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Was aber der neuen Gemeinschaft die Krone aufsetzte, war, daß sich schon auf dem Schiffe zwischen John Grant und Heloise ein Verhältniß angesponnen hatte, das nach und nach eine zärtliche Natur annahm. Grant war ein stattlicher Mann von vierunddreißig Jahren, Heloise hatte das dreißigste Jahr überschritten, sie war eine ernste, reife Schönheit. Nicht ihr Herz hatte sie bisher vor einer Leidenschaft bewahrt, nur die Umstände. Grant war kein jugendlicher Mondscheinschwärmer nach deutscher Art, er war sogar schon Witwer. Seine Frau, eine Schottin, war im Kindbette gestorben, aber die Liebe, mit der er noch immer an ihr hing, nebst dem, was er von seinem Leben mit ihr erzählte, von seinen Sorgen und Aengsten bei der Geburt des der Mutter bald zur Ewigkeit gefolgten Sohnes, drang in Heloisens Herz. Die glücklichen Flitterwochen, welche das junge Ehepaar Baumgarten auf dem Schiffe feierte, die Zärtlichkeit desselben, das unendliche Glück, welches immer neu aus Agnesens Auge strahlte, das Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit, – denn die Schwester war ihr seit beinahe achtzehn Jahren fremd geworden, und von dem Schwager Karl hatte sie nur noch das Bild von Hengstenberg her, als sie ihn bekränzte – trugen viel dazu bei, sie weicher zu stimmen, als sonst ihre Art war.
Grant selbst schien über sein Gefühl noch nicht einig, es war erst ein Jahr vergangen, seitdem er die Jugendgeliebte ins Grab gelegt, und er war der Heimat entflohen, weil ihn die Erinnerung an das, was er verloren hatte, aller Energie beraubte. Er hatte eine vorteilhafte, ehrenvolle Stellung als Ingenieur einer großen Fabrik aufgegeben, um den Meister in seiner Kunst, der jetzt in Amerika Dampfschiffe baute, aufzusuchen. Er hielt sich zurück und es war auf dem Schiffe selbst zu Erklärungen nicht gekommen. Als nun aber der Zufall ihn gerade ins Innere rief an den Bestimmungsort Heloisens, als er Fulton, den er in Neuyork vermuthete, in Pittsburg suchen mußte, als er über acht Tage lang im engen Gefährte Heloisen gegenüber oder auch an ihrer Seite in das Land fuhr, und er hier im traulichen Verschluß des Wagens die ganze Liebenswürdigkeit Heloisens, die Trefflichkeit des jungen Ehepaars und des alten Herrn näher kennen lernte und aus dem Leben derselben die Grundzüge erfuhr, da ging sein Herz auf, und ehe man Pittsburg erreichte, hatte er der Deutschen seine Liebe gestanden und um ihre Hand angehalten.
So war Heloise schon als Verlobte Grant's in das Haus ihrer Schwester getreten. Als dieser nun das Etablissement angesehen, als er mit Fulton und Bollmann von deren Planen gesprochen, die Hohöfen untersucht, die Güte des Eisenerzes und des Eisens geprüft hatte, erbot er sich, ein Walzwerk und eine Kesselschmiede nach den Angaben Fulton's auf eigene Kosten zu bauen, wenn ihm die Gesellschaft das nöthige Roheisen auf hundert Jahre mit zehn Procent über die Herstellungskosten lassen wolle. So kam man überein, und während Karl nach der Congreßstadt zog, fing Grant zu bauen an. Hochzeit sollte zu Neujahr gehalten werden, wenn eine Wohnung für das Ehepaar ausgebaut sein würde, denn man war vorbereitet gewesen auf die Ankunft Georg's, seiner Gattin und seines Schwiegervaters, für Heloise hatte man Platz geschafft, aber der neue Ansiedler fand vorerst nur ein Unterkommen bei Bollmann, wo auch Fulton wohnte.
Karl Haus war nicht unzufrieden darüber, daß sich seine Abreise nach Washington über die Mitte November hinaus verzögerte, entging er doch so einer Abstimmung, bei der er sich von der Partei, die ihn gewählt hatte, den Föderalisten, hätte trennen müssen. Die Föderalisten nahmen nämlich für die Engländer und den englischen Gesandten Jackson Partei, während die Majorität des Congresses das Benehmen des Francis James Jackson als im hohen Grade beleidigend und schamlos verurtheilte und der Regierung die ganze Unterstützung der Nation zur Wahrung der Rechte, Ehre und Interessen der Vereinigten Staaten versprach.
Karl wußte zu gut, daß Jackson die Losreißungsplane, mit denen sich einige seiner Parteigenossen getragen, ins Leben gerufen hatte, und wollte seine politische Laufbahn nicht mit einer Abstimmung gegen seine Ueberzeugung beginnen. Dagegen konnte er auch den Republikanern des Südens nicht beistimmen, welche je eher je lieber mit England und Frankreich Krieg wollten. Es war auch bei diesen nicht reiner Patriotismus, wie sie vorgaben, sondern man hatte sich in England und Frankreich gegen die Sklaverei der Neger ausgesprochen, und traf damit die Achillesferse der Südstaaten.
Der Abgeordnete von Pittsburg war noch zu sehr Neuling in der praktischen Politik, sonst hätte er von vornherein den Versuch aufgegeben, zwischen den Parteien der Föderalisten und Republikaner vermitteln zu wollen; er machte sich nur von beiden Seiten Feinde und ward von den Blättern beider Parteien auf das härteste und schonungsloseste angegriffen.
Niemand war glücklicher über die Ankunft der Europäer als Olga, denn sie fühlte sich trotz der Liebe der Gattin, trotz des Mutterglücks, das sie genoß, in Amerika nicht heimisch, das Gesellschaftsleben stieß sie ab, machte sie unglücklich. Die Gewohnheit eines feinen Tons, wie er von Jugend auf in ihren Kreisen üblich gewesen, konnte die Roheit amerikanischer Sitten, wie sie namentlich im Westen vorherrschten, nicht verwinden. Diese Weise der Männer, selbst in Gesellschaft von Damen die Füße auf Oefen, Tische, Möbeln aller Art zu legen, dieses häßliche Tabackkauen und noch abscheulichere Spucken, dieses Fluchen und Spielen mit Redensarten, die mindestens gemein klangen, war ihr von Grund des Herzens ebenso zuwider wie das Frommthun. Sie ging darin manchmal zu weit. Sie hatte sich entsetzt, als einer der Hauptactionäre der Hüttengesellschaft, ein reicher Rentier in Pittsburg, in einer Damen- und Herrengesellschaft als Curiosität ein Instrument von Holz herumzeigte, das ihm durch einen hausirenden Deutschen aufgedrängt sei, und Olga ersuchte, den deutschen Vers, der auf dem Rücken dieses Instruments eingeätzt war, zu lesen und zu übersetzen, und doch war das etwas ganz Unschuldiges, ein Rückenkratzer, mit den Worten: »Wo's juckt, da kratze!« –
Sie hatte sich mit Mühe daran gewöhnen müssen, ihren Gatten rauchen zu sehen und den Duft einer Havana zu riechen, sie war aber nicht mehr zu bewegen, in dessen Privatzimmer neben dem Comptoir zu treten, wenn etwa dort einige Bekannte und Geschäftsleute ein Frühstück eingenommen und die Teppiche mit ihrem Kautabacksspeichel über alle maßen beschmuzt hatten.
Der Kohlenstaub, der durch die Fenster drang und ihre Möbeln, Bilder, Stoffe, Fußböden, selbst Wäsche, Kleider und Handschuhe, die man trug, beschmuzte, war ihr Todfeind, und trieb ein widriger Wind den Qualm der Hohöfen einmal ihrer Wohnung zu, so hätte sie vor Verdruß weinen mögen. Die feingebildete Frau, die niemals Fabrik- und Maschinenwesen in der Nähe gesehen hatte, die den Schmuz und die sauere Arbeit, mit denen sich die Menschen hier abquälen mußten, nicht kannte, die in Italien und selbst in Afrika verwöhnt war, konnte sich an das Getreibe in der Neuen Welt nicht gewöhnen. Erst als sie in ihrem Drawing-Room mit der lieben Schwester, mit Agnese, die sie bald so liebgewann wie eine Tochter, mit dem alten Herrn von Kitzow ihren Thee trinken und in der Muttersprache plaudern konnte, wurde es ihr einigermaßen erträglich.
Heloisens Hochzeit, bald darauf Taufe bei Georg Baumgarten, der Bau der Walzwerke und Kesselschmiede brachten in das Einerlei des häuslichen Lebens manche Abwechselung, dazu kamen noch die politischen Verhältnisse, die sich immer mehr zu einem Kriege gegen England neigten. Napoleon hatte unter vielen Freundschaftsversicherungen gegen Amerika die Decrete von Berlin und Mailand aufgehoben und die Hoffnung durchblicken lassen, Amerika werde sich mit ihm »gegen den Tyrannen der Meere« verbinden. Amerikanischerseits hatte man infolge dessen die Beschränkungen gegen Frankreichs Handel aufgehoben; England weigerte sich, diesem Beispiele zu folgen, obgleich dies früher zugesagt war, es fuhr fort, amerikanische Bürger von amerikanischen Schiffen als Matrosen zu pressen, unter dem Vorwande, sie seien Unterthanen Sr. königlich großbritannischen Majestät, es fuhr fort, Schiffe mit Ladungen im Werthe von Millionen für gute Prisen zu erklären, ohne daß sie Kriegscontrebande geführt hätten. Als Karl Haus zum zwölften Congreß nach Washington reiste, drang er in seine Gattin, ihn zu begleiten, er hoffte, daß die gute Gesellschaft der Capitolsstadt ihr mehr Geschmack am amerikanischen Leben bringen solle. Heloise sollte sie begleiten, ihr Mann hatte so voll zu thun, daß er sie nur beim Diner sah, und ihr Vater sollte haushalten.
Washington war zwar noch nicht zu der Stadt emporgeblüht, welche Bollmann vor zehn Jahren im prophetischen Geiste gesehen hatte, es hatte noch viel Dorfartiges und zählte kaum 20000 Einwohner. Das Sandterrain, das Karl auf Bollmann's Rath hatte kaufen sollen, lag noch immer so wüst, wie es zu jener Zeit gelegen hatte. Die prächtigen breiten Avenues waren ungepflastert, überall sah die unfertige Stadt heraus.
Haus hatte in der Pennsylvania Avenue eine Villa gemiethet, welche in einem schönen Garten lag, der freilich auf beiden Seiten noch von wüsten Baustellen begrenzt, selbst aber mit Lauben und Grotten, Blumen und Gewächsen aller Zonen geschmückt war. Man wohnte hier in der That zum ersten mal nach dem Geschmacke Olga's, die Stadt war nach der Westseite geräuschlos, die Avenue sehr breit, die Einsamkeit und Stille vollständig. Der Park des Capitols lag unfern, auch der Park des Weißen Hauses mit seiner prächtigen Aussicht auf den Potomac war durch eine Nebenstraße schnell zu erreichen. Schon das war für Olga eine Wohlthat, fern von jedem Fabriklärm, Fabrikstaub und Kohlendunst zu sein, so oft es die Witterung erlaubte mit ihrem Justus Victor sich im Garten herumtummeln zu können. Auch war die Gesellschaft doch eine gänzlich andere und bessere im aristokratischen Sinne, als die in Pittsburg. Zwar fehlte viel von den Formen und Gebräuchen der Höfe und Hofleute, wie sie Olga in Hannover und Neapel kennen gelernt hatte. Jefferson war von dem Grundsatze ausgegangen, daß eine Republik der Ceremonien und Förmlichkeiten nicht bedürfe. Hatten Washington und Adams noch gewisse Empfangstage gehabt, an welchen allein Aufwartungen angenommen wurden, so hatte Jefferson diese ganz abgeschafft, er empfing jedermann zu jeder Tageszeit, wenn er nicht durch Geschäfte abgehalten war, und nur für das Drawing-Room im Weißen Hause, bei den Ministern und sonstigen Beamten gab es bestimmte Empfangsabende, zu denen Einladungen überhaupt nicht erfolgten, die aber doch nur von guter Gesellschaft besucht wurden.
Der Präsident James Madison war acht Jahre Minister der auswärtigen Angelegenheiten gewesen, er hatte als Gesandter an den Höfen von Lissabon, Madrid, Paris, London viele Jahre gelebt, seine Frau war eine feingebildete Dame. Auch sämmtliche Damen in den verschiedenen Ministerhotels und andern höhern Beamtenwohnungen hatten alle Formen der englischen Aristokratie und alle Moden aus Paris sich angeeignet.
Neuyorker Dandy-Beaus und Fashionables, wie sie vor dem letzten Kriege im Norden, Westen und Süden zu Dutzenden herumliefen, gab es damals noch nicht, die Männer, die jungen wie die alten, mußten sämmtlich arbeiten, die Respectabilitäten der Bundesstadt waren Staatsmänner, Staatsbeamte, Senatoren, Congreßmitglieder, und wenn auch unter den letztern zwei Drittel nach europäischen Begriffen nichts weniger als aristokratisch waren, so hatten doch alle Damen, auch die der rohesten Kongreßmitglieder, welche von ihren Gatten zu der Kongreßstadt mitgenommen waren, das Air des Fashionablen. Aber die Lowedes, die Cheves, Williams und Cathourn, die Abgeordneten Carolinas und viele andere Congreßmitglieder gehörten den stolzesten Aristokratenfamilien an, und trugen nicht nur den Schein. Olga lebte hier wieder auf, sie war zärtlich wie nie gegen die Sissy, wie sie die Schwester liebkosend nannte, respect- und liebevoll gegen den Repräsentanten von Pittsburg, weniger launisch gegen Florine, die Kammerjungfer, zuvorkommend gegen Joe, die schwarze Aufseherin über den Knaben.
Daß die beiden deutschen Gräfinnen von den Mistresses und Misses, den Gemahlinnen des Präsidenten, der Minister, Generale, Senatoren, so oder anders betitelter Congreßmitglieder – denn betitelt waren sie alle – auf jede Weise hervorgezogen wurden, lag im amerikanischen Charakter, und je mehr altenglisches aristokratisches Blut die Damen selbst in den Adern zu haben glaubten, um so mehr steigerten sie ihre Artigkeit. Heloise sehnte sich zwar aus diesen Gesellschaften nach ihrem Gatten, sie war, seitdem sie in Oskar Baumgarten ihren Vater entdeckt hatte, gänzlich demokratisirt, und das Zusammensein mit dem Stiefbruder und den liebenswürdigen, anspruchslosen Kitzows hatte sie gegen die gesellschaftlichen Formen der vornehmen Welt, in denen sie erzogen war, vollkommen gleichgültig gemacht, dagegen ihren Blick für das rein Menschliche geschärft. Desto mehr gefiel sich aber Olga in diesen Kreisen, und dieselben hätten sie mit dem amerikanischen Leben versöhnen können, wäre nicht die republikanische Art der Congreßverhandlungen so ohne alle Formen, so wahrhaft waldursprünglich roh und brutal gewesen. Während sie das erste mal einer Congreßsitzung beiwohnte, wäre sie beinahe in Ohnmacht gefallen, als der Virginier John Randolph von Roanocke gegen die auf Krieg mit England dringende Partei losdonnerte, Napoleon den neuen Attila, die Gottesgeisel nannte und die Amerikaner abmahnte von dem Wege, die Genossen der Bestrebungen aller aufgehäuften Schandthaten und Diebereien dieses Räuberhauptmanns zu werden, und wie er insbesondere mit gleich derben Worten über den eingewanderten Deutschen, ihren Gatten, herfiel, der hier Krieg gegen die, deren Blut in echt amerikanischen Adern rinne, mit denen man Shakspeare, Newton, Chatham gemeinsam verehre, provocire. Das sei kein Patriotismus, der Mann wolle nur englische Nägel und Eisenfabrikate, welche die Engländer wohlfeiler und besser lieferten, als er selbst es könne, vom amerikanischen Markte zurückhalten. Das seien nur Leute fleckenvollen Rufes, Leute, die ihr Vermögen verloren, wenn sie überhaupt jemals solches gehabt, Leute abgehausten Geistes und Körpers, die Geschäfte, Verdienst, Anstellungen suchten, die jetzt nach Krieg schrien. Nur ein Wahnsinniger möge eine solche junge, schwache, vollkommen unvorbereitete Republik, der es an jedem Verbündeten fehle, zum Kriege mit dem mächtigen Mutterstaate treiben. Die Freiheit der Meere werde durch solchen Krieg nie erobert werden, die Sache sei nur die, daß die Gottesgeisel Napoleon auch die Meere unterjochen wolle, wie das bereits mit Europa geschehen sei.
Und Randolph galt noch für einen der geistreichsten Redner des Congresses, bei andern überwog ein bloßes Schimpfen und Verdächtigen der Gegenpartei. Olga war nie wieder zu bewegen, einer Sitzung des Congresses beizuwohnen. Sie fing an, sich unheimlich in den Gesellschaften beim Präsidenten und den Ministern zu fühlen, in denen alle die Elemente vertreten waren, die sich im Congreß an die Köpfe fuhren, sodaß man fürchten mußte, es würde hier sogar von Worten zu Tätlichkeiten kommen.
Karl Haus hatte am 3. Juni 1812 für die Kriegserklärung gestimmt, gegen welche merkwürdigerweise gerade die Deputirten jener Staaten stimmten, die das meiste Interesse hatten, daß der Handel Amerikas von den unwürdigen Fesseln der Meeresherrschaft Englands frei werde, die Neuengland-Staaten, und nur wenige Congreßmitglieder von der Partei der Föderalisten wagten, sich so offen für den Krieg auszusprechen, wie unser Freund es that. Selbst Josiah Quincy stimmte nur für Vermehrung der Marine im Interesse des Handels und der langen Seeküsten der Neuengland-Staaten.
Der Krieg hatte mit Unglück begonnen, die Unfähigkeit General Hull's und seiner Nachfolger hatte es bald dahin gebracht, daß die Amerikaner, statt Canada im Fluge zu erobern, zurückgeworfen wurden und ihre eigenen Grenzen nicht mehr schützen konnten. Dazu kam nun noch, daß unter Führung des tapfern und umsichtigen Schaweih-Häuptlings Tecumthih eine allgemeine Erhebung der Indianer diesseit und jenseit des Mississippi gegen die »weißen Landräuber«, nicht ohne englische Aufhetzung und Beihülfe, losbrach, und die westlichen Gauen bis über den Ohio hinüber mörderischen Einfällen und Raubzügen ausgesetzt waren. Der Krieg erforderte Opfer und Anstrengungen, im Süden und Westen brachte man diese gern – kampfgeübte Hinterwäldler, kühne Jäger, Congreßmitglieder, Senatoren, Repräsentanten stellten sich als Landwehr unter das Commando des Generals William Henry Harrison aus Ohio, um die nordwestlichen Grenzen zu vertheidigen, während man in Neuyork, Neujersey, selbst in Philadelphia und Pittsburg gegen den Krieg eiferte. Niemand in Pittsburg war aber eifriger thätig in dieser Richtung als der Gatte Eleonorens, der Prediger Schmidt. Karl Haus hatte den Mann nie leiden mögen, und als derselbe jüngst zu ihm gekommen war, zur Erbauung einer neuen Kirche nicht eine freiwillige Gabe, sondern eine ziemlich hohe Summe zu fordern, wie sie ein so begüterter Mann nach der Meinung des Predigers leisten könne und zur Ehre Gottes leisten müsse, hatte ihn dieser mit einer geringen Gabe und einigen ernsten Worten entlassen.
Seitdem hatte der Prediger einen bittern Haß gegen unsern Freund gefaßt, den er außerdem wegen seines Reichthums beneidete. Auch Eleonore fühlte sich gereizt, ohne Grund von Olga seit Heloisens Ankunft zurückgesetzt zu sein. Sie war bis dahin wöchentlich zweimal zu derselben geladen worden, um mit ihr und dem Gemahl einen Robber Whist oder Boston zu spielen, Olga liebte das Spiel. Seitdem aber Kitzow, Agnese und Georg Baumgarten in Karlhouse, so hatte man den Wohnsitz genannt, wohnten, war der Robber vollständig, Karl, Grant und Heloise sahen höchstens einige Zeit dem Spiele zu, eine weitere Person wäre störend gewesen. Bei Fêten fehlte bisher Eleonore nie, nur jüngst bei Gelegenheit eines Diners zur Nachfeier der Hochzeit Heloisens waren der Prediger und seine Gemahlin nicht eingeladen, weil auf den Wunsch Grant's ein englischer Prediger die Ceremonie verrichtet hatte. Das war zu viel für ein fromm-christliches Gemüth wie das Schmidts, Karl's Mockturtle soup, Aalpastete und Austern, Forellen und das Getränk dazu waren weit und breit berühmt, und der fromme Diener des göttlichen Worts war ein Mann von großem Verständniß für solche Dinge. Jetzt aber war die Zeit der Rache gekommen. Schmidt misbrauchte die Kanzel, um gegen den Krieg und gegen das Congreßmitglied für Pittsburg, das für den Krieg gestimmt hatte, zu predigen. Da hieß es: »Die Vorliebe eines Theils unserer Bevölkerung für die französischen Dämonen, der Haß gegen die Engländer, eine Nation, die mehr Religion und Tugend besitzt als irgendeine andere auf Erden, ist die größte Schmach für unser christliches Gemeindewesen. Diese Erscheinung, die unser Herz mit Sorge und Kummer erfüllt, erklärt sich aber einfach daher, daß das Volk leichtsinnig genug ist, Leute von zweifelhafter Herkunft, Gesinnungsgenossen der französischen Deisten, Menschen harten Herzens, verstockten Gemüths, verworfener Seele, Abenteurer voll Schlechtigkeit, die sich als treue Föderalisten in sein Vertrauen einzuschmeicheln wußten, zu ihren Vertretern im Congreß zu wählen. Ja, geliebte Brüder in Christo, es kann euch nicht wundernehmen, wenn der verfluchte Krieg gegen das christliche Mutterland zum Vortheile der französischen Papisten und Gottesleugner von Unglück zu Unglück und unsere glorreiche Nation an den Rand des Verderbens führt, wenn ein Verräther wie der frühere Herausgeber der föderalistischen ›Oeffentlichen Meinung‹ für Madison und seine Schandgenossen stimmt. Es ist die gerechte Strafe des Himmels, die uns trifft, und ich sage euch, es wird kein Heil kommen, bis das gloriose Volk der Vereinigten Staaten gleich einem gestärkten Riesen sich von seinem Schlafe erhebt, über die ganze Teufelsbrut herfällt und die ganze Rotte Korah dem Untergange preisgibt.«
Und solche Predigten gingen dann in die öffentlichen Blätter über, wurden als Flugblätter verkauft. Die glühendsten Feinde des Kriegs veranstalteten ein Meeting, welches bestimmt war, in einer Resolution dem Director der pittsburger Kohlen- und Hüttenwerke ein Mistrauensvotum zu geben. Die Freunde desselben sagten ein Gegenmeeting an, um die Resolution zu fassen: daß der Krieg gegen England nothwendig sei und durch das Gefühl der Unabhängigkeit und Ehre bedingt werde.
Beide Volksversammlungen sollten an einem Tage, und da es damals in Pittsburg öffentliche Locale, in welchen eine solche Versammlung Platz gehabt hätte, nicht gab, im Freien auf öffentlichen Plätzen gehalten werden. Die Freunde des pittsburger Repräsentanten waren lässig, sie bestanden aus der Mehrzahl der Gebildeten, die selbst sehen und urtheilen, und verließen sich auf die in ihren Kreisen über die öffentlichen Angelegenheiten dem Kriege günstige Meinung.
Sie hatten ihre Versammlung auf einem Platze in der Stadt vor dem Hause des Alderman, eines bei der Hütte stark betheiligten Actionärs, berufen, und um eine Stunde früher als die Gegner die ihrige. Sie waren ihrer Sache so sicher, daß sie die einfachsten Maßnahmen unterlassen hatten. Zwar hatten ellenlange Plakate an allen Ecken Zweck und Zeit des Meetings angekündigt, allein man hatte nicht einmal eine Musikbande geworben, man hatte nicht daran gedacht, den in den Haus'schen Etablissements beschäftigten dreihundert Eisenarbeitern und andern hundert Zimmerleuten und Maurern, die bei dem Baue der Walzwerke Grant's beschäftigt waren, zwei Stunden Feierabend zu geben. Sie waren so sicher, daß es ein glorioses Meeting zu Ehren ihres Parteigenossen und zur Unterstützung der Kriegspartei abgeben werde, daß der Alderman die Damen des Congreßmitgliedes in sein Haus geladen hatte, um Zeugen zu sein, wie die frei-selbstherrschenden Republikaner sich selbst regierten. Olga hatte keine Neigung, dem öffentlichen Skandal, wie sie es nannte, zuzusehen, aber Heloise und Agnese drängten, und so fuhr man schon zwei Stunden vor Anfang der Gesellschaft zum Alderman, dessen Säle von den Damen der vornehmen Welt schon voll waren.
Unfern des Hauses hatte man eine große Tribüne erbaut, welche mit rothem Tuche überzogen war, und auf der besondere Plätze für das aus zwölf Personen bestehende Comité, welches die Versammlung berufen, ein Tisch und Stühle vorhanden waren. Eine kleine Erhöhung nach vorn war für den Redner bestimmt. Ueber der Tribüne flatterte das Banner der Union, am Fuße derselben standen vier Trommler, die von Zeit zu Zeit ihre Kunst auf hirnerschütternde Weise vernehmen ließen. Der künftige Rathhaus und Marktplatz vor dem Hause war noch unbepflastert und, da es kurz vorher stark geregnet hatte, nicht sonderlich trocken, auch befanden sich an den acht Seiten desselben (es sollte ein Platz mit sechzehn Ecken und acht Straßen werden) verschiedene Kalkgruben, Sandberge, Lehmlöcher, da man an allen Ecken und Orten baute.
Die Zeit zur Versammlung kam, aber es stellten sich auf dem ziemlich großen Platze nur einige hundert Menschen ein; man hatte auf Tausende gerechnet.
Dagegen agitirte die englische Partei schlauer, sie hatte einen Platz nördlich der Stadt kurz oberhalb des Zusammenflusses der Alleghany mit dem Monongahela, wo Schiffswerften und Landungsplätze in der Nähe waren und sich alles müssige Volk herumzutreiben pflegte, etwa da, wo jetzt der große Central-Eisenbahnhof ist, auserwählt, drei Musikcorps geworben, die in den verschiedenen untern Stadttheilen beständig herumzogen, eine große Fahne voran, worauf die Worte standen: »Nieder mit der Rotte Korah, nieder mit dem Verräther Haus, nieder mit den Ausländern!« Seit mehrern Stunden hatte die Musik die Bewohner der Unterstadt in Aufruhr gebracht, und dort waren um die Schenken und Wirthshäuser zu der Zeit, als das Meeting beginnen sollte, schon ebenso viele Tausende versammelt als auf dem Rathhauplatze Hunderte. Brandy und Whisky flossen in Strömen, und die Tabackssauce ergoß sich aus dem Gedränge wie ein Platzregen. Und zwischen dieser zerlumpten Menge schlich Prediger Schmidt mit bald niedergeschlagenen, bald zum Himmel erhobenen Augen herum und hetzte den Mob zur Ehre Gottes gegen den Gottesleugner, Vaterlandsverräther und an Napoleon verkauften deutschen Glücksritter.
Die Trommler vor der Tribüne des Kriegscomité konnten keine weitern Theilnehmer herbeiwirbeln, die Zeit zur Eröffnung des hohen Meeting war schon vorüber, die Comitémitglieder standen auf der Tribüne, nur eins derselben fehlte noch, Grant. Man hatte ihn vergeblich von Viertelstunde zu Viertelstunde erwartet, es war Zeit, anzufangen.
Der Alderman, der auf dem Präsidentenstuhle saß, bestieg den für den Redner bestimmten Platz, zeigte den Zweck der Zusammenkunft an und bat die ruhmwürdige Versammlung freier amerikanischer Bürger, seinem Freunde, dem Congreßmitgliede für Pittsburg, freundliches Gehör zu schenken.
Dieser bestieg nun die Stufe.
Karl hatte eine klare, metallreiche, durchdringende Stimme, sprach er auch sein Englisch mit einiger deutschen Härte, so hatte ihn doch die Teilnahme an den Congreßverhandlungen mit den Lieblingsphrasen der Nordamerikaner bekannt gemacht, und als er von dem Ruhm unserer Väter zu sprechen begann, welche die glorreiche Union gegründet und das Sternenbanner über sie ausgebreitet hatten, wie der liebe Gott die Sterne am Himmel über die Erde, als es dann still in der Versammlung wurde, und er sich von achtsamern Zuhörern umgeben sah, als sie sonst üblich sind, fuhr er mit erhobener Stimme fort. Aber was war das? Waren Indianer über den Monongahela herübergekommen? Mit wildem Geheul, mit einer Musik dazwischen, die das Ohr eines Janitscharen zerrissen hätte, stürmten aus allen den vielen theils bebauten, theils unbebauten Straßen, die in den Platz mündeten, wüste Scharen herbei. Voran ging die Musik, dann zerlumpte Straßenjungen mit Handwagen, auf denen Fässer, Kisten und Körbe befindlich waren, hinterdrein die Haufen des edeln Pöbels. Das hochansehnliche Bürgermeeting sah sich bald von allen Seiten eingeschlossen, es drängte sich mehr und mehr um die Tribüne und zwischen diese und das Haus des Alderman zusammen.
»Hurrah für England!« scholl es von allen Seiten, »Nieder mit den Franzosenfreunden! Nieder mit den Ausländern! Nieder mit den Deutschen.«
»Hurrah für Madison! Hurrah für Monroe! Hurrah für Pinckney!« rief das Comité von der Tribüne, und ein Theil des Meetings stimmte ein, ein anderer drängte sich zwischen die Tribüne und die Aldermanswohnung. In demselben Augenblicke sah man aber auch, was der Inhalt der Fässer, Körbe, Kisten war, die auf den Handwagen herbeigeschafft wurden; Hunderte fauler Orangen und Citronen flogen auf einmal auf das Comité, das in Zeit einer halben Minute von seiner Tribüne förmlich herabbombardirt war. Der Alderman hatte ein faules Gewächs ins Auge geworfen bekommen, sodaß er nichts mehr sah, kein Comitémitglied war ohne Bewurf davongekommen. Aber nicht nur dies, eine Menge Orangen waren auch gegen die mit einigen funfzig wohlfrisirten Köpfen besetzten Fenster geworfen und die Köpfe waren verschwunden, die Fenster zersplittert. Indeß es sollte noch schlimmer kommen. Kaum war die Tribüne von dem Kriegscomité gesäubert, als ein wildaussehender riesiger Gesell, eine weiße Fahne in der Hand schwingend, auf die Tribüne stieg und mit Donnerstimme schrie: »Friedensmeeting! Präsident auf die Tribüne!« »Ein Präsident! Ein Präsident!« brüllten Hunderte nach. »Wählt Master Schmidt!« schrie man aus der Menge, und kurz darauf hob ein halbes Dutzend kräftiger Fäuste den Mann des Friedens auf die Tribüne. Schmidt war sehr blaß, dieser Ausgang hatte ihn überrascht, er zitterte am ganzen Körper und wußte kein Wort herauszubringen. Das wurde ihm auch erspart, denn in diesem Augenblicke kamen Dutzende zerlumpter Iren mit Schubkarren herbei.
Um die nächsten Ereignisse zu verstehen, müssen wir einen Rückblick machen. Bollmann's Project einer Dampfmühle war durch den Umstand veranlaßt, daß er unfern der Stadt ein reiches Lager von Kohlen entdeckt hatte, welches nur wenige Fuß unter der Erde lag. Er hatte das Terrain für wenig Geld erworben, um auf einem rings von Kohlen umgebenen Raume seine Dampfmühle zu bauen. Das war der ursprüngliche Kern seiner neuen Gesellschaft, der sich nach seiner weitgreifenden Weise dann in die großartigen Plane erstreckte, von denen wir oben gesprochen. Bollmann hatte von Anfang an vorhergesagt, daß sich auch auf dem Gebiete, das er für seinen Freund erworben, Kohlen finden müßten. Bisher hatte man nicht darauf geachtet, da man der Holzkohlen genug hatte, aber schon als das Gebläsewerk eingerichtet wurde, und noch mehr jetzt, da Grant zwölf neue Puddelöfen gebaut hatte, war Steinkohle ein Bedürfniß geworden, auch war man so glücklich gewesen, ein reiches Kohlenbecken mit Anthracitkohle im eigenen Gebiete zu entdecken; allein die Kohlen wollten nicht brennen. Der Ingenieur hatte verschiedene Versuche gemacht, er hatte an den Rosten, an der Construction der Schornsteine ändern lassen, die Kohle ließ sich nicht in Brand bringen. Am Tage des Meetings war ihm der erste Versuch mit einem neuen Puddelofen gelungen, die Kohle brannte über alle maßen prächtig. Dieses Ereigniß war ihm wichtiger als das Meeting, und er war zu Bollmann geeilt, um ihm dasselbe mitzutheilen, und hatte Heloisen gesagt, er würde sie von Aldermanhouse abholen.
Bollmann war schon zum Meeting, Grant's Weg zu diesem führte durch einen Theil der untern Stadt, wo das ungeheuere Getreibe der Gegenpartei seine Aufmerksamkeit fesselte. Grant hatte in England vielen Meetings beigewohnt, allein das amerikanische Treiben bei solcher Gelegenheit war ihm unbekannt. So viel aber wußte er, daß in Pittsburg weder Constabler oder etwas der Polizei Aehnliches, noch Miliz vorhanden war, welche den Roheiten des Mob Schranken setzen könnte. Als er an den Platz kam, auf dessen anderer Seite das Meeting abgehalten werden sollte, sah er vor einem großen Lehmhaufen, der zum Neubau eines Hauses gebraucht werden sollte, ein halbes Dutzend Iren und ein Dutzend Straßenjungen stehen, welche den Lehm mit Sand vermischten und Kugeln wie Schneebälle daraus machten, um solche in die zum Bau gebrauchten Karren zu schichten, nachdem sie, wie Klöße in Mehl, in trockenem Sande herumgerollt waren.
»Nun, Boys«, redete Grant die Iren an und warf ihnen ein Silberstück zu, »wollt ihr Klöße kochen, dann müßt ihr wol auch einen Trunk dazu haben?«
Die Iren sagten grinsend ihren Dank, ein recht Versoffener unter ihnen aber nahm einen der Lehmklöße und machte, gegen das Haus des Alderman zeigend, die Pantomime des Werfens.
Jetzt ging Grant ein Licht auf und er übersah sofort die Gefahr, in welcher seine Frau, Schwägerin, Schwager und alle die Freunde schwebten. Er schlug rechts den nächsten Weg zu der Hütte ein, um Hülfe zu schaffen, mehr laufend als gehend.
Die Iren mit ihren Schubkarren voll Lehmklöße waren es, die in dem Augenblicke, da Schmidt reden sollte, mit Hurrah empfangen wurden: ein zweites Hurrah und funfzig Lehmklöße waren durch die Scheiben der Fenster in die Wohnräume eingedrungen, waren klatschig auf Tischen, Stühlen, Sofas niedergefallen, hatten Spiegel und Uhren, Kaffeetöpfe und Tassen, Kupferstiche und Gemälde zertrümmert und beschmuzt, die feinen Toiletten der Damen, die sich schon in den Hintergrund der Stube gedrängt hatten, besudelt, Verwüstungen aller Art angerichtet. Auch Steine waren in die Zimmer geflogen, und man konnte in denselben ohne Gefahr nicht mehr weilen. Die Verwirrung und Angst, das Geschrei der Frauen und Misses war arg, die einen rannten heulend und schreiend die Treppen hinauf, sich auf den Böden zu verstecken, die andern die Treppen hinunter, um im Keller, im Garten, in den Hintergebäuden Schutz zu suchen; dazu kam die Dienerschaft, Schwarze und Weiße, verwirrt, kopflos durcheinanderrennend, nach diesen und jenen schreiend. Cato, der eine Art Portieramt bekleidete, hatte das Haus verriegelt, sodaß draußen der Hausherr und seine Freunde vergeblich pochten und Einlaß begehrten, denn Cato war in den entferntesten Winkel des Kellers gekrochen.
Nur eine Dame war muthig im Zimmer geblieben, Heloise. Sie hatte sich in eine Ecke gestellt, aus der sie nach der Frontseite der Fenster sehen konnte und zugleich nach der Gartenseite und dem Hüttenetablissement, das in der Entfernung einer Viertelstunde auf einer Anhöhe lag. Heloise war um ihren Mann besorgt, den sie auf der Tribüne und unter den Comitémitgliedern schon vermißt hatte, sie fürchtete, daß derselbe von der immer wüthender tobenden Rotte allein umringt und gemishandelt werden könne. Sie sah, wie sich unten immer mehr der Kampf entwickelte. Die Kriegspartei, Honoratioren, ehrsame Bürger, Kauf- und Handelsleute, waren im Anfange, durch den unvermutheten Ueberfall verblüfft, zurückgewichen. Aber ein Amerikaner läßt sich niemals geduldig prügeln. Die Wohnung des Alderman hatte ihren Eingang von der Seite; sie war von dem Nebenhause durch einen Gang und Garten dahinter getrennt. In diesen Gang hatte sich die unbewaffnete Menge nach und nach zurückgezogen, aber nicht in feiger Flucht, sondern nach allerlei Geräth als Waffen suchend und, nach Vorgang des Präsidenten und des Comité, diese jetzt aus den Gärten nehmend, wo und wie sie solche fanden. Vor dem Wohngebäude, dem Gange und Nebenhause waren wol zwanzig Stück Wagen der verschiedensten Art aufgefahren, welche die Damen hergebracht hatten und dieselben wieder nach Hause fahren sollten. Die Pferde waren in den Stallungen der Hintergebäude des Alderman und seines befreundeten Nachbars untergebracht. Als die Menge sich nun in den Gang zurückgezogen hatte, fingen einige an, die Wagen zu einer Barrikade vor dem Gange zusammenzuschieben. Es hatte dies unvermerkt geschehen können, weil vor dem Hause ein neues Schauspiel den Mob mit Wonne erfüllte und ihn von seinem eigentlichen Zwecke auf kurze Zeit abführte. Der lange Kerl mit der Friedensfahne, der zuerst die Tribüne erobert hatte, war ein Concurrent der Iren beim Lasttragen an der Werft, ein Nebenbuhler in den Whiskyhäusern, ein Mann, der mit den Iren schon mancherlei Streit gehabt hatte. Dieser Lange hatte den sehr ehrwürdigen Schmidt jetzt bei dem Rockkragen gefaßt, um ihn auf den Rednertritt heraufzuziehen. Schmidt, welcher fühlte, daß hier sein Ort nicht sei, und vor den Folgen der Dinge, die er selbst eingeleitet, zu erschrecken anfing, spielte eine klägliche Figur, indem er sich den Fäusten des Langen zu entziehen suchte.
Der rothnäsige Ire sagte, als er sich bückte, um in jede Hand einen neuen Lehmkloß zu nehmen, zu seinem Genossen, der das Gleiche that: »Dick, den Langen.« – »Nein, den protestantischen Pastor«, erwiderte dieser, und in demselben Augenblicke hatte Schmidt einen der Lehmklöße, und zwar einen zarten und weichbreiigen, im geöffneten Munde, und der Lange einen solchen auf der Stirn sitzen, der ihm zugleich den schäbigen Hut vom Kopfe warf. Während der Lange den Pastor fahren ließ und sich an den Kopf griff, suchte der Pastor mit der Hand den Mund zu reinigen, hustete und pustete. Die Menge hatte kaum Hurrah gebrüllt, als beide, die mit den Händen nach dem Gesichte gefahren waren, schon mit dem zweiten Kloße bedacht wurden, welcher die weiße Halskrause des Predigers mit ihrem gelben Schmuz überzog, den Langen am Kinn traf.
Das Ding machte dem Mob Spaß, und kaum hatten die Straßenbuben, welche beim »Schneeballen«, wie sie es nannten, die eifrigsten waren, das gesehen, als sie sämmtlich den Prediger und den Langen einzuseifen begannen, und da die Lehmklöße zu Ende waren, Straßenkoth zu Hülfe nahmen, während die Menge schrie: »Seift sie ein! Salbt sie!«
Der Pastor retirirte, arg zugerichtet, unter die Tribüne, der Lange schrie, wie wenn er am Spieße steckte, zwischen den Wagen hindurch. Da drängte sich eine bewaffnete Schar Kriegsmeetingsmänner heran und versuchte den Platz vor und unter der Tribüne von den Eindringlingen zu säubern. Es kam zu einem hitzigen Kampfe, in welchem die schwächere Kriegspartei unzweifelhaft unterlegen wäre, wenn nicht im rechten Augenblicke Grant gekommen wäre, zweihundert Feuerarbeiter, mit eisernen Stangen, zum Theil noch heiß, mit Knitteln und andern Instrumenten bewaffnet, und gegen hundert Zimmerleute, Maurer, Tischler hinter sich. Jetzt nahm die Friedenspartei die Flucht. Schmidt wurde später unter der Tribüne hervorgezogen, von der jubelnden Menge unter eine Pumpe gebracht und hier von Lehm und Koth gereinigt.
Diese Scene hatte in Olga einen ungeheuern Widerwillen gegen amerikanisches Leben und amerikanische Selbstregierung erzeugt, sie fühlte sich unheimlich und unglücklich in Amerika, sie ging ihren Gemahl mit Bitten und Thränen an, dieses Land, mindestens Pittsburg zu verlassen, und erwirkte, daß Karl, den der Congreß im December wieder nach Washington rief, dort seinen bleibenden Wohnsitz nahm und die Directorialgeschäfte des Hüttenwerks niederlegte. Noch in anderer Beziehung war die Sache von Einfluß auf das Schicksal unserer Freunde.
Die Besiegten flohen nach der Unterstadt, wo sie sich auf dem ursprünglich zu dem eigenen Meeting bestimmten Platze noch einmal zu versammeln versuchten. Aber es fehlte der rechte Geist, es fehlten die rechten Treiber, es fehlte ein großer Theil des an der Spitze stehenden Comité, dagegen hatten neue noch mehr unsaubere Elemente eine Art Führerschaft gewonnen. Genug, es wurde der Vorschlag gemacht, nach dem neuen Dampfmühlenetablissement von Bollmann zu ziehen, das dem Publikum jedenfalls schaden, das ihnen Sand statt Mehl liefern werde. So schwer es nun auch zu begreifen sein mag, wie man so offenbaren Unsinn der Menge plausibel zu machen wußte, es geschah; der Mob zog zu den Dampfmühlen und verwüstete die eben aufgestellten Maschinen.
Bollmann verlor dadurch einen großen Theil seines Vermögens, was aber ebenso schlimm war, er verlor die Lust an diesem Unternehmen, und da der Tod seiner Frau infolge einer acuten Krankheit gleichzeitig eintrat, so vertraute er seine beiden Kinder, Mädchen von fünf und sieben Jahren, seinem Freunde an, um in Amerika Agenturen aller Art für Europa zu suchen. Mit politischem Scharfblick begabt, hatte er schon vor dem Winter 1811 vorhergesagt, daß der Anfang vom Ende der Napoleonischen Herrschaft gekommen sei. Den Krieg mit England fürchtete er gleichfalls nicht, der werde bald beendet sein, denn er hielt die Amerikaner für unfähig, sich längere Zeit gegen die Uebermacht des Mutterlandes zu stemmen, und er hielt namentlich die von der republikanischen Partei absichtlich zurückgehaltene Entwickelung der Marine für so unheilvoll, daß er den Verlust der ganzen Marine vorhersagte, wenn sie sich aus den amerikanischen Häfen überall herauswage.
Hierin nun hatte sich Bollmann gründlich geirrt, und während sich namentlich bei der Nordarmee ein Führer so untüchtig zeigte wie der andere, und bis Mitte des Jahres 1813 es den Anschein hatte, als wenn man in Washington Unbedeutendheit und Unfähigkeit, Schwäche und Alter als erste Bedingung für einen General betrachte, weil man Größe und Energie der nächsten Wahl wegen fürchtete, bewährten sich die Seeleute als bessere Segler und bessere Schützen als die Engländer. Die Constitution nahm die englische Fregatte Guerriere, bald darauf einen mächtig gerüsteten Ostindienfahrer Java, unser Freund Stephan Decatur, jetzt Commandant der Fregatte United Staates, enterte und nahm die Fregatte Macedonien von 49 Kanonen.
Karl Haus war eben nach Washington übergesiedelt, als die Nachricht von dem Siege bei Leipzig dort eintraf und fast gleichzeitig durch Bollmann aus Hoya Privatnachricht über den Brand des Schlosses in Heustedt und den Tod der Mutter seiner Frau, die dieser verheimlicht werden mußte, da sie gleichzeitig eine Tochter geboren hatte.
Einige Wochen waren vergangen; Olga empfing schon wieder Besuche, da brachte ein Blatt aus Philadelphia eine detaillirte Erzählung der Ereignisse, die sich Mitte October in Heustedt zugetragen hatten und auf die wir in einem spätern Kapitel ausführlich zurückkommen, mit Notizen über das Privatleben der Gräfin Melusine, Anspielungen auf Olga und Heloise, die kaum eine andere Quelle haben konnten als Eleonore, denn nur diese konnte einen so genauen Einblick in die Verhältnisse der Familien haben.
So war es. Pastor Schmidt hatte es vorgezogen, sich nach seiner Niederlage bei dem Meeting aus Pittsburg nach Philadelphia zurückzuziehen, war dort im Lager der Demokraten günstig aufgenommen, hatte die Bekanntschaft der Virginierin Kleopatra gemacht und mit dieser zusammen Racheplane gegen Karl Haus und seine Gemahlin geschmiedet. Ein Brief aus Hoya an Friedrich Bollmann, welcher die Erstürmung des neuen Schlosses in Heustedt und den Tod der Gräfin im chinesischen Pavillon ausführlich erzählte, war in Gegenwart Eleonores, von der man wußte, daß sie längere Jahre dort gelebt, vorgelesen, und diese knüpfte daran unvorsichtige Mitteilungen über das, was sie von dem Leben der Mutter Olga's wußte und nicht wußte, über die Scheinheirath derselben mit dem Grafen Schlottheim, das Wiederzusammentreffen mit ihrem Geliebten in Bajä und Neapel.
Ehrwürden Schmidt benutzte Brief und Erzählung, um daraus einen Artikel in amerikanischem Stil gegen die beiden Gräfinnen in Pittsburg, so war der Artikel überschrieben, zurechtzumachen.
Der Artikel fiel Olga in die Hände und verwundete ihren innern Stolz auf das tiefste; sie drang mit aller Entschiedenheit auf Rückkehr nach Europa und fand bei Karl nur schwachen Widerstand. Die Ordnung des mütterlichen Nachlasses hätte doch verlangt, daß Karl mit ihrer Vollmacht hinübergereist wäre. Allein der englisch-amerikanische Krieg stand einer Abreise nach Europa im Wege. Der Sturz Napoleon's und seine Verbannung nach Elba befähigte England, über seine Schiffe und Truppen frei zu verfügen und den Krieg mit verstärkte Kräften zu führen.
Da eine große Menge neuer Projekte auch Bollmann zu einer Reise nach England und Deutschland drängte, so beschloß man, sich dazu der einzigen Möglichkeit zu bedienen, nämlich mit englischen Schiffen zu fahren. Die Engländer erklärten, sie führten nur Krieg gegen die washingtoner Regierung und ihre Genossen, nicht gegen das amerikanische Volk. So gelang es Bollmann, eine Schiffsgelegenheit zu finden. Die Gatten versahen Grant mit umfassenden Vollmachten zur Verwaltung der Dinge in Pittsburg, während Heloise Karl Haus zur Ordnung der Erbschaftsverhältnisse in Heustedt ermächtigte. Es war beschlossen, die heustedter Besitzungen sollten verkauft werden, dann wollten die Schwäger und Schwestern sich wegen der amerikanischen und europäischen Besitzungen ausgleichen. Heloise war ganz zur Republikanerin geworden. Sie wollte nie nach Europa zurückkehren. Olga hatte Sehnsucht nach dem monarchischen Europa.
Während Bollmann mit seinen beiden Töchtern und Karl Haus mit seiner Familie und einiger schwarzen Dienerschaft nach Osten fuhren, zog Admiral Cochrane den Patuxet und Potomac hinauf nach Westen, nahm die Föderalstadt ein, zerstörte alle öffentlichen Gebäude, namentlich das Capitol und die beiden Häuser für Senat und Congreß, das Zeughaus, die Schiffswerften, das Finanz- und Kriegsministerium, den Palast des Präsidenten, die Seilerbahn und die große Brücke über den Potomac, es schien, als nahe das Ende der nordamerikanischen Republik.