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Erzählungen an Bord

 

Der Fremde hatte in der Wachtstube der Matrosenkaserne seinen Empfehlungsbrief abgegeben. Ein Maat führte ihn dann über den Exerzierplatz zum Torpedohafen. Dort steckte, in dem kleinen, von der Föhrde abgeschnittenen künstlichen Teich die Flotille eng gedrängt wie Pfeile in einem gefüllten Köcher. Ihre schmalen Decks bildeten einen einzigen schwarzen, wenngleich vielfach zerklüfteten Boden, der etwas tiefer lag als die Steinrampe, die den Hafen abschnitt, und man stand auf dieser Rampe fast in dem scheinbar wirren und doch so gleichmäßig zusammengesetzten Wäldchen der Signalmasten. Der Besucher schickte dem Offizier vom Tagesdienst seine Karte hinunter. Der Leutnant erschien aus der Kajüte und bat den Fremden, herüberzukommen.

Es war Samstagnachmittag, und der Leutnant befand sich in der etwas gelangweilten Hafenstimmung, in der man die müßigen Stunden der Wache als die unvermeidlichen grauen Einschiebsel zwischen einer anstrengenden Woche auf See und den spärlich bemessenen Vergnügungen des Sonntags hinnimmt. So lud er denn den Besucher, der munter mit einem Satz zu ihm heruntergesprungen war, in die Kajüte. Ein alter Uniformmantel hing an der Wand. Den bot er dem Gaste an, damit er sich nachher beim Umherkriechen in den Booten die Kleider nicht verderbe. Und indem die beiden jungen Leute dann zusammen vom Maschinenraum und der Kommandobrücke in der Mitte bis zur Spitze und zum Heck durch die engen Mannschaftsräume krochen und über die Ausstoßrohre, die gefetteten und geölten Ketten und die niedern Aufbauten stiegen, kamen sie, durch das Hin und Her von Fragen und technischen Erläuterungen, in ein Gespräch, bei dem sich beide nicht ohne Gefallen an kühnen Meinungen und Voraussagen für Krieg und Frieden ergingen und zu erkennen gaben, daß sie beide schon ein wenig von der Welt gesehen hatten. Der Besucher war in einer Industriestadt Sekretär der Gewerbekammer und wußte von politischen Dingen mancherlei zu sagen. Auf Indienfahrt waren beide einmal gewesen. Der Leutnant auf dem großen Kreuzer, der den Kronprinzen auf seiner Reise begleitete, der Fremde vor dem russisch-japanischen Krieg, auf einer Fahrt bis Wladiwostok.

»Das möchte jeder einmal machen, unten um Asieg herumfahren und über Amerika nach Hause«, meinte der junge Offizier, der damals ohne Aufenthalt in Colombo wieder heimbeordert worden war und geduldig seinen Garnisondienst tat, denn nicht jeden trifft das schöne Los, auf Auslandsstation zu stehen.

»Auf einem Hamburger Frachtdampfer werden Sie es nicht gerade wollen«, sagte der Fremde. »Ich war ein bißchen zuviel unter Deck auf jener Reise und nicht gerade als Passagier. Übrigens mußte ich dann auch durch Sibirien nach Hause. Als Hase sozusagen, wie es sich dort allerdings von selbst versteht. Das heißt, ohne Billett.«

»Hm«, machte der Leutnant und betrachtete mit etwas hochgezogenen Brauen den Gast. »Sie können wohl gut Chinesisch?«

»Keine Spur davon«, schmunzelte der Fremde. »Ich war nämlich von daheim ein bißchen ausgerissen. Beim Konsul in Wladiwostok lagen dann ganze zweihundert Mark für mich zur Heimreise. Ich hatte Reisekameraden. Von diesen führte einer den Namen Chaim Binel Ziferblatt. Der andere hieß Robert Karlowitsch Geinz und stand auf der Lokomotive.«

»Hören Sie mal,« lachte der Leutnant, »die Geschichte müssen Sie erzählen.« Er streckte seinen langen schlanken Körper und sah über den Fremden hinweg die Möwen um die angeketteten Torpedoboote fliegen.

»Ich war mit diesem Ziferblatt in der Bahn, gleich nach der Abfahrt von Wladiwostok, bekannt geworden«, plauderte der Fremde und stellte sich etwas breitbeinig auf, mit den Händen in der Tasche. »Ziferblatt war ein Jude, hatte seine Jahre dort draußen bei der Festungstruppe abgedient und fuhr in einem beinah neuen schwarzen Anzug und mit zwei großen hölzernen Koffern nach Hause. Wir reisten unter Bauern und Soldaten in der dritten Klasse. Da ich vom Schiff her mit einer gequetschten Hand zu tun hatte und hier von einem dieser Rüpel einen Stoß bekam, passierte es mir, daß ich ohnmächtig in den Wagen fiel. Als ich wieder zu mir kam und ein Haufen Leute mich anglotzte, die mein Deutsch nicht verstanden, kam der Jude aus einer Ecke hervor und nahm sich meiner an. Von jetzt an reisten wir zusammen. An der Grenze zur neuen Bahnlinie wollte ich ein Billett kaufen. ›Das macht man in Rußland anders‹, sagte Ziferblatt. Er ließ sich von mir den halben Fahrpreis geben und redete mit dem Konduktor. So fuhren wir ohne Billett gleich den ersten Tag. Nun erst beginnt die eigentliche Geschichte.


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