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Vorwort

Leserinnen und Leser!

Hier übergeb' ich Ihnen den Roman des Petron in die teutsche Sprache übersetzt. Ohne allen Zweifel ist Ihnen allen der Name dieses Aristippischen Wollüstlinges schon bekannt; ob Sie aber alle sein so genanntes Satyricon gelesen haben werden, kann ich nicht so gewiß wissen, da es durch Mönche, die vermuthlich aus dem sündlichsten Saamen gezeugt waren, und durch Erklärer und Verbesserer so sehr verunstaltet worden, daß es schwerlich zu lesen ist.

Ich wünsche und hoffe, daß Sie durch diese Uebersetzung den Mann besser kennen lernen mögen. Man hat zwar auch sechs französische Uebersetzungen von diesem Romane, aber ich weiß nicht, welcher feindseelige Dämon die Verfasser davon verhinderte, daß sie, wie ich und andere Leute glauben, sehr selten den Gedanken des Petron, und den Ton, in welchem er ihn sagte, getroffen haben; – und dennoch glaubte Jeder, daß er den Petron am besten übersetzt, so – wie auch ich es glaube.

Wir sind alle Menschen. Entschuldigen wir die nothwendigen Fehler der Menschheit! Man kann nicht, ohne eine Sünde zu begehen, von dem geringsten Erdensohne verlangen, daß er sich selbst für unwissend und kein Genie halten solle.

Sie dürfen nicht darüber erröthen, wenn man Sie bey Lesung dieser Uebersetzung antreffen wird. Ich weiß es sicherlich, daß diesen Roman die keuschesten aller Göttinnen, die Grazien, selbst gelesen haben. Schalkhaft spotten sie in einem gewissen Gedichte, welches man ihnen entwendet, über den Enkolpion, daß er bey der reizenden Circe – sich nicht besser aufführte. Die Erzählungen des Boccaz, la Fontaine und Crebillon sind weit ärger; und welche Dame unter Ihnen und welcher Herr wird sich schämen, diese gelesen zu haben, zu lesen und noch vielmahl lesen zu wollen?

– »Das wollen wir schon besorgen, Herr Uebersetzer! wenn nur die Uebersetzung gut gemacht ist! – «

Sie ist ganz vortrefflich! das werden Sie sehen! –

Nun muß ich Ihnen vor allen Dingen was von den Lebensumständen des Petron erzählen.

Wir wissen nur aus dem Tacitus, einem sehr heiligen und strengen Geschichtschreiber, was gewisses von ihm. Dieser erzählt seinen Lebenslauf, wie folget.

– »Er brachte den Tag mit Schlafen zu, und die Nacht mit Geschafften und den Freuden des Lebens. Andere Menschen werden durch Fleis berühmt, dieser aber wurde es durch seine Unthätigkeit. Auf diese Art lebten fast alle göttlichen Genieen auf dieser sublunarischen Erde, und leben noch so. Sie wissen, leider! nicht, was sie da mit gutem Gewissen machen sollen; denn den mehrsten unter ihnen war und ist das Talent nicht gegeben, wie mein lieber Jakob Rousseau Noten schreiben und graben und hacken zu können. Man könnte fast allen die Grabschrift machen, die la Fontaine sich machte:

Quant à son tems bien sçut le dispenser
Deux parts en fit, dont il soulait passer
L'une à dormir, et l'autre à ne rien faire.

Man konnt' ihn für keinen Hurer und Verschwender halten, der wie die mehrsten das seinige verpraßte, sondern für einen gelehrten Wollüstling. In seinen Reden und ausgelassenen Handlungen war eine gewisse Nachlässigkeit, welche unter dem Schein einer edeln Einfalt Iedem angenehm war. Doch zeigte er sich als Proconsul in Bithynien und gleich darauf, als Consul, wie einen Mann, der fähig sey, wichtige Geschäffte mit Munterkeit auszuführen.

Nachdem er frey davon war, so zog ihn sein Hang zum Vergnügen wieder auf das Blumenlager einer verfeinerten Wollust und er wurde unter die wenigen Günstlinge des Nero, als Oberaufseher über seine Vergnügungen aufgenommen, und Nero hielt nichts für angenehm, als was ihm sein Petron dafür empfolen hatte.

Tigillin wurde deswegen auf ihn eyfersüchtig, als seinen Nebenbuhler, der ihn weit in der Kenntniß der Wollüste übertraf. Er griff also die Grausamkeit, die Hauptleidenschafft des Monarchen an, beschuldigte den Petron, daß er ein Mitverschworener des Scevin sey, bestach einen Sklaven, daß er ihn angab, und damit ihm alle Mittel zur Vertheidigung benommen wären, ließ er den größten Theil seiner Familie in Bande werfen.

Von Ohngefehr reiste der Kaiser zu dieser Zeit nach Campanien bis nach Cumen; woselbst Petron aufbewahret wurde. Dieser konnte den Zustand zwischen Furcht und Hoffnung nicht länger erdulten; doch nahm er sich nicht plötzlich das Leben, sondern ließ sich die Adern öffnen und, wie es ihm gefiel, wieder verbinden und wieder eröffnen. Während dieser Zeit unterhielt er sich mit seinen Freunden, aber nicht von ernsthafften Dingen, als wenn er den Ruhm eines standhafften Weisen erlangen wollte, sondern er scherzte mit ihnen. Nichts wurde von der Unsterblichkeit der Seele und den Lehrsätzen der Philosophen gesprochen, sondern leichtfertige Gedichtchen liebliche Verschen wurden gesungen. Einigen von seinen Sklaven gab er Geschenke und einige ließ er züchtigen. Er gieng unter grünen Lauben spazieren und schlummerte bisweilen, so daß er seinen gezwungenen Tod in den besten natürlichen verwandelte.

In seinem Testamente schmeichelte er weder dem Nero, wie es die mehresten seiner Vorgänger gemacht hatten, noch dem Tigillin, noch irgend einem andern Günstlinge, sondern beschrieb die schändlichen Handlungen des Tyrannen unter den Namen von Buhlern und Buhlerinnen, und schilderte ihm jede seiner neuerfundenen Arten von Hurereyen, und übersendete versiegelt diese Schrifft dem Nero, und zerbrach den Ring, mit welchem er sie versiegelt hatte, damit man nicht andere damit in Gefahr stürzen könne.

Nero konnte lange nicht ausfindig machen, woher er die Begebenheiten seiner Nächte erfahren hätte; endlich fiel der Verdacht auf die Silia, die sehr wohl bekannte Gemahlin eines Senators, welche er selbst zu allen Arten von Wollust gebraucht, und die eine sehr gute Freundin von Petron war.

Sie wurde aus Rom verbannt, weil sie zu ihrer eignen Schande nicht verschwiegen, was sie gesehen und erdultet hatte. – «

Soviel erzählt Tacitus vom Petron.

Höchst wahrscheinlich ist es also, daß der Verfasser dieses Satyricons der nämliche Petron sey.

Verschiedene Gedanken darinnen sind Kinder von einem Geiste gebohren, den eine Aspasia unter dem süßesten Ionischen Himmel erzogen zu haben scheint. Was für reine Empfindungen der Wollust sind nicht in der schönsten römischen Musensprache in diesem Gedichtchen besungen:

Welch eine Nacht! ihr Götter und Göttinnen!
Wie Rosen war das Bett! da hiengen wir
Zusammen im Feuer und wollten in Wonne zerrinnen!
Und aus den Lippen floßen dort und hier
Verirrend sich unsre Seelen in unsre Seelen!
Lebt wohl ihr Sorgen! wollt ihr mich noch quälen?
Ich hab' in diesen entzückenden Secunden,
Wie man mit Wonne sterben kann, empfunden!

Anakreon, Horaz, Ovid, Chaulieu und Dorat und selbst Tibull haben die Wollust nie so schön empfunden besungen! – wenn ich eben iezt nicht zu parteyisch bin, wie ich nicht glaube. Man halte nur dieses einzige Gedichtchen zu den Zügen, welche Tacitus von seinem Petron gemacht hat, so wird man den nämlichen Mann finden, oder ich müßte nicht empfinden können. Auch hier findet man diese reizende Nachlässigkeit, welche unter dem Schein einer edeln Einfalt Iedem angenehm war. Er starb beynahe wirklich, wie er hier sterben wollte. So starb vermuthlich Aristipp, Horaz und Mäcen; und wie sie und Ovid sterben wollten, Laidion. –

Er lebte mehr nach der Philosophie des Aristipp, als des Epikur, welcher leztere nur ein hochmüthiger Schüler des Aristipp war und dessen Lehrsätze für seine eignen ausgab. Wie Boccaz und der jüngere Crebillon in der Lehre von der Liebe verschieden sind, so waren vielleicht Epikur und Aristipp es in allen. Dieser Unterschied läßt sich mehr empfinden, als deutlich beschreiben.

Die Gelehrten behaupten, daß dieser Roman die nämliche Schrifft sey, welche er dem Nero in seinem Testamente übersendet habe. – Ich weiß nichts davon. Wenigstens find' ich nicht viel von dem darinnen, was nach dem Berichte des Tacitus darinnen stehen sollte. Circe könnte Silia seyn; und wahrscheinlich kann man das machen; und Quartilla eine andere Buhlerin des Nero. Aber schwerlich wird man in dem Enkolp, Eumolp oder Trimalcion den Nero finden können. Die gewisse Geschichte des Nero zeigt uns einen ganz andern Mann. Ich überlaß' es, wie es sich geziemt, der Willkühr der Leserinnen und Leser, in den Personen dieses Romans zu finden, wen sie wollen, da sich nichts gewisses darüber sagen läßt.

Petron hat ia ausser seinem Testamente noch mehr geschrieben, wie wir von den Alten wissen; und es ist nicht wahrscheinlich, daß er das schöne Gedicht auf den bürgerlichen Krieg dem Kaiser in seinem Testamente, als eine Satyre mit übersendet habe. Vielleicht übersendete er ihm nur einige Fragmente von diesem Romane, welche insbesondre ihn betrafen; z. B. die Begebenheiten des Enkolp mit der Circe und der Quartilla, nachdem er den ganzen Roman vorher seinen Freunden übergeben hatte, und noch andere Stücke davon, welche verlohren gegangen sind – doch das sind Muthmasungen, und weiter nichts.

Und so viel denn von dem Verfasser dieser Schrifft.

Nun muß ich mich wohl bey den strengen, tugendhafften Weisen vertheidigen, daß ich diese Schrifft übersetzt habe. Ich habe alle Hochachtung und Verehrung gegen diese Männer in meinem Busen, die man von einem edeldenkenden Menschenkinde verlangen kann. – Die weinerlichen, triefäugigen Dudeldumianer rechn' ich freylich nicht zu diesen Weisen; diese verdienen höchstens ein muthwilliges Gelächter. – Nein! bey denen Männern will ich mich vertheydigen, die so denken, wie der Verfasser des Jahres zwey tausend vier hundert und vierzig, welcher den Petron, so wie die Sappho und unsern vielgeliebten Anakreon, samt dem Catull und ihres gleichen, aus einer Republik, die von Weisen regiert wird, verbannet.

Meine Herren

Wenn das menschliche Geschlecht den Grad von Vollkommenheit, noch bey meinen Lebzeiten, wird erreicht haben, welchen Confucius und Sokrates und alle deren Nachfolger ihm wünschten – welchen Xenophon und der träumende Plato und Morus und der Verfasser des Jahres 2440 und besser als alle Helvetius und reizender als alle Wieland – in ihren goldenen Spiegeln den sehenden Erdenbürgern zeigten, – und Pindar, Virgil und Horaz und Gesner, Wieland, Gleim und Jakobi und der achtzehnjahrhundertige Voltaire denen, die da hören, vorsangen –

Dann will ich grausamer, als Gregor, der Griechenverbrenner, unerbittlicher, als der Pfarrer im Don Quischott mithelfen ins Feuer werfen – alle Ausgaben des Petron, Lucian, Boccaz, Molza, Casa des Erzbischoffes, Lazarelli, Berni, Bembo des Cardinais, Aretin, Dolce, des sechssinnichten Grecourt und des geliebten la Fontaine und Crebillon – alle Komödien – ausser zwoen von Leßingen – alle Tragödien – ausser denen des Shakespear und ** und ** und **** – und alle Romanen – ausser meinem Don Quischott, Tom Jones und Agathon! (das könnt' ich unmöglich thun, und wenn man mich mit der Tortur dazu zwingen wollte, daß ich nur einen davon, wie gewisse Censoren an der D** mit Füßen träte – welche Distelgeister!) – und kurz!

Alle Bibliotheken zusammen irgend hundert Bücher noch ausgenommen. Denn fast alles, was gut und schön geschrieben worden ist, entfernt uns von dem Genuße der unschuldigen Freuden der Natur, wie Sirenengesänge den Ulysses, auf Klippen, an welchen unsere Glückseeligkeit den erbärmlichsten Schiffbruch leidet; und dann waren die Griechen die weiseste Nation, das auserwählte Volk der Grazien und Musen, und hatten wenig Bücher, mit welchen Pedanten der Jugend ihr jugendliches Leben hätten abstehlen können.

Aber da wir sehen und hören, daß alles Singen und Sagen der Weisen nichts fruchtet, daß alles seinen alten Gang gehet – daß die schnurgeraden ordentlichen Republiken des göttlichen Plato und des Bürgers des Jahres 2440 niemals gewesen sind und nie seyn werden, so lange uns nicht ein Pygmalion die Gnade anthut, uns in stählerne oder hölzerne Maschienen zu verwandeln, und so lange nicht alle Gegenden des Erdbodens den fünf und vierzigsten Grad der Breite erhalten, so wollen wir uns denn auch keines Verbrechens schuldig gemacht zu haben glauben, wenn wir eine sehr wohlgerathene Uebersetzung des Petronischen Romans den ehrlichen Teutschen zu Nutz und Vergnügen drucken lassen. – Wir würden es so nicht über das Herz bringen können, einige von unsern Lieblingsautoren, welche wir oben, den strengen Herrn zu Gefallen, genannt haben, auch in einem Elysium, wo sie selbst wären, ins Feuer zu werfen. –

Man dürfte wenig Bücher lesen, wenn man keines lesen dürfte, woraus ein Narr oder Geck Gifft für seines Geistleins Seeligkeit hohlen könnte. Die besten Bücher können schaden. Wie mancher hat sich schon durch die Gesichter in der Offenbahrung Johannis, einem der heiligsten Bücher, nach der gründlichen Meinung der allergrößten Gottesgelehrten, die Nerven in seinem Gehirne verrückt! Soll man es deswegen nicht lesen und sich daraus herzlich erbauen? Hat nicht der tapfre Schweizer Lavater in diesem Buche die besten Gründe für das tausendjährige Reich der christlichen Kirche und die herrlichsten Aussichten in seine herrlichen Aussichten in die Ewigkeit gefunden?

Wie viel gute Lehren kann man aus den Erzählungen des Boccaz und der Margarethe von Navarre und des Hanns la Fontaine und Rosts und Wielands lernen? Wie sehr kann man sich auch darüber erbauen und sich freuen? Welch eine seelige Wonne kann man bey dem Sopha des Crebillon und seinem beliebten Schaumlöffel empfinden? Wenige unter uns Weibeskindern verstehen freylich die Kunst, wie die Bienen, das Honig zu suchen! Aber liegt die Schuld an uns unschuldigen Uebersetzern, Erzählern und Dichtern?

Die Dichter, Mahler und Romanschreiber haben ihre eigne Moral. Es wäre eine sehr unbillige Forderung, wenn man von ihnen verlangte, sie sollten lauter Grandisonen, Madonnen und Crucifixe und Meßiaden zur Welt bringen. Die Moral der schönen Künste und Wissenschaften zeigt die Menschen, wie sie sind und zu allen Zeiten waren, in hervorstechenden Handlungen, allen Menschen zum Vergnügen, zur Lehre und Warnung.

Es ist einem Genie also erlaubt, alles zu beschreiben und zu mahlen, was geschehen ist und geschehen seyn kann. Es ist ihm erlaubt, die schönsten und häßlichsten Handlungen und Gedanken der Menschen in den ausdrückendesten Worten zu erzählen und zu mahlen. Nur dann allein ist er strafbar, wenn er die abscheulichen Laster, als gute Handlungen anpreiset.

Nun ist die Hauptfrage: was ist eine gute, was ist eine böse Handlung? was ist Tugend?

Iezt ist das weiter nichts, als ein Wörtchen, womit die Schurken und Heuchler dieser Erde die unschuldigen Kinder, von der Natur zur Freude geschaffen, unglücklich zu machen suchen. Denn sie wissen nicht, was sie ist, und haben die süße Wonne nie empfunden, mit welcher sie alles, was in uns empfindet, entzücket. Hier kann ich nicht unterlassen, einige Verse aus einem Gedichte anzuführen, welche sehr gut sind, ob das Gedicht gleich selbst öffentlich durch die Hände des Scharfrichters ist verbrannt worden. Man kann auch dieses als ein Beyspiel ansehen, daß man in dem schlimmsten Buche etwas gutes finden könne, wenn man unter die Bienen gehört.

De la vertu chacun vante la gloire
C'est un beau mot, il trompe les humains –
Un moine obscur, feu Saint François d'Assise
A pris pour elle un grotesque cordon.
Benoit, Pacôme, Antoine, Hilarion
Dans le désert ont jeûné pour lui plaire;
Frère Gusmand la mit dans un Rosaire,
François de Paul dans la soupe à l'oignon.
Le vieux Simon en fit un scapulaire,
Bruno lui mit un pesant capuchon

u.s.w.

Man könnte beynahe von diesem verbrannten Buche die Anmerkung machen, welche Voltaire dem Könige von Dänemark sagte:

Un livre est-il mauvais? rien ne peut l'excuser.
Est-il bon? tous les Rois ne peuvent l'écraser.
On le supprime à Rome et dans Londres on l'admire,
Le Pape le proscrit, l'Europe le veut lire.

Denn so bald es verbrannt war, so stieg es gleich dem Vogel Phönix schöner aus seiner Asche hervor.

Ein Tugendhaffter ist ein Geschöpf, welches bey ieder Gelegenheit in seinem reinen Busen ein süßes Wallen empfindet, welches ihn reizet, allen Geschöpfen Freude zu verschaffen und sich selbst zu freuen und alles Elend zu entfernen. Und auf diese Art kann man ein tugendhaffter Mann seyn und komische Erzählungen machen, wie Chaulieu und Voltaire dichten, und kurz! den Petron übersetzen. Diese Tugend reizt uns freylich nicht, einfältigen Vorurtheilen, die zur Schande des menschlichen Geschlechts schon viele Galiläi und Cervantes unglücklich gemacht haben, Weyrauch, als Göttern zu opfern. Der Tugendhaffte verehret nur dann die Vorurtheile, wenn sie glücklicher machen als die Wahrheit, an deren Stelle sie stehen.

Ein Dichter richtet sich nach der Moral des Volkes, dessen Landesleute er reden und handeln läßt, – das ist: nach deren Sitten und Gebräuchen. Die Knabenliebe war z.B. bey den Griechen und den mehrsten alten Völkern erlaubt und der göttliche Plato will in seiner Republik seine Helden mit dem Genuße der schönsten Knaben belohnen –

– »Was die Heyden für abscheuliche Ungeheuer waren! welche Bestien müssen die übrigen gewesen seyn, da einer von ihren Weisen, der als der tugendhaffteste ausgeschrieen ist, solche Verbrechen und Lasterthaten in der besten Republik hat verordnen können! und noch dazu zur höchsten Ehrenbezeugung und Belohnung! Und sollte man nicht die Ungeheuer aus unserm Lande jagen, welche die Glückseeligkeit der Griechen immer so sehr ausposaunen und erheben? – «

Gleich will ich Ihnen antworten Herr Lactanzianer! Lactanz, nennt eben auf diese Art den göttlichsten Mann auf dieser Erde, welchen einige andere Kirchenväter zum Vorläufer Christi machen, den Sokrates »einen einfältigen, dummen, rasenden, verwegenen, hirnlosen Kerl und Schwätzer«.

Die Griechen und alle aufgeheiterte Nationen – ich muß es nur einmahl sagen, da es keiner von unsern Genieen noch gesagt hat und sagen will – hielten die Theile des Leibes, weswegen wir armen Erdensöhne und Töchter wir wissen selbst nicht, warum? – uns so sehr zu schämen pflegen, nicht für das Allerheiligste im Himmel und auf Erden, mit welchen man bey Lebensstrafe ja nichts anders berühren dürfe, als ein Mann ein einziges Theilchen an einem einzigen gewissen Weibe und ein Weib ein einziges Theilchen an einem einzigen gewissen Manne, das und den man sich nach seinem Gefallen auswählen könnte, ausser denen Personen, welche Gott verboten hätte – damit das Blut nicht vermischt würde. – O heiliger Sokrates bitte für uns möchte man hier mit dem Erasmus ausrufen.

Davon, mein Herr, wußten die Griechen nichts. Wie konnten sie es auch wissen, da sie es weder an den Gestirnen des Himmels, noch in dem Schoose ihrer Mutter Erde lesen konnten? So viel allein konnten sie aus den Gesetzen der Natur wissen, daß man von einem Manne in seiner Blüthe nicht mehr verlangen könne, als daß er iedes Jahr ein Kind dem Staate zeuge, weil ein Weib neun Monathe zu der Geburt desselben nöthig habe, und doch wenigstens drey Monathe vom Jahre ausruhen wolle. Sie verlangten also auch nicht mehr von einem Manne. Die Zeit, welche die Männer nach Vollbringung dieses wichtigen Werks übrig hatten, wendeten sie zu ihren bessern Vergnügen an und die Gesetze des Staates erlaubten es ihnen. Wer will ihnen beweisen, daß ihre Vergnügungen mit schönen Ganymeden sie nicht mehr hätten entzücken sollen, als mit ihren Weibern? Ieder Mensch hat den Maaßstab seines Vergnügens in seiner eignen Brust; und ieder von diesen Maaßstäben ist verschieden. – Selbst einer von den größten Weisen unter den Alten, ein Kenner des wahren Guten und Schönen, Lucian zieht die Knabenliebe der Frauenliebe in seinem Gespräche über die Liebe vor; und Zeno, der Luther und Calvin der stoischen Secte, welche Montesquieu für die weiseste hält, die ie auf Erden war, sagte in seinen Streitschrifften: »Es ist kein Unterschied, ob man bey einem Knaben oder Mädchen den Trieb zur thierischen Wollust stillet; es ist gleich anständig, man mag lieben wen man will.« Ferner lehrte Chrysipp öffentlich in seiner Republik: »Ich halte es für das beste, wenn man die Sachen so einrichtet, daß eine Mutter mit ihrem Sohne, ein Vater mit seiner Tochter und ein Bruder mit seiner Schwester Kinder zeugen kann.« Sextus Empiricus führt diese Stellen am Ende seines Systems zu zweifeln an, woselbst er eine ganz abscheuliche Stelle für uns aus eben diesen Streitschrifften des Zeno anführt, welche ich der Seltenheit wegen noch übersetzen will.

»Ich weiß nicht«, sagt er, »warum man sich wundert, daß Oedip seiner Mutter lokasta ehelich beygewohnet hat! denn wenn seine Mutter krank gewesen wäre, so würd' er ihren Schmerz ein wenig haben besänftigen wollen, indem er sie mit seinen Händen an irgend einem Theil ihres Leibes gejuckt hätte, und man würde nichts unanständiges in dieser Handlung gefunden haben. Warum sollte man für unanständig halten, wenn er seine Mutter ergötzte und sie tröstete, indem er ihr einige andere Theile des Leibes juckte und dadurch rechtmäßige Kinder mit ihr zeugte?« Diese Stelle lehrt uns den Zeno besser kennen, als alles Lob und aller Tadel, womit ihn die Alten belegt haben.

Der guten, wohlthätigen Natur hat nun diese Mannigfaltigkeit der Neigungen der Menschen so beliebt; und du Geschöpf von ihr willst deine Mutter tadeln? –

Wie man sich doch in der Hitze übereilen kann! – Vergeben Sie mir diese harte Stelle! ich bitte Sie um unsrer schwächlichen Menschheit willen! Nein! meine Matronen und Herrn! nein! nein! ich billige die Knabenliebe gar nicht! das, weswegen ich dem Heuchler Augustus noch gewogen bin, ist hauptsächlich dieses, daß er legem Scantinam erneuerte und legem luliam gab und legem de adulteriis et pudicitia und legem de maritandis ordinibus – in welchen Gesetzen allen die härtesten Strafen auf die Knabenliebhaberey gesetzt waren. Die Knabenliebe ist gerade zu wider die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts und läßt keine blühende Nachwelt erwarten. Nein! ich billige die Knabenliebe gar nicht! Ich liebe das schönere Geschlecht zu sehr, als daß ich seinen Verlust dabey so gelassen mit ansehen könnte; und wer hat einen so verderbten Busen, daß er bey einer reizenden Glycerion nicht mehr Wonne des Lebens zu empfinden glauben kann, als bey einem schönen Ligurin oder Bathyll? Nur ein Schatten von der Empfindung, ein Kind der Liebe dem Staate zu geben, ist mehr, als alles, was Anakreon und Horaz und Virgil und, was die Damen betrifft, Sappho von ihrer Wollust gesungen haben.

Petron selbst dachte eben so, wie ich hier denke. Seine Erzählung von den Begebenheiten des Giton ist weiter nichts, als eine Satyre. Aus verschiedenen satyrischen Zügen auf die Knabenliebhaber will ich nur die Begebenheit mit der reizenden Circe anführen – Hier, zeigt Petron – hätte wenigstens einer von den grauhaarigten Erklärern, den Burmännern, Salaßen, Erhardten und Heinsen ausrufen können, damit ich es nicht thun müßte – was die Unmäßigkeit in der Knabenliebe für bittere Folgen habe! die größte, höchste Wollust seines Lebens mußte Enkolpion einbüßen, weil er immer bey seinem Giton geschlafen hatte, und war nicht im Stande, eine Liebesgöttin, die ihn mit den feurigen Armen lechzender Begierden umschlang, glückseelig zu machen!

Auf diese Art macht' Petron seine Satyren! diese greifen das Herz und den Verstand an! er poltert und prediget nicht Bußpredigten, wie luvenal! von diesen wußte er, wie wir alle wissen, daß sie leider! nichts helfen.

Noch muß ich auch den Kunstrichtern etwas zum Vorberichte sagen.

Meine Herren

Aufrichtig will ich Ihnen es gestehen, daß ich wenig von den Eigenschafften besitze, die man gewöhnlicher Weise von einem Uebersetzer verlangt. Einer von den ersten und schönsten Geistern der teutschen Nation schrieb mir, da ich ihm Nachricht von dieser Uebersetzung gegeben hatte, zur Antwort: »Ich halt' es Ihrem Genius für leichter, selbst ein Satyricon von irgend einem Kaiser im Monde zu schreiben«, aber die Uebersetzung war schon beynahe fertig.

Wir haben noch wenig erträgliche Uebersetzungen von den griechischen und römischen Schrifften. Die Franzosen haben dadurch ihre Sprache bereichert und vervollkommet und Weisheit, Sitten und Kenntnisse der aufgeheitertesten Genieen der Griechen und Römer ihrer Nation mitgetheilet, so wie auch die Italiäner und Engelländer– warum sollten wir Teutschen nicht auch anfangen, die Meisterstücke dieser Alten zu übersetzen, da ihre Weisheit auf fremden Boden verpflanzt, so schöne, gesund machende Früchte bringt.

Ich habe den Petron gewählt, weil – die Franzosen sechs Uebersetzungen davon, und wir noch keine haben; und weil ** und weil ** und weil mir viele Stellen in dieser Schrifft so sehr gefallen, daß ich sie gern unsrer Nation in ihrer Sprache sagen wollte.

Mir war nichts angelegners bey dieser Uebersetzung, als ieden schönen Gedanken und schönen Ausdruck und ieden starken Gedanken und starken Ausdruck in seiner ganzen Schönheit und ganzen Stärke in unsre Sprache überzutragen. Finden Sie einige Gedanken und Ausdrücke, meine Herren, wo dieses nicht geschehen ist, so bitt' ich Sie, mir dieselben anzuzeigen; ich verspreche Ihnen, wenn Sie Recht haben, mit Ihren Anmerkungen darüber, wenn sie mir zu Gesichte kommen, bey der zwoten Ausgabe diese Uebersetzung zu verbessern. Ich bin wohl eins von den gutherzigsten Geschöpfen – ich muß nur à la Montagne mich ein wenig selbst loben – die auf dieser Erde herum wandeln und weiß sehr wohl, daß ich Fleisch und Blut und Mängel und Gebrechen, wie alle Menschen habe. Meine eigne Erfahrung und nicht allein Lucian und Sextus haben mich das gelehret. Beleidiget man mich mit Bosheit, dann wehr' ich mich, wie ein Grieche, wie ein Spartaner; sagt man mir was gar zu einfältiges, so thu ich, als wenn ich es nicht gehört hätte, wie ich schon offt es gethan habe, oder lasse meiner Laune, mit welcher mich die Natur, ich weiß noch nicht, ob zum Glücke oder Unglücke, reichlich beschenkt hat, ihren Willen; lehrt man mich aber etwas gutes, das ich noch nicht gewußt habe, dann möcht' ich dem Manne, der es thut, das Herz aus dem Leibe mittheilen.

Ich habe bey der Uebersetzung selbst die Ausgabe des Petron von Burmann gebraucht, nicht wegen der eignen Anmerkungen des Seeligen; denn dieser hat nichts oder höchstens sehr wenig von den Schönheiten des Satyricon empfunden und ihn sehr selten verstanden, wie es fast bey allen Variantensammlern zu sehen ist, – wenn er noch lebte, so würd' ich das nicht sagen, aber er ist schon vor dreyßig Jahren gestorben und hört's nicht – sondern weil er das mehrste, was darüber angemerket worden, zusammen getragen und das Original selbst ziemlich gereiniget, heraus gegeben hat.

Das noch im vorigen Jahrhunderte gefundene Fragment, welches die Trimalcionische Mahlzeit ergänzt, wird ieder für ächt halten, der es ohne Vorurtheile gelesen. Es ist keinem Manne iezt möglich, wie ich glaube, etwas in dieser Schreibart, in welcher es geschrieben ist und geschrieben werden mußte, dem Petron nachzumachen. Der Streit darüber ist auch unter den Gelehrten nun völlig entschieden. Ich hab' es also auch als ein ächtes Fragment des Petron übersetzt.

Was aber das betrifft, was Nodot herausgegeben, so sag' ich, wie Ieder, der nur ein wenig Latein und nur etwas weniges vom Petron gelesen hat, sagen muß, daß es Nodot aus seinen wenigen Kenntnissen, die er von der römischen Litteratur hatte und aus dem Vorrathe von Gedanken seines ganz kleinen Geistes, ohngefehr wie ein moderner Töpfer einen Arm und einen Fuß an eine schöne Bacchantin – an den alten Enkolp gekleidet hat. Er hat auch weiter nichts gewagt, als den Zusammenhang zu ergänzen, wie ihn die Ueberbleibsel vom Satyricon deutlich anzeigen. Ich habe sein Fragment deswegen auch mit übersetzt, und zwar sehr frey, damit diese Uebersetzung einiger Maaßen sich als ein Ganzes lesen lasse.

Burmann hat den armen Nodot, noch bey dieses Lebzeiten, so ausgeschimpft und gebrandmahlet, daß ich offt Mitleiden mit ihm gehabt habe. Er konnte keinem Strassenräuber, keinem Mörder ärger begegnen. Er spricht völlig die Sprache der ** Kunstrichter mit ihm.

Sein Fragment ist noch ganz erträglich gemacht, nur der Anfang taugt leider! gar nichts. Das Latein ist das schlechteste und die Gedanken und die ganze Erfindung sind erbärmlich. Fabricius Veiento ist hier, wie ein Pflaster auf dem Auge zu sehen.

Es ist nicht wohl begreiflich, wie Nodot die Augen der Mitglieder von einigen Akademieen mit seinem Fragmente so sehr verblenden konnte, daß sie es für eine ächte Geburt des Petronischen Geistes erklärten! Wie konnte Charpentier es wagen, eins von den schönsten Werken des Weisen der Grazien, des Xenophon, zu übersetzen, da er so wenig Empfindung des griechischen Schönen hatte und zuerst die französischen Liebeshändel des Enkolp mit der Doris und Tryphäna mit ungeheuren Lobsprüchen erhob, als wenn sie das schönste Stück im ganzen Satyricon wären! – Wenn Sie nicht so gewaltig strenge wären, meine Herren, so weiß ich wohl, was ich gethan hätte. Ich hätte nämlich das Nodotische Fragment gänzlich weggelassen, das ganze Manuscript im Herkulaneum oder sonst wo gefunden und Ihnen nur einstweilen die Uebersetzung davon mitgetheilet und einen Strauß gewaget. Aber weil Sie so gewaltig strenge und unbarmherzig sind, so hab' ich – den Herrn Fabricius Veiento auch an der Spitze meiner Uebersetzung stehen lassen.

Uebrigens muß ich Ihnen noch entdecken, daß ich Hoffnungen habe, von einem meiner guten Freunde in Sicilien ein Manuscript von diesem Satyricon zu erhalten, an welchem, wie er schreibt, nur sehr wenig von dem Wurm der Zeit abgenaget ist; den Schatz, welchen ich darinnen finden werde, will ich Ihnen mittheilen, wenn ich wieder zurück nach Teutschland komme. –

Nun empfehl' ich mich denn allen denen, welche dieses und diesen ersten Roman mit untermischten Versen lesen, und bitte jede schöne Seele um Verzeyhung, wenn sie die Petronischen Beschreibungen von den schaamlosen Handlungen der Römer und Römerinnen, welche zu den Zeiten der ersten Kaiser von der Würde der Menschheit in die unreinsten Strudel der Wollüste hingerissen waren, ärgern sollten. Sie mögen bedenken, daß die Charitinnen, die Göttinnen der unschuldigen Freuden, sehr selten auf diesem schmuzigen Irrsterne, der Erde, verehrt wurden. Es strahlen einige Perioden in der Geschichte der Menschheit hervor, in welchen sie nur von einem kleinen Häuflein von Geistern, die vom Himmel abstammen, angebetet wurden. Auch in dem goldenen Zeitalter dieser Erde, wo in Griechenland ieder empfindliche Busen ihre seeligen Einflüsse empfand, wo sie dem Sokrates, Xenophon, Pindar, Damon, Phidias und Apelles und Aspasien und auch Laidion bisweilen leibhafftig erschienen, gab es immer einen Aristophan, oder weinerlichen, boshafften Sophisten oder eine freche Buhlerin, welche sie zu verscheuchen suchten, und denen es gelang, ihre Lieblinge zu ermorden oder aus dem Schoose ihres Vaterlandes zu verjagen; wie es zur Schande der Athenienser mit dem Sokrates und Phidias, und beynahe auch mit Aspasien, geschehen ist.

Auch in unserm Teutschlande ahmt man iezt den Römern nach und man könnte in verschiedenen großen Städten ein Satyricon von noch ausgewähltem Bastarden der thierischen Liebe anfüllen. Aber wenige Menschen würden es als ein Satyricon lesen, so, wie vielleicht wenige diese Uebersetzung, als ein Satyricon lesen werden.

Zürnen Sie nicht über mich armen Uebersetzer! ich durfte ia dieses Satyricon nicht besser machen, als es ist; Sie kennen ja unsere Kunstrichter! –

Ich hoffe durch diese Gedanken mir die Anbeterinnen und Anbeter der Sokratischen Grazien zu Freundinnen und Freunden gemacht zu haben. Ich verzweifele nicht daran. Sie haben die besten Herzen und können nicht lange zürnen. – Lebe wohl, geliebtes Vaterland! möchte man nicht wieder von dir sagen können, was ich kurz vor der Ermordung unsers großen Winkelmanns in einer vielleicht zu jugendlichen Hitze sagte, weil ich doch eben von der Verehrung der Grazien in Teutschland gesprochen hab.

Ins Land der schönen Phantasieen
Hat Teutschland seinen Mengs und Winkelmann gegeben –
Es darf darum sich warlich nicht erheben!
Singt Metastasio nicht auch für uns in Wien?
Hat uns das Land der schönen Phantasieen
Jomelli nicht nach Schwaben gar gegeben?
Die Teutschen reiften erst in Welschland zu Genieen,
Und diese wurden uns so wie sie sind gegeben.
Es ist die Frage nur, was mehr zu tadeln ist?
Hier sagte Sokrates: Italien du bist
Ein Henker deiner Charitinnen!
Und du o Teutschland deiner Huldgöttinnen!

Geschrieben in Augsburg im May 1772 während meiner Reise nach Italien, um den Winkelmannischen Apollo zu betrachten.


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