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Im Himmel. Ein kostbar ausgestattetes Gemach in Rosa. Maria, vornehm geschmückt auf ihrem Thron, umgeben von meist jüngeren Engeln in lichter, farbiger Tracht, die, mit Büchern, Schulheften, Schreibtafeln in den Händen, an den Stufen des Thrones teils sitzen, teils knien, teils in malerischer Stellung liegen. Es ist Schule. Seitwärts zur Rechten, halb in der Kulisse, steht der Schullehrer, ein hochaufgeschossener, unsäglich magerer Mensch in langem, schwarzem Schnürrock, mit verbittertem, glattrasiertem Gesicht und überkämmter Glatze.
Maria mit einem Pfauenwedel spielend. Sagt einmal euren Spruch auf!
Kinder unisono, in breitem, schreiigem Ton, mit falscher Akzentuierung, mit dem Rhythmus, wie ihn das Prinzip des geringsten Lautwiderstandes an die Hand gibt. Gägrüsst saist du, Marea, du best voller Gnaden, der Härr ist mit dir, du best gebene daiet unter den Waibern, und gebene daiet ist die Frucht deines Laibes, Jäsus Christus – Hail'ge Marea, Mutter Gottes, bett für uns arme Sündärr, jäzt und in der Stunde des Abstärbens...
Maria entsetzt. Ja, um Gottes willen, wo habt ihr denn das gelernt?
Kinder durcheinander, gurgelnd. In Tiroll – in Tiroll – im schönen Land Tiroll!
Maria entsetzt. Gott, ist das eine verknödelte Gesellschaft! – Sieht sich um, zum Lehrer, der ausgehungert rechts in der Kulisse steht. – Kann man denn den Kindern die Gebete nicht wenigstens dem Sinne nach, statt nach der Rücksicht des Möglichst-raschen-fertig-werdens, eintrichtern?
Lehrer jämmerlich, mit belegter Stimme. Es geht nicht mehr, allergnädigste Gottesmutter, die Kehlen sind vollständig in der einen Richtung festgelegt, die Laute – das Resultat einer tausendjährigen Übung.
Maria. Warum machen Sie denn so ein jämmerliches Gesicht?
Lehrer. Es ist mir nicht gut – ich fühle mich immer so schlecht...
Maria für sich. Gott, der Mensch hat Hunger und ist zu anständig, es zu sagen – Laut. Sind Sie denn immer noch so miserabel bezahlt?... Jetzt kommen Sie herauf in den Himmel und bringen Ihren unstillbaren Hunger von der Erde mit – ich kann ihnen leider nichts anbieten – bei uns werden nur Hostien gegessen – nicht 'nmal 'nen Schluck Wein kann ich Ihnen offerieren – wir dulden keine Utraquisten daheroben – Sie sollten eben kurz vor dem Tod wenigstens einmal sich satt essen können – unter den Nachbarn ein wenig sammeln gehen – 'n paar Pfennig für Bier unter den Männern – zusammensammeln – und vielleicht etwas Schmalz unter den Weibern...
Kinder fallen auf das Stichwort ein. ... und gebenedaiet ist die Frucht deines Laibes, Jäsus Christus, Amän! Hail'ge Marea, Mutter Gottes...
Maria entsetzt. Um Gotteswillen, wart ihr denn aufgezogen?- Ich hab' doch nicht an den Knopf gedrückt! – Das sind ja die reinsten Automaten... – Zum Lehrer. Sie müssen den Kindern – trotz Ihres Hungers – beibringen, nach dem Sinn zu beten – auch nach zweitausend Jahren – damit nicht, wenn ich von Schmalz rede, sie die Frucht meines Laibes daherbringen!...
Kinder korrigierend, unisono. ... Frucht deines Laibes!...
Kinderstimmchen einzeln, naiv ... Stunde des Absterbens, Amen...
Maria überwältigt. – Ach wie süss! – – Wie heisst denn du, mein Schätzchen? –
Kinderstimmchen wie oben ... Maria Ebner – Schlotfegermeisterstochter aus Kleinhüttenbach – mi hab'n s' ins Wasser neig'schmiss'n, weil mer scho zu sechst waren – und der Vater hat net mehra verdient – und d' Mutter hat g'sagt, i werd' eso glei an Engerl...
Lehrer wischt sich eine Träne ab. Ja, – so sinds da drunten – in dera Gegend – zwischen Brixen und Kufstein...
Kinder unisono. In Tiroll – in Tiroll – im schönen Land Tiroll!
Maria mit einer Grimasse. Gott, dieser Katholizismus steht mir schon bis daher! – Macht Bewegung des Ekels – – Resolut. Reden wir von was anderem! – – Nehmt eure Bücher her! – Zum Lehrer. Sie können gehen und sich etwas erholen. – Zu den Kindern. Wo sind wir stehengeblieben? – Jetzt aber schön hochdeutsch lesen! – Preussisch!...
Grösserer Engel liest, während alle ihre Bücher aufschlagen, aus einer der Novellen des Boccaccio mit breiter, kreischender, alles gleich betonender Stimme. »... Agilulf, der König der Longobarden, befestigte, gleich seinen Vorgängern in Pavia, der Hauptstadt der Lombardei, seinen Thron durch Vermählung mit Teudolinga, der Witwe Auterichs, der ebenfalls König der Longobarden gewesen war. Diese Gattin war sehr schön, verständig und ehrbar, der aber dennoch ein Liebhaber einst einen schlimmen Streich spielte. Als nämlich durch die Tapferkeit und den Verstand des Königs Agilulf der lombardische Staat glücklich und ruhig geworden war, geschah es, dass ein Reitknecht der genannten Königin, ein Mensch, was die Abstammung anbetrifft, von höchst ärmlichen Umständen, sonst aber über sein schmähliches Geschäft hoch erhoben und von Person schön und gross wie der König, sich über alle Massen in die Königin verliebte. Da jedoch sein niedriger Stand ihn keineswegs verhinderte, einzusehen, dass diese seine Liebe ausser allen Grenzen der Möglichkeit und Schicklichkeit liege, so offenbarte er sich als ein verständiger Mann niemandem und wagte nicht einmal, sich der Königin selbst nur durch einen Blick zu entdecken. Obgleich er nun gänzlich hoffnungslos war, so tat er sich doch bei sich selbst etwas darauf zugute, dass er seine Gedanken so hoch hatte steigen lassen, und vom Liebesfeuer ganz entzündet, gab er sich Mühe, es allen seinen Kameraden in allem, von dem er glaubte, dass es der Königin gefallen könnte, zuvorzutun. Dadurch geschah es, dass die Königin, wenn sie ausritt, weit lieber das Pferd ritt, das dieser wartete, als ein anderes, und dies rechnete sich jener zur höchsten Gnade, ging alsdann nicht vom Steigbügel weg und schätzte sich glücklich, wenn er ihre Kleider berühren durfte. – Aber wie wir dies häufig sehen, dass die Liebe um so stärker wird, je mehr sich die Hoffnung verringert...«
Maria unterbrechend. Ja, kriegen denn die zwei sich noch nicht? –
Lesender Engel stockt. – – Ich weiss nicht, Immerwährende Jungfrau.
Maria. Sieh mal, wieviel Seiten die Geschichte noch hat?
Lesender Engel zählt sorgfältig nach. Noch zwanzig, Allerseligste Gottesmutter.
Maria. Das ist ja schrecklich lang; kann man denn da nichts überschlagen? – Lässt sich das Buch geben. – Na, ich glaube, jetzt wird's etwas lebhafter. Lies mal zu! – Gibt ihm das Buch zurück.
Lesender Engel wie oben. »... je mehr sich die Hoffnung verringert, so geschah es auch bei diesem armen Reitknecht, der sein verborgenes Verlangen, das von keiner Hoffnung gelindert war, kaum mehr ertragen konnte und oft, da er sich von dieser Liebe nicht losmachen konnte, den Entschluss fasste, zu sterben...«
In diesem Augenblick ist das Weib, ein junges, blühendes Wesen in schwarzen Haaren, mit schwarzen, tiefliegenden Augen, in denen eine verzehrende, aber noch nicht aufgeschlossene Wollust verborgen liegt, in ganz weissem Gewand zaghaft auf die Schwelle getreten; alles ist bestürzt und wie geblendet über den neuen Ankömmling in die Höhe gefahren; die Engel starr und wie unentschlossen, was zu tun, die Blicke auf das Weib gerichtet.
Maria die sich erhoben hat, imperatorisch. Wer ist diese Person? – Als keine Antwort erfolgt. – Wer hat dich hereingelassen? – Woher kommst du? – Kommst du von drunten? – Bist du eine Gestorbene? – Oder was Besseres? – Eine Heilige? – Was willst du hier? – Mir Konkurrenz machen? – Mit welchem Recht... ? – Fängt zu zittern an.
In diesem Augenblick kommt der Teufel hinter dem Weib herein, atemlos, als habe er sich verspätet, macht eine tiefe Reverenz vor Maria.
Teufel devot. Gnädige Frau, – das Weib vorstellend – meine Tochter!
Die Engel fahren kreischend nach links ab.
Maria die Thronstufen hinabsteigend, mit dem Ausdruck höchster Verwunderung. Ah! –
Teufel den Eindruck abwartend; dann nach einer Pause. Ich hoffe, sie gefällt dir?
Maria zögernd, ihre Eindrücke sammelnd. Gefallen? – Nein, dazu ist sie zu schön. Dieses Biest schlägt alle im Himmel und auf Erden. – Ich erwartete ein Scheusal.
Teufel. Gnädige Frau, damit...
Maria unterbrechend, zornig. ›Gnäd'ge Frau! – Gnäd'ge Frau!‹ – Ich bin die Immerwährende Jungfrau und Allerseligste Gottesmutter! – Merk' dir's! – Mit einem Blick auf das Weib.
Teufel sehr devot, halblaut. Diese feinen Unterschiede erfasst die noch nicht. Sie ist wie ein Kind.
Maria. Wie, spricht sie nicht?
Teufel. Gott bewahre!
Maria. Sie spricht keine Sprache?
Teufel. Sie spricht die Sprache, die alle Weiber sprechen, die Sprache der brennendsten Verführung.
Maria. Ich meine, du bist über unser Programm hinausgeschritten. – Was soll diese süperbe Person...? –
Teufel. Ich musste sie in irgendeiner Art...
Maria einfallend. Wenn ich das wollte, konnte ich einen meiner Engel, ich konnte selbst...
Teufel. Oh, schönste Frau, nimmermehr; Ihr habt vergessen...
Maria. Ja, ja! – Ganz richtig! – Jawohl! – – Aber warum so blendend? – Das reine Entzücken! – Zum Teufel gewendet, halblaut. Kann man sich hier was vergeben?
Teufel. Du kannst sie glatt bewundern; noch weiss sie gar nichts.
Maria verschlingt das Weib mit ihren Blicken, geht dann in einer plötzlichen Wallung auf sie zu und küsst sie.
Das Weib fährt fast erschrocken zurück.
Maria überwältigt. Das volle Entzücken! – Wie ein Kind!
Teufel mit komischem Pathos. »Rein aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen!« –
Maria empfindet den Stich. Oh – buffone! – Wo hast du sie her?
Teufel sehr gespreizt. Gewisse Geheimnisse unserer Fabrikation können wir nicht mitteilen; – indes – die Mutter kann ich dir nennen.
Maria. Ah!
Teufel. Eine gewisse Salome, – die schöne Köpferin, – die sich mit einer Schnellung ihres Tanzbeins einen warmen Menschenkopf holte.
Maria sich besinnend. Haben wir die nicht heroben?
Teufel trocken. Nein, nein! – Solche Personen habt ihr nicht heroben.
Maria versunken in der Gestalt. ... solche Personen habt ihr nicht heroben...! Und so blendend! –
Teufel. Was du siehst, hat sie von der Mutter.
Maria. Von ihr.
Teufel sarkastisch. Und noch einiges, was du nicht siehst! –
Maria zu ihm hinüberschauend, verständnisvoll. Jawohl! – Sonst? –
Teufel. Die Qualitäten des Vaters kommen erst später zum Vorschein; – wenn sie Übung hat...
Maria. Das glaub' ich!
Teufel. Ich war in meiner gloriosen Stimmung!
Maria die sich von der Gestalt nicht trennen kann. Und dieses keusche Entzücken, dieses unvergleichliche Auge, dieser Impuls voll überirdischer Lust, dieser Gedanke von übermenschlicher Güte und Mitleid soll die Menschen, sagst du, vergiften und verderben?...
Teufel sehr bestimmt. Das soll es!
Maria. Soll es das? – Kann es das? –
Teufel höhnisch. Kann es das? – Ich sag' dir, das in ihr verschlossene Gift ist so stark: nach vierzehn Tagen soll der, der sie berührt, mit Augen wie Glasklicker in die Welt schauen; seine Gedanken gerinnen ihm, und er schnappt nach Hoffnungsluft wie ein trocken gewordener Fisch; nach sechs Wochen betrachtet er seinen Körper und fragt: Bin das ich? – die Haare fallen ihm aus, die Wimpern fallen ihm aus, die Zähne fallen ihm aus; Gebiss und Gelenke werden wackelig; nach drei Monaten ist er an seiner Menschenoberfläche durchlöchert wie ein Sieb, und er spekuliert an den Schaufenstern der Kaufläden herum, ob man etwa eine neue Menschenhaut kaufen könne; die Verzweiflung rinnt ihm nicht nur im Herzen zusammen, sondern läuft ihm auch stinkend zur Nase heraus; die Freunde begucken sich gegenseitig, und wer in der ersten Phase der Vergiftung ist, lacht den aus, der sich in der dritten oder vierten befindet; nach einem Jahr fällt ihm die Nase in den Suppenteller, und er läuft zum Kautschukhändler, um eine neue zu kaufen; dann verzieht er, geht an einen andern Ort, wechselt das Handwerk, wird mitleidig und sentimental, tut keinem Tierlein was zuleide, entwickelt moralische Gesinnungen, spielt mit den Mücklein in der Sonne und beneidet die jungen Bäume im Frühling; er wird katholisch, – wenn er protestantisch war; und protestantisch, – wenn er katholisch war; nach zwei, drei Jahren liegen ihm die Leber und die grossen Drüsen wie Mörser im Leib und er denkt auf lockere Speisen; dann gimpelt's ihm im einen Aug', nach einem weiteren Vierteljahr ist es zu; nach fünf, sechs Jahren beginnt ein Zucken und Schiessen im Körper auf und ab, wie ein Feuerwerk; er geht noch spazieren, und fleissig sieht er nach, ob die Füsse noch unter dem Leib hervorkommen; noch etwas später zieht er es vor, im Bett zu bleiben; er liebt die Wärme; nach acht Jahren etwa nimmt er sich eines Tages einen Knochen aus dem eigenen Gebäu, beriecht ihn und schmeisst ihn voll Grausen in die Ecke; er wird dann fromm, frommer, am frömmsten; er liebt die Maroquinbände mit Goldschnitt und einem Kreuz darauf; und nach zehn Jahren liegt er schlank dort, ein verwelktes Skelett, mit gähnend gegen den Kalkplafond aufgesperrtem Maul, das ›warum?‹ fragt und stirbt. – – Die Seele gehört dann euch! –
Maria sich voll Abscheu wegwendend. Äh!
Teufel verwundert. Was? – Habe ich meine Sache nicht gut gemacht? – War die Arbeit nicht so bestellt? –
Maria die Hände vor dem Gesicht, schluchzend. Ach, die armen Menschen!
Teufel einfallend. ... bleiben erlösungsbedürftig und erlösungsfähig! –
Maria die sich wieder umgewendet, starrt mit offenen Augen das Weib an, in deren Anblick sie versunken bleibt. Das Weib in der ursprünglichen naiven, seiner unbewussten, schönheitsvollen Haltung.
Man hört draussen ein Geräusch, wie von Kommenden.
Maria erwachend und zur Türe eilend. Nein, niemand soll herein! – Nachdem sie vor der Tür die Kommenden erblickt. Nein, mein Sohn soll nicht herein; kann nicht herein, darf nicht herein. – Zurückkehrend, wild. Schaff mir das Weib aus dem Haus! – Tu mit ihr, was du willst; aber fort, fort! – Augenblicklich! –
Teufel bittend. Liebe Maria, Immerwährende Jungfrau, Allerseligste Gottesgebärerin, ich hätte noch einige Wünsche, ich denke, ich verdiente doch,... du weisst...
Maria eilfertig. Ja, ja, – da sollst deine Stiege haben; aber nur fort, fort! –
Teufel larmoyant. Und Gedankenfreiheit! –
Maria. Freund, du denkst nur viel zu viel! – Ich will mir's überlegen, was ich befürworten kann; – aber jetzt fort! –
Teufel mit einem schwachen Seufzer, verbeugt sich tief vor Maria, geleitet dann mit grosser Vornehmheit das Weib nach aussen, wohin er sie vorantreten lässt.
Maria eilt hinterdrein, schaut starr mit offenem Munde den Gehenden nach.
Der Vorhang fällt.