Henriette Paalzow
Thomas Thyrnau – Erster Theil
Henriette Paalzow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bei dieser Betrachtung öffnete der alte Diener mühsam das schwere Gitterthor und empfing mit tiefen, ehrfurchtsvollen Verbeugungen den willkommenen Gast des leer gewordenen Hauses, den einzigen Schutz der beiden trauernden Diener, ihren heimlichen Wohlthäter, den Gegenstand ihrer Wünsche und Hoffnungen.

»Mein lieber Alter,« sagte der Graf – »bleibe einen Augenblick an der Pforte; es folgt mir bald ein Freund, den die Fürstin erlaubt hat ihr vorzustellen. Ich finde allein den Weg.«

»Zu Befehl, Euer Gnaden,« entgegnete der alte Diener – »Ihre Durchlaucht wandeln im Garten.«

Der Graf schritt grüßend vorüber und trat im selben Augenblick in den Flur des Palastes, als die Kammerfrau der Fürstin langsam und mit einem trüben, kummervollen Ausdruck ihres kränklichen Gesichts darüber hin schlich. Sie blieb sogleich stehen, als sie den Grafen erkannte, gewiß erwartend, er werde sie anreden, sie etwas zu fragen, oder ihr ein tröstliches Wort zu sagen haben.

»Du wirst mir doch erzählen, wie es hier steht, meine gute Gertraud,« rief der Graf vertraulich – »wirst doch an einem alten Freunde nicht ohne Gruß vorüber gehen wollen?«

»Ach! nein,« sagte Gertraud langsam – »das liebe Gesicht Euer Gnaden ist der beste Trost für mich arme Frau.«

»Möchtest Du wahr reden! Aber was nutzen mir und Dir Deine guten Worte, wenn Du Dich immer hinter dem Berge hältst, mir nicht durch offenes Vertrauen zeigst, daß Dir mein liebes Gesicht das Gesicht eines Freundes ist?« Er bog sich dabei zu ihr nieder, in der Hoffnung, ihr ein Lächeln abzuringen; aber er sah, daß sie den Kopf tiefer senkte und Thränen, welche die ernste Frau selten weinte, über ihre Wangen flossen.

»Was giebt es?« rief der Graf jetzt ernstlich beunruhigt. »Sind neue Veranlassungen zu Kummer und Sorge, und will man sie mir wieder verheimlichen? Bin ich hier noch immer ein Fremdling?«

»Zürnen sie nicht, Herr Graf!« erwiederte Gertraud. »Ich weiß wohl, was Sie uns Allen hier sind. Unser Schutzgeist! unser rettender Engel!«

»Laß das!« rief der Graf ungeduldig – »weder das Eine noch das Andere bin ich. Aber an meinem guten Willen darfst Du eben so wenig, als ein Anderer zweifeln. Ist der Fürstin etwas geschehen? Sprich! Ich will es wissen!«

»Sein Sie nur nicht so heftig, Herr Graf!« rief Gertraud. »Täglich geschieht ihr zu Leide – täglich – täglich. Sehen Sie es denn nicht, wie sie dem Grabe immer mehr entgegen welkt? Und wie kann das anders sein! Hat sie nicht schon seit vier Wochen Hieronymus, den alten ehrlichen Koch, der ohne Lohn, bloß um der Ehre willen ihr dienen wollte, verabschiedet? »Hieronymus«, hieß es – »Du bist zu geschickt für meinen Dienst; Du kochst zu gut; ich kann Deine Küche nicht vertragen; ich darf nur einfache Kost genießen!« Aber so einfach er nun auch kochte, immer noch war es zu gut, zu schwer zu verdauen. Endlich überraschte sie ihn eines Tages; heimlich hatte sie ihm eine Stelle in der kaiserlichen Küche ausgewirkt. Aber nun hätten Sie den alten Hieronymus sehen sollen; er weinte wie ein Kind, und obwohl die Frau Fürstin unerschüttert that – ich weiß es besser!«

»Großer Gott!« rief der Graf – »so muß sie ja darben!«

»Fast so gut wie das,« entgegnete diese; »denn ich habe Zeit meines Lebens weiter nichts gethan wie bügeln und fälteln und die Fürstin kleiden. Aber was soll ich machen? Sie hätte wohl ganz vergessen, kochen zu lassen, obwohl sie alle Tage fragt, ob wir auch genug haben. Deshalb gehe ich ungeschickte Frau nun an den Heerd, und da bringen wir denn täglich die kleine Mahlzeit so wieder von der Tafel, wie wir sie auftrugen, obgleich sie nie unterläßt, davon auf ihren Teller zu thun, und wenn sie aufsteht, sagt sie: »Wo hast Du die Kochkunst gelernt? Du machst es ja wie Hieronymus! Wie einem so etwas das Herz durchschneidet,« rief sie schluchzend – »die Fürstin Morani – für welche ihre Kammerfrau kocht – das ist noch nie vorgekommen! Aber ich weiß wohl, warum das Alles geschieht! Sie kann mich mit ihrem gleichgültigen Gesicht nicht dumm machen! Der Herr Pater Prey der muß durch die ganze Stadt ziehn und auskundschaften, wo die selige Durchlaucht noch ein Nestchen hat; und wenn dann die weißen Blätter ankommen, da macht sie ein so freundliches Gesicht, als geschehe ihr was Gutes, und dann heißt es gleich: »Kaufe nichts für meinen Anzug, ohne mich zu fragen; es ist so viel überflüssiger Putz vorhanden!« Daß Gott erbarm'! ich finde nichts mehr. Aber dann sollen freilich die brillantnen Schuhschnallen drücken und Georg Prey trägt sie fort. Und die Zitternadeln und Busenschleifen, die großen echten Perlen, alles von der sel'gen Frau Mutter noch, und ihr ans Herz gewachsen, wo ist es? Die Kästchen freilich stehen da, aber wo ist der Inhalt?«

Immer blasser und blasser wurde das edle Gesicht des jungen Grafen bei der Rede der Kammerfrau. Er sah sich den wachsenden Leiden dieser Dulderin machtlos gegenüber und fühlte einen so ungestümen Schmerz, daß er ihn der Sprache beraubte. Heftig die Hände in einander gepreßt, starrte er die traurige Erzählerin an, und diese, die nun endlich dem Strom der Rede zu fließen gestattete und des Antheils bei ihrem jungen Liebchen sicher war, fuhr – ihm näher tretend – fort: »Und damit wird es nicht genug sein! Es werden noch andere Pläne gemacht. Ja! ja! Und doch wäre ihr gerade das Gegentheil Noth; auf das Land müßte sie um diese Zeit, wie sie es sonst mit der seligen Fürstin that. Das bekam ihr; da hätten Euer Gnaden die Rosen sehen sollen auf ihrem vollen Gesicht. Seitdem das, Jahr aus Jahr ein, in der Stadt bleiben heißt, ist sie nicht wieder zu erkennen – und nun gar ein Kloster in Wien!«

»Ein Kloster!« schrie der Graf, dem dieser Schreck die Lippen brach. »Was soll das heißen? Die Fürstin will in ein Kloster gehen!«

»Schreien Euer Gnaden nicht so!« fuhr Gertraud lebendig fort – »wenn es aber möglich ist, geben Sie's nicht zu – reden Sie ab, oder thun Sie, ich weiß nicht was; genug geben Sie's nicht zu, denn in ein paar Jahren wäre sie des Todes!«

Sie wurden durch den Eintritt des Baron Polten unterbrochen, der zugleich dem Grafen die Fassung zurückgab, die er fühlte nöthig zu haben. Gertraud verschwand durch eine Seitenthür, und obwohl der Baron die tiefe Bewegung seines Freundes im ersten Augenblick erlauscht hatte, war der Graf doch zu bald Herr seiner Empfindungen geworden, um dem Baron Gelegenheit zu einer Frage zu gestatten. Der alte Diener öffnete eine Flügelthür, welche sich in der Mitte zwischen den schönen Treppen befand und Beide traten in einen großen Gartensaal, dessen gegenüber liegende, geöffnete Thüren den Blick in den, nach französischem Geschmack eingerichteten Garten zuließen, den die Sonne so eben mit dem rothen, duftigen Glanz des heißen Sommerabends färbte. Doch folgte der Baron von Polten seinem Freunde nicht so schnell, als ihn der forschend nach dem Garten gerichtete Blick dazu aufforderte, denn eben, daß Niemand gegenwärtig, schien ihm erwünscht, um einen Blick auf diesen Saal zu werfen, den Zeugen früherer glänzender Feste, von denen er oft gehört, die aber vor seiner Gesellschaftszeit in Wien stattfanden. Der Graf gab auch, sein Verlangen beherrschend, augenblicklich nach und ward ihm selbst zum Cicerone, als er die umherschweifenden Augen des Barons bemerkte.

»Das Deckenstück,« sagte der Graf – »wird für ein Meisterwerk von Daniel Gran gehalten. Es ist eine von den oft wiederholten Darstellungen des Bacchus und der Ariadne auf einem von Panthern gezogenen Wagen. »Der Fürst,« setzte er mit einer, niemals von Polten wahrgenommenen Bitterkeit hinzu, »liebte die Attribute seines Lebens in den dazu passenden Allegorien zu verewigen. Du wirst diesen ganzen Saal in Übereinstimmung finden mit dem bacchantischen Zuge dieses schwelgenden königlichen Paares dort oben!«

Der Baron sah, daß die Wände in Art des Deckengewölbes fortgeführt waren. Zwischen kostbaren Spiegeln, die in reichen goldenen Einfassungen in den Wänden eingelassen waren, fanden sich Wandgemälde angebracht, die dem frivolen Sinne des übersiedelten französischen Geschmackes huldigend, auf sehr rücksichtslose Weise die bekannten Liebesscenen der alten Götterwelt darstellten. Wo diese Bilder die Wände nicht bedeckten, zeigten sie den reinsten kararischen Marmor, von welchem das Auge herabgleitend auf dem Fußboden haften blieb, der eine kunstreiche Mosaik von vielfarbigem Marmor darstellte. Aber diese Wände, die mit ihrer üppigen Ausstattung der Zeit noch eine Weile zu trotzen verhießen, waren auch der einzige Ueberrest von Einrichtung in diesem großen Räume. Sonst befand sich kein Meuble mehr darin, und nur innerhalb der Gartenthüren lag ein kleiner dürftiger Teppich, auf welchem einige alte verschossene Sessel und ein kleines Tischchen von Ebenholz mit einst vergoldeten Füßen standen.

»Welch' königliche Räume!« rief der Baron im Anschauen versunken – »und welcher Kontrast liegt in ihrer Verödung!«

»Ja,« sagte der Graf mit gepreßter Stimme, die von seiner großen Bewegung zeugte – »ein Kontrast, der das Blut in den Adern erstarren macht und unsern alten Scherz: »daß jeder Mensch irgend eine Seite habe, wo er dem Wahnsinn unterworfen sei,« hier zu einer traurigen Wahrheit umgestaltet. Du hättest den Fürsten kennen sollen! So lange er lebte, war es nicht möglich, ihn zu hassen. Ganz übersah ich auch damals seine Vergehungen nicht; jetzt aber, jetzt halte ich ihn entweder für einen Bösewicht oder für einen Wahnsinnigen – und jetzt,« setzte er gereizt hinzu – »fühle ich eine lebhafte Neigung, den versäumten Haß nachzuholen.«

Polten lächelte verlegen. Er wußte nicht recht in die Stimmung des Freundes einzugehen; der Boden, auf dem er sich mit ihm befand, war ihm fremd; es war ihm daher willkommen, daß ein Blick in den Garten ihn eine Dame gewahren ließ, die an der Seite eines Herrn langsam um den Springbrunnen herumwandelte, der in der Mitte des baumreichen Gartens auf einem freien Blumen-Parterre seine kühlenden Strahlen in die Luft hinaussandte. »Ist das die Fürstin Morani?« rief er und zog den Freund gegen die Thür.

»Sie ist es,« sagte der Graf mit völlig verändertem Gesicht und eilte zur Thür hinaus, von seinem Freunde in nicht mäßigem Erstaunen gefolgt.

Die Fürstin sah bei einer Wendung des Weges ihre beiden Gäste und richtete ihre Schritte ihnen entgegen. Der Baron von Polten bekam dadurch Gelegenheit, sich mit dem Aeußeren der Dame bekannt zu machen, ehe er ihr vorgestellt wurde; denn obwohl sie einander entgegen gingen, war der Weg doch lang genug, um zu jeder Beobachtung Zeit zu lassen.

Die Fürstin war etwas über mittlere Größe und erschien vielleicht noch größer durch die Geradheit ihrer Haltung, die ihren Kopf besonders hoch gehoben zeigte. Sie hatte einen kleinen schmalen Fuß, der sich beim Gehen mit großer Gleichmäßigkeit hob und senkte, doch behielt ihre Figur dabei etwas unbewegliches. Schon in dieser Entfernung konnte er bemerken, daß alle Ansprüche der Jugend hinter ihr lagen; später entschied er sich für sechs bis acht und dreißig Jahr. Sie trug ein schwarzes Moorkleid und obwohl sie in ihrer Einsamkeit den kleinen Reifrock abgelegt hatte, ohne welchen man in Gesellschaft nicht erscheinen konnte, behielt ihr Kleid dennoch die bauschige Rundung, die der Mode etwas nachkam. Ihr Gesicht hatte starke, marquirte Züge; ihre Stirn war zu hoch und ohne Rundung stark an den Seiten, wodurch sie mehr breit erschien; ihre Nase war groß, gebogen, und trat sehr aus dem Gesicht hervor. Wie alle Leute von starker Nase hatte sie einen kleinen Mund; aber ihre dünnen Lippen gaben diesem Vorzug keinen Reiz. Das ganze Gesicht war lang und schmal, obwohl die Umrisse und das seine Kinn das hübscheste waren. Sie trug nur den kleinen Kammstrich mit Puder und einige Locken um den Nacken; darüber war ein kleines schwarzes Flortuch genommen und unter dem Kinne leicht in einander geschlungen. Ein weißes dreieckiges Spitzentuch war um ihren Hals sauber festgesteckt, und aus den weißen Manschetten ihrer Aermel kamen runde, wohlgeformte Arme, deren Weiße, gewiß sehr absichtslos, durch einen kurzen schwarz seidenen Handschuh gehoben wurde, aus denen eine große, aber gleichfalls schöngeformte Hand hervorsah. Sie trug den unentbehrlichen Fächer, und wenn gleich ihr aller Schmuck fehlte, ohne welche man damals selten eine Dame angezogen sah, und weder Jugend noch Schönheit diesen Mangel ersetzte, fühlte der Baron doch, daß die ganze Erscheinung etwas imponirendes, durchaus edles und anziehendes habe. Als er ihr näher kam, ward dies Gefühl durch Theilnahme bei dem Anblick ihres kränklichen Aussehens unterstützt. Ihre Haut hatte die gelbliche Bleiche und todte Färbung einer Wachsmaske und ihre tief liegenden sanften Augen einen Ausdruck des Leidens, der durch die gesenkten starken Augenbrauen noch vermehrt wurde, die fast über der Stirn zusammen liefen.

Der Graf war ihm vorangeeilt; er sah, wie sie ihn mit einem feinen Lächeln und plötzlichen Erröthen empfing, und nachdem sie seine Worte angehört, dem neuen Gast sogleich entgegen ging, mit einer verbindlichen Beschleunigung ihrer Schritte.

»Es ist mir schwer geworden, Herr Baron,« hob sie an, so wie sie sich so weit genaht, daß er sie verstehen konnte – »dem Grafen Lacy die lange Vernachläßigung meines Wunsches nach Ihrer Bekanntschaft zu verzeihen. Sie, fürchte ich, werden ihren Freund vertheidigen wollen und gestehen müßen, daß Sie sich selbst geweigert haben, dies einsame Haus zu betreten.«

»Welche Strafe müßte dann der gegenwärtige Augenblick sein, der mich das volle Gewicht einer solchen Vernachläßigung würde fühlen lassen,« rief der Baron mit einer lebhaften Verehrung in Ton und Blick. Ich wage jetzt nicht einmal meinen Freund anzuklagen, wenn er mich so lange dieses Glückes unwerth erkannte, indem ich mir selbst in diesem Augenblicke das Recht dazu absprechen möchte.«

»Sie sind zu höflich, um wahr sein zu können,« erwiederte die Fürstin lächelnd. »Wir wollen lieber bekennen, daß unser vermittelnder Freund uns genug von einander gesagt hat, um unsere neue Bekanntschaft mit der Hoffnung auf ein freundliches Beisammensein beginnen zu können. Sein Sie mir daher willkommen und erlauben Sie mir, Ihnen den ehrwürdigen Priester vom Orden Jesu, Herrn Georg Prey von Luseneck, vorzustellen.«

Die Herren begrüßten sich und die Fürstin fuhr sogleich fort: »Wir werden es dem ehrwürdigen Herrn zu danken haben, wenn die glorreiche Geschichte eines Theils unsers Vaterlandes – ich meine unser schönes Ungarn – einst in ihrer vollen Wahrheit auch unseren Nachkommen gegenwärtig wird. Herr Prey beschäftigt sich, die großen Quellen, die unsere Archive und Bibliotheken enthalten, zu einem Gesammtwerke zu vereinigen, welches uns eine vollständige Uebersicht gewähren wird. Ein lang gefühltes, dringendes Bedürfniß dieses Landes!«

Der Baron Pölten begann eine Unterhaltung mit dem so ehrenvoll Bezeichneten, dessen sanftes, schüchternes Wesen wie sein verkümmertes Aeußere ganz den großen Preis verrieth, um den er in ununterbrochener Anstrengung das verdienstlichste Geschichtswerk der damaligen Zeit entstehen ließ. Da der Baron einen Aufenthalt in Ungarn gemacht und eine besondere Vorliebe für dies schöne Land nährte, welches das Vaterland seiner Mutter war, ward er bald mit dem würdigen Gelehrten in ein anziehendes Gespräch verflochten. Man erstieg indeß die wenigen Stufen, die zu der mäßig über den Garten erhobenen Plattform führten, auf welcher das Schloß stand. Es machte sich von selbst, daß der Graf und die Fürstin vorangehend, dadurch ein wenig von den beiden Folgenden getrennt wurden, und indem sie bei der eintretenden Kühlung dort auf und nieder wandelten, der Graf Gelegenheit fand, die Fürstin mit größerer Freiheit anzureden.

»Theure Claudia,« sagte er, – »der heutige Abend, der in seiner fast verschwenderischen Schönheit alle Schätze des Sommers vor uns ausbreitet, er erinnert mich daran, daß wir die Mitte desselben erlebt haben, und daß Sie noch nichts über die wichtigen Pläne entschieden haben, die ich Ihnen vor einigen Wochen vorlegte, die im Verlauf, Ihres Befindens immer dringender geworden sind und die ich mit Schmerz, fast möchte ich sagen mit Vorwurf gegen Sie, so gleichgültig und unbeachtet von Ihnen sehen muß.«

Die Fürstin schwieg einen Augenblick und der Wechsel ihrer Farbe, den des Grafen spähendes Auge erlauschte, verrieth ihm ihre tiefe Bewegung.

»Lieber edler Freund!« sagte sie nach einer Pause sehr leise, »ich glaube, die Zeit zu diesen Plänen ist vorüber – auch dachte ich, Sie hätten dies selbst eingesehen – und wenn ich sie nicht weiter erwähnte, durfte ich deshalb fürchten, auch Sie würden mich mißverstehen?«

»Claudia,« sagte der Graf, »Sie haben mich seit längerer Zeit nicht mehr allein empfangen. Ich werde entweder nicht angenommen, oder ich finde den Pater Franz oder Georg Prey bei Ihnen. Mit vollem Herzen komme ich und gehe mit bekümmertem von Ihnen. Habe ich alle Rechte über Sie verloren? Haben Sie mir Ihr Vertrauen entzogen und wollen Sie mir nicht einmal sagen, womit ich ein so schmerzliches Loos verdient habe?«

»Ich habe Ihnen mein Vertrauen nicht entzogen,« entgegnete die Fürstin ruhig. »Es ist fest begründet in all den traurigen und dennoch theuren Erfahrungen, die ich mit Ihnen zugleich machte. Sie sollten meine Weise, die Sie so wohl kennen, die zurückhaltend ist, die es nicht zur Freundschaft zählt, alle kleinen Vorfälle des Lebens zu besprechen, besser verstehen – denn Sie können es. Wenn ich Sie in der Gegenwart unserer edlen und gelehrten Freunde sehe, fühle ich nicht minder das Vergnügen Ihrer Nähe.

Der Graf seufzte und schwieg. Er empfand ihr Bemühen, ihn von sich abzuhalten, und ein Gefühl von Ungeduld, eine Heftigkeit ergriff ihn, wie er sie selten kannte. Ehe er jedoch Zeit fand, ihr zu antworten, wendete sie sich zu den beiden nachfolgenden Herren und richtete ihre Worte an den Baron von Polten, ihm die schöne Aussicht zeigend, die man von der Terrasse aus genoß. »Es ist ein Vorzug, den dies Palais dadurch genießt, daß es außerhalb der eigentlichen Stadt, in den Linien liegt, und zwar in dem Theile, der eine schöne Ansicht der Donau gewährt. Als dies Palais erbaut ward, waren die Vorstädte noch nicht befestigt; um diese Besitzung lagen Felder, Wiesen und ein kleines Dorf, welches zum Schlosse gehörte. Doch waren Ihre Freunde, die Ungarn, bei ihrer früher oft übellaunigen Stimmung in nicht ganz angemessene Weise bis unter die Thore der Stadt gedrungen, und die armen wehrlosen Vorstädte hatten, wie zur Zeit des Türkenkrieges, ein gleich trauriges Schicksal zu erfahren. Der Kaiser Leopold ließ daher im Jahre 1704 diese Vorstädte befestigen, und obwohl wir viel von unserm Grund und Boden verloren, und namentlich unser Dörfchen verschwunden ist, hat die Ansicht von dieser Terrasse doch einige hübsche Punkte auf die entstandenen Bastionen, wie überhaupt dieser Theil zwischen der neuen Bastion und dem Thore gleichen Namens der schönste zu nennen ist – und einige Wiesen und Felder haben wir ja noch immer behalten!«

»Meine Vaterstadt ist mir leider noch fremder, als jeder andere Ort meines bisherigen Aufenthaltes,« erwiederte der Baron, und ich bin deshalb besonders dankbar für jede Auskunft; denn um nicht ganz beschämt vor den bekanntesten Gegenständen zu stehen, muß ich in Wahrheit anfangen, die Chronik dieser Stadt zu studiren.«

»Ich wußte das,« sagte die Fürstin. »Aber wollen Sie mir erzählen, wie es kam, daß man vorzog, Ihre Erziehung ganz in Paris zu vollenden?«

»Weil mein Vater in Paris noch die Reste der Glanzperiode Ludwig des Vierzehnten erlebt hatte, und dagegen bei der Rückkehr sein Vaterland für so wild und barbarisch erklärte, daß er es wohl zum Abrichten von Bären und zur Hetze wilder Thiere, aber nicht zur Erziehung eines Menschen geeignet hielt. Mein Vater vermählte sich daher nach dem Beschlusse der Familie; aber einige Jahre nach meiner Geburt kehrte er mit seiner Gemahlin und mir nach Paris zurück, und ich bin bis auf einige Besuche, die wir dem Vaterlande abstatteten, mit Gewalt zum Franzosen gemacht worden.«

»Sollte das unsern Feinden wirklich gelungen sein?« lächelte die Fürstin –»so hätten wir Sie bei den Friedens-Traktaten billig mit einschließen sollen, als zur Rückgabe unrechtmäßigen Eigenthums gehörend!«

»Es würde dabei gegangen sein, wie bei der ganzen Aachner Friedensunterhandlung,« mischte der Graf ein, bestrebt seine Stimmung zu bewältigen. – »Es würden Grenzstreitigkeiten eingetreten sein und schwer zu entscheiden, wem man das Recht zuzugestehen habe, da der augenblickliche Inhaber kaum selbst darüber Aufschluß zu geben vermocht hätte.«

»Meinen Sie, lieber Graf?« sagte die Fürstin, mit einer sichtlichen Erheiterung seine Einmischung empfindend – »nun, so müssen wir eben so wie unsere große Kaiserin für ihre Grenzen, uns bemühen alles zu sammeln und geltend zu machen, was uns unser Recht an den Besitz Ihres Freundes sichert; und ich bin jetzt so stolz auf mein Vaterland, daß ich hoffe, die Mittel die uns zu Gebote stehen, sind nicht gering.«

»Das sind sie in Wahrheit nicht!« rief der Graf lebhaft – »und sie wachsen täglich in dem großen Geist unserer erhabenen Kaiserin, in dem Beistande des ausgezeichnetsten Staatsmannes, des edelsten Menschen, des herrlichen Kaunitz! Dessen Geist Colberts und Richelieus Eigenschaften vereinigt, der das Ausland und all' unsere Feinde beherrschen und im Innern die Quellen segensreicher Industrie, weiser Aufklärung und wissenschaftlicher Blüthe entwickeln wird! Er ist der Träger der großen Gedanken, die in der schönen Stirn unserer Pallas Theresia entspringen. Er weiß, wenn er sie empfängt auf welchem Boden sie wurzeln können, und verpflanzt sie nach seiner weisen Kenntniß der Kultur – und bald wird man die Früchte sehen, wenn uns der Frieden bleibt.«

»Ja Frieden!« sagte Georg Prey – »Frieden, wird durch so jähe Sprünge in der Aufklärungsmethode, wie der Herr Fürst von Kaunitz belieben, nicht sonderlich gesichert. Ich denke, die weltliche Einmischung in die Wissenschaften wird sich bestrafen; sie wäre uneingeschränkt der geistlichen Sorgfalt anheim zu stellen gewesen, welche die Aufklärung nie auf Unkosten der allgemeinen kirchlichen Wirksamkeit verbreitet, und den Zügel des Gehorsams über die Gemüther der Menschen dabei zu halten weiß.

»Wir können nur erstarken, und mächtig uns dem andrängenden Geiste der Zeit entgegen stellen,« rief der Graf – »wenn wir überall frische Elemente der Thätigkeit verbreiten. Kaunitz ist auch darin unübertroffen groß, daß er nicht in dünkelvoller Ruhe leidliche Zustände für unverbesserliche hält; daß er, furchtlos wie ein Löwe, dennoch den Feind groß nennt, wenn er es ist! Wie schön ist zum Beispiel seine Bewunderung für Friedrich, den König von Preußen. Er weiß, daß er unser größter Feind ist, unser gefährlichster; aber dies hindert ihn nicht, dieses außerordentliche Genie auf dem Throne anzuerkennen; ja! wenn er mit Einem die Herrschaft Deutschlands theilen möchte, wäre es mit ihm, denn er hat nicht nöthig, seinen Feind zu verkleinern; er freut sich seiner Größe in dem Gefühl des Widerstandes, dessen er in seinen eignen Kräften sich bewußt ist!«

»Wir wollen sehn, wohin dies eigenmächtige Streben nach Neuerungen führen wird,« nahm Georg Prey wieder das Wort. – »Der beste Rath kommt doch immer von der Quelle der erleuchtetsten Weisheit, in der seit Jahrhunderten die Kenntnisse aller Reiche der Welt zusammen strömten. Rom und sein erhabenes Oberhaupt trägt die Schicksale der Völker am Herzen, wie die Mutter das Kind.«

»Aber Rom kann nicht allen seinen Kindern gleich nahe sein,« sagte der Graf – »und aus der Ferne mißkennt man leicht das Bedürfnis in einer oder anderer Hinsicht. Die fromme Kaiserin und Kaunitz, die beide keine Größe verkennen, wollen sicher nie dem Schutze sich entziehn, den sie in Rom als väterliche Autorität verehren. Aber sie müssen eben deshalb annehmen, daß Alles, was sie zum Wohl des eignen Landes verfügen und vollbringen, des Beifalls von dorther gesichert sein muß, da Rom ja nichts zu wollen vorgiebt, als eben das Wohl seiner Kinder in Christo.«

»Aber steht darüber dem Laien so sichere Entscheidung zu,« rief Georg Prey – »daß Ihre Majestät sogar die kleinen väterlichen Ermahnungen Roms, die durch unsere geheiligten Bischöfe, zur Stärkung der Geistlichen in ihrem Berufe, verbreitet werden, und die als Ausflüsse väterlicher Ermahnungen und Rügen nicht vor das Auge einer weltlichen Macht gehören, zu verbieten wagt; oder sie erst ihrer Ansicht unterwirft, als könnten nur von ihr, der weltlichen Behörde, die Bestimmungen für unser heiliges Reich im Staate ausgehn, wie dies deutlich ihr letzter Erlaß vom Jahre 1749 darthut, durch welchen die Bekanntmachung jeder päpstlichen Bulle ohne kaiserliches Placitum streng untersagt wird. Es möchte jedoch, wie wir mit bekümmertem Herzen sehn, schwerlich hiermit sein Bewenden haben, da noch außerdem eine verderbliche Neigung nach selbstständiger Einmischung in das Reich des heiligen Roms sich in diesem Lande kund giebt.«

»Ich könnte nur das eben Ausgesprochene wiederholen,« sagte der Graf, – »die physische Unmöglichkeit thut sich dar, daß Rom das innere Bedürfniß unseres Landes so kennen sollte, wie die Regentin, desselben und ihr eben so unterrichteter Minister. Jede Verordnung des Papstes ist ja ihrer Aufnahme sicher, wenn sie nicht gegen dies Bedürfniß streitet, was Rom doch allein mit seiner väterlichen Gewalt befördern will. Warum dies Zürnen, wenn man wirklich nichts weiter will als das Wohl des Landes?«

»Herr Graf, Sie sind nicht umsonst so lange in Frankreich gewesen!« sagte Georg Prey mit einem ironischen Lächeln.

»Kann sein!« erwiederte er. »Gewiß wenigstens hat Frankreich einige Zeit früher uns dieselbe Anordnung vorgemacht; denn Ludwig der Vierzehnte war es, der den Erzbischof von Paris nach Vincennes schickte, da er gegen das Gebot des Königs eine Bulle des Papstes direkt empfing und verheimlichte. Glaubt man Deutschland noch nicht die Mündigkeit zugestehen zu dürfen, deren Erklärung man sich von Frankreich einige sechszig Jahre früher mußte gefallen lassen?«

Die Fürstin, die ungern die Unterhaltung zum Streit werden sah, gieng ihrem alten Diener einige Schritte entgegen, der, aus dem Schlosse kommend, ihnen nahte, und eine Meldung an sie zu haben schien. Er verneigte sich jedoch nur und ging vorüber, um sich an den Grafen Lacy zu wenden.

»Es befindet sich ein kaiserlicher Lakai im Vorzimmer, welcher Euer Gnaden zu morgen früh neun Uhr auf die Burg zu Ihrer Majestät der Kaiserin befiehlt.«

Einen Augenblick sah man, daß der Graf erstaunte; dann gab er seine ehrfurchtsvolle Antwort und wollte die Unterredung fortsetzen, als der alte Diener hinzufügte: auch der Fürst von Kaunitz habe geschickt und bäte den Grafen, noch diesen Abend nach der Hof- und Staatskanzlei zu kommen. Dies ließ den Grafen einsehen, daß er den Abend nicht bleiben könne, und er fühlte sich so aufgeregt, daß er kaum wußte, ob er es wünschen solle. Nach kurzem Nachdenken war er entschlossen, sich zu entfernen. Sein Auge suchte die Fürstin; schon ruhte das ihrige mit einem Ausdruck von Sorge auf ihm, der seinem verwundeten Herzen wohl that.

»Ich muß um die Gnade bitten, mich zu entlassen,« sagte er, sich ehrfurchtsvoll ihr nahend. »Doch kann ich mich heute nicht entfernen, ohne um eine Stunde zu bitten, in der ich Euer Durchlaucht einige Nachrichten mittheilen darf, die mich um Rath bitten lassen.«

Die Fürstin schwieg verlegen; dann sagte sie ausweichend. »Wie soll ich eine Stunde bestimmen? Sie wissen ja, daß mein Haus Ihnen immer offen steht.«

Wieder fühlte der Graf, daß sie sich ihm entziehen wolle, und der schmerzliche, vorwurfsvolle Blick, den er auf sie richtete, erschütterte sie so, daß sie die Augen zur Erde senkte. Doch der Graf überwand auch dies Mal die Entmuthigung, und sich schnell entschließend, erwiederte er rasch: »So lassen Sie mich Sie morgen nach der Audienz bei der Kaiserin allein finden!« Ohne ihre Antwort abzuwarten, verbeugte er sich, und da Herr von Polten zu gleicher Zeit Abschied nahm gewann er Raum, auf Georg Prey zuzugehen, und indem er seine Hand herzlich schüttelte, rief er: »Nicht wahr, mein lieber Prey, wir streiten wol und treten uns tapfer entgegen, aber Freunde bleiben wir doch!«

Der sanfte und wohlwollende Prey, der nur über die Vorrechte seines Standes allzu reizbar wachte und trotz seiner Studien, die wohl geeignet waren, ihm in dem Buche der Geschichte die Wahrheiten aufzudecken, die seine Bande hätten locker machen können, war dennoch zu tief und zu sehr von Jugend auf in das blinde Gehorsams-System der Jesuiten eingewöhnt, um sich ihm entziehen zu können. Doch hatte er in mehr als einer Hinsicht eine besondere Vorliebe für den jungen Grafen, und er sah ihm so freundlich in die Augen, daß an einer Versöhnung nicht zu zweifeln war, obwol er jäh in allen Entgegnungen, nicht gleich das rechte Wort fand. Als aber der Graf die Hand los ließ, um sich zu entfernen, stotterte er leise und eifrig: »Auch ich, Herr Graf, fände mich benöthigt, ein Wort des Vertrauens über die Fürstin Claudia mit Ihnen zu sprechen!«

»Wann ehe?« entgegnete der Graf eben so leise, denn Polten war jetzt, Abschied nehmend, mit der Fürstin herangetreten.

»Ehe Sie morgen zur Fürstin gehen, nach der Audienz – im Profeß-Hause – am Hofe zu Maria Königen der Engel.« Er wendete sich dann schneller als ihm gewöhnlich war, und bat die Fürstin um Erlaubniß, die Nacht auf der Plattform des Daches einige astronomische Beobachtungen anstellen zu dürfen. Die Fürstin neigte anmuthig bejahend das Haupt und die Herren empfahlen sich ihr zu gleicher Zeit.

Als sich die Thüren schlossen und die Fürstin sich allein sah, setzte sie ihre Wanderung auf der schönen freien Terrasse langsam fort, und wer sie dahin gehen sah, hätte das tiefste und gefühlvollste Herz verkennen und wähnen müssen, sie wäre ohne Theilnahme für die Schönheit der Natur, ohne Empfänglichkeit für die Reize dieses Abends, der unter dem sternenhellen Himmel alle Düfte der zahllosen Blüten, alle erquickenden Lüfte, die der Strom über Wiesen und Feldern drängte, verschwenderisch verbreitet. Plötzlich blieb sie stehen, von einer neuen Erscheinung dieser wunderbaren Nacht geblendet. Der Vollmond zeigte sich über den waldigen Wipfeln des Gartens, und Claudia wartete mit angehaltenem Athem, bis die glänzende Scheibe vollständig an dem reinen Gewölbe des Himmels emporgestiegen war. In diesem Augenblicke klangen durch die stille Nacht die Töne einer sanften fernen Musik an ihr Ohr. Hörner und Flöten lösten einen mehrstimmigen Gesang bald ab, bald begleiteten sie ihn. Horchend wendete sich die Fürstin gegen den Rand der Terrasse.

Auf dem wasserreichen Befestigungsgraben, der am Fuße des sich sanft niedersenkenden Gartens hinfloß und nur durch eine wallartige Untermauerung von oben nicht sichtbar, ihn begrenzte, glitt, von dem klaren Licht des Mondes wie am Tage erhellt, ein großer offner Nachen dahin, in welchem eine heitere Gesellschaft versammelt war, die den schönen Abend durch Gesang und Spiel feierte. Die Fürstin hörte deutlich jede Wendung der anmuthigen Musik; selbst einzelne Worte des Textes glaubte sie zu verstehen und als die Sänger endlich schwiegen, drang ein heiteres Geschwätz und fröhliches Lachen zu ihr empor. Lange blieb die Fürstin stumm und lehnte sich in unbeweglicher Stellung an eine große Blumenvase. Plötzlich schien die Spannung in ihr den höchsten Punkt erreicht zu haben; rasch wendete sie sich, und die Hände schmerzlich in einander ringend, rief sie: »Und ich bin allein! verlassen, verarmt an allen Banden, die Liebe und Natur um tausend Menschen schlingen! Wie ein Schatten, der vor Jahrhunderten lebte und in eine ausgestorbene Welt zurückkehrt, um keinen Anklang mehr zu finden – so steh ich' da!« Ihre Augen streiften das Palais, das im Glänze des Mondes sich heiter erhellt zeigte. Die Fürstin verhüllte ihr Gesicht. »Leer! leer!« seufzte sie – »leer wie dieses Schloß, die ganze Welt! O mein Gott, warum gabst Du mir dies warme, liebebedürftige Herz?«

In diesem Augenblick schwollen die sanften Töne des fernhin gleitenden Nachens wieder zu ihr empor. Sie brach in Thränen aus. »Und er« – sprach sie so weich, als begleitete sie die Töne des Gesanges – »er – der mir ein Herz anbietet – eine Heimat – ach! mehr wie das Alles – die Seligkeit mit ihm, für ihn leben zu können! Er, der mich das Geheimniß einer tiefen heißen Liebe lehrte. – Ihn, dem ich den warmen Pulsschlag der Jugend verdanke, das Aufblühn eines erdrückten Herzens – ihn soll ich aufgeben! Aufgeben müssen – weil ich mich dieses Glückes unwerth erklären muß; weil ich so arm, so leer an Jugend, Schönheit und Glück geworden bin, daß ich erröthen muß, an eine Gemeinschaft mit ihm zu denken! O mein Gott; wie habe ich Deinen Beistand nöthig, wenn ich siegen soll. O lasse das Gefühl meines Unwerthes hell und lebendig in mir bleiben und vergib mir den heißen Schmerz, den ich erleide. Freudig kann ich nicht sein – nur gehorsam!« Sanfte Thränen flossen jetzt ungestörter über die bleichen Wangen; immer leiser, immer ferner tönte die fortgleitende Musik an ihr Ohr. Endlich ruhte die schöne Nacht in ihrer hehren Stille noch allein um die Trauernde und die Thränen versiegten und sie fühlte ihr ergebenes Herz ruhiger schlagen, und das große Vorhaben ewiger Entsagung, was sie als Scheidewand zwischen sich und dem liebevollen Ungestüm, der ihre Vorsätze bedrohte, aufführen wollte, trat wieder vor sie hin und sie versprach sich aufs Neue, ihm treu zu bleiben.

»Dich werde ich auch dort behalten!« rief sie, ihre Arme gegen die Natur ausstreckend – »auch dort wirst Du blühen und grünen, herrliche Natur – und Deine Sterne bleiben über mir, und Dein Mondenlicht leuchtet jedem Unglücklichen. Wo anders als hier werde ich ruhiger fühlen, denn das zehrende Weh der Sehnsucht haftet hier an jedem Stein, an jedes Baumes Wipfel, in dem Kelche jeder Blume, in jedem hüpfenden Tropfen der Fontaine. O dieser Zauber, den du mit grausamer Schönheit vor mir ausbreitest, er fand erst in mir durch ihn sein Dasein – durch diese tiefe, Alles verklärende Liebe! – Und ihn werde ich behalten – und mit der Zeit ohne Schmerzen!«

»Täusche Dich nicht, meine Tochter!« sagte plötzlich eine leise und gerührte Stimme, und als die Fürstin erschrocken aufsah, stand Georg Prey in so demüthiger Stellung an ihrer Seite, mit so ernster trauriger Miene, daß die Fürstin, die augenblickliche Verlegenheit überwindend, ihm kindlich die Hand reichte. Ernst fuhr der Geistliche fort: »Du kämpfest vergeblich gegen die Wünsche Deines erwachten Herzens, und sie widerstehen Dir, weil sie unschuldig sind, und weil die Gründe, mit denen Du sie zu besiegen denkst, erkünstelte sind, von Natur und Wahrheit gleich weit entfernt.«

»O ehrwürdiger Vater!« rief die Fürstin – »wiederholt Eure verführerischen Worte nicht! Dies ist das Einzige, worin ich Euch nicht trauen darf, denn Ihr kennt die Welt nicht. Ihr wißt nicht, wie jede ungleiche Verbindung im Verlauf der Zeit sich rächt für die Unnatur, die ihr aufgebürdet wird; Ihr habt nicht gesehen, wie die Welt mit ihrem Hohn und ihren tyrannischen Gewohnheiten bereit ist, jede, von ihrer hergebrachten Regel abweichende Weise zu züchtigen, und wie sie nach und nach die bessere Ueberzeugung, wie lebhaft sie auch im Anfang entgegen stehen mag, umstürzt und untergräbt. Aber was ist die Welt gegen das Weh, was sich mir in ihm selbst bereiten könnte, wenn ich fühlte, daß ich ihn um die Freuden betrogen hätte, die allein Jugend dem jugendlichen Manne gewähren kann; wenn ich ihn darben sähe, ihn, der zur reichsten Ausbeute des Lebens berufen ist!«

»Und dennoch liebst Du ihn, meine Tochter! Dennoch liebt er Dich mit der vollen schönen Energie, die all' seine Gefühle, all' seine Handlungen bezeichnet. Und ist das nicht das erste Erforderniß einer Gott gefälligen Ehe? Sollte sie nicht aushalten dürfen für zwei Menschen, die so viel zu ihrer Erhaltung besitzen?«

»Ja bei mir!« rief die Fürstin – »bei mir wird diese Liebe aushalten bis ans Ende meines Lebens; denn ich sah es oft, was ich jetzt selbst erfahre – wenn die Liebe im spätern Alter noch einmal unser Herz ergreift, ist sie stärker und unzerstörbarer, als in allen früheren Lebensperioden. Keine Erwartung, keine Hoffnung, kein neues Erlebniß, wie es in der Jugend sich in unsere Empfindungen theilt, unsere Gedanken abzieht oder durch andere Hoffnungen zerstreut, tritt im späteren Alter, wo all diese Aussichten hinter uns liegen, ihr entgegen. Unsere reifere Erkenntniß giebt im Gegentheil diesem Gefühl ein Bewußtsein, was jeden Wechsel unmöglich macht.«

Georg Prey seufzte, als die Fürstin am Ende dieser feurigen Erörterung in Thränen ausbrach. »Und mit diesem leidenschaftlichen Grunde Deines Herzens willst Du in ein Kloster treten? Was heißt das? Und was glaubst Du damit Gutes oder Lobenswerthes zu thun? Prüfe Dich; ich wiederhole es Dir, prüfe Dich; denn Du bist auf alle Weise im Irrthum! Deine Entsagung ist von Stolz und Eitelkeit der Welt durchdrungen! Du willst den Mann nicht beglücken, den Du liebest, weil Du fürchtest, die Welt könnte auf Dich zeigen und Dir den Mangel an Jugend, Reichthum und Schönheit zum Vorwurf machen! Dein Dieb nach der heiligen Ruhestätte des Klosters ist nicht das demüthige Verlangen nach ungestörter Gemeinschaft mit Gott und seinen Heiligen – Du willst auch hier dem Götzen Deines Herzens dienen und in irdische Schmerzen versenkt, Gottes heilige Freistätte blos bewohnen, um Dich gegen die äußeren Verführungen Deines Herzens zu sichern. Aber hoffe nicht auf Frieden! Es folgen uns die Leidenschaften, dieser Fluch der Erbsünde, an jeden Platz der Erde, und der Ort ist es nicht, dem wir die Errettung davon schuldig werden. – Claudia! meine geistliche Tochter, mit väterlicher Liebe sage ich Dir, ich gebe vorläufig meine Einwilligung zu Deiner Einkleidung nicht! Viel lieber zu Deiner Vermählung mit dem edlen Lacy!«

»Vater! Vater!« sagte die Fürstin bebend – »welchen Streit facht Ihr aufs Neue in meinem Geiste an? Von Euch, meinem Beichtvater, hoffte ich Stärkung, Ermunterung zu meinen Vorsätzen, und Ihr wendet Euch von mir, Ihr tretet auf die Seite meines schwachen Herzens?«

»Ich kann irren,« antwortete Georg Prey sanft und ruhig, »denn ich bin ein Mensch, trotz des ehrwürdigen Priestergewandes. Aber Du hast dich meiner Einsicht anvertraut; ich habe Dir gegeben, was sie entscheidet. Thue nun, wozu der Geist Dich treibt und bitte Gott, dich zu erleuchten.«

Er gab ihr den Segen und verließ sie. – Die Fürstin war nun wieder allein und richtete sich empor. – Sie blickte aufs Neue um sich her; es war dieselbe großartige und schweigende Natur. Der Nachen kam zurück; die Hörner klangen in heiteren Weisen, dazwischen ward gelacht und gescherzt; auch dies war dasselbe wie noch vor wenigen Augenblicken, aber die Fürstin weinte nicht mehr; ihr Herz klopfte laut; sie bog sich über den Rand der Terrasse und suchte die Glücklichen, und ein Lächeln spielte um ihren Mund. Sie fühlte sich nicht mehr allein – denn wir horchen schnell der Lehre, die uns Befriedigung für unser Herz verheißt, und glauben ihr, ehe unser Verstand es zugibt. In einem einfachen, aber prächtigen Hof-Kostüm harrte der Graf von Lacy vor dem Kabinet der Kaiserin Maria Theresia. Vom Grafen von Kaunitz am Abend vorher über die Absichten der Kaiserin unterrichtet, fühlte er bei dem Gedanken, der erhabenen Frau seine heiligsten und theuersten Gefühle vortragen zu dürfen, und bei ihrer einstigen Verwirklichung ihres Schutzes genießen zu sollen – eine warme und freudige Glut durch sein Inneres strömen; und vor Allem stand das Bild des edlen verklärten Greises an seiner Seite, der diesen Herzschlag in ihm geweckt hatte. Er fühlte, er werde mit ihm kämpfen und sein Andenken werde aus ihm reden, wie der edle Oheim gedacht.

Niemals durften die bestellten Personen lange warten, denn die Kaiserin hatte jene weise Zeiteintheilung, die jedem Geschäft seinen unbestrittenen Raum zuläßt, und so öffnete sich auch jetzt die Thür und der Graf von Lacy ward hineingerufen.

Wieder ruhte die Kaiserin in einem Lehnstuhl vor ihrem Schreibtisch; da sie sich aber nach dieser Audienz in den Staatsrath begab, so war sie im vollen Kostüm, welches ihrer natürlichen und majestätischen Schönheit etwas so Großartiges gab, daß Jeder fühlen mußte, die Natur habe hier Alles vereinigt, eine Herrscherin darzustellen. Lacy fühlte mit Entzücken diesen Eindruck. Die volle Begeisterung eines Unterthanen schwellte sein Herz, und der prüfende Blick der Kaiserin war vielleicht nicht minder mit dem Unterthan zufrieden, dessen Züge nicht verloren durch die warme Sprache des Herzens.

»Lacy!« hob die Kaiserin an – »Graf Lacy! der Name hat einen guten Klang in unserm Ohre – wir sind geneigt, vorteilhafte Voraussetzungen zu machen! Doch höre ich, Ihr habt keinen Anspruch auf Verwandtschaft mit dem tapfern Lacy dem Schrecken meiner Feinde.«

»Wir finden die Wurzeln unseres Stammbaums in England, und unsere Ahnherren fochten mit Wilhelm dem Eroberer,« erwiederte der Graf. »Dieselben Angaben hat, wie ich höre, der tapfere Graf von Lacy über den Ursprung seiner Familie. Die verwandschaftlichen Grade wurden versäumt nachzufragen; später wird dies immer schwieriger; wir halten uns jetzt blos für Namensvettern.«

»Und es scheint,« sagte die Kaiserin huldvoll lächelnd, »ich soll im Frieden in dem Namen Lacy einen eben so tapfern Vorkämpfer bekommen wie im Kriege. Der Staatskanzler wird Euch gesagt haben, daß ich Euren Aufsatz über Leibeigenschaft gelesen. Er trifft mit den Absichten zusammen, die ich später für mein schönes Böhmen auszuführen denke, und ich sehe mit Wohlgefallen, daß der gute Geist, den ich dazu in den reichen Grundbesitzern vorfinden müßte, und der mir bis jetzt noch sehr gefehlt hat, sich in Einigen wenigstens zu regen beginnt. Könnt ihr mir noch andere unter Euren Landsleuten nennen, in denen achtbare Gesinnungen der Art sich zeigen, oder in denen sie vielleicht durch in Betracht zu nehmende Mittel angeregt werden könnten?«

»Wenn diese Gesinnung nicht eigentlich als eine ausgesprochene zu bezeichnen ist, und Personen in dieser Hinsicht nicht nahmhaft zu machen wären,« sagte der Graf – »dürfte doch dem Geiste zu vertrauen sein – dem wahrhaften Unterthanen-Sinn, der in Böhmen verbreitet ist.«

Die Kaiserin wiegte den Kopf leise von einer Seite zur andern. »Wir sind immer geneigt, das beste bei unsern lieben Böhmen vorauszusetzen,« sagte sie dann, »doch ist, nach unsern Erfahrungen, nicht gerathen, die Gesammtzahl nach dem Beispiel zu beurtheilen, was Ihr und Euer Oheim, wie es scheint, zu geben geneigt waret. Gesteht es! Ihr habt bei Euren Standesgenossen wenig Anklang gefunden? Man müßte uns denn falsch berichtet haben, was jedoch auch bei Euch der Fall sein könnte, und was wir Euch empfehlen, nicht zu versuchen, selbst wenn Ihr damit unsere Hoffnungen für das Wohl unserer Unterthanen nähren wolltet.«

Bis zur Stirn erröthend, trat der junge Graf unwillkürlich einen Schritt zurück, dann hob er den schönen Kopf zur Kaiserin empor und die Bewegung hatte ihn ungewöhnlich gefärbt. Bald wieder gefaßt, sagte er ruhig: »Meine Ueberzeugung, der Eure Majestät die Gnade hatten nachzufragen, ist die eben ausgesprochene Meinung: daß in der Gesammtgesinnung meiner Landsleute sich der Geist befindet, der zum Bewußtsein geführt, im Stande sein wird, die Segnungen zu erkennen, die Eure Majestät beabsichtigen. Ich wollte damit nicht sagen, daß der Wunsch darnach oder die annähernden Ideen dafür bereits vorhanden seien. Ging dies aus meinen Worten hervor, so habe ich mich falsch ausgedrückt, und Eure Majestät wollen es meinen Worten, nicht meiner Gesinnung zurechnen, welche den Gedanken einer Täuschung auf jedem Platz der Erde verabscheuen würde.«

»Nun, nun!« sagte die Kaiserin lächelnd – »wir sind leicht zu verletzen, wie ich merke, wir haben kriegerisches Blut, wenn auch mit der Feder in der Hand, statt des Degens.« Sie wollte fortfahren, als die Thür sich hinter ihr öffnete und ein schöner großer Mann eintrat, den Lacy sogleich für den Kaiser erkannte.

»Sie kommen zur rechten Zeit, mein Gemahl,« sagte Maria Theresia mit der holdesten Freundlichkeit, sich sogleich erhebend und ihm entgegen gehend. – »Wir haben hier einen von unsern böhmischen Großen, den Grafen Lacy, der uns überreden will, seine Landsleute warteten nur unserer gnädigen Hand, um ihre alten verrosteten Vorrechte und Privilegien hinein zu legen. Aber er verleugnete dabei das hitzige Blut der Böhmen nicht, denn ich fürchte, wir haben ihn eben beleidigt und er wird bei Eurer Majestät Recht verlangen gegen uns.«

Die unverkennbar gute Laune der hohen Frau konnte über den Sinn der Worte nicht in Zweifel lassen. Der Kaiser neigte daher huldvoll den Kopf und sagte, die Hand seiner Gemahlin ergreifend: »Nun, Graf Lacy! auf welche Weise können wir Euch Recht schaffen gegen unsere Gemahlin?«

Sie standen jetzt beide neben einander, und vielleicht gab es nie ein vollkommeneres Paar als Franz den Ersten und Maria Theresia. Die vollendetste Schönheit, die höchste Würde und der unaussprechliche Zauber, den ein hoher Geist, ein edles Herz nach außen hin verbreitet, war hier vereinigt, und der junge Graf, der sie nie so sah und neben einander gesehen hatte, mußte den Tribut der Bewunderung zahlen, der sich in den Herzen aller ihrer Unterthanen vorfand. Vielleicht hatte er schon zu lange geschwiegen. Aber das kaiserliche Paar sah mit Wohlgefallen auf den jungen Mann, und Beide waren nicht geneigt, sein Schweigen zu seinem Nachtheil auszulegen. Der Graf ließ sie auch nicht länger warten; schon hatte er den Kaiser begrüßt, sein Herz wallte über in einem unbeschreiblichen Gefühl der Begeisterung. »Ich kann bei Euren Majestäten kein Urtheil erwarten über das einzige Gefühl der Erde, welches Ihnen entzogen ist.«

»Wie?« sagte die Kaiserin ein wenig überrascht – »Ihr seid nicht blöde – und wir wollen lieber aufhören in Räthseln zu sprechen, wenns Euch beliebt; wir erfahren dann vielleicht, an welches Gefühl wir keine Ansprüche zu machen haben.«

»An das der Unterthanen-Liebe!« rief der Graf rasch und mit einem glühenden Blick seiner ausdrucksvollen Augen – »an das schönste, reinste Gefühl der menschlichen Brust! Eine Liebe, welche lebt, ohne die gewöhnliche Nahrung der Erwiederung zu bedürfen – ein Gefühl, das leer ist von jedem Egoismus, das nichts will und nöthig hat, als das Glück, zu lieben, um Leben, Gut und Blut freudig darzubringen. Dies Gefühl, dessen höchste Reinheit ich als den Triumph der menschlichen Befähigung erkenne – dies Gefühl ist es, weshalb ich mich in diesem Augenblick vor Euren Majestäten zu beneiden wage, wenn ich auch zugleich ahne, daß – dies Gefühl einflößen zu können, vielleicht meinem stolz empfundenen Vorrecht die Waage hält!«

Die Augen der Kaiserin streiften mit einem zierlichen Lächeln ihren Gemahl. Sie hatte schon die letzten Worte des Grafen mit dem Takt haltenden Nicken ihres Kopfes begleitet, jetzt sagte sie: »Ihr seid ein Schwärmer, Graf! Was fangen wir mit Euch an? Einen ruhig besonnenen Geschäftsmann dachte ich zu finden – von Euren Akten und von Eurer Reichspraxis wollte ich hören – und jetzt – ich glaube – ich muß nach Euren Versen fragen!«

»Ich würde diese Frage nur mit dem Geständniß meiner Unfähigkeit beantworten können. Vergeben mir Eure Majestät den lebhaften Ausdruck dieses heiligen Gefühls! Der Gedanke riß mich hin: wenn Eure Majestät die Unterthanen-Liebe kennten, würde ich nicht den Verdacht erregt haben, Eure Majestät täuschen zu wollen.«

»Dahin also mündet Euer schöner Pathos aus!« rief die Kaiserin, sich zu ihrem Gemahl wendend und ihm liebevoll in die Augen sehend – »Ihr seid ein stolzes, reizbares Herz! Aber,« fuhr sie freundlich fort, plötzlich auf ihn zutretend: »Ihr seid von guter Art – und jede Weise findet Gnade bei uns, wenn sie auf reinen Grund schließen läßt. Ein redlich Herz zweifelt ungern nur an der Redlichkeit des Andern. Eure Kaiserin wird fürder nicht geneigt sein, Euch der Täuschung zu bezüchtigen. Wir sind entschlossen, Euch über die Angelegenheiten in unserm Königreich Böhmen in Rath zu nehmen« – fuhr sie fort – »und dachten Euch in unserer Hof- und Staatskanzlei eine Anstellung zu verleihen, da der Graf von Kaunitz Euch uns bezeichnete, als im Geschäftsstyl schon erfahren, und auf den tauglichen Universitäten für die Reichspraxis vorbereitet. Was sagt Ihr zu unserm Vorschlag?«

»Daß ich mein Geschick beklage!« rief der Graf – und wer hätte zweifeln dürfen, daß er es beklagte? »Aber,« fuhr er, in Ehrfurcht sich der Kaiserin nahend, fort, – »ich darf einer Verfügung – ja mehr noch – ich darf eines feierlich gegebenen Wortes wegen, nicht in bindende Verhältnisse zum Staatsdienst treten.«

Die Kaiserin hörte, wie wir wissen, das Erwartete. Doch hatte die kurze Unterredung mit dem jungen Manne ihren Wunsch, ihn zu benutzen, eher vermehrt als verringert.

»Ist das die praktische Auslegung Eures patriotischen Enthusiasmus?« sagte sie daher scharf, in der Absicht, ihn heraus zu locken.

»Ich glaube ja, Euer Majestät!« entgegnete der junge Mann. »Es ist gewiß dieselbe Unterthanen-Liebe die nichts zu ihrer Nahrung nöthig hat, und dennoch in weiter Ferne dem erhabenen Monarchen ein warmherziger Arbeiter bleibt für jede Anregung, die von dieser Höhe aus die Thätigkeit der Treuen fordert – um große Gedanken ins Leben einzuführen.«

Die Kaiserin wandelte jetzt langsam auf und nieder und ihr lichtes Auge streifte bald ihren Gemahl, bald den Grafen. »Ihr wollt uns damit sagen,« sprach sie nach einem kurzen Schweigen – »wir bedürften auf jeder Stelle Unterthanen, die uns zu verstehen vermöchten, um unsern Willen auszuführen! Wir hatten selbst darin einige Erfahrungen gemacht und es ist Zeit, uns daran zu erinnern!«

»Doch scheint es mir,« fiel hier der Kaiser ein – daß ein so guter Unterthan als Ihr, Graf Lacy, es billig der Kaiserin überlassen müßte, wo sie ihn am nützlichsten erachtete.«

»Euer Majestät! – ich habe die Freiheit verloren, irgend Jemandem, wer es auch sei, dies Recht über mich zuzugestehn. Eure Majestät wollen deshalb Ihrem getreuen Unterthan nicht zürnen!«

»Euer Oheim erzog Euch?« fragte die Kaiserin – »warum bliebet Ihr nicht bei Euren Aeltern?«

»Ich verlor Beide in meiner Jugend« – erwiederte der Graf.

»Wir wollen« – hob die Kaiserin sich gegen ihren Gemahl wendend an – »wenn Euer Liebden nichts dagegen haben, uns seine Familien-Verhältnisse erzählen lassen.«

Beide setzten sich nieder und der junge Graf mußte daran denken, die einfachsten Thatsachen, wie es ihm schien, zu einer Erzählung für seine hohen Zuhörer einzurichten.

»Mein Großvater hatte zwei Söhne, von denen der jüngste mein Vater war. Er vermählte sich früh mit meiner Mutter, einer Gräfin Protikoh; meine Aeltern hielten sich meist in Italien auf, und nur wenige Jahre vor ihrem Tode kamen sie mit mir nach Deutschland zurück, und wir lebten in Tein bei meinem Oheim, oder in Prag, wo meine Aeltern starben. Vor ihrem Ende übergaben sie mich der Sorgfalt meines Oheims, bei welchem damals noch sein einziger Sohn, mein Vetter, lebte. Ich weiß nicht zu sagen, warum dieser es zurückwies, sich zu vermählen; doch entstand hieraus oder aus andern, mir unbekannten Gründen eine Spannung zwischen Vater und Sohn, und mein Vetter, den ich unendlich liebte, lebte auf einem fernen Gute, von allen Menschen zurückgezogen, und als ich in Regensburg studirte, erreichte mich die Nachricht seines Todes.

Dem vereinsamten Vater trat ich von da an in alle Sohnesrechte, und indem ich sein Erbe ward, machte er mich zum Träger all der großen und schönen Pläne, die er für die Veredlung und Entwicklung seiner Unterthanen entworfen und theilweis schon auszuüben suchte, und verlangte von mir, daß ich mich diesem selben Berufe ausschließlich widmen, nie eine andere Stellung im Leben annehmen, mich allein hierzu ausrüsten solle.«

»So scheint es,« hob der Kaiser an – »daß die Ansichten über die notwendige, theilweise Aufhebung der Leibeigenschaft in dem Kopfe dieses Eures Oheims entstanden?«

»Dieser Gedanke war der Kern seines Lebens!« rief der Graf mit Wärme – »und vorbereitend suchte er auf seinen Gütern die Empfänglichkeit dafür zu wecken.«

»Und habt Ihr im selben guten Geiste fortgewirkt?« sagte der Kaiser. »Ist der verständigen Ansicht darüber schon zu vertraun? Erkennen Eure Unterthanen den Vortheil, der Ihnen damit zugestanden wird?«

»Ich war seit zehn Jahren nicht auf meinen Gütern, Euer Majestät! Streng und wohlüberlegt, wie mein Oheim in allen seinen Beschlüssen war, verlangte er von mir ein ununterbrochenes Studium der mir vorgeschriebenen Reichspraxis. Selbst sein Tod durfte mich nicht zurückführen, und er billigte meine damaligen Reisen mit dem jetzigen Grafen Staatskanzler, da er sie für keine bindende Anstellung hielt und mit jedem Mittel zu meiner Entwickelung wohl zufrieden war.«

»Da möchte Eure eigne Bekanntschaft mit Euren Gütern,« sprach der Kaiser – »wohl nöthiger sein, wie Euch Eure Unerfahrenheit glauben läßt. Ihr könnt große Veränderungen finden, und, wie anzunehmen ist, ungünstige; denn die Abwesenheit des Herrn kann bei beabsichtigten Neuerungen nicht vortheilhaft wirken.«

»Meine Abwesenheit ward, wie ich erkennen muß, vielleicht mit größerem Erfolge gekrönt, als meine junge Erfahrung zu erreichen gewußt hätte. Ich bin nicht fremd geblieben mit dem Zustande meiner Unterthanen. Ein ausgezeichneter Mann – ein Freund meines Oheims, stand an der Spitze aller meiner Geschäfte, und er vermochte es, im Geiste meines Oheims fortzuwirken. Ich werde ihm nur nachzuahmen haben, wenn ich an seine Stelle trete.«

»Seid Ihr des Mannes sicher? Habt Ihr so ausreichendes Vertrauen zu ihm?« fragte die Kaiserin rasch – »Kennen wir ihn?«

»Es ist ein Advokat, Euer Majestät! Thomas Thyrnau ist sein Namen.«

»Der Name ist uns bekannt,« fuhr die Kaiserin fort. – »Er muß irgend einen Anspruch an unser Gedächtniß machen – ich denke, er gehört zu den Männern, die wie Horneck – Justi – Sonnenfels – sich mit Staatswirthschaft und höherer Industrie zu meinem Wohlgefallen beschäftigen. Doch jetzt will ich wissen, wie Ihr mit ihm steht?«

Der Graf schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit gedämpfter Stimme: »Ich weiß es nicht! Es liegt ein Geheimniß zwischen uns, was mich von ihm zurückstößt – mich mißtrauisch und kalt gegen ihn macht, wenn ich mich anderseits von seinem Geiste und seinem edlen Charakter hingerissen fühle.«

»Dürfen wir im Vertrauen sein?« sagte die Kaiserin. – »Bis der Zeiger hierher weist,« fuhr sie fort, auf eine Pendule zeigend – »können wir Euch noch Zeit gönnen.«

Der Graf fühlte sich überrascht. Er gehörte nicht zu den Menschen, die gern und leicht über ihre Privatverhältnisse sprechen, und er würde jedem Andern ausgewichen sein; aber in der Gegenwart dieser beiden hochgestellten Personen überkam ihn ein Gefühl von Isolirung, das mehr wie an jeder andern Stelle das Vertrauen zu sichern schien, da jede Verbindung aufhören mußte, wo so verschiedene Verhältnisse obwalteten. Dies kleine feste Gemach, vor jedem Lauscher gesichert, schien eine Heimat für jedes Geheimniß. – Der Graf fand sich bald zurecht und mit der Offenheit, die ihm eben so natürlich war, erzählte er den Inhalt der uns bekannten Unterredung mit dem Baron Pölten.

Das Erstaunen der beiden hohen Herrschaften war sehr groß und hatte etwas so wohlwollendes, daß der Graf sich seines Vertrauens freute. Bald unterbrach ihn jedoch die lebhafte Kaiserin mit der Frage: »was er beschlossen?«

»Ich werde mich in keinem Falle mit der Enkelin von Thomas Thyrnau vermählen!« rief der Graf mit mehr Heftigkeit, als passend war. »Mein Oheim hat mir nie persönlich von diesem Plan gesprochen – mich bindet kein ihm gegebenes Wort!«

Die kluge Kaiserin blickte scharf nach dem Grafen hin, dann sagte sie: »Ihr seid wahrscheinlich schon anderweitig gebunden – habt die Gemahlin schon gewählt, ohne Zuthun von Thomas Thyrnau?«

Dies war zu viel für den Grafen. Eine dunkle Röthe überzog sein Gesicht. Als er schweigend die Augen erhob, streiften sie die Pendule; eben stand der Zeiger auf der bezeichneten Stelle; er verneigte sich tief. Die Kaiserin verstand ihn – sie lächelte. »Die willkommene Minute auf dieser Pendule, wollt Ihr sagen, überhebt Euch der Antwort. So geht denn für heute. Ich wünsche Euch jedoch an den Cour-Tagen zu sehen – meldet Euch beim Oberhofmeister – ich werde die Zeit bestimmen, um Euch über die Angelegenheiten Böhmens zu vernehmen. Wollen Euer Liebden die Gnade haben, den Grafen zu empfangen?« sagte sie zu ihrem Gemahl.

»Die Empfehlung der Kaiserin macht mir Vergnügen und ich denke, wir wollen Euch gewogen und behülflich bleiben, wo Ihr unseres Schutzes bedürfen könntet.« Beide Herrschaften entließen den Grafen.


 << zurück weiter >>