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Erbschaft allein tut's nicht. Kleines Erbe hat oft schon mehr genützt als großes, und keines mehr als kleines. Auf eigenen Füßen kommt man weiter als auf Stelzen, und eigene zwei Beine sind sicherer als die vier eines Rosses, das tausend Louisdor kostet. Wir alle kennen Millionäre, deren Väter nicht das Brot hatten, und Bettler, deren Großväter in Palästen wohnten. Etwas Grütze im Kopf ist mehr wert als große Ländereien außerhalb des Kopfes – und etwas Mutterwitz mehr als alles Mütterliche und Väterliche zusammengenommen. Der erste Taler ist schwerer zu verdienen als die zweite Million, und alle Millionen sind leichter auszugeben als der erste Taler zu erwerben. Und Behalten ist bekanntermaßen noch schwerer als Erwerben.
Ein Müller hatte drei Söhne, und den drei Söhnen hinterließ er eine Mühle, einen Esel und eine Katze.
Der älteste nahm nach dem Rechte der Erstgeburt die Mühle, der zweite den Esel – blieb für den jüngsten nichts als die Katze. Das war eine leichte und natürliche Teilung, und die Advokaten und Gerichte verdienten nicht viel dabei.
»Eine Katze!« rief der jüngste unzufrieden, »eine Katze! Was tu ich mit einer Katze? Das ist für die Katz! Wär's noch eine Geldkatze! Was nützt es mir, daß die Katze Mäuse fängt, fressen doch die Mäuse nicht meinen Speck! Schlage ich sie tot, habe ich höchstens ein Katzenfell, aus dem ich mir eine Pelzmütze machen lasse, während ich mit nackten Füßen herumlaufe. Was nützt ein warmer Kopf bei kalten Füßen? Wenn ich zum Fenster hinaussehe, werden die Leute sagen, der hat's gut, er hat eine Pelzmütze! – Aber wer mich ganz sieht, wird über mich lachen oder mich bedauern.«
So dachte er nach Art der Leute, die mit ihrem Los wie mit ihrer Erbschaft unzufrieden sind. Der Kater, der ihm zuhörte, tat nichts dergleichen, spielte nicht den Beleidigten und sagte mit einer Miene, die ihrer Sache sicher ist: »Seid nicht so traurig, mein Herr und Gebieter! Gebt mir nur einen Sack und lasset mir ein Paar gute Stiefel machen, daß ich ins Gestrüpp gehen kann, und Ihr werdet Euch überzeugen, daß der schlechteste Teil der Erbschaft nicht Euch zugefallen ist.«
Der Herr des Katers zuckte mitleidig die Achsel und gab nicht viel auf diese Worte. Indessen aber hatte er so oft Gelegenheit, die Klugheit und Geschicklichkeit des Katers beim Mäusefangen zu beobachten, daß er dachte: Man kann nicht wissen! Oft schon hat ein geschickter Diener seinen Herrn aus der Not gerissen, und manch ein König dankt sein Reich einem Minister, der ursprünglich ein verachteter armer Teufel gewesen. So tat er denn, wie der Kater sagte.
Als der Kater hatte, was er wünschte, zog er die Stiefel an und hängte den Sack um, den er mit Kleie und allerlei Spülicht anfüllte. Die Schnüre des Sackes nahm er zwischen die Vorderpfoten und machte sich auf den Weg und ging in ein Gehege, wo es von Kaninchen wimmelte. Dort angekommen, legte er sich wie tot hin und wartete, ob nicht irgendein junges, unerfahrenes, mit den Listen und Tücken der Welt noch unbekanntes Kaninchen komme, um von den Lockspeisen zu kosten, die er in seinen Sack getan hatte.
Er hatte sich kaum ausgestreckt, als er seine List schon gelingen sah. Ein junger Leichtsinn von Kaninchen schlüpfte in den Sack. Meister Kater zog die Schnüre zu, fing es und tötete es ohne Gnade und Barmherzigkeit.
»Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um!« sagte er dabei in moralisch und fromm näselndem Tone. Stolz auf seinen Sieg, ging er geraden Weges zum Hofe und verlangte den König zu sprechen. Man führte ihn in die innersten Gemächer Seiner Majestät, wo er sich tief verneigte und also sprach: »Mein König! Hier habe ich die Ehre, ein ganz ausgezeichnetes Kaninchen allerdevotest im Auftrage meines Herrn und Gebieters, des Marquis von Habenichts, als Zeichen seiner Treue und Untertänigkeit zu überreichen.«
»Sage deinem Herrn«, geruhte der König zu antworten, »daß ich ihm danke und daß ich ihm in Gnaden gewogen bleibe.«
Bald darauf legte sich der Kater in ein Kornfeld, öffnete seinen Sack, zog die Schnur, als zwei Rebhühner hineingeschlüpft waren, und fing sie alle beide. Sogleich lief er wieder zum König und übergab ihm die Rebhühner wie das erstemal das Kaninchen im Namen seines Herrn. Der König dankte wieder und ließ ihm ein Trinkgeld verabreichen.
So trieb es der Kater durch mehrere Monate, indem er dem König jeden Augenblick Wildbret von den Jagden seines Gebieters, des Marquis von Habenichts, als Zeichen seiner Treue und Untertänigkeit überreichte.
Eines Tages, da er in Erfahrung brachte, daß der König mit seiner Tochter, einer der schönsten Personen der Welt, längs des Flusses eine Spazierfahrt machen sollte, sagte der gestiefelte Kater zu seinem Herrn: »Wenn Ihr jetzt auf meinen Rat hören wollt, ist Euer Glück gemacht. Gehet hin und badet im Flusse an der Stelle, die ich Euch bezeichnen werde. Im übrigen lasset mich machen.«
Der Marquis von Habenichts tat nach dem Rate seines Katers, ohne zu wissen, wohin es führen sollte. Während er badete, kam der König vorbei, und da fing der Kater aus Leibeskräften zu schreien an: »Zu Hilfe! Zu Hilfe! Der Herr Marquis von Habenichts ertrinkt!«
Auf dieses Geschrei streckte der König den Kopf zum Wagenfenster heraus, erkannte den Kater, der ihm so viele Geschenke gebracht, und befahl seinen Garden, daß sie dem Herrn Marquis von Habenichts zu Hilfe eilten.
Während man mit der Rettung des armen Marquis beschäftigt war, näherte sich der Kater der Leibkarosse und erzählte dem König, daß, während jener sich badete, Diebe seine Kleider davongetragen, obwohl er mit aller Macht: »Haltet den Dieb!« geschrien, und daß jetzt der arme Marquis dastehe, wie ihn Gott geschaffen. Der Spitzbub von Kater hatte die Lumpen seines Herrn unter einem großen Stein versteckt. Der König befahl sofort dem Beamten seiner allerhöchsten Leibgarderobe, daß man augenblicklich für den Herrn Marquis von Habenichts einen seiner schönsten Anzüge herbeischaffe. Er überhäufte den Marquis währenddem mit allen möglichen Gunstbezeugungen, und da die Kleider, die man indessen herbeibrachte, ihm, der ohnehin schon von Natur ein schöner Junge war, trefflich standen, fand ihn die Königstochter ganz nach ihrem Geschmack. Der Marquis von Habenichts brauchte ihr nur einige aus Hochachtung und Zärtlichkeit gemischte Blicke zuzuwerfen, um sie ganz und bis zur Narrheit verliebt zu machen.
Der König lud ihn ein, in den Wagen zu steigen und an der Spazierfahrt teilzunehmen. Da saß er nun der Prinzessin gegenüber und so nahe, daß sie als kurzsichtige Person in seinen Augen hätte lesen können, was drin stand und nicht stand. Jetzt, dachte der Kater, jetzt blüht unser Weizen! und lief, was er konnte, dem Wagen des Königs voraus, bis er an eine große Wiese kam, die eben von den Bauern abgemäht wurde. Er stellte sich in ihre Mitte und hielt eine gewaltige Volksrede, in der er ihnen alles mögliche Gute versprach und die so endete: »Edles Volk, Bürger, freie Menschen, ehrliche Landleute! So ihr jetzt, wenn der König, unser allergnädigster Herr, hier vorbeikommt, nicht alle und einstimmig behauptet, daß diese Wiese, die ihr hier abmähet, dem edlen Marquis von Habenichts gehört und von jeher gehört hat, so werdet ihr samt und sonders ohne Gnade und Barmherzigkeit in die Pfanne gehauen!«
Nachdem er so die Volksstimme – Volkes Stimme, Gottes Stimme, dachte er bei sich – vorbereitet hatte, eilte er weiter, damit der König ja nicht sehe, auf welche Weise das Volk für seine Abstimmung dressiert wurde.
Der König verfehlte nicht, die braven Landleute zu fragen, wem die Wiese gehöre.
Sie antworteten alle aufs freimütigste: »Unserem gnädigen Herrn, dem Marquis Habenichts.«
»Sie haben da ein recht schönes Stück Landes, Herr Marquis!« bemerkte der König.
»Zu dienen, Majestät, ein recht einträgliches Stück Feld!« schmunzelte der Marquis bescheiden.
Der gestiefelte Kater, immer dem Wagen des Königs voraus, begegnete wieder Landleuten, die auf einem Felde ernteten. Er hielt wieder eine herrliche Volksrede, die wieder so endete: »So ihr nicht, wenn der König, unser allergnädigster Herr, hier vorbeikommt, alle und einstimmig behauptet, daß all diese Kornfelder dem edlen Marquis von Habenichts gehören und immer gehört haben, so werdet ihr samt und sonders ohne Gnade und Barmherzigkeit in die Pfanne gehauen!«
Der König, der gleich darauf vorüberfuhr, tat, wie er gewohnt war, fragte und erhielt die anbefohlene Antwort, indem alle Bauern zusammen schrien: »Diese Felder alle gehören und haben immer gehört unserem gnädigen Herrn, dem Marquis von Habenichts!«
Der König sagte dem Marquis aufs neue Schmeichelhaftes über die Größe, Schönheit und Einträglichkeit seiner Besitzungen. Der Kater lief immer voraus, befahl allen, denen er begegnete, dasselbe, und der König staunte mehr und mehr über den großen Reichtum und die ausgedehnten Ländereien des Herrn Marquis von Habenichts.
So kam der Kater, immer vorauseilend, vor das Schloß eines der reichsten Oger, dem alle die Güter, die der König auf seinem Wege bewunderte, gehörten. Der Kater hatte sich betreffs der Person und der Fähigkeiten des Ogers genau unterrichtet und bat um eine Audienz, indem er versicherte, daß er am Schlosse Seiner Herrlichkeit unmöglich vorbeireisen könne, ohne hochderoselben seine Aufwartung gemacht zu haben.
Der Oger empfing ihn so freundlich, wie ein Oger sein kann, und lud ihn ein, sich zu setzen.
»Man erzählt sich im Volke«, nahm der Kater das Wort, »daß Euer Gnaden die Kunst besitzen, jede beliebige Tiergestalt anzunehmen, zum Beispiel sich in einen Elefanten oder Löwen zu verwandeln. Das wird wohl eine Sage sein, wie man sie von bedeutenden Männern zu erzählen pflegt. Ich gestehe, daß ich dergleichen als aufgeklärter Kater nicht glauben kann.«
»Nicht glauben!« rief der Oger entrüstet, »du wirst wohl daran glauben müssen!« Und augenblicklich verwandelte er sich in einen Löwen.
Den Kater ergriff ein solcher Schreck, daß er zum Fenster hinaussprang und sich über die Dachrinne retten wollte, wobei er sich, von seinen für dergleichen Wege nicht gebauten Stiefeln behindert, beinahe den Hals gebrochen hätte. Erst als er das höhnische Gelächter des Ogers vernahm und sich überzeugte, daß dieser den Löwen wieder abgelegt hatte, kehrte er zu ihm zurück mit den größten Komplimenten über seine wunderbaren Künste.
»Aber«, fügte er hinzu, »man sagt, daß Euer Gnaden sich auch in kleine Tiere, wie zum Beispiel in eine Ratte oder Maus, verwandeln könnten. Das halte ich für platterdings unmöglich.«
»Unmöglich?« rief der Oger. Gleich war er eine Maus und lief über das Parkett hin. Da machte der Kater einen Sprung, und aus war es mit der Maus und mit dem Oger für immer. Die Maus ist für die Katze, und wenn ein Riese sich auch nur für einen Augenblick klein und schwach zeigt, kann er sicher sein, gefressen zu werden.
Unterdessen fuhr der König über die Zugbrücke in das Schloß, dessen Pracht ihn schon von ferne angezogen hatte. Der Kater hörte das Gerumpel und Getrampel, eilte hinab und hieß Seine Majestät im Schlosse seines Herrn, des Marquis von Habenichts, hoch willkommen.
»Wie, Herr Marquis, auch dieses Schloß ist Euer Eigentum?« rief der König. »Man kann nichts Schöneres sehen als dieses Tor, diese Türme, diesen Hof, diese Treppen! Da müßt Ihr mich schon einige Zeit zu Gaste nehmen.«
Der Marquis von Habenichts gab der Prinzessin den Arm und folgte dem König, der die Treppen hinaufstieg, in einen Saal, wo der Oger für seine Freunde, die er diesen Tag erwartete, ein großes Gastmahl bereitet hatte. Man setzte sich zu Tische und war lustig und guter Dinge. Nur die Prinzessin war etwas melancholisch, und das kam von der Liebe, die sich von Stunde zu Stunde in ihrem Herzen immer breiter machte. Der König bemerkte das, und diese Bemerkung in Verbindung mit der anderen, daß der Marquis von Habenichts wohl einer der reichsten Granden des Landes sei, bewog ihn beim sechsten oder siebenten Glas zu dem Ausruf: »Wenn Ihr mein Eidam werden wolltet, Herr Marquis, ich wüßte nicht, daß dem etwas im Wege stünde!«
Darauf lachte der König wie über einen Witz. Der Marquis nahm die Sache ernst, und noch denselben Abend wurde er des Königs Schwiegersohn.
Der gestiefelte Kater wurde Minister und ging nur noch zu seinem Vergnügen auf die Mäusejagd, denn nur ein gemeiner Emporkömmling verleugnet die Freuden seiner Jugend.