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Ich komme soeben von einer Kindtaufe; solche Feste sind bekanntlich in Deutschland nirgends selten; mich pflegt man aber nicht einzuladen, sei es, daß man bei mir einen Mangel christlicher Gesinnung voraussetzt oder dem jungen Erdenbürger nicht gleich als übles Vorzeichen das sauertöpfische Gesicht eines alten Brummbären zeigen will, dem er vielleicht später einmal doch am grünen Prüfungstische begegnet. Hier wirkte ich sogar als Pate mit, weil ich, neben dem heiligen Antonius von Padua, an dem Eintreffen des kleinen Stophele ein Hauptverdienst hatte. Bei der Tafel brachte ich einen so kräftigen Toast aus, daß die Frauen lächelnd beiseite blickten und die Fräulein errötend 2 auf die Teller schauten, als ob sie das »Pfaffenschnitzel« von einem fetten Kapaun mehr interessiere als die Pauke, welche ich losließ. Die schönen Leserinnen nehmen selbstverständlich an solchen Festen den regsten Anteil; ich fühle mich daher verpflichtet, das Wie, Was und Warum ausführlich zu erzählen.
Die Geschichte ist sehr harmlos und unverfänglich; dennoch befürchte ich, aus allen Gegenden der Welt mit Briefen überlaufen zu werden; dem möchte ich nun vorbeugen, erstens um Porto zu ersparen, zweitens weil ich so schreibfaul bin, und drittens brauche ich keinen Kuppelpelz, mit dem man in Tirol diejenigen zu beschenken pflegt, die eine Ehe gestiftet haben. In unserer Zeit scheint mir eine Hochzeit mehr denn je ein Sprung ins Dunkle, den jugendliche Unerfahrenheit jauchzend wagt, um nachträglich nur zu oft nicht bloß ein Bein, sondern auch ein Herz zu brechen. Ich mag daher nie und nirgends der Juno sospita die jene Geschäfte besorgt, ins Handwerk pfuschen, sondern bete stets, wenn irgend einer meiner 3 jungen Freunde sich zum heiligen Ehestand entschließt, ein andächtiges Vaterunser, daß die Sache gut geraten möge. Das ist sehr ungalant; nun, von einem Steinklopfer, der tagelang in der Öde des Hochgebirges herumklettert, darf man keine Zartheiten erwarten; vielleicht bringe ich ein andermal ein Sträußlein duftiger Alpenblumen von den rauhen Höhen zurück.
* * *
Am 16. Oktober 1879, um elf Uhr vormittags, saß ich in meinem Studierzimmer und hämmerte etliche Handstücke, die ich von den Lanserköpfen mitgebracht, zurecht, weil ich sie vor Beginn des Schuljahres der Sammlung einreihen wollte. Tag und Stunde hatte ich den Studenten festgesetzt, die sich für meine Vorlesungen über Mineralogie melden wollten. Da bumste es plötzlich an die Thür, als flöge ein Kruppsches Centnergeschoß daher, und ein junger Mann, etwa von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, stellte sich mir mit einer tiefen Verbeugung vor. Seinen riesigen Leib 4 verhüllte der weite, schwarze Talar des Theologen; das kleine Käppchen hielt er bescheiden in der Hand, mit der er, wie ein Robler, gewiß an einem buchenen Tische das Eck hätte herunterschlagen können. Als ich ihn bedächtig musterte, fiel mir augenblicklich der »Münch Ylsan« ein, von dem die deutsche Heldensage erzählt, wie er Chriemhilden zu Worms den Rosengarten zerstampfte und dann beim bedungenen Kuß ihr mit dem stachligen Bart die Wange blutig rieb. Indem er mir mit gedämpfter Stimme das Meldungsbuch überreichte, bat er um die Unterschrift. Es lautete auf Christoph Knöpfler, geboren zu Storping in Westfalen, Hörer des ersten Kursus der Theologie. In Österreich werden viele Gymnasien von geistlichen Orden versorgt; ihre Professoren müssen sich daher den Staatsprüfungen unterziehen und deshalb den Vorlesungen an der Universität beiwohnen. So sah ich jedes Jahr Weltpriester und Mönche in verschiedenen Kutten vor meinem Katheder, und ich will gern bestätigen, daß diese Hochwürdigen zu meinen fleißigsten und besten 5 Schülern gehörten, weil sie unter dem Bann des kirchlichen Gehorsams standen.
Nachdem ich die verlangte Unterschrift gegeben, fragte ich Herrn Knöpfler, während ich eine Prise Streusand auf die nasse Schrift warf: »Sie widmen sich also dem Lehrfache?«
»Das eben nicht!« antwortete er. »Ich bin Theolog, habe jedoch früher Forstwesen und Agrikultur studiert und will nun meine Kenntnisse im Hochgebirge, dessen Klima und Boden von dem meiner Heimat so ganz verschieden sind, vervollständigen.«
Dabei war seine Stimme zur natürlichen Urkraft eines Basses angeschwollen, wie ich ihn bisher selten so voll gehört hatte. Ich erwiderte ihm: »Daran thun Sie recht; ein Pfarrer, der mit diesen Dingen vertraut ist, kann namentlich als Landwirt unter den Bauern viel Ersprießliches wirken.«
»Noch bin ich es nicht!« murmelte er halblaut vor sich hin; dann griff er in die Rocktasche und zog ein zierliches Briefchen auf rotem 6 Seidenpapier hervor: »Das gab mir Fräulein Frida.«
Fräulein Frida! So manches heitere Stündchen, das ich mit ihr bei Sturm und Regen auf der Veranda in der Pertisau verplaudert, stieg vor meiner Erinnerung empor, – also Fräulein Frida!
»War sie den ganzen Winter zu Leipzig, um dort die Stunden mit Richard Wagner zu verklimpern, oder trinkt sie Blümchen-Kaffee, wie es einer braven Sächsin ziemt? Sie kommt doch heuer wieder an den Achensee?«
»Freilich! Dort wird sie aber keinen Blümchen-Kaffee schlürfen, sondern wie eine Tirolerin in Renken und Rehbraten einhauen, daß die Veronika des Prälaten, an den sie mich ebenfalls empfiehlt, auf dreifache Portionen sich einrichten muß.«
Ich öffnete den Brief; Frida empfahl mir Herrn Knöpfler als einen prächtigen jungen Mann voll frischer Ursprünglichkeit und frohem Humor; leider wollte er sich der Theologie in 7 die Arme werfen, und es wäre recht gut, wenn ich ihn von diesem Vorsatz abbrächte.
Frida war bereits verlobt; also war die Bitte jedenfalls uneigennützig; ich konnte daraus nur schließen, daß Herrn Knöpfler der Chorrock nicht auf den Leib geschnitten sei, denn die Weiber haben in diesen Angelegenheiten einen scharfen psychologischen Blick. Wie sollte ich aber das versuchen, was den schönen Mädeln zu Leipzig nicht gelungen war?
Nach und nach lernte ich den jungen Mann näher kennen und fand die Mitteilungen meiner Freundin bestätigt; trotz des Priestermangels in der Diözese Brixen wünschte auch ich, daß er dem Fischernetze Petri entrinnen und sich ein Heim außerhalb der Kirche gründen möge. Wie er mir später anvertraute, wollte er sich vorläufig nicht der Landwirtschaft widmen; da sein Vater noch rüstig war, so habe er sich auf den Wunsch der Mutter entschlossen, Theologie zu studieren, um in dieser glaubenslosen Zeit eine Stütze für sein Inneres zu finden. Er war seiner Überzeugung nach streng katholisch; 8 das hatte mich nicht anzufechten; nur durfte ich ihn an keinem Fasttage einladen, denn da beschränkte er sich auf den Genuß von Stockfisch und Bohnen.
Weil wir das religiöse Gebiet bereits streiften, so dürfen wir wohl auch einen Seitensprung in die Hofkirche am Rennplatz machen. Die Touristen bewundern dort die Bronze-Statuen und das Grabmal des Kaisers Maximilian; die wichtigste Merkwürdigkeit für die holden Touristinnen erwähnt aber nicht einmal der gewissenhafte Amthor. Keineswegs meine ich das Grab der Philippine Welser, das der Meißel des berühmten Collin schmückte, sondern ein kunstloses Ölbild des heiligen Antonius von Padua auf dem Altare des linken Seitenschiffes. Der Heilige ist als Jüngling dargestellt; sanft lächelnd erhebt er die Rechte zum Segnen; in der Linken hält er Buch und Lilie. Eine Zackenkrone schwebt über dem silbernen Rahmen, aus dessen Blattwerk Weintrauben hängen; breite, goldene Strahlen schießen nach jeder Richtung hervor, und an Festtagen 9 schlingen sich Gewinde mit weißen Rosen um die roten Marmorsäulen. Eine Inschrift lautet: »Heiliger Antonius, du Wundersmann, bitt' für uns.«
Dieses Gemälde befand sich bis 1661 zu Zirl in einer Privat-Kapelle; bei einer Feuersbrunst, die das Dorf in Asche legte, wurde es wunderbar erhalten und der Gegenstand allgemeiner Verehrung. Auf den Wunsch des Erzherzog-Statthalters, dessen Namen ich leider vergessen habe, wurde es dem Orden der Franziskaner, dem bekanntlich der Heilige angehörte, überlassen und auf den Altar der Hofkirche übertragen. An den Schranken vor dem Altare bemerkt man zahllose Brandmale, von den Kerzchen herrührend, die hier fromme Hände anzünden; die Bretter an den Bänken sind von Knieen ausgehöhlt, so daß man sie von Zeit zu Zeit erneuern muß. Kommt man des Abends, so sind die Bänke von Mädchen verschiedenen Alters besetzt; manche von ihnen hat sich in einem abgelegenen Winkel niedergeworfen. Stellt man sich in den Schatten einer Säule 10 oder Statue, um indiskret genug die Beterinnen zu beobachten, so erkennt man bald an Gebärden und Antlitz, wie sehr es ihnen mit ihrer Andacht ernst sein muß. Sie beten nämlich um die beste Gottesgabe, die einem weiblichen Herzen zu teil werden kann, um einem Ehegatten. Aber auch Liebende schützt der heilige Antonius und ebnet ihnen den Weg zum Traualtar.
Was ich hier mitteile, ist durchaus kein frivoler Scherz, sondern Volksglaube, wie das jeder hören kann, der sich danach erkundigt. Warum dieses Amt, welches vielleicht besser für den ritterlichen, mit Pfeilen durchbohrten Sebastian taugen würde, gerade dem heiligen Antonius zugeteilt wurde, weiß ich nicht und habe dafür auch in der Legende keinen Anhalt gefunden; wir wollen daher die Thatsache auf sich beruhen lassen und nur noch beifügen, daß der Heilige auch verlorene Sachen wieder zu Tage bringt. Das kirchliche Responsorium singt:
»Wer Wunder und Zeichen finden will,
Bei Sankt Antoni find't er viel.«
11 Auch zu Kaltern, das nicht bloß durch seine trefflichen Weine, sondern auch durch seine frommen Frauen berühmt ist, nimmt der Heilige ähnliche Bittgesuche entgegen; zu Bozen teilt er sich mit einer uralten Madonna in dieses Geschäft, von der ich auch eine Geschichte zu erzählen wüßte; sie ist aber so traurig, daß ich mich nicht gern daran erinnern mag.
* * *
Schon nahte der Vorfrühling, jene Zeit, da die Schwalben von Süden nach Norden ziehen und ich von Norden nach Süden zu wandern pflege. Ich hatte eben in meinem Arbeitszimmer aufgeräumt, um nach meiner Rückkehr alles in Ordnung zu treffen, und gab dem alten Diener Niggl Auftrag, die Taube und den Kanarienvogel, die mit mir den traulichen Raum teilten, stets mit Grünzeug zu versorgen, – da humpelte Herr Christophorus durch die Thür, etwas aufgeregter, als gewöhnlich, wie mir schien.
»Denken Sie, Herr Professor,« rief er 12 lebhaft, ohne eine Frage von mir zu erwarten, »was mir jetzt in der Franziskaner-Kirche begegnet ist!«
»Nun?«
»Nachdem ich den Kreuzweg gebetet, setzte ich mich unweit des Antoni-Altares in eine Bank und zog die ›Tirolerstimmen‹ heraus. Es waren wenige Leute da; der Rosenkranz, zu dem sich das andächtige Frauenvolk zu versammeln pflegt, wird ja später gehalten; so glaubte ich niemand ein Ärgernis zu geben und begann zu lesen. Da flüsterte mir eine zarte Stimme in das Ohr: ›In die Kirche gehören keine Zeitungen!‹ Ich wandte mich erschrocken um: ein Mädchen, das ich bisher nie gesehen, blickte mich aus nächster Nähe ernsthaft an.«
»Die werden Sie wohl gleich beim Flügel gepackt und ihr ein Bussel aufgepappt haben?« unterbrach ich ihn lachend.
»Aber, Herr Professor,« stotterte er, »in der Kirche!«
»Wenn Sie sich um uns Tiroler und namentlich um die Tirolerinnen mehr gekümmert hätten 13 als bisher, so hätten Sie wohl schon längst das landläufige Sprüchlein gehört:
›Ein Bussel in Ehr'n
Hat Gott und die Welt gern!‹
Thun Sie es in Zukunft, – schmeckt besser, als die Syllogismen des Thomas von Aquin . . . Und dann?«
»Sie ging fort; bei der Kirchenthür sah sie sich noch um.«
»Sie werden ihr doch eiligst nachgestakelt sein?«
»Nein, ich eilte zu Ihnen.«
»Wie unbeholfen. War sie hübsch?«
»Hübsch? Schön, wie ich noch nichts gesehen! Blonde Augen, blaue Haare, –«
»Und die Nase mitten im Gesicht! Das giebt keinen Steckbrief. Kein besonderes Merkmal, Sie Konfusionsrat?«
»Doch ja. An der Oberlippe rechts eine kleine Narbe.«
»Holla!« rief ich.
»Sie kennen das Fräulein?« Er packte 14 mich am Arme, daß ich vierzehn Tage blaue Flecken hatte.
»Vielleicht, aber was geht denn Sie das an? Wenn ich Ihnen verrate, wer sie ist, machen Sie wohl gar zum Entsetzen der theologischen Fakultät im Talar Fenster-Parade, und wenn der Rektor erfährt, daß ich die Hand im Spiele habe, so krieg' ich gratis eine Predigt, die alles einbringt, was ich seit Jahren versäumt. Mein Herr Christophorus, das wäre für mich in der Fasten geradezu lebensgefährlich!« Als ich sein betrübtes Gesicht sah, fügte ich tröstend hinzu: »Vielleicht nach Ostern!«
Er schlug die Augen nieder und seufzte tief.
»Als Abschlagszahlung können Sie mir einen kleinen Gefallen thun. Auf den Hügeln blühen bereits Anemonen und Heiderich; auch eine oder die andere Primel guckt schon hervor; Sie haben jetzt nichts zu thun, und ich muß einpacken, – möchten Sie mir nachmittags nicht eine tüchtige Handvoll bringen? Die Osterkräutlein spitzen ebenfalls aus dem Grase, – pflücken Sie 15 von diesen etwas; man verwendet sie zum Färben der Ostereier, und ich lege dann die zwei schönsten für Sie am rechten Platze ein.«
Rot und bleich vor Verlegenheit, drehte er an dem runden Hute. Ich aber summte das bekannte Schnadahüpfel:
»Der Oasigl im Wald,
Hat nicht warm und nicht kalt,
Hat die Kutten aufg'hängt
Und ist 'm Madl nachg'sprengt!«
Das wurde dem Einsiedler von den Bretval bei der Hochzeit gesungen. Er hatte nämlich im Jahre 1809 zum Stutzen gegriffen, ein sauberes Dirndl, die Tochter einer Witwe, kennen gelernt und dann geheiratet.
Nachmittags brachte mir die Magd eine ganze Schale voll Blumen; ein Theolog habe sie an der Thür abgegeben. Schneeglöckchen und Krokus hatte ich bereits am Husselhofe gepflückt, – so konnte ich einen schönen Strauß binden. Als ich fertig war, wickelte ich ihn sorgfältig in Fließpapier und steckte ihn in die Brusttasche, um ihn nicht wie ein Hochzeitsbitter durch die Vorstadt zu tragen.
16 Auf dem Mittelgebirge, südlich von Wiltau, erhebt sich der Pflaurerhof, wo man das Innthal auf- und abwärts von der Hochmundi bis zum Kaiser überblickt. In der Nähe war ein Steinbruch, wo im Quarz-Phyllit bisweilen Mineralien eingesprengt waren, so unter anderem der seltene Jamesonit. Hatte ich hier eine Weile gehämmert, so pflegte ich das Säckchen mit Steinen zum Hofe zu schleppen, den ein Jugendfreund von mir bewirtschaftet; er ließ es mir stets am nächsten Morgen durch die Milchmagd, die mit dem Karren täglich nach Innsbruck fuhr, in mein Arbeitszimmer bringen. Wir setzten uns dann vor das Haus in die Laube, redeten von alten Zeiten oder vom Elend der Gegenwart, – was in Österreich »politisieren« heißt. Sein herziges Töchterlein Mitzel war meine letzte Liebe. So lange sie ein Kind war, spielte sie zu unseren Füßen; ich brachte ihr hier und da eine Leckerei oder ein Spielzeug. Seit einigen Jahren war sie zu einer reizenden Jungfrau herangewachsen; jetzt spendete ich ihr Alpenblumen, die ich auf meinen Fahrten vom 17 Joch holte, oder schenkte ihr ein Buch, wie Christian Schnellers Alpsee, die Gedichte von Moriz Schleifer, oder die Saligen der Angelica v. Hoermann, welche tirolisches Volksleben gemütlich und treu schildert. Dafür erhielt ich das erste Bündel Spargel, die Frühbirnen und Aprikosen. Was sich liebt, neckt sich; daher nannte sie mich nur den »schlimmen Onkel.« Auch ihre verstorbene Mutter war meine Jugendfreundin auf du und du gewesen, und so blieb ich, wie mit den Eltern, auch mit der Tochter du und du. Ich gönnte und wünschte ihr das beste; weil sie sehr fromm war, meinte ich, sie solle Haushälterin bei einem Pfarrer werden, und wenn sie mich darum ersuche, dann wolle ich sie für diesen Zweck dem dicken Propst Erler empfehlen, der mit mir auf den Bänken des Gymnasiums gesessen habe. Da sie gerade die Blumen goß, gab sie mir für diesen Antrag einen tüchtigen Spritzer, so daß ich mich in der Sonne trocknen mußte.
Zum Pflaurerhof steuerte ich auch diesmal, und im Pflaurerhof zur Mitzel. Sie hatte 18 Christophorus belehrt, daß man in der Kirche nicht Zeitungen lesen solle, nicht einmal die klerikalen »Tirolerstimmen«. Die Narbe an der Oberlippe hatte sie verraten. In der Wirtschaft des Vaters war ihr neben dem Garten auch die Hühnerzucht übertragen; da wollte sie im vorigen Herbst eine Henne forttragen; der böse Hahn verteidigte seine Frau, flog auf und gab ihr einen scharfen Hieb, den er freilich später auf dem Schafott büßte. Dieses »Bussel« des Gockels machte uns viel Spaß, und sie mußte lange davon hören. Ich traf sie gerade im Garten, wie sie die Erde lockerte. Als sie mich bemerkte, lehnte sie die Kratze an den Zaun und bot mir die Hand, in welche ich den Strauß legte. Es werde sie gewiß freuen, daß ein Geistlicher diese Blumen gepflückt habe; deswegen sei ich aber nicht gesonnen, meinen Ansprüchen auf die ersten Spargel zu entsagen. Sie dankte mir lächelnd; die Blumen seien schön, und da sei es gleich, wer sie geholt. Der Pfeil war zu stumpf; ich besann mich nicht lange und fiel mit der Thür 19 ins Haus: »Mitzel, Mitzel, ich höre böse Dinge von dir. Ist es wahr, daß du den heiligen Antoni besuchst?«
Sie sah mich mit großen Augen an, gab jedoch keine Antwort.
»Er hat an dir gar schon ein Wunder gewirkt!«
Sie wurde betroffen.
»Er hat dir ja deinen Künftigen gezeigt . . .«
»Ja, wen denn?«
»Nun, einen Sonntagsbuben!«
Auch sie wurde rot und bleich und ließ vor Verlegenheit den Strauß fallen. Sie wird sich schon darnach bücken, dachte ich und hob ihn nicht auf. Bis sie sich wieder besinnt, will ich mich bezüglich des Ausdrucks »Sonntagsbube« rechtfertigen; er ist keine boshafte Erfindung von mir, sondern man bezeichnet im Zillerthale junge Geistliche so, in der Stadt allerdings nur scherzweise.
Endlich schüttelte sie den Kopf und sagte, ohne die Augen aufzuschlagen: »Was fällt dir ein! Einen Theologen!«
»Nun, was das betrifft,« erwiderte ich 20 lachend, »so reise ich jetzt nach Rom und kann dort Dispense holen. So viel ich jedoch weiß, bindet ihn kein Gelübde, und im übrigen gilt der Spruch: ›Quatuor minores non impediunt quatuor uxores.‹ Das verstehst du freilich nicht, mein liebes Mitzerl, ich will es dir jedoch durch ein Beispiel erklären. Mein verehrter Kollege, der Herr Professor Ignaz Zingerle, war sogar Noviz im Kloster Marienberg und erhielt dort die vier unteren Weihen; er ist jedoch wieder ausgesprungen und hat jetzt, trotz der Salbung mit dem heiligen Öle, die dritte Frau heimgeführt. Siehst du, das ist gar nicht so gefährlich.«
Sie nahm rasch den Strauß vom Boden und fragte dann, indem sie das Näschen darin versteckte: »Ja, wie heißt er denn?«
»O, du Spitzbübin!« rief ich. »Das sag' ich dir nicht; du wärst wohl gar imstande, ihm als Gegengabe etwas zu sticken, so ein Merkzeichen oder dergleichen. Denke dir, wenn ihm das aus dem Brevier fiele und der Rektor säh' es –«
21 »Der muß ja nicht alles mit seiner Spürnase ausschnüffeln!«
»Du gottloser Fratz, wenn du das am Gründonnerstag beichtest, so wirst du garnicht absolviert!«
»Mein alter Servit läßt schon mit sich handeln! Übrigens ist ja die Neugier keine Sünde, und du könntest es mir also gar wohl verraten. Nur ein bißchen!«
»Ein bißchen? Giebt man einer solchen Betschwester den Finger, so packt sie gleich die ganze Hand. Den Anfangsbuchstaben will ich dir verraten, – morgen findest du ihn auf den Ostereiern.«
»Warum nicht heut?«
»Also horch: A, B, C, D, E, F, –«
Sie unterbrach mich lachend: »Willst du aufhören? Das Alphabet habe ich schon bei den Klosterfrauen gelernt.«
Da trat Vater Hans ein und brummte: »Was macht Ihr denn da für einen Spektakel? Du bist noch immer der alte Kindskopf, wie vor dreißig Jahren.«
22 »Mitzel hat das Alphabet vergessen, und da hab' ich es ihr vorgesagt. Eigentlich handelt es sich nur um ein paar Buchstaben . . .«
Ich blickte sie von der Seite an; sie hüpfte schnell zur Thür hinaus und ließ mich allein.
Nun erzählte ich Hans, daß ich mit einem Theologen aus Westfalen bekannt geworden war, einem ausgezeichneten Landwirt und Forstmann, der sich gern über tirolische Verhältnisse belehren möchte und ihm gewiß auch vieles mitteilen könnte, namentlich über Düngungsmethoden und Maschinen, die man bis jetzt bei uns nur zu wenig benütze.
»Ja, ja,« meinte er, »unsere Bauern sind eben damische Köpfe, die stets bei dem bleiben, was schon der Großvater gethan hat. Übrigens hättest du deinen Theologen gleich mitbringen können; führ' ihn das nächste Mal herauf.«
»Wir gehen jetzt beide in die Osterferien. Leb' vorläufig wohl!«
Wir schüttelten uns die Hände und schieden.
Als ich an der Geisblattlaube, die schon 23 im vollen Triebe stand, vorbei war, rief mir Mitzel, die sich dort versteckt hatte, nach: »Behüt Gott, vergiß mir die Ostereier nicht!«
Ich wandte mich um, – ihr frisches, lachendes Gesichtchen guckte zwischen den grünen Zweigen heraus, – und hob drohend den Finger: »Wart' nur, du erhältst sie früh genug. Wenn du sie essen willst, streu' Salz darauf, sonst verderben sie dir den Magen. Behüt Gott, auf Wiedersehen!«
Zu Hause ließ ich Campecheholz sieden, schnitt aus Zwiebelschalen, die gelb färben, ein »C« und ein »K«, fügte sie in ein Kränzchen von Osterkräutlein und klebte es mit Gummi auf ein Ei. Dann wickelte ich das Ei in Leinewand und legte es in den kochenden Absud. Andere Eier erhielten andere Figuren, manche ein zierliches Mosaik. Nach einer Weile hob ich sie heraus und löste sie aus den Binden; alles war wohl geraten. Sechs Eier legte ich sorgfältig zwischen jungem Laub in ein Strohkörbchen; der alte Niggl trug sie zum Pflaurerhof. Was er für ein Trinkgeld empfing, weiß 24 ich nicht zu sagen, denn bevor er zurückkehrte, trug mich der Dampf gegen den Brenner.
* * *
Die Vorlesungen des Sommer-Semesters hatten kaum begonnen, so fand sich auch mein Westfale ein. Ob er bereits dem heiligen Antonius die Aufwartung gemacht, danach habe ich mich freilich nicht erkundigt; doch schlug ich ihm vor, mich abends auf den Pflaurerhof zu begleiten, wo ich ihn dem Besitzer, einem gründlichen Ökonomen, schon angekündigt hätte.
Die Sonnenstrahlen fielen bereits schräg auf die Wiesen der Sillhöfe, als wir dem Mittelgebirge zuwanderten. Ich führte ihn nicht auf dem geraden Wege zum Hauptthor des Hofes, sondern durch den Wald an das Pförtchen, das einen schattigen Gang von Flieder und Jasmin abschloß, weil ich sicher war, hier Mitzel zu erwischen. Ein Druck auf die Klinke, die kleine Thür flog auf; sie prallte an die Staketen zurück und Christophorus stürzte mit dem Rücken an meine Brust, so daß 25 ich fast der Länge nach umfiel. Dann wurden die beiden Leutchen rot, wie die brennende Liebe draußen im Garten, und Mitzel wußte sich auch dann noch nicht zu fassen, als ich an den Fingern zu zählen begann: »A, B, C, D . . .« Endlich sagte ich ironisch: »Fräulein Maria Pflaurer, – Herr Christoph Knöpfler, – doch die Herrschaften scheinen sich bereits zu kennen.« Ich ließ sie stehen und holte Hans herbei. Was sie während meiner Abwesenheit geredet haben? Vielleicht gar nichts.
Hans lud uns in die Laube; wir setzten uns am Tische nieder, und nun konnte die Debatte über Acker und Wald beginnen. Freund Christophorus brachte anfangs allerlei verkehrtes Zeug vor. Wenn Hans von Guano redete, geriet er auf die singenden Finken; statt der Krautköpfe rühmte er die Rosensträucher. Mitzel sollte Bierflaschen aufstellen, brachte aber eine Schüssel Milch, – kurz, die Konfusion war an allen Ecken, und sie steigerte sich noch, als ich nach den Ostereiern fragte: ob Mitzel vielleicht das mit dem Kränzchen schon gegessen habe? 26 Hans schob verwundert die Brille von der Stirn auf die Nase; endlich jedoch fühlte ich ein menschlich Rühren und half den zweien aus der Patsche, indem ich von den prächtigen weißen Stieren Toskanas zu erzählen anhub. Alles kam in das richtige Geleise; als die Sterne zu funkeln begannen, stritten Christoph und Hans bereits über die Vorzüge und Nachteile der Egartenwirtschaft. Ich mahnte endlich zum Aufbruch. Mitzel wollte mir heute nicht das Pfötchen reichen; ich aber sagte ihr zum Abschied: »Wenn du vor deiner alabasternen Muttergottes den Abendrosenkranz betest, schließ' mich ein; ich hab' es redlich verdient.« Herr Christophorus sagte garnichts, sondern machte ein Gesicht, dumm wie die Nacht, welche bereits Berg und Thal umhüllte.
Hansens Einladung, bald wieder zu kommen, schien er aber doch begriffen zu haben, denn man sah ihn jetzt nicht selten auf dem Wege zum Pflaurerhof. Für mich begannen die geologischen Streifzüge; ich nahm mir nicht die Zeit, nachzuschauen, nur fiel es mir auf, daß 27 Christophorus hier und da statt des schwarzen Talares einen gewöhnlichen Anzug trug. Daraus schloß ich, die Sache werde ohne mich und den heiligen Antonius vorwärts gehen.
Die entsetzliche Schwerfälligkeit eines echten Germanen, der den Kindsbrei, den ihm die Mutter eingestrichen, auch noch mit dreißig Jahren nicht aus dem Munde bringt, hatte ich freilich in Anschlag zu bringen vergessen.
Da verbreitete sich mit einem Male das Gerücht, italienische Freischaren beabsichtigten einen Angriff auf das Trentino, ja, sie seien schon zum Einfallen in das Pusterthal versammelt. Truppen wurden an die Etsch vorgeschoben und Erdschanzen aufgeworfen; man erwartete die Einberufung des Landsturmes. Freund Christophorus stürzte in mein Studierzimmer. »Haben Sie schon gehört? Wenn es los geht, ziehe ich mit, – Franzos und Welscher gilt einem ehrlichen Deutschen gleich.«
»Doch wohl mit dem Sanitäts-Korps?«
Er trat unwillkürlich einen Schritt zurück und hob die gewaltige Tatze wie ein Bär in 28 die Luft. »Sanitäts-Korps?! Dreinschlagen will ich, wie die anderen.«
»Als Theologe?«
»Der heilige Petrus hat dem Malchus auch ein Ohr abgehauen und war ein Apostel.«
Ich beschwichtigte seinen Eifer: die Italia Irredenta werde sich nicht aus dem Kaffeehause hervorwagen; man solle nur den Stutzen am Nagel lassen.
Das schien er lebhaft zu bedauern; ich aber war mehr denn je überzeugt, daß er nicht für den Priesterstand tauge.
»Wenn Sie denn doch einmal,« begann ich wieder, »Krieg haben wollen, so können Sie ja heiraten! Die Ehe ist so gut ein Sakrament, wie die Priesterweihe; diese müßten Sie für sich allein behalten, jene können Sie mit einem hübschen Mädel teilen, etwa mit Fräulein Mitzel . . .«
Er wandte sich erschrocken ab.
»Haben Sie nie daran gedacht? Gewiß recht oft, weil Sie mir nicht zu antworten wagen. Reden wir frei und ehrlich, und daß 29 ich es thue, mag Ihnen zeigen, wie sehr ich Sie schätze, – so hoch, daß ich Sie sogar diesem trefflichen Mädel vergönne. Heraus mit der Sprache: seid Ihr schon handelseins?«
»Wie sollte ich das?«
»Genau so, wie andere, die auch nicht gescheiter sind, als Sie. Wenn Sie wollen, daß die Werbung feierlich sei, so lasse ich meinen schwarzen Frack flicken, – freilich habe ich ihn seit zwanzig Jahren nicht mehr getragen! – leihe mir einen Cylinder, stülpe gelbe Handschuhe an und trage der Mitzel Ihr Herzeleid vor, – nach Wunsch in Knittelversen.«
Er faltete die Hände: »Um Gottes willen nicht! Da thät' ich mich gar nicht mehr auf den Pflaurerhof trauen.«
Ich zuckte die Achseln: »Kommt Zeit, kommt Rat!«
Dabei fiel mir eine lustige Geschichte ein. Der Bruder des Professors Schwalt war in Dux verheiratet. Ein gesunder Bube sollte die Taufe empfangen; der Professor stand schon in vollem Wichs, mit den berühmten gelben 30 Nankinghosen, die ihm stets zu kurz waren, als Pate da, und der Pfarrer wollte den Spruch beginnen, als man den Bauern vermißte. Man rief, – keine Antwort. Da legte Schwalt das Kind auf den Tisch und ging suchen. Endlich fand er den Bruder im Heuschober versteckt und begann arg zu schelten. Der entschuldigte sich: »Weißt, wenn ich dabei bin, könnte der Pfarrer leicht glauben, ich sei der Vater.«
An dieses Geschichtlein erinnerte mich das mannhafte Auftreten unseres Christophorus. Und Mitzel? Je nun, die wurde rot, wenn man plötzlich von ihm zu reden begann.
Immer seltener trug er den Talar; unter dem geweihten Firnis wurde allmählich der lustige Forstmann sichtbar, der einen Trunk im Wirtsgarten für keine Sünde hielt, ja, sich sogar einmal auf den Tanzboden verstieg. Das wäre jedoch bald tragisch abgelaufen.
Zu Absam war Kirchweihe und nachmittags, wie es gebräuchlich, beim Bognerwirt Tanz. Christophorus hatte das wunderthätige Gnadenbild in der Kirche besucht; als er auf dem 31 Rückwege Geigen und Flöten hörte, fuhr es ihm in die Füße, Satan riß ihn links, und trotz aller Einwände des Schutzengels walzte er bald zwischen Bergknappen und Bauernburschen im tollsten Wirbel dahin. Man will auch beobachtet haben, daß er vor den Bauernmädeln kein Kreuz schlug, sondern lachte und spaßte, als ob er in Westfalen die schönsten Vorstudien gemacht hätte. Im Garten saßen Soldaten und schauten zu; endlich standen sie wie auf Verabredung auf und wollten in den Tanzsaal dringen. Die Burschen wiesen sie hinaus, Stichelreden flogen hin und her, und bald entspann sich eine Rauferei, so tirolisch derb, wie man sie nur wünschen konnte. Die Mädchen flohen schreiend in die Winkel, – ohnmächtig wurde zum Glück keine, – die Burschen griffen nach Flaschen, Krügen, Stühlen, und was sich sonst gerade von Waffen darbot. Christophorus schaute anfangs zu; als aber die Bauern verloren, sprang er mitten in den Knäuel und warf gleich ein halbes Dutzend Soldaten auf einmal zur Thür hinaus. Nun 32 faßten auch die Burschen wieder Mut, und im Nu war der Saal gesäubert; einen Offizier, der sich vom Thatbestande überzeugen wollte, schleuderte Christophorus im Schwunge den Soldaten nach, so daß er mitten zwischen sie auf den Rasen fiel.
Am nächsten Tage hatte ich die Sache vom Bognerwirt ausführlich erfahren; ich sah voraus, daß der Handel damit nicht abgethan sei. Christoph mochte nichts Gutes ahnen, und er vermied es daher, mich aufzusuchen.
Den Offizier kannte ich; auch ihn sah ich nicht mehr auf der Straße; als er mir aber wieder begegnete, trug er eine frische Schmarre vom Ohr bis zum Kinn. Mir war gleich der Zusammenhang klar: das war der Heldenarm Christophs. Mit einem Schlage hatte er auf der Mensur die Parade durchhauen, den Säbel zerschmettert und die Wange gespalten.
Endlich kam er wieder in mein Arbeitszimmer, wohl nur, um zu erfahren, ob etwa Mitzel von der Geschichte gehört habe, und was sie zu der ganzen Affaire sage. Die Kunde davon 33 hatte sich jedoch nicht über die nächstbeteiligten Kreise verbreitet; ich behielt sie für mich und dachte mir, später möge sie ihr einmal der Herr Gemahl erzählen.
Ich betrachtete Herrn Christoph von oben bis unten: »Nun, haben Sie im Talar gepaukt?«
»Ich muß mir diesen Stich gefallen lassen!« antwortete er zögernd. »Wenn Sie das Duell aus Gründen der Vernunft verurteilen, so thue ich es aus solchen der Religion. Ich habe mir sogar den Kirchenbann zugezogen, – das ließ mich ein paar Nächte nicht schlafen. Endlich wendete ich mich reumütig an den Bischof von Brixen, und der sprach mich los. Wahrhaftig, der Teufel soll mich nicht mehr ködern, – aber Zeit und Weile sind ungleich.«
»Darum sollen Sie sich eben um einen Schutzengel schauen! Mitzel . . . .«
»O,« stöhnte er, »der wag' ich mich garnicht in die Nähe. Weiß sie . . .«
»Und wenn! Sie ist zwar fromm, aber solche Stücklein halten die Mädel wohl gar für Heldenthaten und meinen, der sie vollbracht, 34 sei 'was Rechtes, nicht bloß ein Theolog, der sich kaum aus der Kutte zu schlüpfen getraut. Nachdem Sie nun wie ein wilder Stier mit den Hörnern unter eine Schar Soldaten gefahren sind, werden Sie wohl auch ihr verkünden, was Trumpf ist?«
»Ich möchte wohl, aber wenn ich will, so zittere ich, daß mir der kalte Schweiß ausbricht!«
»Vor einem Mädel?« rief ich lachend. »Oder soll sie vielleicht vor Ihnen auf die Kniee fallen? Da muß der heilige Antonius oder ich, je schneller, desto besser, euch beim Schopf nehmen und mit der Nase zusammenstoßen. Hat man je so 'was erlebt?«
Er flehte halblaut: »Ich bitte, thun Sie uns nichts zu leid.«
»Vorläufig müssen Sie mir eines versprechen: Sie beschließen Ihre theologischen Studien mit diesem Semester.«
Erleichtert gelobte er es mir auf die Hand.
* * *
35 Zwischen den Tannen auf der Hochebene bei Natters ist der Jesuitenhof versteckt. Er gehört dem Orden, der kranke Mitglieder zur Erholung hinaufsendet; im Sommer lenken die Theologen ihre Spaziergänge hierher, und dann herrscht ein heiteres Leben. Der Pfad über den Abhang kreuzt sich mit dem Wege zum Pflaurerhof; so kam es, daß ich auf der Heimkehr aus dem Walde, wo ich einige Moose gesucht hatte, die versammelte schwarze Gesellschaft streifte, die sich unter Führung des Rektors Wenig, trotz der dunklen Wolken über den Bergen des Oberinnthales, heraufgewagt hatte. Die Theologen kegelten, nur Christoph saß seitab im Talar am Katzentischchen. Er tunkte mißvergnügt ein Kipfel in ein Schälchen Kaffee und mochte wohl von einer Tonne Einbecker Bier zu Schinken und Pumpernickel träumen. Der Rektor begrüßte mich freundlich; ich zeigte auf Christoph, der sich verbeugte: »Warum habt Ihr den in den Schmollwinkel verbannt?«
Der Pater lachte: »Weil er uns die Kegel 36 zu Splitter zerwarf und sogar den geflochtenen Kugelfang sprengte! Was soll man mit einem solchen Unhold anfangen?«
Wenig war seit Jahren mein Kollege an der Universität; wir waren zugleich Mitglieder des akademischen Senates gewesen. Bin ich auch kein Freund des Jesuiten-Ordens, so unterscheide ich doch stets den Mann vom Rocke, und gerade in der Gesellschaft Jesu hatte ich manchen gediegenen Menschen kennen gelernt, der sich von unseren derben Gäutappern in Kanonenstiefeln noch überdies vorteilhaft durch seine Bildung unterschied. Dazu gehörte auch der edle, humane Wenig.
Ich winkte ihm, und wir traten hinter eine Baumgruppe.
»Glauben Sie,« begann ich leise, »daß Christoph zum Priester paßt?«
Er besann sich eine Weile und erwiderte dann: »Sie kennen ihn ebenfalls; er ist ein rechtschaffener, streng gläubiger Jüngling. Zweifeln Sie an seiner Pflichttreue, wenn er die Weihen erhalten hat?«
37 »Nein. Was er am Altare verspricht, wird er gewissenhaft halten. Darüber steht jedoch der Beruf; wer ihn verfehlt, kann elend werden, und wär' er auch der treueste Knecht im Weinberge des Herrn.«
»Er hat noch nicht die Weihen; es ist wohl möglich, daß ihn Gott für einen anderen Stand bestimmt hat.«
»Das sollten Sie ihm sagen!«
»Wir binden ihn nicht!«
»Ein Wink von Ihnen am Ende des Semesters . . .«
»Das könnte ihn kränken, und er würde vielleicht, wie es bei jungen Leuten wohl schon vorgekommen ist, aus Trotz gegen sein eigenes Wohl handeln. Für jede Seele, die meiner Leitung anvertraut ist, fühle ich mich Gott verantwortlich, und ich habe durch lange Jahre einige Erfahrung gewonnen. Zwar sieht der Menschen blödes Auge nicht in die Zukunft; bei Christoph scheint sich jedoch die Umkehr schon zu vollziehen, hat sich vielleicht schon 38 vollzogen, und er beginnt den zweiten Kurs schwerlich in unserer Fakultät.«
Von der Umkehr wußte ich mehr, als Wenig; ich hatte nur erfahren wollen, ob ihn vielleicht der Orden zu kapern beabsichtige; jetzt war ich beruhigt. Wir kehrten zur Gesellschaft zurück; Christoph betrachtete uns argwöhnisch. Ich rief ihm zu: »Kommen Sie bald nach! Der Pflaurer hat uns bestellt, seine Lärchen-Setzlinge zu besehen!« –
Hans saß im Lehnstuhle; er fluchte weidlich über die Gicht, welche ihm in die Zehe gefahren sei. Die Sache hatte jedoch nicht viel zu bedeuten, und ich versprach, ihm umgehend eine Dosis Colchicum und Lithion zu senden. Zu den Lärchen-Setzlingen konnte er uns freilich nicht begleiten; das sollte Mitzel thun, die ihm bei der Arbeit geholfen; es sei nicht weit droben auf der Höhe. Nun kam auch Herr Christoph. Hans rief Mitzel herein; sie steckte den Kopf durch die Küchenthür.
»Mitzel,« sagte ich, »schau doch in den Spiegel, sonst verrät der Rußfleck auf deiner 39 linken Wange, daß du viel mit einem Schwarzen verkehrst!«
Als sie Toilette gemacht, drohte sie mir mit dem kleinen Sonnenschirm; ganz wohl war ihr bei der Sache nicht, als ihr der Vater den Auftrag gab, uns zu führen.
»Du schaust ja so verlegen drein, als wärst du zum Braut-Examen bestellt. Sei nur ruhig, zu einem solchen Verhör hat Herr Christoph noch nicht die nötigen sieben Weihen!«
Sie schielten einander an, schlugen jedoch schnell die Augen nieder. Hatte es mir nun der heilige Geist oder Sanct Antoni eingegeben, – so oder so, – ich war entschlossen, heute den Handel zu Ende zu bringen. Beim steilen Anstieg konnte man nicht sprechen, und droben auf der Höhe mußte man doch über die Lärchen urteilen; da ich mich abseits hielt, war die Unterhaltung einsilbig genug.
Da begann der Sturm in den Bäumen zu sausen; auf ein paar scharfe Donnerschläge folgte ein Regenguß, der uns in eine nahe Bretterhütte trieb, wo wir uns in die Streu 40 setzten. Der Wind wehte kalt, und der Hagel begann lustig auf das Dach zu prasseln; um so eher durften wir jedoch erwarten, daß sich der Himmel kläre. Das geschah nach einer Viertelstunde; freilich schnitt uns ein Grat die Aussicht nach Westen ab, so daß wir das Heraufziehen eines zweiten Gewitters nicht gewahren konnten.
Was sollten wir aber auch im nassen Gebüsch anfangen? Ich riet daher zum Rückzuge. Für meine Bergschuhe und Christophs hohe Stiefel war das leicht, – wie sollte aber Mitzel hinabkommen? Die thonigen Wände des Hohlweges waren aufgeweicht, seine Sohle mit Eiskörnern gefüllt, so daß man ihn als schlüpfrige Rutschbahn hätte benutzen können. Ich dachte freilich nicht daran und sprang vorwärts; hinter mir trippelte ängstlich Mitzel einher; dem vierschrötigen Christoph fiel es gar nicht ein, ihr den Arm zu bieten. Da, bei einer Biegung, ein Schrei, – sie lag auf dem Boden, kaum daß sie sich noch mit dem Arme stützen konnte; er stand hinter ihr wie ein Pfahl, den man eingerammt hat.
41 Ich rief unwillig: »In Teufelsnamen, Herr Christoph, rühren Sie sich doch!« und faßte sie beim linken Arm, er beim rechten; so trugen wir sie zu einem Baumstrunk, auf den ich den Plaid warf. Wir setzten sie nieder; er mußte sie stützen. Ich löste ihr die Schnalle und zog behutsam den Schuh ab; einige leichte Griffe überzeugten mich schnell, daß weder ein Bein gebrochen noch ein Gelenk verstaucht war. Der Schmerz war auch nicht groß, so daß ich eine leichte Zerrung der Sehnen diagnostizieren konnte. Die Sache hatte nicht viel auf sich, und ich tröstete sie: »Nach zwei, drei Tagen kannst du wieder tanzen; vorläufig mußt du aber Ruhe halten.« Dann wickelte ich in mein Taschentuch Hagelkörner und band sie ihr über den Knöchel; dem Christoph gab ich den Schuh und raunte ihm zu, er möge ihn vorläufig als Drangeld auf den Pantoffel nehmen!
Aber wie sollten wir sie nach Hause bringen? Der Donner rollte näher und näher. »Mitzel,« sagte ich, »zu all den Übeln, die mich niederdrücken, kann ich dich nicht auf den Buckel 42 nehmen! Herr Christoph, Ihr Namenspatron hat das Christkindel samt der Weltkugel getragen, – nehmen Sie das leichte Ding! Ja, was glotzen Sie mich an? Es ist mein Ernst; sie kann ja nicht auftreten, – vorwärts, marsch! Und du sträube dich nicht, – marsch!«
Er bückte sich, hob sie empor und trug sie abwärts; ich ging sorglich zur Seite. »Wenn du dich nicht festhältst, so fällst du herab!« mahnte ich, – da schlang sie ihren Arm um seinen Hals. So erreichten wir langsam die Stelle, wo sich unser Pfad mit dem zum Jesuitenhofe kreuzt, und wir kreuzten uns mit dem Rektor.
Christoph verbarg sein Gesicht an Mitzels Busen, sie drückte das ihrige in seinen Filzhut, doch hatte er soviel Besinnung, sie nicht in die Pfütze zu werfen und davon zu rennen. Wenig schlug die Hände zusammen: »Wa . . . Wa . . . was!« und wollte auf den Verbrecher losstürzen.
Ich hielt ihn zurück: »Ruhig, Herr Kollege! Sie hat den Fuß verrenkt; überdies sind beide verlobt!« Sie fuhren zugleich empor und starrten 43 mich an; ich sprach gelassen: »Wenn es andere Leute wissen, darf es der Rektor auch erfahren, – oder schämst du dich etwa, Mitzel?«
Unwillkürlich stammelte sie: »Nein!« und mit dem Donner des freudigsten Basses fiel Christoph ein: »Ich auch nicht, ich auch nicht!«
»Wenn es so ist,« begann Wenig wieder, »haben Sie freilich keinen Beruf zur Theologie; es kommt, wie ich dem Professor Pichler vorausgesagt, und es ist recht so. Aber eines befehle ich Ihnen: legen Sie noch heute den Talar ab! Das Meldungsbuch soll Ihnen auf meine Verantwortung unterfertigt werden, – so ist jeder schlechten Nachrede vorgebeugt!«
»'Gelt's Gott!« donnerte Christoph ein zweites Mal.
»Recht ist es so!« fuhr Wenig fort. »Sie und Ihre Braut sind christlich im tiefsten Herzen; wo Christus der Grundstein der Ehe ist, da blühen auch die Rosen der Einigkeit, und das Myrtenkränzlein wird zur Krone himmlischer Verheißung!«
Beide horchten gerührt zu; ich aber wollte 44 Mitzel mit ihrem Fuße in das Bett legen und daher die Predigt, so schön sie angefangen, nicht abwarten.
»Lieber Herr Kollege, der Bräutigam hätte eine Bitte! Er könnte sie zwar bald selbst anbringen; weil er mich aber bereits zu seinem Vertrauten gemacht hat, will ich es jetzt gleich thun. Möchten nicht Sie ihn trauen? Vor dem Altar des heiligen Antonius, den beide mit solcher Andacht verehren!«
»Mit Erlaubnis des Ortspfarrers, herzlich gern!«
»Vorwärts ihr zwei! – Gute Nacht.«
Als ich den Hut schwenkte, faßte der gute Pater das Käppchen und hob segnend die Hand.
Auf dem Wege sprach von uns dreien keines ein Wort; was ich dachte, interessiert wohl niemanden; die Empfindungen Mitzels und Christophs sind gewiß in ihren Tagebüchern verzeichnet; daß sie mir nicht fluchten, hoffe ich, und in Zukunft werden sie es wohl auch nicht thun.
Vor dem Hause hieß ich ihn seine süße Last 45 auf die Bank setzen; er möge immerhin neben ihr Platz nehmen, aber fein bescheiden! Ich wolle unterdes den Vater verständigen, damit er die Hochzeit noch vor den nahen Ferien ansetze.
Väter sind oft in Bezug auf ihre Töchter mit Blindheit geschlagen; Hans war über die Mitteilungen, die ich ihm machte, sehr erstaunt, aber eben so erfreut, denn er kannte Christoph und seine Verhältnisse. Mühsam raffte er sich auf, nahm die Krücke und hinkte mit mir vor die Thür.
Die beiden waren sehr befangen; mir fiel sogleich auf, daß die Narbe an Mitzels Oberlippe etwas röter sei; war sie etwa angestoßen, oder hatten sich die zwei den ersten Kuß gegeben? Hans schien dieses Rätsel garnicht zu beachten; er faßte ihre Hände und legte sie unter Thränen schmunzelnd in einander.
»Was mich eigentlich verdrießt,« begann er, nachdem die Rührung überwunden, »ist der Umstand, daß Ihr die Sache so verschmitzt hinter meinem Rücken abgethan!«
46 Ich ließ Christoph, der sich rechtfertigen wollte, garnicht zu Worte kommen: »Die beiden Schäflein haben bis vor einer halben Stunde selbst nichts davon gewußt. Sobald der ärgste Rummel vorbei ist, erzähle ich dir alles. Jetzt will ich an Christophs Vater schreiben; wenn es dieser da thut, so wächst eine Verwirrung aus der anderen.« Damit stand ich auf.
Auch Christophs Vater erklärte sich einverstanden. »Mit der Theologie war es nie 'was rechtes,« schrieb der wackere Mann; »ich sah den Sohn nur ungern wandern; jetzt hab' ich meiner Alten den Marsch vorgetrommelt. Die Weiber müssen nicht immer recht haben, und wenn so eine Mutter Großmutter wird, hat sie selbst die größte Freude.« –
Soll ich von der Hochzeit erzählen? Sie war lustig genug. Auf die Torte ließ ich mit Zucker jenes Schnadahüpfl spritzen, das ich einst dem jungen Theologen vorgebrummt; Christoph war froh, daß er es nur lesen, nicht hören mußte. Die Braut fragte ich, ob sie dem heiligen Antonius eine Votivtafel malen 47 lasse. Ich müsse in einem Kranz von Osterkräutlein auch darauf abgebildet sein.
»Geh mir,« war die Antwort, »sei froh, wenn niemand dich anschaut, dich und deinen schmutzigen Plaid.«
»Aber eine Entschädigung krieg' ich doch dafür, daß ich dich Herrn Christoph abgetreten?«
»Du bist heimlich froh, daß du mich vom Halse hast!«
»Nun ja, so habe ich die siebente Bitte des Vaterunsers nicht umsonst gebeten! Aber wart', du Schnabel, ich werde deine ganze Geschichte drucken lassen!«
»Untersteh' dich!«
Was sie aber sagen wird, wenn ihr diese Blätter mit sauberen Lettern alles erzählen, was sie verbrochen hat?
Christoph übernahm das Gut von Hans; sein Vater zahlte zur Vergrößerung desselben eine namhafte Summe, damit der Sohn nicht umsonst aus der Schüssel der Frau esse. Sein Gut in Westfalen erhält die junge Schwester, wenn sie heiratet.
48 Nun, dafür können vielleicht wir zwei, der heilige Antonius und ich, sorgen; sie war mit den Eltern auf der Hochzeit des Bruders: ein Gesichtchen wie eine Apfelblüte, flachsblonde Zöpfe, – hat mir recht gut gefallen, – wollen sehen!