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Sechstes Kapitel.
Mr. Barnes' Falle.

Aus dem Erzählten darf der Leser nicht den Schluß ziehen, daß Barnes seine alte Geschicklichkeit verloren hätte. Er sah noch nicht klar in dem Falle, den er in Händen hatte, aber das kann auch gar nicht wunder nehmen, denn es waren kaum zwei Tage seit dem Diebstahl verstrichen, und während eines großen Teiles dieser Zeit war er in andern Angelegenheiten von New York abwesend gewesen.

Nach seiner Enttäuschung bei der Entdeckung, daß der Knopf von geringerem Werte war, als er gehofft, hatte er sich für ein andres Vorgehen entschieden, von dem er sich sehr viel versprach. Manchen Verbrecher hatte er seine Fassung verlieren sehen, wenn er unerwartet seinem gemordeten Opfer gegenüber gestellt wurde, und darauf gründete er seinen Plan.

Mitchel hatte ihn überzeugt, daß der Knopf nicht zu der ursprünglichen Garnitur gehört hatte, oder daß das mindestens nicht bewiesen werden könne, allein die Thatsache, daß Miß Remsens Profil darauf war, blieb bestehen, und er hielt es deshalb nicht für unmöglich, daß Mitchel die Dame ermordet oder wenigstens deren Wohnung betreten hatte. Dann wußte dieser auch, daß die Dame tot war, und es wäre ganz unnütz gewesen, ihn drei Treppen hinaufzuschleppen, um ihn der Leiche gegenüberzustellen, denn dann hätte er gemerkt, was ihm bevorstehe, und Zeit gehabt, sich auf den Anblick gefaßt zu machen. Er hatte demnach veranlaßt, daß die Leiche zur Vornahme der gerichtlichen Sektion in ein leeres, vom Hausflur aus zugängliches Zimmer des Erdgeschosses geschafft wurde. Hier war sie so auf einen Tisch gelegt worden, daß die klaffende Wunde jedem Eintretenden sofort sichtbar war, und die Aerzte waren gebeten worden, mit ihrer Arbeit bis zur Ankunft des Detektivs zu warten.

»Meine Herren,« sprach er, als sie den Hausflur erreicht hatten, »ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten. Sie beide befanden sich im Zuge, als der Diebstahl begangen wurde: ich möchte Ihnen darum, und zwar jedem einzeln, eine damit in Zusammenhang stehende Frage vorlegen. Wollen Sie die Güte haben?«

»Mit Vergnügen,« antwortete der Franzose.

»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie mich fragen können, was Sie wollen,« fügte Mitchel hinzu.

»Gut, Mr. Mitchel, wollen Sie freundlichst ein paar Minuten warten? Ich werde Sie nicht lange aufhalten.« Mitchel verbeugte sich, während Barnes mit dem Franzosen ins Zimmer trat, worin die Leiche lag, und sich neben den Tisch stellte, der die schauerliche Last trug. Stumm blickte er Thauret an, der seinerseits die Ermordete aufmerksam betrachtete. Nicht ein Muskel bewegte sich und verriet irgendwelche Erregung. Barnes wartete, aber anscheinend sollte sich nichts ereignen, und doch war er entschlossen, den andern zuerst sprechen zu lassen, denn vielleicht konnte er aus dessen Worten Schlüsse ziehen. Zwei Minuten vergingen, die wie eine Ewigkeit erschienen, und dann bereitete der Franzose dem Detektiv eine wirkliche Ueberraschung. Ihm gerade in die Augen sehend, fragte er ihn im gelassensten Tone, den man sich denken kann:

»Woher haben Sie denn erfahren, daß ich Arzt bin?«

»Ich verstehe Sie nicht,« antwortete Barnes, der nicht wußte, worauf der andre hinaus wollte.

»Mr. Barnes, Sie haben mich in dieses Zimmer geführt und gesagt, Sie wollten eine Frage an mich stellen. Als ich eintrat und diese Leiche sah, wußte ich sofort, daß Ihre angebliche Frage nur ein Vorwand war. Ich suchte nach einem Grunde, weshalb Sie mich hierhergebracht haben, und während ich mir das überlegte, blieb ich stumm. Sie gleichfalls. Ich kann es mir nicht anders erklären, als daß Sie die Meinung eines Sachverständigen über den Mord hören wollten, aber ich wußte nicht, wie Sie erfahren haben, daß ich Arzt bin, und deshalb fragte ich. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«

»Vollkommen,« versetzte der Detektiv kalt, aber sehr enttäuscht. »Ich kann Ihnen nur antworten, ich wußte nicht, daß Sie Arzt seien, und habe Sie hierher geführt, um eine Frage an Sie zu richten.«

»Wirklich? Nun, dann fragen Sie.«

»Ich ersuche Sie, mir zu sagen, wer diese Dame ist.«

»Sie überschätzen meine Geschicklichkeit. Ich habe diese Dame nie im Leben gesehen. Wünschen Sie sonst noch etwas?«

»Nein, danke.«

»Dann empfehle ich mich Ihnen.« Mit einer höflichen Verbeugung schickte sich Thauret an, das Zimmer zu verlassen, aber, entschlossen, ihm keine Gelegenheit zu geben, sich heimlich mit Mitchel zu verständigen, kam Barnes ihm zuvor, öffnete die Thür und ließ ihn hinaus, während er die beiden Herren fest im Auge behielt. Mit einer steifen Verbeugung verließ Thauret das Haus, und nun folgte Mitchel dem Detektiv ins Zimmer. War der Franzose beim Anblick der Leiche unbewegt geblieben, so war es mit Mitchel anders. Kaum hatte er gesehen, was vor ihm lag, als er mit einem halb unterdrückten Ausrufe des Schreckens näher trat.

»Mein Gott! Mr. Barnes, was ist denn das?« rief er.

»Was?« entgegnete Barnes ruhig.

Die beiden Männer starrten sich wortlos einige Augenblicke an, dann senkte Mitchel den Blick. »Ich bin ein Thor,« rief er jedoch plötzlich und wandte sich wieder mit seiner gewohnten Gelassenheit der Leiche zu.

»Sie sagten, Sie wollten eine Frage an mich richten. Was wünschen Sie?«

»Ich ersuche Sie, mir zu sagen, wer diese Dame ist.«

»War, meinen Sie wohl. Sie war Rose Mitchel.«

»Aha, Sie haben Sie also gekannt?«

»Ich habe mich nur zur Beantwortung einer Frage verstanden, und die habe ich beantwortet.«

»Sie haben zugegeben, daß Sie sie gekannt haben.«

»Das zu beweisen, werden Sie schwierig finden.«

»So? Meinen Sie? Ich habe Zeugen. Meine Herren, bitte, treten Sie ein.« Eine Thür am andern Ende des Zimmers öffnete sich, und zwei Aerzte traten ein. »Was sagen Sie nun?« fuhr der Detektiv fort.

»Daß ich Ihnen zu großem Danke verpflichtet bin, weil Sie mir Gelegenheit geben, zu beweisen, was vorgefallen ist, und weil Sie mir so bald verraten haben, daß wir nicht allein sind.« Barnes biß sich bei diesem Stich auf die Lippen, und Mitchel wandte sich an die Aerzte. »Meine Herren, ich bin sehr erfreut, daß Sie mit angehört haben, was hier vorgegangen ist. Sie können möglicherweise Zeugnis darüber ablegen müssen, und Sie werden wohl zugeben, daß mich Mr. Barnes gefragt hat, wer diese Dame ist. Ihn verbessernd, habe ich geantwortet: ›Sie war Rose Mitchel.‹ Stelle ich den Verlauf richtig dar?«

»Vollkommen,« antwortete einer der Aerzte.

»Mr. Barnes behauptet, ich hätte zugegeben, diese Dame zu kennen; ich aber behaupte, daß ich weiter nichts zugegeben habe, als daß ich ihren Namen weiß, und das ist doch ganz etwas andres.«

»Sie haben mehr als das eingeräumt,« sprach der Detektiv gereizt, »denn Sie müssen mehr von ihr gewußt haben, als nur den Namen, wenn Sie die Leiche auf den ersten Blick erkennen konnten.«

»Da haben Sie recht, Mr. Barnes, ich muß auch ihr Gesicht gekannt haben. In derselben Weise kenne ich zum Beispiel auch Namen und Gesicht der Schauspielerin Lillian Russell. Wenn ich nun deren Leiche erkennte, wäre das ein Beweis, daß ich auch persönlich mit ihr bekannt war?«

»Das freilich nicht, aber Sie können nicht behaupten, daß Sie diese Dame auf dieselbe Art gekannt haben, denn sie war doch keine allgemein bekannte Persönlichkeit, wie eine Schauspielerin.«

»Wie können Sie das wissen?«

»Nun, war sie es?«

»Das ist eine neue Frage, und ich lehne ab, sie zu beantworten, wenigstens vor Zeugen. Wenn Sie mich in meine Wohnung begleiten wollen, will ich versuchen, Ihnen zu erklären, wie es möglich war, daß ich diesen Leichnam erkannt habe, ohne mit der Dame persönlich bekannt gewesen zu sein.«

»Natürlich werde ich Sie begleiten, denn erklären müssen Sie das.« Damit verließen die beiden Männer das Haus.

Schweigend erreichten sie die fünfte Avenue und gingen diese eine Strecke hinab. Mitchel dachte augenscheinlich über seine Lage nach, und Barnes hielt es für besser, die Erklärung nicht zu übereilen. Auch er ließ sich Zeit, den ganzen Hergang noch einmal zu überdenken, und seine Betrachtungen nahmen etwa folgende Gestalt an:

»Warum fuhren diese beiden Herren zusammen, als ich sagte, die Edelsteine wären außerhalb des Zuges verborgen gewesen? Vielleicht, weil sie wußten, daß es wirklich der Fall war. Thauret kann es tatsächlich gewußt haben, denn er kann der Dieb sein. In diesem Fall ist Mitchel entweder ein Helfershelfer, oder er hat gesehen, wie der andre das Handtäschchen auf einer Station versteckt hat. Kann Mitchel selbst das Täschchen verborgen haben? Wie wäre das möglich, da ich seine Abteilung die ganze Nacht bewacht habe? Ich müßte denn eingeschlafen sein, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Daraus folgt, daß ich zunächst ermitteln muß, was für Beziehungen zwischen diesen beiden bestehen und ob sie im Bunde miteinander sind.

»Und nun wegen des Mordes. Es ist seltsam, daß beide die Mittel besitzen, sich Eingang in jenes Haus zu verschaffen; es ist seltsam, daß beide meine Erklärung, der Dieb könne die Dame ermordet haben, um die Juwelen zu erlangen, so gleichgültig und offenbar ungläubig aufnahmen. Wenn Thauret die Frau getötet hat, dann war sein Benehmen angesichts des Leichnams geradezu erstaunlich, denn er zeigte nicht die geringste Erregung. Anderseits gab er zu, Medizin studiert zu haben, auf Mediziner aber machen Leichen keinen Eindruck, und, was mehr ist, als Mediziner würde er es verstehen, die Hauptschlagader auch mit einem Federmesser zu finden. Allerdings gehört gerade keine besondere medizinische Kenntnis dazu, diese Ader durchzuschneiden. Mitchels Benehmen war noch rätselhafter. Wäre er der Mörder, dann hätte ich erwarten müssen, ihn an der Leiche ruhig zu finden, denn ich kenne ja seine ungewöhnliche Fähigkeit, seine Empfindungen zu beherrschen. Statt dessen war er sehr erregt und trat dicht an die Leiche, um sie näher anzusehen, während Mörder gewöhnlich vor ihrem Opfer zurückschrecken. Und doch gab er den Namen der Frau an, und dieser stimmt mit dem überein, den sie sich selbst beigelegt hat. Da er den Namen bereitwillig nannte, was für einen Zweck hatte es dann, die Zeichen aus allen Kleidern so sorgfältig zu entfernen? Weshalb wird, wenn Rose Mitchel ein falscher Name ist, der richtige so ängstlich geheim gehalten? – Ich werde vielleicht einige dieser Fragen an ihn stellen.«

Soweit war Barnes in seinen Ueberlegungen gekommen, als Mitchel sein Schweigen brach: »Wir sind gewiß beide neugierig, zu erfahren, woran wir eben gedacht haben, und ich will Ihre Neugier befriedigen. Ich habe versucht, meine Lage von Ihrem Standpunkt aus zu betrachten und zu erraten, was für Schlüsse Sie aus meinem Benehmen angesichts der Toten gezogen haben.«

»Ueber meine Schlußfolgerungen kann ich Ihnen nichts mitteilen, aus dem einfachen Grunde, weil ich noch keine gezogen habe,« entgegnete Barnes. »Es ist immer mein Grundsatz gewesen, nicht zu früh bestimmte Schlüsse zu ziehen, denn ein Detektiv mit einer bestimmten Annahme gerät unwillkürlich in Versuchung, auf Bestätigung dieser Annahme hinzuarbeiten. Ich strebe danach, die Wahrheit zu entdecken, und deshalb vermeide ich Annahmen.«

»Gut; ich sehe, daß ich meine Meinung über Detektivs etwas ändern muß, wenn ich auch im ganzen recht zu haben glaube, aber Sie sind eine Ausnahme.«

»Schmeicheleien machen auf mich gar keinen Eindruck, Mr. Mitchel. Sie befinden sich gegenwärtig in einer sehr bedenklichen Lage, und es wäre gut, wenn Sie mir erklären wollten, wie es kam, daß Sie die Ermordete erkannten?«

»Das will ich auch. Ich habe die Dame nur einmal in meinem Leben gesehen. Noch nicht ganz zwei Jahre bin ich hier in New York und habe mich im vorigen Winter mit Miß Remsen verlobt. Etwa einen Monat danach erhielt ich einen ›Rose Mitchel‹ unterzeichneten Brief mit der Nachricht, die Schreiberin könne ein meine Familie betreffendes Geheimnis enthüllen, das Miß Remsen veranlassen werde, die Verlobung aufzuheben. Sie nannte einen Preis für ihr Schweigen und hatte eine Photographie beigefügt, damit ich sie erkenne, denn sie hatte die Frechheit, mir anzuzeigen, sie wolle sich das Geld persönlich abholen. Das hat sie auch gethan, und ich habe sie seitdem bis heute nicht wiedergesehen.«

»Können Sie diese Geschichte beweisen?«

»Ich kann Ihnen den Brief und die Photographie zeigen, wenn Sie mich nach Garfields Sicherheitsgewölben begleiten wollen.«

»Das soll sofort geschehen. Haben Sie das Geld bezahlt?«

»Ja.«

»Haben Sie wohl bedacht, daß es sehr verdächtig ist, wenn ein Mensch sich eine Erpressung gefallen läßt? Das beweist, daß er sich in der Gewalt des Erpressers fühlt.«

»Das ist richtig; ich war auch in der Gewalt dieses Frauenzimmers.«

»Das ist ein sehr bedenkliches Geständnis – jetzt, wo sie ermordet ist.«

»Das weiß ich sehr wohl. – Aber hier sind wir an Ort und Stelle.«

Die beiden Männer traten ins Haus ein, und Mitchel ließ sich den Schlüssel zu seinem Sicherheitsschranke geben. Diesen nahm er nie mit sich, denn er hielt ihn im Gewahrsam der Angestellten der Anstalt für sicherer. Nachdem sie in das große Gewölbe hinabgestiegen waren, entnahm Mitchel seinem Schranke einen Blechkasten und führte Barnes in ein kleines Nebenzimmer. Hier öffnete er die Schatulle und legte mehrere Päckchen auf den Tisch, worunter der Detektiv zu seinem unbegrenzten Erstaunen ein Kästchen von Juchtenleder bemerkte, das durch einen Riemen zusammengehalten wurde, worauf der Name » Mitchel« in Goldbuchstaben gedruckt war. Konnte dies das Kästchen sein, das die vermißten Edelsteine enthielt?

»So, da sind die Papiere und hier ist die Photographie,« sprach Mitchel und reichte sie Barnes, der die Ermordete sofort erkannte. »Und da ist auch der Brief. Soll ich ihn vorlesen?« Barnes nickte zustimmend, aber seine Gedanken beschäftigten sich hauptsächlich mit dem Lederkästchen, während Mitchel las:

»Mr. Mitchel.

Geehrter Herr!

Sie werden überrascht sein, einen Brief von einer Dame zu erhalten, die Sie vielleicht gar nicht kennen, die aber sehr viel über Ihre Familie weiß; so viel, daß, wenn sie alles erzählen wollte, Ihre stolze Braut Ihnen ohne weiteres den Laufpaß geben würde. Das Sprichwort sagt: ›Schweigen ist Gold‹, und das soll es in diesem Falle für mich werden. Wenn Sie wünschen, daß ich schweige, müssen Sie mir nächsten Donnerstag abend zehntausend Dollars zahlen; ich werde selbst kommen, um das Geld abzuholen, und damit Sie mich als Schreiberin des Briefes erkennen, lege ich meine Photographie bei. Sie sehen, ich fürchte mich nicht, denn wenn Sie die Polizei benachrichtigen, werde ich einfach meine Geschichte erzählen, und dann sind Sie zu Grunde gerichtet. Vielleicht komme ich ins Gefängnis, aber daran liegt mir nicht viel, denn es gibt schlimmere Orte. Also halten Sie sich bereit, mich nächsten Donnerstag zu empfangen.

Ihre ergebenste
Rose Mitchel.«

Diesen Brief reichte Mitchel dem Detektiv, der ihn aufmerksam durchlas und Umschlag und Poststempel einer Prüfung unterzog, die ergab, daß der Brief echt und etwa ein Jahr alt war.

»Haben Sie die verlangte Summe bezahlt?«

»Das bedarf der näheren Erklärung. Als ich den Brief erhielt, war mir klar, daß ich nichts verlieren würde, wenn ich die Person empfinge und ihre Geschichte anhörte. Ich war natürlich entschlossen, ihr nichts zu zahlen, und deshalb hatte ich die verlangte Summe auch nicht im Hause. Nachdem ich die Person angehört hatte, wurde ich indes andern Sinnes. Ich fand, daß sie im stande war, auf Grund einiger Papiere, die sie mir zeigte, eine Skandalgeschichte in Umlauf zu setzen, die die von ihr vorausgesagte Folge wohl herbeiführen konnte. Das wollte ich natürlich vermeiden. Als ich ihr aber sagte, ich hätte das Geld nicht in Bereitschaft, wurde sie wütend und behauptete, ich hätte sie in eine Falle gelockt, um sie der Polizei zu überliefern etc. Ich sah ein, daß ich gleich mit ihr ins reine kommen mußte, und erklärte mich bereit, ihr die Mittel zur Abreise nach Europa sofort bar und den Rest in Schmucksachen zu geben.«

»In Schmucksachen?« rief Barnes überrascht.

»Ja, in Schmucksachen. Das überrascht Sie, aber Sie kennen eben mein Steckenpferd nicht. Ich sammle Edelsteine und besitze deren im Werte von einer Million Dollars hier in diesem Gewölbe. Während ich also keine zehntausend Dollars in bar hatte, konnte ich ihr leicht drei Brillantringe geben, und das that ich zusammen mit einem Briefe an einen Pariser Juwelier, der sie ihr abkaufen sollte. Ein Teil des mit der Person getroffenen Abkommens bestand darin, daß sie sich verpflichtete, nie zurückzukommen.«

»Aber Mr. Mitchel, ein Mann von Ihrem Verstande und Ihrer Einsicht hätte doch wissen müssen, daß solche Leute nie ihr Versprechen halten!«

»Allerdings, aber ich hatte mir alle Beweismittel ausliefern lassen, so daß sie machtlos war. Sie meinten vorhin, es sei ein gefährliches Geständnis gewesen, als ich zugab, ich habe mich in der Gewalt dieser Person befunden. Sie wollten damit wohl sagen, daß dies den Beweggrund zum Morde ergebe. Nun werden Sie aber wohl einsehen, daß das nicht richtig ist, denn ich kann beweisen, daß ich mich schon vor einem Jahre aus ihrer Gewalt befreit habe.«

»Wie können Sie das beweisen?«

»Ich besitze die Empfangsbescheinigung der Person, worin sie mir erklärt, daß sie mir für die Summe von zehntausend Dollars oder deren Wert gewisse Familienpapiere ausgeliefert habe etc.«

»Haben Sie die Papiere noch?«

»Ich ziehe es vor, diese Frage nicht zu beantworten.«

»Gut, dann beantworten Sie mir diese: Wo haben Sie dieses Lederkästchen her und was enthält es?« Dabei hielt Barnes das bewußte Kästchen Mitchel vor die Augen, und dieser war offenbar verwirrt.

»Das enthält einige Edelsteine,« sagte er jedoch schließlich.

»Edelsteine? Das dachte ich mir. Darf ich sie mir ansehen?«

»Nicht mit meiner Zustimmung.«

»Dann ohne sie,« und mit einer raschen Bewegung lag das Kästchen offen auf dem Tische. Es war mit schwarzem Atlas gefüttert und enthielt Edelsteine, welche denen glichen, die auf dem in der Tasche der Ermordeten gefundenen Verzeichnis beschrieben waren, und, was noch wichtiger war, auch ein Papier fand sich, worauf Barnes eine genaue Abschrift der Liste und Beschreibung entdeckte, die er in der Tasche hatte. Mit Erstaunen bemerkte er jedoch, daß Mitchel trotz seiner Weigerung, die Besichtigung der Steine zu gestatten, nichts that, sie zu hindern, sondern ruhig auf seinem Stuhle saß und ganz gelassen zusah.

»Mr. Mitchel,« fragte Barnes, »warum wollten Sie mich den Inhalt dieses Kästchens nicht sehen lassen?«

»Ich zeige meine Steine niemals – Fremden; es ist unrecht, die Leute in Versuchung zu führen.«

»Das ist eine Ungezogenheit, mein Herr! Was meinen Sie damit?«

»Ich meine damit, daß ich in meinem Leben gewisse Grundsätze befolge. Das ist einer von ihnen, und obgleich ich Ihre Ehrlichkeit nicht im mindesten bezweifle, sind Sie mir doch fremd, und mein Grundsatz gilt auch für Sie.«

»Ihre kühle Unverfrorenheit wird Ihnen in diesem Falle nichts nützen. Dies sind die gestohlenen Edelsteine.«

»Ei, in der That? Haben Sie das soeben entdeckt, wie Sie den Dieb entdeckt haben, einfach dadurch, daß Sie sie angesehen haben?«

Mitchel sprach wieder in dem sarkastischen Tone, der den Detektiv schon so oft gereizt hatte.

»Lassen Sie doch diese Kindereien,« sprach Barnes ernst. »Ich habe ein Verzeichnis der gestohlenen Steine. Dieses Kästchen und sein Inhalt passen genau darauf, und was mehr sagen will, die Liste, die in Ihrem Kästchen gelegen hat, ist eine Abschrift der in meiner Tasche befindlichen.«

»So? Dann kommen wir ja endlich zu greifbaren Thatsachen und verlassen das Gebiet der Vermutungen,« sprach Mitchel, sich mit augenscheinlichem Interesse vorbeugend. »Habe ich Sie recht verstanden? Sie haben ein Verzeichnis der gestohlenen Steine, und dieses Papier hier ist eine genaue Abschrift davon? Die Beschreibung paßt ebenfalls auf die Steine und das Kästchen? Ist das so richtig?«

»Ja, das ist so richtig. Liefert Ihnen Ihre fruchtbare Erfindungskraft keine Erklärung dieser sonderbaren Uebereinstimmung?«

»Sie sind ungerecht gegen mich, Mr. Barnes. Ich bin kein Geschichtenerfinder; das ist der Unterschied zwischen mir und den Verbrechern, mit denen Sie gewöhnlich zu thun haben. Diese armen Teufel begehen ein Verbrechen und verlassen sich dann auf eine Reihe von Lügen, um sich herauszureißen. Ich befolge dagegen die Regel: ›Verweigere die Antwort auf alle Fragen, oder beantworte sie der Wahrheit gemäß.‹ In diesem Falle gibt es nun mehrere Punkte, die mir gerade so rätselhaft sind als Ihnen, und diese zu erklären, werde ich gar nicht versuchen. Einer davon ist: Wie können Sie ein Verzeichnis meiner Edelsteine besitzen? Denn diese Steine gehören mir, das kann ich Sie versichern.«

»Hier ist das Verzeichnis,« sprach der Detektiv, es hervorziehend und mit dem andern vergleichend, »und, beim Himmel! die Handschrift ist dieselbe!«

»Das ist höchst interessant, lassen Sie mal sehen,« entgegnete Mitchel, wobei er sich erhob, den Tisch umging und Barnes über die Schulter blickte. »Sie sehen, ich bitte Sie nicht, mir das Papier zu geben; Sie könnten glauben, ich wollte es zerstören,« worauf ihm Barnes beide Papiere, ohne ein Wort zu sagen, reichte. Mitchel nahm sie mit einer Verbeugung entgegen und kehrte auf seinen Platz zurück, von wo er sie Barnes nach sorgfältiger Prüfung wieder gab.

»Ich stimme mit Ihnen überein, die Handschrift ist die nämliche,« sprach er. »Was schließen Sie daraus?«

»Was ich daraus schließe? – Herr! Ich habe diese Beschreibung der gestohlenen Steine in einem Kleide gefunden, das Rose Mitchel gehört.«

»Was? Sie wollen doch nicht sagen, daß sie die Dame ist, der die Steine gestohlen worden sind?« Das unverhohlene Erstaunen, das sich in Mitchels Gesicht spiegelte, brachte Barnes etwas außer Fassung, denn wenn jener das nicht wußte, wurde das Rätsel immer undurchdringlicher.

»Wollen Sie etwa behaupten, daß Sie das nicht gewußt hätten?«

»Woher sollte ich das wissen?«

Ein kurzes Schweigen folgte dieser Frage, und beide Männer dachten über die Sachlage nach.

»Mr. Mitchel,« sprach Barnes endlich kalt, »ich sehe mich leider in die peinliche Notwendigkeit versetzt, Sie zu verhaften.«

»Unter welcher Anklage?«

»Unter der Anklage, Edelsteine gestohlen und vielleicht Rose Mitchel ermordet zu haben.«

»Haben Sie es sehr eilig, mich abzuführen?«

»Warum fragen Sie das?«

»Weil ich gern ein paar Fragen an Sie richten möchte, wenn Sie mir die Zeit dazu lassen können.«

»Gut, fragen Sie.«

»Also erstens: Der Diebstahl ist in einem fahrenden Eisenbahnzuge begangen worden. Wie meinen Sie, daß er ausgeführt worden sei, da die Reisenden doch durchsucht wurden?« Barnes hatte seine Ansicht darüber, wollte sie aber nicht enthüllen, jedoch hielt er es für angebracht, so zu thun, als ob er noch eine andre Annahme hätte, er konnte dann wenigstens beobachten, wie Mitchel sie aufnahm.

»Sehr richtig, sie sind alle durchsucht und es ist nichts gefunden worden. Lassen Sie uns nun einmal einen Fall annehmen. Dieser Thauret war mit Rose Mitchel in demselben Wagen. Als der Zug in New Haven anhielt, kann er Ihnen das Handtäschchen durchs Fenster Ihrer Abteilung zugereicht haben, im Glauben, daß nur die Reisenden seines Wagens durchsucht werden würden. Nach seiner eigenen Untersuchung hat er in Stamford den Zug verlassen. Warum kann er nicht an Ihr Fenster gekommen sein und das Täschchen wieder in Empfang genommen haben?«

»Das würde mich zu seinem Helfershelfer machen; aber Sie irren sich, ich kenne den Menschen gar nicht.«

»Als Miß Dora ihn vorstellte, haben Sie aber doch zugegeben, ihn schon getroffen zu haben.«

»Nur einmal an einem Spieltische, und deshalb war es mir auch nicht angenehm, ihn im Hause meiner Zukünftigen zu finden. Lassen wir also den Diebstahl, denn trotz meiner Ableugnung halten Sie Ihre Annahme vielleicht für richtig, und die Geschwornen können möglicherweise mit Ihnen übereinstimmen. Wir wollen nun auf den Mord kommen. Glauben Sie wirklich, ein Mensch könne eine Wette machen, ein Verbrechen auszuführen, und dann soweit gehen, ein Weib zu ermorden, nur um diese Wette zu gewinnen?«

»Nein, das glaube ich allerdings nicht, aber nachdem Sie den Diebstahl begangen und dann entdeckt hatten, daß dieses Frauenzimmer thatsächlich mit Ihrer Braut in einem Hause wohnte, sind Sie vielleicht zu ihr gegangen, um sie zu überreden, abzureisen, und haben Sie ermordet, um sich zu retten, als Ihre Ueberredungskünste keinen Erfolg hatten.«

»Sie kennen mich offenbar sehr schlecht, aber in dem, was Sie sagten, ist etwas, was mich interessiert. Habe ich Sie richtig verstanden? Hat diese Person wirklich in dem Hause der dreißigsten Straße gewohnt?«

»Ganz gewiß, und das wissen Sie sehr wohl.«

»Sie irren sich wieder. Doch lassen Sie uns auf die Steine zurückkommen. Sie glauben, dies seien die gestohlenen Steine. Wenn ich Ihnen nun das Gegenteil beweise, wollen Sie dann von meiner Verhaftung Abstand nehmen?«

»Mit dem größten Vergnügen,« entgegnete der Detektiv, der ganz sicher war, daß das, was Mitchel zu beweisen sich erboten hatte, unmöglich zu beweisen sei.

»Danke bestens, denn das sichert mir meine Freiheit, und als Entgelt für Ihr Entgegenkommen verspreche ich Ihnen meine volle Unterstützung bei Aufspürung des Mörders.«

Bei diesen Worten drückte Mitchel auf den Knopf eines elektrischen Läutwerks und befahl dem eintretenden Diener, Mr. Charles zu ersuchen, sich herunter zu bemühen. Wenige Augenblicke später trat dieser Herr ein.

»Mr. Charles,« redete ihn Mitchel an, »wäre es möglich, dieses Gewölbe ohne Ihr Vorwissen zu betreten?«

»Ganz unmöglich für Sie und irgend einen andern.«

»Sie haben meinen Schlüssel in Verwahrung, nicht wahr?«

»Ja, Mr. Mitchel.«

»Habe ich ihn jemals von hier mit fortgenommen?«

»Nein.«

»Und halten Sie es für möglich, daß ich einen zweiten Schlüssel besitze und auch ohne Ihr Vorwissen hierhergekommen bin?«

»Eine vollständige Unmöglichkeit, Mr. Mitchel.«

»Entsinnen Sie sich, wann ich zum letztenmal hier gewesen bin?«

»Gewiß, es war vor etwa vierzehn Tagen, lange ehe Sie nach Boston reisten.«

»Danke bestens, Mr. Charles, weiter wollte ich nichts.« Mr. Charles zog sich zurück, und Mitchel sah Barnes lächelnd an.

»Sie sehen, Sie haben sich wieder geirrt,« sprach er. »Die Steine sind gestern morgen gestohlen worden, und ich bin seitdem nicht hier gewesen, folglich kann ich sie nicht hierhergebracht haben. Sind Sie zufriedengestellt?«

»Nein, denn wenn Sie im stande waren, den Diebstahl im Zuge zu begehen, während ich Ihre Abteilung die ganze Nacht beobachtet habe, und dann die Steine so geschickt zu verbergen, daß sie bei Ihrer Durchsuchung nicht gefunden wurden, dann sind Sie auch schlau genug, Mittel und Wege zu finden, ohne Mr. Charles' Wissen hierher zu gelangen; oder Charles kann bestochen worden sein, für Sie zu lügen. Ich bin so sicher, daß dies die gestohlenen Steine sind, daß ich mich nicht leicht vom Gegenteil überzeugen lassen werde.«

»Also Sie haben mich in jener Nacht beobachtet. Es thut mir leid, daß Sie sich die Mühe gemacht haben. Sie verlangen noch weitere Beweise? Gut, dann sehen Sie sich mal dies an.« Bei diesen Worten zog er aus einem Päckchen Papiere eine Rechnung, die vor fünf Jahren ausgestellt worden war und eine noch genauere Beschreibung der Steine und des zugehörigen Kästchens enthielt. Ueberdies war eine Empfangsbescheinigung des New Yorker Zollamtes daran befestigt, die ebenfalls fünf Jahre zurückdatiert war und über den empfangenen Zoll quittierte. Das waren Beweisstücke, die Barnes nicht zurückweisen konnte, denn es ging daraus zweifellos hervor, daß diese Edelsteine Mitchels Eigentum waren.

»Das genügt,« sprach Barnes, nachdem er die Schriftstücke durchgesehen hatte; »es wäre Thorheit, Sie zu verhaften, denn auf Grund dieser Papiere würde Sie jeder Richter wieder entlassen, aber die Uebereinstimmung der beiden Verzeichnisse werde ich nicht vergessen, ebensowenig den Kameenknopf.«

»Nebenbei, Mr. Barnes, können Sie mir nicht sagen, wo Sie den Knopf gefunden haben?«

»In dem Zimmer, worin die Dame ermordet worden ist.«

»Dann wundert es mich freilich nicht, daß Sie großen Wert darauf legen, und ich bin überrascht, daß Sie ihn Miß Remsen geschenkt haben.« In Mitchels Augen erschien ein Lächeln, das Barnes verdroß, aber er antwortete nichts.

»Aus Dankbarkeit, daß Sie mich nicht verhaftet haben,« fuhr Mitchel fort, »will ich Ihnen einen Wink geben. Die Wette mit meinem Freunde Randolph wurde gestern morgen gemacht, also am 2. Dezember; ich habe demnach bis zum 2. Januar Zeit zu meinem Verbrechen. Sollten Sie zum Schluß gelangen, daß ich unschuldig an den beiden bin, die jetzt Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, dann könnten Sie vielleicht auf den Gedanken kommen, daß ich es noch begehen muß, und es dürfte sich der Mühe verlohnen, mich zu beobachten. Haben Sie verstanden, was ich meine?«

»Seien Sie ohne Sorge, Mr. Mitchel, es ist wenig Gefahr, daß Sie Ihr Verbrechen während des nächsten Monats begehen, ohne daß ich es merke,« entgegnete Barnes.

»Nun wollen wir von etwas anderm sprechen. Sehen Sie diesen Rubin?« sprach Mitchel und nahm einen großen Rubin aus dem vor ihm stehenden Kästchen. »Ich habe die Absicht, ihn als Geschenk für Miß Remsen fassen zu lassen. Wird sie nicht beneidet werden, wenn sie ihn trägt?«


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