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Pierrefeu war eine Ruine des 12. Jahrhunderts, unbewohnbar bis auf die baufälligen Ausbesserungen; aber daneben erhob sich ein kleines Landhaus von einem Stockwerk, mit Kalk geweißt, im Schutze alter Cypressen. Ein Fichtenwald, der auf steilen Pfaden einen Hügel erstieg, vertrat den Park; der Rest, an einen Oberschäfer verpachtet, war mit Wein bebaut.
Adelaïde fuhr oft nach Pierrefeu, um dort den Tag zu verbringen, aber ihre Gewohnheiten hielten sie in Avignon zurück.
Ramman brachte Papier zum Schreiben mit: der Luftwechsel sollte ihm helfen, seine Arbeit wieder zu beginnen, die vor zwei Monaten plötzlich unterbrochen war. In einem großen Zimmer hausend, versuchte er, die Fäden seines Gewebes weiter zu spinnen. Er hatte den Stil verloren, wie man seine Stimme verliert: er konnte nicht mehr schreiben. Aus seiner müden Feder flossen banale Ausdrücke, kraftlose Sätze. Seine Fähigkeit, fließend zu sprechen, hatte er wiedergefunden, aber seine Schreibkunst war in der Liebeskrankheit untergegangen.
Körperlich litt er nicht mehr: er aß, er schlief: seine liebe Fee hielt ihn für gesund. Nur die geistige Arbeit blieb ihm unmöglich. Er verzweifelte nicht, aber er war von der fixen Idee besessen, von der Idee der zu schönen Emezinde.
Die Arbeit, die alle Stunden seiner Tage so ausgefüllt hatte, daß diese ihm zu kurz erschienen, die heiligende Arbeit, die allein nicht ermüdet, war unmöglich geworden: er las nicht einmal mehr. Vor das weiße Blatt wie vor das bedruckte Blatt schob sich ein Bild, das in der Anordnung wechselte, aber sich in der Person nicht änderte. Im Schatten von St. Agricola, in der vollen Sonne der Straße, im Salon der Adelaïde, an seinem eigenen Schreibtisch erschien ihm Fräulein von Romanil, verhängnisvoll, unwiderstehlich. Selbst dieser Hang zum Mysterium, den Desiderius geweckt hatte, diese Neugier nach den Geheimnissen der menschlichen Natur, der einst so lebhaft war, schlief ein. Es gab nur noch ein Rätsel und dieses trotzte ihm.
Er interessierte sich lebhaft für die Ruinen. Man stieg noch auf einen der Türme, deren Zinnen einzustürzen drohten, deren Pechnasen abgebrochen waren. Die Aussicht erstreckte sich weit. Man nannte ihn den Turm des »Drac«, nach diesem Geiste der Rhône, der die Form einer Schlange oder eines Drachens hat. Nach der Legende hatte ein Herr von Gontelmi dem Drachen seine Seele gegeben, um die Gunst eines Fräuleins von Pierrefeu zu erlangen. Er verbrachte den Tag auf dem Grunde des Flusses und erschien nachts in menschlicher Gestalt an den Orten, wo er geliebt hatte. Auch ein Verzauberter, Verhexter wie er!
Adelaïdes Freundschaft erreichte durch ihre Süße die Wollust und besänftigte die Seele, aber sie erfüllte ihn nicht. Nachdem diese sich über die Gesundheit ihres lieben Kindes beruhigt hatte, kam sie zu der Überzeugung, daß ihre Cousine sich vergeblich sträubte und jeden Augenblick ihre Schwäche gestehen würde. Fräulein von Pierrefeu genoß tief diese seltsame Neigung, die der Liebe glich, aber die Formen der Freundschaft bewahrte. Die lebhafte Empfindung des jungen Mannes, seine schmeichelnden Manieren, seine leidenschaftliche Sprache berauschten die fromme Seele. Seine Art, sie morgens zu begrüßen und abends sich zu verabschieden, ließen das Herz der edlen Dame aufblühen. Flößte ihm seine Dankbarkeit etwa einen Kunstgriff ein, den er zuweilen in seinen Blicken anwandte? Ein verliebtes und unschuldiges Herz wie das Adelaïdes forscht nicht, ob seine Freuden ohne Falsch sind: es empfängt sie. Sie hatte die seltsame Mission übernommen, die ihre Cousine ihr übertrug, aber sie hätte sich geweigert, Ramman abreisen zu lassen. Durch wen er auch glücklich wurde, sie würde dafür arbeiten, aber sie wünschte ihn bei sich zu behalten, als einen Sohn oder ein Patchen. Ihre Rolle erschien ihr schön und dauernd: später, wenn sie alt, weiß und runzlig, würde sie die gute Fee bleiben, die immer gegeben, immer beschützt hat, und zwar besonders die Liebe. Ihr Leben würde von einem tiefen Interesse gefärbt sein. Sie liebte keusch und mit Leidenschaft. Diese bisher so gewissenhafte Seele hatte den Begriff des Gerechten und Ungerechten verloren: Rammans Interesse bedeutete ihr mehr als alles. Für diesen verehrten Menschen hätte sie sich in die Verdammnis gestürzt. Wenn die Zärtlichkeit so tief ist, wird ein reines Weib wie Adelaïde zur Heldin. Deren Tat ist, dem Geliebten zu dienen, blind, jenseits von Gut und Böse, ja über sich selbst hinaus.
An einem warmen Abend saßen sie auf einer Bank vor dem Landhause: der leuchtende Sternhimmel zeigte dieses klare Blau, das weder Nacht noch Tag ist; eigentümlich dem Sommer des Südens, läßt es, so unbestimmt, wie es ist, an die Gefilde der Seligen denken.
Sie sprach zu ihm:
– Sie haben die Scham der Seele und einen Takt, der über die Erregungen schweigt. Wenn Ihre Symptome äußerlich wären, könnte ich ängstlich die Veränderungen Ihres Zustandes verfolgen: jetzt aber weiß ich nicht mehr, wie Sie sich befinden, und ich bitte Sie, es mir zu sagen.
– Das Tier befindet sich wohl, das ist genesen: auf das Tier ist niemand wieder gestiegen und kann niemand wieder steigen. Ich gleiche einer Kirche, die ihrer Bestimmung entzogen wurde: mein Gedanke spielt zuweilen mit Ihnen, belebt durch den siegreichen Zauber Ihrer Zärtlichkeit … Er hat beim theologischen Essen gespielt, er würde, wenn es sein muß, noch für einige Stunden spielen. Gewöhnlich schwebt er um eine fixe Idee. Solange zwischen Emezinde und mir ein Gegensatz im Willen bestand, solange mein Verlangen gegen ihre Weigerung schäumte, solange habe ich sehr gelitten. Da fühlte ich meine Wunde, ich sah sie bluten: meine Wunde hatte das bestimmte Wesen aller Wunden. Heute hat ihr Widerstand aufgehört, mein Verlangen bricht sich nicht mehr an ihrer Weigerung: sie sucht sich selbst, ohne mich zu bekämpfen, mit ihrem eigenen Leiden beschäftigt. Ich empfinde ein Gefühl, das der Beschreibung trotzt. Wenn ich allein wäre, würde ich seufzen: Ihre liebe Gegenwart giebt mir die Heiterkeit. In meinem Innern gähnt ein Abgrund, dessen Tiefe Schwindel erregt, dessen Schatten bezaubert, durch dessen Höhlung Fledermäuse huschen: er dringt bis in die letzten Winkel des Wesens. Diese seltsamen Bilder, die nicht ihresgleichen haben, verwirren mich selbst. Emezinde lebt im gleichen Zustande.
– Denken Sie zuweilen daran, daß sie nur zwei Wagenstunden entfernt ist?
– Nein, ich denke an sie, ohne nähere Umstände, ohne andern Wunsch als sie zu sehen. Wenn ich sie betrachten könnte, ohne daß sie es wüßte, würde ich den Weg nach Romanil gehen. Und noch nicht, nein, wenn sie mir niedergedrückt erscheinen sollte … Mein Gewissen quält mich, gute Fee, quält mich sehr. Wenn Emezinde leidet, so habe ich es an Edelmut fehlen lassen … Der Trieb, Gespräche zu führen, siegt in meinem Alter über die schönen Gefühle. Meine Liebe ist nicht meine einzige Leidenschaft … Ich kann mich nicht mehr von Ihnen entfernen … Oh, ich maße mir kein Verdienst an … was ich dafür hielte, ist vielleicht im Grunde nur eine Heuchelei … Das Gewissen ist eine Komödiantin: es legt in bestimmten Augenblicken eine Maske an … Doch, auf der Brücke der »Grauen Büßer«, als ich sah, daß sie geweint hatte, habe ich gedacht, mich zu opfern. Ihr Bild ist aufgetaucht … Wir sind verbunden, edle Adelaïde, fest verbunden. Emezinde, das ist alles, ja; und doch bleibt alles schwebend, seit Sie mit im Spiele sind … Wenn ich die Arbeit wieder aufnehmen könnte, würde ich die Zukunft mit Weisheit erwarten.
– Und Sie haben keine Zuversicht?
– Keine! Meine Seele, meine Nerven werden nicht genesen. Wird Emezinde genesen? Sie ist mir näher, als es scheint: ich fühle sie.
– Morgen werden Sie Ihre große Aufgabe bis zur Vollendung erfüllen.
– Ach ja, der »Liebeshof«, erwiderte er gleichgiltig. Wie sollen wir diesen Einfall ausführen, in dem ich Ihre Fürsorge wiederfinde? Sie wollen mich zerstreuen? Nichts kommt unserer Freundschaft gleich.
– Ich habe nur fünf junge Mädchen einladen können, da diese allein kommen müssen, ohne Mutter, Tante, Vater, Bruder.
– Warum?
– Die Verwandten hätten nicht begriffen und würden mich falsch beurteilen.
– Ich hätte die religiöse Mystik der Troubadoure entwickelt.
– Die Ketzerei? Vielen Dank! Ich halte etwas auf meinen Ruf als Fromme! Es ist genug, daß Sie die fünf Priester erzürnt haben.
– Der Teufel soll mich holen, wenn ich ein Wort für diese sprach: Sie haben es gefühlt.
– Gewiß, und mit Aufregung habe ich Ihre Absicht verfolgt, Emezinde zu erschüttern; und Sie haben sie erschüttert.
– Schuppen sind von ihren Augen gefallen, die ihre Seele verdunkelten: sie hatte geglaubt, ich sei eine Gestalt der Begierde.
– Was werden Sie meinen jungen Mädchen sagen? Von edlerer Geburt giebt es keine in der Provence: Sade, Forcalquier, Blacas, Simiane, Senanques.
– Schöne Namen!
– Und hübsche Gesichter! Es wäre zu dieser Abendstunde schöner gewesen, aber alle müssen zum Souper wieder zu Hause sein … Es wird mir Freude machen, Sie von diesen Jungfrauen umgeben zu sehen.
– Um so besser!
Nach einem Schweigen fuhr er fort:
– Emezinde würde es weniger Freude machen …
– Denken Sie doch nicht immer an sie! Das wäre wirklich lächerlich: Emezinde weiß von diesem kleinen Fest.
– Und sie billigt es? Ich bin erstaunt. Ihre Cousine verkörpert die Eifersucht, und es ist nicht nötig, daß man liebt, um eifersüchtig zu werden: man wird es aus Freundschaft, aus reiner Eitelkeit … Oh, wie ist es seltsam und peinlich, im Ungewissen zu schweben.
– Gehen wir schlafen, statt zu seufzen.
Und sie kehrten in das Landhaus zurück, er, wirklich gleichgiltig für den morgenden Tag, sie, neugierig und ein Ereignis ahnend.
*
Zuerst erschien Stella de Senanques: achtzehn Jahre, ungestüm, stolz, tiefe Augen unter einer großen Stirn, braune Haare, sehr intelligent.
– Und die Troubadours? fragte sie zuerst.
– Es giebt nur einen, mein schönes Kind, erklärte Adelaïde.
– Dann wird man das Los ziehen.
– Ei, liebe Stella, es gab stets mehr schöne Mädchen als Dichter, mehr liebenswürdige Frauen als edle Liebhaber.
Alaëtte de Blacas, groß und gesund, ein Mädchen mit freiem Blick, lächelnd und ruhig, folgte.
Douce de Forcalquier und Mabile de Sade kamen zusammen von Avignon. Die erste glich einer gelben Katze mit ihrem blonden Haar, ihren blauen Augen und ihrer geschmeidigen Anmut. Die zweite bemühte sich, an ihre Ahnfrau Laura de Sade, Geliebte Petrarcas, gest. 1348. zu erinnern; nach Botticelli frisiert, schien sie viele Ansprüche zu machen, mit ihrem schönen provenzalischen Typus, farbenreich und üppig.
Die letzte, die hübscheste, Hugonne de Simiane, hatte den Reiz einer Romangestalt, einen Blick von natürlicher Zärtlichkeit, eine rosige Haut, einen träumerischen und halbverliebten Gang.
Mit leichten und hellen Stoffen bekleidet, lachend und fast schreiend, fern jedem vorwurfsvollen Auge, bildeten diese fünf jungen Mädchen eine Gruppe aus dem Dekameron.
– Ich habe euch einzeln nie so hübsch gesehen, wie ihr zusammen ausschaut, bemerkte Adelaïde.
Virginia kam, in Küchenschürze.
– Fräulein, ein Zigeuner, der das Lachen gehört hat, erbietet sich wahrzusagen.
– Ein Zigeuner? fragte Adelaïde erstaunt. Diese Leute flößen mir kein Vertrauen ein. Wie schaut er aus?
Virginia machte eine ausweichende Gebärde.
– Man sieht ihn von hier: er ist in den Ruinen.
– Heda, rief die Köchin und ging.
Ramman hatte sich mit Stoffresten behängt, die Bindfaden festhielten, trug einen zerlumpten roten Mantel und einen zerfetzten Strohhut; seine Haare hatte er gut zerzaust, aber er hatte versäumt sich zu schminken.
– Seine Haut ist ja ganz weiß, rief Hugonne.
– Und die Hände sind gepflegt, bemerkte Douce.
– Und der Blick fest, sagte Alaëtte.
Der Vagabund lüftete kaum seinen Hut, betrachtete unbefangen die reizende Gruppe der Jungfrauen und wandte sich schließlich an Adelaïde.
– Wer mir seine Hand giebt, wird seine Zukunft erfahren.
Als sie die Stimme hörte, zweifelte Adelaïde nicht mehr: es war Ramman. Er hätte für einen Zigeuner gelten können, wenn er sich besser geschminkt und beschmutzt hätte.
– Ich spreche zuerst ganz laut und dann, wenn man will, ganz leise über die Dinge, welche die Eltern nicht hören sollen.
– Es sind keine Eltern hier, erklärte Adelaïde.
– Das geht ja nach Wunsch! Wer beginnt?
Fräulein von Senanques reichte ihre Hand.
– Schon? fragte der Zigeuner.
– Sie sehen nicht klar, Zigeuner.
– Oh, der Krug ist noch nicht zerbrochen … Wenn gewisse Ornamente den Krug zieren, zerbricht man ihn nicht in Ihrem Alter. Sie haben schon geliebt, Sie haben … Ah, ich kann es nicht genau bestimmen: Sie haben der Sünde ins Angesicht gesehen, vor nicht langer Zeit Peladan, Der Androgyn (deutsch erschienen)..
– Ich sehe allem ins Gesicht, der Sünde wie dem Übrigen.
Der Zigeuner erforschte die Hand Stellas.
– Sehen Sie diese Linien, den Ring der Venus, die Milchstraße … Ich kann nicht mit lauter Stimme fortfahren.
Entschlossen entfernte Stella sich einige Schritte von der Gruppe.
– Liebhaber und Geliebte: alle beide. Sie ersticken in Ihrem Kleide eines jungen Mädchens und Sie werden es zerreißen … Eine edle Liebe, aber spät; vorher … zuerst Geliebte.
– Einzelheiten, ich bitte Sie, drang sie in ihn.
– Ich habe noch vier andere Hände zu deuten und mein Wissen ist etwas eingerostet; auch bin ich etwas träge, wenn ich die Wahrheit sagen soll …
Stella kehrte zu der Gruppe zurück und erklärte:
– Wahrhaftig, ich bin erstaunt!
In den Linien der Alaëtte de Blacas las er die Verlobung mit einem Seemann, was sich als richtig erwies, und verkündete viele Kinder und ruhiges Leben.
Mabile de Sade hatte eine etwas weit getriebene Liebelei mit einem Verwandten und sollte heiraten unter Anrufung des Mars.
Douce de Forcalquier war in Gefahr gewesen durch Feuer und würde während ihrer ersten Schwangerschaft bedroht werden.
Hugonne de Simiane war um eine Erbschaft gebracht worden und würde ein »natürliches« Kind haben; trotzdem würde sie sich verheiraten.
Diese Weissagungen wurden in mehr oder weniger prophetische Worte gehüllt.
Man amüsierte sich köstlich.
– Könnten Sie nach dem Essen nicht wiederkommen? fragte Stella.
Er machte eine ausweichende Gebärde.
Hugonne, gläubiger als die Andern, wollte für den Zauberer eine kleine Sammlung veranstalten.
– Du bist naiv, sagte Stella.
– Er hat wahr gesprochen über eine Tatsache der Vergangenheit.
– Zu mir auch, aber wenn er ein Zauberer ist, so ist er kein Caraque.
– Gehen Sie in die Küche, Zigeuner, sagte Adelaïde: man wird Ihnen Essen geben. Meine Kinder, ich werde ihm seinen verdienten Lohn zahlen.
Ramman grüßte und beeilte sich, seinen Plunder abzuwerfen, dessen festgeschnürte Lumpen ihn warm machten, um sich die Haare zu kämmen und weißes Leinen anzuziehen.
– Die Damen müssen sich zu Tisch setzen, sonst wird das Essen ungenießbar.
Rammans überraschende Verkleidung hatte die Kochkünste um eine gute Stunde gestört.
Bei Tische war die Melone schon verzehrt, als der Troubadour erschien. Er grüßte alle mit einer Verbeugung und küßte Adelaïde die Hand.
– Ich möchte gern, daß der Zigeuner dem Troubadour weissagt, bemerkte Hugonne.
– Sie begehrt das Unmögliche, erwiderte Stella.
Und die Mädchen lachten. Sie fanden Ramman hübsch und vornehm; durch die Kunst, aus der Hand zu lesen, waren sie bereits mit diesem feinen Geiste vertraut, der sie in Erstaunen versetzt hatte.
– Meine schönen Katzen, wir speisen mit Champagner, weil der fröhlich macht; ich habe kein Eis; zeigt keine falsche Scham und tut Wasser hinein. Ich würde sehr getadelt werden, wenn ihr zu erregt heimkehrtet.
Hugonne. – Es wird langweilig sein, heimzukehren.
Ramman. – Welcher Karfunkel ist die Frau, und besonders dieses Mysterium der Frau, das junge Mädchen! Diese Augen, so gefärbt von einer wechselnden Seele; dieser Mund, der die Frucht beschämt; diese anmutigen Gebärden, die überraschen; dieser so vollkommene Körper! Wenn man bedenkt, daß diese lebendigen Wunder lieben können, daß diese Augen sich färben werden, dieser Mund fiebern wird, diese Gebärden sich in Liebkosungen wandeln werden, wahrhaftig, es giebt einen Gott und er ist gut!
Douce. – Oh, wie hübsch haben Sie eben gesprochen!
Ramman. – Ja, was man das Glück nennt, ist, ein schönes Wesen beseelen, es mit Leidenschaft erfüllen …
Mabile. – Ach, Herr, wie beredt sind Sie!
Ramman. – Ich bin nur überzeugt.
Douce. – Weder Papa noch Mama, auf dem Lande, Champagner und ein Troubadour! …
Stella. – Adelaïde, Sie sind ein Juwel von Freundin! Wie das wohltut, nicht mehr die Augen niederschlagen zu müssen: wenn man nicht sagt, was man denkt, so darf man doch denken, daß man es sagen könnte!
Adelaïde. – Meine Lieblinge, ihr streckt die Zunge nach Minerva aus; aber ihr werdet eure Eindrücke auch für euch behalten, ohne sie mitzuteilen.
Ramman. – Der Zwang allein erzeugt die Freiheit: diese Schönen werden nur Worte von Rahm und von Milch sagen.
Mabile. – Wir werden also nicht sprechen wie der Zigeuner.
Alaëtte. – Er ist unhöflich gewesen.
Stella. – Etwas mehr als das: unverschämt, schamlos.
Hugonne. – Für einen Zigeuner war er doch anständig!
Douce. – Hugonne hat Lust, in die Küche zu gehen, um nachzusehen, ob er noch da ist.
Und sie lachten.
Ramman. – Es ist peinlich, häßlich zu sein!
Alaëtte. – Wenn Sie keine andere Pein haben …
Ramman. – Ein Mann muß Proben seiner Klugheit geben, und wenn er träge ist … Während ein junges Mädchen, wenn sie hübsch ist, genügt.
Mabile. – Nein, ist das zu glauben, dieser Troubadour will Komplimente!
Ramman. – Edles Fräulein, ich habe nur meine Worte.
Stella. – Der Mund ist nicht übel.
Hugonne. – Oh, Stella denkt …
Stella. – An was? An was läßt ein Mund sie denken? Nicht an den heiligen Chrysostomus Goldmund: chrysos, griech. Gold; Stoma, griech. Mund.!
Und sie lachten.
Hugonne. – Oh, wie ich mich amüsiere! Die Abwesenheit der Eltern ist die Freude der Kinder.
Mabile. – An was denkt der Troubadour?
Ramman. – Ich denke, sobald es warm ist, daß ich mitten am Tage lebe und daß es eine Schönheit unter meinem Auge giebt; ich denke an das schönste Schauspiel, das auf der Erde zu finden ist. Aber für Sie, Schöne, was würde dieses Schauspiel sein?
Douce. – Der Mann, den ich lieben muß.
Alaëtte. – Das Kind, das ich von dem Geliebten hätte.
Hugonne. – Das Glück, das ich geben würde.
Mabile. – Meine Ergänzung, wie der Zigeuner sagte.
Stella. – Ein Troubadour zu meinem Gebrauch allein …
Ramman sagte her:
E quella fera bella e cruda
In una fonte ignuda …
Und jene wilde und grausame Schöne
stand nackend in einer Quelle,
als die Sonne am stärksten brannte,
und ich, da kein andrer Anblick mich sättigt,
betrachtete sie, weshalb sie sich schämte
und, sei's um sich zu rächen,
sei's um sich zu verbergen,
mit der Hand mir das Wasser ins Antlitz spritzte.
Ramman. – Er liebte sie, er sollte niemals geliebt werden, und in una fonte ignuda …
Douce. – Man könnte sagen, daß er sie sieht.
Mabile. – Ich liebe die Gebärde: das Wasser ins Antlitz.
Alaëtte. – Der Troubadour ist wie die Andern ganz Sinnlichkeit.
Ramman. – Wie, Fräulein, Sie halten kirchliche Reden? Giebt es in der Liebe Sinnlichkeit, die nicht von der Einbildung abhängt? Man muß ein dreifacher Kirchenvater sein, um die Liebesmischung analysieren zu wollen. Die Liebe, das ist das ganze Wesen und die Sinne tun ihr Möglichstes; jedoch der Gedanke herrscht. Ein Blick, ein Wort von einer von Ihnen ist unschätzbar. Sie sind Blumen von Rasse, Reize umgeben Sie und Ihnen gefallen ist eine Palme wert. Sie sind lebendig, lachend, gesund und Sie sind Gespenster, Phantome, die jedes Herz laut beschwört, sobald es zu schlagen beginnt. Sie sind nicht Personen, sind Allegorien; Sie sind die Dame und nicht das Fräulein, die Dame Dantes, Beatrice oder Laura, jene Frau, die der Madonna gleicht und menschlich wird: gütige Göttinnen, heilige Jungfrauen, fähig der Sünde.
Stella. – Kinder, der Champagner und er, das ist zu viel! Wählet.
Ramman. – Sie werden den Champagner wählen.
Douce. – Oh, wie garstig!
Mabile. – Champagner kann uns die Zofe bringen, während einen Troubadour …
Hugonne. – Davon trinkt man nur ein Mal.
Douce. – Oh, dieses Wort! Sie haben es gehört, Herr …
Ramman. – Mit Melancholie! Ein so köstliches Gemälde vergißt man nicht: das schädigt alle andern.
Stella. – Wenn man gerührt wird beim Fisch, wird man weinen beim Nachtisch.
Alaëtte. – Das ist nicht sehr benachbart bei dir, die Lust zu lachen oder zu weinen.
Hugonne. – Es giebt andere Dinge, die benachbart sind.
Douce. – Die Gelegenheit ist einzig, Dummheiten zu sagen …
Stella. – Du denkst welche: das ist viel besser.
Mabile. – Wenn du meinen Gedanken begriffest …
Hugonne. – Oh, wenn es nicht in der Umgegend ist, so ist es in der Umgebung. Meine gute Adelaïde, man kann sagen …
Douce. – Alles, ich habe es schon verkündet.
Hugonne. – Ich möchte glücklich sein.
Ramman. – Dazu gehören zwei.
Douce. – Eben, aber wie den Andern erkennen?
Ramman. – Sie wollen das Signalement Ihrer Ergänzung?
Alaëtte. – Du bist gut!
Stella. – Danach muß man den Zigeuner fragen.
Alaëtte. – Wir werden die Augen schließen und Sie werden an seiner Stelle sprechen.
Ramman. – Wenn Sie Ihre Augen schließen, verliere ich zuviel!
Adelaïde. – Meine Kinder, ich bin mit euch zufrieden. Ohne daß mein Alter mich verlegen macht, sage ich wie Hugonne: oh, wie ich mich amüsiere!
Douce. – Wir würden uns noch mehr amüsieren, wenn wir unsere Ergänzung kennten.
Ramman. – Beim Kaffee! Ich muß jede einzeln betrachten, ohne daß die Andern mich zerstreuen.
Stella. – Dann werden sich vier langweilen, während sich eine amüsiert.
Alaëtte. – Aber du wirst auch an die Reihe kommen; und man wird hören.
Hugonne. – Würde die Welt sich nicht rückwärts drehen, wenn jeder er selbst wäre?
Ramman. – Es würde Erschütterungen geben.
Douce. – Nun, Kinder, man muß doch wissen, wann man sündigt.
Stella. – Man sündigt, wenn man kann.
Douce. – Und man kann, wenn man will.
Ramman. – Gedankensünde, Sünde eines Schmetterlings, einer Biene, einer Katze; Sünde einer Jungfrau, die das Verbotene streift …
Douce. – Wenn ich nach Hause komme: »Nun, was hast du gemacht?« (Sie ahmte einen mütterlichen Ton nach.) Antwort: Ich habe das Verbotene gestreift.
Stella. – Weil du nicht mehr tun konntest!
Douce. – Du sprichst für dich, oder für alle, oder für mich?
Ramman. – Beunruhigt euch nicht, hübsche Gewissen. Die Verdunstung der sündhaften Stimmung reinigt euch, heilt euch, macht euch wieder jungfräulich.
Douce. – Ah, wie die Ausdrücke stimmen …
Alaëtte. – Was den Troubadour so liebenswürdig macht, ist, daß er zu einer Gruppe spricht: jede hat etwas davon.
Stella. – Ich wette, wenn Emezinde hier wäre …
Adelaïde. – Sie wissen, Stella, daß ich meine Cousine verehre.
Stella. – Ich denke garnicht daran, schlecht von ihr zu sprechen; im Gegenteil, ich preise sie, uns Glück wünschend, daß sie abwesend ist. Sie hat einen teuflischen Glanz, der jede Andere in den Schatten stellt.
Hugonne. – Ah, Emezinde in una fonte ignuda, das würde den Troubadour entzücken.
Alaëtte. – Sie haben sie nicht eingeladen, Adelaïde?
Adelaïde. – Sie hat nicht geantwortet.
Hugonne. – Sie werden dem Zigeuner Champagner schicken.
Adelaïde. – Ohne Zweifel, aber hütet eure hübschen Köpfe. Wir haben noch eine Sitzung in freier Luft auf dem Drachenturm.
Mabile. – Ei, das ist ein verstärktes Programm.
Alaëtte. – Und ich glaubte, wir befänden uns schon mitten im Liebeshofe.
Mabile. – Der ist sehr viel ernster.
Douce. – Nicht mehr als das Signalement.
Hugonne. – Sie denkt nur daran.
Douce. – Und ihr andern?
Alaëtte. – Ich denke an alles und an nichts: mir ist wohl.
Douce. – Oh, Papa und Mama, Tanten und Onkel, wie wohl mir ist, etwas entfernt von euch!
Stella. – Der Gedanke, frei zu sein, ist schon Vergnügen.
Mabile. – Ei, der Troubadour ist abwesend!
Ramman vergaß einen Augenblick die brausende Tafel: das Phantom der Emezinde war aufgetaucht.
Stella. – Er ergötzt uns, aber ergötzt sich nicht: er ist vielleicht verliebt.
Douce. – Was ist die verbotene Frucht, Troubadour?
Ramman. – Die nicht reif ist, die nicht für Sie gereift ist.
Dieser leichte Federball wurde hin und her geworfen, mit einer Freude, die immer mehr lärmte.
Den Kaffee trank man auf der Terrasse.
Mit feinem Anstand, etwas Müdigkeit verbergend, saß Ramman auf dem einen Ende der Terrasse und betrachtete die fünf jungen Mädchen, die eine nach der andern, um ihnen den Typus zu beschreiben, der ihre Ergänzung bedeutete, die andere Hälfte der Birne, wie Plato sagt.
Das dauerte eine volle Stunde.
Stella. – Er ist köstlich, der Troubadour, aber man ermüdet ihn.
Douce. – Was kann man tun, um ihn zu entschädigen?
Mabile. – In una fonte ignuda …
Hugonne. – Man möchte wohl, wenn man nur dürfte.
Stella. – Möchte man? … Woher, Adelaïde, kommt dieser köstliche Bursche?
Sie gingen nach den Ruinen mit dieser Anmut, welche die Frauen in der Landschaft annehmen: trällernd, tänzelnd, ausgelassen, die Haare fliegend.
Douce. – Es liegt ein Duft von Sünde in der Luft.
Stella. – Ja, in dieser Stunde würde der Weg zu einer Dummheit kurz sein.
Man stieg hinauf mit lautem Lachen und kurzen Schreien, während die Beine aufleuchteten. Ramman saß bereits auf einer Zinne und betrachtete die Landschaft. Die Sonne brannte, aber eine starke Brise wehte auf dieser Höhe. Die Mädchen gruppierten sich und öffneten ihre Sonnenschirme: die Augen glänzten, die offenen Lippen lächelten, die Knöchel schienen rosig durch die dünnen Strümpfe.
– Wie hübsch ihr seid! sprach Ramman, und wie ich gerührt werde, wenn ich an eure köstlichen Körper denke, an eure noch köstlicheren Seelen und an die große Vergangenheit, die hinter euch auftaucht und die ich sehe. In einem solchen Augenblick überwand vor zehn Jahrhunderten ein Dichter die dunkle Begierde und entdeckte, über den Eindruck der Stunde hinaus gehend, in der Wollust, die euch wie ein Blumenduft entströmt, die Erfüllung eines göttlichen Willens. Glücklich die, welche tief blicken, denn sie werden die Vollendung jeder Sache entdecken. Der Provenzale des Jahres tausend, der um sich Frauen sah, köstlich, gruppiert wie ihr, sah mehr in ihnen als die Augen, mehr als die Lippen, mehr als die Schönheit selbst: er entdeckte ihre Mission als Engel und offenbarte sie ihnen. Damals wurde die Provence ein zweites Attika, die Sitten milderten sich, das Heim bezauberte, die Civilisation erreichte mit einem Schlage ihren Scheitelpunkt. Das provenzalische Weib, zugleich köstliche Geliebte wie ehrbare Gattin, wurde die Edelfrau: das ist die weibliche Seite des Edelmannes, der die Ehre allem vorzieht, sein Wort hält und lieber stirbt als die Pflicht verletzt. Die Namen, die ihr tragt, sind unsterblich, mehr durch das Lächeln der Vorsehung und die Wollust der Heiligen als durch die Taten der Helden und die Staatsdienste. Eure Ahnfrauen haben diese Liebe geschaffen, die eine Tugend ist; diese Liebe, die nicht weiß, ob es einen Trieb giebt. Wo die Frau sich ganz auslieferte, ohne etwas zu erlangen, empfingen diese feinen Damen alles, ohne sich hinzugeben. Sie erfanden die Wollust der Seele und die Wollust des Geistes: durch ihren Adel wurde die Freude der Menschen dreifaltig. Sie seien gepriesen! Junge Mädchen, wen werdet ihr um den Rat bitten, der euch sicher führt? Eure Eltern denken an euer Wappen, an euer Vermögen; der Priester versteht nur das allgemeine Interesse. Der Troubadour, euer Freund, wird euch sagen: » Die Liebe ist das Heil, durch das Glück, das sie bringt, durch die Harmonie, die sie strahlt. Eine Civilisation ist nur die Vollendung der Liebe.« In den Liebeshöfen predigte man den Frauen ihre providentielle Aufgabe. Als König Robert sich mit Constance de Provence vermählt, bringt sie die Troubadours an den französischen Hof, und plötzlich wechseln die Sitten. Ja, junge Mädchen, zur Zeit der Königin Johanna, und selbst drei Jahrhunderte vorher, als dieses Schloß von Pierrefeu neu in der Sonne flammte, mußte man, um von hohen Damen geliebt zu werden, um der »Druz« zu werden, drei Grade durchmachen, den »feignaire« oder Galanten, den »prégaire« oder Seufzenden, den »entendaire« oder Eingeweihten. Dann empfing er von der Geliebten die Handschuhe, das Band, den Gürtel und den Trost, das heißt den dreifachen Kuß auf Stirn, Augen und Mund. Waren eure Ahnfrauen tugendhaft? Die Geschichte versichert das Gegenteil. Sie blieben Edelfrauen, sie liebten nur einen Mann: diesem Erwählten treu, gaben sie ihm ihre Schönheit und ihre Zärtlichkeit und ihren Gedanken, und sie waren vollkommen (so nannten sie sich), vollkommen in der Liebe. Seid stolz auf euern Körper, Jungfrauen, gebt ihn nur um einen großen Preis, das heißt, eine tiefe Liebe, die ihr erprobt habt. Wenn ihr nicht rein seid, so seid stolz; tut nichts Mittelmäßiges; seid Edelfrauen, wie eure Ahnen waren. Die Troubadours sangen jene Lieder von seelischer Tapferkeit. Das Blut in euern Adern hört mich. Die Liebe sei eure Religion, dann werdet ihr heilige Wesen werden, Göttinnen, die das Gute und das Böse kennen; dann werdet ihr die Schönheit, die euch kleidet, und die Wollust, die ihr enthaltet, dem höchsten Gut weihen: das ist, eine Seele bezaubern und ihr einflößen: die Lust zum Himmel durch eure Lippen und den Geschmack der Ewigkeit durch eure Liebkosungen! So sei es!
Ein Schweigen, warm von Erregung, war der Beifall. Die jungen Mädchen träumten in einem süßen Rausch: ihre geschmeichelten Sinne hatten zarte Flügel angelegt. Ihre Gruppe bildete einen köstlichen Anblick.
– Ich glaube, ich halte diesen Blumen eine Predigt, sprach der junge Mann zu Adelaïde, und er lächelte mit einem Ausdruck von Glück.
Keine Begierde zog ihn zu einer von diesen Jungfrauen, aber aus dem Strauß von Seelen, den sie bildeten, stieg ein belebender Duft zu ihm auf, und in diesem Augenblick glaubte er sich geheilt.
Adelaïde verfolgte auf dem Gesicht und in der Haltung Rammans, wie das Gleichgewicht in seine Seele zurückkehrte. Emezinde, dachte sie, würde nicht ohne Herzbeklemmung diese schöne Wandlung sehen.
Der Laut eines schnellen Ersteigens spannte Ohren und Augen. Fräulein von Romanil sprang plötzlich auf die Plattform, etwas bleich, trotz der lebhaften Bewegung, etwas nervös in ihrer Art, Adelaïde zu umarmen. Die fünf jungen Mädchen empfingen sie mit lärmenden Ausrufen, um ihr Mißvergnügen zu verbergen. Eine Löwin störte das Spiel der Katzen.
Ramman schien es, als ob der Blick, der seinem tiefen Gruße antwortete, mit einer ganz neuen Güte gesättigt sei. Um das plötzliche Unbehagen, das auf der Gruppe lastete, abzuschütteln, griff er zu dem kindlichen Auswege des Gesellschaftsspiels: er zog aus seiner Tasche ein Notizbuch und einen Bleistift.
– Meine Damen, ich bitte Sie alle, eine kurze Definition von der Liebe zu geben, damit die beste gekrönt werde und in unserm Gedächtnis als eine schöne Erinnerung bleibt.
Während die jungen Mädchen alle zusammen sprachen, nach dem Vorrecht des Geschlechts, indem sie den Bleistift von Hand zu Hand gehen ließen, sagte er zu Adelaïde:
– O wohltätige Fee, ich hielt Sie nicht für boshaft und Sie sind es geworden zu meinem Besten, wie mir scheint.
– Wie kann ein Dichter den Wert der Worte verkennen?
Emezinde blieb bleich; eine Art Unruhe ging von ihrem Wesen aus.
Hugonne de Simiane gab endlich Adelaïde sechs Blätter, welche diese entfaltete und der Reihe nach vorlas:
– Ein anderes Ich, mehr ich als ich selbst.
– Gebet und Gnade zugleich.
– Ein Tausch von Flügeln.
– Das Weltall, wie wir's umschlingen können.
– Die Kraft von zwei Schwächen.
– Die Liebe, das ist er!
– Das ist die Antwort der Isolde, die leidenschaftlichste Antwort und, in ihrer Kürze, die stärkste. Gewiß, die Andern haben mehr erklärt: wir haben gesehen, daß die Liebe eine Übertragung der Persönlichkeit ist, eine Verkörperung, und das ist wahr; die Gleichzeitigkeit von Verlangen und Gnade haben uns genügt; der Tausch von Flügeln ist die Eigenschaft, in einer Minute und in einer Liebkosung alle kosmischen Beziehungen zu umschließen. Das ist schön: aber die Liebe nicht mehr sehen, sobald der Geliebte Sie besitzt, das erhält meine Stimme.
– Wir geben sie alle, sagte Hugonne.
– Möge die Siegreiche sich nennen!
– Was empfängt sie? fragte Emezinde.
– Eine Rose! Es wächst keine auf diesen Zinnen; aber auch ein Vorrecht, das, die Sitzung zu verlängern.
Die jungen Mädchen drangen darauf mit erregten Ausrufen.
– Gut, meine schönen Kinder, die Sitzung dauert, sprach Emezinde mit guter Laune, obgleich ich nicht weiß, wie sie angefangen hat.
– Oh, wenn wir auch nur einen Troubadour haben, so hat er den Wert von zehn: seit fünf Stunden spricht er, erfindet er, ersinnt er: er wird noch mehr finden.
Ramman, wenn auch etwas müde, sah das Mittel, wie er Emezinde erreichen konnte, und zögerte nicht.
– Meine schönen Freundinnen eines Sommerabends (denn ich empfinde für euch eine unendliche Zärtlichkeit, eure Herzen richten auf mich ihre feine Liebkosung), wir haben uns vereinigt zu der Freude des »bel vezer« (des schönen Anblicks), den ihr mir bietet. Dafür gebe ich euch »gay saber« (heiteres Wissen). Jede Wissenschaft ist bitter, außer einer einzigen. Deren symbolisches Tier ist der gallus. Ein Krähen des Hahnes habt ihr das Recht zu fordern, o gallines (Paradieshühner). Ihr habt das Geheimnis eurer Rasse vergessen. Ich werde euch also einen alten Text von vierunddreißig Artikeln citieren, ein Gesetz der Liebe. Ihr dürft nicht, bei Strafe der Treulosigkeit gegen Fräulein von Pierrefeu, denn auf mich kommt es nicht an, euern Eltern wiederholen, was ihr hören werdet. Gerade gegen diese will ich sprechen; nicht daß ich euch das erste Gebot ausrede, aber ich waffne euch, damit ihr euer Recht verteidigt. Hier der erste Artikel dieser Liebeslehre: »Die Ehe ist keine gerechte Entschuldigung gegen die Liebe.« Ist das die Erlaubnis des Ehebruchs? Nein, das ist eine Retusche des neunten Gebotes der Kirche: »Das Werk des Fleisches sollst du nur in der Liebe begehren.« Die Ehe, das ist der Wille der Familie, der Kirche, der Gesellschaft: die Liebe, das ist euer Recht. Wenn ihr euch ohne Ehe hingebt, seid ihr schuldig; wenn ihr euch ohne Liebe hingebt, seid ihr infam. Euer Ruhm, o Jungfrauen, gebietet, daß euer köstlicher Körper sich nur der Liebe ergiebt, nicht den Preis der Eitelkeit oder des Interesses bezahlt. Damals, als dieses Gesetz erlassen wurde, zwang man oft ein Kind zur Heirat mit einem rohen Junker. Dieses Opfer, das die Kirche auf ihrem Altar dargebracht hatte, fand in der heitern Wissenschaft das Recht auf Liebe; denn diese Wissenschaft, die das Sakrament achtet, erkennt es nur für giltig, wenn es die Liebe bestätigt. Das zweite Gebot ist einfach: »Wer nicht zu schweigen weiß, weiß nicht zu lieben.« Euer Recht auf Liebe ist kein Recht auf Skandal noch auf Empörung. Diese Familie, diese Kirche, diese Gesellschaft, gegen die ich euch waffne: deren Ansehen dürft ihr niemals antasten. Wenn euer Schicksal euch zwingt, gegen deren Willen zu lieben, müßt ihr schweigen. Hier schließlich das dritte Gebot, das ich erläutern werde: »Die Geradheit allein macht jeden der Liebe würdig.« Der sichtbarste Adel, das ist die Schönheit bei der Frau und der Geist beim Manne. Allein der Geist begreift und ehrt die Schönheit würdig und es giebt keine vollkommenere Liebe als die, welche die Vollendung der Form mit der Vollendung des Geistes verbindet. Aber die Geradheit, die hervorragende Eigenschaft, das ist der gute Wille, der Wille zum Guten. Wenn ich euch bäte, den geraden aufrichtigen Liebenden zu definieren, was würdet ihr antworten? Aber wir haben genug Jurisprudenz geübt: ihr zieht einen guten Prozeß vor. Ich gebe euch den des Dichters von Vaucluse. Ich nehme die Version, daß die berühmte Laura niemals verheiratet war. Wir besitzen Zeugnisse, daß der Papst Johannes XXII. den Dichter mit seiner Muse verbinden wollte. Er war bereit, ihn von seinem Priestergelübde zu lösen und ihm reiche Pfründen zu geben. Das hätte nicht geschehen können, wenn Laura die Gattin von Hugues de Sade gewesen wäre. Um euch das berühmte Abenteuer näher zu bringen, anmutige Mädchen, nehme ich an, wir haben den 6. April 1327. Francesco hat Laura in der Messe gesehen, er ist ihr gefolgt, er liebt sie. Wie wird er handeln, als gerader Liebhaber.
Mabile de Sade sagte:
– Ich spreche als erste, denn das ist für mich eine Familienangelegenheit. Mit neunzehn Jahren kann eine junge Frau ihren Gatten lieben. Nach der Tradition war Laura verheiratet. Zu dieser Zeit war Petrarca noch nicht der im Kapitol gekrönte Dichter; er hatte nur erst lateinisch geschrieben und nichts Begeisterndes. Wenn er sich wirklich weigerte, Laura zu heiraten, hat er es wohl verdient, daß sie ihn nicht in Gnaden aufnahm: denn die Geradheit, wenn man liebt, liegt darin, daß man sein Schicksal mit dem geliebten Wesen vereinigen will.
– Mir scheint, sagte Adelaïde, das Interesse, das wir verfolgen, besteht nicht darin, die Vergangenheit wiederherzustellen, sondern, abgesehen von diesen berühmten Gestalten, welche die These stören, zu bestimmen, wie ein Jüngling gerade und aufrichtig eine Jungfrau lieben soll.
– So liegt die Frage, sagte Stella von Senanques, aber sie ist nicht zu lösen. Der Gerade, Aufrichtige wird die Jungfrau achten, und, die Jungfrau achten, das hat nur einen Sinn.
Douce de Forcalquier protestierte:
– Eine Rose einatmen oder sie pflücken, sie küssen oder sie entblättern, das ist ein großer Unterschied, den unsere Freundin Stella nicht sieht.
Mabile stimmte Stella bei:
– Einatmen, das ist köstlich als Vorspiel, wenn aber der Duft berauschend ist, kann sich der Gerade, Aufrichtige verirren.
– Die Geradheit in der Liebe, sagte Alaëtte, einer Jungfrau gegenüber, heißt, sie heiraten.
– Heiraten beim Bruder Lorenz, wie Romeo Julia heiratet, oder vorm Altar? fragte Hugonne.
– Man muß eine Jungfrau platonisch lieben, betonte Alaëtte.
Die Antworten waren weder lebhaft noch seltsam. Hinderte die Scham die jungen Mädchen, ihre Gedanken zu entschleiern? Wenn sie aufrichtig gewesen wären, hätten sie viel von sich selbst gebeichtet.
– Die Präsidentin bleibt stumm. Emezinde, an dir ist die Reihe.
Sie überlegte einen Augenblick. Was sie sagte, würde Ramman für immer seinem Gedächtnisse einschreiben.
– Meine schönen Freundinnen, ich werde mit einer Frage antworten: sie wird die Schwierigkeit lösen, die euch verlegen macht. Worin besteht die Geradheit dessen, der eine verheiratete Frau liebt? Weder ihren Ruf noch den Frieden ihres Hauses zu verletzen; nie zu vergessen, daß seine Geliebte eine Gattin ist. Nun, der Geliebte einer Jungfrau wird gerade, aufrichtig sein, wenn er nie vergißt, daß er eine Jungfrau liebt.
– Ich begreife nicht, sagte Alaëtte.
Die Andern applaudierten.
– Wirklich, Emezinde ist würdig, uns zu führen, sagte Stella.
– Was meint der Troubadour? fragte Hugonne.
– Er applaudiert auch. Die Liebe, das ist euer Recht, aber ihr werdet schuldig, wenn ihr euch ohne Ehe hingebt. Dieses Recht ist ein geheimes Recht, ein inneres Recht, das ihr nicht dem dreifachen Interesse der Familie, der Kirche, des Staates entgegen stellen dürft. Da die Geradheit die Tugend ist, die alle andern aufwiegt und die alle zusammen nicht ersetzen würden, sah ich die klare Antwort voraus, die ihr eben hörtet. Wer nicht die Bedingungen eures Schicksals achtet, wer euch nicht so läßt, wie er euch findet, der ist ein Verräter. Auf diesem Turm von Pierrefeu, im Namen von sieben Enkelinnen der großen Provenzalinnen des 12. Jahrhunderts, Dame von Romanil, nehmen Sie ein Urteil, das Ihres Blutes würdig ist.
Er schrieb lebhaft eine Zeile und reichte das Papier Emezinde, die es mit lauter Stimme las:
– Der Liebhaber einer Jungfrau muß das Gelübde der Jungfräulichkeit ablegen.
In diesem Augenblick rief die Dienerin: seit langem warteten die Wagen.
Am Fuße des Turmes, riß Ramman einen langen Epheuzweig ab und näherte sich Emezinde.
– Da uns die verdiente Rose fehlt, wollen Sie diese einfachen, ausdauernden, immergrünen, treuen Blätter, die sich so innig dem Gegenstande anschmiegen, der sie trägt?
Das junge Mädchen nahm den Zweig, bog ihn zum Kranz und steckte die Enden in ihren Gürtel.
– Ich kehre morgen nach Avignon zurück, sagte sie einfach zu Adelaïde.
War das für ihn gesagt?
Er zog Fräulein von Pierrefeu am Ärmel.
– Fee, ich bin in Verlegenheit: wenn ich nach diesen Gesprächen nicht die Hände küsse, fürchte ich, werden diese Katzen Emezinde die Schuld geben … und man muß die Zukunft schonen. Bitten Sie Ihre Cousine um Erlaubnis.
Diese aufrichtige Sorge erwies sich als eine große Gewandtheit: ob Fräulein von Romanil einwilligte oder ablehnte, sie engagierte sich, sie duldete die angebotene Vasallenschaft.
Er sah, wie sie ihre Cousine anhörte, etwas die Augenbrauen runzelte und dann zu ihm kam, ihm ihre nackte Hand bietend.
– Sie haben sechs Hände zu küssen statt fünf.
Er wagte seinen Kuß darauf zu drücken.
– Meine Kinder, erklärte Adelaïde, vergeßt das nicht: »wenn man nicht zu schweigen weiß, weiß man nicht zu lieben.« Ihr habt in Pierrefeu nur einen Zigeuner gesehen, der euch wahrgesagt hat.
Als der köstliche Chor verschwunden war, blickte Ramman Adelaïde mit heiterem Ausdruck an.
– Fee, Sie haben heute den höchsten Zauber geübt.
Sie lächelte glücklich.
– Ich glaube, mein Freund, es liegt Grund vor, gleich morgen nach Avignon zurückzukehren.