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Zwischen hohen Bergketten senkte sich der Weg der Reisenden endlich und zeigte ein reizendes Plateau, welches seinen gesegneten Boden durch den Anbau von Dörfern, einzelnen stattlicheren Pacht- und Meierhöfen und kleinen grauen Kirchthürmen verrieth, welche aus ihren nie fehlenden Laubumgebungen hervorsahen. Gegenüber war dies Tableau von einem bewachsenen Mittelgebirge begrenzt, worüber die schönen schrofferen Gebirgslinien des Hochgebirges aufstiegen und gegen den klaren Himmel wie Wolken gelagert waren. Nachdem der Weg sich durch Wiesen und Laubwälder malerisch gesenkt hatte, nahm die Gegend einen ernsteren Charakter an, und die Kultur hatte den verschwenderischen Mitteln, welche die Natur bot, das Gepräge eines aristokratischen Willens aufgenöthigt.
Ein herrlicher Wald von Eichen und Buchen war mit breiten Wegen, Ruhesitzen und kleinen Ansiedlungen der zahllosen Dienstleute eine Vorbereitung zu den großen Eingangsthürmen, welche die Gitter des mächtigen Parkthores beschirmten. So wie man sie hinter sich hatte, sah man einen Augenblick aus einem Meere von Laubkronen das alte weitläufige Schloß sich erheben, welches wie von grauem Marmor mit zwei mächtigen Thürmen sich über die Landschaft erhob. Dann verbarg eine Allee uralter Ahornbäume, welche die Reiter aufnahm, die weitere Aussicht – bis diese endlich sich theilte und nun einen gelichteten Punct des Parks zeigte, von wo aus mit einem Male die ganze großartige Anlage des prachtvollen Baues vor Uricas überraschten Blicken ausgebreitet lag.
Obwohl das Schloß auf zwei Terrassen erhöht lag, überragte es doch der Wald, der es nordöstlich einschloß, und zu seinen schönsten Parkanlagen benutzt war, weil derselbe an einer Hügelreihe langsam hinaufstieg. Gegen Süden erweiterte sich das Thal und das Schloß lag an dieser Seite an einem steilen Felsenabhang, der die romantische Wildniß eines Wasserfalls zeigte, der dann durch einen tiefen Thalgrund sich stürzend, bis zu einem lieblichen See führte, dessen heller Spiegel durch das schimmernde Grün glänzte.
Vor dem Schlosse zeigte sich die breite gemauerte Anfahrt mit Gartenanlagen, worin Marmor und Statuen wechselten bis zu den breiten Treppen, welche zu den Terrassen führten, worauf das Schloß lag.
Das Gebäude selbst war aus verschiedenen Zeiten herstammend und der mittlere Theil, der jetzt die beiden Thürme verband, war der neuere Theil.
Montrose und Urica hatten in gleicher Empfindung jede Empfangsfeierlichkeit ihrer Unterthanen verbeten, und so fanden sie bloß die zahlreiche Dienerschaft des Schlosses in ihrem höchsten Staate auf den Terrassen aufgestellt, und diesen alten und jungen Dienern sah man die große Liebe zu ihrem Herrn an, und die Freude, ihn an der Seite einer so schönen und hochgeborenen Gattin in die alten Räume des Familiensitzes einziehen zu sehen.
Urica verstand in dem neuen Glücke ihres Herzens jeden Einzelnen; sie errieth jedes Gefühl, und vielleicht war sie nie schöner, als da sich diese sanfte Liebeswärme zu dem königlichen Wesen ihrer angeborenen Natur hinzufügte.
Ihr glänzendes Gefolge, ihr reiches Gepäck, hatte den beobachtenden Dienstleuten schon eine ehrerbietige Stimmung gegen ihre neue Herrin eingeflößt; jetzt befahl Urica noch ihrem Haushofmeister eine große Summe unter dieselben zu vertheilen, und händigte dem alten Pfarrer, welcher sich zur Bewillkommnung einfand, für die Armen und Kranken der zahlreichen Gemeinde eine eben so bedeutende Summe ein.
In der großen und schönen Halle, welche sich nach den Terrassen öffnete, fanden die Neuvermählten einige von den Nachbaren des Marquis von Montrose, und Urica hatte die Freude zu hören, wie belebt von Besitzungen befreundeter Edelleute diese herrliche Landschaft war.
Uricas Zimmer lagen nach dem romantischen Klippengrunde, über dessen moosiges Gestein die Kunst das üppige Wasser des Bergsturzes geleitet hatte. Aus ihrem Zimmer trat sie auf eine Platform, woran hundertjährige Föhren, aus dem Thale aufsteigend, eine schützende Wand bildeten, während junge Buchen an dem sanft plätschernden Wasser nickten und an den Vorsprung, welchen der mächtige Südthurm bildete, ein paar riesige Eichen ihre schönen, säulenartigen Stämme lehnten.
Das Innere des Schlosses zeigte die fürstlichen Ansprüche, welche die Besitzer zu allen Zeiten gemacht hatten, und der Luxus aller Länder war in den wohl erhaltenen Räumen verbreitet.
Der Rest des Tages bot Zeit zu der angenehmen Unterhaltung, die Kunstschätze und Familien-Reliquien zu betrachten, welche sich hier vereinigt fanden, und Urica hörte es nicht ungern, daß die erste Gemahlin Montroses nie dies Schloß betreten, sie die wenigen Jahre, welche diese Konvenienz-Ehe gedauert, nie ihre Eltern verlassen habe, und Urica nun in die Rechte, in die Zimmer sogar der Mutter ihres Gemahls eingetreten war, von keiner Erinnerung an die dazwischen regierende Herrin getrübt.
Jenseits der Halle, nach dem waldigen Theile des Parks, lagen die Zimmer von Montrose, und es gab nichts einladenderes zum Nachdenken und zu wissenschaftlichen Studien oder den Träumen der Poesie, als die kostbare Bibliothek, welche in diese grünen Schatten hinaus sah, an das Kabinet des Marquis stieß und ihm im Voraus die Nähe seiner schönen Gemahlin zu sichern schien. Dagegen hob Urica die Schönheit ihrer Zimmer scherzend hervor – die herrlichen Gemälde, welche den Hauptsaal einnahmen, die heimlichen kleinen Zimmer, wo musikalische Instrumente, eine erlesene Handbibliothek und eine mit Kunstwerken ersten Ranges gezierte Betkapelle, die an ihr Wohnzimmer stieß, den Zimmern ihres Gemahls den Vorrang streitig zu machen schienen.
Aus den oberen Zimmern des Schlosses, welche von den Großeltern des jetzigen Besitzers bewohnt worden, hatte man den weitesten Blick über die herrliche, in mannigfachem Wechsel sich zeigende Landschaft, aus der einige von den bedeutenderen Nachbarschlössern sich charakteristisch erhoben.
Mit welcher Ehrfurcht betrachteten Beide diese wohlerhaltenen Einrichtungen, welche in ihrer Eigenthümlichkeit das ganze Leben einer längst zu Staub gewordenen Generation aufbewahrt hatten und den jungen Nachkommen, welche so eben auf demselben Boden ein neues Leben zu beginnen vorhatten, eine stille, ernste Ermahnung an die häuslichen Tugenden zu enthalten schien, wodurch sie der Seegen für ihre Unterthanen gewesen, sich selbst das häusliche Glück bewahrt und den großen Ansprüchen ihres Ranges und Reichthums eine Achtung gebietende Berechtigung beigelegt hatten.
Als beide Gatten nach der Abendtafel ihre Gäste entlassen und aus der Halle auf die große Hauptterrasse hinaustraten, empfing sie der hellste Mondschein, der den freien Blick von diesem mäßig erhobenen Standpunkt in das reizende Thal zuließ, welches hinter den Gehegen des Parks ausgebreitet lag, und jetzt erlöst von der Unruhe der Reise und dem sie umgebenden Gefolge ruhte Beider Gefühl in der Sicherheit des erreichten Zieles aus, und Beide sehnten sich, die schnelle Umwandlung ihres Lebens und all' die daran geknüpften erschütternden Ereignisse zu besprechen.
Es war selbst diesen klaren starken Geistern nicht zu verdenken, daß sie auf ihr Verhältniß wie auf einen Traum, wie auf ein fast mährchenhaftes Glück blickten, und es konnte im Gefühl ihrer Liebe, welche Beide sich gestanden, zuerst kennen gelernt zu haben, nicht fehlen, daß sie trotz diesem raschen Verlauf ihrer Handlungen eine Sicherheit in einander fühlten, welche ihren schönen großartigen Charakteren die entzückendste Begeisterung einflößte.
Hochherzig und ohne in weibliche Verzagtheit zu gerathen, hörte Urica von ihrem Gatten die großen und schweren Pflichten entwickeln, welche ihm vorläufig noch eine sorgenvolle Zukunft verhießen, da er der Krisis, die über seinem Vaterlande schwebte, nicht unthätig zusehen konnte noch wollte. Auch jetzt mußte er sie am andern Tage schon verlassen, um in Glasgow die Depeschen des Königs zu übergeben und wo möglich dem bösen Willen Argyle's entgegen zu wirken.
Aber er hoffte auch alsdann einige Wochen der Ruhe für sie zu haben, da er die nächsten Bestimmungen für das von ihm gebildete und befehligte Armee-Corps noch nicht übersehen konnte und er fest entschlossen blieb, durch eine vom König genehmigte Korrespondenz Alles anzuwenden, um ihn zu raschen entscheidenden Kriegsoperationen gegen England zu bewegen, wobei er noch immer hoffte, sein Armee-Corps mit Bewilligung der Covenants als Hülfe der königlichen Truppen benutzen zu können; ja es machten sich Aeußerungen Luft, welche darauf hinwiesen, wie er diese Hülfe nach den eben erlangten Zugeständnissen des Königs, als eine heilige Pflicht ansah, die dem muthigen und entschlossenen Manne vielleicht anrathen könnte, diese Pflicht auch gegen den Willen seiner Landsleute und im Vertrauen, daß dereinst ihre bessere Ueberzeugung nachkommen werde, auszuführen.
Dies waren verständliche Ansichten für Urica – und Dank den früheren Bestrebungen Argyle's – er fand zu seiner Ueberraschung seine junge Gemahlin viel besser in den politischen Zustand seines Vaterlandes eingeweiht, als er jemals bei einer seiner Landsmänninnen angetroffen. So kam es, daß sie sich wie Freunde verbanden, den Anforderungen ihrer großen und verhängnißvollen Zeit mit all ihren geistigen und materiellen Mitteln Stand zu halten, und von selbst schien es sich ihnen aufzunöthigcn, daß ihre Jugend leicht in Opfern, Stürmen und Leiden vorüber ziehen könne – und lächelnd blickten sich die jugendlichen Gatten in die schönen Gesichter und prophezeiten sich nur die Ruhe des häuslichen Besitzes, wenn das Alter ihnen vielleicht schon den Reiz der Jugend genommen.
Trotz der starken Willenskraft Urica's fühlte sie sich doch am andern Tage nach Montrose's Abreise von einem schauerlichen Gefühl der Einsamkeit erfüllt, und gab dem Bedürfniß der ungestörten Ruhe um so mehr nach, da sie seit der mächtigen Umgestaltung ihres Lebens kaum Zeit gefunden hatte, mit sich selbst allein zu sein.
Dies blieb bei ihrem gefaßten Charakter nicht ohne Erfolg, und am Morgen des andern Tages brachte sie ihren neuen Pflichten ein ruhiges und klares Bewußtsein entgegen.
Sie lernte nun alle Dienstleute des Schlosses kennen und fühlte sich im Kreise so anständiger, pflichtgetreuer und lang bewahrter Diener nicht mehr verlassen, und nachdem sie mit dem alten Sir Crafton, dem Intendanten des Hauses, und seiner eben so alten und ehrwürdigen Gattin, welche ihm bei Verwaltung der Angelegenheiten behülflich war, sich berathen hatte, wurden ihre eigenen Leute mit Umsicht unter die übrigen Domestiken vertheilt, um Jeden in seinen Rechten zu schonen.
Ihr nächstes Geschäft war alsdann, für die Ankunft von Montrose's Kindern die geeignete Wohnung auszuwählen und einzurichten, und es machte ihr besonderes Vergnügen, für diese in ihre Sorgfalt übergehenden Wesen eine mütterliche Liebe zu entwickeln. Die Größe des Schlosses und die doppelte Zimmerreihe, die jeder Theil einschloß, machte es leicht, die Wohnung dieser jungen Kinder und ihrer Wärterinnen ganz in die Nähe ihrer eignen Gemächer zu legen und ihr dadurch eine mütterliche Aufsicht zu erleichtern.
Auf Montrose's Wunsch empfing sie später den Adel der Grafschaft, welcher von ihrer Anwesenheit unterrichtet worden war, und erwiderte durch Gegenbesuche und gelegentliche Einladungen diese Höflichkeiten. Mit vielem Takt aber wußte sie bei solchen Gelegenheiten Sir Crafton und seine Gattin, welche in hoher Achtung in der Nachbarschaft standen, an ihre Person zu fesseln, und ihre gewöhnliche Tafel zeigte immer diese beiden ehrwürdigen Gestalten, wozu der alte gelehrte Kaplan des Kirchspiels, der Erzieher Montrose's, ein stets willkommener Gast war.
Nachrichten aus Glasgow von Montrose, die alle günstig lauteten, wenn auch die Ankunft sich verzögerte, trugen dazu bei, Urica's Herz zu erheitern, und sie fühlte eine Jugend und Heiterkeit, einen Lebensmuth in sich erwachen, daß es der vierundzwanzigjährigen Gattin schien, sie wäre früher alt gewesen, jetzt erst beginne ihre Jugend – der Genuß des Daseins.
Montrose war dagegen unruhig und unzufrieden über diese sich immer auf's Neue als nothwendig zeigende Trennung von Urica, und es bekümmerte ihn, daß auch seine Kinder, welche er ihr indessen als Ersatz gehofft hatte zuzuführen, noch nicht eintrafen; er schickte Boten über Boten zu seiner alten finstern Schwiegermutter, mit der Bitte, seine Kinder der väterlichen Heimat zurückzugeben, ohne auch nur die kleinste Antwort darauf erreichen zu können, so daß er fast zweifelte, auf gewöhnlichem Wege sein Eigenthum wieder zu erlangen.
So waren vier Wochen vergangen und Urica hatte ebenfalls sich an den Gedanken zu gewöhnen gesucht, daß die alte stolze Lady Southhesk die Kinder ihrer Tochter mit eifersüchtiger Abneigung gegen jeden fremden Einfluß an sich zu fesseln suchen werde; da ward ihr eines Tages von Sir Crafton die Meldung gemacht, daß man in der Ferne einen Reisezug beobachte, welcher sich in einer schweren Karosse von reitenden Dienern begleitet, dem Schlosse nahe.
Freudig bewegt von der Hoffnung, nun Montrose's Kinder sich nähernd zu wissen, unterbrach Urica den Bericht an deren Vater, mit dem sie sich eben beschäftigte, und als man ihr meldete, daß der Wagen vorgefahren, eilte sie mit freudestrahlendem Angesicht an ihrer feierlich aufgestellten Dienerschaft vorüber, um die Kinder, für welche sie so zärtlich fühlte, auf der Terrasse zu empfangen.
Als sie bis an den Rand vorgeeilt war, sah sie dagegen mit einiger Beklemmung diese Kinder, die sie für Montrose's hielt, an der Hand einer alten Dame die Stufen ersteigen, von der ihr Gefühl ihr beim ersten Blick sagte, sie werde eine Feindin an ihr haben.
»Es ist die alte Gräfin von Southhesk,« sagte Mrs. Crafton – und in dem Tone, womit sie sprach, lag ebenfalls eine unangenehme Ueberraschung.
Urica, welche die Absicht gehabt hatte, den Kindern entgegen zu gehen, blieb unwillkürlich stehen – die Atmospkäre dieser alten Dame war so hochmüthig, daß sie augenblicklich Urica erreichte. Es war eine große wohlbeleibte Gestalt, ungebeugt vom Alter, mit einem starren vollen Gesicht, welches die tief eingegrabenen Linien der Verächtlichkeit von der Nase bis zum gesenkten Munde zeigte; sie hatte ein paar runde dunkle Augen, die in diesem Augenblicke eine kalte, hochmüthige Entschlossenheit ausdrückten. Lange schwere Trauerkleider umhüllten sie; das Bonnet umschloß mit einer Flebbe das Gesicht, und der lange Schleier, der daran niederfiel, bedeckte fast die ganze Gestalt. An jeder Hand führte sie ein Kind – beide von Trauerkleidern unnatürlich beschwert, der elfjährige Knabe sogar mit schwarzem Degen und Mantel, das zehnjährige Mädchen, im Kleinen, die treue Kopie des Costümes der alten Lady.
Hinter ihnen erstiegen zwei Männer in schwarzen Talaren die Treppe und Urica erkannte sie sogleich für katholische Geistliche. Neben ihnen ging eine große hagere Dame, welche alt und häßlich war, in eben solcher Trauerkleidung, und dann folgten die Frauen der dienenden Klasse, endlich die Diener, Alle in tiefe Trauer gehüllt, welche seit dem Tode der Lady Montrose in diesem Hause nicht wieder aufgehoben worden war.
Sir Crafton, der ihr bis an den Wagen entgegen gegangen, ging mit der alten stolzen Dame redend mit entblößtem Kopfe neben ihr her, und es war unverkennbar, daß sie ihm absichtlich Auge und Antheil zuwendete, um jede Aufmerksamkeit von der harrenden Urica abwenden zu können.
Dies hatte jetzt sein Ziel gefunden, denn die Terrasse war erreicht und Urica ging ihr nun einige Schritte entgegen. »Milady,« sagte sie verbindlich – »erlaubt mir, indem ich euch als Großmutter dieser Kinder zu erkennen glaube, daß ich euch in Abwesenheit des Marquis von Montrose willkommen heiße.«
Es war nicht möglich, zerstreuter, gleichgültiger Jemand mit den Augen zu überlaufen, als die Gräfin von Southhesk dies an Urica versuchte – ohne ihr zu antworten, sagte sie zu Sir Crafton: »Wer ist diese Frau?«
Erschrocken entgegnete der arme Intendant: »Euer Gnaden – ich bitte unterthänigst – es ist unsere gnädige Herrin – die Gemahlin des Marquis von Montrose!«
Sie nickte mit dem Kopfe und sagte eben so gleichgültig: »Ich hörte von solcher Liebschaft – ich glaube eine Ausländerin? – Es ist nicht fein von dem Witwer der Gräfin von Southhesk – doch will ich ihn selbst hören, ehe ich richte! – Es ist gut,« sagte sie zu Urica – »ich werde eure Gegenwart nicht annehmen, und damit werdet ihr zufrieden sein! – Crafton! Es bleibt dabei – wir beziehen die Zimmer der Großeltern – versteht mich – der Großeltern des Marquis von Montrose – die Zimmer in dem oberen Stock des Hauses, und ich werde euch nach einigen Stunden meine Befehle zukommen lassen über die Ordnung der Tafel und die Eintheilung unserer Zeit. Auch muß ein Courier an den Marquis von Montrose abgesendet werden, der ihm meine Ankunft meldet – es ist nicht angenehm, an einem Orte einzutreffen, wo wir keine Wirthe finden.«
Nach diesen Worten, welche die Bestürzung Aller vermehrte, da Urica Zeit gehabt hatte, ihre Rechte in diesem Hause durch ihr ganzes Verhalten zu bekräftigen, versuchte die Gräfin von Southhesk, ohne sie weiter zu beachten, an ihr vorüber nach dem Schlosse zu gelangen. Sie fand sich aber plötzlich aufgehalten, denn Urica's anfängliches Erstaunen konnte nicht verhindern, daß sie zu ihrer vollen Fassung zurückkehrte in dem Gefühl, daß ihre ganze Stellung hier unverantwortlich angegriffen sei, und durch die kleinste Nachgiebigkeit in der Meinung aller ihrer Untergebenen bedroht werden könne.
»Milady,« sagte sie daher, ihr den Weg vertretend und mit ihrer ganzen stolzen Haltung: »Ich mußte allerdings annehmen, daß ihr davon unterrichtet wart, daß ihr hier bei mir, der Gemahlin des Marquis von Montrose, nur als Gast erscheinen konntet – da es aber scheint, daß ein unbegreifliches Mißverständniß euch über mein wahres Verhältniß irre geführt hat, wäre es Unrecht, euch eure unbesonnenen Vorurtheile früher anzurechnen, ehe ich mich bemühte, sie euch zu benehmen!«
Vergeblich hatte sich die zornige Frau, welche mit dem festen Entschluß gekommen war, eine neue Marquise von Montrose nicht anzuerkennen, und durch alle erdenkliche Kränkungen sich für eine Verbindung, die ihr die größte Beleidigung schien, zu rächen, während Urica's Rede bemüht, diese zu unterbrechen und deren kleine weiße Hand von ihrem Arm zu schütteln – es lag aber in Urica's festem, stolzen und mäßigen Wesen eine Gewalt, die ihr gegen ihren Willen zurief, daß sie eine ihr an Rang und Ruf gleich stehende Gegnerin vor sich habe, und ihre Bewegungen waren wie Wellen, die in sich zurück schlagen, sie murmelte heftig und ihre Augen rollten halb zornig, halb verlegen unruhig umher.
»Ich glaubte nicht, in dem Hause meines Schwiegersohnes einen so beleidigenden Empfang zu erleben,« stieß sie endlich, mit dem Versuch, zu ihrem früheren Hochmuth zurückzukehren, heraus.
»Milady,« sagte Urica noch immer mit fester Stimme, welche jedes Wort Allen verständlich machte – »wenn ihr die Gnade gehabt hättet, mir euren Besuch ankündigen zu lassen, würde ich Befehle gegeben haben, euren Empfang so ehrenvoll vorzubereiten, als es die Großmutter dieser Kinder zu erwarten hatte. Dies Versäumniß könnt ihr mich nicht entgelten lassen, und ich hoffe, eure jetzige Stimmung wird es mir nicht weiter erschweren, euch all' die Hochachtung zu erweisen, die ihr berechtigt seid, von der Herrin dieses Hauses, von der Gemahlin des Marquis von Montrose und der Stiefmutter dieser Kinder zu erwarten!«
Kaum hatte Urica diese letzten Worte ausgesprochen, als beide Kinder in ein lautes Geschrei und Weinen ausbrachen, und während der Knabe sich in die Schleier der Großmutter verbarg, sprang das kleine zehnjährige Mädchen vor und schlug mit ihrem Fächer auf Urica's schöne Hand, indem sie mit dem heftigsten Ausdruck des Hasses ausrief: »Pfui! pfui! wir wollen keine abscheuliche Stiefmutter – pfui! du bist abscheulich – häßlich – eine Ketzerin – und sollst uns niemals von unserer lieben Großmutter trennen!«
Nach dieser empörenden Scene, welche Allen ein Gemurmel des Unwillens entlockte, schlug die Gräfin von Southhesk die Augen gen Himmel, zog beide schreiende Kinder an ihre Brust und rief in emphatischer Freude: »O, meine Kinder! Eure Liebe wird die Wunde heilen, welche meinem Mutterherzen geschlagen worden!«
Ueberwältigt von dem beleidigenden Verfahren rief Urica mit Schmerz: »Das also hat man in den Herzen dieser Kinder gegen mich angeregt?«
Nach einer kurzen, lebhaften Besprechung der beiden Kaplane und deren Begleiterin, bemächtigte sich die Letztere mit einigen drohenden Worten der Kinder, welche diese sogleich zum Schweigen brachten. Einige leise gesprochene Worte des älteren Paters gegen Lady Southhesk bewirkten ebenfalls eine sichtliche Umstimmung bei derselben, und Urica, welche diese letzte schmerzliche Täuschung zu bekämpfen trachtete, behielt immer im Auge, daß die Scene auf derselben Stelle, wo sie angefangen, auch beendigt werden müsse, und trat noch einmal mit großer Selbstüberwindung näher, indem sie sagte:
»Wie auch die Herzensgesinnungen eurer Herrlichkeit gegen mich sein mögen – als Frau von Stand und Rang werdet ihr gewiß meiner Meinung sein, daß wir unserer Dienerschaft bereits ein unpassendes Schauspiel dieser Mißverständnisse gaben, und ich biete euch, Milady, meinen Arm, um euch in das Schloß einzuführen.«
»Gewiß,« sagte der hinzutretende Pater – »werdet ihr, Milady von Montrose, mit Nachsicht das gereizte Gefühl einer Mutter beurtheilen, welche nach dem Tode einer anbetungswürdigen Tochter nur in diesen Kindern lebte! Die Mißverständnisse werden hiermit beendigt sein und das schöne Verhältnis; der beiden Damen für die Zukunft nicht gestört werden.«
Wie ein Kind unter der Ruthe des Zuchtmeisters, die über ihm schwebt, zuckt, mit dem heißesten Verlangen des Widerstandes, so bebte der ganze Körper der stolzen Frau in ihrer heftigen Aufregung. Ihre Augen hoben sich, von Urica abgewendet, gegen ihren Zuchtmeister auf und nieder, und es war eine so böse Leidenschaft darin ausgedrückt, daß es der festen entschlossenen Miene des Andern bedurfte, um sie zu beherrschen. Ihr Gegner schien aber kein Bedenken über seine Verfahrungsart zu tragen, denn er sagte jetzt, nur zu ihr gewendet, kurz und abgebrochen:
»Ihr werdet gewiß eingestehen, daß ich eben eure wahren Gesinnungen ausgesprochen habe, und Milady von Montrose wird erkennen, wie die edle Tugend der Mutterliebe ein Herz zu einiger Leidenschaftlichkeit hinreißen kann, und dafür doch Nachsicht erwarten darf!«
»Nachsicht!« sagte die alte Lady grollend – dann entwickelte sich ein höhnisches Lächeln um ihren Mund, und ihre bösen, feuersprühenden Augen plötzlich auf Urica heftend, sagte sie:
»Darin habt ihr Recht, Madame, daß ich hier schon zu lange in einer unpassenden Lage aufgehalten werde, und bis wir die Sachen unter uns auf den rechten Punkt gebracht, will ich euren Arm annehmen und mich in das Schloß begeben.«
Urica fühlte den Arm dieser Frau zentnerschwer den ihrigen belasten und mit stolzen, unruhigen Schritten ging sie, kaum mit dem Kopfe nickend durch die Reihen der sich ehrfurchtsvoll verneigenden Dienerschaft, bis sie die Halle, wo bereits die Abendtafel servirt war, erreicht hatte.
Während dieses schweren Weges behielt Urica dennoch ihre Geistesgegenwart, um sich in ihren Rechten zu wahren. Sie rief den Sir Crafton an ihre Seite und sagte ihm so laut, daß es Alle hören konnten:
»Ich wünsche, daß ihr, Sir Crafton, die oberen Gemächer des Schlosses der Milady von Southhesk zur Auswahl stellt und jede Einrichtung trefft, welche die Herrschaften zu ihrer Bequemlichkeit nöthig haben werden. Auch erlaube ich, daß man die Einrichtung für diese Kinder, welche neben meinen Zimmern getroffen war, in die oberen Gemächer, nach der Bestimmung der Frau Gräfin für die Zeit ihrer Anwesenheit hierselbst verlegt!«
Während dieser Worte zuckte der Arm der Gräfin von Southhesk, wie von Nadelstichen verwundet, heftig hin und her, und nur, daß der Kaplan ihren Arm vielleicht noch nachdrücklicher hielt, verhinderte einen neuen Ausbruch. Als sie sich aber in der Halle angekommen sah, machte sie sich eilig von Urica'sArm los und sagte: »Ich grüße euch, meine Dame – und werde den heutigen Abend für mich bleiben!« – Nach diesen Worten eilte sie, sich der Ausgangthür zu nähern.
Urica fühlte keine Neigung, sich ihr weiter aufzudrängen, und blieb in der Halle stehen, um noch einen Augenblick Montrose's Kinder zu betrachten.
Aber trotz des sichtlichsten Bestrebens der alten Dame, welche sie jetzt übernommen hatte, gelang es ihr nicht, das kleine häßliche Mädchen zu der geringsten Nachgiebigkeit zu bringen. Sie hielt sich die Augen mit einer Hand zu und schlug mit der andern nach Allem, was ihr nah kam, während sie ein tückisches, giftiges Geschrei ausstieß. Den Knaben dagegen erfaßte der ältere Kaplan sehr nachdrücklich, riß ihn aus den Kleidern der alten Dame, worin er sich begraben hatte, heraus und schleppte ihn fast vor Urica hin.
Diese begann am ganzen Leibe zu zittern, Todtenblässe lagerte sich um ihre blühende Wange und sie mußte den Stuhl annehmen, den ihr Mrs. Crafton zuschob.
Der Knabe stand jetzt zitternd und bebend vor ihr und Urica sah ein schwaches, abgezehrtes aber unverkennbar schönes Kind vor sich, das trotz seiner Thränen einmal die Augen aufschlug und hiermit ihre Schönheit ahnen ließ, obwohl sie in einem dunklen Mond von bläulich schwarzer Färbung lagen, welches die traurige Ueberzeugung eines kranken Körpers gab. Dieser Knabe schien mehr ängstlich und furchtsam, als tückisch und böse, wie seine Schwester: doch Urica unterbrach selbst, indem sie aufstand, um sich weg zu begeben, die traurige Scene, in welcher er überredet werden sollte, ihr die Hand zu geben, wozu er sich bis zuletzt nicht überwinden konnte.
Schnell grüßend und ihre besorgten Frauen zurückwinkend, eilte sie in ihre Zimmer, und hier in diesen kurz zuvor mit so zärtlichen Gefühlen für die Angekommenen verlassenen Räumen, sank sie, in einen Strom von Thränen ausbrechend, vor dem unbeendigten Brief nieder, in welchem sie dem geliebten Gatten gehofft hatte, nur glückliche Nachrichten mittheilen zu können.
Jetzt erst fühlte sie, wie grausam sie von der erlebten Scene erschüttert war, wie unbegreiflich es ihr noch immer schien, daß sie, die hochgeehrte, vom Glück wie von den ehrenvollsten Verhältnissen verwöhnte Frau, eine solche Beleidigung hatte erleben können! Zuerst fühlte sie sich, mehr wie ihr recht und erlaubt schien, verlassen und ohne Schutz – zuerst sehnte sie sich nach ihrem Vaterlande, wo ihre anerkannten, feststehenden Verhältnisse über jeden Zweifel, jedes Mißverständniß erhaben waren. Sie mußte dies Alles um so mehr fühlen, da wenn man Zweifel gegen sie erheben wollte, sie fühlte, daß ihre rasche Handlungsweise, ihr übereiltes Eingehn in ihr völlig fremde Verhältnisse, Vorwürfe waren, die heimlich an ihrem Zartgefühl nagten und nur erträglich blieben, wo die Persönlichkeit Montrose's und die öffentliche Anerkennung des königlichen Paares alle Mißdeutungen von ihr abgehalten hatten.
Wie fehlte ihr die Gräfin Comenes, die immer drohend gegen jeden möglichen Angriff, gegen sie zu Felde gerückt war. Mit dieser Gegnerin selbst zu kämpfen, schien ihr eine Beleidigung ihrer Würde; immer mußte sie sich sagen, die Gräfin Comenes wäre allein dazu passend gewesen, und bitter bereute sie es, sich von ihr getrennt zu haben und jetzt schutzlos solchen Beleidigungen allein gegenüber stehen zu müssen.
Es schien ihr zu Anfang, sie dürfe nicht an einem Ort mit dieser Frau bleiben – sie müsse abreisen, um sich unter Montrose's Schutz zu begeben, und sie hob eben die Feder auf, um ihm mitzutheilen, was vorgefallen war, und ihn um seinen Beistand zu bitten, als sich plötzlich die Wellen ihres Innern legten und sie nach einem ruhigeren Nachdenken alle Pläne auf Montrose's Einmischung aufgab, denn die Liebe gewann wieder über die alte Urica – das stolze verwöhnte Weib – die Oberhand, und sie dachte nur noch an den Schmerz, den er empfinden werde, wenn er erfahren müßte, wie verwahrlost an Geist und Leib er seine Kinder, an denen er so väterlich hing, finden werde. Noch einmal bedachte sie alles Erlebte, und endlich beschloß sie großmüthig auszuhalten und zu versuchen, was sie Montrose von seinem theuersten Besitzthum retten könnte.
Urica's Nachdenken ward schmerzlich durch das widrigste Kindergeschrei unterbrochen, welches sich über ihr erhob und bei den geöffneten Fenstern zu ihr drang.
Sie konnte sich nicht täuschen, wenn sie dies Geschrei von einer anhaltenden körperlichen Züchtigung erregt hielt, denn sie glaubte die Hiebe und die zornige Stimme erwachsener Personen zu unterscheiden. Dies brachte in Urica eine Aufregung hervor, daß sie händeringend ihr Zimmer durchmaß und ein Gefühl von Zorn und Verzweiflung sich ihrer bemächtigte, welches sie fast um ihre Besinnung brachte.
Mitleiden und Empörung wurden noch dadurch vermehrt, daß Urica sich zuerst in einer unthätigen und ohnmächtigen Stellung befand, daß sie in ihrem eigenen Hause dem Unrecht zusehen mußte, ohne daß ihr Wille und ihre Macht die geringste Gewalt auszuüben versprach.
Dabei fühlte sie, wie sie schon unter den beiden Kindern entschieden hatte; denn als sie die flehende Stimme des Knaben unterschied, war es ihr, als solle ihr das Herz brechen, und so kam es, daß sie sich lautweinend in die Arme der alten Mrs. Crafton warf, als diese schüchtern eintrat – und mit herzzerreißenden Tönen ausrief: »Wie retten wir sie – was können wir thun, um diese Ungeheuer zu zügeln!«
Mrs. Crafton hatte richtig den Zustand ihrer jungen Gebieterin vorausgesehen, da sie das Geschrei der Kinder ebenfalls gehört. »Ja,« sagte sie sanft – »darum kam ich zu Euer Gnaden, denn das empört das Herz, und ich möchte glauben, die Lady von Southhesk weiß auch nichts davon, denn sie ist in der Kapelle mit den Geistlichen und diese liegt auf dem andern Flügel, wenn Euer Gnaden sich erinnern wollen, über der Bibliothek – die fromme, protestantische Kapelle der lieben Frau Großmutter, die schnell durch eine ganze Kiste voll Kirchengeräth zum katholischen Heidendienst umgewandelt ist.«
»Aber was ist da zu thun?« rief Urica – »Wer sind diese Zuchtmeister und was für ein Plan liegt hier zum Grunde, wenn es nicht die falsche Erziehungsmethode einer boshaften Gouvernante ist?«
»Nein! nein,« sagte die alte Dame eifrig – »das ist keine Gouvernante, das ist eine Lady Huntley, die unvermählte Schwester der alten Gräfin! Glaubt nur, wenn sie gewußt hätte, daß eure Zimmer hier unten liegen, das hätten wir heute Abend nicht gehört – und geben Euer Gnaden Acht – morgen wird sie es wissen, und dann werden wir es nicht wieder hören.«
»Aber ich bitte euch, sprecht nicht so geheimnißvoll – sagt mir, was ihr davon haltet – wir werden doch Mittel und Wege finden, einzuschreiten?«
»Ach!« sagte die Alte traurig – »sein Euer Gnaden vorsichtig,die Frau Gräfin von Southhesk ist es nicht allein; die sie umgeben, helfen ihr in allen Beziehungen. Wie man mir erzählt hat, sind das kluge und böse Menschen, die sie regieren und die nur ein Ziel haben – die fanatischen Zwecke ihrer Kirche! Vergeblich haben sie versucht, unsern gnädigen Herrn durch seine erste Gemahlin ihrer Kirche einzuverleiben; so wie ihr Unvermögen bei ihm entschieden war, haben sie die Kinder in's Auge gefaßt – und Euer Gnaden können leicht denken, wie sie die Nachricht seiner zweiten Vermählung mit einer Dame aus dem bekannten Ketzerlande aufnehmen mußten.«
»O mein Gott!« rief Urica im schönen Eifer – »da du mich auf diesen traurigen Boden versetzt hast, so gieb mir auch Kraft, nicht feige vor den Schwierigkeiten, die ich finde, zurück zu weichen, damit ich diesen armen verfolgten Kindern, selbst gegen ihren Willen ein mütterlicher Schutz werde.«
Mit diesen frommen kräftigenden Worten fühlte Urica Stille und Fassung zurückkehren. Zur selben Zeit legte sich auch über ihr das qualvolle Angstgeschrei, und Urica bat die alte Dame, ihren Gemahl und den alten Kaplan zu ihr einzuladen, um in ihrem Zimmer eine kleine Erfrischung für die Nacht einzunehmen.
Sir Crafton erschien auch bald darauf mit seiner Gattin und dem alten Pfarrer, und die große Aufregung des Ersteren, der Anflug von Verlegenheit und Beschämung, den er vor Urica nicht bewältigen konnte, zeigte hinlänglich, wie tief er die Beleidigung empfunden hatte, die ihr zu Theil geworden war.
Als die Bedienten sich zurückgezogen hatten und ungestörte Ruhe eingetreten war, bat Urica den Sir Crafton, ihr zu sagen, was er von den Verhältnissen der armen Kinder wisse, und seine Meinung auszusprechen über die Schritte, welche ihr bis zur Ankunft des Marquis zu thun übrig blieben.
»Frau Marquise,« sagte er – »hier ist es auf einen Kampf abgesehen, aber man hat das Lager nicht mehr zu vertheidigen gewußt, und sie sind ausgerückt, um den Feind zu recognosciren«, mit einem Lächeln, welches das militärische Gleichniß ihm selbst und den Damen abnöthigte, fuhr er fort: »Erlauben mir Euer Gnaden in dem Gleichniß fortzufahren. Wir können nur Kenntniß ihrer Absichten und Kräfte erlangen, wenn wir sie ihre Manövres ruhig um uns her machen lassen, als merkten wir sie nicht; nur so werden wir möglicher Weise hinter ihre Pläne und Kräfte kommen. Treten wir ihnen gleich entgegen, oder machen Euer Gnaden Rechte geltend, so werden wir gefaßte Gegner finden, die darauf vorbereitet sind, hier alle Mittel spielen zu lassen, die ihnen den Zweck sichern, und darin werden sie immer stärker sein und überlegener, denn ihr alter Spruch, der einen Grundpfeiler ihrer Handlungen ausmacht, ist: daß der Zweck die Mittel heilige.«
»Aber der Zweck – der Zweck« sagte Urica, sich zum Pfarrer wendend – »was können sie für einen neuen Zweck zu erreichen streben – die armen Kinder sind ja schon katholisch – also dies ist nicht mehr zu bewirken.«
»Erstlich, Milady – möchte der junge Herr darin zu erhalten sein; denn ob nicht über die Nachfolge im Marquisat Montrose Zweifel erhoben werden könnten, wenn derselbe katholisch bleibt – ob nicht zu Gunsten protestantischer Nachkommen dieses Hauses Entscheidungen zu machen waren, steht noch dahin. Wenn man also erwägt, daß der Herr Marquis, als er sich mit der Gräfin von Southhesk vermählte und seine Kinder der katholischen Kirche überantwortete, noch zu jung war, noch unfähig, die Wichtigkeit der Verpflichtung einzusehen, könnten sich in dem mündig gewordenen Herrn Marquis wohl Zweifel regen, ob er das Recht hatte, seinem ältesten Sohne diese Richtung zu geben – dann wird es allerdings wichtig, daß der Sohn den Widerstand gegen den Vater zu führen vermag, und dann treten Wahrscheinlichkeiten ein, die zu weitläufig wären hier zu entwickeln.«
»Aber dies arme Kind zu mißhandeln!« rief Urica – »Habt ihr nicht gesehen, Crafton, wie elend und krank der arme Knabe aussah? und diese Mißhandlungen!«
»Es ist nicht das Erstemal,« sagte Sir Crafton – »daß, um zum Zweck blinden Gehorsams zu gelangen, diese Fanatiker erst den Körper und dann den Geist brechen. Ein kräftiger, muthiger Knabe, würde der sich nicht lieber seinem edlen Vater, diesem vollendeten Vorbilde aller Männlichkeit, anschließen?«
»Das ist schauderhaft und verbrecherisch! Rohe Gewalt – Mord, ist dagegen eine edle That – sie zerreißt den Lebensfaden eines Menschen in seiner vollen Freiheit – er kann bis dahin seine Entwicklung nach seinen Gaben bewirkt haben; aber hier ist es der höchste, schändlichste Raub, denn sein Geist wird bewältigt, gemordet, ehe er sich seiner bewußt ward – «
»Und Kräfte zum Widerstande sammelte,« unterbrach sie Crafton fast – »solcher Mord ist aber leichter – er ist schwer zu beweisen, er sichert dem Mörder Straflosigkeit, ja nicht selten den unbestrittenen Platz eines sorgsamen Vormundes über den Verwahrlosten, der eines solchen bedürftig bleibt und ihn selbst begehrt. Glaubt mir, es ist ein gutes System, was sich erfolgreich bewiesen hat im Großen, wie im Kleinen, mit der Jugend und ihren schwachen, ahnungslosen Seelen anzufangen und in der Blüthe schon die kräftige Frucht zu ersticken. Wer weiß nicht, daß Jugendeindrücke gegen alle spätere Beweisführung besserer Ueberzeugung am längsten statthaft bleiben und gewöhnlich die Handlungen lenken, wenn auch das Urtheil schon darüber steht. Eine Bevormundung, die sich um die Wichtigkeit dreht, ein künstlich erbautes System zu schützen, kann nur Erfolge hoffen, wenn sie die gesunde Urtheilskraft der Jugend durch der Wahrheit untergeschobene Täuschungen schwächt, und durch das Einflößen einer feigen Furcht vor Versündigung von der Forschung in den reinen Quellen der Wahrheit abhält.«
»Ihr habt schwere Erfahrungen gemacht, Sir,« sagte Urica – »sie übersteigen Alles, was sich mir im Verlauf meines Lebens darbot. Den Riesenkampf meines edlen, großherzigen Volkes um die Freiheit seines Gewissens und den gereinigten Gottesdienst nach den unverfälschten Offenbarungen des Evangeliums – den kenne ich aus den unsterblichen Wahrheiten unserer Geschichtsüberlieferungen, und ihr mögt glauben, daß ich danach mit gerechter Abneigung auf die despotische und unlautere Gewalt dieser Priesterherrschaft blicke, wegen deren Erhaltung jede Gräuel, jede Missethat erlaubt ward.«
»Mein Haar ist weiß,« sagte der Pfarrer – »und ich bin vielleicht dreimal so alt als ihr, Milady. – Von Jugend auf ward ich durch die besondere Richtung meiner Familie in die Kämpfe und Parteiungen beider Kirchen verflochten. Jede Parteiung, Milady, entfernt vom Christenthum, denn es entstehen gehässige, unlautere Bestrebungen, wenn die Begierde des Sieges gegen den Andern sich unterschiebt, wo nur der Streit für die Behauptung unverkürzter Gewissensfreiheit gelten sollte. Ich habe diese Parteiungen getheilt und gefehlt wie meine Gegner; aber das sind die Währungen, welche die menschliche Zuthat bleiben – drüber steht eine ewige Wahrheit. Die Frage, wo sie zu finden sei, die Darstellung, daß Jeder sie auf seiner Seite zu haben glaubt, und das Recht eines Jeden, seine Meinung dafür zu halten, drängt diese höchste Angelegenheit anscheinend aus aller Möglichkeit einer geltenden Entscheidung. Aber es giebt Unterscheidungen auf beiden Seiten, die, wenn wir sie festhalten wollen, beiden Parteien ihren Charakter aufdrücken. Die katholische Kirche ist die Kirche von dieser Welt – sie ist ein despotisch-politisches System, welches die Weltherrschaft fordert und in dem ungestörten Lauf der Jahrhunderte eine Usurpation des menschlichen Geistes begründete, worauf zuletzt ihre ganze Berechtigung beruht. Sie hat daher überall zu fürchten, überall zu verbergen, überall zu verfolgen, und keucht, ewig gemischt in die Händel der Welt, dahin – und ihre Forderungen sind Herrschaft über die materielle Existenz der Menschen – ihre Mittel, sie an dem Zügel der Bornirung, der Geistesknechtschaft zu halten.«
»Eine Wesenheit des Protestantismus ist die Zerstörung der weltlichen Kirchenherrschaft; die unsichtbare Kirche, die Kirche im Geiste ist seine Region. – Diese will von dem weltlichen Regiment nichts – sie will, daß jedes Individuum eine Kirche sei, in der Gott gedient werde – und so hat sie nichts zu fürchten, nichts zu verbergen, nichts zu verfolgen, und die weltlichen Handel liegen ihrer ganzen Natur weit ab. Ueber den ganzen Wust, den die katholische Kirche in Jahrhunderten aufgehäuft, schritt die protestantische Kirche hinweg und kniete dürstend vor den heiligen Quellen nieder, die das Evangelium zu ihrer Sättigung fließen ließ. Dort ist von keinem berechtigten vermittelnden Priester den Laien gegenüber die Rede, dort, wo der Erlöser selbst Jeden einladet durch den Glauben an Ihn, sein eigner Priester zu sein, die Consecration in jedem Einzelnen verrichtet wird, durch die Hingebung im Glauben an seine göttliche Erlösung.«
»Das ist die Organisation beider Kirchen, und wer die Symptome prüft, muß sagen, daß die Symptome der Wahrheit von ihr gewichen sind, daß sie viel zu verlieren und zu überwachen hat, diese nichts zu fürchten, nichts Angreifbares zu beschützen. Nie hat die protestantische Kirche den Kampf eröffnet, sie hat Duldung gefordert und ist, als man sie ihr verweigerte, zur Vertheidigung gezwungen worden. Warum – wenn unsere Kirche ein Irrthum war – überließ ihre Gegnerin sie nicht ihrem ephemeren Leben; warum – wenn sie sie besiegen wollte – ergriff sie nicht dieselben Waffen, womit jene sich vertheidigte, und schlug mit der heiligen Schrift, was sie den Irrthum der Andern nannte? Warum fürchtete sie den Grundpfeiler aller christlichen Erkennmiß zur Erkenntniß Aller zu bringen und gegen ihre darauf gestützten Gegner geltend zu machen, und verscheuchte durch ihre scheußlichsten, die Menschheit entehrenden Kirchenstrafen von der Erforschung ihrer Lehre? War das die Sicherheit, die sich auf wahre Ueberzeugung, auf das Recht der Wahrheit stützt? Es war die Furcht, daß die frei gewordenen Seelen, die sich zum wahren Christenthum gerettet, ihnen nun beweisen konnten, daß sie nicht Petrus, sondern Judas gefolgt, der den Herrn verrathen, um den Seckel zu füllen.«
»Aber,« fuhr der alte, ehrwürdige Mann fort – »sie haben ein politisches System begründet, das ist ein Meisterstück von Schlauheit und tiefer Menschenkenntniß, das erhält ihrer Kirche eine Einheit, die sie nöthig haben, um ihre weltlichen Zwecke zu schützen – das macht sie mächtig und wird sie lange im Vortheil gegen uns erhalten, denn unser erster Grundsatz ist die Freiheit, die Verwerfung alles äußeren Kirchenzwanges. Indem wir von der Anbetung im Geist und in der Wahrheit predigen, indem wir von der Gemeinschaft mit unserm Heilande und Erlöser im Geiste Alles erwarten, Alles fordern, und indem wir dadurch allein den Namen Christen wieder zu Ehren gebracht haben, haben wir dadurch auch die Priesterherrschaft, die Christus in tausend Stellen seines heiligen Testamentes verwirft, und den damit gleichstehenden Kirchenzwang aufgehoben, und was uns jene Kirche zum Vorwurf macht, den Mangel aller Form, die vielfältigen Abweichungen des äußeren Kirchendienstes, das sollten sie uns beneiden, denn es ist unsere heilige Freiheit, die nur Existenz im Glauben an Gott und unsern Erlöser bedarf und durch jede Symbolik aus der reinen Gemeinschaft der unsichtbaren Kirche verdrängt wird.«
»Und,« sagte Urica – »wir haben ja Formen – heilige Ueberlieferungen – «
»Ja,« fuhr der Geistliche fort – »und von ihm selbst eingesetzte, die untrüglich in seiner Offenbarung wurzeln und in ihrer Einfachheit und geringen Zahl uns grade die göttliche Kraft des innewohnenden göttlichen Geistes verkündigen, der Jedem zugänglich sein wollte, und überall den sündlichen Weg der Vermittlung durch sündliche Menschen, welche erlügen, göttliche Kraft vorweg zu haben, verwirft und stark dagegen warnt und sie mit heil'gem Eifer verjagt!«
»Aber wo wir lockende weltliche Vortheile sehen« – fuhr Sir Crafton fort – »dahin finden wir immer die Aufmerksamkeit der ewig thätigen und erwerbenden Priesterschaft gelenkt, und darum, Frau Marquise, werdet ihr die gefaßtesten Gegner finden, wenn es ihre Absicht ist, die Kinder des Milord von Montrose erziehen zu wollen, denn euren Einfluß können Jene nicht zugestehen, wenn die Kinder ein Werkzeug in ihrer Hand bleiben sollen! Da nun aber die Gräfin von Southhesk ein bedeutendes Vermögen besitzt, was diesen Kindern zufällt, und das Vermögen des Marquis, selbst wenn das Marquisat wegfallen sollte, ihnen stets verbleiben müßte – welche Stiftungen ließen sich da erwarten, wenn es gelänge, diesen hoffnungsvollen Testatoren schon von Jugend auf die Ansicht einzuflößen, daß solche Schenkungen und Vermächtnisse nothwendige Handlungen der Religion sind zur Verwahrung ihrer ewigen Seligkeit!«
»Die Klugheit des älteren Priesters hatte ich sogleich Gelegenheit, kennen zu lernen. Die alte Gräfin handelte ohne allen Zweifel nach der vorläufigen Verabredung mit ihrem Seelsorger, als sie Euer Gnaden sogleich auf die beleidigendste Art zu entfernen trachtete, aber ihre eigene Leidenschaft, welche durch diese Verbindung ihres Schwiegersohnes über die Gebühr gereizt ist, verblendete ihren Verstand und raubte ihr selbst bei dem Anblick von Euer Gnaden die Urtheilskraft. Dagegen änderte ihr Beichtvater augenblicklich seinen Plan, so wie er euch gesehen und eure ernsten, entschlossenen Worte gehört hatte, und da er die Leidenschaftlichkeit der alten Gräfin nicht mehr zügeln konnte und sie im Sinne ihres früheren Planes sich immer gefährlicher übereilte, schritt er selbst ein und sprach zu euch, und ich kann euch versichern, es hat unter den vier Verschworenen so eben einen heftigen Streit gegeben, dessen einzelne Symptome mir nicht entgehen konnten, da meine Anordnungen ein Durchstreichen der Gemächer nöthig machten. Die Gräfin ist in eifersüchtigem Haß gegen eine Frau entbrannt, von der sie sich sagen muß, daß sie ihre kränkliche, unschöne Tochter so weit überragt; und jetzt ist es ein persönliches Gefühl, welches in der alten Lady die bösen Neigungen anreizt, und welches ihnen viel schwerer zu bekämpfen wird.«
,,Aber wenn diese Menschen hierher gekommen sind, um mich mit gehässigen Intriguen zu umspinnen,« sagte Urica – »was kann dieser Priester jetzt wollen, wenn er doch bemüht ist, die Lady Southhesk zu einem milderen Verfahren zu bereden?«
»Das müssen wir beobachten,« entgegnete Sir Crafton – »gewiß dasselbe, denn es giebt nichts, was sie von ihren ehrgeizigen oder habsüchtigen Plänen abwendig machen könnte; aber sie fühlen, daß Euer Gnaden nicht mit gewöhnlichen Mitteln angegriffen werden können – und sie werden daher andere erdenken!«
»Welchen unangenehmen Berührungen geht der Marquis entgegen,« sagte Urica traurig – »und wie unsicher bin ich, ob ich seine Anwesenheit wünschen oder fürchten soll!«
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