goethe, ich meine den jungen Wolfgang, der hätte uns verstanden, der stünde, wenn er jetzt lebte, auf unserer Seite. Und Goethe hat auch im Alter nicht Ach und Weh geschrieen, wenn die Jugend über ihn hinausstürmte. Nur das eingerostete Alter bildet ein Hindernis für die Entwickelung. Da wird geklagt über Mangel an Pietät und die Jugend denunciert als unmoralisch. Man soll uns nur einmal sagen, weshalb wir Respekt haben sollen vor der älteren Dichtergeneration! Was hat sie uns denn für Vorbilder geschenkt? Sollen wir vielleicht den Professorenroman bewundern? Vom geschäftlichen Standpunkt aus mag der ja ganz einträglich sein; denn von harmlosen Seelen werden diese Schmöker, die eigentlich nicht viel mehr sind als Indianergeschichten, ja um Weihnachten herum gern gekauft, aber mit Litteratur . . . . . .«

Hier machte Weißbleicher so deutlich abwinkende Zeichen, während Frau Annie boshaft belustigt kicherte, daß Fritz merken mußte, daß er irgend einen delikaten Punkt berührt habe. Er stockte. An dem Ausdrucke schlecht verhehlten Zornes in den Mienen des Professors sah er, wen er mit seinen letzten Worten, ohne es zu wollen, schwer getroffen habe.

Peinliche Stille entstand.

Aus der allgemeinen Verlegenheit half diesmal Theophil Alois. »Donnerwetter, es ist ja schon zehn Minuten nach drei Uhr!« rief der Dichter des Sulla, dessen Blick auf die Pendule ihm gegenüber gefallen war. Er sprang auf, warf noch einen wehmutsvollen Blick auf das Halbgefrorene, das eben herumgereicht wurde, und eilte von dannen.

Frau Hilschius aber benutzte diese kleine Episode, um endgiltig das klippenreiche Thema der zeitgenössischen Litteratur von der Tagesordnung verschwinden zu machen. Sie stimmte ein Klagelied an über die Einrichtung des Nachmittagsunterrichts und die Überbürdung der Gymnasiasten.

Den Kaffee nahm man in dem geräumigen Salon der Hausfrau ein, wo die Sulla-Vorlesung stattgefunden hatte.

Frau Hilschius, Weißbleicher und der Professor waren bald in ein eifriges Gespräch über die dichterische Zukunft des Wunderkindes Theophil vertieft. Annie aber zog sich mit Fritz Berting in das kleine Boudoir nebenan zurück, in welchem sie schon neulich gesessen hatten.

Für Fritz war es ein eigentümliches Gefühl, einmal wieder nach gutem Diner eine importierte Zigarre zu rauchen und seine Füße auf dem Gewebe eines echten Persers auszustrecken. Annie Eschauer lag bequem im Schaukelstuhle zurückgelehnt und wiegte ihren üppigen Körper langsam in einem gewissen Rhythmus auf und ab. Ihre kleinen, weißen, runden Hände mit den vielen bunten, glitzernden Steinen lagen in unruhigem Spiel bald in ihrem Schoße, bald auf den geschwungenen Lehnen des Stuhles, bald hantierten sie mit einem niedlichen Dolch, der auf einem niedrigen Tischchen neben ihr lag. Sie hatte etwas von einem niedlichen Kätzchen, in ihrer lässigen Ruhe, wie sie Fritz jetzt, ohne das rhythmische Schaukeln zu unterbrechen, mit unbestimmbar schillernden Augen von der Seite ansah, befriedigt lächelte und nach einer Weile behaglicher Betrachtung seiner ganzen Erscheinung sagte: »Wissen Sie, Herr Berting, Sie gefallen mir eigentlich heute noch besser als neulich. Vorhin, wie Sie es dem alten Professor gegeben haben, das war allererster Klasse. Wußten Sie eigentlich, daß der gute Mann einen Roman geschrieben hat, der im alten Phönizien, Assyrien oder so wo spielt, auf den er sehr stolz ist?«

»Nein, ich wußte es nicht. Aber aus seinem Gesicht schloß ich dann allerdings, daß ihm die Lorbeeren von Ebers keine Ruhe gelassen haben mochten. Unhöflich zu sein gegen einen Gast Ihrer Frau Mutter, lag mir gänzlich fern.«

»Ach, es schadete garnichts! Ich habe mich ja gekugelt! Es war höchste Zeit, daß der alte, eingebildete Bonze es einmal richtig gesagt bekam. Diesem Manne wird sonst niemals widersprochen. Alle haben sie Angst vor ihm; er ist ja hier vereidigter Sachverständiger!«

»Ich fürchte, ich werde es auszubaden haben,« erwiderte Fritz, »daß ich eine eigene Ansicht zu besitzen wage. Ich habe es dem Herrn Professor wohl angesehen, er dachte bei sich: Komm du mir nur mal unter die Finger! – Mein armes Buch wird er böse zerpflücken.«

»Ihr neues Buch! Ihr Roman! – Weißbleicher hat mir schon den Titel verraten. Vielversprechend! – Ich bin kolossal neugierig! Erzählen Sie mir doch was von dem Inhalt!«

»Das kann ich nicht, gnädige Frau!«

»Ist es so unpassend?«

»So hatte ich's nicht gemeint. Ich habe geradezu eine Scheu davor, von meinen Sachen zu sprechen; es macht mich verlegen.«

»Sie sind ein sonderbarer Mensch, eine ganz eigentümliche Mischung von – na, ich will Sie nicht eitel machen! Es wäre mir wirklich interessant, hinter Ihre Geheimnisse zukommen; denn Sie haben welche, das sehe ich Ihnen an, gerade weil Sie so unschuldig thun. – Sagen Sie mal, Herr Berting, was wollen Sie eigentlich in diesem Nest? Sie gehören doch nach Berlin!«

Fritz erzählte ihr in Kürze, was ihn von Berlin weggetrieben habe; als äußerer Anlaß, der Mißerfolg seines Stückes, und als tieferer Grund, sein Wunsch nach Einsamkeit. Das berliner Treiben sei ihm völlig unerträglich geworden.

»Unsinn!« rief Annie und richtete sich aus ihrer lässigen Haltung auf. »Sagen Sie mir gegen Berlin nichts! Berlin ist der einzige Ort, wo man lebt. Ich würde es in einer anderen Stadt überhaupt nicht aushalten. Hier zum Beispiel komme ich mir vor, wie so ein Fischchen, das im Glasballon der guten Stube steht, immerfort im Kreise herumschwimmen muß und mit Semmel gefüttert wird. In Berlin, da ist man im Strome. Unter Umständen geht's mal ein bißchen bunt zu; aber das ist doch gerade das Aufregende. Was ist denn weiter dabei, mit einem Theaterstücke durchfallen! Versuchen Sie's noch einmal! Vielleicht giebt's zur Abwechslung einen Schlager. Auf der Börse wechselt's auch, heute macht einer Pleite, zum ultimo hat er eine veine und kommt wieder obenauf.«

»Ich bin hierher gegangen, mich zu sammeln, Ruhe zu haben für eine große Arbeit.«

»Schön! Jetzt ist ihr Roman fertig. Nun kommen Sie nach Berlin zurück! Wenn es überhaupt ein Erfolg sein soll, kann er nur dort creiert werden. Man wird es in Berlin sehr ungewöhnlich finden, daß Sie es ein Jahr lang im Exil ausgehalten haben; wunderweiß welche Erlebnisse werden Ihnen angedichtet werden. Sie werden der interessante Mann, womöglich der clou sein der Saison.«

»Gerade dem habe ich entfliehen wollen, diesem schnellen Auf-den-Schild-erhoben-werden. Was nützt mir die Berühmtheit eines Monats, wenn ich mit einer ernsten Arbeit unbemerkt bleibe.«

»Man wird Sie nicht in der Versenkung verschwinden lassen, diesmal nicht! Dafür stehe ich Ihnen!« rief Annie Eschauer mit einem Blicke, der es ihm heiß und kalt überlaufen machte. »Kommen Sie nach Berlin! Wozu hat man seine Verbindungen! Bei uns verkehren die ersten Leute der Bühne und der Presse. Es kostet mich ein paar Federstriche, und ich verschaffe Ihnen die Bekanntschaft von wem immer Sie wollen. Schreiben Sie ein Stück, es soll angenommen werden; ich setze Kopf und Kragen daran. Es hat Ihnen bisher offenbar nur jemand gefehlt, der sich Ihrer angenommen hätte. Dichter sind unpraktisch, brauchen Bemutterung. Mit Schüchternheit kommt man in Berlin freilich nicht weit. Und wer nun gar in der Provinz lebt, ist ein toter Mann. Noch soviel Talent mögen Sie entwickeln, gemacht können Sie nur in Berlin werden. Also nächsten Herbst auf Wiedersehen! Ich zähle bestimmt auf Sie.«

Fritz gab keine Zusage, er sagte aber auch nicht: nein. Wer längere Zeit berliner Luft geatmet hat, den befällt von Zeit zu Zeit eine Sehnsucht nach dem nicht immer gefälligen und gemütlichen, aber jederzeit starken Leben dieser wunderlichen Stadt.

Und gerade Annie Eschauer war die richtige Person dazu, Fritz die Stadt, der er grollte, die er im geheimen aber doch liebte, ins Gedächtnis zu rufen. Annie mit ihrer kecken Lebendigkeit, ihrem schnellen Erfassen und Urteilen, ihrem unverfrorenen Witz, war im Guten und Schlechten eine Repräsentantin des Geistes und Tones, der nur im Tiergartenviertel gedeiht. Es war Berlin selbst, das seine Hand nach ihm ausstreckte. Mit diesen sinnlichen Lippen, die gleich schnell zum Kusse wie zu einer schnodderigen Bemerkung bereit waren, mit diesen ebenso begehrlichen wie kühl beobachtenden Augen, die so ungeniert dreinblicken konnten, lockte ›Berlin W‹ den Ungetreuen in seine Arme zurück.

Die körperliche Nähe dieser Frau beunruhigte ihn stärker, als er für gut befand, sie merken zu lassen. Ihr üppiger Wuchs war ein Appell an die Sinne, die ganze Person umschwebte eine unbestimmte, schwüle Atmosphäre von Wollust. Sie brauchte nichts zu sagen, nichts zu thun, nur wie jetzt das Auge mit seinem unruhig flackernden Glanze unter den schweren, verschleiernden Lidern auf ihn zu richten, und hundertfältige Versuchung wurde in ihm aufgeregt.

»Also, Sie kommen, nicht wahr?«

»Nein, gnädige Frau, es geht nicht!«

»Warum nicht?«

»Ich bin gebunden.«

»Gebunden – wodurch? Ein junger Mensch wie Sie, unverheiratet! Wenn Sie noch Familienvater wären – aber so! Oder fesseln Sie etwa zarte Bande, von denen man nichts wissen darf – he?«

Ihr Blick hatte für einen Augenblick etwas Lauerndes; aber im Nu lächelte sie auch schon wieder.

»Seien Sie offen, sagen Sie mir, was mit Ihnen ist, Herr Berting! Sehen Sie, ich will auch ganz ehrlich sein. Ihre Einladung zum heutigen Mittagessen habe ich veranlaßt. Ich wollte Sie gern noch einmal sprechen, ehe ich nach Karlsbad reise; denn ob wir uns im Laufe dieses Sommers sehen werden, ist fraglich. Ihr Schicksal interessiert mich. Ich glaube, daß es Ihnen nicht gut ergangen ist in der letzten Zeit; man sieht Ihnen das an. Giebt es garnichts, womit man ihnen zu Hilfe kommen könnte? Sie brauchen deshalb noch nicht diese stolze Miene aufsetzen. Es liegt kein Grund vor, beleidigt zu sein.«

»Ich danke Ihnen, gnädige Frau!« sagte Fritz, dem die letzte ernüchternde Wendung des Gespräches die volle Beherrschung seiner Gefühle wieder gegeben hatte. »Ich brauche nichts! Meine äußere Lage ist geordnet. Ruhe zur Arbeit ist alles, was ich nötig habe, und die finde ich hier eher als in Berlin.«

»Ach, Sie sind langweilig mit Ihrer Ruhe zur Arbeit! – Na, vielleicht ändert sich einmal was in Ihrem Leben. Wenn Sie jemals in die Lage kommen sollten, Hilfe zu brauchen, dann, das bitte ich mir aus, kommen Sie zu mir. Und darauf geben Sie mir mal Ihre Hand!

»Wie kann ein Mann nur solch feine, schlanke, zarte Hand haben!« – –

* * *

Fritz Berting hatte sein Fräulein von Lavan gegebenes Versprechen, ihr den Balzac zu bringen, nicht vergessen. Er packte die kleinen, schon ein wenig vergilbten Bände eines Tages zusammen und machte sich damit auf den Weg.

Es lag ihm daran, angenommen zu werden, denn die kurze Unterhaltung neulich hatte ihn begierig gemacht auf mehr. Darum bemühte er sich, das öffnende Mädchen darüber aufzuklären, daß er kein Handlungsreisender sei, oder sonst eine Persönlichkeit, die man so schnell wie möglich los zu werden sucht. Doch war das in diesem Falle gar nicht nötig; das runde Gesicht der drallen Person erstrahlte verständnisvoll, als er seinen Namen nannte. Das Fräulein lasse bitten, hieß es. Um einem leicht möglichen Mißverständnis vorzubeugen, erklärte Fritz noch besonders, daß er nicht zu den Damen Tittchen wolle, sein Besuch gelte lediglich Fräulein von Lavan. Die Vertraulichkeit der Zofe verstärkte sich noch, diskret lächelnd erklärte sie: Fräulein Hedwig habe Auftrag gegeben, Herrn Berting, sobald er komme, zu ihr zu führen.

Fritz betrat mit seinem Paket in der Hand ein schmales, einfenstriges Zimmer. Hedwig von Lavan erhob sich von ihrem Platze am Schreibtisch, schritt auf ihn zu, blickte ihm wie einem Bekannten ruhig und frei in die Augen und reichte ihm die Hand. Dann bat sie ihn, Platz zu nehmen. Sie selbst ging an den Schreibtisch zurück und öffnete dort das Paket, das er ihr überreicht hatte.

Er betrachtete sie, wie sie da stand und einen der kleinen Bände nach dem andern aufschlug, um die Titel zu lesen. Sie trug heute ein eng anliegendes Kleid von grauem Herrentuch, ohne jeden Ausputz und Schmuck, das in seiner Knappheit die Knabenhaftigkeit ihrer Figur bis zur Sprödigkeit hervortreten ließ. Von dem hohen, dunklen Halskragen hob sich das Profil des blassen Gesichtes und die mattblonden Flechten der lockeren Frisur unendlich fein und duftig ab. Es lag nichts von kindlicher Neugier in der Art, wie sie die Bücher durchblätterte und hie und da eine Zeile überflog, eher der gesetzte Ernst des Forschers; jener Ausdruck der Sachlichkeit, der Fritz schon neulich als etwas Besonderes an ihr aufgefallen war, weil man ihn nicht bei dieser Jugend suchte.

Fritz wollte ihr Rat geben, in welcher Reihenfolge sie Balzacs Romane am besten lese, um Verständnis zu gewinnen für das imposante Lebenswerk dieses Schriftstellers.

»Wissen Sie, Herr Berting,« meinte Hedwig, »mir kommt es gar nicht auf das Litterarische an bei einem Buche; mich interessiert der Mensch. Welche Stellung die Litteraturgeschichte einem Autor anweist, ob er berühmt ist, ob seine Sachen standard works sind, das hat mich immer ganz kalt gelassen. Mir ist niemals Ehrfurcht vor den Klassikern eingeflößt worden; ich habe nämlich in meinem ganzen Leben keine einzige Litteraturstunde gehabt.«

»Sie Beneidenswerte! Niemals haben Sie ein Schillersches Gedicht auswendig lernen müssen?«

»Niemals! Mit meiner Schulbildung ist es überhaupt sehr mangelhaft bestellt. Jede höhere Tochter würde mich schlagen in den Elementarfächern.«

»Wie haben Sie es denn fertig gebracht, den Argusaugen des Schulinspektors zu entgehen, gnädiges Fräulein?«

»In den Ländern, wo ich meine Kindheit verlebt habe, giebt es dergleichen nicht. Das Beste, was ich weiß, habe ich vom Fenster des Eisenbahncoupés aus gelernt. Wenn wir reisten, hatte mein Vater Zeit, sich mit mir abzugeben. Er war ein Anreger, wie ich keinen zweiten gekannt habe, ganz ohne Methode sein Unterricht. Bunt, lustig und interessant wußte er alles zu gestalten, und man lernte spielend bei ihm. Das Übrige habe ich mir aus Zeitungen und Büchern zusammengelesen.«

Sie räumte jetzt die Bücher zusammen, die auf ihrer Schreibtischplatte lagen, legte einen Band Balzac besonders, schloß die anderen weg. Dann setzte sie sich Fritz gegenüber.

Er war wieder überrascht durch die Geschlossenheit ihres Wesens. Wo hatte das junge Ding, dessen Haut die Farbe trug der unangetasteten Knospe, diese überlegene Ruhe her, dieses trockene Selbstbewußtsein? – Es war so garnichts von Pose an ihr, jedes Wort, jede Handlung schien selbstverständlich und originell. ›Es muß sehr viel gutes, altes Blut in ihren Adern rollen‹, dachte Fritz bei sich.

Er fragte sie nach ihren Eltern. Bereitwillig erzählte sie ihm die Geschichte ihres Vaters und damit gleichzeitig die ihre. In knapper, charakteristischer Art gab sie nur das Wichtige, alles Detail der Ausmalung des Hörers überlassend.

Herr von Lavan war in den fünfziger Jahren österreichischer Offizier gewesen. Eines Ehrenhandels wegen, der für ihn einen ungünstigen Verlauf nahm, mußte er den Abschied nehmen. Er ging nach Amerika. Drüben nahm er am Bürgerkriege teil, focht auf Seiten der Union, wurde verwundet und in Gefangenschaft geschleppt. Nach Beendigung des Krieges fand er im Buchhandel Unterkunft, verdiente sich ein Vermögen, heiratete eine Deutsche. Ein Zeitungsunternehmen, das er ins Leben gerufen, wurde von den politischen Gegnern zu Grunde gerichtet. Herr von Lavan büßte sein Erworbenes wieder ein. Die Gattin starb wenige Jahre nach Schließung der Ehe. Er ging mit der kleinen Hedwig, seinem einzigen Kinde, nach Europa zurück. Von einem Orte zum anderen reiste das Paar. Herr von Lavan verwertete jetzt seine ungewöhnlichen Erfahrungen und seine große Belesenheit publizistisch. Er war inzwischen Sechziger geworden, und seine Gesundheit begann schwankend zu werden. In Mentone, wohin er sich begeben hatte, um sich von schwerer Niederlage zu erholen, lernte er die Schwestern Tittchen kennen und verlobte sich mit Amanda. Aber nur von kurzer Dauer war der Brautstand. Infolge einer Erkältung erkrankte Herr von Lavan zu Tode. Auf dem Sterbebette übergab er seine Tochter der Fürsorge ihrer jetzigen Pflegemütter. Das einzige, was er dem Kinde hatte hinterlassen können, war ein Manuskript, seine Memoiren enthaltend.

Fritz Berting erkundigte sich, ob diese Memoiren in früherer oder späterer Zeit veröffentlicht werden sollten. Vielleicht würde Fräulein von Lavan selbst die Herausgabe übernehmen, meinte er.

Hedwig erklärte, diese Absicht liege ihr ganz fern; die Aufzeichnungen ihres Vaters seien intimster Natur.

»Handelt es sich darin um Politik?« erkundigte sich Fritz.

»O nein, um Politik ganz und gar nicht! Es sind Bekenntnisse. Tante Amanda war schon außer sich, als sie nur ein paar Seiten davon gelesen hatte.« Bei diesem Worte sah Fritz heute zum ersten Male das spöttische Lächeln auf ihren Lippen erscheinen, das er schon kannte. »Und dabei versteht Tante Amanda nicht einmal französisch! Mein Vater hatte die Gewohnheit, vieles französisch zu formulieren. Deutsch, sagte er, sei für gewisse Gedanken zu grob. – Manches ist auch in Briefform geschrieben, an eine Freundin gerichtet. Daß diese Freundin nur eine fingierte Person sei, wollte Tante Amanda nicht glauben. Wenn ich nicht gerade dazu gekommen wäre, als sie das Paket in den Herd steckte, wäre alles zu Asche verbrannt. Sehen Sie, hier habe ich noch ein Andenken davon! Es ist jetzt ein halbes Jahr her.« –

Sie streifte den Ärmel an ihrem dünnen Ärmchen ein wenig empor und zeigte ihm einen rötlichen Streifen, der über das weiße Fleisch vom Handgelenk aufwärts lief.

»Dadurch sind die Blätter nun doppelt mein geworden,« fuhr sie fort. »Ich würde sie niemandem lassen, niemandem! Wenn ich sie veröffentlichen wollte, könnte jedermann sie lesen. Und ich glaube, die anderen Menschen würden auch nicht viel gescheiter urteilen, als Tante Amanda. Ich bin froh, daß ich das ganz und gar für mich habe.«

Sie sagte das mit verächtlichem Stolz. Fritz bemerkte ein schwaches Erröten in ihrem Gesicht, wie ein leichter Hauch über einen Spiegel geht und im Nu wieder verschwindet.

Dann schlug sie eine ganz neue Tonart an. »Sie müssen meine Tanten sehen, Herr Berting! Es sind liebe, alte Dinger! Ich habe beide recht gern. Außerdem würden die Guten sehr gekränkt sein, wenn sie erführen, daß ich Besuch gehabt, den ich ihnen unterschlagen hätte. Beide sind sehr verlegen, aber auch sehr neugierig.«

Sie öffnete die Thür zum Nebenzimmer. Man betrat einen größeren Raum, in welchem, da die Rollläden herabgelassen waren, Halbdunkel herrschte. Die Möbel standen unter Kappen von hellem Stoff. Sie durchschritten die kalte Pracht des Salons und kamen jenseits in ein kleineres, bewohntes Zimmer.

Hier saß die ältere der beiden Schwestern: Ida. Sie war mit Näherei beschäftigt, hatte die Brille auf der Nase und fuhr erschreckt zusammen, als Hedwig plötzlich mit einem fremden Herrn eintrat. Fritz sagte, daß er schon die Ehre gehabt habe, und Hedwig erklärte, wer Herr Berting sei. Aber Tante Ida packte in größter Verwirrung ihr Nähzeug zusammen, flüsterte dem jungen Mädchen etwas ins Ohr, wackelte zur Thür und verschwand.

Hedwig erklärte lachend: »Sie will Amanda fragen, was nun zu geschehen hat. Tante Amanda ist nämlich unser Orakel. Sie ist um ganze drei Jahr jünger als Ida, und darum in Idas Augen ein halbes Kind. Amanda darf das nicht machen und jenes nicht anziehen, weil es sich für ihre Jugend nicht schickt. Ida hält ihre Schwester für eine Schönheit. Abends darf das verführerische Wesen nicht allein auf die Straße gehen. Amanda ist leidend. Ida und der Hausarzt haben ihr das eingeredet. Der größte Teil des Tages geht in Beratungen hin, was Amanda essen und trinken darf, ob man ausgehen soll oder ausfahren, welches Mittel heute eingenommen werden muß. Das ist das Leben, das wir hier führen.«

»Und wie fahren Sie dabei?«

»Ich – ganz gut! Die Tanten sind so sehr mit sich beschäftigt, daß ich ziemlich machen kann, was ich will. Manchmal wollen sie mir verbieten, dieses oder jenes Buch zu lesen; aber ich verschaffe es mir einfach. Auch über die Toilette machen sie mir Vorschriften, die ich nur beachte, wenn sie mir passen. Es läßt sich schon mit ihnen auskommen. Vor den ›feinen Manieren‹ haben sie einen Riesenrespekt. Ihre Jugend müssen sie in ganz beschränkten Verhältnissen zugebracht haben; erst als beide alt waren, ist ihnen durch den Tod von entfernten Verwandten eine Menge Geld zugefallen. Das hat sie etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Nun möchten sie von dem Mammon doch auch Spaß haben; wissen aber nicht recht, wie das anfangen. Haben Sie den Salon nebenan bemerkt? Alles fix und fertig zu Gesellschaften. Aber die Tanten kennen fast niemanden. Mir ist das sehr lieb. Auf diese Weise werde ich nicht gestört. Ich will nur solche Menschen sehen, die mir gefallen.«

Fritz hätte sie gern gefragt, welche Auserlesenen ihr denn gefielen: Waldemar Heßlow vielleicht? Ob er selbst sich dazu rechnen dürfe? Aber jetzt kamen die Tanten.

Neulich im Salon der Frau Hilschius hatte Fritz in Ida und Amanda Tittchen nichts gesehen, als zwei alte Jungfern, die sich aufs Haar glichen, heute, durch die mokanten Bemerkungen Hedwigs aufmerksam gemacht, sah er den Unterschied zwischen den Schwestern genauer.

Ida war das Aschenbrödel. Amanda putzte sich; man sah's ihr an, daß sie sich schonte, sich nichts abgehen ließ an gutem Essen und Ruhe. Ein Spitzenhäubchen mit buntem Bande gab ihrem geröteten Gesicht sogar den Anflug einer gewissen Koketterie. ›Amanda ist vor dreißig Jahren wahrscheinlich garnicht so übel gewesen‹, dachte Fritz bei sich.

Sie starrten ihn beide mit großen, runden Vogelaugen neugierig an. Ein Mann, der Bücher schrieb, war für sie ein Wundertier.

Sie verstünden beide sehr wenig von Kunst, erklärte Ida; aber nun hätten sie durch Frau Hilschius eine Menge berühmter Leute kennen gelernt. Fritz hütete sich wohl, die rührenden alten Dinger über die Bedeutung von Dichtern, wie Theophil Hilschius oder die Verfasserin der ›Epheuranken‹ aufzuklären. Auch als Amanda von Waldemar Heßlow als einem der ersten Heldendarsteller der Gegenwart sprach, zuckte er nicht mit der Wimper.

Sie waren begeisterte Theaterfreunde. Gleich beim Eintreten hatte Fritz die Photographieen verschiedener lokaler Bühnengrößen in den Kostümen ihrer Paraderollen auf dem Vertiko stehen sehen. Der schöne Waldemar war mehrfach vertreten. Mit Stolz erzählte Ida, daß Herr Heßlow ihnen schon zweimal die Ehre gegeben, bei ihnen zu Mittag zu speisen; und Amanda korrigierte die Schwester dahin, daß es schon dreimal gewesen sei.

Hedwig, auf die Fritz blickte, begierig zu sehen, wie sie sich dazu stelle, saß mit dem unschuldigsten Kindergesicht dabei, als sei sie nicht imstande, ein Wässerchen zu trüben. War sie nicht wie ein Wesen aus anderer Welt in dieser spießbürgerlichen Umgebung? Merkwürdig launisch hatte das Schicksal gewaltet, als wolle es einen kapriziösen Streich machen, da es dieses fremde Vögelchen in das Nest der alten Jungfern legte.

Als Fritz sich zum Gehen anschickte, tuschelten die beiden Schwestern eifrig zusammen. Er ahnte, daß es sich um eine Einladung handelte. Keine von beiden wollte sprechen, eine schob es der anderen zu. Endlich faßte sich Ida, als die ältere, ein Herz, trat verlegen errötend vor Fritz hin und bat ihn, am nächsten Sonntag Mittag einen Löffel Suppe bei ihnen einnehmen zu wollen.

* * *

Seit einigen Tagen gastierte eine Truppe aus Süddeutschland an dem zweiten Theater der Stadt. Fritz Berting hatte wohl die Berichte der Zeitungen gelesen, die voll des Lobes waren über die Leistungen der Gäste, doch fühlte er wenig Lust, sie mit eigenen Augen zu sehen. Das Repertoire mit seinen derben Volksstücken im Bauerndialekt war nicht nach seinem Geschmack.

Aber eines Morgens schrieb ihm Lehmfink, der inzwischen von seiner Reise zurückgekehrt war, ein paar Zeilen: er habe eine Parkettloge genommen, Fritz und Alma müßten unbedingt abends seine Gäste sein für die Vorstellung. Er kenne die Truppe, es werde frisch und charakteristisch gespielt; das harmlos lustige Stück aber werde ganz etwas für Fräulein Lux sein.

Eine so freundliche Einladung war nicht abzulehnen. Er sagte Alma, sie möge ihre Toilette für den Abend in Stand setzen.

Das Stück, das man sah, war ein ländlicher Schwank, mit eingelegten Chören und Couplets. Das beste daran blieb die Keckheit, mit der Typen aus dem Volksleben in wenigen drastischen al fresco-Strichen festgelegt waren.

Alma und Fritz saßen auf den Vorderplätzen der Parkettloge, während Lehmfink hinter ihnen Platz nahm. Alma hatte sich allerliebst herauszuputzen verstanden. Fritz staunte selbst; was solch ein Mädchen doch, wenn es darauf ankam, aus sich zu machen wußte! – Mehr als ein Operngucker ward auf sie gerichtet.

Heinrich Lehmfink hatte mit der Wahl dieses Stückes gerade das Richtige für Almas Geschmack getroffen. Die Moral der Dichtung war handgreiflich. Das Böse, das anfangs zu triumphieren schien, bekam später die gerechten Rutenstreiche zu kosten. Alma äußerte ungeniert die Empfindungen, welche die drastischen Vorgänge auf der Bühne in ihr auslösten. Jede komische Szene entfesselte ihr herzliches Lachen, jede ernstere Stelle machte sie traurig, ja, rührte sie zu Thränen. Wiederholt drückte sie Fritzens Hand, um ihm zu verstehen zu geben, wie tief ergriffen sie sich fühle, um sich gleich darauf, wenn es etwas Lustiges gab, zu Lehmfink zu wenden und ihm den lachenden Mund und ein strahlendes Augenpaar zu zeigen. In den Pausen saß sie dann ganz verträumt da, wie ein Kind, das sich aus den Wundern eines eben angehörten Märchens nicht wieder in die Nüchternheit des Alltags zurückfinden kann.

Als die große Pause kam, ging Fritz zum Büffett, ein Glas Bier zu trinken, während Lehmfink bei Alma in der Loge blieb. Fritz stand da, sein Glas in der Hand, und blickte gelangweilt auf die nichtssagenden Gesichter des vorüberwandelnden Publikums, als sich ein kleiner Herr mit dunklen Augen und spitzem Bart von dem Zuge trennte und auf ihn zu kam.

»Sie hier, Silber! Ich habe Sie doch gar nicht bemerkt.«

»Aber ich Sie! Freilich sitze ich nicht so vornehm. Ich habe meinen Rezensentenplatz im Parkett.«

»Wie gefällt Ihnen das Stück?«

»Etwas völlig Unlitterarisches ist zur Abwechselung auch nicht übel. Übrigens will ich nur gestehen: ich habe schlecht aufgepaßt; das macht die Nähe Ihrer Loge.«

Fritz begriff nicht sofort, was er meine, und sah ihn befremdet an: »Unserer Loge?« –

»Lieber Berting!« sagte Siegfried Silber vertraulich und verzog den Mund zu einem faunischen Lächeln, »Ich beglückwünsche Sie von ganzem Herzen. Sie sind ein glücklicher Schatzgräber! Das ist eine Barre echten Goldes, die Sie da gehoben haben. Ein unverfälschtes Stück Natur! Ursprünglichste, lieblichste Natur. Diese Frische, diese köstliche, naive Unmittelbarkeit! – Nur allein solches Lachen zu hören, dieses goldige Lachen, ist wie ein Jungbrunnen für die Seele. Noch einmal, meinen aufrichtigsten Glückwunsch.«

Fritz war verlegen, er wußte im Augenblick wirklich nicht, wie er sich verhalten sollte. Er schwankte zwischen einem Gefühl starken Unbehagens über Silbers Zudringlichkeit und der Belustigung über die Ekstase des kleinen Mannes. Und schließlich schmeichelte die Bewunderung für Alma doch auch seinem Besitzerstolz.

»Ich ahnte es ja längst!« fuhr Silber fort, während sie im Foyer auf und ab schritten, »es ist etwas Wunderbares mit diesen Dingen; der Instinkt sagt es einem, ob ein Mann ein Liebling ist der Frauen. Für das Auge des Kenners webt Frauenliebe eine Gloriole um das Haupt dessen, den sie erwählt. Ich fand diesen Widerschein eines heimlichen Glückes sofort heraus an Ihnen, als wir uns kennen lernten. Und heute sehe ich, daß ich mich nicht getäuscht habe. Sie legen mir doch meine Worte nicht als Unbescheidenheit aus, lieber Berting? – Ich bin meiner innersten Natur nach selbst ein Verehrer des Weibes, sodaß mir beim Anblick eines solchen Glückes das Herz aufgeht und meine Zunge gelöst wird. Sie sind nicht ungehalten, nicht wahr?«

Die Klingel ertönte, die Besucher auf ihre Plätze zurückrufend. Man trennte sich eilig.

Fritz lachte in sich hinein. Der Mensch hatte etwas zu Putziges, wie er mit Mund und Augen, dem ganzen beweglichen Gesicht und den zappeligen Gliedmaßen zugleich sprach. Hätte man ihn zurechtweisen sollen, ihm sagen, daß er taktlos sei und aufdringlich? – –

Es ging Fritz eigentümlich mit Silber; in Gedanken ärgerte er sich oft über den Menschen und dachte daran, diese Klette bei günstiger Gelegenheit abzuschütteln. Aber dann, wenn der Augenblick da war, wirkte seine fremdartig groteske Persönlichkeit doch wieder hypnotisierend auf ihn. Die temperamentvolle Art, wie dieser Mensch sich durchzusetzen wußte, hatte suggestive Kraft. Mit manchem Abstoßenden in seinem Wesen mußte die Tragik seiner Herkunft versöhnen, sein hartes, vielumhergetriebenes Leben. Das Bedürfnis, sich selbst darzustellen, die eitle Theatralik seines Wesens, entsprangen der nämlichen Quelle, wie seine gelegentliche Unterwürfigkeit und Schmeichelsucht. Die geheime Furcht kam darin zum Ausdruck, nicht für voll angesehen zu werden. Seine Arroganz war nur eine Schutzwaffe dessen, der bittere Zurücksetzung erfahren hatte. Ein Blick in diese unglückliche, abgehärmte, unstäte, den ewigen Zwiespalt wiederspiegelnde Physiognomie entwaffnete den Spott. Sollte man einen, der so schwer an dem Fluche seines Blutes trug, auch noch mit einem Fußtritt von sich schicken? –

Jedenfalls war Fritz Berting froh, daß Heinrich Lehmfink seine Unterhaltung mit Silber nicht angehört hatte.

Nach dem Theater gingen sie in eine Weinstube. Lehmfink war auch hier der Wirt. Man saß in einer gemütlichen Ecke ganz für sich. Erst kamen grüne Gläser, später sogar Champagnerkelche. Fritz und Alma frischten die Bekanntschaft auf mit Leckerbissen, die sie seit Berlin nicht mehr auf ihrem Teller gesehen hatten. Berting kannte seinen Freund Lehmfink gar nicht wieder; so leichtherzig und guter Dinge hatte er ihn kaum je gesehen.

Alma, die im Theater so recht nach Herzenslust hatte lachen und weinen können, trug in Auge und Angesicht den Abglanz seelischer Rührung, und in ihrer Stimme zitterte Ergriffenheit; wie die Wellen noch lange wogen, wenn das aufwühlende Wetter schon längst abgezogen ist.

Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit erzählte Heinrich Lehmfink heute allerhand von sich und seinen Erlebnissen. Fritz Berting kannte das Leben seines Freundes nur den äußeren Umrissen nach; daß es reicher sei an Enttäuschung und Entsagung als an Erfolgen, wußte er. Darum vermied er alles Forschen und Fragen, weil man fürchten mußte, mit noch so schonend abfühlender Hand geheime Wunden zu treffen.

Almas Gegenwart schien Heinrich Lehmfink die Zunge zu lösen. Die beiden hatten ja vom ersten Tage ab herzliches Gefallen an einander gefunden. Daß er keinen Grund zu Eifersucht hatte, wußte Fritz genau. Mit Lehmfink hätte er seine Geliebte unbesorgt eine Reise um die Welt unternehmen lassen.

Sein Freund hegte, soviel Fritz wußte, nur eine ernsthafte Schwärmerei im Herzen, die für seine Schwester. Von Toni sprach er mit Weihe und innerer Beglückung, wie von einer Braut. Er pflegte sie als sein »kleines Schwesterchen« zu bezeichnen, obgleich sie um ein Jahr älter war, als er.

Auch heute spielte in Lehmfinks Erzählungen Toni eine ganz besondere Rolle. Er brachte ein altes Ledertäschchen heraus, das Fritz als unzertrennbar von seinem Freunde schon längst kannte, ohne bisher seinen Inhalt je erblickt zu haben; darin befand sich eine Photographie der Schwester.

Heinrich Lehmfinks groteskes Pudelgesicht erstrahlte in ehrlichem Stolz, als er einen liebevollen Blick auf das Bildchen warf und es dann an Fritz und Alma weiter reichte.

Es war ein durchaus nicht schönes, aber freies und frisches Frauenangesicht, welches die Photographie wiedergab. Dieselbe hohe, gewölbte Stirn, wie der Bruder, eine gerade, kräftig ansetzende, in eine feine Spitze auslaufende Nase, blanke, klugblickende Augen, ein festes, energisches Kinn und ein Mund, den man geneigt gewesen wäre, herb zu nennen, wenn die ein wenig nach oben gezogenen Winkel ihm nicht einen erleichternden Zug von guter Laune gegeben hätten. Fritz Berting fühlte sich durch das Konterfei von Toni Lehmfink an deutsche Frauengesichter auf mittelalterlichen Holzschnitten erinnert. Alma konnte sich gar nicht von dem Bilde trennen. Sie verfiel in tiefe Nachdenklichkeit vor diesem Gesicht. »Muß die gut sein!« wiederholte sie halblaut vor sich hin in beinahe ehrfurchtsvoller Scheu.

»Ein aufgeräumter Kopf und ein reines Herz, das ist meine kleine Schwester!« sagte Heinrich Lehmfink, als er das Bild mit liebevoller Sorgfalt wieder in die Tasche seines Rockes versenkte.

Man kam dann auf ein anderes Thema. Die Zeit, welche Fritz Berting und Heinrich Lehmfink gemeinsam in Berlin verbracht hatten, war eine unerschöpfliche Fundgrube der Erinnerungen für beide.

»Sie haben wieder einmal ein neues dramatisches Genie entdeckt in Berlin,« sagte Lehmfink. »Gestern abend war Premiere, die heutigen Blätter sind voll davon.«

Fritz wußte noch gar nichts von dem großen Ereignis. Er bestellte beim Kellner die letzten Berliner Blätter und überflog die Theaterberichte.

»Habemus papam!« rief Lehmfink, »wenn von dem, was die Herren in ihrer blühenden Phantasie behaupten, auch nur der fünfte Teil wahr ist.«

»Ich kenne den Autor!« sagte Fritz. »Er war einer von den vielen, die am Markte standen und sich anboten. Jetzt sitzt er nun glücklich auch an der Tafel der Anerkannten. ›Von dem gestrigen Premierenabend datiert eine neue Epoche der deutschen Litteratur . . . . .‹ Hast du's gelesen, Lehmfink? Und wenn man die Anfänge dieses Jünglings mit erlebt hat! – Er lud alle Vierteljahr uns Freunde ein, sein Neuestes anzuhören. Kein Mensch ging schließlich mehr in die Vorlesungen; denn seine Stücke waren Nieten, Nieten, Nieten. – Dann hat er, wie ich höre, eine Zeit lang Romane und Novellen nach der Elle für Familienblätter geschrieben. Und nun ist er ›der deutsche Ibsen‹, ja andere bemühen gar Molière und Shakespeare zum Vergleich.«

»Ist es möglich, daß du dich darüber erregst, lieber Berting? Solches Lob ist für den Kenner doch schlimmer als der ärgste Tadel.«

»Er besitzt feine Witterung für das Aktuelle, schmeichelt dem Bildungsphilister gleichzeitig und dem Pseudofreigeist. Und nun geht das Stück über sämtliche Bühnen Deutschlands, Hunderttausende werden es sehen. Über Nacht hat dieser Mensch mit einem geschickten Coup gewonnen, was der geheime Traum ist der Besten: Auge in Auge zu stehen dem ganzen Volke gegenüber, überhaupt zu Worte kommen, weithin gehört werden! Die Ungerechtigkeit, die darin liegt, erregt mir die Galle.«

»Ich möchte dir raten, Berting, folgendes zu bedenken: Wie sieht sich die Sache heut abend an, und wie wird sie in zehn Jahren aussehen; oder nimm, um die richtige Perspektive zu gewinnen, einen Zeitraum meinetwegen von hundert Jahren. Wieviele solcher Premierenabende, von denen eilfertige Zeitungsschreiber eine ›neue Epoche der Litteratur‹ datieren, werden dann ins Nichts verronnen sein! – Weißt du, wer mir Trösterin ist all den Ungerechtigkeiten gegenüber, von denen die Welt wimmelt? Die unbestechliche Richterin Zeit! Laß die Kunst sich breit machen, die dem Tagesgeschmack imponiert, laß sie Berge produzieren von seichter aufgeblasener gefälschter Ware! Ein paar Jahre, Jahrzehnte vielleicht, mag sich's halten; dann, kraft Naturgesetzes, muß das hohle Scheinwerk hinab von seiner usurpierten Höhe. Es muß, sage ich, wird wie von unsichtbaren Händen zum Grunde gestoßen. Sieh dir doch die Literaturgeschichte an; aus der Ferne gesehen gleicht sie einem mächtigen Gebirgsstock, mit einzelnen einsam ragenden Höhen. Einmal ist alles ein Hochplateau gewesen, dessen Niveau das der jetzigen höchsten Spitzen war. Das, was das Gerippe des Gebirges einst umgab und verhüllte, ist weggeschwemmt – wohin? Als Dünger in die Thäler, oder auch als unfruchtbarer Sand ins Meer. Der leichte Boden und das lockere Geröll wurden unrettbar zur Tiefe gerissen, während der echte Fels aus dem Urgrund der Dinge heraus höher zu wachsen scheint und die Jahrtausende überdauert.«

»Der Gedanke ist schön, Lehmfink, und wenn du uns deine ›Literaturgeschichte der Verkannten‹ schreibst, wird er ihr sicherlich zu Grunde liegen. – Aber meinem Temperamente genügt dein Trost nicht. Wenn ein solches Gesetz existiert, welches das Echte unfehlbar an den Tag bringt, was nützt das deinen ›Verkannten?‹ – Sie sind tot und merken in ihren Gräbern nichts von der verspäteten Anerkennung. Der Künstler will bei Lebzeiten geliebt sein. Ich will hören und lesen, wie meine Werke einschlagen; ich will den Resonanzboden haben der öffentlichen Meinung, der mir meine Gedanken mit verdoppelter Wucht zurückgiebt. Ich will den großen Genuß auskosten, meine Individualität, das, was ich bin und kann, mir bestätigen zu lassen durch Hunderttausende.«

»Ein begreiflicher Ehrgeiz, Berting! Aber ich weiß doch noch Höheres. Anerkennung, wie sehr sie auch als Sporn wirken mag, bleibt etwas von außen dir Angetragenes, das deine innere Beschaffenheit nicht um einen Deut ändern kann. Ausschlag für das Maß einer Künstler-Individualität, wie schließlich für jeden Schaffenden überhaupt, giebt die Liebe zur Sache, die stille, starke, unbeirrbare Liebe des Menschen für sein Werk, die sich um Erfolg und Triumph nicht kümmert, die wie alle guten Eigenschaften im Verborgenen, ohne Lärm, pflanzenhaft unbewußt am Werke sein muß, um Früchte zu zeitigen. Ich sah neulich, als ich mit meinem Schwesterchen einen Ausflug machte, auf einer Lichtung im Walde einen gefällten Eichbaum liegen. Wir betrachteten uns die Schnittfläche, um zu taxieren, wie alt der Riese etwa gewesen sein könne. Da ergriff mich wirkliche Bewunderung für die treue, fromme Arbeit, die der Baum im Laufe der Jahrhunderte geleistet. In aller Stille, so recht vom innersten Wesenskern heraus, hatte er Jahr um Jahr einen Ring angesetzt. Jetzt erst, da er geschlagen dalag, offenbarte er sein Geheimnis, wie er hatte so groß und stolz und alles überragend werden können. So sollte der Mensch sich selbst aufbauen! – Ich verkenne nicht die Ausnahmestellung des Talentes. Jede Eigenart, jede hohe Begabung ist ein geheimnisvolles Wunder der Natur; aber selbst das Talent braucht ernste, nüchterne Arbeit, wenn aus der bloßen keimhaften Anlage hartes, nutzbares Eichenholz werden soll. Ich glaube nicht an dieses plötzliche Über-Nacht-vom-Himmel-fallen eines Genies. Wer etwas kann, der hat sicherlich den Weg mühseliger innerer Entwickelung hinter sich. Langsames Wachsen bleibt Eichenart. Dieses jähe, staudenartige Emporschießen der Talente und Talentchen, wie es jetzt Mode wird, ist Treibhauskultur. Ruhmsucht treibt die Leute vorwärts zu geilem Wachstum ohne Mark. Unser liebes, urteilsloses Publikum aber und die reklamefreundliche Presse ist sofort bereit, eine solche Pflanze mit den Papierblumen und Pappsternen des Tageserfolges zu behängen. Wie viele haben sie auf diese Weise schon verdorben, die nicht stolz genug waren, ohne die Anerkennung des großen Haufens leben zu können. Glaube mir, Berting, im stillen wachsen, unbekümmert um Liebe und Haß, das ist die Rettung des Künstlers vor dem Moloch Eitelkeit. Man braucht nicht zu sorgen, daß man in der Verborgenheit verkomme, oder daß man ohne Nutzen gelebt habe, weil man nicht alle Tage in den Blättern steht. Wie im Haushalte der Natur nichts ungenutzt unter den Tisch fällt, so geht im Geistigen keine Kraft, keine Leistung jemals verloren. Das Echte setzt sich durch, wenn auch vielleicht spät. Auf Zeiträume kommt es dabei gar nicht an; denn das Echte ist ewig.«

Fritz schwieg, nicht überzeugt zwar, aber doch getroffen durch manches Wort des Freundes, das an die Tiefen der Dinge gerührt hatte.

»Aber wir sind wirklich sehr unhöflich!« sagte Lehmfink mit einem Blick auf Alma. »Nicht eine Viertelstunde können wir zwei zusammen sein, und mitten drin sind wir in der Litteratur!«

Er schenkte die Gläser von neuem voll und trank Alma zu.

* * *

Es wurde spät, ehe sie sich in dieser Nacht trennten. Durch ein paar Straßen begleitete Lehmfink die Freunde. Dann kehrte er um, seine in entgegengesetzter Richtung gelegene Wohnung aufzusuchen.

Alma hatte sich bei Fritz eingehängt, sich eng an ihn schmiegend; um diese Tageszeit war man vor indiskreten Blicken ja sicher. Die menschenleeren Gassen hallten keinen anderen Ton wieder als ihre Tritte.

Das Mädchen war aufgeräumt und gesprächig. Sie erzählte von dem Theaterstücke, das man gesehen hatte, wie ein Kind voll Wichtigkeit aufzählt, was ihm besonders gefallen hat. Dann wieder pries sie Doktor Lehmfinks Gastfreundschaft mit begeisterten Worten. Fritz ließ sie gewähren; er war müde und gähnte wiederholt. Einen Teil von Almas Überschwänglichkeit setzte er auf Kosten des Weines, an den sie nicht gewöhnt war. ›Morgen wird es wohl einen kleinen Kater geben!‹ dachte Fritz bei sich.

Nicht weit von ihrem Hause, in einer Gegend, wo der Vorstadtcharakter sich durch schlechte Beleuchtung und schmalen Bürgersteig bemerkbar machte, begegnete ihnen, als sie um die Ecke bogen, ein langaufgeschossener Bursche, der wie aus der Erde emporgewachsen urplötzlich vor ihnen stand.

Alma stieß einen Schrei aus: »Ludwig!« – Fritz blickte aus nächster Nähe in ein hageres Gesicht mit tiefliegenden, dunklen Augen, und wußte im Nu, mit wem er es zu thun habe.

Einen Augenblick schien es, als wolle der Stuckateur Glück die beiden anreden. Er warf einen glühenden Blick auf Alma, seine Lippen bewegten sich krampfhaft. Dann, auf Fritzens energische Aufforderung, Platz zu machen, trat er zögernd zur Seite.

Berting fühlte Almas Arm heftig in dem seinen beben, als sie weiter schritten. »Er kommt uns nach!« flüsterte das Mädchen. Auch Fritz hörte jetzt deutlich in einiger Entfernung Schritte, die ihnen folgten. Das Bewußtsein, Almas verschmähten Liebhaber auf den Fersen zu haben, zu dieser Tageszeit, in einer Gegend, die sowieso nicht zu den sichersten gehörte, war keineswegs angenehm.

Man erreichte jedoch unbelästigt die Hausthür. Fritz schloß schnell auf, ließ Alma eintreten und sah sich dann um. Auf der anderen Seite der schmalen Gasse schritt Ludwig Glück langsam vorüber, das Gesicht Fritz zugewendet. Eine Weile noch sah ihm Berting nach, bis die hagere, gebeugte Gestalt im Dunkel verschwunden war.

Als sie in ihr Zimmer gekommen waren, machte Fritz Licht. Jetzt erst bemerkte er, daß Alma kreideweiß war im Gesicht und am ganzen Körper schlotterte. »Was ist dir, mein Schatz?« fragte er und nahm ihre eiskalten Hände zwischen die seinen. »Gott sei Dank!« hauchte sie. »Ich dachte, er würde dir etwas thun!«

Fritz lachte sie aus mit ihrer Angst. Der Stuckateur Glück machte ihm jetzt, wo sie sicher geborgen waren, nicht mehr den Eindruck eines gefährlichen Menschen. –

Am nächsten Tage, als Fritz Berting von seinem gewöhnlichen Mittagsbrotausgang nach Haus zurückkehrte, fand er dort große Aufregung. Schon im Korridor rief ihm Frau Klippel entgegen: so etwas sei unerhört; das Fräulein bringe sie ins Gerede mit ihren Kerlen.

Fritz schob die fauchende Person beiseite und eilte ins Wohnzimmer, um sich bei Alma die Erklärung zu holen. Das Mädchen war ruhiger als in der Nacht zuvor; nur die großen, unnatürlich glänzenden Augen in dem weißen Gesicht sprachen von Erregung.

Sie erzählte: Vor einer halben Stunde etwa sei Ludwig Glück dagewesen und habe sie zu sprechen verlangt. Da sie jedoch seine Stimme erkannt hätte, habe sie sich wohlweislich eingeschlossen vor ihm. Glück sei nicht gegangen, habe vielmehr an der Thür gerüttelt und Einlaß begehrt. Durch den Lärm angelockt, waren Hausleute herbeigekommen, zwischen ihnen und Glück sei es zum Wortwechsel gekommen. Dadurch hatte sich Alma veranlaßt gesehen, herauszutreten, um Glück zu bitten, er möge sie in Ruhe lassen, sie habe nichts mit ihm zu schaffen und er solle sich entfernen. Das hätte er dann schließlich, nachdem sie ihre Bitte wiederholt und an sein Anstands- und Ehrgefühl appelliert hatte, endlich auch gethan.

Frau Klippel, der es inzwischen gelungen war, sich ins Zimmer einzudrängen, sprach von Hausfriedensbruch, und wollte ihre bekannte Litanei von Beschwerden und Verdächtigungen herunterbeten. Fritz kam ihr jedoch zuvor, indem er erklärte, er hätte sowieso die Absicht gehabt, das Quartier am ersten zu kündigen, nun könne es gleich geschehen.

Die Wirtin war über diese ihr gänzlich unerwartete Aufkündigung doch etwas betreten; so habe sie es nicht gemeint, erklärte sie einlenkend. Fritz jedoch hielt das, was er einmal gesagt hatte, aufrecht.

Man sagte sich, daß solche Vorkommnisse sich jeden Tag wiederholen könnten. Gegen Ludwig Glück mußten irgendwelche Maßregeln ergriffen werden – aber welche?

Sollte Fritz ihm die Polizei auf den Hals hetzen? Kompromittierte man sich dadurch nicht selbst? – Almas Idee war, auf und davon zu gehen, gemeinsam sich nach einer anderen Stadt zu wenden. Davon wollte Fritz nichts wissen; vieles hielt ihn hier, vor allem die Verbindung mit seinem Verleger. Und selbst durch einen Ortswechsel wären sie vor Ludwig Glück nicht sicher gewesen, der ihnen ja überall hin nachziehen konnte.

Berting war eher geneigt, sich mit dem Menschen in Güte auseinander zu setzen. Aus seinen Briefen an Alma hatte Fritz den Eindruck gewonnen, daß Glück einer sei, der vernünftigen Vorstellungen zugänglich sein mochte. Fritz beschloß, Glücks Adresse festzustellen und ihn aufzusuchen.

Auf dem Meldeamte erfuhr er nach einigen Schwierigkeiten, was er wissen wollte. Als er den Stuckateur Ludwig Glück aufsuchte, stellte es sich heraus, daß der Mensch nur eine Schlafstelle innehabe und des Tages über auf Arbeit sei. Seine Wirtsleute konnten jedoch das Lokal angeben, wo er zu verkehren pflegte.

Fritz Berting begab sich dorthin und fand den Gesuchten. Glück saß an einem Tische für sich und las in einer Zeitung. Fritz trat zu ihm und rief den ganz vertieften bei Namen.

Der Stuckateur fuhr auf. Aus dem jähen Erröten des bleichen Gesichtes sah Berting, daß er erkannt worden sei.

»Darf ich mich ein wenig zu Ihnen setzen, Herr Glück? Ich habe in einer Angelegenheit mit Ihnen zu reden.«

Der Gefragte blickte ihn starr an, gab weder ein Zeichen der Zustimmung, noch der Abwehr. Fritz ergriff einen Stuhl und setzte sich. Er war in einiger Verlegenheit; auf alles andere hatte er sich von Glücks Seite gefaßt gemacht als auf Schweigen.

Fritz begann: »Es ist mir mitgeteilt worden, daß Sie vorgestern in meiner Wohnung gewesen sind und dort den Versuch gemacht haben, mit Fräulein Alma Lux zu sprechen – das ist wohl an dem, Herr Glück?« –

Über Ludwig Glücks Züge huschte etwas wie ein Lächeln. Er nickte, sagte aber noch immer kein Wort.

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Glück!« rief Fritz, aus der Rolle gelassener Überlegenheit fallend, da ihn das Lächeln reizte. »Unterlassen Sie solche Besuche in Zukunft! Sie haben nun gesehen, daß Fräulein Lux nichts von Ihnen wissen will. Sie werden dort niemals angenommen werden. Das, bitte ich, sich merken zu wollen!«

Glücks Lippen bewegten sich ein paar Mal, ehe er mit leiser Stimme begann: »Ich wollte weiter gar nichts, als Alma etwas fragen. Sich vor mir einzuschließen, hätte sie nicht nötig gehabt. Ein Verbrecher bin ich nicht.«

Der gedrückte Ton, in dem er das vorbrachte, stimmte Fritz milder. Gewaltthätig sah der Mensch wahrhaftig nicht aus.

»Wollen Sie mir vielleicht anvertrauen, Herr Glück, was Sie Alma zu sagen beabsichtigten? Ich kann es ihr ja ausrichten.«

Glück blickte den anderen scheu von der Seite an; offenbar traute er dem Vorschlage nicht. Dann erschien wieder jenes eigentümliche Lächeln auf seinen Zügen. Es war mehr ein nervöses Zucken der Lippen; Fritz sah es jetzt deutlicher.

»Sie können Alma von mir ausrichten,« begann Glück mit seiner schwachen Stimme, »ob sie sich vielleicht noch entsänne, wer sie verteidigt hätte, als ein Kerl sie hinterrücks überfiel – damals – sie wird schon wissen! Ich hab' es deshalb gut in Erinnerung, weil ich noch den Messerstich manchmal fühle, den der Hund mir versetzte. Ob Alma es noch weiß, das fragen Sie sie einmal!«

Der Stuckateur schwieg, wieder zuckten seine Lippen, die Nasenflügel vibrierten heftig, Schweiß stand ihm auf der Stirn.

Fritz war betreten; so tiefe Gefühle und einen so schlichten Ausdruck dafür hatte er nicht erwartet. Sein unglücklicher Rivale gefiel ihm besser, als es ihm im Grunde lieb war. Was für dunkle, sprechende Augen der Mensch hatte. Wie die verhaltene Leidenschaft seine Züge schön und bedeutend machte! –

»Ich hätte Alma auch noch etwas anderes zu fragen gehabt,« fuhr Glück fort. »Wer damals, als der gute Vater Lux starb, wer damals mit Rat und That geholfen hat? Ich war nur Geselle und verdiente wenig; aber mein letzter Pfennig ist draufgegangen. Alma könnt' es noch wissen, es ist erst sechs oder sieben Jahre her.«

Fritz blickte wie gebannt auf den Sprecher. Wie anders klang die Geschichte dieser Liebe, wenn man sie von seiten des Verschmähten dargestellt bekam.

»Ich habe Alma gekannt, als sie noch kurze Kleider trug,« sagte Glück. »Wie oft habe ich ihr bei den Schulaufgaben geholfen! Das Rechnen fiel ihr sauer; da kam sie zu mir gelaufen. Ich wohnte eine Treppe über der Familie Lux. Es ging bei ihnen ärmlich genug zu. Der Vater war ein braver Mann, der 's gut mit mir meinte. Wäre er am Leben geblieben, manches wäre wohl anders geworden, auch für mich. Die Witwe hat nicht einmal ein Jahr gewartet, ihren Liebsten zum Stiefvater der Kinder zu machen. Alma war da schon größer und verstand ganz gut, was für eine Schmach das sei. Wie oft hat sie sich bei mir ausgeweint! Ich war es, der ihr riet, aus dem Hause der Mutter zu gehen, wo sie so Häßliches täglich mit ansehen mußte. Damals wußte sie ganz gut, daß ich der einzige Mensch war, der es redlich mit ihr meinte. Und zum Dank für alles das, stellt sie sich jetzt, als wäre ich der erste beste, fremde, hergelaufene Kerl, mit dem sich einzulassen Schande ist. Wer mir das damals gesagt hätte!« –

Glück hatte sich in leidenschaftlichen Eifer hineingeredet. Er schien fast vergessen zu haben, wer ihm gegenüber sitze. Fritz hütete sich wohl, ihn zu unterbrechen.

»Ich bin dumm gewesen, dumm und gutgläubig! Ich dachte: das Mädel ist dir sicher. Zum Heiraten war sie noch zu jung, und wir hatten auch kein Geld. Ich wollte mir erst etwas Ordentliches verdienen. Aber weil in einer kleinen Stadt nicht viel zu machen war, ging ich ins Ausland. Ich bin in Rußland gewesen und in Österreich. Schönes Geld hatte ich verdient. Habe aber auch gearbeitet, oft bis in die sinkende Nacht hinein, und früh wieder mit Sonnenaufgang, kaum mir Zeit gegönnt zum Essen. Dann kam meine Krankheit. Beim Militär hatten sie mich schon zurückgestellt, weil ich das Maß über der Brust nicht habe. Ich lachte damals, weil mir nie etwas gefehlt hatte. Aber nun bekam ich auf einmal das Blutspucken. Ein halbes Jahr lang habe ich in Budapest gelegen im Hospital. All mein Erspartes ging damals drauf. Ich bin auch nie wieder das geworden, was ich früher war.«

Glück fuhr sich mit der Hand über die Stirn, auf der der Schweiß in hellen Tropfen stand. Fritz fiel diese Hand auf. Es war eigentlich nicht die Hand eines Arbeiters, mehr die schlanke, nervöse eines Künstlers. Der ganze Mensch, wenn man von seiner ärmlichen Kleidung absah, machte den Eindruck höherer Bildung und verfeinerter Sitten.

»Ich habe viel an Alma geschrieben. Sie antwortete mir selten. Wie oft habe ich sie gebeten in meinen Briefen, zu warten, bis ich wieder käme und sich mit keinem anderen einzulassen. – Dann schrieb sie mir mit einem Male, daß sie sich nach Berlin wenden wolle. Ich warnte vor der großen Stadt. Es war umsonst. Bald darauf kam ihr letzter Brief an mich. Ich sollte ihr nicht weiter schreiben; was ich wolle, könne ja doch niemals werden. Den Brief erhielt ich auf allerhand Umwegen, während ich krank lag in der Fremde. Fast war es mein Tod. Wäre ich doch nur gestorben!«

Er seufzte, seine Lippen zuckten so stark, daß er nicht weiter sprechen konnte für eine Weile. Fritz bemerkte die Thränen in seinen Augen wohl.

»Sie war ein Mädchen, wie es kein zweites giebt! Die und keine andere muß deine Frau werden! sagte ich mir. – Daß es nun so hat kommen müssen!« – – Er bedeckte die Augen mit der Hand.

»Herr Glück!« begann Fritz nach einer Pause. »Ich kann nicht viel zu dem sagen, was Sie mir erzählt haben. Aber eines möchte ich doch bemerken: Alma hat Sie, soviel ich weiß, niemals im Zweifel gelassen darüber, daß sie auf Ihre Werbungen nicht eingehe. Sie sind niemals mit ihr verlobt gewesen.«

»Wer hat das behauptet!« rief Glück erregt. »Ich Esel traute, daß sie mir auch ohne Ring die Treue halten werde. Ich war ihr Freund, ein besserer, als das Mädel je einen gehabt hat und haben wird.«

»Freundschaft bindet nicht fürs Leben. Das werden Sie mir wohl zugeben, Herr Glück!«

»Wie nennen Sie denn das, was Alma jetzt hat?« rief der Stuckateur und fuhr von seinem Sitze auf. »Sind Sie beide etwa ordentlich versprochene Liebesleute? – Antworten Sie mir auf die Frage, mein Herr! Wollen Sie Alma heiraten – werden Sie meine Alma heiraten?«

»Sie haben kein Recht, mich das zu fragen, Herr Glück. Und ich werde Ihnen darauf nicht antworten,« erwiderte Fritz Berting, der nun, da die Rollen sich so unerwartet vertauscht hatten, bleich geworden war.

»Sie wollen meine Alma nicht heiraten!« rief Glück. »Nun weiß ich es!« Seine dunklen Augen leuchteten triumphierend auf.

Fritz war aufgestanden. »Es thut mir leid, Herr Glück, Ihr Ton macht mir ein weiteres Zusammensein unmöglich. Alma hält zu mir und nicht zu Ihnen, das ist alles, was ich Ihnen noch zu erwidern habe.«

»Alma hält zu Ihnen! – Ja, leider! Brüsten Sie sich nur damit, als ob es Ihr gutes Recht wäre. Wilde Ehe nennen wir das, wir gewöhnlichen Leute, wie Sie zwei leben. Vor Gott und Menschen eine Schande! So machen es solche Herren immer! Erst wird ein armes Mädel bethört; sie ist dumm und verliebt, läßt sich verführen. Eine Zeit lang ist sie gut genug zum Zeitvertreib. Dann läßt man sie sitzen. So wird es mit Alma auch kommen, das weiß ich!«

Fritz hatte inzwischen den Ausgang des Lokales erreicht. Glück kam ihm nachgeschritten.

»Richten Sie Alma von mir aus: ich, Ludwig Glück, ließe nie und nimmer von ihr, wenn sie mich auch jetzt von sich treibt wie einen Hund. Ich bleibe ihr treu bis in den Tod. – Richten Sie ihr das von mir aus!«

* * *

Den Löffel Suppe, zu welchem Fritz Berting von den Damen Tittchen eingeladen worden war, nahm er Sonntags Mittag in Gestalt eines reichhaltigen Mittagsessens zu sich.

Die Unterhaltung bewegte sich in höheren Sphären, denn die Tanten, im Bewußtsein, einen Schriftsteller an ihrem Tische zu haben, kramten allerhand Litteraturkenntnisse aus. Es stellte sich heraus, daß sie Abonnentinnen waren eines Journallesezirkels, dessen Lebensbeschreibungen berühmter Zeitgenossen, Kunstplaudereien und Theaternotizen, sie mit Eifer verfolgten. Sie glaubten daher ganz auf der Höhe zu stehen in allen litterarischen Fragen.

Fritz ging auf den Ton der Unterhaltung ein. Diese Damen darüber aufklären zu wollen, daß die von ihnen bewunderten Artikel mit Litteratur ebensowenig zu thun hatten, wie die schauderhaften Stillleben an den Wänden des Eßzimmers mit Malerei, wäre höchst überflüssig gewesen. Ein paar zustimmende, übertrieben bewundernde Bemerkungen waren mit ihrer versteckten Ironie für Hedwig von Lavan berechnet, und wurden von dieser auch gewürdigt.

Fritz hatte wieder Gelegenheit, die weltkluge Haltung des jungen Dinges anzustaunen. Die Tanten gaben Hedwig vor Fritzens Ohren allerhand Belehrungen, Ratschläge und Ermahnungen. Sie ließ die gute Lehre ruhig über sich ergehen, lehnte sich nicht auf; höchstens verriet ein unmerkliches Lächeln ihre innere Überlegenheit.

Nach Tisch hätte Fritz Berting nur zu gern mit Fräulein von Lavan unter vier Augen gesprochen; aber mindestens eine der Tanten hielt sich immerwährend in der Nähe der jungen Leute auf.

Man saß im großen Salon, dessen Möbel, heute von ihren Kappen befreit, die ganze schreiende Herrlichkeit ihres roten Sammetplüschs entwickelten.

Nachdem sie dem Kaffee alle Ehre angethan hatte, zog sich Amanda zurück, jedenfalls um ein Nickerchen zu machen. Fritz und Alma blieben unter Idas, der Älteren, Obhut zurück. Aber es schläferte das alte Mädchen gewaltig, wie man aus den immer kleiner werdenden Augen und gelegentlichen, dem Gähnen verzweifelt ähnlichen, krampfhaften Bewegungen ihrer Kinnbacken schließen konnte.

Plötzlich sagte Hedwig mit bedeutungsvollem Blicke zu Fritz: »Haben Sie unseren ›Hausschatz der schönen Künste‹ schon gesehen, Herr Berting?« – Fritz verneinte. Hedwig erhob sich und gab ihm mit den Augen einen kaum merklichen Wink. Er folgte ihr zu dem Tisch in der entgegengesetzten Ecke des Zimmers. Dort lagen um einen Gummibaum, der in bemaltem Porzellantopf stand, die Prachtbände des Hauses versammelt. Der Hausschatz der schönen Künste erwies sich als ein umfangreiches Sammelwerk von geschmacklosen Farbendrucken mit erklärendem Text. Hedwig schlug den goldverzierten Deckel auf, und Fritz rief: »Ach, wie reizend!« Tante Ida meinte mit schon halb umflorter Schlafstimme von der anderen Ecke des Zimmers her: »Nicht wahr? Es war aber auch sehr teuer!« – –

Hedwig schlug noch eine Seite um, und las den Titel des betreffenden Blattes laut für die sauvegarde, dann sagte sie mit gedämpfter Stimme für Fritz: »Ich habe Ihren Roman, ›Das Geschlecht‹, in der Zeitung angezeigt gelesen. Können Sie mir das Buch nicht verschaffen?« –

Fritz blickte nach der Sofaecke hinüber, bevor er antwortete. Von dort belehrte ihn jetzt ein Schnarchen, daß weitere Vorsicht unnötig sei. »Das Buch wird etwa in vierzehn Tagen fertig gedruckt sein und dann in den Buchhandel kommen,« erwiderte er. »Aber eines halte ich mich doch für verpflichtet, Ihnen zu sagen, gnädiges Fräulein, für junge Damen habe ich es eigentlich nicht gedacht.«

An dem spöttischen Zuge, der sofort auf ihrem Gesichte erschien, sah Fritz Berting, daß seine Bemerkung höchst überflüssig gefunden werde. ›Sie scheinen mich mit einem Gänschen zu verwechseln, mein Herr!‹ wollte das Rümpfen dieses stolzen Näschens sagen.

Um die Beleidigung gut zu machen, erklärte Fritz, er wolle ihr die Aushängebogen seines Romans, die er bereits beisammen hatte, zuschicken. »Ein avant-la-lettre-Exemplar für Sie ganz allein!«

Am Aufleuchten ihrer Augen sah er, daß er damit ihren Geschmack getroffen habe.

Die Vorstellung, dieses zarte Mädchengesicht mit den wissenden Augen in sein Buch vertieft zu sehen, hatte etwas tief Erregendes für Berting. Den Roman in der Hand einer »höheren Tochter« gewöhnlichen Schlages zu wissen, wäre ihm wie unerträgliche Profanierung erschienen; aber wie auf dieses körperlich dem Kinde nahestehende, geistig weit über seine Jahre gereifte, widerspruchsvolle, rätselhafte Geschöpf gerade dieses Buch wirken würde, das erfüllte ihn mit Neugier.

Hedwig erzählte ihm jetzt von ihrer Balzac-Lektüre. Sie hatte von diesem Autor einen starken Eindruck empfangen. Fritz Berting hörte ihr nur mit halbem Ohre zu. Er mußte immer denken: ›Sie wird deinen Roman »Das Geschlecht« lesen.‹ –

In der Ecke die schlummernde Tante. Ringsum die altmodische Umgebung, die Bilder wohlbeleibter Spießbürger und ehrbarer Damen, die von den Wänden mit verwunderten Mienen auf dieses so ganz anders als sie geartete Paar junger Menschen herabblickten. Wie eigensinnig und doch tieferen Sinnes nicht entbehrend das Leben manchmal die Menschen zusammenführte! Es war die Regung eines glücklichen Instinktes gewesen, so deuchte es Fritz, was an jenem Abende nach dem Theater seinen Blick wie fasciniert auf die Züge des jungen Mädchens gelenkt hatte.

Aber länger als ein paar kurze Minuten wurden ihm nicht gegönnt zum Auskosten dieser Situation. Die impertinent laute Vorsaalklingel erscholl, und darüber wachte Tante Ida auf. Wie die meisten Menschen, wenn der Schlaf sie wider Willen überkommt, hatte sie das Bestreben, die Thatsache zu verschleiern, daß sie geschlummert habe.

»Natürlich!« meinte sie, einen Zipfel des unterbrochenen Gedankenganges wieder erwischend, ›Hausschatz der schönen Künste‹ heißt es. Wir bekommen es in Lieferungen, das Heft zu drei Mark.« –

Das Dienstmädchen, deren Posaunenengelgesicht und verständnisvoll schlaues Schmunzeln Fritz schon mehrfach belustigt hatten, trat ein und meldete: »Herr Hofschauspieler Heßlow.«

Ihr auf dem Fuße folgte der schöne Waldemar, Cylinder in der Hand. Die Pracht seiner Glieder war heute in einen schwarzen Anzug von tadellosem Schnitt gehüllt. Er begrüßte die Anwesenden mit wohlüberlegter Nuancierung: Tante Ida bekam eine würdevoll gemessene Verbeugung, Hedwig wurde lebhaft verbindlich mit einem Stich ins Courmacherliche begrüßt, gegen Fritz verhielt er sich höflich zurückhaltend. Dann sah er sich nach dem Tischchen um, das auf der Bühne bereit zu stehen pflegt zum Wegsetzen des Cylinders, fand dieses Möbel auch glücklich, knöpfte seine Handschuhe auf und streifte sie ab, immer mit dem Gesicht nach dem Zuschauer, ernst und mit der der Situation entsprechenden Wichtigkeit, ergriff einen Stuhl, setzte sich, den Kopf stolz zurückwerfend, schlug mit Emphase Bein über Bein, betrachtete dann einen Augenblick sinnend seine Fingernägel, wollte, einem Räuspern nach zu schließen, eben die Unterhaltung eröffnen, als sich die Thür aufthat und Tante Amanda einließ, und so dem Mimen Gelegenheit gab, die Begrüßung einer neu auftretenden Person dem Bühnenreglement gemäß mit Korrektheit auszuführen.

Fritz Berting beobachtete voll Spannung Hedwig von Lavan. Es war doch gar nicht denkbar, daß dieser affektierte Mensch ihr imponieren könne. Sah sie denn nicht die Lächerlichkeit seiner Komödiantenmanieren? Hörte ihr Ohr nicht das falsche Pathos seiner hohlen Deklamierstimme? Wie das im Alltagsleben peinlich wirkte, einer Maskerade gleich im hellen Licht des Mittags!

Aber das spöttische Lächeln, das sonst so locker saß bei Hedwig, erschien nicht auf ihrem Gesichte. Im Gegenteil, Fritz glaubte ein gewisses Interesse, eine Art schwer zu definierender intensiver Aufmerksamkeit in ihren Mienen zu lesen, mit der sie den Blick auf dem Schauspieler ruhen ließ.

Waldemar Heßlow erzählte den Tanten, die mit naivem Entzücken, wie Kinder, an dem Munde des Bewunderten hingen, daß er die nächstens beginnenden Theaterferien wie gewöhnlich zu einer Reise zu benutzen beabsichtige. Vielleicht werde er eine Alpenhochtour unternehmen, um das Bergsteigen nicht ganz zu verlernen. Dann fing er an, mit den Sports, die er betreibe, zu renommieren. Schwimmen, Reiten, Rudern, Fechten, wäre sein Element. Als er sich in dieses Thema vertiefte, wurde sein ganzes Wesen lebendiger und natürlicher; man sah, daß das Pathos und die gezierten Manieren doch nur etwas ihm äußerlich aufgehangenes waren.

Fritz Berting dachte darüber nach, was diesen Menschen wohl bewogen haben könne, zur Bühne zu gehen. Zeitlebens würde er ein mittelmäßiger Schauspieler bleiben, der, um mit Hamlet zu reden, »eine Leidenschaft in Fetzen reißen« mochte, niemals aber »das Wohlgefallen der Einsichtsvollen gewinnen« konnte. Wie ganz anders hätte er den Beruf eines Athleten, eines Preisboxers, Meisterschaftsringers oder Wettläufers erfüllt, mit diesem Körper von nicht alltäglicher Kraft und Schmiegsamkeit, dessen ebenmäßigen Wuchs selbst die modern weiten, sackartigen Kleider nicht gänzlich zu verdecken vermochten. Es strömte wie ein Hauch gesunder, animalischer Kräfte von diesem Manne aus. Ob darin vielleicht die Lösung des Rätsels lag, warum der Mime, trotz aller Geistlosigkeit seines Spieles, solche Triumphe feierte bei den »Gründlingen im Parterre«? –

»Wir verreisen auch!« sagte Hedwig, als Heßlow eine Pause eintreten ließ, um eine Tasse Kaffee anzunehmen, die ihm Tante Amanda errötend anbot. Er war jetzt wieder ganz Akteur, nahm Zucker und Sahne mit Würde und trank seinen Kaffee mit bedeutungsvoller Ausführlichkeit.

»Also die Damen verreisen! Und wohin, wenn man fragen darf, mein gnädiges Fräulein?« Damit wandte er sich an Hedwig.

»Meine Tanten haben von Interlaken gesprochen.«

»Interlaken, bravo! Ich habe auch daran gedacht, ins Berner Land zu gehen. Also würde man sich dort sehen unter Umständen.«

»Wirklich, Herr Heßlow, das wäre reizend!« riefen die Tanten wie aus einem Munde.

»Bereits voriges Jahr fügte es ein glücklicher Zufall, daß wir uns in Norderney trafen,« meinte Waldemar Heßlow, jede Silbe einzeln betonend, als habe er Jamben zu skandieren, »und nun winkt uns der Hoffnungsstern eines fröhlichen Beisammenseins von neuem.«

Fritz beobachtete Hedwig scharf. Das Mädchen sagte nichts, aber er glaubte zu bemerken, daß sie leicht die Farbe wechselte.

Es kam dann zu einer richtigen Verabredung zwischen Waldemar Heßlow und den Damen Tittchen, sich in einigen Wochen in Interlaken zu treffen. Hedwig von Lavan hörte aufmerksam zu mit der Miene des wohlerzogenen Kindes, das an der Unterhaltung der Erwachsenen teilzunehmen sich nicht unterfängt.

Fritz Berting begann sich überflüssig vorzukommen unter Menschen, die so ausschließliches Wohlgefallen an einander fanden. Er nahm kurzen Abschied, unter dem Vorgeben, eine anderweite Verabredung zu haben.

Er ging in schlechter Laune, beherrscht von dem unangenehmsten aller Gefühle, düpiert zu sein.

Was hatte er alles in das Gesicht dieses jungen Mädchens hineingelegt, was alles hinter ihrem Wesen gesucht an Feinheit, Geist und origineller Begabung. Und nun entpuppte sie sich als ein ganz alltägliches Weibchen, abhängig, bethört, verblendet, geschmacklos in ihrer Wahl, bereit, dem ersten besten nachzulaufen, der, ein schönes Stück Fleisch, ihrem Weibesinstinkt imponierte.

Hedwig hatte ihm wirklich eine große Enttäuschung bereitet.

Und er beschloß bei sich, ihr die versprochenen Aushängebogen nicht zuzuschicken. Sie war einer solchen Auszeichnung nicht wert.

* * *

Fritz Berting hielt nun das erste Exemplar seines Romans ›Das Geschlecht‹ in Händen. Es war wirklich schwer sich vorzustellen, daß in diesen paar Hundert Druckseiten all das enthalten sein sollte, was er in mancher nachdenklichen Stunde sich an schwerer Arbeit abgerungen hatte. Und eigentümlich war es auch zu denken, daß im Augenblicke nur er, der Schöpfer, das Werk kenne, daß es noch ganz sein Geheimnis sei. Binnen kurzem aber würden vieler Augen über diese Zeilen gleiten, die Augen fremder, gleichgiltiger Menschen, von denen jeder, selbst der unberufenste, dann unwidersprochen mit gerümpfter Nase über ihn zu Gericht sitzen konnte.

Er fühlte das Bedürfnis, aus dem Munde eines Freundes über sein Buch ein Wort zu hören, ein gutes Wort, das ihm gewissermaßen bestätigen sollte, daß das, was in seiner Phantasie nach Dasein gerungen hatte, nun auch wirklich Leben habe, daß es die geheimnisvolle Kraft besitze, die fremde Seele zu ergreifen und zu befruchten.

Mit solchen Gefühlen übergab er seinem Freunde, Doktor Lehmfink, ein Exemplar, in das er zuvor eine warmherzige Widmung geschrieben hatte. Heinrich Lehmfink nahm die zwei Bände in die Hand, blätterte darin mit dem Auge des Bibliophilen, und gratulierte dem Autor zu dem Buche, das schon rein äußerlich den besten Eindruck mache.

Während der nächsten Tage versandte dann Fritz eine Anzahl Freiexemplare. Einige Kollegen aus seiner berliner Zeit wurden bedacht, sein Freund Baron Chubsky in Paris erhielt ein Exemplar. In der Stadt selbst schickte er nur an Frau Hilschius sein Buch, mit einer nichtssagend höflichen Widmung. Weißbleicher hatte ihm geraten, das zu thun. Die Rezensionsexemplare an Zeitungen und einzelne einflußreiche Kritiker wurden vom Verlage aus versandt.

Von Lehmfink sah und hörte Fritz in den nächsten Tagen nichts. Es war ihm nur recht so. Fritz wußte: der Freund liest dein Buch. Er wollte ihn gar nicht sehen, ehe er nicht ausgelesen hatte und ihm das Urteil über das Ganze sagen konnte. Darum ging er auch nicht zur gewohnten Stunde ins Café, um den Freund nicht zu vorzeitigem Sprechen zu veranlassen.

Er legte gerade auf Heinrich Lehmfinks Urteil den allergrößten Wert. Wenn Lehmfink eine Sache lobte, dann war etwas daran. Obgleich selbst kein Künstler, war ihm doch die Kunst eine heilige Sache, und gerade daß er nicht unter den Mitstrebenden stand, gab seiner Kritik größere Unparteilichkeit.

Dann trafen sie sich zufällig auf der Straße. Fritz vermutete, daß der Freund sein Buch nunmehr ausgelesen haben könne, und erwartete eigentlich, daß er davon zu sprechen anfangen werde. Aber Heinrich Lehmfink schwieg sich über den Roman völlig aus. Fritz Berting fragte nicht, um nicht den Eindruck der Ungeduld hervorzurufen; im Innersten jedoch war er etwas beunruhigt durch Lehmfinks Verhalten.

Eines Tages nun erschien der Freund bei ihm in der Wohnung. Ohne große Formalitäten ging er auf Fritz zu. »Guten Tag! Wie geht's? Ist Fräulein Alma da?«

Fritz erwiderte, daß Alma bei ihrer Arbeit sei, und wollte sie rufen. Lehmfink wehrte ab. »Nein! Ich wollte nur wissen, ob sie in Hörweite ist? Ich muß nämlich nun endlich mit dir über deinen Roman sprechen.« Fritz erklärte, daß sich zwischen ihnen und Alma der Vorsaal befände, sich dabei im stillen wundernd, warum sie wohl Lehmfinks Urteil über das Buch nicht mit anhören dürfe.

»Ich habe deinen Roman gelesen, Berting – zweimal gelesen« – – Dann folgte lange Zeit nichts. Heinrich Lehmfink storchte durchs Zimmer, die Arme im Kreuz verschränkt, und machte sein ernstestes Gesicht. Fritzens Herz klopfte, er wurde an jenen Augenblick erinnert, als bei der Premiere seines Stückes sich der Vorhang zum ersten Male hob.

»So versetze mir doch nur um Gotteswillen den Todesstoß!« rief er, »und warte nicht so lange. Also mein Roman taugt wohl nichts – nicht wahr?«

Heinrich Lehmfink blieb vor Fritz stehen, der im Stuhle an seinem Schreibtische Posto gefaßt hatte, und sah ihn an mit seinen großen, glänzenden, ausdrucksvollen Augen, über deren Schönheit man die Häßlichkeit des übrigen Menschen ganz vergaß. Es lag Trauer in diesen Augen, wie in dem ganzen ehrlichen Gesichte.

»Lieber Berting, es steckt in deinem Buche soviel Talent, Geschmack, Phantasie, Stil, überhaupt große Kunst daß es ein Jammer ist, ein Herzensjammer, daß es – nun offen heraus – daß es als Ganzes doch verfehlt ist.«

»Das muß ich sagen!« rief Fritz, »Wenn ein Kunstwerk ein Kunstwerk ist . . .«

»Weißt du, Berting, wenn ich ein Buch lese, so gebe ich mich zunächst willig hin, lasse mich von dem Autor führen, wohin es ihm beliebt. Ich bin mit einem Worte ein dankbarer Leser. Während des Lesens aber schon melden sich Stimmen, vielleicht auch Zweifel, die erst später, wenn ich das ganze überschaue, mir wirklich zum Bewußtsein kommen. Und dann, wenn das Werk von mir abgerückt ist, sich nicht mehr in mir selbst abspielt, so daß ich unbefangen urteilen kann, dann stelle ich mir vor allem eine Frage, die vor jedem Kunstwerk gestellt werden muß: In welchem Verhältnis hat der Künstler zu seinem Geschöpfe gestanden? – Hat er geliebt? Hat er ernst, groß, rein und keusch geliebt? Trägt die Frucht seiner Liebe – mag ihr sonst auch mancher individuelle und zeitliche Mangel anhaften – Züge tiefer, edler Gefühle?«

»Eine Moralpredigt habe ich nicht schreiben wollen, und ich glaube, der Titel ›Geschlecht‹ erweckt auch nicht diese Erwartung. Für einen Mann wie Professor Wallberg, welcher verlangt, daß die Kunst nur das ›Schöne‹ darstelle, scheidet mein Buch aus der Reihe der Kunstwerke aus, schon durch sein Thema. Aber daß auch du bei der Beurteilung im Stofflichen stecken bleiben würdest, Lehmfink . . . .«

»Mein lieber Berting! Es kann einer aus dem gröbsten Material, meinetwegen aus dem Kot der Landstraße, Gebilde formen, die durch Beseelung uns den Stoff, von dem sie genommen, gänzlich vergessen machen. Es kommt eben darauf an, was einer hineinzulegen hat.«

»Ich habe mein Herz hineingelegt, Lehmfink; was kann ich weiter thun? Wie eine Geliebte ist mir mein Werk gewesen. Es ist ein verflucht ernstes und höchst persönliches Verhältnis, in welchem ich zu diesem meinem Buche gestanden, das kann ich dir versichern!«

»Ich verkenne nicht den Ernst deines Strebens; du hast dich von einem Stoffe losringen wollen. Und vielleicht ist gerade das die Ursache deines Unterliegens. Du standest diesem Stoff nicht frei und unbefangen genug gegenüber, um aus den gährenden Elementen einen Wein zu keltern, der die Hefe der Sinnlichkeit nicht nachschmecken ließe.«

»Sinnlichkeit ist der Nährboden aller Kunst.«

»Aber der Schaffende muß sie in sich überwunden haben; sie darf ihm nicht das Auge trüben. Wenn sie ihm zu Kopfe steigt, wird seine Hand unfehlbar zittern, und sein Werk wird etwas Verzerrtes haben. Wie die Frucht in ihrem feinsten Aroma die Bestandteile des Bodens schmecken läßt, auf dem sie gewachsen, so spiegelt jedes Kunstwerk den Zustand der Seele wieder, die es genährt hat. Was du uns giebst, Berting, ist noch nicht abgegohren . . . .«

»Meinetwegen mag es nicht abgegohren sein; daran liegt mir garnichts! Ich habe etwas Starkes, Neues, Unerhörtes geben wollen. Das Geschlechtsleben in seiner ganzen Wildheit und alles beherrschenden herrlichen Kraft und Unbändigkeit habe ich versucht darzustellen. Den Begriff der Unanständigkeit gebe ich in der Kunst nicht zu. Die Natur, deren Jünger wir sind, kennt ihn auch nicht. Wir Jungen haben den Mut, die Kleider abzuwerfen, nackt hinzutreten vor alles Volk. Wir zeigen das Natürliche, wie es ist, und nehmen dadurch der Lüsternheit den geheimen Anreiz. Ich habe zeigen wollen, daß das Geschlecht im Menschen die Centrale ist, der Urkeim, der Leittrieb, das, wovon sein Leben die Richtung erhält, das, wodurch in letzter Linie unser Denken, Fühlen, Handeln bestimmt wird. Mag den alten Jungfern beiderlei Geschlechts darüber graulich werden!«

»Ich tadle nicht, Liebster, daß du diesen Angelpunkt der menschlichen Natur versucht hast, zum Brennpunkte eines Kunstwerkes zu machen. Aber gerade hier ist das Wie alles. Du wirst mir zugeben, daß das Geschlecht, wie es das Ausschlaggebende ist für den Einzelnen, so für die Kunst das heikelste und gefährlichste Thema. Ein Gebiet, auf dem auf Schritt und Tritt Fallstricke liegen. Wer dieses Land betritt, übernimmt eine große Verantwortung nicht blos für sich selbst. Es liegt im Wesen des Sexuellen, daß es die Augen und Ohren, alle Sinne, von weit her mit Gewalt auf sich lenkt. Dein Werk ist ein Spiegel, der ein Bild in einen anderen Spiegel, das Gemüt des Lesers, wirft. Sicherlich kann das Unreinste rein werden in der Wiederstrahlung einer keuschen Seele. Aber wer einen Brand schildern will, muß sich befreit haben von den Gefühlen, die das Ereignis in ihm weckte. Wer mitten im Getümmel steht der aufgeregten Sinne, ist nicht der Mann dazu, uns reine, abgeklärte Werke zu schenken.«

»Ich bin keine Fischnatur, Lehmfink! Ich erlebe meine Dichtungen und schreibe sie mit Herzblut. Hast du denn nicht herausgefühlt, daß mein Buch persönliches Erlebnis ist?« –

»Natürlich, lieber Freund, ist mir die starke, persönliche Note nicht entgangen. Du zeigst uns die Welt in der subjektiven Beleuchtung deines Naturells, wie es das gute Recht ist des Künstlers. Aber, nun kommt eben mein ›aber‹ – – –«

Fritz blickte gespannt auf den Freund, es war ihm neu, daß Lehmfink sich fürchtete, mit der Sprache herauszurücken.

»Ich möchte nicht gern persönliches einmischen,« fuhr Lehmfink bedachtsam fort, »aber es ist hier nicht zu umgehen. Nicht wahr, Fräulein Alma kann uns sicher nicht hören?"

Fritz wiederholte, was er schon vorhin gesagt hatte: Alma sei außer Hörweite.

»Du wirst mich nicht mißverstehen, Berting, wenn ich sage, was ich auf dem Herzen habe. Ich kann das leichter thun, weil du die Frage, um die sich's handelt, durch dein Buch gewissermaßen selbst zur öffentlichen Diskussion gestellt hast.«

»Nun bin ich allerdings begierig . . . . . .«

»Du hast in den Mittelpunkt deines Romans das Erotische gestellt. Darum ist das Buch für mich doppelt nachdenklich geworden, denn auch mir ist die Frage, wie der Mann zum Weibe steht, die entscheidende seines Schicksals. Allerdings meine ich damit nicht das Verhältnis zu den Weibern; das ist eine untergeordnete Angelegenheit des Trieblebens. Ich spreche von dem großen Probleme Liebe. Das Wort ist soviel gemißbraucht, daß es einer Münze gleicht, deren Gepräge undeutlich geworden ist. So verstehen auch wir zweie darunter etwas verschiedenes. Beim Lesen deines Romans wurde mir das recht klar. Das ist die Einseitigkeit deiner Weltanschauung und die Achillesferse deines Buches, daß du der animalischen Natur des Menschen ein Übergewicht zugestehst. Und damit folgt mit Naturnotwendigkeit, daß du das Weib herabzerrst. Indem du die Frauen zu Geschlechtswesen stempelst, erniedrigst du die ganze Art, läßt von der Liebe nur die Verliebtheit gelten. Die Frauen werden uns immer genau das sein, was wir ihnen sind. Suchen wir bei ihnen nur sinnlichen Reiz, so werden sie uns mit dem aufwarten, was wir in sie hineinlegen. Gewiß, ich weiß es: ohne Sinnlichkeit keine Kunst! das Geschlecht macht den Mann zum Manne, den Künstler zum Künstler. Aber Sache höchster Verantwortlichkeit ist, daß wir dem Feuer die rechte Nahrung zuführen. Dem einen wird die Flamme zum inneren Heiligtum, das, weil er sie rein bewahrt, sein ganzes Leben durchwärmt und erhellt; den anderen dörrt sie aus bis auf das Mark der Knochen. In der Dichtung bedeutet die Überherrschaft des Erotischen unfehlbar das Sinken des geistigen Niveaus. Leben und Kunst stehen nun einmal in tiefstem organischem Zusammenhang. Ich sprach von deinem Buche, Berting, und nun bin ich auf das gekommen, was gar nicht zur Diskussion stand, und was doch tausendmal wichtiger ist als alle Bücher, das Leben.« –

Hier wurden sie unterbrochen. Eine Thür ging auf der anderen Seite des Korridors. Alma kam ins Zimmer geeilt. Als sie sah, wen Fritz zu Besuch hatte, blieb sie errötend stehen. »Herr Doktor Lehmfink ist bei uns,« rief sie und klatschte vor Freude in die Hände. »Und das sagt mir niemand!«

* * *

Über Fritz Bertings Roman fingen nun an, die Urteile einzulaufen.

Zuerst kamen die Blätter, die nur den Waschzettel abdruckten. Den Text hatte Weißbleicher entworfen. Es wurde darin auf das interessante Problem des Romans hingewiesen, angedeutet, daß es sich um heikle Dinge handle, dabei aber nicht mehr verraten als nötig war, die Neugier zu reizen.

Dann erschien in einer litterarischen Revue, die auf dem äußersten linken Flügel der jüngsten Kunstbewegung stand, eine eingehende Besprechung aus der Feder eines älteren berliner Kritikers, dessen Parteinahme für die Jugend einiges Aufsehen erregt hatte. Der Mann begrüßte diesen Roman als ein hoffnungerweckendes Buch. Von einem Autor, der sich mit solcher Kälte und Sachlichkeit an eines der schwierigsten Probleme gewagt habe, und nicht im Stoffe untergegangen sei, könne man Großes erwarten. Er nannte das ›Geschlecht‹ eine hochwillkommene Bereicherung des physiologischen Naturalismus und maß ihm dokumentarischen Wert bei.

Es waren glückliche Augenblicke für den Dichter, als er diese Zeilen las, die ihm sein Freund Doktor Nackede blau angestrichen von Berlin zugeschickt hatte.

Das Lob, das ihm hier erteilt wurde aus bekannter Feder, an weithin gesehener Stelle publiziert, verlieh ihm in vieler Augen den litterarischen Ritterschlag. Er war nun gewissermaßen zünftig geworden, sein Buch konnte keinesfalls mehr totgeschwiegen werden.

Als ob ein Dämpfer auf diese Freude gesetzt werden solle, kam wenige Tage darauf in einem vielgelesenen lokalen Blatte eine Besprechung seines Romans aus Professor Wallbergs Feder. Wallberg ließ keinen guten Faden an dem Buche. Er nannte es die leichtfertige Arbeit eines unreifen Menschen, sprach ihm jeden litterarischen Wert ab, warnte vor solcher Lektüre, welche geeignet sei, die sittlichen Begriffe zu verwirren, und benutzte die Gelegenheit, mit der Moderne, für deren Weltanschauung und Kunstprinzip dieses traurige Machwerk typisch sei, gründlich ins Gericht zu gehen.

Daß Wallberg seinen Roman loben würde, hatte Fritz Berting nicht angenommen, nachdem er neulich an Frau Hilschius Tische die Klingen mit diesem fanatischen Alten gekreuzt hatte. Aber daß der Mann eine so animose Kritik schreiben werde, hatte er doch auch nicht für möglich gehalten.

Voll Entrüstung lief Fritz mit dem Zeitungsblatt zu Weißbleicher. Der Verleger, der den Artikel bereits kannte, faßte die Sache jedoch ziemlich kühl auf.

»Schadet gar nichts!« meinte der erfahrene Mann, »schadet gar nichts! Im Gegenteil, der Professor bringt uns die Leute nur auf den Geschmack. Ich kannte einen Autor, der lancierte selbst Artikel, die seine Bücher in Grund und Boden verrissen, in die Blätter. Was die Menschen heute über ein Buch lesen, haben sie morgen meist schon vergessen; daß der Name im Gedächtnis bleibt, ist die Hauptsache. Wenn Professor Wallberg sagt: Ihr Buch wirke demoralisierend, so macht er Ihnen mit dem einen Worte die großartigste Reklame. Ich wette, eine Menge Leute laufen daraufhin zum Buchhändler, die, wenn er gesagt hätte, es sei ein gediegenes Werk, daran nicht dächten.«

Wieweit der Verleger mit dieser Behauptung recht habe, war schwer zu beurteilen. Jedenfalls stellte Fritz Berting fest, daß sein Roman unter der Überschrift »Sensationelle Neuheit« in den meisten Buchläden auslag. Und daß sein Name bekannt zu werden beginne, ersah er aus den Zuschriften, die er erhielt. Tagesblätter forderten ihn zur Mitarbeiterschaft auf. Ein Zeitungsverleger fragte an, ob der Autor von ›Das Geschlecht‹ nicht für sein Blatt, das hauptsächlich von Damen gelesen werde, einen ähnlich spannenden Roman, »nur etwas naiver«, verfassen könne.

Einen Ausbruch begeisterter Bewunderung enthielt ein Brief, den der Dichter Karol an Fritz Berting richtete. Er glich einer Liebeserklärung. Fritz kannte die Art Silbers nun zur Genüge, um einiges von diesem Enthusiasmus auf Konto seiner theatralischen Ader zu setzen. Aber der Brief that dem Autor doch wohl; er war ihm ein Beweis, daß sich dieser Leser ganz von dem Buche hatte ergreifen lassen. Und welchem Dichter deuchte solche Wirkung nicht der beste Dank! –

Am Schlusse seines Briefes fragte Silber an, ob es Herrn Berting recht sei, wenn er in einem Blatte, das ihm weißes Papier zur Verfügung stelle, eine Erwiderung schreibe gegen Professor Wallbergs unqualifizierbare Kritik. Fritz schrieb zurück, daß er dagegen natürlich nichts einzuwenden habe.

Es fügte sich, daß er Silbers Artikel zuerst aus Heinrich Lehmfinks Hand erhielt. Die beiden Freunde saßen im Café beisammen, wie gewöhnlich umgeben von Zeitungen, als Lehmfink die letzte Nummer eines Blattes radikaler Färbung über den Tisch hinweg an Fritz reichte. »Da, unerwartete Ehrung! Herr Siegfried Silber reitet für dich in die Schranken!«

Fritz las den Artikel durch. Er war gepfeffert. Mit ätzendem Hohn begoß der Verfasser den alten Herrn, dem persönliche Voreingenommenheit und die geifernde Mißgunst seniler Impotenz vorgeworfen wurde. In geschickter Weise hatte Silber die Sache so zu wenden gewußt, daß der Tadel der Leichtfertigkeit, Geschmacklosigkeit und Eitelkeit, den Wallberg gegen den Autor des Geschlechts und gegen die ganze junge Richtung geschleudert hatte, ihm mit Zinsen zurückerstattet ward.

»Wird dir nicht bange bei diesem Verteidiger?« fragte Lehmfink.

»Es ist immerhin eine That,« erwiderte Fritz, »einem Manne von dem Einflusse Wallbergs so ungeniert auf die Finger zu klopfen.«

»Wie ich Siegfried Silber kenne, mein lieber Berting, wird er dir die Rechnung für diese Leistung über kurz oder lang präsentieren.« –

Fritz war über seinen Freund Lehmfink wirklich ärgerlich. Was mußte er an Silbers Besprechung herummäkeln; er, der selbst für »das Geschlecht« nichts übrig gehabt hatte als ein absprechendes Urteil. Manches Wort des Freundes war von neulich her in Fritzens Gedächtnis haften geblieben und ließ dort geheime Widerhaken fühlen.

Eigentlich hatte Lehmfink kein Recht, zu urteilen, wie er es gethan. An der Klugheit, Belesenheit und der gründlichen Bildung des Freundes wollte Fritz nicht zweifeln; aber Lehmfink war vielleicht doch zu sehr in der Philologie, von der er ursprünglich ausgegangen, stecken geblieben. Davon haftete ihm die Pedanterie, die Hausbackenheit und ein Rest von Engigkeit an, die es ihm unmöglich machten, dem modernen Empfinden bis in seine äußersten Konsequenzen zu folgen. Daß er keine Künstlernatur war, hätte schließlich nicht ein Hindernis zu sein brauchen, ein Nachempfinder und Kundschafter des Neuen zu werden. Was Lehmfink fehlte, waren die Nerven, die empfindlichen, auf die feinsten Stimmungen eingestellten und auf die subtilsten Reizungen reagierenden Nerven, und damit die letzte Verfeinerung des Geschmackes und der Genußfähigkeit. Die Antike konnte Lehmfink verstehen, die neuere Kunst auch, soweit sie sich in den Bahnen bewegte solid bürgerlicher Weltanschauung; dahinter kam für ihn die Scheidewand.

Es war traurig, bei einem sonst so ausgezeichneten Menschen und treuen Freunde diese Schranke der Anlage zu beobachten. Hier, nicht in seinen äußeren Mißerfolgen, lag wohl die Tragik von Lehmfinks Persönlichkeit. Was Lehmfink schrieb, mochten es Bücherbesprechungen sein, Theaterrezensionen, Essays, literarhistorische oder feuilletonistische Artikel, war gediegene, gründliche, reinliche Arbeit, getragen von Treue und Ernst, hinter jeder Zeile stand die Überzeugung eines ganzen Mannes. Was war es also, was dem Freunde fehlte, um ihn zu einem Kritiker großen Stiles zu machen, für den er so viele wichtige Eigenschaften besaß? Fritz legte sich die Frage wiederholt vor, wenn er vor Lehmfinks Arbeiten eine gewisse Langeweile empfand. Es kam ihm dann wohl vor, als rede jener eine andere Sprache, als stammten seine Sentenzen, trotzdem sie in funkelnagelneuem Druck auf frischem Papier zu lesen standen, aus einer verflossenen Periode. Gehörte Lehmfink nicht vielleicht zu der Klasse jener um ein paar Jahre zu spät Geborenen, die noch viel weniger gelten, als die, welche zu früh in ihre Zeit geboren sind? – Er besaß nicht die weitherzig kühne Lust am Gewagten, die Witterung für das Neue, den instinktiven Spürsinn für das, was Zukunft hat, die dem Pfadfinder auf geistigem Gebiete genau so angeboren sein müssen, wie dem Entdecker von Weltteilen. Er operierte mit Begriffen aus einer überwundenen Ethik, holte seine kritischen Maßstäbe aus der Rüstkammer einer veralteten Ästhetik. Daß es Neuland gäbe, wo für moderne Bedürfnisse moderne Gesetze gefunden werden mußten, wollte seinem konservativen Schädel nicht eingehen.

Ähnlich rückständige Ansichten, aber in minder liebevoller Form, wie Heinrich Lehmfink, äußerte in einem Briefe Fritzens Schwester Konstanze über den Roman.

Fritz hatte seiner Familie wohlweislich kein Exemplar zugeschickt; wußte er doch, daß die Lektüre bei ihnen nur moralische Entrüstung auslösen würde. Nun hatten sie sich den Roman selbst angeschafft; eine Verschwendung, die er ihnen gar nicht zugetraut hätte.

Wie Fritz erwartet hatte, war der schwesterliche Brief voll von Vorwürfen. Alles an dem Buche fand Konstanze tadelnswert: den »gräßlichen Titel« und den »unanständigen Inhalt«. Warum denn Fritz nicht wenigstens ein Pseudonym gewählt hätte? Es sei für die Familie höchst widerwärtig, den Namen Berting in Verbindung mit einer solchen Sache durch alle Zeitungen gezerrt zu sehen. Frau Wedner legte eine Kritik bei, die sie aus einem christlich-konservativen Blatte ausgeschnitten hatte. Daraus könne Fritz ersehen, wie die anständigen Leute über seine Leistungen dächten. Wedner habe gesagt, es sei ihm ganz besonders peinlich, daß sein eigener Schwager jener revolutionären und frivolen Geistesrichtung angehöre, die jetzt aufkomme, da er es sich zur Lebensaufgabe gemacht habe, die Nuditäten in Kunst und Litteratur zu bekämpfen. Dann der Ausruf: »Was würde unser herrlicher Vater dazu sagen!« – Ob Fritz denn alle Pietät abhanden gekommen sei? Ob er denn nicht etwas Rücksicht nehmen wolle auf die Gefühle der Schwester und auf die Stellung des Schwagers? –

Er zerriß den schwesterlichen Brief. Man wußte wirklich nicht, sollte man über ein solches Dokument hirnverbrannten Mißverstehens lachen, oder sich ärgern! – Rücksicht nehmen? – Pietät? – – Hatte er wirklich der Familie soviel zu danken, daß sie diese Forderung an ihn stellen durfte? –

Sein »herrlicher Vater«! Wie Hohn klang das Wort ihm ins Ohr. Nicht einen Freund und Führer hatte er im Vater gehabt, nein, einen pedantisch verständnislosen Zuchtmeister, der nur immer bestrebt gewesen war, mit der Schere der Korrektheit beim Sohne die Triebe der Eigenart zu verschneiden.

Und die übrige Familie! Das beste, was er besaß, seine Dichterbegabung, hatte er gegen ihre nörgelnde Mißbilligung verteidigen müssen. Immer nur hatten sie versucht, ihn von seinem Wege abzulenken. Nie war ihm ein Wort des Verständnisses, des liebevollen Eingehens auf seine Anlagen, seine Bedürfnisse, von jener Seite gekommen. Nur immer verdächtigt und verkleinert hatten sie ihn, gerade in seinem Besten ihn herabzuziehen versucht.

Er war weder dem Andenken des Verstorbenen Pietät, noch den Lebendigen Rücksicht schuldig.

* * *

Schließlich trug ihm das neue Buch auch einen unerwarteten Besuch ein.

Theophil Alois Hilschius erschien eines Sonntags vormittags in Fritzens Zimmer, mit feierlicher Miene, schwarz gekleidet, wie zu einem Leichenbegängnis.

Es stellte sich heraus, daß der Dichter des »Sulla« dem Verfasser des »Geschlecht« seinen kollegialen Glückwunsch darbringen wollte.

Theophil Alois entledigte sich seiner Aufgabe mit Würde. Sah er vielleicht im Geiste schon die Kommentare und Abbildungen, die sich in der Zukunft an ein derartiges Ereignis der Literaturgeschichte knüpfen würden? –

Der junge Mann lobte das Buch. Vor allem habe ihn daran das Physiologisch-Pathologische interessiert. Auch er habe sich mit ähnlichen Problemen getragen. Er sei entschlossen, sich nunmehr dem Gebiete des analytischen Romanes zuzuwenden. Es fehle uns in Deutschland diese Kunstgattung noch ganz und gar. Er werde, um diesem Mangel abzuhelfen, demnächst einen Roman-Cyklus zu schreiben beginnen, der das gesamte zeitgenössische Leben umfassen sollte und auf einige zwanzig Bände berechnet sei. – Fritz Berting mußte die nähere Auseinandersetzung des Planes zu diesem »monumentalen Werke« der »Zeit- und Massenpsychologie«, wie der zukünftige Autor es selbst nannte, geduldig über sich ergehen lassen.

Aber Theophil Alois Hilschius verband mit diesem Besuche noch eine andere Absicht. Er habe seine Maturitätsprüfung bestanden, berichtete er. Fritz gratulierte und erkundigte sich, wohin sich der junge Herr nunmehr zu wenden gedenke. Seine Mutter habe ihm einen Check über dreitausend Mark gegeben, ließ Theophil mit gut gespielter Gleichgiltigkeit fallen. Er solle eine Reise machen. Aber da er gar keine Lust verspüre, allein zu reisen, sei er gekommen, Herrn Berting zu fragen, ob der ihn nicht begleiten wolle, selbstverständlich auf seine, Hilschius, Kosten.

Fritz war über diesen Vorschlag einigermaßen erstaunt. Er erkundigte sich zunächst, wo denn die Reise hingehen solle. Theophil meinte, das sei ihm im Grunde gleichgiltig. Aus Landschaft mache er sich nichts, das Psychologische sei ihm alles. Jedoch wäre er bereit, eine Reise ans Nordkap zu unternehmen, obgleich er das Meer brutal fände. Übrigens habe er einen Brief abzugeben von seiner Schwester Annie.

Frau Eschauer schrieb an Fritz Berting: er habe Gelegenheit, ein gutes Werk zu thun, wenn er ihren Bruder auf seiner ersten Reise begleite. Sie schlug Norwegen vor. Auf der Rückfahrt sollten die beiden nach Rügen kommen, wo sie mit dem Gatten und einigen Freunden sein würde. Ihre Ansicht über seinen Roman könne sie Fritz nur mündlich sagen. Der Schluß war ein: »Auf Wiedersehen am Strande von Binz!«

Der Plan hatte viel Verlockendes. Er war wie die plötzlich vom Himmel gefallene Erfüllung eines unmöglichen Wunsches, mit dem man gelegentlich schon geliebäugelt hatte. Das Nordland! Was verbanden sich mit dem Begriff für Erwartungen unerhörter Naturschönheit, zauberhafter Stimmung des Primitiven, Urkräftigen, Unentweihten. Und darüber als feinster Duft die geistigen Beziehungen, die den modernen Menschen mit jenen durch ihre großen Dichter plötzlich aktuell gewordenen Ländern verbanden. –

Gerade in den letzten Wochen hatte Fritz Berting einen unbändigen Drang in sich gefühlt nach Natur. Die Stadt war ihm wieder einmal ganz unerträglich geworden. Hitze und Staub des Hochsommers hatten das enge Quartier in ein Infernum verwandelt. Durch Ausflüge, Spaziergänge, Dampfschifffahrten hatte er sich Abwechselung zu schaffen versucht. Aber auf die Dauer langweilte das. Die Umgebung der Stadt, die anfangs durch eine gewisse Anmut und Niedlichkeit seinen Beifall erregt hatte, war ihm eintönig und schal geworden, wie ein süßer Trank ohne kräftiges Aroma. Diese niederen Höhen waren ja nur Ansätze zu Bergen, der Fluß, jetzt wieder ganz seicht, die Karikatur eines Stromes; und die viel gepriesenen Felsen und Schluchten des Duodezgebirges oberhalb der Stadt erinnerten ihn an Theaterkulissen. Und dazu überall die Restaurationen, Haltepunkte, Ruheplätze und Aussichtstürme! Alles bebaut, verschönert, korrigiert, reguliert durch die Menschenhand. Und selbst da, wo aus Versehen ein Stück Natur in seiner ursprünglichen Keuschheit geblieben war, nichts Imposantes. Eine Landschaft, die weder Fleisch war noch Fisch. Nicht Ebene mit der Größe der Einförmigkeit in unendlicher Ausdehnung, und auch nicht Hochgebirge mit der Wucht der Massen und der Klarheit großer Formen und Linien. Es war die Unklarheit des Zwitterdinges, des Überganges vom Mittelgebirge in die Ebene, von Land in Stadt, was dieser Gegend den Stempel des Unbedeutenden, Erkünstelten und Spieligen aufdrückte.

Und Fritz brauchte gerade in dieser Zeit den Anblick von Großem, Ursprünglichem. Seit er sein Buch veröffentlicht hatte, kam er sich so zwecklos vor. Er war auf der Suche nach neuen Impulsen, nach Ausfüllung, nach einem Ersatz für das, was er an Kräften hergegeben hatte. Wohl regten sich Stimmungen in ihm, Töne erklangen, schüchtern klopften Gedanken an; aber verdichtet zur geschlossenen Idee hatte sich davon noch nichts. Ein starker Eindruck von außen, das wußte er aus Erfahrung, machte oft die gährenden, nach einem Mittelpunkte suchenden Elemente sich schneller und schöner zum Kristalle zusammenschließen.

Nichts war in solch kritischer Zeit der Empfängnis, wo die Urzellen heranwuchsen des zukünftigen Kunstwerkes, gleichgiltig, nicht die Luft, in der man lebte, nicht die Bilder, die das Auge aufnahm. Auch darin waren Künstler und Mütter einander ähnlich; Genuß, Stimmung, Beschäftigung, die leichten Strömungen an der Lebensoberfläche, wirkten doch hinab bis in jene geheimnisvollen Gründe, wo die keimende Frucht ihre Säfte aus dem ganzen Organismus an sich zieht.

Zu der inneren Sammlung aller Seelenkräfte, aus der allein eine Dichtung ihren Ursprung nehmen kann, war Fritz Berting in der letzten Zeit nicht gekommen. Er hatte viel des Aufreibenden, Unerquicklichen und Häßlichen erlebt. Da war die ewige Geldfrage, mit ihren empfindlichen Demütigungen im Gefolge. Dann der Kampf mit der Quartierwirtin, die nun, wo es feststand, daß die Mieter ausziehen würden, ihnen das Leben so schwer wie möglich zu machen suchte. Das Erlebnis mit dem Stuckateur Glück trug auch das seine dazu bei, Fritz Berting den Boden unter den Füßen heiß zu machen. Am schwersten aber lastete auf seinen Nerven die trübe, gedrückte Stimmung, in der Alma sich neuerdings befand.

Fritz hatte dem Mädchen gegenüber von der Notwendigkeit gesprochen, zukünftig in getrennten Quartieren zu wohnen. Er war der Ansicht, daß dies für beide Teile besser sei, ein jedes könne dann seiner Beschäftigung ungestörter nachgehen. Auch entgehe man dann leichter dem Klatsch und der Neugier Dritter, von denen sie genug zu kosten bekommen. Fritz hatte sich daraufhin auch schon Quartiere angesehen. Eines, das in der Nähe des Geschäftes lag, für welches Alma arbeitete, schien ihm sehr zweckentsprechend. Wohin er selbst ziehen würde, wußte er noch nicht.

Seinen Vorstellungen, daß man bei einer solchen ja nur rein äußerlichen Trennung viel mehr von einander haben werde, schenkte Alma keinen Glauben. Mit Gründen der Logik war ihr nicht beizukommen. Wenn sie sich überhaupt darauf einließ, mit ihm über den Umzugsplan zu sprechen, so war ihre einzige, stets wiederkehrende Behauptung: »Es geschieht nur, weil du mich satt hast!« – Und ihre trübe Miene und der verzweifelte Blick sagten, daß es ihr mit dieser Furcht wirklich ernst sei. Sie war nicht dazu zu bewegen, sich die Wohnung, in die sie ziehen sollte, auch nur von außen anzusehen. Fritz aber fand es sehr aufreibend, ihren Widerstand zu bekämpfen. Wenn er es mit trotziger Auflehnung zu thun gehabt hätte, wäre ihm das noch lieber gewesen, als diese stummen, vorwurfsvollen Mienen und langweiligen Thränen.

Alma wußte es eben nicht – und man durfte es ihr auch nicht sagen –, wie groß die Gefahr sei, die in dem steten Zusammenleben, in dem Eng-aneinander-gebunden-sein ihre Liebe bedrohte. Wieviel Anmut und Reiz büßte ihr Gesicht, ihre Gestalt, ihre ganze, körperliche Gegenwart ein, dadurch daß Fritz sie oft in den ernüchternden Situationen des Alltagslebens sah. Wie wurde selbst das Feuer ihrer Umarmungen abgeschwächt, weil er sie nicht zu suchen brauchte, sie haben konnte, wann er wollte.

Das arme Ding ahnte nicht, wie begrenzt das Maß sinnlicher Anziehung ist, welches auf die Dauer eine Frau auf den Mann auszuüben vermag. Sie wußte nichts von der Ökonomie des Genusses, welche die Frau üben muß, will sie den Mann für immerdar an sich fesseln. Ein geistiges Sich-in-einander-einleben war bei diesem Paare ausgeschlossen. Alma klammerte sich ängstlich an das Einzige, was ihr von dem Geliebten gewährt wurde, an seine leibliche Gegenwart. Immer inniger wollte sie ihn an sich binden; am liebsten hätte sie ihn Tag und Nacht an ihrer Seite gehabt, im stillen schon argwöhnend, daß er sich zurückziehen wolle von ihr. Daher die verzweifelte Glut ihrer Hingabe. Nur wenn sie nahe bei einander waren, wußte sie, daß er ihr ganz sicher sei. Nichts ahnend trieb sie ein gefährliches Spiel; niemand sagte ihr, daß durch tägliche Auszahlung in kleiner Münze der Liebesschatz, so groß er anfänglich gewesen sein mochte, mit der Zeit unwiderbringlich verrinnen mußte.

Fritz, der als Mann in viel höherem Grade befähigt war, sich über das Liebesverhältnis verstandesmäßig bewußt zu erheben, als das Mädchen, dem ihre Liebe heiligster Lebensinhalt war, Fritz sagte sich ganz nüchtern, daß eine Trennung noch am ersten ihre Neigung verjüngen werde. Das Verlangen zu einander würde wachsen, dem Bedürfnis der Zärtlichkeit neues Blut zugeführt werden. Mit gutem Gewissen konnte er Alma für einige Zeit verlassen; auch ihr würde ja das Beste zu gute kommen von den starken Eindrücken, dem freien, sorglosen Leben, die er da draußen auf dem Meere, im Nordland zu genießen hoffte. Ein feuriger Liebhaber würde er zurückkehren in die Arme seines Mädchens.

Fritz Berting erwartete Großes von dieser Reise. Der Künstler in ihm wollte neue Farben, neue Strahlen einheimsen aus dem ewig mannigfaltigen Spektrum der Natur. Seine Liebe wollte er schützen vor den Gespenstern der Langeweile und des Überdrusses, die ihr schon einigemale drohend gewinkt hatten. Und sein ganzes Dasein sollte ein frischerer Luftzug befreien, vom Spinnweb der üblen Laune, der Sorge und des Zweifels.

 


 


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