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Eine dramatisierte Novelle.
Erste Scene.
Das Sprachzimmer eines Frauenklosters. Es ist durch ein Gegitter in zween Theile abgesondert.
Ein junger Offizier gestiefelt und gespornt und gleich darauf die Priorin.
Der Offizier. (in heftiger Gemüthsbewegung) Sey mir gegrüßt, du Freistätte der leidenden Unschuld! Möchte ich in deinem Schoße finden, ach! was ich vielleicht nur im Schoße der Erde suchen sollte.
Die Priorin. (indem sie ihm einen Gruß zunickt) Sie haben mich rufen lassen!
Der Offizier. (sehr verwirrt) Ja, ehrwürdige Mutter, und . . . . (er sieht sie verstört an.)
Die Priorin. Was ist Ihr Verlangen?
Der Offizier. Mich in diese Mauern zu verschliessen.
Die Priorin. (mit unterdrücktem Unwillen) Ich verstehe Sie nicht.
Der Offizier. Ey! ich will eine Nonne werden.
Die Priorin. (mit Würde) Schwärmen Sie, mein Herr, oder wollen Sie ein eben so 151 ungebührliches als abgeschmacktes Gespött mit mir treiben?
Der Offizier. Ach! vergeben Sie mir, ehrwürdige Mutter: mein Gemüth ist zerrüttet. Ich hätte Ihnen vor allen Dingen sagen sollen, daß ich ein Frauenzimmer bin, ein unglückliches, von einem tyrannischen Stiefvater verfolgtes Mädchen, dem in der weiten Welt keine Zuflucht mehr offen bleibt, als ein Kloster oder ein Grab.
Die Priorin. Sie, ein Frauenzimmer, und wozu diese ungeziemende Verkleidung?
Der Offizier. Dieser Verkleidung allein verdanke ichs, daß ich dieses Haus erreichen konnte. Sie sollen Alles erfahren.
Die Priorin. (mißtrauisch) Wer sind Sie? Wie heissen Sie?
Der Offizier. Adeline von Schönau. Dieser Nahme kann Ihnen nicht unbekannt seyn. Mein Vater war fürstlicher Oberforstmeister; und bewohnte das Schloß Froneck, zwo Meilen von hier.
Die Priorin. Ich kenne die Familie von Schönau; ich erinnere mich den Herrn Oberforstmeister in unserm Kloster gesehen zu haben; allein dieses beweist nicht, daß Sie seine Tochter sind.
Adeline. Wenn Sie meinen Thränen, wenn Sie meinen Schwüren nicht glauben wollen, so kann ich Ihnen in diesem Augenblicke keine andere Beweise davon geben; allein schon morgen soll Ihnen kein 152 Schatten von Zweifel übrig bleiben. Bis dahin beschwöre ich Sie bei Allem, was Menschheit und Religion Heiliges haben, mich nicht zu verstossen.
Die Priorin. (bewegt) Ich bedaure Sie, armes Kind; allein in dieser Tracht kann ich Sie unmöglich unter unserm Dache beherbergen. Ich darf mich weder dem Verdachte der Schmähsucht, noch dem Aergernisse der schwachen Gemüther aussetzen.
Adeline. (fällt auf die Knie) Retten Sie mich, um Gotteswillen retten Sie mich! Ich kann dieses Haus nicht verlassen, ohne in mein Verderben zu laufen.
Die Priorin. Haben Sie denn keine andere Kleider?
Adeline. Nein; ich sah diese Verlegenheit nicht voraus, und wenn ich sie auch vorausgesehen hätte, so würde ich ihr schwerlich haben vorbeugen können.
Die Priorin. (nach einer kurzen Pause) Unter unsern Kostgängerinnen ist eine, die Ihnen an Wuchs und Größe gleicht. Ich will Ihnen eines ihrer Kleider zuschicken. Begeben Sie sich in die Wohnung der Pförtnerin, diese wird Sie ankleiden helfen; (für sich) und zugleich die Wahrheit ihres Vorgebens prüfen können.
Adeline. Dank Ihnen, ehrwürdige Mutter. Ich werde die Gefälligkeit Ihrer Kostgängerin nicht mißbrauchen. Morgen, heute noch bitte ich Sie, 153 mir mein Novizenkleid zu bestellen. Ich kann die Stunde nicht erwarten, die mich auf immer von einer Welt absondern wird, der ich einen kurzen Traum der Freude durch endlose Martern bezahlen mußte.
Zweite Scene.
Die Zelle der Priorin.
Die Priorin und hierauf Adeline.
Die Priorin. Die Pförtnerin hat Ihre Aussage bestätigt. Es wäre mir leid gewesen, wenn ein so offenes liebes Gesicht gelogen hätte; ich bin begierig, Ihre Geschichte zu erfahren.
Adeline. (in der Kleidung ihres Geschlechts; sie will der Priorin Knie umfassen) Auch zum zweitenmale würde ichs umsonst versuchen, Ihnen die Gefühle meines dankbaren Herzens auszudrücken.
Die Priorin. (sie umarmend) Nicht doch, liebes Kind; kommen Sie in die Arme einer Mutter.
Adeline. (weinend) Ach, einer Mutter; ich habe noch eine Mutter; allein ihre Arme können mich nicht schützen.
Die Priorin. Fassen Sie sich, liebes Fräulein, ich verspreche Ihnen den kräftigsten Schutz, wenn die Ursache ihrer Flucht gerecht war.
Adeline. O! gerecht, vor Gott und Menschen gerecht. Nicht nur Ihr Herz, sondern der strengste Richter wird sie gerecht finden. Urtheilen Sie; es sind nun über drei Jahre, daß ich meinen guten 154 Vater verlor; kurz vor seinem Ende verlobte er mich mit dem Sohne seines Freundes, einem Baron von Helmar, der als Offizier in holländischen Diensten stand.
Die Priorin. (staunend für sich) Helmar!
Adeline. Wegen meiner Jugend, ich war noch nicht sechzehn Jahre, wurde unsere Heirath verschoben. Mein Geliebter gieng zu seinem Regiment, das bald darauf nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung eingeschifft wurde. Die holländische Revolution brach aus; das Vorgebirge wurde von den Engländern erobert, und ich hörte nichts mehr von meinem Geliebten. Meine Unruhe wuchs mit jedem Tage. Unterdessen hatte meine Mutter den Herrn von Grünberg, den Amtsnachfolger meines Vaters, geheirathet. Ach! ich ward es nur allzubald inne, daß ich einen Stiefvater hatte. Sein Betragen gegen mich war nur so lange gütig, bis ich mich weigerte, den Absichten seines Neffen Gehör zu geben, der sich um meine Hand bewarb. Vergebens berief ich mich auf meine Verlobung mit Helmar. Man benuzte sein Stillschweigen, um mir seine Treue verdächtig zu machen; allein ich blieb standhaft. Endlich behauptete mein Stiefvater, er sey auf seiner Rükkehr nach Europa mit seinen Kriegsgefährten verunglükt, und leider konnte ich eine Behauptung nicht widerlegen, die er auf die öffentlichen Blätter stüzte. Mein Schmerz grenzte 155 an Verzweiflung. Meine gute Mutter weinte mit mir, und reizte dadurch den Zorn ihres unwürdigen Gatten. Seine Härte gegen sie vermehrte mein Unglük und untergrub ihre Gesundheit; sie wurde vom Schlage gerührt. Ihr Leben wurde gerettet; allein sie verlor die Sprache und einen Theil ihrer Gemüthskräfte. Nun glaubte mein Stiefvater, sich Alles erlauben zu dürfen: er wies mir einen Schein vor, der den Tod meines Geliebten von London aus bestätigte, und unterstüzte die Zudringlichkeit seines Neffen durch alle Kunstgriffe der listigsten Tyranney. Umsonst sezte ich ihm den Entschluß entgegen, nie zu heirathen. Ich hätte mich schon lange in ein Kloster geflüchtet, wenn nicht eine arme verlassene Mutter meiner Pflege bedurft hätte. Ach ich war ihre einzige Stütze auf der Welt! Vorigen Monat kam mein Bruder, ein kaiserlicher Offizier, auf Urlaub nach Hause. Es gelang meinem Vater, ihn gegen mich einzunehmen. Er half ihm meinen Eigensinn bestreiten; so nannte er meine standhafte Abneigung gegen einen Menschen, der meinem Helmar zu unähnlich war, als daß ich ihn hätte lieben können. Endlich fand ich den Weg zum Herzen meines Bruders: er bedauerte mich; er billigte meinen Entschluß, in ein Kloster zu fliehen. Um aber allen Verdacht zu vermeiden und meine Flucht zu begünstigen, hielt er dem Scheine nach noch immer die Parthei meiner Verfolger. Vorgestern erreichte die 156 Grausamkeit meines Stiefvaters ihr volles Maß; er gab mir noch acht Tage Bedenkzeit. Würde ich, sagte er, auf meinem Ungehorsam beharren, so wolle er mich nach dem Kloster Marienthal bringen lassen, wovon seine Schwester Aebtissin ist. Ich konnte die Behandlung voraussehen, die mir bevorstand, und da ich mich nun einmal von meiner Mutter trennen mußte, so wollte ich selber das Kloster wählen, das mich vor der Welt auf ewig verbergen sollte. Es sollte eine Freistätte und kein Gefängniß seyn. Mein Bruder billigte meinen Entschluß und half ihn mir ausführen. Diesen Morgen vor Tages Anbruch gab er mir eine seiner Uniformen; unter dieser Verkleidung hoffte ich, auch wenn man mich bemerken sollte, die Wachsamkeit meiner Beobachter zu hintergehen. Ich betrog mich nicht; ich schlich mich glüklich zum Schlosse hinaus, und erreichte das nächste Dorf. Einer unserer Pächter, der das volle Vertrauen meines seligen Vaters besaß, wurde durch meine Erzählung gerührt. Er begleitete mich zu Pferde auf einem Umwege, bis vor die Thore dieser Stadt. Hier verließ er mich; mit klopfendem Herzen setzte ich meinen Weg zu Fuße fort, und gelangte ungehindert in die Pforte dieses Klosters, wo ich unter dem Schirme der Religion und der Gesetze meine traurigen Tage zu beschliessen hoffe. Von hier will ich an meinen Stiefvater schreiben und ihm meinen Entschluß melden. Sie ehrwürdige Mutter, sollen 157 meinen Brief lesen, und da ich im Stande bin, jede Bedingung meiner Aufnahme zu erfüllen, so wird mein väterliches Erbe, das mich bisher so vielen Drangsalen aussezte, mir endlich den Vortheil gewähren, ihnen auf immer zu entgehen.
Die Priorin. Sie wissen nicht, liebes Kind, wie sehr Sie mich rühren; auch mich führte einst der Tod eines Bräutigams in diese Mauern; allein ich fand nur spät die Ruhe, die ich darin suchte. Ich beschwöre Sie, übereilen Sie sich nicht, damit Ihr Opfer Sie nicht gereue.
Adeline. Es kann, es wird mich nicht gereuen. Sie werden meine Mutter ersetzen, die bereits für mich todt ist.
Die Priorin. Das will ich, liebes Kind. In Ihren Armen, an Ihrem Herzen, gelobe ichs Ihnen; doch nicht nur eine Mutter, auch eine Schwester finden Sie hier, die mit Ihnen weinen wird. Ich wollte Ihre Erzählung nicht unterbrechen, und Sie haben es nicht bemerkt, wie sehr der Name Helmar mir auffiel. Die Schwester Ihres Geliebten ist in unserm Kloster; Sie tragen ihre Kleider. Ihr Vater, der sich eines Prozesses wegen oft von Hause entfernen muß, hat sie auf einige Zeit meiner Pflege anvertraut.
Adeline. Wer? Meine Mathilde? Gott! Wo ist sie? führen Sie mich zu ihr, ehrwürdige Mutter. Schon lange weiß ich nichts von ihr; alle 158 meine Briefe blieben unbeantwortet. Wo ist sie? Ich muß mich in ihre Arme werfen.
Dritte Scene.
Mathildens Zimmer.
Adeline. Mathilde.
Adeline. (weinend an Mathildens Busen) O! vergieb mir, liebe Freundin; ich wußte nicht, daß man dir seinen Tod verhehlt hat.
Mathilde. (die Hände ringend) Adolph, lieber Adolph, ich werde dich also nicht wieder sehen! Arme Adeline! du hast recht, daß du nach ihm keinen mehr lieben willst; noch sein lezter Brief an mich athmete lauter Zärtlichkeit und Hoffnung; in wenig Monaten, sagte er, hoffe ich an der Seite des besten Mädchens und der besten Schwester alle meine Widerwärtigkeiten zu vergessen. Doch er hat dir ja zu gleicher Zeit geschrieben.
Adeline. Mir? Seit mehr als einem Jahre erhielt ich keine Zeile von ihm. Seinen lezten Brief sandtest du mir durch den Verwalter deines Vaters.
Mathilde. Ists möglich! Nun ist mir dein Stillschweigen kein Räthsel mehr. Der Brief war vom Cap datirt; ich begleitete ihn mit einigen Zeilen, und erhielt keine Antwort. Ich schrieb dir nachher noch zweimal, und erhielt keine Antwort. 159 Vergieb mir, liebe Freundin, ich fieng an, an deiner Treue gegen meinen Bruder, und an deiner Freundschaft gegen mich zu zweifeln.
Adeline. Großer Gott! auch ich erhielt auf drei Briefe, die ich durch mein Mädchen bestellen ließ, keine Antwort von dir. Ich muthmaßte, daß mein Stiefvater sie aufgefangen habe. Nun ist mein Argwohn Gewißheit. Welch eine Kette von Greueln hat der Grausame sich gegen mich erlaubt! Gewiß hat er mein Mädchen bestochen. Der Elende! Ich sollte nichts von dir, nichts von meinem Geliebten erfahren, bis er durch die Urkunde seines Todes das Maß meines Unglücks voll machen konnte. Dieses ist ihm gelungen; aber mehr soll ihm nicht gelingen. Er soll die Früchte seiner Niederträchtigkeit nicht erndten; sein würdiger Neffe soll für mich nie etwas anders als ein Gegenstand der Verachtung seyn.
Mathilde. Armes Mädchen, wie beklage ich dich! wie viel mußt du gelitten haben!
Adeline. Und wie viel werde ich noch leiden, bis der Friede in mein Herz zurükkehrt, bis ich eine Wollust in meinen Thränen finden kann! Einen andern Frieden kann selbst diese stille Freistätte mir nicht gewähren. Doch ich habe der Priorin versprochen, daß ich an meinen Stiefvater schreiben wolle. In einer Stunde, liebe Schwester, eile ich an deinen Busen zurük. 160
Vierte Scene.
Der Priorin Zimmer.
Adeline. Die Priorin.
Adeline. Darf ich Ihnen, ehrwürdige Mutter, lesen, was ich an meinen Stiefvater schreibe?
Die Priorin. Sehr gern, mein Kind, ungeachtet Sie dieser Rechtfertigung nicht mehr bei mir bedürfen. Wäre mir noch ein Zweifel übrig geblieben, so würde Mathilde ihn zerstreuet haben.
Adeline liest: »Sie haben mich, mein Herr, mit einem Kloster bedroht. Ich habe ihre Drohung freiwillig erfüllt, und Ihnen eine neue Grausamkeit erspart. Freilich finde ich hier eine andere Begegnung als die, welche Sie mir zubereiten wollten. Doch Sie müssen wenigstens einmal meinem Herzen seine freie Wahl lassen. Wäre es nicht Ihr Plan gewesen, mich von meiner theuern Mutter zu trennen, so würde ich ihr Siechbette nicht verlassen, sondern an ihrer Seite noch fernerhin gegen mein Schiksal gekämpft haben. Da aber die Unglükliche meines Beistandes dennoch beraubt werden sollte, so bleibt mir nichts übrig, als an dem Fuße eben des Altars, auf den ich das einzige Opfer niederlegen werde, das ich dem Himmel noch bringen kann, für die baldige Befreiung der armen Dulderin zu beten. Ihnen, mein Herr, verzeihe ich alles mir zugefügte Unrecht. Ich werde der Gottheit zwar ein blutendes, aber kein unversöhnliches Herz darbieten. 161 Sollten Sie mich aber bis in meine Zelle verfolgen, so werde ich endlich die Gerechtigkeit zu Hülfe rufen, vor deren Arme blos meine Achtung für den Gemahl meiner Mutter und die Abwesenheit meines Vormunds Sie bisher beschüzt haben.«
Adeline von Schönau.
Die Priorin. Recht, mein liebes Kind, ganz recht; ich will einen reitenden Boten damit nach Froneck abschicken.
Adeline. O so könnte er auch das Kleid meines Bruders mitnehmen, und es im Vorbeigehen bei unserm Pächter abgeben; ich will einige Zeilen beilegen. Der gute Junge wird ohnehin ungeduldig seyn, mein weiteres Schiksal zu erfahren.
Die Priorin. Meinetwegen. Nur muß das Pack sorgfältig verschlossen seyn; urtheilen Sie selbst, was der Bote denken würde, wenn er wüßte, daß es eine Uniform enthält. Uebrigens muß ich Ihnen gestehen, daß mir das Betragen Ihres Bruders für einen Offizier sehr feige vorkömmt.
Adeline. Ach es ist ein Jüngling von siebzehn Jahren, der seine Stelle unserm Stiefvater zu danken hat. Durch einen auffallenden Schritt würde er sich viel geschadet, und mir wenig genüzt haben. Daher habe ich selbst ihn daran gehindert, und konnte es um so leichter thun, da ich von der Welt nichts mehr begehre als die Vergessenheit.
Die Priorin. Die Glocke ruft mich in die 162 Kirche; machen Sie Ihre Sachen bereit, in einer halben Stunde muß der Bote abgehen.
Fünfte Scene.
Adeline allein in ihrer Zelle sizt an einem kleinen Tische; sie hält ihres Geliebten Bildniß in der Hand, das sie mit Thränen benezt und mehrmals an ihren Mund drükt. Du Lieber! So lebendig, so beseelt fand ich dein Bild noch nie. Ich lese in deinen Augen; ich höre das Gespräch deiner Lippen; sie wiederholen mir die Scene dieser Nacht. Hätte der Künstler dir Arme gegeben, sie würden sich nach mir ausstrecken. Ach! meine Arme strekten sich oft nach dir aus und konnten dich nicht erreichen; aber bald, bald werden sie dich erreichen können. Wo nun mein Bildniß seyn mag, das ich am Tage des Abschieds dir mitgab? O! ich weiß, wo es ist, es sank mit dir in die Tiefe des Abgrunds; in deinem lezten Augenblicke liessest du eine Thräne darauf fallen, und legtest es dann auf dein Herz. O dein Bild soll auch auf meinem Herzen liegen, bis es nicht mehr schlägt, und auch wenn es aufgehört hat zu schlagen, soll es nicht von ihm getrennt werden. (nach einer Pause) Allein wie kann ich mir seinen Besitz im Grabe versichern? Wie kann ich verhindern, daß unheilige oder allzuheilige Hände es von 163 meinem Busen reissen? (sie sinnt nach) Ja, so kanns gehn; sie wirds thun, o sie wirds thun.
Sechste Scene.
Adeline. Mathilde.
Mathilde. Guten Morgen, Liebe; wie hast du geschlafen?
Adeline. (steht auf und umarmt sie) Sehr gut, beinahe so gut als im Grabe.
Mathilde. Arme, liebe Schwester! (sie erblikt Helmars Bild) Er ists, o er ists! (sie küßt weinend das Gemählde.)
Adeline. (halb leise und feierlich) Mathilde, fürchtest du dich vor den Todten?
Mathilde. (sie starr ansehend) Schwester! du bist nicht bei dir.
Adeline. (noch feierlicher) Fürchtest du dich vor den Todten?
Mathilde. (erschüttert) Ich habe nur erst einen Todten gesehen, es war meine Mutter, und ich fürchtete mich nicht.
Adeline. Nun so wirst du dich auch vor deiner todten Schwester nicht fürchten. Höre mich an: ich werde meinem Adolph bald folgen; ich sah ihn im Traum in unsere Gartenlaube treten, wo unsere Herzen sich ewige Treue gelobten. Er sprach nicht, aber er strekte mit dem Lächeln eines Engels 164 seine Arme nach mir aus. O! ich verstand diese Sprache, und du, meine Schwester, verstehst sie doch auch?
Mathilde. Ich beneide dir deinen Traum; allein ich finde ihn ganz natürlich.
Adeline. Ja wohl, ganz natürlich. Unsere Seelen können nicht getrennt leben; darum werde ich meinem Adolph bald folgen. Wenn dies geschieht, Mathilde, und du bist noch hier, und ich liege zur lezten Reise fertig im Sarge, wirst du den Muth haben, dich mir noch einmal zu nähern?
Mathilde. Das werd' ich.
Adeline. Meine Hände werden gefaltet seyn; denk alsdann, daß sie die Bitte wiederholen, um deren Erfüllung ich dich heute anflehe.
Mathilde. (sie umarmend) Was verlangest du, Liebe?
Adeline. Daß du mein Sterbegewand aufheben, und hier das Bild meines Adolphs auf meinen Busen legen sollst; aber ganz unvermerkt, damit man es nicht wegnehme. Ha! wenn das geschähe, ich würde es jede Nacht von der Hand der Räuberin zurükfodern. Versprichst du mirs?
Mathilde. Bei unserer Liebe, bei den Schatten unsers Adolphs gelobe ich dirs.
Adeline. (mit einer feurigen Umarmung) Dank, meine Schwester, ewiger Dank. Nun, mein Adolph, bin ich bereit; säume, o säume nicht, deine Braut abzuholen. 165
Siebente Scene.
Helmar im Sprachzimmer.
Helmar. Wie sie zaudert. Ihr Herz muß ihr nicht sagen, wer sie erwartet.
Die Pförtnerin. (in der Thüre) Das Fräulein wünschte, Ihren Namen zu wissen.
Helmar. Sag Sie ihr nur, es sey ein Freund ihres Bruders. (die Pförtnerin ab) Ich kann mir die Freude nicht versagen, sie zu überraschen. Ach eben diese Freude versprach ich mir gestern; wie schreklich hat meine Hoffnung mich getäuschtl Ach Adeline! Adeline! wo bist du hingeflohen, wo soll ich dich suchen! Hätte ich nur wenigstens ihren Bruder angetroffen . . . .. Doch vielleicht weiß Mathilde . . . .
Achte Scene.
Helmar in tiefen Gedanken. Mathilde kömmt von der innern Seite ins Sprachzimmer. Helmar wendet sein Gesicht nach einer andern Seite. Mathilde nähert sich dem Gitter.
Mathilde. Sind Sie es, mein Herr, der . . . .
Helmar. (zärtlich, indem er sich rasch nach ihr wendet) Ja, ich bins.
Mathilde. Gott! Mein Bruder! (sie sinkt halb ohnmächtig an das Gitter.)
Helmar. Schwester! Schwester! Sie hört nicht. – Sie ist ohnmächtig. – Das verdammte Gegitter. – Mathilde! Wie kann ich ihr 166 helfen? – Ich wills der Pförtnerin sagen, daß sie ihr Hülfe sende. (er eilt hinaus.)
Mathilde. (nach einigen Augenblicken) Ach, wo bin ich? habe ich recht gesehen? – Wo ist er? – Nirgends, nirgends mehr! – Gott! es war also doch nur sein Schatten! O lieber Adolph! warum verschwandest du so schnell? Komm zurük, komm zurük!
Neunte Scene.
Helmar. Mathilde.
Helmar. (im Hereingehn) Dem Himmel sey Dank; sie ist wieder bei sich. (er springt an das Gitter und faßt durch dessen Oeffnung ihre Hand, die er küßt) Liebe, gute Schwester; sey mir willkommen! Warum kann ich dich nicht umarmen? O vergieb mir den Schrecken, den ich dir verursachte. Ich wollte dich überraschen. Liebes Mädchen, nicht wahr, du verzeihst mir.
Mathilde. (freudetrunken) Verzeihen? Ach lieber, lieber Adolph. Gottlob, daß du lebest. Wir hielten dich für todt.
Zehnte Scene.
Die Vorigen. Die Priorin. Adeline.
Adeline läuft der Priorin vor, und bleibt plötzlich stehen.
Helmar. Adeline, meine Adeline! Du hier? Ach ich bin zu glüklich! Schwester steh ihr bei . . . . sie sinkt! 167
Mathilde. (faßt sie in ihre Arme) Ja, liebe Schwester, er ists, es ist unser Adolph, dein Bräutigam.
Die Priorin. Fassen Sie sich, mein Kind. Sie kann weinen! gut, gut; nun haben wir keine Ohnmacht mehr zu befürchten . . . .
Mathilde. Adeline, Adeline! siehst du ihn nicht? Sieh er strekt dir seine Hand entgegen. (sie legt Adelinens Hand in die seinige.)
Adeline. (mit leiser Stimme) Ach ich fühle an ihrem Druck wie süß es seyn muß vor Freude zu sterben.
Die Priorin. Leben sollen Sie, liebes Fräulein, für ihn leben.
Adeline. Guter Gott! Ists möglich! Sey mir willkommen, mein Adolph!
Helmar. Adeline, meine Braut! Ach und ich soll dich nicht in meine Arme schliessen?
Die Priorin. Das sollen Sie, mein Herr. Zu uns herein darf ich Sie nicht führen; allein Ihre Schwester und Ihre Braut sollen zu Ihnen hinaus kommen. Geht, Kinder, ich erlaube es euch. (sie eilen hinaus.)
Eilfte Scene.
Helmar. Die Priorin.
Helmar. Edle, großmüthige Frau, dafür möchte ich Ihre Knie umarmen.
Die Priorin. Als ob es einer Priorin nicht erlaubt wäre, ein Herz zu haben.
Helmar. Erlaubt wohl, aber nicht immer gegeben.
Die Priorin. Seit gestern, da der Zufall die guten Kinder in unserm Kloster zusammen führte, thaten sie nichts als Ihren Tod beweinen. Adelinens Stiefvater wollte sogar die Urkunde davon besitzen.
Helmar. Der Elende! Es ist nicht das einzige Bubenstük, dessen er sich schuldig machte. Doch ich höre sie kommen. (er eilt nach der Thüre.)
Zwölfte Scene.
Die Vorigen. Adeline und Mathilde stürzen zu gleicher Zeit in Helmars ausgebreitete Arme. Eine lange Pause. Die beiden Mädchen drücken Helmar in stummer Entzückung wechselsweis an ihr Herz. Er erwiedert ihre Umarmungen. Ihre Freudenthränen vermengen sich.
Adeline. (gen Himmel blickend) Auch du, Allgütiger, hast deinen Antheil an diesen Thränen.
Die Priorin. (gerührt für sich) Schöner ward nie in diesen Mauern gebetet.
Adeline. Es ist also kein Traum; ich habe dich wieder, du Auferstandener!
Mathilde. Seit sechs Monaten erhielten wir keinen Buchstaben von dir.
Helmar. Das wundert mich. Ich habe doch aus Lissabon geschrieben. Wir litten unweit dem 169 grünen Vorgebirge Schiffbruch, und ein portugiesisches Fahrzeug nahm diejenigen unter uns auf, die sich retteten.
Adeline. Ach Gott! eben dieser Schiffbruch, dessen die Zeitungen erwähnten, war für mich die erste Botschaft deines Todes. Mein Stiefvater machte sich die barbarische Freude, mir das Blatt vor Augen zu legen.
Helmar. Der Unmensch! ich flog gestern nach Froneck; ich fragte nach Adelinen: Sie ist entlaufen; antwortete er mir frostig. Ich fragte nach ihrem Bruder: Er ist abwesend. Ich verlangte ihre Mutter zu sprechen: Das können Sie nicht; sie ist der Sprache und des Verstandes beraubt. Bei diesen Worten ließ er mich stehen. Urtheile von meiner Verzweiflung. Sein Schloß, sonst mein Paradies, ward mir zur Hölle. Ich verließ es, um in den Armen meiner Schwester mein Unglük zu beweinen! mir ahnete nicht, daß ich hier das Ende desselben finden sollte.
Adeline. Ein guter Engel hat mich in dieses Kloster geführt.
Mathilde. Und dein anderer guter Engel wird dich wieder herausführen.
Die Priorin. (lächelnd zu Adelinen) Nun brauche ich Ihnen wohl kein Novizenkleid zu bestellen?
Helmar. Ein älteres Gelübde ruft sie zum Altare. Dein Vormund, meine Adeline, ist von 170 seiner Reise zurük. Morgen werde ich zu ihm eilen, und deine Hand von ihm fodern, die deine Eltern mir schon vor drei Jahren zugesagt haben. Du erlaubst es mir doch?
Adeline. (lächelnd) Ich erlaube dir deine Frage selbst zu beantworten.
Helmar. (drükt ihre Hand an seinen Mund) In dieser Hand liegt die Entschädigung für alle meine Leiden. (zur Priorin) Ihnen, ehrwürdige Frau, überlasse ich meine Braut; aus Ihrer Mutterhand werde ich sie in einigen Tagen empfangen, und mit ihr meine Schwester in die Arme unsers Vaters zurükführen.
Die Priorin. Das Amt einer Brautmutter ist neu für mich; allein ich nehme es an, und wenn ich Ihre Adeline nicht zum Traualtare begleiten kann, so werde ich ihr doch meinen Segen mitgeben. 171