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1813
Das Königreich Talmyris beherrschte einmal ein gar weiser und trefflicher König, Pherias mit Namen, welcher sich bald nach seiner Thronbesteigung mit dem schönsten Fräulein im Lande vermählte. Aber die schöne Gyrmantis, so hieß die Königin, verlor allzufrüh ihren Gemahl und ihr neugeborenes Söhnlein. Sie übergab daher die Regierung des Landes ihrem Bruder und entzog sich allen Freuden der Welt, indem sie sich auf ein einsames Schloß begab, das in einem dichten Walde lag, um dort ihren Gatten würdig zu betrauern. Sie war noch nicht lang auf dieser Burg angelangt, als sie eines Abends an ihrer Thüre klopfen hörte, und als sie »herein« rief, da kam ein Zwerglein auf sie zu, im blauen Gewand, und machte ihr gar freundlich seinen Knicks. Es bat sie, nicht vor ihm zu erschrecken und ihm ein Nachtlager in ihrem Hause zu vergönnen, da es sich verspätet hätte und nicht mehr zu seiner Hütte gelangen könnte. Gyrmantis gewährte es ihm gern, und des andern Morgens zog das Zwerglein wieder weiter, nachdem es der Königin seinen Dank in gar zierlichen Worten gesagt hatte. Nach dieser Zeit kam der Zwerg öfters wieder und brachte ihr manchmal Blumen, manchmal schöne Erdbeeren mit, die er im Walde gesammelt hatte. Zuweilen sang er ihr ein Lied aus der alten Zeit, und mit Vergnügen hing sie an seinen Lippen. Sie erfreute sich auch, jemand gefunden zu haben, mit dem sie von ihrem Gemahl reden konnte, denn das Zwerglein hörte ihr aufmerksam zu und ward gerührt von ihrer Treue gegen den König, den es seiner Aussage nach wohl gekannt hatte. »Ach,« sagte die Königin öfters, »wie gerne wollt' ich es verschmerzen, wenn mein Gemahl in meinen Armen gestorben wäre; aber so ist er plötzlich verschwunden und niemand weiß, wohin? Aber da er nie wiederkam, wird ihn wohl ein Unfall betroffen haben.« Das Zwerglein sprach ihr Trost ein und meinte, ihr Gemahl könnte doch vielleicht noch am Leben sein und wieder zu ihr zurückkehren. Gyrmantis malte sich diese Hoffnung in einsamen Stunden weit aus; das Zwerglein aber gewann sie täglich lieber, so häßlich es auch war, weil es ihre Lieblingsträume zu unterhalten wußte. So oft es wegging, gab sie ihm ihre Hand, die es gar zierlich an seinen Mund führte und dann mit einem Knicks davon trippelte. So setzte es sich bald in ihrer Gunst fest.
Einstmals hatte die Königin den ganzen Tag vergebens auf ihren kleinen Gesellschafter gewartet, als er spät abends plötzlich hereinstürzte, eine Rosenknospe in der Hand, die er trotz seiner Eile sehr sorgfältig zu tragen schien. »Hier nehmt, schöne Frau,« sagte er, indem er ihr die Knospe überreichte, »wahrt sie gut, gebt ihr täglich zweimal frisches Wasser; sie wird der Trost Eures Alters sein. Lebt wohl! Meine Feinde verfolgen mich. Laßt Euch ja die Rose nicht abnehmen! Wenn sie verwelkt ist, aber nicht eher, öffnet diesen Brief, den ich Euch hier gebe. Lebt wohl!«
Darauf stürzte er eilig fort und ließ die Königin ganz erstaunt in ihrem Gemache zurück. Sie hielt die Knospe noch betrachtend in der Hand, als eine ganze Schar von Zwergen hereinkam, wovon einer fragte: »Habt Ihr nicht einen mißgestalteten Zwerg hier gesehen, der seit lange schon in diesem Walde herumspukt?« – »Jetzt seh ich ihrer wohl zwanzig!« erwiderte die Fürstin, ganz entrüstet über die dreisten Figuren. »Ei, seht doch,« sagte ein anderer, »da hält sie ja die Rosenknospe in der Hand, um derentwillen wir ausgeschickt sind. Gebt sie her, schöne Frau, es soll Euch kein Leid geschehen; es ist für unsre mächtige Gebieterin.« – »Diese Rose ist aus meinem eigenen Garten,« antwortete Gyrmantis, »und ihr sollt sie nimmermehr erhalten. Was aber eure Gebieterin betrifft, so will ich nichts mit ihr zu schaffen haben.«
Da drangen denn die Zwerge auf sie ein, um ihr mit Gewalt wegzunehmen, was sie nicht gutwillig lassen wollte; sie aber nahm ihren Fächer und schlug sie damit so derb auf die Köpfe, daß einer nach dem andern sich ganz höflich zur Thüre hinaus begab. Die Königin war hoch erfreut, sie los zu sein. Am Brünnlein aber schöpfte sie Wasser in einem Krystallbecher und setzte die Knospe hinein, die nach und nach sich zu entfalten anfing. Da trat eines Abends eine Alte herein, grüßte, und da sie das halbgeöffnete Röslein sah, sagte sie: »O, gebt mir doch das züchtige Röslein dort im Winkel; meine Enkelin hält morgen Hochzeit, und da muß ich ihr doch eine Rose in den Kranz flechten. Sie sind in allen Gärten schon abgeblüht; diese ist die einzige, die noch übrig ist. Wollt Ihr sie mir geben? Seht, diesen Beutel eitel Gold sollt Ihr dafür bekommen.« Die Königin aber ließ sie kaum gewähren und erwiderte: »Ihr macht es gar zu plump, Alte, als daß Ihr etwas erhalten solltet. Geht nur wieder, woher Ihr gekommen seid. Wenn aber Eure Enkelin ohne Rose nicht Hochzeit machen kann, so soll sie warten bis zum nächsten Frühling, wo sie einen ganzen Kranz von Rosen flechten mag.« Aus den Augen der Alten aber funkelte der Zorn, und heftig drohend und scheltend verließ sie die Stube.
Gyrmantis sah täglich die Rose sich mehr entfalten; als sie aber eines Morgens aufstand, war sie ganz offen, und wie sie näher hinzutrat, siehe, da lag ein holdseliges Knäblein in der Mitte. Wie sie es aber herausnahm und auf ihren Armen wiegte, da war es fast schon größer als ein neugeborenes Kind. Die Blätter aber der Rose fielen schnell ab, und nur der Stengel blieb im Wasser stehen. Da gedachte sie des Briefes, den ihr der Zwerg gegeben hatte; sie legte den Knaben aufs Bett und las: »Den Knaben, der aus dieser Rose entstehen wird, den ziehet groß und wahret ihn wohl. Wenn er aber achtzehn Jahre zurückgelegt hat, dann laßt ihn die Rüstung anziehn, die in Eurem Garten unter der großen Linde vergraben ist; sie wird ihn durch ihre Wunderkraft zu einem tapfern Ritter machen. Dann laßt ihn ausziehn, um sich die Braut zu suchen, die ihm bestimmt ist. Damit er aber erkenne, welche ihm bestimmt sei, so höret, was Ihr zu thun habt. Wenn Ihr ihn wegziehn heißt aus Eurer Wohnung, so gebt ihm den abgedorrten Stengel der Rose mit, aus der er entsprossen ist. Er soll ihn wohl bewahren, denn er wird ihm behilflich sein in allerlei Notfall. So er aber diejenige nun sieht, die er lieb hat und die ihm ihre holdselige Hand will geben, so mög' er ihr den Stengel übereichen. Wenn sie ihn berührt hat und es sproßt eine Rose aus ihm hervor, so ist es die Jungfrau, die er ehlichen soll. Geht aber damit keine Veränderung vor sich, so soll er fliehen und niemals wiedersehn die Geliebte seines Herzens. Diesen Knaben aber möget Ihr Rosensohn nennen, denn dieser Name ziemt ihm mit Recht. Lebet wohl, schöne Frau, und gedenket meiner, den Ihr vielleicht nie mehr sehen werdet.« –
Gyrmantis aber erstaunte nicht wenig, als sie diesen Brief gelesen hatte. Das Zwerglein kam nicht mehr zu ihr, wie es gesagt. Den Knaben aber zog sie mit Sorgfalt groß, und er ward ein schöner Jüngling mit blonden Locken und blauen Augen, gar stattlich und schlank, wie die Zeder des Waldes. Und als er nun achtzehn Jahre alt war, da gab sie ihm den Brief, und er grub sich die Rüstung aus und that sie an. Da glaubte Gyrmantis ihren Gemahl wiederzusehen, so stattlich war er. Und er nahm gar zärtlichen Abschied von ihr und ging mutig seiner Bestimmung entgegen.
Nach einer Stunde kam er endlich an das Ende des Waldes, in welchem das Schloß der Gyrmantis gelegen war. Da sah er einen hohen Turm, der ihm der Aufenthalt von Gefangenen zu sein schien. Bald hörte er auch die Stimme eines Mannes, die ein Klaglied anhub in gar schmerzlichen Tönen.
Da blieb er stehen und rief: »Wer bist du? Wie lange wohnst du in diesem Kerker?« – »Ich bin unglücklich,« hörte er erwidern, »und schon achtzehn Jahre harre ich auf meinen Erlöser!« – »Kann ich dich befreien?« fragte Rosensohn. – »Nein«, sagte die Stimme, »ein Zauber hält mich hier fest. Aber wer bist du denn, junger Fremdling, der sich meiner so gütig annimmt?« – »Rosensohn nannte mich die Pflegerin meiner Jugend!« – »O sei nur dreimal gesegnet!« erhielt er zur Antwort; »du bist aus fürstlichem Geblüte, eine Königin hat dich geboren!« – »Ja, die Königin der Blumen!« erwiderte der Zögling der Gyrmantis: »eine Rose ist meine Mutter und ein geheimnisvoller Brief mein ganzes Erbteil. Er befiehlt mir, eine Braut zu suchen; aber ich bin einsam im Walde erzogen und kenne niemand. Möchtest du mir nicht ein edles Fräulein nennen, das holdselig ist und auch gut, zu deren Vater ich gehn kann und werben und erproben, ob sie mir bestimmt sei?«
Ohne sich zu besinnen, antwortete der Gefangene: »Wohl kann ich dir ein edles Fräulein nennen; das holdselig ist und auch gut und um das du werben kannst und sehen, ob es dir bestimmt ist. Wandle nur geraden Weges weiter, bis du kommen wirst an die Grenze der Kereolen. Dort laß dir aber den Weg nach der Hauptstadt zeigen; denn der König hat eine Tochter, Lilla genannt, die die schönste ist von allen Prinzessinnen der Erde.«
Rosensohn dankte dem Unbekannten und ging munter vorwärts. Da hörte er noch den Gesang tönen aus dem Turme:
»O freudenlose
Zaubergewalt!
O Sohn der Rose,
O kehre bald!
Doch wahre den Stengel,
Des Glücks Symbol;
Erlösender Engel,
O lebe wohl!«
Da ging er denn weiter geraden Weges, und noch in der Ferne hörte er die Worte:
»O Sohn der Rose,
O kehre bald!«
Und als er an die Grenze der Kereolen kam, erfragte er den Weg nach der Hauptstadt. Den ganzen Tag ging er fort, und des Nachts schlief er unter einem Olivenbaum. Im Traum aber sah er die Prinzessin Lilla, gar schön anzuschauen, herrlich und voll Liebreiz. Durch ihre Locken war eine Krone geflochten, der Schleier war zurückgeschlagen. Ihre Hand hielt einen Kranz, und ihr Mund lächelte mit unaussprechlicher Anmut. Da raffte sich Rosensohn vom Schlaf auf, voll Sehnsucht, und in der siebenten Stunde des Morgens stand er vor dem Thore der Stadt. Als er aber einen großen Zusammenlauf von Leuten sah, fragte er nach der Ursache. Und einer erzählte ihm denn, daß eine Menge Prinzen und Ritter versammelt wären, um den Besitz der Prinzessin Lilla zu streiten. Da trieb ihn der Mut, auch hinzugehen, und wie er auf den Kampfplatz kam, saß die Prinzessin Lilla auf einem Balkone, gar schön anzuschauen und voll Liebreiz. Durch ihre Locken war eine Krone geflochten, der Schleier war zurückgeschlagen. Ihre Hand hielt einen Kranz, und ihr Mund lächelte mit unaussprechlicher Anmut. Sie war ganz so, wie er sie im Traume gesehen. Bescheidentlich trat er denn auch in die Schranken und besiegte alle Prinzen und Ritter, und das Auge der Prinzessin ruhte gar züchtiglich auf seiner Gestalt. Und der König sagte zu ihm: »Ihr habt meine Tochter als Ritter erkämpft, – ich kann sie Euch nicht verweigern; aber geht erst hinauf zu ihr und fragt sie um ihre Beistimmung!« Da ging er denn mit klopfendem Herzen hinauf, und als er in den Saal trat, kam ihm die Prinzessin Lilla entgegen und setzte ihm den Kranz auf. Er aber warf sich zu ihren Füßen und faßte ihre holdselige Lilienhand, die er inbrünstig mit seinen Lippen berührte. Sie hob ihn huldreich auf, und nachdem sie ihre Frauen hatte abtreten lassen, so begann sie mit gar verschämtem Angesicht folgendermaßen:
»Durch die rauhen Waffen des Krieges habt Ihr meine Hand gewonnen, und – warum soll ich's verleugnen? – durch die zarten Waffen der Liebe mein Herz. Dennoch darf ich Euch noch nicht als Bräutigam begrüßen. Höret, was es damit für eine Bewandtnis hat. Meine Pate ist eine mächtige Fee, die Freundin meiner Mutter. Sie gab mir zum Angebinde eine Stecknadel, die untere Hälfte von Stahl, die obere von Silber, der Knopf aber eitel Gold. Diese Nadel, sagte sie, sei ein kostbarer Talisman, der Wunderkräfte in sich schließe. Meine Mutter bewahrte sie mir auf; als sie aber eine heftige Krankheit überfiel und sie ihren Tod herannahen sah, da ließ sie mich vor ihr Bett kommen und sagte: ›Hier übergebe ich dir das Kleinod, auf welches die gütige Fee einen so großen Wert legte. Trag es immer bei dir, aber wahre es wohl und laß es dir nicht entreißen! An deinem Hochzeitstage stecke die Nadel an dein Brautkleid! Das,‹ sagte die Fee, ›wird die beste Ehe bewirken. Daher verspreche mir, meine Tochter, nicht Hochzeit zu machen, ohne die Nadel an dein stattliches Brautkleid zu heften!‹ Ich versprach es, und sie starb.
»Ihr seht nun, mein Prinz, wie unmöglich mir es ist, Euch meine Hand zu reichen, denn daß ich die Nadel verloren, wird Euch der Verfolg meiner Geschichte lehren. Ich meinesteils bildete mir nicht wenig auf das Kleinod ein, von dessen Gebrauch ich noch keinen Begriff hatte. Ich ließ es nie von mir und zeigte es jedermann, gar hochmütig, daß ich es von einer Fee bekommen hatte. – Einstmal geschah es, daß ich im Garten meines Vaters spazieren ging, da kam eine alte Frau auf mich zu, häßlichen Gesichtes. Und da sie mich lange angesehen hatte und die Nadel bemerkte, rief sie aus: ›Ei, schönes Fräulein, was muß denn das für eine Nadel sein, die Ihr da anhabt? Je nun, laßt sie mich doch einmal recht betrachten und meine Augen ergötzen an dem holden Schein!‹ Ich gab sie ihr mit einem hingeworfenen Blicke, gleichsam als wenn so eine Nadel etwas Kleines für mich wäre, und als wenn ich deren mehrere hätte. Sie aber nahm sie in die Hand, schüttelte den Kopf voll Verwunderung hin und her, indem sie sagte: ›Ei, ei, ei, welch eine schmucke Nadel ist das: unten Stahl, oben Silber und der Knopf eitel Gold, gar glänzend anzusehen! Nun, ich danke Euch, schönes Fräulein, für das köstliche Kleinod, das Ihr mir verehrt habt.‹ – ›Nein,‹ fiel ich ihr rasch ins Wort, ›so war's nicht gemeint; gebe Sie mir die Nadel nur wieder; es hat damit eine ganz andere Bewandtnis.‹ – ›Es hat die Bewandtnis, daß Ihr sie mir geschenkt habt,‹ erwiderte die Alte ganz keck und stemmte die Arme in die Seiten; ›ich will sehen, wer sie mir wieder abnimmt.‹ Hiermit kehrte sie mir den Rücken und hinkte fort. Ich aber, ganz entrüstet und in Verzweiflung, meine Nadel verloren zu haben, lief ihr nach, um sie festzuhalten; wie ich aber auf sie zu kam, verschwand sie plötzlich und ließ mich im traurigsten Zustande zurück.«
»Ich hatte mich eben auf eine Gartenbank niedergelassen,« fuhr die schöne Lilla in ihrer etwas weitschweifigen Erzählung fort, »um mir über meine Unvorsichtigkeit nutzlose Vorwürfe zu machen, als ein Bedienter kam und mir meldete, daß mein Vater mich zu sehen wünschte. Ich hielt mich jetzt zu einer Unterredung völlig unfähig und sagte dem Boten, er möchte mich beim König entschuldigen, indem ich unpäßlich wäre. ›Das wird nicht wohl angehen,‹ erwiderte er mir, indem die Fee Pflasterhold (so hieß nämlich meine Pate) angekommen wäre und mich recht sehnlich zu sehen wünschte. Ich war mehr tot als lebendig, da er diese Worte sprach, und der Schreck fuhr mir in alle Glieder. Nach einer Pause, die ziemlich lange gedauert haben mag, antwortete ich endlich, ich würde erscheinen; man möchte mir noch einige Zeit vergönnen, mich umzukleiden. Der Bediente ging und überließ mich einer grenzenlosen Angst. ›Ach,‹ rief ich aus, ›mußte denn meine Pate schon heut eintreffen, oder vielmehr erst heute? sie hätte uns ja gestern mit ihrem Besuche beehren können. Ach, wie wird es mir ergehen, wenn sie erfährt, was ich ihr doch nicht verbergen kann! O, wenn doch nur die Alte noch da wäre! Ich wollte ihr die Nadel gern morgen überlassen, wenn sie sie mir nur für diesen Abend noch borgen wollte! Aber nun ist sie fort, und Pflasterhold verlangt mich recht sehnlich zu sprechen. So geht es den Hochmütigen. Hätt' ich die Nadel versteckt bescheidentlich in eine Falte meines Gewandes, so hätt' ich alles Unheil verhüten können.‹ Auf diese Weise zankte ich noch lange mit mir selbst, bis es mir endlich einfiel, daß es Zeit sein möchte, mich anzuziehen. Ich ging daher auf mein Zimmer und ließ mich ankleiden, wo ich der Kammerfrau dies Geschäft unendlich erschwerte und in die Länge zog. Endlich mußte ich mich denn doch fortbegeben. Die Zimmer, die ich zu durchgehen hatte, um zu meinem Vater zu gelangen, durchwandelte ich in abgemessenen Schritten und betrachtete jedes Gemälde gar aufmerksam, bis ich endlich doch vor die rechte Thüre gelangte. Meine Furcht vor der Fee Pflasterhold war unüberwindlich, weil mir meine Mutter so viel von ihrer Strenge erzählt hatte. Ich getraute mir daher nicht, das Schloß zu öffnen; ich blieb unbeweglich vor der Thüre stehen und betrachtete lange jede ihrer kleinsten Verzierungen. Aber plötzlich, ohne daß ich das Geringste vermutet hatte, riß mein Vater die Thüre auf, wahrscheinlich um selbst nach meinem Zimmer zu gehen, da ich so lange auf mich warten ließ. ›Ach,‹ sagte er, ›da ist sie ja!‹ Ich aber stieß einen lauten Schrei aus, und es fehlte nicht viel, daß ich zu Boden gefallen wäre.«
»Als mich aber die Fee ansichtig wurde, stund sie gar sittsam auf, indem sie mir einen tiefen und langsamen Knicks machte. Ich machte ihr den meinigen ebenso tief und langsam; aber mein Herz pochte desto schneller. Hierauf ging ich auf sie zu und küßte ihr mit demütiger Miene die Hand. ›Ei, siehe da!‹ hub sie an, indem sie mich auf die Wangen klopfte; ›wie sie demütig geworden ist, das arme Kind! Sie hat das muntere Wesen ihrer früheren Jahre ganz abgelegt.‹ – ›Ich wüßte nicht,‹ sagte mein Vater, ›sie scheint mir nur erschrocken.‹ – ›Das arme Kind!‹ wiederholte die Fee, indem sie mich mitleidig ansah. Ich aber hatte mich sittsamlich auf einen Stuhl begeben oder vielmehr auf den Rand eines Stuhles, wo ich von einem Eck auf das andere rückte und jeden Augenblick das Wort erwartete, das mich zerschmettern sollte. Sie redete aber viel mit meinem Vater, und nach und nach war mir alle Furcht verschwunden, als sie auf einmal anfing: ›Daß ich's nicht vergesse, schönes Kind, zeigt mir doch das Nädelchen, so ich Euch geschenkt habe zum Angebinde! Es ist gar köstlich anzuschauen: unten Stahl, oben Silber und eitel Gold der Knopf. Möchtet Ihr mir's doch herbringen, es ist zu mancherlei Dingen nütz.‹
»Ohne zu wissen, was ich that, ging ich hinaus. Aber jetzt fragte sich's, was ich thun sollte? Plötzlich kam mir in den Sinn, daß die Alte, die mir die Nadel abgenommen, wohl die Fee Pflasterhold selber müsse gewesen sein, die diese Gestalt angenommen hätte, um meine Sorgfalt in Versuchung zu führen. In diesem Gedanken immer mehr bestärkt, trat ich ganz schüchtern hinein, warf mich der Pflasterhold zu Füßen und begann fast weinerlich: ›O beste Pate, verzeiht mir meinen Fehltritt, für den ich allbereits bestraft bin! Möchtet Ihr mir wiedergeben, was Ihr mir genommen habt! Die Reue, die ich fühle, ist innerlich; möchtet Ihr gnädig mit mir verfahren! ‹ Aus ihren erstaunten Mienen sah ich aber wohl, daß sie von nichts unterrichtet sei. Ich erzählte ihr daher alles. Da ich aber zu Ende war, stand sie ganz zornmütig auf und sagte: ›Ungehorsames Kind! Ich will Euch nicht mehr strafen, als Ihr durch den Verlust Eures Kleinods gestraft seid, das ich Euch nicht mehr ersetzen kann. Jedoch die, die es Euch genommen hat, muß eine Fee gewesen sein, da sie die geheimen Kräfte der Dinge erkannte. Möchtet Ihr aber wissen, was Ihr verloren habt!‹«
»Hierauf erzählte sie mir,« fuhr die Prinzessin etwas beschämt fort, »von den Wunderkräften, welche diese Nadel in sich geschlossen hätte. Sie hat die Kraft, denjenigen, der sie bei sich trägt, auf sein Verlangen unsichtbar zu machen, was die alte Diebin wohl benutzt hat. Wenn man einen andern mit dem Kopf dieser Nadel berührt, so bleibt er so lange unbeweglich auf der Stelle stehen, bis man ihm mit der Berührung der Spitze wieder Leben gegeben hat. ferner sprengt sie durch bloße Berührung alle Schlösser und Riegel und verleiht Wohlsein und Glück im Ehstande. Nachdem die Fee mir dies umständlich vorgehalten, reiste sie unverzüglich wieder ab, ohne daß sie mir verziehen hatte.
»Als ich das Alter erreichte, wo mein Vater wünschte, daß ich mir einen Ehgemahl auswählen sollte, da schickte er zur Fee Pflasterhold und ließ sie um Rat fragen. Die Fee aber sandte mir einen Brief zurück, in dem geschrieben stand:
›Kommt einst ein Mann, der zweimal ward geboren,
Der seine Eltern kennt, die ihm doch unbekannt,
Der Euch die Nadel bringt, die Ihr verloren,
So gebt als Gattin ihm die Hand!‹
»Mein Vater war sehr verdrießlich über diese geheimnisvollen Worte und beschloß, sich gar nicht daran zu kehren. Er ließ daher das Kampfspiel anordnen, von dem Ihr wißt und in dem Ihr den Sieg davontrugt. Wenn Ihr mich nun zu besitzen wünscht, so möget Ihr ausziehen, das Kleinod zu erobern, das ich verloren gehen ließ. An dem widersprechenden Sinn der Pflasterholdischen Weissagung stoßt Euch aber nicht; denn wenn Ihr auch nicht zweimal geboren worden seid und Eure Eltern kennt und nicht kennt, so erfüllt nur eine dritte Bedingung und erbeutet die Nadel; denn sie allein bringt ja Glück im Ehstande. Aber nun saget auch etwas von Eurer Abkunft und Leben, von Eurem Glück und Unstern; denn mit den Gestirnen ist der Sterblichen Schicksal verknüpft.«
Da erzählte er ihr denn alles, und sie lächelte holdselig als er ihr sagte, wie er geboren ward. Kaum hatte er geendigt, so ertönte das Glöcklein zur Tafel. Sie sagte ihm noch, indem sie gingen: »Möchtet Ihr ein bequemeres Kleid anziehen und uns in den Saal folgen, wo getafelt wird. Da warf er denn ein leichteres Kleid um und folgte ihr. Aber jedermann erstaunte, als er eintrat, über die blonden Locken und die schlanke Gestalt. Oft wurde auf die Gesundheit des Brautpaars getrunken. Mit dem Frühsten aber zog er fort. Als er schon sehr weit vom Schloß war, da wandte er sich noch einmal um, und Lilla stand auf dem Balkon und grüßte ihn noch mit der Lilienhand; da neigte er sich demütig mit dem Kopfe, und wehmütig ward es ihm und wohl.
Als er aber nachdachte, was er zu thun hätte, wurde überaus traurig; denn wo sollte er hingehen, um die Nadel zu finden? Zwei Tage streifte er fruchtlos umher und kam endlich an den Wald, wo er erzogen worden. Als er hinein trat, dachte er der Gyrmantis und konnte nicht widerstehen, die schönlockige Pflegerin seiner Jugend zu sehen. Er suchte das Haus, wo sie wohnte. Als er aber herankam, sah sie ihn von der Ferne und trat ihm entgegen, gar freudig in ihrem Herzen. »Lieber,« sagte sie, »hast du gefunden, was du suchtest?« – »Ach nein, ich finde sie nicht, ich suche vergebens!« gab er zur Antwort. – »Wie?« entgegnete sie, »Du hättest kein Fräulein gefunden, das holdselig wäre und gut, um das du werben könntest und erproben, ob sie dir bestimmt sei?« – »Ach,« sagte er, »das Fräulein hab' ich gefund aber ihr Glück hängt an einer Stecknadel, wie mein Glück ihr.« Und nun erzählte er alles der schönlockigen Pfleger seiner Jugend, und dann Da sprach er also: »Nun, da Ihr alles gehört habt, könntet Ihr mir nicht sagen, wo die Hexe sich hier aufhält, die meine Prinzessin bestohlen hat?« Da begann Gyrmantis zu sprechen und sagte: »Nach allem, was du erzählt hast von dieser Alten, möchte ich fast glauben, es sei dieselbe, die mich einst besucht hat. Damals kannte ich sie noch nicht; nun aber weiß ich, daß sie eine Fee ist, Pfefferlüsch genannt, gar bös und zornmütig, ohne allen Liebreiz. Mögest du denn bei ihr dein Glück versuchen! Sie wohnt in diesem Walde in einer strohbedeckten Hütte.« Und die Königin zeigte ihrem Pflegesohn den Weg nach der Hütte und nahm gar rührend Abschied, indem sie versprach, zu seiner Hochzeit zu kommen.
Bald kam Rosensohn vor die Wohnung der Alten und klopfte an. »Herein!« erscholl eine krächzende Stimme. Er trat hinein und sah die Fee Pfefferlüsch bei einer Flasche Wein; an ihrem Halstüchlein aber erblickte er die Nadel, unten von Stahl, oben von Silber, der Knopf aber von eitel Gold. »Nun, was wollt Ihr denn, schöner Herr?« sagte sie. »Womit kann ich dienen?« Aber Rosensohn gegenredete ganz kurzbündig: »Hier ist von keinen Diensten die Rede, bei denen es auf Euer Wollen ankommt. Die Nadel sollt Ihr wieder herausgeben, die Ihr der schönen Lilla genommen habt.« – »Gut, daß Ihr kommt,« sagte sie, »da mögt Ihr sie hinnehmen.« Hiermit zog sie sie aus dem Tüchlein. Aber Rosensohn merkte ihre Absicht, daß sie ihn damit berühren und festbannen wollte am Boden. Da kam er ihr schnell zuvor und schlug sie so derb auf die Finger, daß sie die Nadel fallen ließ, die er rasch aufhob. Aber kaum war dies geschehen, so drehte sie einen kostbaren Zauberring, den sie an der Hand hatte, und unter seinen Füßen that sich der Boden auf, und er versank in eine finstre Kluft, in welche kein Tageslicht hineinschien.
Lange saß er in sprachloser Betäubung auf der feuchten Erde seines Kerkers, so sehr hatte es ihn ergriffen, von der Höhe seines Glücks in diesen Aufenthalt herabgestürzt zu sein. Aber sobald er wieder zur Besinnung gekommen war, dachte er an die Wunderkräfte der Nadel, die er in Händen hielt, und daß alle Schlösser und Riegel bei ihrer Berührung aufsprängen. Da suchte er denn rings an den Wänden die Thür auf, und als er sie gefunden, berührte er das Schloß mit der Wundernadel, und siehe da, es sprang auf, und er stand plötzlich im Freien.
Kaum aber war er einige hundert Schritte gegangen, da kam eine Krämerin auf ihn zu mit einer Schachtel voll allerlei Raritäten. »Wollt Ihr nichts kaufen, schöner Ritter?« sagte sie; »wenn Ihr eine Braut habt, hier ist manches, was sie ergötzen mag: Spangen, Ohrgehänge, Ringe, Nähkissen, Spindeln und Nadelbüchslein.« – »Ihr kommt wie gerufen,« sagte Rosensohn, in seiner Freude nichts Arges denkend; »ein Nadelbüchslein mögt Ihr mir geben; ich habe hier eine Nadel, die ich immer in Händen tragen muß, da ich sie nirgend anheften kann.« Und sie gab ihm ein Büchslein; er steckte die Wundernadel hinein. Aber da schien's ihm, als wäre das Büchslein schon voll, und wie er es in der Hand umstürzte, da sah er bei tausend Nadeln, und immer mehr und mehr, je mehr er schüttelte. Aber alle waren wie seine, unten von Stahl, oben von Silber und von eitel Gold der Knopf. »Nun mögt Ihr herausfinden, was Euer ist!« sagte die Krämerin höhnisch, und er erkannte, daß es Pfefferlüsch sei. Sie wollte mit dieser neuen List abermals Zeit gewinnen, um ihn desto gewisser zu berücken.
Rosensohn wandelte traurig fort, ohne Rat, was er thun sollte. Er würde in Jahren nicht geendet haben, hätte er alle jene Nadeln erproben wollen, die sich immer vermehrten. Bald gelangte er zum Turm am Ende des Waldes. »Der Sohn der Rose ist da,« rief er, »aber noch kann er Euch nicht helfen.« Und er erzählte dem Gefangenen die List der Fee. Jener aber antwortete: »Habt Ihr den Rosenstengel noch, den Ihr bewahren solltet?« – »Wohl,« sagte der Ritter, »ich hab' ihn.« – »Nun denn,« erwiderte die Stimme aus dem Turme, »so öffnet Euer Büchslein und greift hinein mit dem Rosenstengel; da wird die Nadel daran hängen bleiben, die der schönen Lilla gehört.« Und Rosensohn öffnete das Büchslein, senkte den Stengel hinein, und als er ihn wieder herauszog, siehe, da hing die Nadel daran. »O, möchte es die rechte sein!« rief er aus. Er nahm sie und berührte die Thüre des Turms. Und sie sprang auf, und ein Zwerglein trat heraus, häßlichen, aber nicht widrigen Angesichtes. »Ich kenne Euch,« sprach der Ritter, »Ihr habt die Rose zu der schönlockigen Pflegerin meiner Jugend gebracht. Sie hat mir Euch oft beschrieben. Oder ist's nicht so?« – »Ich bin's,« gegenredete der Zwerg; »aber nun verlieret keine Zeit und sucht die Krämerin einzuholen, sie mit gleicher List zu verderben! Eilet! Ich meinesteils werde Euch in der Ferne nachfolgen.«
Kaum war aber der Pflegesohn der Gyrmantis einige Schritte gegangen, so begegnete ihm schon die hämische Pfefferlüsch und sagte ganz spöttisch: »Nun, ist Eure Wahl schon getroffen, schöner Herr?« Rosensohn aber nahm eine traurige Miene an und sagte: »Ach, Mütterchen, ich bin in Verzweiflung. Da möget Ihr alle Nadeln wiedernehmen und selber suchen, welches die beste sei; ich kann nicht damit fertig werden.« Hierauf übergab er ihr das Büchslein mit den übrigen Nadeln, durch die sie ihn zu täuschen gesucht hatte. Die Alte aber feierte schon einen stillen Triumph, indem sie das wundersame Kleinod auch in der Büchse wähnte. Da sie sich aber wendete, ihre Wege zu gehen, berührte sie Rosensohn mit dem Nadelknopf, und plötzlich stand sie unbeweglich an den Boden gewurzelt.
Indem trat auch das Zwerglein hinter einem Gebüsche hervor, und da dieser den kostbaren Zauberring noch an der Hand der Pfefferlüsch bemerkte, nahm er ihn ihr ab und steckte ihn an seinen eigenen Finger. Aber wie erstaunte Rosensohn, als er auf einmal statt des leidigen Zwerges einen schönen Mann von mittlerem Alter vor sich stehen sah, der ihn umarmte, indem er ausrief: »Sieh in mir deinen Vater! Aber jetzt verlange keinen weiteren Aufschluß; geh deiner schönen Bestimmung entgegen! An deinem Hochzeitstage soll dir alles erklärt werden.« Hiermit verließ er ihn, und Rosensohn stand lange, eh er sich von seiner Verwunderung erholen konnte. Doch der Gedanke an Lilla brachte ihn bald von jedem andern Gedanken ab, und er setzte seinen Weg unter gar süßen Hoffnungen fort. Am frühen Morgen des andern Tags langte er in der Hauptstadt der Kereolen an. Wie erstaunte Lilla, da sie ihn so plötzlich zurückkommen sah! Er sank zu ihren Füßen und übergab ihr die Wundernadel, die sie gar sorgfältig in eine Falte ihres Kleides verbarg. Als sie ihn aber von der Erde aufhob, überreichte er ihr zitternd den Stengel der verblühten Blume. Sie, die wohl mit der Bedeutung dieses Geschenkes bekannt war, empfing es mit klopfendem Herzen. Aber kaum hatte sie es berührt, so entfaltete sich die schönste, die vollste Rose aus dem abgedorrten Stengel.
Der König aber bestimmte den folgenden Tag für den Hochzeitstag. Noch am Abend vorher traf die Fee Pflasterhold ein. Sie war versöhnt und freute sich des holden Brautpaars. Des andern Morgens früh meldete ein Läufer die Ankunft des Königs von Talmyris mit seiner Gemahlin, welche der Hochzeit beizuwohnen gedächten. Als aber die Saalthüren aufgingen, da sah Rosensohn denselben Mann, den er aus dem Turme befreit hatte, welcher sich seinen Vater nannte; ihm zur Seite aber erblickte er die Pflegerin seiner Jugend, die schönlockige Gyrmantis. Letztere ging auf ihn zu und sagte, ihn umarmend: »Erkenne nun in der, die dich erzog, deine wirkliche Mutter und in diesem meinen Gemahl, den ich so lange betrauerte! Es ist Pherias, dein Vater.« Rosensohn stand freudig erstaunt, ohne das Wort dieses Rätsels zu finden. Aber die holdselige Lilla lächelte überaus freundlich und sagte: »Möget Ihr mir nun das glückliche Wunder begreiflich machen, das mich zu Eurer Tochter macht, wenn Ihr anders Eurem Sohne meine Hand nicht abratet!« Da ergriff der König von Talmyris das Wort und sagte: »Das sei fern von uns, daß wir ihn abhalten sollten von einem Schritte, der sein Glück gründen wird, von einer Braut, die überaus holdselig ist und gut und die ihm das Schicksal bestimmt hat. Das sei fern von uns! Aber nun mögt Ihr zuhören und meine Geschichte vernehmen, auf daß Euch nichts mehr dunkel bleibe, was Ihr zu wissen wünschet.«
»Mein Vater,« so fing der König seine Erzählung an, »raubte einstmals der Fee Pfefferlüsch, die wir alle zur Genüge kennen und die ihm manchen Streich gespielt hatte, einen Zauberring von wunderbaren Kräften, den nämlichen, den ihr hier an meinem Finger seht. Sie aber trachtete auf alle Weise, diesen Ring, in dem ihre ganze Zauberkraft gelegen war, wieder zu erbeuten. Aber mein Vater verwahrte ihn so gut, daß jede List an seiner Sorgfalt scheiterte. Als mein Vater starb, erbte ich sein Reich mit diesem Ringe. Nun ließ sie mir feierlichst ihre Hand anbieten, wenn ich ihr den geraubten Ring als Bräutigam verehren wollte. Ihr mögt leicht denken, daß ich diesen Antrag verwarf. Bald darauf vermählte ich mich mit dieser meiner schönen Gyrmantis. Lange Zeit wandte Pfefferlüsch alles vergebens an, mich zu täuschen. Als aber die Königin von einem Knäblein entbunden ward, da bot sie sich als Amme an, ohne daß ich noch sonst jemand vom Hofgesinde sie gekannt hätte. Es war damals gerade Sommer, und wir wohnten auf einem Lustschlosse, nicht weit von jenem Walde gelegen, in welchem meine Gemahlin nachher so lange gelebt hat. Als sich nun Pfefferlüsch eines Tages mit dem jungen Prinzen auf dem Arm unbemerkt glaubte, entsprang sie durch eine Hintertreppe in die Gärten, um von da aus ihren Raub nach ihrer Waldhütte zu tragen. Ich aber sah sie vom Fenster aus, ahnte Verrat, und als wenn ich Flügel gehabt hätte, stand ich im Garten und eilte ihr nach. Aber leider war sie schon zu weit voraus; sie erreichte die Hütte und schloß hinter sich zu. Ich merkte nun, daß es Pfefferlüsch sei, und geriet in Verzweiflung. Da rief sie mir heraus und sagte: ›Euern Knaben mögt Ihr gleich wieder haben, wenn Ihr mir den bewußten Ring gebt.‹ Froh, einen Preis gefunden zu haben, um den ich mein Kind erkaufen konnte, schob ich ihr den Ring durch eine Spalte. Sie nahm ihn, ohne herauszukommen und mir meinen Sohn zurückzugeben. Ich wartete bis abends, indem ich ihr ununterbrochen zurief. Sie aber hörte nicht. Da übermannte mich der Zorn, und ich dachte nicht mehr an die Macht, die ihr durch den Ring verliehen war. Ich trat an ein Fenster, und da ein Rosenstock davor stand, so nahm ich ihn und durchwarf damit die Scheiben, um in die Stube zu gelangen. Die Rosen wurden alle zerknickt; ein einziges Knöspchen blieb unversehrt. Und indem ich mir durchs Fenster Platz machte, rief sie: ›Wenn Euch der Tod Eures Kindes nicht lieber ist, als daß ich es Euch zurückgebe, so steigt wieder hinunter!‹ Ich aber, der ich mich ganz in ihrer Gewalt sah, gehorchte dem Befehle. Darauf sagte sie: ›Erst laßt mich diesen Schaden wieder gut machen!‹ Hiermit hob sie den Rosenstock auf, löste die zerknickten Rosen davon ab, nahm einen Scherben mit Erde und pflanzte die Wurzel mit dem Stengel hinein, auf dem noch das Knösplein übrig war. Nachdem sie dies gethan, drehte sie ihren Ring herum und sprach unter mancherlei Gebärden: Möge diese Knospe sich öffnen und dies Knäblein in sich verschließen!‹ Was sie wünschte, geschah in einer flüchtigen Sekunde. Ich stand lange betäubt über das Wunder, das ich sah, ohne es zu begreifen. Endlich aber faßte mich die Verzweiflung. Ich stieß mit dem Fuß gegen die Hüttenthüre, daß sie aufsprang. Da drehte sie abermals den Ring herum, und ich sah mich in der Zwergengestalt, in der mich meine Gemahlin erblickt hat. ›Wollt Ihr,‹ begann die Alte, ›daß ich dieser Rose schone und Euch die Freiheit lasse, so versprecht mir, nie die Grenzen dieses Waldes zu überschreiten, so lang Ihr in dieser Gestalt lebt, nie zu entdecken, wer Ihr seid, und diese Knospe hier nie abzupflücken!‹ Ich mußte es versprechen, um das Leben meines Kindes zu behüten. Aber da ich es selbst nicht durfte, so beredete ich ein Zwerglein aus dem Gefolge der Fee, mir jene Knospe brechen, und es gelang mir, meinen Sohn der Pflege seiner Mutter zu übergeben. Als jedoch Pfefferlüsch den Raub wahrnahm, ließ sie mich durch ihre Zwerge einholen und sperrte mich in jenen Turm, aus dem mich die Kraft der Zaubernadel befreit hat.«
Hier endigte Pherias seine Erzählung, und die Fee Pflasterhold nahm das Wort und sprach: »Nun seht, schöne Lilla, daß ich recht hatte! Euer Bräutigam ward zweimal an das Licht der Welt geboren, und er kannte seine Eltern, die ihm doch völlig unbekannt waren.« Die holde Lilla aber küßte stillschweigend die Hand der gütigen Fee, und das Hochzeitsfest ward begangen mit großem Pompe und Frohsinn. Die Mädchen sangen zur Harfe die Geschichte des Sohns der Rose und der reizenden Lilla.
Die Nadel aber bewirkte Glück im Ehstande, und Lilla gebar ihrem Gemahl einen Sohn, der später beide Königreiche beherrschte und seinen Ruhm darin suchte, seine Völker zu beglücken.
Aber noch heutigen Tags steht die Fee Pfefferlüsch unbeweglich am Wege, und die Wanderer fürchten sich noch jetzt und weichen ihr aus, wenn ihre Straße sie vorbeiführt.