Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Dritter Theil
Henriette Paalzow

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Veit leitete den fast bewußtlosen Greis bis zu einem Baumstamme, welcher umgeworfen vor einer mächtigen Eiche liegend einen Lehnsitz gewährte. Abgespannt sank Thyrnau darauf hin und fühlte ohne klares Bewußtsein bloß ein unabweislich tiefes Herzensweh.

Veit eilte in die gelichteten Wege zurück und rief den Reitern, welche dort warteten, zu, augenblicklich den Grafen Lacy von dem Wege nach Budnian hierher zu holen.

Zurückkehrend fand er seinen armen Herrn noch in derselben Stellung, Magda's Tuch fest in die Hand geklemmt und halb bewußtlos auf den Boden starrend. Ach! wie zerriß dieser Anblick um so mehr sein Herz, da er seinen theuren Herrn noch nie so seiner Kraft beraubt gesehen hatte. Er kniete vor ihm nieder, er sprach mit ihm, er weinte – aber Thyrnau sah ihn schwer seufzend an, drückte das Tuch zusammen und konnte sich nicht empor ringen.

Da hörte der alte Diener endlich rasche Hufschläge, Thyrnau selbst schrack empor – Lacy theilte die Gebüsche und stürzte auf Thyrnau zu, der in demselben Augenblick wie durch seinen Anblick belebt ward und aufstehend ihm entgegen schwankte.

»Sieh! sieh! Lacy,« rief er – »hier ist ihr Blut geflossen – wir haben nichts von ihr als dieses Tuch!« Er streckte die Arme nach ihm aus – Lacy umfaßte ihn und jetzt brach der gefährliche Zustand Thyrnau's in ein heftiges Schluchzen aus.

O Magda, hättest Du gefühlt, welche tiefe Gewalt der Liebe für Dich die beiden Herzen durchdrang, die der höchste Schmerz jetzt an einander preßte, Du hättest Dich auf Deiner rauhen Bahn gehoben gefühlt und ermuthigt, Dich ihnen zu erhalten. Das Gefühl wollte sein Recht in beiden Männern erst geltend machen, ehe es der Besinnung Raum gab. Lange konnte die Ueberzeugung nicht ausbleiben, daß es hier die möglichst schnelle Fassung galt – denn wenn sich ihre Leiche nirgends fand, so mußte selbst diese entführt sein – auch sagte plötzlich Veit: »Wer weiß, ob es gerade Magda's Blut ist?«

»Meinst Du, Alter?« schrie Thyrnau bei diesen Worten auf, daß der alte Diener zurückfuhr – und dieser warme Hoffnungsstrahl entzündete das erloschene Feuer in des starken Mannes Brust und mit veränderten und belebten Zügen rief er immer wieder: »Wer weiß, ob es Magda's Blut ist?«

Gewiß war dies für Alle sehr rührend und Lacy dachte daran bei der gefährlichen Aufregung, in der er ihn sah, ihn von dem Verfolgen der Spur abzuhalten, aber bald ließ er davon ab, denn er sah, daß Thyrnau seine Hindeutungen gar nicht verstand und mußte daher Gott vertrauen und ihn gewähren lassen.

Wir wollen sie nicht auf ihrer trostlosen Verfolgung begleiten, welche sie einige Wochen lang mit rastloser Thätigkeit fort trieb. Durch einzelne aufgefundene Spuren immer weiter gelockt, erreichten sie endlich die Mitte des Armeecorps, welches in Erwartung einer Schlacht bei Lowositz aufgestellt war. Hier erst fühlten Beide, daß Thyrnau als Gefangener des Karlsteins unmöglich seine Reise weiter ausdehnen konnte bei der Gefahr, vom Feinde aufgefangen zu werden; und so abweichend sein Verhältniß von dem gewöhnlichen der Gefangenen war, sah Thyrnau ein, daß er namentlich bei Podiebrads Gesinnung eine Anzeige seiner Entfernung höhern Orts zu erwarten habe.

Er beschloß daher, mit seinem kummerbeladenen Herzen zurückzukehren, während Lacy es feststellte, sich nach der Schlacht einen Weg durchzubahnen, da er eben so wie sein edler Freund nicht länger zweifelte, Magda sei von dem Fürsten von S. entführt worden.

Zwei Vorfälle änderten diesen Plan. Ein Bote mit Briefen von Karlstein erreichte sie. Ein kleiner offener Brief von Magda, den ein Bote gebracht, lag in dem einen. »Ich lebe« – hießen die unschätzbaren Worte – »und werde anständig behandelt. Ihr werdet wieder Nachricht von mir bekommen, und diese Zeilen an Euch zu schreiben, habe ich mit dem Versprechen erkauft, nicht zu fliehen. Thut keinen Schritt weiter, ehe Ihr von mir hört.«

Der zweite Brief enthielt einige Zeilen von Claudia, welche schon länger geschrieben waren. Sie belebten mit liebevollen wehmüthigen Worten den Muth ihres Gemahls, Magda's Spur zu verfolgen und riefen den Segen des Himmels über sein Unternehmen herab. – Aber die Handschrift war verändert und Lacy ahnete aus diesen Zeilen, obwohl sie kein Wort davon enthielten, daß Claudia krank sei. Thyrnau bekam einen Brief von Podiebrad – es war eine ernste feierliche Anrede, ihn zurück zu rufen. Ueberrascht waren Beide durch einen Brief von fremder Hand und, wie sich auswies, von einem der Diakonen des Karlsteins geschrieben, welchen Gundula diktirt und an den Grafen Lacy gerichtet hatte. Sie entdeckte ihm den bedenklichen Zustand seiner Gemahlin und bat ihn, wo möglich, zurück zu kehren, da vielleicht seine Nähe sie stärken werde und ihre Leiden erträglicher machen.

Ein Blick, den beide Männer nach Durchlesung dieser Briefe auf einander richteten, verrieth ihnen ihre Meinung. »Wir kehren zusammen zurück!« sagte Thyrnau. – »Ja,« entgegnete Lacy bewegt – »nach dem Troste, den wir durch Magda selbst bekommen, ruft mich meine Pflicht zu Claudia.«

Am andern Tage weckte sie der Donner der Kanonen. Die Oesterreicher verloren an diesem Tage die denkwürdige Schlacht bei Lowositz, die Friedrich den Zweiten wieder festen Fuß in Böhmen fassen ließ.

Lacy und Thyrnau wurden in die Flucht der geschlagenen Armee verwickelt und mit ihr fortgetrieben. Dies traurige Ereigniß verzögerte ihre Rückkehr und vollendete die trübe Stimmung ihrer Seele. Denn es lag ein entmuthigender Erfolg in den Operationen des königlichen Feldherrn, und Beide konnten nicht ohne tiefen Schmerz an die Gefühle der großen Kaiserin denken, die sich durch diese Erfolge auf's Tiefste verletzt fühlen mußte, um so mehr, da sie die Ursachen dieser Niederlagen mit ihrem scharfen Verstande besser einsah, als die Meisten der Betheiligten.

Es war zu Anfang Oktobers, als Thyrnau und Lacy eines Morgens über die bereiften Felswege zu dem Berauner Thal hinab ritten, und endlich die von der Sonne erhellten Mauern und Thürme des Karlsteins vor ihnen aufstiegen.

Mit welchen Gefühlen ruhten ihre Augen auf diesem unveränderten imponirenden Bauwerk, dem sie sich nun Beide mit der unabweislichen Ueberzeugung nahten, in ihrem Innern eine zu große Erschütterung erlitten zu haben, um den Eindruck davon nicht unwillkürlich auf alle äußeren Zustände übertragen zu sehn. Vergeblich kämpften sie gegen eine Veränderung, welche zu ihren früheren Empfindungen ihnen wie eine obwaltende Verzauberung erschien. Je näher sie kamen, je lebhafter drängte sich diese Wahrnehmung ihnen entgegen und ihr trauriges Stillschweigen ließ ihnen doch kaum einen Zweifel über ihre gegenseitigen Gedanken.

»Ach« – sagte Lacy – »diese leblosen Gegenstände, die immer wieder in ihrer unveränderten Gestalt vor uns hintreten und uns dieselben Eindrücke abzufordern scheinen – was wir auch indessen für Umgestaltungen in unserm Innern erfahren haben, machen uns fast Vorwürfe und verkleinern unsern Muth und unsern Dünkel auf gewonnene Festigkeit der Gesinnung.« »Ja« – entgegnete Thyrnau, mit den Augen sinnend an der Burg haftend – »diese alten festen Bauwerke reden oft eine wunderlich verständliche und ergreifende Sprache zu uns. Wie viel Zustände sahen sie heranziehen und verschwinden – wie viele Menschen mit ihren Freuden, mit ihren Seufzern nahmen in ihren Mauern Platz – und ihre Spur ist verwischt und Andere, die ihnen folgten, theilten ihr Schicksal – und nur die Zeit, welche die kleinen Durchzüge des menschlichen Daseins bezeichnet und ihre geringen Spuren eingräbt, erinnert endlich ein solches unerschütterlich scheinendes Werk daran, daß es mit seinem festen Dasein ihr angehört. Aber es ist mir immer, als sähe ich das philosophische Lächeln des Weisen um die geschwärzten Zinnen spielen, welches dem beladenen trostlosen Pilger, der an seinem Fuße hinkeucht und von der unerhörten Wichtigkeit seiner Leiden träumt, zulächelt: »Daß Alles schon da war und Alles vorüber ging, nicht an Generationen allein, sondern auch an demselben Menschen!«

»Ach« – rief Lacy – »an demselben Menschen! – Aber diesem geht es, wie Du von den Bauwerken sagtest – die Zeit bezeichnet die Durchzüge, die er erfuhr, und gravirt ihre Spuren, die ihn endlich erschüttern und zusammen brechen lassen.«

»Ja bezeichnen!« entgegnete Thyrnau sanft – »doch Narben entkräften den tüchtigen Streiter nicht – kömmt später der Friede, so zählt er die einst blutenden Wunden und läßt uns merken, wie schwer der Kampf war, wie heiß das Lebensblut ihm entströmte, und wie er doch die Scheide nicht früher suchte, als der Sieg erfochten.«

»So ist es« – sagte Lacy sich empor ringend – und um sein blasses verändertes Gesicht spielte ein Lächeln, welches die Augen belebte, die er zärtlich auf Thyrnau heftete, der nichts zu bemerken schien wegen Observirung des Karlsteins.

»Ich glaube« – sagte Thyrnau, den ersten Gedankenstrom ablenkend – »Podiebrad hat einige herausfordernde Kriegszeichen aufgepflanzt, denn ich sehe, wenn ich mich nicht irre, eine Fahne vom Niklas-Thurme wehen und eine Wache ausstehen, und täuscht mich nicht mein Ohr, so höre ich Trompetenfanfaren, die unsere Annäherung verkündigen. Gott erleuchte unsern edlen Befehlshaber, daß wir ihn nicht im vollen Waffenschmuck vor den Wällen harrend finden und er uns aus dem Sattel rennt, ehe wir uns noch zu Gefangenen ergeben können.«

Sie setzten jedoch ihre Pferde in leichten Galopp und waren bald unter den Wällen der Festung, von der abermals die gelbe Fahne mit dem Doppeladler wehte und ein Trompeter die heftigen Signale des Angriffs blies, worauf ein hinter den Mauern vorsichtig versteckter Böller sich plötzlich entlud und seinen gefahrlosen Donner durch die gefälligen Berge sandte, welche die schwache Herausforderung mit dem Echo einer ganzen Kanonade zurückzahlten.

»Ein majestätisches Vergnügen hat sich der alte Herr ausgedacht« – lachte Thyrnau, von seiner früheren Heiterkeit berührt, und hielt sein Pferd an, bis das Echo wie in einem fernen Musketenfeuer verstummte – »aber wie sollen wir ihm klar machen, daß er damit wirklich eine Gefahr für dies alte Festungsphantom herbeizieht? Nach solcher Schlacht, wo selbst die siegreiche Armee an Auflösung leidet, ziehen ganze Streifcorps umher, denen diese Töne aus der Ferne lockend genug sein könnten, und schwerlich werden die guten Berge dann ihre Antworten zu unsern Gunsten mit Kugeln zurückgeben.

»Wenn Du ihm das ausredest, will ich Dich für einen großen Zauberer halten« – sagte Lacy – »denn gewiß ist diese Einrichtung das Resultat der untadeligen rein ritterlichen Gesinnungen, die ihn lenkten, da sich Rath zu holen, wo Richard Löwenherz oder Ludwig der Heilige in ähnlicher Situation – d. h. ohne Pulver und Blei – sich einem ganzen Heere mit herausfordernder Kühnheit entgegen stellten.«

»Ja,« erwiederte Thyrnau, »von Gefahr dürfen wir wenigstens nicht sprechen; denn diese ist es eben, die er sucht – und welche andere Seite läßt sich finden, die er nicht hoffen würde durch eine wahnsinnige Anführung solcher Begebenheiten zu widerlegen?«

Lacy ließ Thyrnau die Empfangsfeierlichkeiten überstehen, die ihm die im Hof versammelten Insassen der Burg nicht ersparten und eilte mit klopfendem Herzen die Treppen hinauf, die nach Claudia's Zimmern führten. Gertraud kam ihm mit freudestrahlendem Gesicht im Vorzimmer entgegen und seine Ungeduld voraussehend, eilte sie, das Kabinet zu öffnen, an dessen Thür auch sogleich Claudia in seine Arme sank.

Sie hatten sich in dem gefahrvollsten Augenblick ihres bisherigen Beisammenlebens getrennt, und was sich daran anschloß und diese Trennung veranlaßte, mußte aller Wahrscheinlichkeit nach die Gefahr, die ihnen nahe gekommen war, vergrößern. Jetzt waren sie wieder vereinigt und sie genossen Beide in vollen Zügen den Segen einer solchen Vereinigung. Die Liebe, die sie für einander gefaßt hatten, war, wie verschiedener Natur auch, dennoch beherrscht und genährt von zwei völlig edlen und fein fühlenden Seelen; sie hatte dadurch etwas Unverletzliches, etwas Ewiges bekommen, was sie den Verwirrungen, die sie bedrohten, mit dem sanften Zauber des Vertrauens entgegen treten ließ, und indem Keiner das Herz des Andern zu belasten wünschte, Beiden die Kraft erwachsen ließ, zu genesen.

Als sie sich losließen und in das unverhüllte Antlitz blickten, fühlten Beide, wie viel sie gelitten. Aber jeder gedachte nur mit tiefem Schmerze, daß der Andere gelitten, Beide beschlossen, ohne Worte, sich mit heilender Liebe beizustehn. Es kann dem männlichen Herzen nichts Schöneres zu Hülfe kommen, als dies Gefühl, für ein sanft leidendes weibliches Wesen thätig einschreiten zu können, für die Verbesserung ihrer Lage alle Gedanken in Bewegung setzen zu müssen und in dem gläubigen Aufblicken einer solchen sich in Schutz begebenden Seele die belebende Zusage zu finden, daß sie Alles von dem geliebten Gegenstande hofft und erwartet.

In dieser schönen und natürlichen weiblichen Stimmung war Claudia, und überließ sich ihr mit dem feinen Takt, der ihr sagte, wie gern Lacy für sie sorgen werde.

Sie irrte sich nicht. Er faßte ihre ganze Lage, ihre erschütterte Gesundheit unter den besondern Umständen mit einer so ausreichenden Umsicht, so ganz verstehenden Sorgfalt auf, daß ihr keine eigne übrig blieb und sie sich ganz dem Zauber überließ, so viel Liebesbeweise von dem Manne zu empfangen, den sie allein und am meisten auf der Welt liebte. Sie glaubte dabei an die Wahrheit seiner Gefühle für sie, denn sie hatte ein großes Herz und war eine gebildete Menschenkennerin. Wenn sie nicht zweifelte, daß er in seinen Gefühlen für Magda das jugendliche poetische Glück der Liebe erkannt habe, so wußte sie doch, er liebe sie vielleicht noch mit derselben Liebe, mit der er um sie geworben, und sie durfte sich sagen: sie habe diese Liebe durch nichts verscherzt, sie habe es ihm leicht gemacht, sie ihr zu bewahren! So blieb dies Verhältniß frei von Mißtrauen – Lacy durfte ihr so viel Liebe zeigen, als er konnte, und das war nicht wenig, denn er sah diese Aeußerungen nie beschämt und verletzt durch ein abweisendes oder mißtrauisches Wort, was sein redliches Herz zum Lügner machen wollte, und so erreichten Beide, was sie so sehnsüchtig wünschten: Sie gewannen Vertrauen zu neuem Glück!

Was Lacy zunächst zu beschließen hatte, war Claudia's Abreise und ihre bequeme Einrichtung in seinem schönen Palast in Prag; denn der um Rath befragte Arzt erklärte ziemlich bestimmt, daß an die weitere Reise nach Wien nicht zu denken sei, wenn damit nicht der Zustand der Gräfin in dringende Gefahr gebracht werden solle. Lacy handelte, sobald dieser Ausspruch entschieden hatte, mit der Sicherheit, die alle anderen Verhältnisse zurückseht. Was er auch empfinden mußte, Thyrnau in der Einsamkeit, die seiner harrte, allein zu lassen, bedroht von dem Kummer um Magda's Lage, und zur Unthätigkeit verdammt durch den Namen eines Staatsgefangenen, er fühlte, es durfte keinen Einfluß ausüben bei der Bestimmung über Claudia's Lage; und bei der edlen Offenheit, die sich unter allen herzustellen begann, zweifelte er nicht, daß ihm aus der Erfüllung dieser ersten heiligen Pflicht die Mittel zuströmen würden, auch Denen nützlich zu werden, die nach dieser ihm zunächst standen.

Kaum halten wir es für nöthig zu erwähnen, daß Thyrnau in der schönsten Fassung die Bestrebungen seines jungen Freundes unterstützte und ihm selbst Aussichten eröffnete, welche die möglicher Weise aufsteigenden Sorgen beschwichtigen helfen sollten. Thyrnau war nämlich zu dem Entschluß gekommen, Magda's Anwesenheit in dem Fürstenthume S. und ihre Entführung durch den alten Fürsten von S. als entschieden anzunehmen und seine Maßregeln danach einzurichten.

Wie ungünstig der Moment auch durch die traurigen Niederlagen der österreichischen Armee und die dadurch erregte Stimmung bei Kaunitz und der Kaiserin sein mochte, er vertraute der großherzigen Fassung Beider, welche sie sich bewahren mußten, um neben den wichtigen Kriegsoperationen die Verwaltung des Landes fest zu halten, und er schloß nach sich selbst richtig genug, daß sie das Schicksal des Einzelnen nicht geringer achten durften, weil das größere Interesse sie in Anspruch nahm. So kurz wie möglich, und so klar als es ihm eigen war, trug Thyrnau daher Magda's Entführung wie seine Verdachtsgründe dem Grafen Kaunitz vor und bat ihn um geeignete Personen, welche an seiner Statt den fürstlichen Räuber zum Geständniß und zur Herausgabe der armen Entführten zwingen könnten. Zugleich enthielt dieser Brief eine leise Hindeutung, ob der Karlstein bei dem Näherrücken des Kriegsschauplatzes noch ein gesicherter Ort für die wichtigen Dokumente und Arbeiten bleiben möchte, welche bereits zu einem Ganzen zusammen zu wachsen begönnen. – »Vielleicht!« sagte Thyrnau, »versteht mich Kaunitz, und dann ist es möglich, daß ich Dir im Winter nach Prag folge; jedenfalls das wünschenswertheste, denn wenn wir Magda bis dahin zurück erhalten, darf sie doch unter keiner Bedingung wieder Bewohnerin des Karlsteins werden, und sollte ich sie nach Wien schicken zur Prinzessin Therese, oder nach Mailand zu meiner Schwester Barbara.«

»Gott wird uns nicht lange trennen« – sagte Claudia sanft – »denn wir gehören zusammen durch alle Bande, die das Familienleben bilden. Sie aber sind unser aller Vater, und wir werden sie kindlich herbeisehnen und immer das Recht behalten, Ihr Schicksal zu theilen.«

Lacy eilte nach diesen Beschlüssen selbst nach Prag zurück, um die Einrichtungen zu prüfen, die seine Dienerschaft zu dem Empfange seiner Gemahlin treffen sollte, und es that ihm unendlich wohl, als er sich des lang nicht benutzten Besitztums in seiner ganzen Schönheit bewußt ward, da es ihm mit seinen reichen Mitteln versprach, Claudia pflegen zu helfen. Alles was unter Thyrnau's Verwaltung gestanden, erwies sich nicht allein stets als wohlerhalten, sondern als fortgeschritten durch Verbesserungen jeder Art. So zeigten sich hier die Gärten in großer Schönheit und von einer noch wenig verbreiteten Kultur, unter der Leitung eines Gärtners, den Thyrnau nach einem von ihm entworfenen Plane hatte studiren lassen.

Zu Anfang Oktobers trat Claudia endlich in dem bequemsten Wagen und von Lacy's Sorgfalt bewacht die kurze Reise nach Prag an, und Thyrnau wußte durch seine dargelegte heitere und ruhige Stimmung und durch die Aussichten, die er in seinen beiden Freunden unterhielt, den Abschied von ihm so zu erleichtern, daß es selbst Claudia, welche sich künftig an Prag gefesselt ansehen mußte, keine zu lange Trennung erschien.

Es war ein heiterer Oktobertag; gegen Mittag verbreitete die Sonne eine täuschende Frühlingswärme; die Vegetation war noch schön erhalten, und obwohl der Weg, nachdem sie die Wälder des Karlsteins hinter sich gelassen, ziemlich öde und reizlos wurde, fühlte Claudia doch an der Seite Lacy's eine unbeschreibliche Befriedigung, und lange von Luft und Sonne und wohlthuender Bewegung getrennt, erheiterte sie sich mit jedem Augenblicke mehr, und ihr Gemahl fühlte das Glück, welches sie durchdrang, als einen großen Trost.

Der Palast Wratislaw lag auf der Kleinseite von Prag am Fuße des Hradschin, mit seiner grandiosen Vorderfronte nach einem der bedeutendsten Plätze hinaus, und in der Nachbarschaft der größten und schönsten Paläste der Stadt. Eine breite Allee hochgewölbter Linden umgab diesen Platz und diente zu der eigentlichen Passage, während die großen Besitzer mit aristokratischer Pracht die Einfahrten zu ihren Palästen von dort aus eingeleitet und durch vorspringende Gitter und reiche Portale einen Vorhof erhalten hatten, der um so weniger beim Volke, welches dadurch auf den Fahrweg eingeschränkt blieb, Widerspruch fand, da diese vorspringenden Höfe eine Zierde des Platzes wurden und gewöhnlich neben künstlichem Pflaster, Statuen, springende Wasser und Gartenanlagen umschlossen. Der alte Wratislaw'sche Palast war ein wahres Vorbild dieser Anordnungen und an ihm alle Pracht eines bei seiner Entstehung kaum zu übersehenden Vermögens verschwendet.

Claudia war bezaubert, als der Wagen aus der lieblich schattigen Allee in diesen Vorhof einlenkte und donnernd unter einer Colonnade von doppelten Säulen vor einem marmornen Treppensaal hielt, durch dessen Glasthüren der Blick, seine ganze Tiefe durchdringend, jenseits auf den grünen Terrassen des Gartens haften blieb. Lacy führte die gütige Herrin durch die in ehrfurchtsvoller Freude aufgestellte Dienerschaft, und nachdem sie Jedem mit einem passenden Worte das Herz erfreut hatte, führte sie Lacy in die schönen sonnenhellen Gemächer, die nach dem prächtigen Garten ausgebreitet lagen. Sie waren mit allem Reichthum langen Besitzes und mit aller Sorgfalt der ihr gerade nöthigen Bequemlichkeit eingerichtet und ließen sie neben dem Vergnügen an lang erhaltener Pracht das Entzücken dieser eben erst hinzugekommenen Hand der Liebe empfinden. Claudia fand Alles bereit, um einige Stunden ungestörter Ruhe zu genießen; dann versprach sie einem kleinen Souper beizuwohnen, bei dem Lacy einige alte Freunde seiner Familie und jetzt nächste Nachbarn ihr vorstellen wollte, unter denen die Gräfin selbst einige Verwandte zählte, mit deren Frauen sie wenigstens aus der Ferne bekannt war.

Wir haben hiermit die Richtung angedeutet, welche Lacy seinem und Claudia's Leben geben wollte; indem er sein Herz vor sich und allen andern verhüllte, ward das Glück Claudia's seine Leidenschaft und die einzige, in der er sich genug that. Es vergingen dessen ungeachtet oft nur wenige Tage, ohne daß er den Weg nach dem Karlstein einschlug und stundenlang bei Thomas Thyrnau verweilte. Was auf diesem Wege in ihm vorgehen mochte, verrieth er nie – er fühlte sich aber vielleicht nur hier einsam – nur allein – und oft, wenn Thyrnau durch die nicht abgestellten Trompeten auf den Wällen des Karlsteins seine Ankunft errathend, ihm schon in dem Hofe entgegen trat, blieb das Auge des weisen Menschenkenners traurig an den blassen eingefallenen Wangen seines jungen Freundes hängen, und da sich im Laufe des Beisammenseins diese beunruhigende Erscheinung wieder verlor, wußte der erfahrene Greis, daß dieser einsame Ritt vielleicht die einzige Zeit war, wo er sich von seinen Gedanken überwältigen ließ.

Von Magda traf gegen Mitte des Oktobers ein lakonisches Briefchen ein. »Ich darf nicht daran denken, daß »ich Dir schreibe, Großvater« – hieß es darin – »sonst »behielte ich weder Besinnung noch Kraft, Dir das zu »sagen, was Dir nöthig ist. Wenn Dich aber Deine »Magda bittet, ruhig zu sein, so sei es! – Gott hat »das vorgehabt! Das halte fest. Er ist erstaunenswürdig »in seinen Absichten – erstaunenswürdig zugleich und sehr »gnädig, daß er sie mich erkennen läßt. Was willst Du »mehr? Ich könnte jetzt schon zu Dir zurückkehren – »und bleibe doch! Von Dir und Lacy und Claudia erfahre »ich alle acht Tage das Nöthige. Gräme Dich nicht! »sonst komme ich und handle gegen Gottes Willen damit. »Siehst Du – das ist eine schreckliche Drohung! Deine »Magda.«

»Und kannst Du Dich dabei beruhigen?« fragte Lacy. – »Unter welcher Täuschung kann sie stehn, mit welcher Gewalt kann ihr dieser Brief abgerungen sein, der Deinen Eifer aufhalten soll!«

»Nein! nein!« sagte Thyrnau – »Dein natürlich richtiges Urtheil verläßt Dich jetzt, denn sonst müßtest Du fühlen: Magda hat diesen Brief in vollkommen selbstständiger Freiheit geschrieben – sie kann sich über das, was sie vor hat, ein wenig exaltiren, aber sie hat offenbar eine Stellung zu ihren neuen Verhältnissen genommen, und wie ihr eigen – eine thätige!«

»Wie kannst Du so ruhig sein bei dem Gedanken, daß dies zarte Wesen, diese verblendende Schönheit in andere Dir fremde Gewalt übergegangen ist, die Du nicht allein nicht kennst, sondern der Du mit großem Rechte mißtrauen mußt, da sie mit diesem unerhörten Raub anfangen konnte?«

»Ob ich ruhig bin« – sagte Thyrnau lächelnd – »ist etwas Anderes. Aber denke, daß ich sie nach den ersten Anzeichen todt halten mußte; dann – wenigstens in der rohen verletzenden Gewalt eines Bösewichts. Jetzt weiß ich, sie lebt! Aus ihren Worten spricht mich ihr altes unverletztes Wesen an, sie warnt mich vor allzu starkem Gram, sie nennt sich sogar frei, und nur ihre Ansicht der Lage, in der sie sich befindet, hindert ihre Rückkehr. Meinst Du nicht, ich habe viel Trost empfangen seit dem Augenblick, wo ich ihr blutiges Schnupftuch fand? Ich denke es – und bin ein ökonomischer Mann, der mit Wenigem haushalten gelernt hat. Auch sage ich Dir, ich habe Achtung vor Magda! Unverbildet an Geist und Herz ist sie mit vieler Eigenmächtigkeit an meiner Seite aufgewachsen – aber sieh, es liegt davon so viel in mir selbst, daß es mir wohlgethan hat, daß der junge Baum von Art zeigte. Die dünkelvolle Anmaßung, zu glauben, daß ich dazu berufen sei, ihre Bildung zu leiten und zu vollenden, weil sie meines Blutes ist und ich ihre Kindheit geschützt – die hat mich nie berührt; denn nichts ist so wichtig, wenn wir nicht verkrüppelte Menschen entstehen sehen wollen, als uns die Grenze zu stecken für unsern Erziehungsdespotismus, der entweder gewaltsames Losreißen von uns, nicht selten mit Bitterkeit oder Haß verbunden, bewirkt, oder uns selbst straft durch die Fehler einer schwachen unklaren Natur, die wir erziehen halfen, indem wir ihre Entwicklung verhinderten und die uns dann selbst sehr lästig wird.«

»Du hättest doch dem Prinzen von S. Alles mittheilen sollen,« fuhr Lacy getrösteter fort.

»Damit er irgend einen tollen Streich gemacht hätte, wozu ihm sein sanguinisches Mut immer am schnellsten räth. Vergiß nicht, daß er die unglückliche Schlacht bei Lowositz mit gefochten hat, also in einer Position stand, die ihm jeden abweichenden Schritt zum Ehrenpunkt machte – und selbst bei der Möglichkeit, sich los zu machen, was hatten wir dann zu erwarten? Er wäre nur mit dem Vater in eine neue Fehde getreten, alle Greuel der Vergangenheit hätten sie wieder wach geschrien und die fürchterliche Unnatur ihres Verhältnisses, welches die Trennung verdeckt, wäre auf's neue an's Licht getreten.«

»Ich ergebe mich Deiner Weisheit,« sagte Lacy – »obwohl es mir schwer wird. Verzeih, daß ich Dich so aufregte; Claudias Unruhe unterhält die meinige – wir machen so viel Pläne – und wahrlich ihre Schuld ist es nicht, wenn ich nicht schon wieder auf der Reise bin.«

»Das unglückliche Gefecht vom fünfzehnten Oktober hat jede Verbindung dorthin abgeschnitten,« sagte Thyrnau; »Du dürftest nichts von diesem Unternehmen erwarten, als persönliche Unannehmlichkeiten und würdest doch nicht zum Ziele gelangen.«

»Das würde ich nicht scheuen,« erwiederte Lacy, »und es ließen sich Mittel dazu auffinden; aber ich darf Claudia nicht verlassen. Wie sehr sie sich auch beherrscht, um ihren Zustand zu bewältigen, ihre Kräfte schwinden auffallend und ihr Blut ist immer zu fieberhafter Wallung geneigt; ich muß sie fortwährend beobachten, denn das Auge des Arztes will immer geschärft und gelenkt sein durch das Auge der Liebe, welches den Kranken überwacht.«


Die Morgensonne schien in ein großes Bogenfenster, welches fast die ganze schmale Seite eines langen und hohen Gemaches einnahm. Der Garten mit seinen herrlichen Bäumen, schimmernden Blumen und Rasenpartien lag in dem Rahmen des hohen Fensters, welches fast bis auf den Fußboden niederreichte, nur durch eine kleine Bank vor demselben davon getrennt. Die Fensterflügel waren nach Außen geöffnet und nach dem Zimmer zu rankten sich blühende Gewächse um die Stuccatur der Nische und singende Vögel hüpften in goldenen Gittern. Eine große Marmorschale auf dem Rücken eines Delphins stand in der Mitte des tiefen Fensterbogens, darin schlugen goldene und silberne Fische lustig in dem klaren Wasser kleine Wellen, die dem Marmor zuweilen einen harmonischen Ton entlockten. Vor einem Tabouret von purpurrotem Sammet stand eine goldne Harfe.

Das Zimmer war getäfelt und von oben bis unten mit Gemälden bedeckt. Dem Fenster gegenüber stand ein breites Ruhebett, worüber eine Art Thronhimmel mit aufgeschlagenen Vorhängen von rothem Sammet hing.

Auf diesem Ruhebette lag die Gestalt eines alten Mannes, welcher, in einen grünen Sammetpelz gehüllt, sich gegen ein paar Kissen stützte und alle Spuren der Krankheit in seinem traurig gefurchten Angesichte trug. Wer jedoch den Fürsten von S. je gekannt, mußte ihn auch in dieser Gestalt wieder erkennen; aber das Haar, das stark und dem Alter zum Trotz lange schwarz geblieben war, zeigte sich fast erbleicht, die Fülle des breiten Körpers war verschwunden, das Gesicht eingesunken und aschfarben und die Miene entbehrte den düstern Ausdruck böswilliger Festigkeit, der ihr früher eigen war. Die Augen irrten unruhig umher, es war die Aufregung der Krankheit, die Hülfe sucht und von Ermattung gelähmt ist.

In einem hohen Lehnstuhl am Fußende des Ruhebettes lag ein junges Mädchen, in deren blassem, etwas länglicher gewordenem Gesicht wir dennoch Magda erkennen. Der Schlaf hatte sie am frühen Morgen im Angesicht der hellen Sonne überwältigt; ihr Kopf lag reizend geknickt auf der Brust, und aus den niederhängenden Händen war ein kleines Buch geräuschlos auf den weichen Teppich gefallen, auf welchem die zierlichen Füße gekreuzt zu sehen waren, da die gesunkene Stellung das faltige schwarze Kleid zurück geschoben hatte. Ein süßes Lächeln spielte um die Lippen, und der Athem war so ruhig, als schliefe sie an dem Busen der Mutter.

Deutlich war zu erkennen, daß diese Situation die Fortsetzung der Nacht war; gelöschte Lichter standen auf einem Tischchen mit Gläsern und Violen und goldenen Bechern neben dem Kopfende des Bettes; und Magda's ungewöhnlicher Schlummer um diese Stunde ließ schließen, daß sie in der Nacht vielleicht diese Erquickung entbehrt habe.

Unruhig zwar und sichtlich gepeinigt rückte der alte Fürst von S. auf seinem Ruhebette umher, aber er richtete immer wieder die Augen auf Magda's Gestalt, ob diese auch nicht durch seine Bewegungen gestört werde, und sichtlich bezähmte er sich, um dies zu vermeiden, obwohl seine Qualen dadurch zu steigen schienen und er endlich wie überwältigt die Hände in einander drückte und sie angstvoll über seinem Kopfe zu ringen begann.

Im selben Augenblick erwachte Magda und sogleich sich aufrichtend, haftete ihr Auge auf dem Fürsten, der wie verlegen die Hände sinken ließ.

»Nun« – sagte Magda – »hat mich der Schlaf doch beschlichen? Ich dachte, ich wär' ihn los, als die Sonne aufging und ich die Lichter auslöschte.« Jetzt faßte sie den Fürsten genauer in's Auge. – »Und wie mir scheint« – fuhr sie fort – »hast Du besser wie ich dem Schlafe gewehrt, aber Du hast eben so gut Deine Aufgabe verfehlt.«

»Schlafen! schlafen! – Wer kann sagen, daß das leicht ist!« sagte der Fürst düster – »ich schlafe, als stünde ein Wächter daneben, der mir einen Schlag giebt, sobald das Augenlied niedersinkt.«

Magda sah ihn einen Augenblick sinnend und fast mitleidig an, dann sagte sie: »Ich habe davon gehört. Das muß gar traurig sein, denn es ist eine liebliche Erfindung der Natur das leise Hinübergehn in den süßen festen Schlaf, der unsere Seelenkräfte einhüllt, daß der Körper Oberhand bekommt und sein Gedeihen besorgt.«

»Ja! ja! das sagst Du – aber Träume sind oft eben so schlechte Gesellen als das Leben, die nagen auch.«

»Träume?« erwiederte Magda und rollte sich mit ihrem Stuhl dicht vor ihn – »hast Du geträumt? Erzähle mir Deine Träume; ich will wissen, was Du träumst.«

»Magda« – sagte der Fürst »verlange nicht danach, ich habe Dir schon zu viel erzählt! Was ich erzählt, waren keine Träume, – aber das Erlebte wird eine Geißel für meine Träume.«

»Ja,« sagte Magda – »wenn ich Dich nur erst auf einem etwas besseren Wege hätte – wenn Du nur einmal Deine Hände falten wolltest, nur den Wunsch fassen, daß Du einmal beten möchtest – dann würdest Du etwas spüren, das gäbe Dir den Glauben an die Entlastung der Seele – durch Beten!«

»Laß das, Magda! Das ist Alles so in Deinem unschuldigen Kinderkopf gut und wahr – aber was soll ich alter Sünder damit? Was ich gethan, das ist unwiderruflich! Daß es nicht gut war, das hab' ich Dir ja eingestanden – aber sieh', all' meine Reue und all' mein Beten und was Du mir da Alles vorredest, das ruft nicht eine Stunde zurück, nicht eine Handlung hebt es auf – nicht Einer von Allen, die ich habe seufzen machen, wird wieder lachen. Siehst Du? Die Meisten sind schon Staub und Moder – was soll denn da mein Beten nutzen? Es flickt sie nicht wieder zusammen – he! siehst Du?«

»Du bist ein harter Kopf« – sagte Magda – »und er liegt mit seinen Lügen vor Deinem Herzen wie ein Felsblock, so daß von der alten Tücke nichts heraus kann und nichts Gutes hinein. Das, was Du eben gesagt, ist eigentlich Alles leeres dummes Zeug, obwohl es Dir klug scheint und nach der Wahrheit berechnet – so einfältig und kurzsichtig macht das Ding, was die Menschen den Verstand nennen, wenn ihm gar weiter nichts zu Hülfe kommt. Habe ich Dich etwa überreden wollen, daß Du kein Sünder bist und kein abscheulich Leben geführt hast – meine Entführung mit eingeschlossen? Daran ist nichts gut zu machen, da hast Du recht, und das sollst Du erst recht fühlen, denn jetzt schwatzest Du noch mit dem Munde von Deinen Sünden und dann bist Du fertig und sagst so ruhig, als wär' es gar nichts: »Ich bin nun einmal ein Sünder und damit ist es gut!« Ich aber sage Dir trotz meines Kinderkopfes – Du hast es noch nie recht gefühlt, wie schlecht Du gethan, noch nie recht bange gedacht: hätte ich es doch anders gemacht; sondern, weil Du die Vergangenheit nicht umkehren kannst, denkst Du, es gäbe nichts weiter! Wahre Reue, wahre Erkenntniß der begangenen Sünden hast Du noch nie recht empfunden, denn das geht wie Blitz und Schlag! Du fühlst Dich die elendste verlorenste Kreatur – es steigt Dir wie das Wasser dem Ertrinkenden bis an die Kehle – es will Dich die Qual ersticken – Du fühlst, Selbsthülfe ist vorbei – da schreist Du nach Hülfe – und Du bist gerettet! – Ja! ja! schüttle nur den Kopf – gerettet sage ich Dir; denn um Dich her stehen die rettenden Engel, die warten auf Dich – und Er, von dem ich Dir erzählt – Er, der dem am Kreuze schmachtenden Verbrecher auf den ersten Laut der Reue die Zusicherung des Himmelreiches gab – Er steigt in Dein Herz und erlöst Dich von Deiner Qual, wenn Du zu ihm aufrufest um Hülfe.«

Der Fürst schnitt bei dieser Rede der unerbittlichen Magda so fürchterliche Grimassen, daß es des heiligen Eifers ihres frommen Herzens bedurfte, um auszuhalten, oder vielmehr – wenig darauf zu geben.

Er fühlte die Geißelhiebe ihrer Worte und halb lehnte sich sein ungestümes Blut dagegen auf, halb beherrschte ihn das Erstaunen über den Muth des schutzlosen schwachen Kindes, das so furchtlos Alles wagte, von dem es hoffte, daß es ihn zu dem Glauben bekehren könnte, den es allein als seinen Retter schilderte.

Dabei hatte er durch Magda selbst fast Wunder an sich erlebt, denn sie hatte ihn vom ersten Augenblick beherrscht, sie hatte nicht allein damit alle seine Pläne auf sie selbst in Vergessenheit gebracht, sie hatte ihm das Reinste eingeflößt, was er je empfunden, – eine uneigennützige Liebe bloß um des Gegenstandes willen, eine Hingebung, die ihn widerstandslos zwang, ihr die Wahrheit zu antworten, als sie ihn auf seinem leidenvollen Krankenlager um seine Sünden befrug und ihm ein Zuhorchen ihrer Worte abnöthigte, selbst da noch, als sie sich eifrig bemühte, ihm seine Sünden recht groß und abscheulich vorzustellen. – Zugleich aber erlebte er das nie Gekannte durch die Wohlthat ihrer Nähe. Thätig wie sie war, ergriff sie das Krankerwärteramt; zum Herrschen wie geboren, befehligte sie bald den ganzen Troß besoldeter Diener und brachte Alles in ein dem Kranken wohlthuenderes Geleis. Dabei wurde sie schnell geliebt, denn sie stellte sich überall vor und schützte das Recht, wenn der alte Fürst, in der langen Gewohnheit unbezähmter Heftigkeit, über die Diener herfuhr. »Da mache ich Dir lieber Alles allein,« sagte sie zürnend zu ihm – »ehe ich Dich so abscheulich entstellt und gottlos sehe mit den armen Dienern.« – Und er war am meisten verwundert über die Sicherheit, mit der sie ihm zeigte, daß sie sich ausgenommen hielt von den Ausbrüchen seines Zorns – und eine sonderbare Scheu hielt ihn auf, ihr diesen Glauben zu nehmen; er bezwang sich, wenn sie sprach, obwohl ihre Worte ihm zu Anfang wahre Nadelstiche schienen und er oft überlegte, ob er sie nicht mit eigenen Händen zum Fenster hinauswerfen sollte. Aber wenn sie vielleicht im selben Augenblick mit der höchsten Ruhe zu ihm aufblickte, oder eine sorgfältige Handreichung that – fiel sein Zorn erschrocken zusammen, und er gewöhnte sich, ihr zuzuhören, und endlich ihr zu antworten, mit ihr zu streiten, sich sogar von ihr Beweise aus dem heiligen Buche vorlesen zu lassen, was ihm ein fremder, verspotteter Gegenstand gewesen Zeit des Lebens – und dies Alles, um sie nur bei sich zu behalten, wozu Gott ihm die Gnade einer Krankheit sendete, die ihn an sein Lager fesselte.

Magda wollte nun mit ihrer jugendlichen Strenge, er sollte sich durchaus erst bekehren, ehe sie ihm etwas von seinen Verbrechen abnehmen und ihm das Leben der Kinder Egon und Hedwiga eingestehen wollte. »Ich kann auch viel hoffen« – sagte sie sich – »da er ganz ein Heide ist – also man nicht sagen kann, das Höchste hat nicht auf ihn gewirkt, sondern er kennt es überhaupt nicht!« – Sie hatte daher beschlossen, bei ihm zu bleiben und zweifelte gar nicht, er werde schon durchkommen; hielt sich aber auch dazu bestimmt, dies zu bewirken, und so entsagte sie selbst dem Großvater – »denn natürlich« – redete sie zu sich – »das geht vor!«

Die Qualen eines unleidlichen Uebels, welches seine Brust mit tausend Aengsten füllte, schienen das Ende des Fürsten mit raschen Schritten herbei zu führen. Er verleugnete sich jedoch mit der Energie seines Karakters die Ueberzeugung, die ihm jeder Tag bestimmter aufnöthigte, und hielt auch mit starker Hand die Zügel der Regierung seines kleinen Landes. Mochten seine Nächte noch so leidenvoll gewesen sein, mochten seine Wanderungen und sein Suchen nach Ruhe ihn noch so lange aus einem Zimmer in das andere getrieben haben – kam die Stunde, die seine Minister herbei führte, so war er noch immer der Anstrengung gewachsen, sie zu hören und mit der alten Schärfe der Beurtheilung die Angelegenheiten des Landes zu lenken. Magda, die so viele dieser Nächte theilte, Magda, die wenigstens, wenn sie sich Nachtruhe zugestanden, schon bei dem ersten Sonnenstrahl den Boten vor ihrer Thüre fand, der sie zum Fürsten rief, Magda blieb mit der ruhigen Sicherheit, die ihr so eigen, auch gegenwärtig, wenn die etwas erstaunten Herren des Kabinets ihren Vortrag halten wollten, und der Fürst hatte ihre Zweifel längst beruhigt, indem er ihnen zurief: »Laßt sie mir in Frieden! Sie ist was anderes als ihr sonst von Frauensleuten erlebt – und sag' ich das, so soll es Euch genug sein!«

Magda beschäftigten diese Stunden und sie hörte aufmerksam zu, wenn die Verwaltung besprochen und die Mittel berathen wurden. Nicht fremd waren der Enkelin Thyrnau's solche Gegenstände, und ihr kluger Geist redete mit und half das Nöthige erwägen, wenn auch ihr Mund bescheiden schwieg, da sie ihre Stellung wohl erkannte.

Auch heute ward das oben angeführte Gespräch unterbrochen, indem der Kammerdiener anfragte, wann die Minister vorgelassen werden könnten. Magda, welche die Ordnung nun kannte, stand sogleich auf und begab sich nach ihrem Zimmer, um sich umzukleiden, was der Fürst indessen auch that; dann vereinigten sich Beide wieder in einem Nebensaal, wo der Fürst sich auf einem frischen Lager bettete und sie das Frühstück einnahmen, wonach die Konferenz in demselben Zimmer vor dem Ruhebette des Fürsten und in Magda's Gegenwart anhub.

Als der Fürst von der Anstrengung erschöpft die Sitzung schloß und nach einem unruhigen Schlummer erwachte, suchte sein Auge sogleich Magda, welche er lesend an seiner Seite fand, und ohne sie gleich zu stören, betrachtete er die schönen ernsten Züge und seine Gedanken fielen auf Lucretia, sein unglückliches Opfer, die ihr an Schönheit so ähnlich gewesen und nur der Kraft und des Feuers entbehrt hatte, welches Magda überdies noch zu der besonders großen Gewalt über die Gemüther der Menschen verhalf. Er seufzte unwillkürlich und sogleich richtete Magda die Augen zu ihm auf, legte das Buch nieder und nahte sich ihm.

»Ich dachte, Du fändest etwas Ruhe,« sagte sie freundlich – »ich dachte auch, Du hättest es etwas verdient! Es ist in Dir ein besonderes Geschick für diese Außendinge, und indem es mich freut, daß Du wenigstens etwas so Verdienstliches leisten kannst, fällt mir doch ein, wie es Dich über Dich täuschen und Dich glauben machen konnte, Du wärest damit etwas – oder könntest damit das Andere gut machen.«

»So« – sagte der Fürst mürrisch, der immer mit dem Vorsatz anfing, über ihre Reden böse zu werden und sie von sich abzuhalten – »also für Dich ist wohl kein anderes Verdienst vorhanden, und findet Deinen Beifall, als nur das Eine, was Du da aus Deinem alten Kronikenbuche herleitest!«

»Verdienst?« sagte Magda. – »Du willst Dir immer was bereit halten, wovon Du sagen könntest: Das habe ich zu Gute, dafür geht das auf, was ich ganz schlecht machte. Aber ich möchte wohl wissen, ob Du mir Ja antworten kannst, wenn ich Dich frage: Ob Du Freude hast an dem, was Du so klug und geschickt machst, wie ich Dir eben zugestand?«

»Freude?« sagte der Fürst – »Freude? das sind Jugendgedanken! Wie soll ich wohl Freude haben, wenn ich das thue, was ich nun schon über vierzig Jahre und drüber thue – womit ich alle Tage geplagt und geärgert werde, um damit elendem schlechtem Volke, das keines Gedankens von mir werth ist, zu Wohlstand und Ruhe zu verhelfen, damit sie mir die Zähne weisen, wenn ich von ihnen etwas zurück fordere, auch nur zu ihrem Besten. Wo soll denn da Freude herkommen, wo ich keinen Lohn erwarte und es nur thue, weil ich nun einmal Fürst dieses Landes bin und nicht will, daß sie mir auf der Nase spielen.«

»Das dachte ich wohl!« rief Magda. – »Ja! Du hast enge Grenzen und keuchst unter Deiner Last fort, denn Du forderst Alles von Menschen und giebst ihnen Alles um Dein selbst willen. Aber so öde Du giebst, so öde empfängst Du zurück. Sieh! es giebt nun ganz andere Menschen; die haben in sich die Offenbarungen der göttlichen Liebe empfangen, und das ist der Anfang in ihnen, und von ihm aus strömt nun das, was Du Handlungen nennst. Sie wissen, daß Alles, was sie thun, mangelhaft ist und daß sie nur in der tiefen inbrünstigen Sehnsucht nach Ihm, unserm Heiland und Erlöser, – in dem Glauben, daß Er in uns das Ausgleichen und Vollbringen bewirken wird – zum Troste über sich selbst gelangen können; solche Menschen werden davon freudig – ihnen ist das Herz leicht, denn sie sind demüthig – sie fühlen ihre Unzulänglichkeit und wissen, daß ihre eigene Kraft ein dürres Rohr ist. Ihre Seele ist nun ein Auf- und Niedersteigen des Gebets und des Segens, den sie holen, sie thun nichts mehr um der Sache willen, sondern die Sache wird ihnen die Aufgabe Gottes und die Kraft, mit der sie solche betreiben, ist ihnen nicht eigene, sondern seine Kraft. Gelingen oder Mißlingen sind ihnen Antworten, auf die sie horchen – und die Liebe, die sie fühlen, ist der Glaube an ihren Erlöser und die irdische Seligkeit, die ihnen Gott verleiht – in Ihm verklärt sich ihnen die Welt, daß sie sie in hoher Entzückung anstaunen – in Ihm verklären sich ihnen die Menschen, die sie dann Brüder nennen – in Ihm lebt die hingebendste Verzeihung für Alles, was sie erlitten, für Alles, was an ihnen verschuldet ward – und in Ihm lebt die göttliche erlösende Hoffnung, daß ihnen wiederum vergeben werde, was sie verschuldet.

Der Fürst schwieg und sein Kopf sank rasch athmend auf seine Brust.

»Sieh! ich gebe Dich nicht auf, so verstockt Du auch noch bist – und da Du noch nicht beten kannst, so bete ich für Dich und flehe zu Gott, Er soll mein Gebet für das Deinige gelten lassen. Da steige ich denn in Deine Brust hinab und denke mir, wie Du beten müßtest! Erst – daß er Dir recht tiefen Abscheu vor Deinen Sünden geben soll, dann den Glauben, daß Du nichts gut machen kannst – dann laß ich Dich um das Wunder aufschrein, daß Du mit eins wissest: Nur er kenne Dich retten! – Wenn ich Dich so arm und hilflos in meinem Gebete vor Gott führe, dann kommt jedesmal ein Augenblick der seligsten Freude und diesen empfinde ich als eine Antwort auf mein Gebet – diese Antwort ist die Gewißheit, daß ich Dich losbitten werde, daß Du nicht in Deinen Sünden dahin gehen wirst.«

»Magda! mein Kind!« sagte der Fürst mit gebrochener Stimme – »Du bist sehr gut! Womit habe ich Deine Sorge um mich verdient? Ach! hättest Du doch Recht – gäbe es doch etwas anderes, als die eigene Rechtfertigung, die nichts hinweg nimmt. Es ist ein ödes wüstes Treiben in mir – hart wollte ich dagegen sein und dachte, das hielte vor – aber die Kraft stirbt früher als der Leib, den sie verläßt! – Was dann? ja! ja! darin hast Du Recht – die Grenze ist eng – sind wir davor angekommen, bleibt die Frage übrig, wohin nun weiter – aber Du – ein Kind – so jung und unerfahren – wie kannst Du mir den Weg zeigen – wie kann ich denken, es sei das Rechte?«

»Weil Du nicht weißt, daß keine alte Weisheit – kein langes Leben und seine Erfahrungen das geben können, was ein freies Geschenk Gottes ist! Er senkt es in die Brust des unerfahrenen Kindes und giebt ihm damit die Weisheit, welche die Klugheit der Welt überwindet, und Er läßt die Klugheit alt werden, die seine Wege mühsam enträthseln will, und versagt ihr das Wort der Lösung. »Glaube mir!« rief sie und sank auf ihren Knieen vor ihm hin – »bis Du den einen Glauben findest, der alles Andere unnütz macht! – Bete! bete! falte die Hände! – so – gieb mir Deine Hände – so – lege sie zusammen! – Horche in Dir! Will Dir die Brust nicht zerspringen? Es ist der Schrei um Erlösung, der ringt in Dir mit Deinem verhärteten Menschen! – Komm, ich will Deine Hände in meine gefalteten Hände einschließen! Jetzt – Gott,« rief sie – »mein Erlöser zögere nicht! komm! komm! – Bete: wo bleibst Du? bete: Vater Unser! sprich es mir nach: Vater Unser!« Zitternd sprach der Fürst: »Vater Unser – Gott! – Magda, die Brust springt mir – ich sterbe!« schrie er plötzlich außer sich, empor fahrend – »Gott, erbarme Dich – erlöse – erlöse mich von meiner Sünde!« Er stürzte zusammen – Magda, das betende Mädchen, hielt den leblosen Körper in ihrem Schooße – »Vater,« sagte sie mit der Ruhe einer Heiligen – »Gedenke des Verbrechers am Kreuze – seine letzten Worte retteten ihn!«

Dann stand sie auf und legte ihn sanft auf den Boden und es schien ihr, als hörte sie ein leises Röcheln in seiner Brust. »Er lebt noch!« schrie sie und stürzte nach dem Vorsaal, wo der dienstthuende Arzt sich befand.

Nach einigen Stunden kehrte zwar sein Leben und seine Besinnung zurück, aber nicht seine Sprache. Sein erster Blick suchte Magda und als er sie fand, streckte er die Arme nach ihr aus und zog sie näher und drückte ihre kleinen schlanken Hände vor sein Angesicht und weinte die heißesten, die wohltuendsten Thränen seines Lebens. Er winkte Allen, ihn zu verlassen – dann legte er selbst Magda's Hände um die seinigen und faltete sie. Magda's Stimme ward zwar von ihren Thränen oft bewältigt, aber sie hielt sich doch tapfer und betete mit einer Inbrunst das unterbrochene »Vater Unser« zu Ende, daß der Gewalt ihres Glaubens kein Zweifel blieb, er werde nun gerettet sein und Alles an sich erfahren. – Der alte Fürst schluchzte, als ob ihm das Herz brechen wollte und hob immer wieder die Hände zum Himmel auf. Dann bezeichnete er, schreiben zu wollen – und auf dem Blättchen stand: »Ich glaube, Du hast mich frei gebeten, ich glaube, daß in mir eine andere Macht lebendig geworden ist – ich werde in Frieden sterben.«

Da der Arzt Magda gesagt, wie er dem Fürsten nur noch wenige Tage gäbe bis zu seinem Ende, und wie die Minister wünschten, daß der Erbprinz davon unterrichtet werde, antwortete ihm diese, daß sie hoffe, der Fürst werde sich noch mit ihm versöhnen. Man möchte sogleich eilen, den Erbprinzen von Allem zu unterrichten und seine schnelle Ankunft bewirken, damit der Fürst diesen letzten Trost nicht verliere, nach dem er noch großes Verlangen zeigen werde, die Erlaubniß dazu verstünde sich von selbst. – Natürlich fand Magda bei dieser Hoffnung keinen Glauben – doch bat man sie, den Fürsten um seine Einwilligung zu der Einberufung des Erbprinzen zu ersuchen. – Dabei sah sie so wenig Schwierigkeit, daß sie die Absendung des Kouriers gleich begehrte – und die Herren sehr nachdenkend wurden über die Sicherheit eines so jungen Mädchens, da wo sie oft den Männermuth verloren hatten. – Der unglückliche Fürst zeigte fortwährend Verlangen nach Magda und sobald sie erschienen war, winkte er Allen abzutreten, und diese erkannte wohl, wie sich das Verlangen nach Gebet in ihm mehrte – und wenn sie auf dem Rande seines Bettes sitzend die Hände faltete, that er es auch und lauschte dann ihren Worten.

Jetzt fragte sie ihn, ob er auch recht an das Gebet des Herrn glaube und Alles einzeln durchgedacht. Er nickte. »Vergieb mir meine Schuld, wie ich vergebe meinen Schuldigern – hast Du das recht bedacht?« fuhr sie fort. Er nickte. – »So gebe denn Gott, daß Dein Sohn zur rechten Zeit kommt und Dir Dein Unrecht an ihm vergeben kann und Deinen Segen empfangen.« Des Fürsten blasses Gesicht röthete sich etwas bei diesen Worten und Magda sagte wieder: »Führe mich nicht in Versuchung, sondern erlöse mich von dem Bösen« – der Fürst seufzte tief und nickte ihr zu. – »Nicht wahr?« sagte Magda – »da eben regte sich der alte Groll in Dir – aber Gott hat Dich, als Du betetest, wieder davon erlöst.« Der Fürst faltete selbst die Hände – Magda hoffte, er danke Gott. »Jetzt denke an Alle, die Du gehaßt – ob Du Alle segnen kannst – an Thomas Thyrnau denke – an die Prinzessin Therese!« Er änderte wieder die Farbe und lag lange stumm. »Es wird Dir schwer,« sagte sie dann – »vielleicht denkst Du aber, Thomas Thyrnau werde Dir nicht vergeben, da Du so Großes an ihm verbrochen – und doch darfst Du fest darauf bauen, denn seine Seele ist rein von dem gehässigen Schmutz des Hasses und der Rache – er würde Gott mit mir bitten, Dir zu vergeben. – Auch sollst Du jetzt erfahren, daß Gott das Maaß Deiner Schuld verringert hat; denn es gefiel Ihm, die beiden unschuldigen Kinder – Egon und Hedwiga – zu retten und durch die Hand Mora's, des armen Weibes, welches Du hier auffangen ließest, um ihr ein Geständniß über mich und Deinen ungegründeten Verdacht zu erpressen, daß diese die armen Kinder rettete und erzog, bis sie in die Hände des Grafen und der Gräfin Lacy übergingen.«

Der Fürst verschlang Magda's Worte und seine bebenden Lippen zeigten, wie schmerzlich er die Kraft vermisse, sich ausdrücken zu können – dann schlug er die Hände zusammen und richtete seine Augen zur Decke.

»Nun sieh die wunderbaren Fügungen Gottes« – fuhr Magda fort – »Lacy ist der Neffe des Mannes, dem Du so großes Unrecht gethan und um deswillen Du Deine edle Gemahlin so hart verfolgt, wie Du mir selbst eingestanden hast – er nimmt die Kinder Deines Sohnes, die Du zum Tode bestimmt, auf und verfährt mit ihnen, als wären es eigene. Ich, die Enkelin des Mannes, dem Du die Tochter geraubt – ich finde die Kinder meiner Tante, ohne sie zu erkennen und erweise ihnen Liebe und Du läßt mich in böser Absicht, um Thomas Thyrnau, Deinen Sohn und Alle, die an mir hängen, zu kränken, hierher führen – und ich fühle durch Gottes Willen so großes Erbarmen mit Dir, daß ich den Großvater und Alle, die ich liebe, verlasse, um für Dich zu beten.«

Es zeigte sich die größte Aufregung auf dem Gesichte des Fürsten und er bemühte sich alsdann, seine Rührung, seinen Dank und seine Erschütterung vor Gott auszudrücken.

Aber seine Kräfte und sein Bewußtsein sanken von da an immer schneller, und Magda hatte bald das Gefühl, daß er sie auch nur noch selten erkannte, aber wie rührte es sie, daß er dies Erkennungszeichen jedesmal durch das mühsame Falten der Hände andeutete und wenn sie laut betete, ein Lächeln des Friedens auf sein hinsterbendes Antlitz trat.

Am Abend des vierten Tages erwarteten Alle, die sein Lager umstanden, sein Ende. Magda lag weinend und erschöpft mit dem Kopf auf seinen Decken, denn seine letzte Bewegung war noch die gewesen, seine Hand auf ihren Kopf zu legen – da ward es im Hofe unruhig – die Unruhe verbreitete sich im Vorzimmer und die Anwesenden machten dem hinzustürzenden Erbprinzen Platz.

Magda riß sich empor. »Komm« – rief sie ihm zu – »Deinem Vater sind durch Gottes Barmherzigkeit seine Sünden vergeben und er will diese Welt nicht verlassen lassen, ohne daß Du ihm auch vergebest und seinen Segen empfangest!«

Der Erbprinz stürzte über seinen Vater und rief ihn laut und schmerzlich bei diesem so lange verleugnenden Namen. Der Fürst erhob sich plötzlich von seinen Kissen – der gebrochene Blick des Sterbenden suchte den Sohn, dessen heiße Thränen sein Gesicht bethaut. Er rang mit fürchterlicher Anstrengung – der letzte Augenblick löste seine Zunge noch einmal, er drückte den Prinzen mit starker Hand an seine Brust – »vergieb mir! vergieb mir, mein theurer Sohn!« rief er mit gewaltiger aber fremder Stimme – »wie Gott und mein Heiland mir vergeben – und segne meinen Engel, den er mir gesandt!« – Mit Todesangst zog er Magda an sich – im selben Augenblick sanken seine Arme und er fiel hinten über – der kurze Todeskampf war in einem lauten Seufzer beendigt.

»O« – rief der Prinz außer sich – »mein Vater! mein Vater! lebe – erhalte Dich mir! – O – mein ganzes Leben verwaist und nur einen Augenblick einen Vater! Sagt – sagt – hat er mich anerkannt, hat er mich Sohn genannt? Hat er Alles widerrufen?« – Er wandte sich mit diesem tiefen Ausdruck des Schmerzes an die treuen Diener, die um ihn her standen, und wollte ihre Antwort. Alle wiederholten ihm die tröstliche Versicherung, daß das Herz des Fürsten sich in diesen letzten Tagen ihm zugewendet – und noch einmal sank der erschütterte Sohn über die Leiche des Vaters und blieb lange im stummen Gebete liegen.

Magda's Kraft schien mit der ernsten Beendigung des großen Auftrages, den sie empfangen zu haben glaubte, gebrochen. Aus den erstarrten Händen des Fürsten sank sie widerstandslos in die Arme Mora's, die, beständig in ihrer Nähe, sie bewacht hatte. Die Anstrengung der letzten Tage war für die zarte Natur Magda's zu groß gewesen; sie ward unter Mora's sorgsamen Händen bewußtlos in ihr Bett getragen, und es gehörte das Vertrauen dieser alten erfahrenen Frau dazu, um trotz der Wohlthat des bald eintretenden Schlafes dennoch ohne Sorge vor dem marmorbleichen Gesichte Magda's zu sitzen, und von den fast unmerklichen Athemzügen dieser ermatteten Brust die wiederkehrende Kraft zu hoffen.

Mora hatte aber den gesunden richtigen Sinn solcher Leute, welche die Dinge einfach und natürlich auffassen. – »Was ist denn dem jungen Dinge weiter geschehen, als Uebermüdung an Leib und Seele! Will sehen, wer aushält, Monate lang vor einem alten verhärteten Sünder zu beten und die Aengste seiner kranken Nächte ihm tragen zu helfen, damit er nicht in seinen Sünden dahin stirbt. – Was hat sie denn weniger gethan, als alle die Heiligen, die ihr anbetet – und wenn sie nicht soll hinsterben wie diese, so laßt sie jetzt in Frieden! Schlaf muß sie haben – Ruhe – kein ander Gesicht als mein altes gewohntes muß sie sehen – da wird das Leben schon wieder anwachsen.« – Damit hielt sie Alle ab, die den Anlauf auf Magda machten, denn der Tod des Fürsten hatte ihr Ansehen nicht verringert.

Als der Nachfolger am andern Tage darüber zum Bewußtsein kam, daß es Magda gewesen, welche den Segen des Sterbenden mit ihm empfangen, suchte er für sein grenzenloses Erstaunen Aufschluß bei seinen Umgebungen, und hier hielt Niemand zurück, ihm das besondere Verhältniß des jungen Mädchens zu seinem Vater zu enthüllen, denn noch waren Alle erweicht und erwärmt von dem, was Magda nach Aller Meinung vollbracht hatte. Doch auch der Fürst, der für sein überströmendes Gefühl keine andere Erleichterung kannte, als zu Magda's Füßen ihr zu danken, ward streng von der alten Wärterin zurückgewiesen, da es sich ihren klugen Augen darstellte, daß Magda noch keineswegs aus dem Zustande eines halben Bewußtseins zwischen Schlaf und Ohnmacht herausgetreten war. »Schläft sie erst,« sagte sie zu dem Arzte des Fürsten, dem sie Rede stand – »und hat ein gesegnetes Erwachen, dann mögt Ihr sehen, ob noch Mixturen nöthig sind, doch, denke ich, soll dann das Beste geschehen sein.«

»Sie hat Recht!« beschwichtigte der Fürst nun selbst den empfindlichen Arzt – und da er durch näheres Forschen sogleich auf Thyrnau hingelenkt ward, ging am selben Tage noch ein Kourier an diesen ab, welcher ihm alle vorhandenen Umstände meldete, ihm die brüderlichste Pflege für Magda verhieß und ihren Zustand so milde schilderte, daß ihrem Großvater keine Sorge daraus erwachsen konnte.


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