Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Eines Tages kam Dieter wieder aufgeregt zur Traute: »Du, ich soll dem Doktor helfen. Er baut sich ein Unterwasserfahrzeug, ein Unterseeboot, so groß wie eine Männerfaust. Jeden Nachmittag suche ich unsern Doktor auf und feile und schraube und hämmere. Mal arbeiten wir in unserer natürlichen Größe, und wenn wir feinere Arbeiten verrichten wollen, dann trinken wir einen Schluck aus der Wunderflasche und arbeiten als Liliputaner weiter. Es ist riesig interessant.«
»Dieter, nimm mich mit, kann ich nicht auch dabei helfen?«
»Vorläufig können wir dich nicht dabei gebrauchen, aber wir holen dich noch.«
Traute war sehr traurig, daß die beiden Männer allein das Unterseeboot bauen wollten. Sie hätte auch gern mitgearbeitet. Warum dachte man immer so gering von ihr? Hatte sie sich nicht aus dem Bienenkorb gestürzt, als Doktor Kleinermacher und Dieter während der Drohnenschlacht hinausgeworfen wurden? Hatte sie vor dem Maulwurf und vor der Spitzmaus Angst bekommen? Sie hatte ihr kleines Gewehr nicht weggeworfen, sondern es schußfertig gemacht, als die beiden Bestien herankamen. Man sollte doch nicht immer so gering von den Mädchen denken! Und arbeiten konnte sie auch. Sie fürchtete sich nicht vor Dreck, vor Schrauben und vorm Hämmern.
Traute war mehrere Tage lang sehr traurig. Und als es sogar Wochen wurden, ehe Dieter wieder zu ihr kam, ließ sie immer mehr ihren Kopf hängen. Nein, wenn die Männer so schrecklich egoistisch sind und von ihr so gering denken, dann will sie den Dieter gar nicht mehr sehen. Der Junge soll nur kommen und sie auffordern, mit zum Doktor Kleinermacher zu gehen! Sie wird einfach gleichgültig die Schultern zucken und ihm schnippisch sagen: »Fällt dir nichts Besseres ein?« Ganz fest hat sie sich das vorgenommen und es schon ein paarmal eingeübt. Je gleichgültiger und schnippischer ihre Worte klingen werden, desto besser: »Fällt dir nichts Besseres ein?«
Und dann kam Dieter eines Tages zur Traute gerannt. »Du, Traute, das Unterseeboot ist beinahe fertig. Du sollst nur noch ein paar Kissen für die Sitze nähen und ein paar Vorhänge für die Fenster.«
Traute vergaß alles Beleidigtsein und rief nur: »Fein! Fein! Ich komme sofort mit.« Hand in Hand rannte sie mit Dieter zum Doktor Kleinermacher. Sie durcheilten ohne Aufenthalt die Straßen, fanden das Haus, stürmten die Treppen hinauf, und im Zimmer des Doktors standen sie dann voller Staunen vor dem kleinen Wunderwerk.
Das Unterseeboot war nicht viel größer als eine Männerfaust. Nach allen Seiten hinaus trug es Glasfenster. Ein kleiner Motor trieb die Schiffsschraube, und auf einer Seite war sogar eine Torpedoanlage angebracht.
Der Doktor Kleinermacher ist doch ein Tausendkünstler. Die Wunder bei dem Doktor werden immer erstaunlicher. Da soll man den Männern noch böse sein? Willig ließ sich Traute von dem Wunderwasser verkleinern und stieg in das Innere des Bootes hinein. Das kleine Prachtstück hatte alles, was man von einem U-Boot verlangen konnte. Selbst die Treppen waren sauber gearbeitet, auch die Treppengeländer waren vorhanden, und durch die Scheiben konnte man die Welt sehen. Nur die Bänke waren etwas hart. Sie nahm alles, was der Doktor vorbereitet hatte, Nadel, Schere und Stoff, und fertigte Kissen und Vorhänge an und alles, was das Unterwasserfahrzeug brauchte. Selbst einen Teppich schnitt sie zurecht; damit die Füße nicht kalt werden, erklärte sie dem Dieter. Der Doktor stand lächelnd dabei und war zufrieden, ein kleines Hausmütterchen bei seinen Abenteuern zu haben. Am nächsten Tag trafen sich die drei wieder beim Imker. Der Bienenzüchter war ein Freund des Doktors, und sein Garten lag an einem kleinen Gewässer. Doktor Kleinermacher war so oft Gast in der Imkerei, daß der Besitzer gar nichts dabei fand, wenn der Doktor mit seinen kleinen Gästen auch in der Abwesenheit des Besitzers hier blieb. Der Doktor sagte immer, er wollte die Bienen und Tiere beobachten, dazu brauche er Ruhe und Einsamkeit.
Kaum war der Imker fort, so baute sich der Doktor einen kleinen Steg ins seichte Wasser, setzte das Unterseeboot in den See und reichte die Wunderflasche herum. Nur nicht lange überlegen, große Abenteuer stehen bevor, schnell trinken und dann hinein ins Unterseeboot. Wir können ja kaum die Zeit abwarten! Das Zusammenschrumpfen des Körpers wurde mit Ungeduld erwartet, und kaum waren sie so klein wie Schreibfedern, liefen sie den Landungssteg entlang, kletterten in das Unterseeboot hinein, und der Doktor machte das Boot klar, verschloß den Deckel fest, und dann stellte er den Motor an.
Dieter und Traute hüpften vor Freude immer von einem Bein auf das andere. Das gibt ein Abenteuer, so groß wie noch keins! Der Doktor Kleinermacher soll leben, er ist wirklich ein prächtiger Mensch. Doktor Kleinermacher, das hast du wieder fein gemacht!
Jetzt ging der Motor los, die Schiffsschraube drehte sich wie rasend herum, und das Unterseeboot flitzte in solch sausender Fahrt durch das Wasser, daß der Doktor schon fürchtete, sein Fahrzeug würde am anderen Ufer beschädigt landen. Er steuerte das kleine Fahrzeug immer im Kreise um den See herum und winkte Dieter heran, das Steuer zu bedienen. Der Doktor mußte sich um den Motor kümmern. Das Boot flitzte viel zu schnell durch das Wasser. Halbe Touren würden auch genügen. Aber immer mehr mußte der Doktor die Fahrt mäßigen, ehe die Geschwindigkeit so gering wurde, daß man das Leben und Treiben unter dem Wasser beobachten konnte. Jetzt erst sahen die drei, was für ein reiches Leben unter dem Wasser wimmelte, vorher konnten sie nur ein Vorbeihuschen von Schatten erkennen. Es gab so viel zu sehen, daß der Doktor wieder helfen und aufklären mußte. Vorsichtig und sehr langsam lenkte er sein U-Boot auf ein greuliches, ekliges Ungetüm zu. Das Tier lag am Grunde des Wassers und war beinahe so lang wie die Zuschauer selbst. Das häßliche, längliche Insekt lag still und lauernd am Boden. Wenn irgendein kleines Tierlein in der Nähe umherhuschte, dann sah es aus, als ob das häßliche Insekt zum Sprunge ansetzen wollte. Aber immer blieb es beharrlich auf seinem Platze und machte keine Anstrengungen, die Beute zu erreichen. Da schlängelte sich ein kleines Würmchen vorüber. Jetzt – – die Kinder sahen es mit Schrecken und Staunen, warf das greuliche Insekt eine Zange vor, die es bisher unter seinem Kopf verborgen gehalten hatte. Die Zange saß an einem zusammenklappbaren Stiele und packte das arme Würmlein. Dann wurde die Zange wieder eingezogen, und unbarmherzig wurde die zappelnde Beute verspeist. Traute wandte sich fragend an den Doktor: »Was ist denn das eigentlich für ein Ungetüm?«
»Das ist eine Seejungfer, eine Libelle.«
»Aber Doktor Kleinermacher, jetzt willst du uns zum Narren halten! Die schönen Libellen sehen prächtig bunt aus und fliegen durch die Luft. Die häßliche Kreatur kann doch im Leben keine Seejungfer sein.«
»Doch, doch. Die Seejungfern legen ihre Eier ins Wasser. Aus den Eiern kriechen die Libellenlarven, und die Larven sehen so häßlich aus wie das Ungetüm hier. Habt keine Angst, in unserem eisernen U-Boot kann uns die Larve nicht überfallen. Sonst aber fressen sie alles, was sie erreichen können. Mit ihrer Zange am Lasso packen sie derb zu. Man nennt diese Vorrichtung auch Fangmaske, weil die Maske zurückgezogen vor dem Kopf getragen wird. Schöner sehen die Libellen aus, wenn sie aus ihrer Verpuppung herauskriechen. Mit ihren schillernden Farben fliegen sie dann prächtig durch die Luft. Aber gemordet, gefressen und geräubert wird in der Luft weiter. Man hat die Libellen schon die Falken unter den Insekten genannt. Denn flink sind die Dinger, jede Beute erreichen sie. Eine Fliege oder ein Schmetterling in der Luft ist zu jeder Zeit ein Opfer der Libellen. Noch in der Luft wird die Beute zerrissen, daß die Flügel fliegen, und verzehrt, und dabei schauen die riesigen, großen, schönen Kulleraugen schon nach neuer Beute aus.«
Dieter und Traute erschraken, daß solche schönen Tiere so entsetzlich mörderisch leben und daß die Kinder so häßlich aussehen. Es ist nicht alles Gold, was glänzt!
Der Doktor führte sein U-Boot an ähnliche Geschöpfe heran, die nur etwas kleiner geraten waren. Auch diese Tiere mordeten im Wasser umher, nur führten sie nicht solche grausame Fangzange wie die Libellenlarve. Dieter meinte, das seien auch Libellenlarven, nur seien sie etwas kleiner und würden auch als Libellen später nicht größer. In der Luft sehe man ja auch Libellen in allen Größen.
Aber der Doktor mußte Dieter wieder enttäuschen: »Was das hier für Dinge sind, werdet ihr ebensowenig raten wie vorher. Die Tiere, die wir im Sommer in der Luft sehen, können wir jetzt im Wasser als Kinder beobachten. Ich werde euch nicht länger raten lassen, ihr werdet es kaum finden. Die kleinen Räuber hier im Wasser sind die Larven der Eintagsfliegen.«
Nun war die Reihe an Dieter, erstaunt zu sein.
»Nun sieh einer an. Die Eintagsfliegen sind so unschuldig, daß sie draußen nur durch die Luft tanzen und Hochzeit halten. Mitten in ihren Freuden sterben sie. Selbst zum Fressen sind sie zu vornehm und zu gut. Dabei ist alles nur Heuchelei und Angabe. Das sind scheinheilige Tiere. Nur einen Tag wollen sie leben. Sie wollen in Schönheit sterben und lieber verhungern, ehe sie sich zum Fressen herablassen. Dabei leben sie im Wasser vorher als Larven und räubern und morden wie die Vagabunden.«
Inzwischen hatte der Doktor sein U-Boot nach der Oberfläche des Wassers gelenkt. Da oben hatte er den Kindern auch etwas zu zeigen. So lang wie ihre Hand schwammen an der Oberfläche entlang kleine, zierliche Dinger. Immer steckten sie eine Röhre ihres Körpers aus dem Wasser heraus, damit sie atmen konnten. An manchen Stellen war das Wasser dicht mit diesen kleinen Dingern bedeckt.
Dieter legte den Finger überlegend an seine Stirn und meinte: »Daß es Larven sind, möchte ich annehmen, aber was für Larven?«
Der Doktor erklärte: »Ich will dir helfen. Es sind die Larven von Mücken, der verdammten Stechmücken, die uns das Leben zur Hölle machen.«
Dieter meinte: »Wenn die Mücken uns schon in der Luft so plagen, werden die Dinger wohl auch im Wasser viel Unheil anrichten. Wahrscheinlich stechen sie Fische und saugen ihnen das Blut aus.«
Darauf antwortete der Doktor: »Nein, die Mückenlarven sind nicht so böse. Sie ernähren sich nur von kleinen Pflanzenteilchen und lassen andere Tiere in Ruhe. Dafür werden sie auch im Wasser von Insekten und Fischen gefressen. Es bleiben noch genug übrig, die uns als Mücken plagen. Übrigens stechen nicht alle Mücken und saugen Blut. Nur die Weibchen sind auf unser Blut so scharf, die Männchen lassen uns in Ruhe und saugen nur Schweißtropfen ab.«
Dieter triumphierte: »Hast du gehört, Traute, nur die Weibchen saugen Blut. Die Männchen sind viel besser.«
Inzwischen kutschierte der Doktor mit seinem U-Boot durch das Wasser kreuz und quer, um immer neue Entdeckungen zu machen und sie den beiden Kindern zu zeigen. Jetzt sahen sie von weitem einen riesigen Hecht, so groß wie ein Walfisch, auf das Boot zuschwimmen. Eilig rief der Doktor Dieter ans Steuer. Er selbst ging an die Vorrichtung zum Abfeuern des Torpedos. Vor der Fahrt hatte er schon alles vorbereitet, so daß jetzt nicht mehr viel am Torpedo zu machen war. Wohl würde der Hecht, dieser Raubbursche, das U-Boot nicht verschlucken wollen, aber etwas beschädigt würde das Gefährt doch aus dem Kampfe herauskommen, wenn man dem Angriff des Hechtes nicht begegnete. Immer näher kam der riesige Bursche heran. Jetzt war es höchste Zeit. Der Doktor feuerte sein Torpedo ab, und das Geschoß bohrte sich in den Leib des Fisches, daß der Hecht herumgerissen wurde und Reißaus nahm, schneller, als er gekommen war. Die Wunde war nicht lebensgefährlich, aber der Doktor wollte sehen, wohin der Hecht eilte, und folgte in einiger Entfernung dem Fisch. Die Verwundung mußte wirklich nicht schwer gewesen sein, denn der Hecht schnappte schon im Vorbeischwimmen nach allerlei kleineren Fischen. Aber etwas mußte der Torpedoangriff ihm doch die Besinnung geraubt haben. Denn sonst ließ der Hecht immer die kleinen Stichlinge mit ihren gefährlichen Stacheln in Ruhe. Jetzt aber schnappte er nach einem keck vorüberschwimmenden Stichling. Mir kann er ja nichts tun, dachte der Kleine, ich habe ja eine Waffe, der Hecht wird sich hüten, zuzubeißen. Aber der Hecht biß doch zu, unüberlegt und ärgerlich. Der Stachel drang dem Raubfisch durch den Oberkiefer, und schmerzvoll ließ er sein Maul offenstehen. Das hat er davon, jetzt hat er die Maulsperre. Nun würde der Räuber nie wieder einen Fisch beißen können. Mit einem Stichling im Maul muß der Hecht elendiglich verhungern. Doch auch der Stichling muß sterben, denn er kann aus dem Rachen des Räubers nicht entfliehen.
Die drei im U-Boot hatten gespannt dem Schauspiel zugeschaut. Jetzt aber drehte der Doktor sein Boot ab, er wollte etwas suchen, sagte er den Kindern. Dieter fragte neugierig: »Was gibt es denn jetzt, Doktor?«
»Ich will ein Stichlingsnest finden. Das ist nämlich riesig interessant. Ihr müßt wissen, nicht das Stichlingsweibchen, sondern der Stichlingspapa baut sich ein Nest auf dem Grunde des Wassers, ungefähr so groß wie unser U-Boot. Das Nest hat einen Eingang und einen Ausgang. Wenn das Heim fertig ist, dann geht der Stichlingsmann auf die Brautschau. Dabei ist er sehr brutal. Sieht er irgendwo eine Stichlingsfrau, dann jagt er sie in sein Nest hinein. Da drin muß die Mutter ihre Eier legen, und dann jagt sie der ungalante Mann wieder hinaus. Dafür sieht er sich jetzt nach einer neuen Frau um, und das Spiel beginnt von neuem. Mit zwei Frauen ist der Stichling noch nicht zufrieden, es müssen noch mehr in das Nest hinein und ihre Eier legen. Hat der Nestbesitzer genug Eier zusammen, dann behütet er sie wie einen Schatz. Kein Feind darf dem Eierhaus zu nahe kommen, wehe, der Stichlingspapa kann sehr wütend werden. Nach einiger Zeit kriechen aus den Eiern kleine Stichlingskinder heraus. Jetzt verdoppeln sich die Liebe und die Wut des Vaters. Immer schwimmt er um seine Kinder herum ... aber was sehe ich da hinten ... hallo, Richtung Stichlingsnest!«
Der Doktor steuerte sein Boot in die angegebene Richtung, und die Kinder sahen durch die Glasscheiben einen Bau, so wie der Doktor ihn beschrieben hatte. Unzählige kleine Stichlinge schwammen behende um das Nest herum und der eifersüchtige Papa immer mitten unter ihnen. Wagte sich ein kleiner Stichling zu weit vom Neste weg, dann schwamm der Stichlingspapa ängstlich hinterher und trug den Ausreißer vorsichtig in seinem Maul wieder heim.
Traute sagte verwundert: »Ich verstehe das Ganze nicht. Wo ist denn bloß die Mutter? Kümmert sich die Mutter denn gar nicht um die Kinder?«
Kaum hatte Traute ausgesprochen, so nahte sich schon eine Mutter dem Nest. Aber der Vater war auf dem Posten. Wütend schwamm er der Mutter entgegen und verjagte sie.
Traute entrüstete sich wieder: »Pfui, so ein garstiger Vater! Die Mutter will doch ihre Kinder sehen, will nett zu ihnen sein. Und der ekelhafte Vater verjagt sie. Pfui über den bösen Stichlingspapa.«
Aber der Doktor war anderer Meinung: »Traute, der Stichlingspapa weiß, was er tut. Würde er die Mutter heranlassen, dann würde die Mutter ihre Jungen auffressen. Nein, nein, nur der Stichlingspapa ist gut, die Stichlingsmama taugt nichts.«
Jetzt hatte Dieter wieder Oberwasser: »Siehst du. Traute, die Männer sind doch besser. Die Mückenmänner saugen kein Blut, und die Stichlingsväter sind gut zu ihren Kindern.« Traute drehte sich halb verärgert und halb belustigt um, und der Doktor lachte. Da rannte aber plötzlich etwas von außen gegen das U-Boot, daß alles wackelte. Das Fahrzeug war nämlich dem Stichlingsnest zu nahe gekommen, und der eifersüchtige Stichlingspapa rannte das U-Boot wütend an. Aber er konnte ihm kaum ernstlichen Schaden antun, dazu war es doch zu gut gebaut. Noch ein paarmal nahm der Stichling einen Anlauf und versuchte das Schiff zu beschädigen. So ein Racker, dachte der Doktor, will uns hier torpedieren, der kleine Kerl. Obgleich die Angriffe ungefährlich waren, gab der Doktor seinem Fahrzeug doch eine andere Richtung. Das U-Boot nahm keinen Schaden, aber der Stichlingsvater selbst konnte Schaden nehmen, und das wäre doch schade. Dann hätten die vielen kleinen Stichlingskinder kein Kindermädchen mehr.
Das U-Boot entfernte sich, und siegesbewußt schwamm der kleine Kerl noch eine Strecke hinterher. Was war er doch für ein tapferer Fisch!
Jetzt wollte der Doktor wieder die Wasseroberfläche aufsuchen, um dort Neuigkeiten zu beobachten. Kleine Schüsselchen von Eipaketen schwammen dort umher. »Es sind die Eier der Mückenlarven«, erklärte der Doktor, »aber das suche ich nicht.« Bald hatte er das gefunden, was er suchte. Oben auf dem Wasser, aussehend wie eine Spinne, ging mit gespreizten Beinen eine schlanke Kreatur trockenen Fußes über die Wasseroberfläche und sank nicht ein.
»Pfui, eine Spinne«, rief Traute, »daß aber Spinnen auch auf dem Wasser spazierengehen, habe ich noch gar nicht gewußt.«
Der Doktor erwiderte: »Es ist keine Spinne, sondern ein Insekt. Du kannst die beiden Tierklassen gut auseinanderhalten, wenn du die Beine zählst. Insekten haben sechs Beine und die Spinnen acht. Dies da oben ist eine sogenannte Wasserwanze oder, genauer, ein Wasserläufer.« Alle drei sahen gespannt nach oben. Raschen Fußes lief das Geschöpf schnell über die Wasseroberfläche, dann hielt es an und blieb ganz ruhig. Nie aber wurde die Wasserwanze feucht. Die drei waren noch im Betrachten, da fiel eine Fliege auf das Wasser. Sie schüttelte und bewegte sich wie toll, konnte aber nicht aus dem nassen Element heraus. Wie der Blitz eilte die Wasserwanze auf die Fliege zu und machte sich über das arme Geschöpf her. Das sind so die Mahlzeiten der Wasserläufer. Sie müssen auf das warten, was von oben kommt und ins Wasser fällt.
Der Doktor fing wieder an: »Traute, du hieltest vorhin den Wasserläufer für eine Spinne und wundertest dich, daß Spinnen auf dem Wasser laufen. Der Wasserläufer ist zwar keine Spinne, aber es gibt auch Spinnen, die im Wasser leben. Wir werden zusehen, ob wir das seltene Geschöpf finden.«
Wieder fuhr der Doktor kreuz und quer durch das Wasser, und lange konnte er nicht finden, was er suchte. Da sah er große Frösche durch das Wasser schwimmen und kleine Kaulquappen.
Der Doktor erzählte: »Wenn die Frösche abends ihr Quakkonzert beginnen, dann öffnen sie dabei nicht ihr breites Maul, sondern quaken mit geschlossenem Maule, wie Bauchredner. Nur die Kehlsäcke schwellen an und ab. Auch trinken sie nicht mit ihrem Maul. Ihre Haut nimmt das Wasser auf, das der Körper braucht. Denke dir an, Traute, wenn du Milch trinken willst, läßt du eine Badewanne voll Milch laufen, nimmst darin ein Bad, und dein Durst ist gelöscht.«
Da sauste plötzlich ein Käfer, es war ein Gelbrandkäfer, auf eine kleine Kaulquappe zu. Das arme Ding zappelte und versuchte sich zu retten, aber der Käfer hielt fest und ließ sein Opfer nicht los. »Ein ganz gefährlicher Räuber«, sagte der Doktor, »wo der Gelbrandkäfer im Wasser haust, kann die Fischzucht nicht aufkommen. Der Teufelsbursche kann tauchen und fressen, daß die Fischer graue Haare bekommen. Halt, ich habe eine Idee.« Der Doktor übergab dem Dieter das Steuer, und er selbst machte wieder ein Torpedo zum Abschuß fertig. Lange zielte er, dann drückte er ab.
Das Geschoß war für den Räuber zu groß. Da, wo einstmals ein Käfer räuberte, schwammen kleine Käfersplitter umher. Es war ein Volltreffer. Aber auch die kleine Kaulquappe mußte dran glauben. Aus der wäre doch nichts mehr geworden, tröstete sich der Doktor. Nun aber weiter auf der Suche nach der Wasserspinne.
Kleine, zierliche, grüne Kügelchen huschten am U-Boot-Fenster vorüber. Dieter bat den Doktor, mal anzuhalten, um zu sehen, was das für Lebewesen seien. Der Doktor tat dem Dieter den Gefallen und erklärte: »Es sind noch Tiere von unserem ersten Abenteuer, nur etwas groß geraten. Denkt ihr noch an die Geißeltierchen aus dem Wassertropfen? Viele kleine Geißeltierchen haben sich zusammengetan, sind zu einer Kugel verwachsen und strudeln sich nun gemeinsam im gleichmäßigen Takt durch das Wasser. Ein herrlicher Anblick, so ein Volvox, nicht wahr? Aber Kinder, wir müssen nach unserer Wasserspinne suchen.«
An einem Pflanzenstengel sah jetzt Dieter ein feines Gewächs, das er anfangs für eine Pflanze hielt. Nun aber bewegte sich das Wesen. Sofort fragte er den Doktor: »Was ist das hier, Doktor, eine Pflanze oder ein Tier?«
»Ein Tier«, antwortete der Doktor, »Süßwasser-Hydra heißt das kleine, festgewachsene Geschöpfchen. Die Zweige sind Fangarme, damit fängt die Hydra ihre Beute ein. Vorher betäubt sie die gefangenen Tiere. So eine Hydra hat nämlich Hunderte von kleinen Batterien, so ähnlich gebaut wie Brennesselhaare. Die kann sie abschießen. Und wenn ein kleines Tier von jenen Geschossen getroffen wird, dann juckt es sehr peinlich. Habt ihr schon mal in eine Brennesselpflanze hineingefaßt? Seht euch vor, Kinder, das kann gefährlich werden.«
Jetzt schwammen viele kleine Wasserflöhe in der Nähe der Hydra. Der Doktor belehrte sie, daß die Wasserflöhe keine Flöhe, sondern kleine Krebschen seien. Aber ob Floh oder Krebs, ein armer Wasserfloh kam der Hydra zu nahe. Sofort wurden die Geschosse abgefeuert, und fast zu gleicher Zeit faßten auch die Fangarme um das Tierlein. Der Wasserfloh zappelte und wehrte sich, so gut er konnte, aber die Fangarme saßen fest. Jetzt wurde der bedauernswerte »Floh« in den Schlund hinabgedrückt. Die Hydra ist ein sehr schlankes Tier, viel schlanker als ein Wasserfloh. Als aber die Beute im Innern der Hydra war, da schwoll die schlanke Hydra zu einer dicken, fetten Dame an. Noch im Innern der Hydra zappelte der Wasserfloh so gewaltig und lebendig in seiner Todesangst, daß die Hydra immerwährend erschüttert wurde. Die Nahrung rebellierte und wollte selbst im Bauch nicht sterben. Als auch nach einiger Zeit der gefressene Wasserfloh keine Ruhe geben wollte, bat Traute den Doktor, weiterzufahren. Er hätte immer zuschauen können, jedoch die zarten Nerven der Traute mußten geschont werden. Aber nun jubelte er auf. »Herzlichen Dank, meine liebe Traute. Du hast mich zur Weiterfahrt überredet, und nun finde ich mitten im Pflanzengestrüpp des Wassers das Nest der langgesuchten Wasserspinne!«
Vorsichtig fuhr der Doktor näher, und dann sahen alle drei eine kleine Wasserglocke zwischen den Pflanzen im Wasser. Eine Wasserspinne saß mitten in der Luft unter der Glocke. Denn auch die Spinnen können im Wasser nicht atmen. Staunend betrachteten die drei das Schauspiel. Jetzt schien es der Spinne unter der Glocke ungemütlich zu werden. Hatte die Achtbeinige das U-Boot bemerkt und fürchtete sie einen Angriff? Aber die Ursache der Unruhe war viel natürlicher. Der Wasserspinne war die Luft unter ihrer Taucherglocke zu schlecht geworden. Sie kletterte nach dem oberen Teil der Glocke und knabberte das kunstvolle Gestell auf. Sofort entwich die schlechte Luft in Blasen nach oben. Nun klebte die Wasserspinne ihre Taucherglocke wieder zu. Aber ach, die Taucherglocke war jetzt voller Wasser. Die schlechte Luft war dahin, aber die gute Luft fehlte. Jedoch die Wasserspinne wußte sich zu helfen. Sie schwamm nach oben, holte in ihrem Haarfell kleine Luftbläschen nach unten und ließ die Luftbläschen unter ihrer Taucherglocke steigen. So lange wurde die Arbeit fortgesetzt, bis die Taucherglocke voll Luft war. Die drei im U-Boot konnten sich nicht genug über die kluge Spinne wundern. Als jedoch die Spinne in der frischen Luft unter Wasser saß, ohne sich zu rühren, steuerte der Doktor das Boot zur weiteren Fahrt.
Jetzt machte der Doktor die Kinder auf einen eigenartigen, dunklen Wurm aufmerksam, der sich so komisch am Boden bewegte, daß der Doktor das U-Boot anhielt. Er wußte, es war ein Blutegel, aber die Kinder hatten so etwas noch nicht gesehen. Am Schwanzende war ein Saugnapf, damit saugte sich der Wurm fest. Dann schlängelte der Wurm seinen Körper nach vorn, und wurde dabei ganz lang und dünn, bis er sich mit seinem Saugnapf am Kopfende irgendwo festgesaugt hatte. Nun ließ er mit dem Schwanzende los, zog den Körper nach, und dabei wurde der Körper ganz kurz und dick. Erst jetzt saugte er sich wieder mit dem hinteren Saugnapf fest. So wiederholte sich das Spiel immerfort, und der Blutegel kam langsam, aber sicher vorwärts.
Plötzlich aber ließ er mit beiden Saugnäpfen los und schlängelte sich schwimmend durch das Wasser. Er mußte irgend etwas entdeckt haben. Richtig, da ragten ja vier riesige Türme im Wasser. Aha, dort stand eine badende Kuh im nassen Element. Das U-Boot fuhr dem Blutegel nach, hin zur Kuh. Jetzt hatte der Blutegel die Kuh erreicht, und nun begann die Blutarbeit. Mit seinen drei Kiefern, in der Form wie Kreissägen, schnitt der Wurm drei feine Schnitte in das Fleisch. Dann spritzte er eine Flüssigkeit in das Blut, damit das Blut nicht gerinne. Nun saugte der Blutegel und saugte, das Zeug schmeckte zu gut! Einmal in einem Vierteljahr Blut saugen können, das macht schön satt. Monate vergehen, ehe man wieder Hunger bekommt.
Die Kuh aber dachte anders über den Fall, sie geriet in tolle Bewegung, das Wasser schäumte auf, und das U-Boot wurde hin und her geworfen. Der Doktor mußte alle Steuerkünste anwenden, um das Fahrzeug wieder in seine Gewalt zu bekommen. Endlich war er jeder Gefahr entronnen, und sicher steuerte er wieder sein U-Boot. Dieter wollte wissen, was man sich nun ansehen wollte, aber der Doktor meinte: »Kinder, es wird Zeit, daß wir aussteigen. Unsere Zeit ist bald um, und mitten im Wasser möchte ich nicht wachsen. Kannst du überhaupt schwimmen, Traute?«
Traute bejahte stolz, aber der Doktor steuerte sein Schiff doch dem Ufer und dem Landeplatz zu, öffnete vorsichtig die Luke und befestigte sein Fahrzeug am Steg. Dann stiegen die drei aus und gingen an Land. Sie setzten sich auf einen Stein und warteten auf ihr Größerwerden. Es dauerte einige Zeit, der Doktor war vorsichtshalber sehr früh ausgestiegen. Bald aber begann das Prickeln im Körper, als wenn ihr Leib eine Selterflasche wäre. Als sie größer geworden waren, gingen sie wie immer schweigend nach Hause. Beim Doktor Kleinermacher hatte man so viel zu sehen, daß man vor lauter Eindrücken erst am nächsten Tage darüber sprechen konnte.