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Die Tischler streikten. Angefangen hatten die Bautischler, dann schlossen sich die Arbeiter in den großen Möbelfabriken an, schließlich wurden auch die kleinen Meister hereingezogen, die für Magazine auf Lager arbeiteten. Die Bildner, Drechsler und Tapezierer konnten es schließlich nicht länger mit ansehen, daß ihre Kollegen etwas vor ihnen voraus haben sollten, und streikten auch. Bald legten sie alle: Meister, Gesellen, Werkführer und Arbeiter die Hände in den Schoß. Man verschwor sich, die Arbeit nicht wieder aufzunehmen, es hätten denn die Unternehmer die lange Liste der aufgestellten Forderungen bis aufs tz bewilligt.
Aber wieder einmal erwies sich die metallene Brustwehr der vereinigten Kapitalisten allzu stark, um Bresche darein zu legen. Nach einem Vierteljahr voll Beschlußfassens, Demonstrierens und verzweifelten Hin- und Herzerrens mußte man schließlich einsehen, daß auch dieser Feldzug verloren sei. Durch Schaden war da mancher zwar nicht klüger, aber doch kleinlauter geworden und kehrte zur alten Arbeitsstätte zurück. Aber viele fanden verschlossene Thüren. Ihre Plätze waren vergeben an pfiffige Kollegen, die, von auswärts zugereist, die günstige Lage des Marktes benutzt hatten. Der Arbeitsherr wies den Bittsteller – vielleicht nicht ganz ohne Schadenfreude – mit der Begründung ab, er habe seinen Betrieb infolge des Streikes verkleinern müssen.
Mit solchem Bescheid konnte man dann zurückkehren zu Weib und Kind, die seit Monaten mit Hilfe der mageren Streikgelder gerade vorm Verhungern bewahrt worden waren. Als einziger Trost mußte ihnen die Nachricht dienen, daß, wenn auch der Streik mißlungen, doch die Unternehmer ebenfalls geschädigt seien. Aber die Millionen, die jenen fehlten. machten nicht satt auf die Dauer.
Wer unverheiratet war und keinen eigenen Hausstand besaß, für den war es weniger schlimm, der zog den Leibriemen einfach ein wenig fester an, sah, daß er irgendwo anders zu Brote kam, oder verließ die Stadt ganz und gar. Das Reich ist ja groß!
So zogen sie denn hinaus in Trupps zu zweien und dreien, oder auch einzeln, nach allen Richtungen der Windrose, gedrückt oder übermütig, planlos oder mit einem festen Ziele vor Augen, je nach Veranlagung und Laune.
Auf dem Bahnsteig standen drei von diesen Auswanderern, den Zug erwartend, der sie nach der nächsten großen Stadt führen sollte. Dort seien Tischler gesuchte Ware, sollte irgendwo in einer Zeitungsnotiz gestanden haben; wie ein Lauffeuer hatte sich das unter den Arbeitslosen verbreitet. Jeder strebte so bald wie möglich dorthin zu gelangen und mißgünstig ruhte da manches Auge auf dem Reisegenossen, in dem man einen Konkurrenten vermutete.
Die drei hatten sich zusammengethan, weil gemeinsame Schicksale sie von früher her verbanden. Sie waren in einer der größten Bautischlereien gewesen, der eine, Prägerow, als Werkführer, die anderen beiden als einfache Arbeiter. Die Firma hatte erklärt, daß sie grundsätzlich keinen Ausständigen wieder anstelle; über hundert Männer waren dadurch arbeitslos geworden. Der eine von den jungen Leuten, Runzig mit Namen, war ein mittelgroßer, gut gebauter Bursche mit starkem Schnurrbart, dem er offenbar sorgfältige Pflege angedeihen ließ; Runzig sah überhaupt für einen, der drei Monate Streik hinter sich hat, noch recht wohlgenährt und schmuck aus. Dem anderen, einem rothaarigen, lang aufgeschossenen Menschen, den seine Freunde nur unter dem Namen Peter kannten, hatte die magere Zeit der Arbeitslosigkeit übler mitgespielt. Peter hing nur noch in seiner Haut wie in alten schlodderigen Kleidern. So standen sie da, zwei mit Cigarrenstummeln im Munde, Peter mit einer Pfeife ausgestattet, das Arbeitsgerät in bunte Tücher eingeschlagen. Der Zug, in den sie einsteigen wollten, wurde noch rangiert.
Neben ihnen spielte sich eine bewegte Scene ab; ein Familienvater nahm Abschied von Frau und Kindern. Gleich ihnen war er ein durch den Streit brotlos gewordener Tischler. Zwei Kinder, Knabe und Mädchen, noch unter dem Konfirmationsalter, schleppten sich mit einer mächtigen Hucke, offenbar des Vaters Habseligkeiten enthaltend. Es war ein großes in Sackleinwand genähtes Ding, mit allerhand Ecken, das auf kantigen Inhalt schließen ließ. Die Frau war um den Mann beschäftigt, sie zog ihm sein Halstuch, das sich verschoben hatte, zurecht. Er war ein magerer Vierziger, wachsbleich, mit eingefallener Brust. Sein krauser Vollbart zeigte sich in der Ohrengegend schon etwas angegraut. Grule befand sich offenbar in einiger Hast. Das Reisen war ihm wohl etwas Neues. Bald holte er sein Billet hervor, betrachtete es und steckte es wieder in die Tasche, um nach der Uhr zu sehen, oder die Kinder zu fragen, ob sie alle seine Sachen noch hätten.
Plötzlich griff Grule in seine Hosentasche und zog daraus ein kleines abgenutztes Geldtäschchen hervor; lange kramte er darin herum, bis er gefunden, was er suchte: unter manchem Kupfer und Nickel ein Zehnmarkstück. Er wollte es der Frau geben, aber die wies es standhaft ab. Fast wurde er ärgerlich; seine nervös gedrückten Mienen blickten noch um eine Schattierung sorgenvoller. Dann auf einmal sich eines anderen besinnend, that er das Goldstück in die Börse zurück.
Die drei anderen beobachteten die Scene, ohne daß sie ihnen Eindruck zu machen schien. In drei Monaten Streik stumpft sich das Gefühl ab, und wer selbst um die Existenz ringt, hat selten für seinesgleichen Mitgefühl übrig. Sie kannten den kleinen mageren Mann von Ansehen ganz gut; er war auch fleißig in den Versammlungen gewesen als stummer Zuhörer.
Jahrelang hatte Grule als Kleinmeister für einen Möbelbazar gearbeitet, billige Möbel, die man ihm schlecht bezahlte. Trotzdem war es ihm gelungen, sich einige hundert Mark zu ersparen. Da wurde er in den Streik hineingerissen, und schnell war sein sauer Erspartes verschlungen. Er hatte gar nicht daran gedacht, sich aufzulehnen – zur Unzufriedenheit fehlte ihm jede Veranlagung – nur seine und seiner Familie Lage hatte er ein wenig aufbessern wollen. So war er ins Unglück geraten, er wußte nicht wie.
Der Zug stand fertig zur Abfahrt. Die jungen Leute waren schon eingestiegen. Grule riß den Kindern das große Paket aus den Händen und legte es auf das Trittbrett des Wagens. Er wollte sich hastig mit einem Händedruck von den Seinigen verabschieden, aber die Frau ließ das nicht zu. Er mußte die Kinder ordentlich küssen, jedes einzeln, dann umarmte sie ihn selbst, indem sie ihm noch ein freundliches Wort: »Glückliche Reise« und »auf baldiges Wiedersehen« ins Ohr flüsterte. Er hörte es kaum, zerstreut und benommen, wie er war, von dem Außerordentlichen. Dann stolperte er in den Wagen vierter Klasse hinein, seine Hucke unter dem Arme.
Zunächst konnte er kaum etwas sehen. Die Abteilung war voll Menschen, die sich drängten und stießen. Die schmalen Bänke an den Seiten wurden von den zuerst Gekommenen besetzt. Grule sah sich ratlos um; würde er die ganze lange Fahrt auf seinen Füßen stehen müssen? Da stieß ihn jemand an. Es war Peter, der lange, junge Mensch, der ihm einen Platz neben sich anwies, indem er ein wenig zurückte. Seine Hucke wurde ihm abgenommen und unter die Bank geschoben. So saß er, ehe er sichs versah, neben den dreien.
Es wurde nicht viel gesprochen. Grule, von der Angst gepeinigt, er könne etwas Wichtiges zu Haus gelassen haben, fing an, seine Hucke aufzumachen und die Sachen einzeln herauszuholen. Die anderen sahen ihm zu, weil sie nichts Besseres zu thun wußten. Was der Mensch da alles drin hatte! Einen vollständigen Anzug, ein paar Stiefel, dazu Wäsche. Ein Winkelmaß, Schmiege, Stemmeisen, Wasserwage und andere Werkzeuge.
»Die Hälfte von dem Kram wäre mir schon zu viel!« meinte Runzig.
»Man kann doch nich wie en Lehrling auftreten, der in die erste Stelle kommt,« sagte Grule dagegen. »Ich bin Meister.«
»Hast du vielleicht Arbeit? Na, also! Ich bin drauf gefaßt, den Sommer durch zu walzen. Mein Gepäck ist leicht.« Damit hob Runzig seine Hucke, die er zwischen den Beinen stehen hatte, mit einem Finger in die Luft.
»Es giebt aber doch Fabriken und große Geschäfte dort, wo wir hinwollen. Die müssen doch Werkführer brauchen.«
»Sei du man froh, wenn du als simpler Arbeiter unterkommst!« rief Prägerow dazwischen.
»Aber ich dachte . . .« meinte Grule und blickte mit einem Male äußerst sorgenvoll drein. »Es muß doch Arbeit geben irgendwo! Verhungern können sie einen doch nicht lassen, wenn man arbeiten will.« –
Runzig lachte ihn aus. Er scheine allerdings der richtige »Heuochse« zu sein. Wer sich denn um sie kümmere! Die Arbeitskräfte seien billig geworden. Man werde ihnen Schundlöhne anbieten, vielleicht gar sie abweisen von vornherein, weil sie gestreikt hätten; denn die Unternehmer hingen ja alle zusammen wie die Kletten.
»Aber man hat doch sein Handwerk erlernt! Man hat sich doch zwanzig Jahre redlich durchgeschlagen. Und nun mit Frau und Kindern! – Nein, wenn es so zugeht in der Welt . . .« Er sah sich mit verzweifeltem Blicke um und hob die hagere Hand; man wußte nicht gegen wen.
Runzig ergriff das Wort. Obgleich noch jung, hatte er doch zu den Führern des Ausstandes gehört. Er war ein Bursche, der sich überall bemerkbar zu machen verstand. Auch hier vernahm man durch das Rattern des Zuges hindurch seine laute Stimme. Alles hörte auf den jungen Menschen mit dem flotten Schnurrbart und den blitzenden Augen, wie er gegen die verfluchte Kapitalistenkaste wetterte. Er brauchte keinen Widerspruch zu befürchten von denen hier; er sprach ihnen aus dem Herzen. Nur Peter saß vergnügten Gesichtes dabei, seine Pfeife im Munde. Der schien guter Laune trotz Arbeitslosigkeit und schlechter Zeit.
Es war ein langsamer Zug, der an jeder Station anhielt; mit der Zeit näherte man sich jedoch dem Ziele. Grule erkundigte sich, ob jemand die Stadt kenne. Runzig bot sich zum Führer an. Das wurde dankbar angenommen. Das bißchen Selbstvertrauen, das Grule vorher vielleicht noch besessen, war durch das, was er auf der Fahrt gehört hatte, vollends in die Brüche gegangen.
Man schritt unter den eisernen Bogen eines Riesenbahnhofs weg. Grule fühlte eine eigne Beklemmung, als er die mächtige gewölbte Halle sah, in deren Kuppel sich der Blick verlor wie in einem Dom; aber sonst war da nichts von dem Frieden eines Gotteshauses. Die Züge brausten herein und heraus, Pfiffe gelten, Menschen kamen an und eilten fort; ein überwältigendes Treiben für den Kleinmeister, der nur die Ruhe seiner bescheidenen Werkstatt kannte, wo er jahraus, jahrein mit einem Gesellen und zwei Lehrlingen gearbeitet hatte. Das Herz sank ihm tiefer, wie würde er sich jemals hier zurecht finden? – Er mußte froh sein, daß er Kollegen gefunden hatte, die sich seiner annahmen.
Nun ging es über einen großen freien Platz mit einem Denkmal darauf, das zu betrachten in diesem Durcheinander von Wagen und geschäftigen Menschen niemand Zeit und Lust fand. Dann bogen die vier in eine enge Gasse ein, wo Runzig eine Kneipe zu kennen behauptete. Denn nach solcher Fahrt müsse man doch einen genehmigen.
Bald saßen sie um einen viereckigen Tisch herum, jeder eine Weiße vor sich und einen Schnaps daneben. Brot, Butter, Käse und Wurst wurden gebracht. Die Mühe des Bestellens hatte Runzig den anderen abgenommen. Er war auch hier wieder der Anführer; zunächst ließ er sich das gelesenste Geschäftsblatt des Ortes geben und forschte im Inseratenteile. Die Aussichten seien mau, meinte er nach einiger. Zeit, wie ers vorausgesagt. Wie sollte's denn auch anders sein, jetzt im Sommer, wo jedes Geschäft flaute. Ihm seis recht, er habe nichts gegen ein paar Monate walzen. Dabei schlug er auf den Tisch und bestellte vier Korn.
Grule stierte trübe vor sich hin. Er dachte an die zu Haus. Die jungen Kerle, mit denen er hier zusammensaß, mochten gut reden, die hatten niemanden, der sehnsüchtig auf die Nachricht wartete: ob der Vater wieder Arbeit habe. Ihm brannte der Boden unter den Füßen; er wollte etwas thun, Geschäfte aufsuchen, sich vorstellen, um Anstellung bitten. Um jede Minute, die man hier vertrödelte, war es schade. Aber Runzig und die anderen schienen dieser Ansicht nicht zu sein; noch einmal wurde frisch nachgefüllt.
Endlich erhob sich Grule, er hielt das nicht länger aus. »Der Herr bezahlt für das Ganze!« sagte Runzig auf Grule deutend. Der lachte verlegen über den schlechten Witz und wollte wissen, was sein Anteil an der Zeche sei. Aber Runzig bestand darauf, Grule müsse für alle bezahlen, sie seien arme Teufel, und »bei dir habe ich doch vorhin einen leibhaftigen Zehnmärker gesehen – lüge nicht!« Grule mußte zugeben, daß er ein Goldstück besitze, das letzte freilich; gern hätte er es seiner Frau, die es vorhin abgewiesen, doch noch mit der Post zugeschickt. Er zögerte daher, wollte das Stück nicht hergeben, um es nicht anzureißen. Aber Runzig verhöhnte ihn: daß sei ihm schöne Kameradschaft, seine Kollegen so im Stiche zu lassen! – Das wurmte ihn doch. Ein schlechter Kamerad wollte er nicht sein. Er bezahlte also die Zeche und sah den größten Teil seiner Barschaft im Kassenfache des Wirts verschwinden.
Die nächsten zwei Tage brachte er damit zu, von Geschäft zu Geschäft zu gehen und sich anzubieten. Er sah, daß Runzig nur zu sehr recht gehabt hatte mit seiner Voraussage: niemand wollte neue Leute anstellen. Die paar Stellen, die frei gewesen, fand er bereits besetzt. Schließlich irrte er auf den Straßen der großen Stadt ratlos umher, selbst nicht mehr darauf hoffend, daß sich etwas finden würde. Er war müde, todmüde von den paar Tagen ungewohnten Umherstreifens. Nach Weib und Kind hatte er unaussprechliche Sehnsucht. Aber der Gedanke, vor sie zu treten mit leeren Händen und in ihren Augen die verzweifelte Frage zu lesen: was nun? ließ ihn die Heimreise schnell wieder aufgeben.
Auf irgend einen Zufall hoffend, der als rettender Engel zu ihm kommen solle, schlenderte er gedankenlos durch die Gassen. Plötzlich rief eine Stimme hinter ihm: »Heda, Landser.« Gleichzeitig fühlte er sich gepackt und festgehalten. Da waren Runzig und Peter. »Hast du Arbeit?« Grule schüttelte trübe den Kopf. »Wir auch nicht! Haben uns freilich nicht weiter sehr bemüht. Der Schafskopp, der Prägerow, ist für zehn Mark wöchentlich bei einem Meister untergekrochen. – Wo sind deine Sachen?« Grule berichtete, daß er in der Herberge zur Heimat übernachte.
Runzig schlug vor, das »Gelumpe« dort abzuholen. Sie wollten ihr Glück anderwärts versuchen, denn in diesem Nest sei nun doch mal nichts zu machen. Gemeinsame Wanderschaft war sein Plan. Grule wußte nichts Besseres. Er hatte nicht mehr soviel Kraft, sich zu widersetzen.
Eine Stunde später schon marschierten die drei im Sonnenbrand durch den Staub der Landstraße. Für Grule war es ein niederdrückendes Gefühl: er, ein Familienvater, der sich Meister genannt hatte, nun auf einmal herabgesunken zum Walzenbruder. Das anhaltende Gehen war ihm eine ungewohnte Sache. Tagein, tagaus hatte er in seiner Werkstatt gestanden, und sich der freien Luft fast entwöhnt. Und nun mit einer schweren Hucke auf dem Rücken Schritt halten sollen mit diesen beiden jungen Kerlen! Er fing an zurückzubleiben. Runzig meinte spottend: er hätte besser daran gethan, das unnütze Zeug im Leihhause zu versetzen, dann würde er weniger zu schleppen und einen besser gespickten Beutel haben. Peter, dem seine vom Mundwinkel herabhängende Pfeife nur gestattete zu lächeln, nahm ihm schließlich, ohne ein Wort zu sagen, den schweren Sack ab und schwang ihn auf den eignen breiten Rücken. Grule schlich weiter.
Man kehrte, als der Abend herankam, in einem Dorfkruge ein. Grule warf sich, zu Tode erschöpft, ohne Abendbrot in die Streu, die man ihm statt eines Bettes anbot. Der sonst so stille Peter, der die Streu mit ihm teilte, erwies sich durch sein Schnarchen als ein ziemlich unbequemer Lagergenosse. Auch anderen Lärm gab es, der den Armen nicht zum Einschlafen kommen ließ. Im Gastzimmer, das sich gerade unterhalb der Schlafstätte befand, war gewaltiges Hallo. Erst spielte man Karten, wobei Runzig, den Flüchen der Bauern nach zu schließen, der Gewinner war. Dann sang er der Gesellschaft Lieder vor, dröhnendes Gelächter durch seinen Vortrag entfesselnd. Zum Schluß hielt er eine Rede, bis der Wirt dreinfuhr, der keine »Roten« in seinem Lokale dulden wollte, weil der Krug dem Rittergute gehöre. – Schließlich kam Runzig zu seinen Gefährten zurück, nach Tabak und Schnaps stinkend. Er warf sich zwischen die beiden und nahm die halbe Streu für sich in Anspruch.
Am nächsten Morgen waren Grules Füße derartig geschwollen, daß er nur mit den größten Schmerzen in seine Stiefel hineinkonnte. Er sprach davon, die Wanderschaft aufzugeben und heimzureisen, aber Runzig fuhr ihn barsch an, das wäre hundsföttisch von ihm, und man werde seine Sachen zurückbehalten, wenn er sich etwa aufs Auskneifen verlegen wolle.
Runzig hatte überhaupt jetzt völlig das Regiment an sich gerissen. Er bestimmte, wie man marschieren und wo man einkehren wolle; er führte auch das Kassenwesen. Grule hatte ihm alles, was er noch besaß, ausliefern müssen. Runzig nannte das: die »Genossenschaftskasse«.
Übrigens verstand es Runzig, diese Kasse leidlich gefüllt zu erhalten. Wenn er sich vor der Behörde sicher wußte, sprach er im Vorübergehen an, je nachdem er es für passend hielt, in drohender, einschmeichelnder oder mitleiderweckender Weise. Wo es eine sittsame oder gar fromme Miene aufzustecken galt, besonders Frauen gegenüber, stand ihm auch diese zu Gebote. Brot statt Geld nahm er ungern, und die Aufforderung, ein Paar Stunden für Lohn im Holzstall zu arbeiten, lehnte er, als unter seiner Würde, mit Entschiedenheit ab. Gegen den Gendarm war er stets voll Höflichkeit; kaum hatte der Beamte freilich den Rücken gewandt, dann steckte er ihm die Zunge heraus und sprach von den dummen Teckels. Natürlich zog man die wilden Pennen den christlichen Herbergen vor.
Peter war überall da am Platze, wo man Körperkräfte brauchte. Er trug Grules schwere Hucke auf dem Rücken, als wäre Stroh darin. Der junge Mensch war stets guter Laune, das Wetter mochte gut sein oder schlecht, die Straße staubig oder naß. Unzufrieden war er nur, wenn er nichts hatte, um seine Pfeife damit zu stopfen. Diese Pfeife, ein Porzellankopf mit einem bunten Bilde, einen Schützen darstellend und einen springenden Hirsch, kam nur aus seinen Zähnen, wenn er aß oder schlief. Diese Pfeife schien ihm eine willkommene Entschuldigung dafür zu bieten, daß er eigentlich so gut wie niemals ein Wort äußerte. Peters Lippen waren geschaffen, das Pfeifenende zu halten; daß sie sich zu mitteilsamer Rede öffnen sollten, wäre ihm Widerspruch zu ihrem höheren Zweck erschienen.
Als eines Tages das Geld doch knapp wurde und ein Wirt sie bereits als Zechpreller hinausgeworfen hatte, verlangte Runzig, Grule müsse den Anzug verkaufen, den er in seiner Hucke führte. Grule wollte davon nichts wissen, es war sein Sonntagsanzug; er hatte ihn mitgenommen, damit er etwas Anständiges zum Anziehen habe, wenn er sich beim Arbeitsuchen vorstellen würde. Hier wagte er es einmal, sich zu widersetzen. Aber Runzig behauptete, Grule sei ihm sowieso Geld schuldig, in den letzten Tagen hätten die anderen auf seine Kosten gelebt, denn er allein habe den Lebensunterhalt verschafft. Grule vergoß Thränen, denn er hing, an diesem Anzug, den er mit seiner Frau gemeinsam im Kleidermagazin ausgesucht, und von dem sie immer sagte, er nehme sich so stattlich darin aus. – Aber was blieb ihm übrig! Er mußte schließlich doch das Prachtstück herausgeben. Schweren Herzens sah er den Anzug zu dem jüdischen Trödler wandern im nächsten Städtchen, durch das sie kamen. Was waren die paar Thaler, die sie dafür bekamen, verglichen mit dem Werte, den dieses Stück für ihn gehabt! –
Schließlich kamen sie in die große Industriestadt, das Ziel ihrer Wanderung. Auch in diesem Orte war Runzig bekannt, er hatte hier als Soldat gedient. Es wurde ihm nicht schwer, in der Vorstadt einen Gasthof ausfindig zu machen, wo sie billiges Quartier bekamen. Als der Wirt Schwierigkeiten machen wollte, die abgerissenen Pennenbrüder aufzunehmen, wies man ihn auf Grules Hucke hin, die immer noch einen stattlichen Umfang hatte.
Am Tage darauf gings ans Arbeitsuchen. Vorher machte Runzig mit den beiden anderen aus, daß sie auch fürderhin gemeinsame Sache machen wollten. Wer Glück habe und Arbeit fände, sollte einen Beitrag in die Genossenschaftskasse zahlen, davon wollten sie die ersten Ausgaben bestreiten. Peter, in seiner Schweigsamkeit, that auch bei dieser Gelegenheit den Mund nicht auf, und Grule kannte überhaupt nur noch einen Gedanken: wieder Arbeit bekommen! Wenn er das erst erreicht, sollte ihm alles Andere recht sein.
Diesmal kam man auf den guten Gedanken, sich eines Auskunftsbureaus zu bedienen, das umsonst Arbeit vermittelte. In dem Journale der Gesellschaft waren einige große Tischlerfirmen verzeichnet, die Arbeiter suchten. Die Bedingungen waren keine glänzenden; jedenfalls kamen sie nicht an das heran, was man vor dem Streik erhalten hatte. Aber man mußte vorlieb nehmen.
Grule und Peter ließen sich sofort einstellen. Runzig dagegen erklärte, weiter suchen zu wollen, um Besseres zu finden. Da die Arbeitsstätte nicht weit war vom Gasthofe, blieb man vorläufig dort wohnen und beschloß, erst später Schlafstellen zu suchen. Außerdem mußte man ja auch zur Bezahlung des Wirtes auf den Lohn warten, der erst am Ende der Woche ausgezahlt wurde.
Grule schrieb seinen ersten Brief nach Haus, bis dahin hatte er die Seinen ohne Nachricht gelassen. Jetzt konnte er ihnen endlich bessere Kunde geben. Er verdiente wieder. Die Arbeit flog ihm von den Händen. Er hatte um Stücklohn gebeten, da er wohl wußte, daß er bei seiner Geschicklichkeit dabei besser fahren werde als im Tagelohne. Nun war auch Gelegenheit, manche Gutthat, die ihm Peter auf der Wanderschaft erwiesen hatte, zu vergelten. Sie arbeiteten in einem Raume, und der lang aufgeschossene junge Mensch mit den groben Fäusten war nicht gerade der geschickteste Arbeiter. Da kam ihm Grules Erfahrung, der sich als Meister manchen Geschäftskniff angeeignet hatte, zu statten.
Am Lohntage bekam man ein leidliches Sümmchen ausgezahlt. Zum Sonntag wollten sich die beiden einmal gründlich ausruhen von der Arbeit und sich vor allem ordentlich satt essen, denn dazu hatte im Laufe der Woche das Geld gefehlt. Von Runzig hatten sie so gut wie nichts gesehen. Er schien noch immer keine Arbeit gefunden zu haben. Des Nachts kam er spät in die gemeinsame Kammer, und früh, wenn sie aufbrachen, war er nicht zu erwecken.
Auf dem Heimwege von der Werkstatt machte Grule vor einer Postanstalt Halt. Er blickte unruhig drein, schien sich über irgend etwas nicht schlüssig werden zu können. Peter sah ihm mit gewohnter Gelassenheit zu.
»Ich hätte gerne en Märker zehne nach Hause geschickt,« sagte Grule. »Aber es geht ja nicht!« damit schritt er weiter, dem Postgebäude den Rücken kehrend. Peter folgte ihm, Hände in den Taschen und Pfeife im Munde. »Sie würden sich zu Hause gewaltig freuen.« Es war mehr ein Selbstgespräch bei Grule. Peter sagte nichts, machte aber beim nächsten Krämer Halt und kaufte sich eine Rolle Tabak für seine Pfeife.
Als sie in die Nähe ihres Gasthofes kamen, erblickten sie an der Straßenecke Runzig. Kaum daß sie ihn wiedererkannt hätten. Er trug einen neuen Anzug und unterhielt sich mit einem Mädchen, das, in der Entfernung gesehen, einer feinen Dame glich. Als er die beiden kommen sah, verabschiedete er sich kurzer Hand von der Person und ging seinen Freunden entgegen.
»Habt ihr den Lohn einkassiert?« war seine erste Frage. Und als er eine bejahende Antwort erhalten: »Das ist gut! In der Kasse ist Ebbe. Ich weiß nicht mal, wovon ich unsere Miete bezahlen soll.«
Sie begaben sich in die Gaststube und nahmen Kassensturz vor. Einige zwanzig Mark betrug das, was Peter und Grule einzuwerfen hatten. Runzig kam mit leeren Händen, doch vertröstete er die Freunde, daß er Aussichten habe auf eine großartige Anstellung. Dann werde er seinen Anteil mit Zinsen zurückerstatten. Als er sich dann in seiner Eigenschaft als Kassierer daran machte, das Geld einzustreichen, brachte Grule in schüchternem Tone seinen Wunsch vor: er habe doch den größten Teil des Geldes durch seine Arbeit verdient, und er habe daran gedacht, seiner Frau etwas davon zu schicken.
Runzig brauste auf; er sei wohl verrückt geworden! Die Kasse sei gemeinsam, so hätten sies abgemacht und keinen Pfennig könne einer für sich verlangen, das widerspreche den »Statuten«.
Grule blickte verdutzt drein; von Statuten wußte er nichts. Aber wie immer erschrack er vor Runzigs entschiedenem Auftreten, gegen das nicht aufzukommen war.
Da ereignete sich etwas Außergewöhnliches: Peter, der stumm dabei gesessen hatte, nahm die Pfeife aus dem Mundwinkel und begann zu sprechen. »Hier die zehn Mark,« damit zog er ein Goldstück von dem Gelde ein, das noch auf dem Tische lag, »wird Grule morgen an seine Frau schicken.«
Runzig blickte wie versteinert auf den Sprecher, der ihn seinerseits mit Kälte fest anschaute. Als er sich ein wenig erholt von seinem Staunen über solche Kühnheit, meinte Runzig: Peter solle keine schlechten Witze machen und das Geld herausgeben; die Kasse habe Schulden.
Peter lächelte eigentümlich, betrachtete sich den neuen Anzug Runzigs eine Weile, schien etwas sagen zu wollen, hing aber schließlich doch nur die Pfeife an ihren alten Fleck und war damit seiner gewöhnlichen Rolle wiedergegeben.
»Das ist der reine Diebstahl!« schrie Runzig und verließ mit giftiger Miene die Gaststube.
An diesem Abende führten Grule und Peter ihren Plan aus, sich einmal ordentlich satt zu essen. Dann flickten sie noch ein wenig an ihren Sachen herum, die arg zerrissen waren, um schließlich zu Bett zu gehen und sich des wohlverdienten Schlummers zu erfreuen.
Am nächsten Morgen, als sie nach einer gesund durchschlafenen Nacht erwachten, standen sie vor einer eigenartigen Entdeckung: alles, was sie besessen hatten von einigem Werte, war verschwunden. Auch Kleinigkeiten, wie Grules Glaserdiamant, hatte der Dieb mitgehen heißen. Peters Tabaksbeutel mit dem Zehnmarkstück darin fehlte, und was für ihn das bei weitem Schmerzlichste war, die Pfeife mit dem springenden Hirsch und dem Schützen war auch nicht mehr zu finden.
Es konnte für die beiden kein Zweifel darüber sein, wer der Dieb sei, obgleich solche Niedertracht von Runzig schwer zu glauben schien.
Grule saß da, kreidebleich, wie vernichtet, er fand keine Worte, und selbst die Thränen, die ihm sonst so leicht kamen, versagten einem so harten Schlage gegenüber. Peter ging in die Stadt, er dachte, er könne des Diebes vielleicht doch noch habhaft werden; aber das war vergebene Mühe. Entweder hielt sich Runzig gut versteckt, oder, was noch wahrscheinlicher war, hatte er sich längst mit seiner Beute aus dem Staube gemacht.
Als Peter nach mancher Stunde in den Gasthof zurückkehrte, fand er Grule in derselben Verfassung, wie er ihn verlassen, halb angekleidet auf seinem Bette sitzend, mit merkwürdig veränderten Zügen vor sich hinbrütend.
Peter erschien Grules Wesen sonderbar. Was hatte der Alte für einen stieren Blick! und reden wollte er gar nicht; das war für Peter am unheimlichsten. Das Schweigen hatte er doch sonst gepachtet. Es blieb nichts anderes übrig, er mußte sich entschließen, den Mund aufzuthun, wenn er aus jenem etwas herausbekommen wollte.
Der junge Mensch hatte sich mit dem Mißgeschick, das ihn betroffen, schon halb ausgesöhnt; ein paar Wochen angestrengter Arbeit, und der Schaden war wieder ausgeglichen. Aber mit dem Alten dort auf dem Bette war es etwas Anderes! Der hatte einen schwereren Verlust erlitten.
In der Nacht fing Grule an zu phantasieren. Er sprach mit Runzig, von dem er in energischen Worten die Herausgabe der »Genossenschaftskasse« forderte. Er schrie und tobte schließlich, und Peter hatte Mühe, den schwächlichen und sonst so friedliebenden Manne im Bette zu erhalten. Am nächsten Morgen war Grule nicht dazu zu bewegen, sich zur Arbeitsstätte zu begeben. Er habe das nicht nötig, erklärte er, denn er sei ein reicher Mann. Peter gab nicht viel auf sein Gerede; der Alte war wohl nicht ganz richtig im Kopfe! Eines schien ihm klar: der mußte nach Haus, zu den Seinen. Peter entschloß sich, ihn dorthin zu bringen.
Zunächst war allerdings die schwierige Frage: wovon den Wirt bezahlen? Eine tüchtige Rechnung war aufgelaufen, denn Runzig hatte natürlich nicht an ein Begleichen der Zeche gedacht. Man mußte eben die paar Sachen, die der treulose Genosse ihnen noch gelassen, drangeben. Im übrigen hatte sich der Wirt mit Peters Versprechen zu begnügen, daß er die Schuld später einmal begleichen werde.
Nun waren sie also wieder auf der Landstraße mit erleichtertem Gepäck. Außer den dürftigsten Kleidungsstücken und den im Walde geschnittenen Stöcken nannten sie nichts ihr eigen. Nur langsam kamen sie vorwärts, denn Grules Füße gerieten bald in einen solchen Zustand, daß man kurze Tagesstrecken zurücklegen mußte. Er klagte nicht, beinahe gleichgiltig und oft wie geistesabwesend schaute er drein, mechanisch einen Fuß vor den anderen setzend. Peter leitete ihn wie ein Kind. Kaum daß man ein Wort von Grule hörte, außer des Nachts, wo er sich mit Runzig noch immer wegen der Genossenschaftskasse herumzankte, an die er eine Forderung von einer Million zu haben behauptete. Hin und wieder unterhielt er sich auch mit seiner Frau, der er von seinen Reichtümern berichtete. Peter dachte bei sich: das wird alles wieder gut werden, wenn er nur erst zu Haus ist.
Dem jungen Menschen war eine eigentümliche Rolle zugefallen. Er mußte um Almosen ansprechen, und das fiel ihm schwer genug. Aber da er keine Pfeife hatte, die ihn am Sprechen verhindert hätte, gewöhnte er sich mit der Zeit wirklich eine gewisse Beredsamkeit an. Gelegentlich, wenn sich gar nichts erbetteln ließ, mußten sie im Freien übernachten, in einem einsamen Schuppen oder gar im Stroh einer Feime. Bald sahen sie auch danach aus. Die Blicke der kontrollierenden Gendarmen wurden immer schärfer und ihre Anreden immer gröber. Einmal, als sich Peter hatte beim Betteln abfassen lassen, mußten sie sogar eine Nacht im Polizeigewahrsam zubringen.
Endlich nahte die Heimat. Grule schien auch diese Thatsache teilnahmlos hinzunehmen. Ruhig ließ er sich vom Freunde durch die Straßen führen.
Man traf die ganze Familie zu Haus. Es war gegen Abend. Frau Grule war im Wohnzimmer mit Plätten beschäftigt, die Kinder saßen über den Schularbeiten. Das Ganze machte einen einfachen, aber sauberen Eindruck und erschien Peter, der zuerst eintrat, um die Ankunft des Familienvaters anzumelden, als das Höchste an Gemütlichkeit, was er seit langem gesehen.
»Der Vater ist zurück!« so kam's vom Munde der beglückten Frau, und »Der Vater ist zurück!« antworteten die Kinder in einem Atem.
Als er nun freilich über die Schwelle stolperte, mit wildem Haar, zum Skelett abgemagert, in schmutzstarrenden, abgerissenen Sachen, da verstummte der Jubel. Bestürzt blickte die Frau drein und ängstlich die Kinder.
Grule umarmte niemanden, ging vielmehr, einer alten Gewohnheit folgend, auf seinen Armstuhl zu und ließ sich dort nieder. Die Frau kannte ja ihren Alten als Sonderling, aber das war ihr doch zu viel; sie wandte sich an den Begleiter um Erklärung.
Peter berichtete in Kürze, wie es ihnen ergangen. Er sagte, daß Grule sehr müde sei von der Wanderung, sie möge ihn nur gut pflegen, das übrige werde sie dann schon selbst sehen. Damit schien er seine Aufgabe hier für erfüllt anzusehen und wollte nun eigentlich seiner Wege gehen.
Aber Frau Grule ließ ihn so nicht fort. Trotz ihrer begreiflichen Erregung wollte sie doch zeigen, daß sie Lebensart besitze. Sie bot Petern einen Stuhl an und räumte das Plättbrett weg. Gleichzeitig erzählte sie ihre Erlebnisse: Sie habe sich tüchtig plagen müssen ohne den Ernährer, aber durchgekommen sei man. Sie habe Arbeit erhalten für ein großes Hotel in der Nähe, das jetzt seine ganze Herrenwäsche bei ihr besorgen lasse. Versetzen habe sie nichts brauchen und gehungert hätten die Kinder auch nicht. Und als der Vater damals geschrieben, er habe Arbeit, da hätten sie ihm geantwortet unter postlagernd, er solle nur schleunigst nach Hause kommen. Der Brief sei aber wohl nicht in seine Hände gelangt.
Während sie noch sprach, fing er an, sich in seinem Stuhl zu regen, dann erhob er sich und ging im Zimmer umher; er betrachtete die Möbel, die er zum größten Teile einstmals selbst angefertigt hatte, dann sagte er plötzlich zu seiner Frau: man müsse ausziehen von hier und das sofort!
»Ausziehen?« meinte die Frau. »Weshalb denn? Die Wohnung ist doch gut und dabei nicht allzu teuer.«
»In solch einem elenden Loche werde ich nicht wohnen bleiben! Wir sind jetzt reiche Leute. Ja, ja, ich bin zum Millionär ernannt worden. Ja, ja, Frau! Die Genossenschaftskasse hat mich zum Millionär ernannt.« – Dabei lachte er hastig mit rauher Stimme.
Sein Frau blickte ihn offenen Mundes an. Sie begann, etwas zu ahnen, ängstlich fragte sie den Begleiter, was der Vater damit meinen könne. Peter legte zur Antwort nur den Finger auf die eigene Stirn.
Frau Grule begriff. Sie begann leise vor sich hin zu weinen.
Aber lange gab sie sich ihrem Schmerze nicht hin; mit zwei jungen Kindern und einem schwer erkrankten Manne durfte man das nicht.
Was sollte nun geschehen? Sie legte diese Frage Petern vor. Der überlegte einige Zeit, dann meinte er man würde wohl gut daran thun, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Das leuchtete der Frau ein. Der Fremde schien überhaupt ein vernünftiger Mann zu sein, sie fragte ihn, ob er nicht noch ein wenig bleiben könne. Aber Peter erklärte er müsse fort. Die Frau erkundigte sich, ob er denn nicht wenigstens etwas zum Danke annehmen wolle für alles, was er an ihrem Manne gethan.
Da lächelte Peter eigentümlich. Sein Blick hatte schon vorher mit stummer Bewunderung an einer Stelle der Wand geruht, wo an einem Nagel Tabakspfeife und Beutel des Hausherrn hingen. Er sagte nichts, aber Frau Grule, die seinem Blick folgte, erkannte, woran er mit solcher Verliebtheit hing. »Die alte Pfeife! Macht Euch das Spaß?« Und sie nahm Pfeife und Beutel vom Nagel und brachte sie ihm.
Peter grinste vergnügt. Ein Schütze und ein springender Hirsch waren zwar nicht auf dem Porzellankopfe, aber dafür das Bildnis eines jungen, schönen Mädchens mit pechschwarzem Haar und kirschrotem Munde. Das gefiel ihm. Sofort hing sie in seinem Mundwinkel. Sie paßte ausgezeichnet dorthin.
Und als habe er mit einem Male wieder die Sprache verloren, nun dieses natürliche Vorlegeschloß an seinen Lippen angebracht war, nickte er nur noch mit dem Kopfe zum Zeichen des Dankes, reichte allen die Hand, auch seinem Gefährten Grule, und ging mit freundlicher Miene.
Frau Grule fragte am nächsten Morgen den Kassenarzt, der den Meister von früher her gut kannte. Er konnte ihr nur bestätigen, was sie schon wußte.