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Sechstes Kapitel.
Wiener Congreß.

Wien hat seine steifen steinernen Reifröcke von sich geworfen, und der Raum, der sonst leer und öde war, hat sich mit Palästen, Theatern, Kirchen, Häusern, Straßen, Menschen gefüllt. Das Glacis zwischen Stadt und Vorstädten ist im Verschwinden, ein elegantes Wien mit herrlichen Straßen baut sich um das alte Wien herum, die Zahl seiner Einwohner hat sich verdoppelt, aber Tage wie die des Kongresses wird man in der Donaustadt nicht wiedersehen, und Tage wie die des Bundesschießens verhalten sich zu jenen Tagen von 1814 wie ein Proletarierbanket zu einem Banket im Olymp. Die mächtigsten Fürsten Europas, hohe Herren aus allen Ländern, die schönsten Weiber der Welt, Reineke's Genossenschaft aus ganz Europa in Gestalt von Diplomaten und Ministern, Bittsteller und Wünschende ohne Zahl, sie alle waren zusammengedrängt in dem viel kleinern Wien, sie alle verfolgten dasselbe Ziel, sie alle wollten sich amusiren, sich des wiedergewonnenen Lebens freuen und daneben das alte Europa restauriren, die große Weltbeute vertheilen und zwischen groß und klein ein Gleichgewicht herstellen, damit nicht wieder einer die Weltherrschaft an sich reißen könne. Sie wollten einen Bau gründen, der Sicherheit gewähren sollte gegen die Wiederkehr einer Sündflut, wie die Französische Revolution es gewesen. Die Möglichkeit, so zu bauen, war geschaffen durch die Leichen und das Blut des Volks, das man gegen den Tyrannen, der Europa in Ketten geschmiedet, wach gerufen hatte mit dem Versprechen der Freiheit. Aber das Volk war hier unvertreten, wo selbst Könige, Fürsten und Herren noch klein waren vor den Mächtigsten der Erde, vor Kaisern und Königen erster Größe. Das Volk war nur vertreten durch Mimen und Künstler, Sängerinnen und Tänzerinnen, Seiltänzer und Gaukler aller Art, welche die Kaiser und Könige, Fürsten und Herren und die glänzenden Frauen ergötzen sollten, vielleicht vertreten in irgendeiner Dachkammer, in der man die Kanzleien untergebracht, in dem Busen eines der Kanzlisten, eines Jakob Grimm etwa. Es war das ein Chaos von sich widerstreitenden Ansprüchen, Wünschen, Hoffnungen, daß selbst der Herrgott es nicht der Hälfte hätte recht machen können. Wie sollten das nun die Diplomaten vollbringen? Ihre Kunst bestand zunächst darin, die heimlichen und stillen Wünsche der einzelnen zu erforschen, dann diese zu benutzen, um Verbindungen und Allianzen zu trennen, neue zu knüpfen, die Strebungen des einen geschickt gegen die des andern zu verwenden.

In dieses Chaos war einer unserer Bekannten hineingezogen, den man vor zwanzig Jahren hier im Kerker festgehalten und dann aus den österreichischen Landen für immer verwiesen, jetzt aber zur Rückkehr nach Wien mit Pässen versehen hatte. Justus Erich Bollmann erschien in Wien als Agent des Hauses Baring in London, um über Geldangelegenheiten mit dem österreichischen Ministerium zu verhandeln; für Robert Fulton sollte er unterhandeln wegen Vertheidigung der von Oesterreich neu erworbenen Häfen des Adriatischen Meeres durch Torpedos, Taucherboote und andere von Fulton neu erfundene und im Kriege mit England zur Anwendung gebrachte Vertheidigungskünste; nicht minder galt es, ein Patent für die Dampfschiffahrt auf der Donau zu erwerben; in Idria lag Quecksilber angehäuft, das wegen des amerikanisch-englischen Krieges nicht hatte nach Amerika ausgeführt werden können, das nun Bollmann zu kaufen beabsichtigte, um nach dem Frieden von Gent die erste Einfuhr zu machen. Es gelang unserm Freunde, was vielen Tausenden in jenen Tagen nicht gelang, von sich reden zu machen, es gelang ihm, von Lord Castlereagh, von seinem alten Bekannten, jetzt Fürsten Talleyrand, vom Fürsten Metternich und dem Grafen Stadion empfangen zu werden, und was mehr war, letzterer nahm seine praktischen Kenntnisse in Anspruch zur Abhülfe des auf Oesterreich drückenden Alps einer ungeheuern Masse beständig schwankenden Papiergeldes. Bollmann setzte sich mit dem preußischen Finanzminister von Bülow in Verbindung, um ihm die Möglichkeit, die Elbe mit Dampfschiffen zu befahren, zu erläutern, mit dem russischen Grafen Guriew verhandelte er über ein Geheimniß, aus Platina Geld zu münzen. Namentlich waren Fürst Metternich und Stadion mit Bollmann's Einsichten, die finanziellen Schwierigkeiten des Kaiserstaats zu heben, so sehr zufrieden, daß jener ihm eröffnete, er werde gegen den Präsidenten der Union den Wunsch ausdrücken, daß man ihm eine dauernde diplomatische Stellung in Wien gebe.

Gleicher Anerkennung erfreute sich der Republikaner aber auch in den Kreisen der tonangebenden Damen. Er war bei Geymüller einquartiert, und Frau von Geymüller, die Semiramis oder die Tochter der Luft Wiens zur Congreßzeit, hatte mit ihrem feinen Takt bald erkannt, daß Bollmann, in seinen jungen Tagen von der Damenwelt begünstigt, auch in seinen ältern Tagen einem geistreichen Salon noch zur Zierde gereichen würde. Und das that er dann in vollem Maße, denn er war es, wie Varnhagen von Ense bestätigt, der in jenen Salons zuerst mit lebhaftem Rühmen von Walter Scott und mit hoher Begeisterung von Lord Byron sprach, die man damals beide in Wien noch nicht kannte. Als nun am ersten Salonabend Justus Erich in der Fürstin T. seine Bekanntschaft von der Gloriette wiederfand und ihm später eine neunzehnjährige Schönheit ersten Ranges vorgestellt wurde, in welcher er seine eigene Tochter zu erkennen glaubte, schwoll sein Herz in der weichen wiener Luft hoch auf. Er, der sich beständig durch das Leben hatte hindurch schlagen müssen, hatte schon früh aristokratische Neigungen, und wenn ihn auch nicht, wie Olga, »die gloriose, freieste, unabhängigste Nation der Nordamerikaner« mit ihrer Nationalsouveränetät geradezu abstieß, sondern ihm die Vorzüge des freien Staats wohl bekannt waren und er von Amerikas Zukunft das Größte erwartete, so fühlte er sich doch wohl in den Kreisen der Geymüller, der Baronin Fanny von Arnstein, der lebensprühenden, und ihrer Schwester, der Baronin von Eskeles, der Herzogin von Sagan wie der Fürstin Bagration.

Aus solche Zeiten, wo man die Umgebung im rosenfarbigsten Lichte sieht, stammt denn auch der nachstehende Brief, der von dem glühenden, für Freiheit schwärmenden Bollmann der ersten neunziger Jahre wenig Spuren trägt. Der Brief war an Karl Haus gerichtet, der mit seiner Gattin und seinen Kindern zugleich mit ihm über England nach Deutschland gereist war, um die Vermögensverhältnisse in Heustedt zu ordnen.

Karl hielt sich damals in Bremen auf, um die Güter in Heustedt zu veräußern. Er beabsichtigte, im Frühjahr nach Wien zu gehen und dann im Sommer Olga's Niederkunft in Ischl abzuwarten. Justus schrieb:

 

Lieber Karl!

Wenn Du noch irgendeine passable Wohnung hier finden willst, so mußt Du mit Deiner Ueberkunft eilen, denn alles ist bis unter die hohen Dächer mit Fremden vollgestopft. Vielleicht ziehst Du aber vor, Dein Herkommen bis zum Frühjahr zu verschieben, wenn ich Dir sage, daß ein Zusammentreffen Olga's mit ihrem frühern quasi Gemahl nicht zu vermeiden sein würde, was dieser vielleicht unangenehm wäre, während ich von Dir voraussetze, daß Du Dich nicht scheuen wirst, Deinem frühern Schüler in das Auge zu sehen.

Ich weiß nicht, welche Lebensplane Ihr gefaßt habt, ob es noch Euer Wille ist, in Europa zu bleiben, vielleicht gar in Hannover Euch niederzulassen. Wäre letzteres der Fall, also ein Zusammentreffen mit Schlottheim mit der Zeit doch nicht zu vermeiden, so möchte dasselbe hier vorzuziehen sein. Die Wellen des Lebens schlagen hier so hoch, daß ein solches Zusammentreffen, wenn es überhaupt bemerkt würde, ohne allen Eclat vorüberginge, denn jeder ist hier mit größern, mit eigenen und fremden Dingen beschäftigt. Graf Münster und die wenigen Hannoveraner, die hier sind, darunter von O., der sein Leben am westfälischen Hofe vergessen zu machen sucht und sich zu Spionierdiensten für den Prinz-Regenten hergeben soll, haben gelernt, faits accomplis zu würdigen, sie würden die Vergangenheit ignoriren, in Dir nur noch den Nordamerikaner und das Congreßmitglied für Pittsburg sehen.

Flora's Vater ist nämlich gestorben, und Schlottheim nimmt hier die Erbschaft seiner Frau, man sagt zwei Millionen Gulden, Papier natürlich, in Besitz. Träfet Ihr zuerst im Hannoverischen wieder zusammen, so würde das in den kleinstädtischen Lebenskreisen mit ihren stagnirenden stillen Gewässern mehr Sturm erregen als hier kaum das größte Weltereigniß. Alle Unken und Frösche würden ihr Geheul beginnen.

Ich hätte Wien nicht wiedererkannt! Die Mauern und Basteien, die Glacis und die engen Straßen, der einzige Stephan und der Prater sind zwar noch die alten, aber das Leben in Stadt und Vorstädten, im Prater, Schönbrunn, Laxenburg, Baden ist nicht wiederzuerkennen; London und Paris, das alte Rom und das Alexandria der Kleopatra bleiben dagegen zurück. Wenn unsere amerikanische Aristokratie, die alten holländischen Familien von Neuyork, die englischen Junker von Virginien, die Nachkömmlinge der spanischen Dons in Louisiana das einmal sehen könnten, wie würden sie die Augen aufreißen! Die demokratische Selbstgefälligkeit und Selbstgenügsamkeit würde gern einige Dutzend Ballen Baumwolle oder hundert Fässer Taback opfern, um einmal in der Nähe zu sehen, was wirklich aristokratisches Leben ist.

Die seit den Kreuzzügen in Europa aufgestapelten Reichthümer an Schmuck, Diamanten, Juwelen, Perlen scheinen hier vereinigt, um die schönsten Menschenleiber zu schmücken. In der Oper, in den Theatern, in den Salons, im Prater und auf den Promenaden der Basteien tritt uns eine Pracht und Herrlichkeit entgegen, wie sie niemals an einem Orte der Welt auf einmal vereint gewesen. Welche ungeheuere Menge von Geist, Klugheit, Verstand, Tapferkeit, Schönheit, Reichthum, Macht sind hier zusammengedrängt und treten trotz der größten Rangverschiedenheiten in einzelnen Kreisen einander näher.

Ich habe hier bei einem Corso an einem Nachmittage mehr schöne Pferde und Equipagen gesehen, als in meinem ganzen Leben in Paris, London, Neuyork, Philadelphia, Washington zusammen. Du weißt, daß ich kein Mann bin von Staunen und Starren, daß ich vieles gesehen habe in der Welt, viel gedacht und viel erfunden, aber wie oft habe ich auf den Basteien, den Glacis, am Graben, im Prater staunend gestanden und Erscheinungen an mir vorüber schweben und schwimmen, fahren und galopiren sehen und mich fragen müssen: ist das Wirklichkeit oder arabisches Märchen?

Wenn ich bekennen muß, daß die ersten vierzehn Tage meines Hierseins an mir vorübergehuscht sind, ohne daß ich ein Buch oder eine Feder in der Hand gehabt habe, so wirst Du, der Du meine Art zu leben kennst, begreifen, was das heißen will.

Wer so in der Welt umhergeschleudert ist wie ich, wer so lange hat kämpfen müssen, um die Illusionen der Jugend zu überwinden und ein praktischer Mann zu werden, wie ihn unsere Union allein brauchen kann, der ist mit seinem funfzigsten Jahre ein alter Knabe. Du bist jünger, wirst das Herannahen des Alters aber auch schon bei dieser oder jener Gelegenheit gefühlt haben. Und wenn nun ein so alter Kerl wie ich hier nur noch den Einen Wunsch hat, um zwanzig Jahre jünger, so frisch und leichtlebig zu sein, wie ich war, da ich mich hier auf die That von Olmütz vorbereitete, so wirst Du fühlen, welche wunderbare Einwirkung diese Zauberwelt auf den Menschen ausübt. Es wird mir, wenn ich zu reflectiren anfange, manchmal wunderbar dabei zu Muthe, und ich frage mich, wo soll das hinaus? Ich frage mich, wie viele Millionen Sklaven müßten wir in Amerika halten, um als Herren ein solches Leben führen zu können, wie man es in Wien führt? Wie viele sauere Arbeit und Jahresschweiß von Hunderttausenden wird hier in Einer Nacht vergeudet?

Allein es ist rein unmöglich, hier lange über die Zukunft zu grübeln, es fehlt die Zeit dazu. Wer wie ich einmal in den Strudel dieses Lebens hineingerissen ist, der hat Mühe und Noth, für seine Geschäfte die nöthigsten Stunden und Augenblicke zu finden. Aber die Leichtlebigkeit bringt es wieder mit sich, daß man in Augenblicken hier ein Geschäft abschließt, zu dem es in England oder bei uns im Westen wochenlanger Unterhandlungen bedürfte. Nur muß man da Yankee genug sein, und etwas wird man es immer nach einem zwanzigjährigen Aufenthalte in Nordamerika, um eben den rechten Augenblick zu finden.

Glaube nicht, daß dieser lange Brief und meine Reflexionen mit dem Gesagten im Widerspruche stehen. Eine Erkältung fesselt mich ans Haus und von der March herüber weht ein rauher Wind, der Regen, sogar schon einige Schneeflocken gebracht hat.

Wien hat mir schon eine Menge Ueberraschungen bereitet, die erste war die außerordentlich freundliche Aufnahme im Geymüller'schen Hause. Ich hatte freilich Empfehlungen von Baring, die mich berechtigten, auf die eine oder andere Einladung zu rechnen, allein man bestand darauf, daß ich im Hause selbst Quartier nehme. Eine Gastlichkeit, wie sie mir hier zutheil ward, würde den Landsleuten jenseit des Oceans völlig unverständlich sein. Was es aber bedeuten will, gerade in einem Mittelpunkte, wie dieses Haus ihn bildet, zu leben, das merkte ich schon in den ersten Tagen, denn welche Menge Personen von Bedeutung lernte ich da kennen!

In einer der ersten Abendgesellschaften, die bei der Tochter der Luft, so nennt man meine schöne Hauswirthin, stattfanden, wurde ich der Fürstin — vorgestellt. Denke Dir mein Erstaunen, als ich in ihr die schöne Nichte des Bischofs von Olmütz, die nicht wenig zu meiner Befreiung beigetragen, erkannte. Auch die Fürstin selbst war erfreut und lud mich schon für den nächsten Tag zu sich selbst ein.

Hier traf ich auch auf zwei alte pariser Bekanntschaften aus dem Kreise der Staël, den trefflichen Fürsten von Ligne und den ehemaligen Evêque d'Autun, den Großmeister der hiesigen Diplomaten.

Im Geymüller'schen Hause habe ich die Bekanntschaft eines jungen liebenswürdigen Legationsraths, der der preußischen Gesandtschaft beigegeben ist, gemacht, Varnhagen's von Ense, an den ich auch durch einen Empfehlungsbrief vom Grafen Schlabrendorf aus Paris gewiesen war. Durch diesen bin ich dann wieder mit andern Kreisen, in denen Literatur und Kunst vorherrscht, bekannt geworden, mit Stägemann, Gentz, Adam Müller und mit Frau von Pichler, in deren kunstliebendem Hause mir eine neue Ueberraschung bevorstand. Eine der berühmtesten Sängerinnen der hiesigen Oper, Veronica Cruella, wurde mir als Landsmännin vorgestellt. Ich hatte den Namen in Kunstblättern und Zeitungen oft gelesen, daß sie aber die Tochter meiner süßen Nachtigall aus Heustedt, der Schwester unsers Freundes Schulz sei, die mir als Student den Kopf verwirrt hatte, war mir nicht im Traume eingefallen. Veronica ist nicht nur als Künstlerin hochgeachtet und vielberühmt, sie hat sich auch gegen den gefährlichsten der vielen Don Juans, die hier herumschwirren, den reichen und schönen Fürsten —, einen Gräcorussen, auf eine Weise benommen, welche ihr aus seinem Munde das Lob zugezogen, sie sei das einzige Frauenzimmer in Wien, an dessen Tugend er glaube.

Sie hat ihn mit seinem eigenen Dolche also im Gesichte gekennzeichnet, daß er sein Leben lang daran denken wird und schon den Beinamen »Don Juan mit der Schmarre« davongetragen hat.

Außer den Kreisen bei Geymüllers sind mir die, welche die Frau Varnhagen's, Rahel, im Savoy'schen Damenstifte sich gebildet, die liebsten. Die Enge der Räume, der Mangel an Glanz, der sonst überall blendet, der lebensfrische Hauch, den diese geistreiche Jüdin über ihre Gesellschaften zu verbreiten weiß, haben etwas über alle maßen Anziehendes. Die Rückerinnerung an Hamburg, an Sieveking und Reimarus, ergab sich hier von selbst, Varnhagen ist ein Freund des Grafen Reinhard und kennt dessen Gattin sehr genau, er mußte mir viel erzählen von ihr und den wechselvollen Schicksalen des Gemahls.

Aber Du glaubst nicht, wie weit man durch alle wiener Kreise noch in Jeglichem zurück ist, was England und Amerika betrifft. Als ich neulich in einer größern Gesellschaft von Lord Byron und Walter Scott sprach, war niemand anwesend, der auch nur das kleinste Gedicht dieser Dichter-Heroen kannte, und vor einigen Tagen, als der geistige und leibliche Epikuräer Gentz eins der leckersten Mahle gab, das je über meine Zunge gekommen ist, in einer Gesellschaft, in welcher der Herzog von Weimar, Talleyrand, Wilhelm von Humboldt, Graf und Gräfin von Bernstorff, Gräfin Fuchs und viele andere Personen zugegen waren, wußte niemand außer Talleyrand von unserer Verfassung und unsern republikanischen Institutionen, keiner von Congreß und Meetings. Unsere Presse mit ihrer vollkommenen Freiheit, von der ich erzählte, erschien den Herren, vor allen dem Gastgeber selbst, wie ein schreckliches Seeungeheuer, vor dem er zurückbebte. Unser Meetingserlebniß in Pittsburg z. B. erfüllte die Gesellschaft mit Grauen. Als ich von der Zukunft Amerikas sprach, wenn erst der Weg zum Stillen Ocean, zu den Goldländern hinter den Felsgebirgen eröffnet wäre, sah ich, daß man auch wenig geographische Kenntnisse hatte.

Du willst aber gewiß auch einiges über die großen Männer hören, die hier europäische Geschichte machen, und über die Fragen, um die es sich in diesem Augenblicke handelt.

Da will ich Dir denn einen Theil eines Briefes, den ich an Bruder Friedrich geschrieben, abgeklatscht beisenden. Noth macht erfinderisch, das habe ich wieder bei dieser Gelegenheit gesehen. Mir war mein Copirpapier ausgegangen und hier in Wien nicht ein Bogen aufzutreiben, auf die Ankunft des londoner, das ich mir verschrieben, konnte ich nicht warten; ich habe es also mit gewöhnlichem Briefpapier versucht und dieses mit einer Verdünnung von Spiritus und Wasser so lange bestrichen, bis die Copie gelang. Nimm je nach Stärke und Leimgehalt des Papiers zwei Drittel Wasser und ein Drittel Spiritus und Du wirst es auch können.

Wenn Du Dich entschließest, hierher zu kommen, so schreibe zeitig, ich will dann nach Kräften sorgen, Dir eine Wohnung zu schaffen. Grüße Deine Frau herzlich und lebe wohl.

Dein Justus Erich Bollmann.

 

Wien, 28. Dezember 1815.

– – – – Dieser bisher ungedruckte Brief findet sich im Original in der Autographensammlung des verstorbenen Archivraths Kestner in Hannover, dem ich die Abschrift verdanke. D. Verf. Von den bedeutendsten Leuten kenne ich die meisten persönlich und den Fürsten Talleyrand, wie Du weißt, schon seit 92. In Philadelphia war er 97 nur Particulier und keineswegs in glänzenden Umständen. Ich sah ihn damals täglich und wußte das meiste von dem, was er sagte und nicht sagte, aber dachte. – Er hat seitdem Souveräne gemacht, und um mich eines englischen Ausdrucks zu bedienen, umgemacht – doch finde ich in ihn denselben, und das sagt viel. Von allen erbärmlichen Eigenschaften – Eitelkeit, Dünkel, Arroganz u. s. w. ist er durchaus frei. Er hat sogar die für einen Franzosen merkwürdige Tugend, daß er lieber hört als spricht, und sich immer bemüht, gut zu verstehen. In seinem Kopfe ist alles klar, seine Ansichten sind immer richtig, d. h. im Durchschnitt immer. Auch wenn er sich irrt, ist er für Gegengründe offen, und überzeugenden Gegengründen, deutlich vorgetragen, widersteht er nie. Dabei hat er viel Herzensgüte und mit seinen Freunden eine einfache, herzliche Manier. Er ist gewiß einer der merkwürdigsten und der bessern Menschen unserer Zeit, viel besser als sein Ruf, und die meisten über ihn verbreiteten Vorstellungen sind falsch.

Daß er sein Vaterland liebt, dasselbe groß, mächtig, ruhmvoll zu sehen wünscht, ist natürlich, Ihr Deutschen habt kein Vaterland, sondern nur Vaterländerchen und wißt nicht zu würdigen, was einem Franzosen angeboren ist.

Neben ihm steht würdig Fürst Metternich. Er ist ein schöner Mann, von Anstand und Würde, ohne Affectation und Ziererei, und von edler Gesichtsbildung. In seinen Zügen sieht man – was ihm auch ganz zukommt – daß er nichts sagt und thut, als was er will. Von äußerst wenigen Menschen kann man dies sagen. Die meisten lassen sich treiben durch innere augenblickliche Anstöße und Bewegungen, sodaß man nur ihre Gefühle in Bewegung zu setzen braucht, um sie leiten zu können, wiewol sie dann freilich oft sagen und thun, was sie nachher, wenn's zu spät ist, misbilligen. Zu diesen schwachen Menschen gehört der Fürst Metternich durchaus nicht. Er besitzt im höchsten Grade, was die Franzosen conduite nennen. Er fühlt auch immer richtig die Convenienzen, die Schicklichkeiten, das Gehörige für jeden Augenblick. Er ist daher zur hohen Stelle, die er bekleidet, sehr geeignet; er füllt seinen Platz aus, vorzüglich da sein Kopf auch übrigens sehr gut organisirt ist und es ihm nicht an den nothwendigsten Vorkenntnissen fehlt, um die Dinge richtig anzusehen und geschickt zu beurtheilen. Natürlicherweise hat nun ein solcher Mann in Verhandlungen aller Art ein gewisses Uebergewicht und gewöhnt sich leicht daran, aus der Bearbeitung anderer sich ein Spiel zu machen. Die Welt nennt das einen Hang zum Intriguiren. Den wirft man ihm denn auch vor. Die Gemeinen wissen sich an der Ueberlegenheit nicht anders zu rächen. Daß die Bemerkung bis zum Vorwurfe wahr sei, glaube ich nicht. Wenigstens bin ich fest überzeugt, daß das Interesse um das Wohl der österreichischen Monarchie sich nicht in bessern Händen befinden könnte.

Die Hauptmänner von der preußischen Seite sind der Fürst von Hardenberg und Humboldt. Ich kenne beide. – Der erste – um mich kurz zu fassen (denn ich finde, daß ich für Brieflänge zu weit ausgeholt habe) ist ein vortrefflicher Mensch, der zweite ein außerordentlicher Kopf. Hardenberg sagt den Umstehenden immer hübsche Sachen, sagt sie gut und sagt sie gern. Er ist recht sehr liebenswürdig, fleißig, wohlmeinend, treu. Ein wahrhaft edler Mann. An Geist ist ihm Humboldt überlegen. Dies ist wirklich ein Kopf der ersten Gattung, der gewaltig viel umfaßt, viel weiß, viel durchsieht, von der Art jener, denen alles Licht ist, woran alle Vorurteile scheitern. Es gibt nichts Angenehmeres, als ihn zu hören, wo er sich gefällt. Er ist eine lebendige Quelle, aus der immer Geist und Witz hervorsprudelt, aus der man immer schöpft, ohne sich zu ermüden. Gemüth hat er nun wol nicht überviel, Enthusiasmus keinen. Er geht durch die Menschen seinen Gang, ohne sich um deren Wohl und Wehe viel zu bekümmern, immer mehr geneigt zu lachen als zu bedauern, zu helfen, wenn sich's füglich thun läßt, aber sonst durch kein Leidwesen sich irremachen zu lassen, beträfe es auch sein eigenes Haus.

Der Reichsfreiherr vom Stein und Laharpe haben vielleicht den größten Einfluß in Betreff russischer Angelegenheiten. Stein's Kopf, was blos Fähigkeit anbetrifft, ist den besten der genannten kaum untergeordnet, an Energie, an Arbeitsamkeit, an animalischem Feuer, an Willenskraft übertrifft er alle. Aber eben diese schnelle Heftigkeit macht seine Ansichten oft grundfalsch. Er urtheilt nicht selten, bevor er sich unterrichtet und gedacht hat. Der gewaltige Irrthum wird ihm hernach zuweilen sichtbar, und aus der häufigen Wiederkehr dieser Fälle entspringt denn doch, bei aller Energie, ein gewisser Mangel an Stetigkeit, an Festigkeit. Er würde ein vortrefflicher Premierminister sein, unter Metternich oder Talleyrand als Souveräns.

Sich selbst überlassen ist er gefährlich. An Napoleon's Platz setzte er auch wol die Welt in Flammen, wiewol seine Zwecke schöner, seine Handlungsweise edler sein würden. Wie dieser, ist er äußerst rauh, anfahrend – wer dann zurückfährt, den hält er für nichts werth, wer ihm ruhig die Spitze bietet, mit dem läßt er sich ein und läßt sich zuweilen auch wol von ihm zurechtführen. Zum Sturze von Napoleon hat er, als einzelner, gewiß das meiste beigetragen. Zur dictatorischen Thätigkeit in der Zeit der Noth ist er ganz geeignet; zum Negociiren taugt er nicht, und es ist sehr wohl möglich, daß er in ferner dermaligen Lage Unheil stiftet.

Laharpe, ein Schweizer, ehemaliger Gouverneur des russischen Kaisers und noch sein vorzüglichster Rathgeber, ist ein milder, einfacher, philosophischer Mann, was die Außenseite und die ganze Form seiner Existenz betrifft, der aber starke Leidenschaften im Busen trägt, und der als Heiliger sengen und brennen könnte zur Ausbreitung der Lehre. Er kennt die Welt mehr aus den Schriften von Rousseau und ähnlichen Schriftstellern als aus praktischem Anschauen, Selbstbeobachten und Vergleichen. Daher sind auch seine Ansichten oft ganz gewaltig falsch; daher steckt er auch voller Vorurtheile und Grillen. Daher setzt er auch, wie alle ähnlichen Charaktere, das rein Vernünftige – oder vielmehr was er dafür hält – viel zu hoch an und würdigt das Hergebrachte, das Gesetzliche, wenn es mit seinen Ideen streitet, viel zu wenig.

Er ist stolz in der Demuth, ambitiös – mit anspruchsloser Miene. Er möchte die Welt gern von seinem Pult aus modeln; seine Vorstellungen sind speciös – aber hirngespinstisch; er ist gescheit, aber ein Jakobiner, von der bessern Gattung, wenn Du willst, aber Jakobiner doch! An der Humboldt'schen Vernunft fehlt's ihm durchaus.

Von den gekrönten Häuptern ist Alexander der besonderste. Er ist ein schöner Mann; er spricht gesucht; er hat gewöhnliche gute Fähigkeiten, keine vorzüglichen; er befaßt sich mit allem selbst, ohne regelmäßig zu arbeiten, ohne selbst viel zu können. Er ist gewaltig eitel – folglich auch eher kleinlich als groß, in seinen Bewegungen schnell, nicht ruhig, in seinem Wesen mehr zur List geneigt, zum Verschlagenen, Heimlichen, als wie zum Geraden, Einfachen, Offenen. Fürs wirklich Edle hat er wol wenig Sinn, Schönthun möchte er immer. Er ist ein Fürst der bessern Art, vorzüglich auf einem russischen Throne; äußerst artig, mit dem gewaltigen Peter verglichen aber äußerst klein; auch viel kleiner als seine Großmutter. Seine Lage ist auch mit seiner Erziehung im Widerspruche.

Laharpe hat etwas Republikanisches in seine Composition gemischt, das zu seinen Verhältnissen nicht paßt. Er ist daher schwer zu behandeln. Er möchte allerlei und sieht doch nichts klar. So muß er denn eigensinnig sein, sehr artig und doch unbändig, auf den Gründe nicht viel vermögen, der Festigkeit sucht, selbst durchs Beharren auf voreilig Beschlossenes, eben weil er mit dem Denken nicht recht fertig werden kann, weil es an der Geistesfestigkeit fehlt. So macht er denn den übrigen mit seinem Rathgeben gewaltig viel zu schaffen und lähmt eigentlich den Fortgang der Verhandlungen.

Der König von Preußen ist gerader, schlichter, ehrlicher, vernünftiger, besser. Er hat mehr Würde wie Alexander, dem man durchaus nichts Kaiserliches ansieht. Wenn er gewöhnlich spricht, so geräth seine Stirn und Augenhaut in etwas convulsivische Bewegung, das sich aber verliert, wenn er sich interessirt. Er hat mehr Herz, als Fürsten gewöhnlich zukommt. Er ist arbeitsam, er verlor eine Königin, die er liebte. Man sieht ihm an, daß er Schmerz kennt.

Der Kaiser von Oesterreich ist vielleicht, ist gewiß besser unterrichtet als alle seine dermaligen fürstlichen Collegen. Er hat mehr gesunde Vernunft und reinere Ansichten. Ohne alle Prätension denkt er sehr richtig, weiß sehr viel und hat gute Grundsätze über alle Hauptgegenstände. Dabei ist er streng ehrlich und ängstlich gewissenhaft, wiewol ihn, in Staatsangelegenheiten, die Noth der Zeit aus diesem Gange manchmal herausgedrängt haben mag. Er ist weit entfernt, ein gewöhnlicher Fürst zu sein. Die ganze Familie – und Du weißt, es gibt der Erzherzoge viele, ist eigentlich sehr gut organisirt, beides, was Kopf und Herz betrifft, und es fehlt ihnen nur an etwas mehr Energie, an einer größern Portion animalischer Lebensgeister, um als sehr ausgezeichnete Menschen eine bedeutende Rolle zu spielen. Im ganzen genommen hat das österreichische Haus als ein Fürstenstamm viel Würde, und ich möchte deswegen dieser Monarchie lieber angehören als einer andern in Deutschland.

Auch scheint mir die österreichische Monarchie fester begründet, gegen Revolutionen und Verbesserungswahnsinn besser geschützt zu sein als die meisten übrigen. Ihre Wurzeln, hat Napoleon gesagt, gehen bis zum Mittelpunkte der Erde. Das Land an sich ist reich und voll unentwickelter Ressourcen. Der Menschenschlag ist gut, und wenn der Geschäftsgang etwas schwerfällig ist, und die allgemeine Cultur noch nicht so weit reicht als in manchen andern Gegenden, so kennt man auch auf der andern Seite Autoritätsunfug nicht, und es ist Substanz da, die sich bilden läßt, die sich's der Mühe verlohnt zu bearbeiten. Der Fortschritt ist langsamer, aber es wird was herauskommen. Die Oesterreicher sind mir gleichsam die Engländer von Deutschland, die Preußen die Franzosen.

Von den Preußen kenne ich hier viele und die ausgezeichneten alle. Es sind unter ihnen viele gute Köpfe; auch haben ihnen die neuern Ereignisse einen gewissen Schwung gegeben. Doch vernünfteln sie mir zu viel. An den meisten bemerke ich einen Hang zur Spitzfindigkeit, zur Grübelei, einen Mangel an großem, gesundem Verstand. Sie sind mehr scharf als breit, möcht' ich sagen, mehr speciös als tief. Sie haben nicht genug Respect vor Gesetz und Regel. Sie möchten alles vor der Vernunft a priori zum Spruche bringen. Sie fühlen nicht, daß die Regel oft das Resultat lange angewandter Vernunft, und ebendeswegen viel wichtiger ist als im Durchschnitt, das Resultat der augenblicklichen Ansicht. Kurz, es steckt was Jakobinisches in ihnen, das viel, viel Unheil stiften würde, sollten es, was ich jedoch nicht hoffe, die Zeitumstände zur Entwicklung bringen.

Ueber den Fortgang der Negationen weiß ich nicht viel zu sagen. Die Angelegenheiten von Polen und Sachsen machen die Schwierigkeit. Man sagt, Rußland will nicht über jenen, und Preußen kann deswegen nicht über diesen Punkt nachgeben. – Doch soll man seit einigen Tagen über Polen sich sehr genähert haben, und morgen ist wieder eine große Sitzung, die vielleicht mehr bedeutende Punkte zur Entscheidung bringen wird.

Gut Glück zum neuen Jahre!

Dein Justus.


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