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Wie die Menschen zusammen wandern, Ist Einer Engel oder Teufel des Andern. |
Freunde sind wie Pflanzen, die dem Erdreich entwachsen, sie zeigen dessen Eigenschaft und Güte an. Auf dem reichsten Boden wuchert das Unkraut am meisten; wenn nichts dazu gethan wird, saugt es die Nahrung auf und der Boden bringt keine Frucht.
Es ist kein gutes Zeichen, wenn die Freunde des Mannes nicht auch die der Frau sind, und umgekehrt.
Florian, den, der am meisten kam, haßte Sibille. Er war ihr in der Seele zuwider, so schön er war, anziehend für Andere, witzig, feurig von Temperament, und Leben bringend, wohin er ging. Die langweiligsten Leute wurden durch ihn genießbar. Es war nicht grad' geistiges Leben, welches er 105 weckte, aber alles Leben ist für den Menschen Wohlthat, das Todte flieht man instinctiv.
Reicher Leute Kind, früh in den Besitz gekommen, der ihm als Erbtheil zufiel, hatte er sich nie etwas zu versagen gehabt und that es auch nicht.
Wie ihm die Herzen zufielen, rechnete er eigentlich alles für sein – die ganze Welt. Was die Andern behielten, daran hatte er nie gedacht.
Böses wußte man nicht von ihm. Konnte er dafür, daß er überall der Erste war? warum sollte er nicht spielen und trinken, da er das Geld dazu hatte?
Dies war der Mensch, den Sibille haßte und keinen Hehl daraus machte; hätte sie ihn mit Blicken verjagen können, sie hätte es sicher gethan.
Er wußte es – lachte und meinte zu Andreas, »ich bin ein zu lustiger Sünder, um Deiner Heiligen zu gefallen.«
»Fromme verstehen davon nichts,« antwortete der, »was nicht in ihren Kram paßt, halten sie immer für gefährlich. Was sollten wir wol mit einander anfangen, wenn nicht spielen und trinken?«
»Sitzen und Waschen wie die Weiber find' ich wiederum viel schlimmer.«
Meist tranken sie bis tief in die Nacht hinein. Abgerechnet, daß der nächste Morgen sie grämlich und hinter ihrer Pflicht fand, wär's ein unschuldiges Vergnügen, nicht einmal kostbar, sie tranken nur Bier und spielten nicht hoch.
Sibille war ihr wüstes Geschrei sehr zuwider.
106 »Ich komme mir wie Eure Großmutter vor,« pflegte sie zu sagen, »wenn ich den kindischen Unsinn höre, den ihr beim Bier treibt, als wäret ihr achtzehnjährige Jungen.«
»Du hast keinen Sinn für Spaß,« antwortete Andreas, »es ist so erfrischend, recht von Herzen unverständig zu sein.«
»Einmal wol, aber alle Tage, immer dieselbe Geschichte, mit diesen Leuten, die alle dem Verstande, der Seele nach unter Dir stehen, rohe, ungeschlachte Bursche, faule Herumtreiber, Schuldenmacher, die Zeit und Geld nicht wissen besser todtzuschlagen!«
»Eine schöne Beschreibung meiner Freunde,« rief er lachend, »man sollte meinen, es wäre Diebesgesindel und sind doch alles Pächter, Gutsbesitzer, von denen jeder in seinem Wirkungskreis vollauf zu thun hat, eben mehr, als hier die Zeit zu verlieren!«
»Nirgends kann Einer sich die Arbeit besser abschütteln, als auf dem Lande, wenn er nicht selbst den Pflug regiert. Die Oberaufsicht führen, heißt bei Vielen die reine Nichtsthuerei.« –
»Sie tragen die Verantwortlichkeit, rechnest Du das für Nichts?«
»Wahrhaftig, daran tragen sie nicht schwer. Ich glaube, sie merken's kaum, wenn's mit ihnen in den Abgrund geht.«
»Verstand giebt sich keiner selbst, es sind alles gute Seelen.«
»Weißt Du das so gewiß? Als ob wahre Güte nicht rarer wäre als echtes Gold. Schlau sind sie, schlauer als 107 Du, das ist ihre Sorte Klugheit. Nimm Dich in Acht, so meint' ich's nicht mit dem Uebersehn.«
»Weil Dein Geist nobler ist, gerade deshalb können sie Dich auf Erden überlisten, während Du da droben wie die Unschuld in den Wolken sitzst.«
Er lachte. »Wenn ich aus den Wolken falle, fängst Du mich wieder auf.«
Sie genoß den Scherz nicht. »Andreas,« fuhr sie fort, »jetzt hat es noch nicht so viel zu sagen, aber wenn die Kinder größer sind und ich denke sie mir in der Gesellschaft! – 's ist, als würden die Tauben zu den Geiern gesperrt.«
»Fressen werden sie sie grad' nicht,« sagte er, »Du sprichst wieder wie die Einfalt, die Du bist; Geier und Tauben sind hier immer miteinander. Wirst Du Dich nie gewöhnen, die Welt zu sehen, wie sie ist. Da kann man nicht immer von Heiligen umgeben sein, es geht oft sehr unsauber zu, aber dem Reinen ist alles rein.«
»Wer ist der Reine?« fragte sie erregt, »jeder hat hier einen Fleck, der ihn verderben kann.«
Aber die Freunde kamen nach wie vor, tranken und ließen sich's wohl sein im Vogelnest, bis es Sibille war, als sei ihr Haus ein Wirthshaus und sie die Kellnerin darin. Wenn sie konnte, brachte sie bei den Gelagen die Kinder beiseit.
Jonathan mied dergleichen von selbst. Sie lachten ihn aus deshalb und tauften ihn das Jüngferchen.
Der junge Bursche schämte sich, als mangelte ihm etwas zum Manne, weil er nicht trinken konnte.
108 Gabriel dagegen konnte es um so besser. Er entschlüpfte, wo es ging, der Mutter, um sich weiter darin zu üben, wie man ein Talent ausbildet.
Kein Künstler konnte sich höher begabt halten, als er durch diese Fähigkeit.
Wenn es ihm gelang die Mutter zu überlisten, galt's für einen überaus klugen Streich.
Der Vater lachte, setzte ihn obenan bei Tafel und Jeder hatte seinen Scherz mit dem ausgelassenen Jungen. Geschadet hatte es ihm noch nie, denn er war ein Kerl wie ein Bär, die Gesundheit prahlte ordentlich auf seinen Wangen.
Heut' war die Nacht schon ziemlich vorgerückt, trotzdem wurden die Krüge eben neu gefüllt von der verschlafenen Magd. Andreas war besonders aufgeräumt. Da ging die Thür auf und herein trat auf Socken, die Schuh' in der Hand, der Gabriel.
»Vater,« sprach er, »verrath' mich nicht. Die Mutter schläft, ich hab' mich fortgeschlichen, um bei Euch zu sein.«
»Das hast Du recht gemacht, alter Junge,« begrüßte ihn Andreas, »Du gehörst unter die Männer, laß die Frauen schlafen, wir trinken mit einander. Kommt, füllt ihm das Glas, dem lustigen Kumpan.«
Es war nicht das erste Mal, daß Gabriel auf diese Weise kam.
Der Jubel begann von Frischem. Der Bursche trank tapfer mit, gab schnurrige Antworten, saß da mit leuchtenden Augen und hochgerötheten Wangen.
»Wir wetten,« schrieen die jungen Leute, »er trinkt noch 109 ein Seidel,« und so wetteten sie immer fort, immer wieder noch um ein Seidel.
Andreas, dem es Spaß machte, ließ es geschehen. Gabriel fühlte sich hoch geehrt. Mit Enthusiasmus, eines besseren Zieles werth, ging er an die Aufgaben.
Glas auf Glas stürzte er hinunter unter dem Jubel und Beifallsrufen der Großen. Die Männer lachten, daß sie sich die Seiten hielten.
Der Lärm klang weit hinaus in die stille Nacht und die Dorfleute meinten, »da droben beim Herrn geht's einmal wieder toll her – desto besser – da wird er uns dergleichen Spectakel bei der Kirmeß auch nicht verargen.«
Sibille saß schon lange aufrecht in ihrem Bett und lauschte ängstlich – noch immer hatte sie sich an die rohen Töne nicht gewöhnen können; immer ahnte sie ein Unglück. Oft war sie schon zum Gespött geworden, wenn es ihr keine Ruhe ließ und sie nachsehen kam.
»Für Deine Heilige sind wir ein gräßlicher Anblick,« hatte Florian dann lachend gesagt, »aber es ist nicht so schlimm, wie es aussieht und denen da droben wird es auf ein Seidel mehr oder weniger bei der großen Sündenrechnung wol nicht ankommen.«
Die Furcht vor dem Gespött hielt Sibille lange zurück, endlich aber stand sie auf – des Gabriels Lager war leer, wie sie vermuthet, denn es war eben schon oft geschehen und umsonst hatte sie darüber mit dem Andreas gerechtet.
»Es kann dem Jungen nur nützen,« sagte er, »ein Mann muß trinken können – Du allein machst es ihm 110 durch dein Verbieten zur Sünde. – So geht's dem Gerechten immer.«
»Andreas,« fiel sie eifrig ein, »soll ich's gut heißen, wenn ein halberwachsener Bursche die Nacht aus dem Bett bleibt, trinkt, gottloses Zeug hört und redet? Mit meinem Willen geschieht das nie.«
»Du weißt, ich thu' sonst alles was Du willst – gieb mir darin nach. – Laß ihn mir, bis er verständiger ist, dann mögt ihr ja einen Mann aus ihm machen, wie ihr es nennt.«
»So gewöhnt er sich ganz von mir fort. – Schon jetzt habe ich keine Macht über ihn, mein eigenes Kind. Er sieht mich über die Achsel an, wie Einer, der nichts versteht von dem Leben, in dem er groß werden will.«
»So ist's auch,« sagte Andreas, »die Buben können nicht immer an Deiner Schürze bleiben; gewiß, sie würden frommer, besser, aber es geht nun einmal nicht, Du mußt zufrieden sein, wenn er einst zu Dir zurückkehrt. Je früher Du ihn austoben läßt, je eher bekommst Du ihn wieder.«
Meist kehrte die Mutter still in ihr Bett zurück, wenn sie den Knaben nicht fand und verschob die Strafrede auf morgen. Heute aber war der Lärm zu wild. Mit zitterndem Herzen lauschte sie. –
Langsam zog sie Stück für Stück an und kämpfte mit ihrer Feigheit, immer von Neuem abwägend, ob die Furcht in ihrer Seele die rechte sei, oder ob es dieses krankhafte Sorgen war, das tief in ihrer Natur lag, wie eine angeborne Schwäche.
Es ist so schwer, sich im Recht zu glauben, wenn die, 111 die wir lieben, anders denken. Doch die Unruhe ließ nicht ab von ihr und so stand sie auf, ordnete den Anzug, strich unbewußt über das glänzende Haar, als wollte sie alles glatt machen und öffnete das Gemach, aus dem der Jubel quoll.
Ein widerlicher Anblick begegnete ihren Blicken, zerbrochene Gläser, ungeputzte Lichter, Qualm, Rauch, verschüttetes Bier, am Tisch die überlustigen, angetrunkenen Männer, Gabriel dazwischen, trunken wie die Andern.
Andreas, der einzige Nüchterne, empfing sie heut nicht mit Spott, er ging auf sie zu, umschlang sie und sagte:
»Vergieb, Mütterchen, es soll nicht wieder geschehen, ich glaubte, der Junge könne mehr vertragen.«
Sie aber wandte sich von ihm, ergriff den Burschen hart am Arm, um ihn fortzuziehn – er stolperte und fiel.
Andreas hob ihn auf und trug ihn auf sein Bett.
»So, nun macht Frieden mit einander,« – sagte er der Frau.
Sibille sah den Jungen mit Widerwillen an, half ihm, aber sprach kein Wort – dann und wann überlief sie's kalt, als lief der Tod über ihr Grab.
Ihr war dergleichen ein Gräuel, Flecken und Unreinlichkeit der Seele und des Körpers. Manche Natur hätte es nicht so scharf empfunden. –
Sie stand und wusch – wie jene aus Blaubarts Kammer – als könne sie damit die Sache tilgen aus ihren Gedanken.
»Komm doch schlafen,« rief der Mann von seinem Lager, »das ist Arbeit für die Mägde, mach' Dich nicht 112 lächerlich und aus der Mücke einen Elephanten; die Geschichte ist ja doch nur komisch. – Morgen ist alles wieder rein, Kammer, Kleid und Junge. Im Gegentheil, der Junge hat eine gute Lehre davon. Wärst Du nur vernünftig im Bett geblieben; für den, der draußen steht, sieht's sich nicht gut an; wer in ein Rauchzimmer kommt und selbst nicht raucht, findet die Luft lästig. Je früher man seinen ersten Rausch hat, je besser, nachher trinkt man die Andern unter den Tisch. Glaube mir doch, Frauen verstehen das nicht, komm her, sei vernünftig, jetzt bist Du die Unvernünftige.«
Als Sibille kam, überschüttete sie ihn mit bitteren Vorwürfen.
Eine Zeitlang duldete es Andreas, dann aber wurde er ungeduldig.
»Es ist zum Lachen, wie Du Dich anstellst, man sollte meinen, ich hätte Gabriels Seele dem Bösen verkauft. Wenn Du nichts Besseres zu sagen weißt, so schlaf' ich lieber, gute Nacht.«
Damit wandte er sich und schlief sanft und selig, als hätte er wer weiß welche gute That ausgeführt.
Sibille war ihm gram. Ihre Ruhe nahm er. –
Sie saß am Bett der Knaben, wie immer wuchsen die Schatten und Sorgen in ihrer Seele.
Was konnte sie thun – Nichts – denn die Jugend ist verführbar, wer ihr das Leben am goldensten zeigt, dem folgt sie. Verstand sie die Sache vielleicht wirklich nicht recht? Unschuldig wie die Engel konnten die Buben wol nicht bleiben, ein Weilchen länger aber doch wol. Andreas 113 war ja viel klüger als sie, warum lehnte sie sich auf? Warum unternahm sie den Kampf, der ihre Seele zerriß und ermüdete. Ihre Pflicht war erfüllt, wenn sie ihm folgte.
Die Morgenröthe leuchtete den Knaben in das Gesicht.
»Sie sehen doch den Engeln so ähnlich,« seufzte sie, »ach dürften sie es bleiben.«
Sie zog ihn rein an, von Kopf bis Fuß, als könne sie ihm damit einen neuen Menschen anziehen.
Den Gutenmorgenkuß vom Andreas erwiderte sie nicht.
»Alterchen,« sagte er, »Du bist kindischer als ein Kind, thust Du doch grad', als wär' Dir Jemand gestorben.«
Gabriel und die Mutter hatten eine Versöhnung unter vielen Thränen von ihnen Beiden. Er versprach unter bitterem Schluchzen, nie wieder Nachts zu trinken mit den Gästen, aber ihr Herz wurde doch nicht leicht, denn sie wußte, daß er es nur halten könne, wenn die Verführung fern bliebe.
Am Morgen erschien er unter den Geschwistern, ein reuiger armer Sünder.
Andreas lachte herzlich über die klägliche Gestalt.
»Du bist grausam,« sagte er leise zu Sibille, »mir ist lieb, daß der Junge nicht so viel auf dem Gewissen hat, als Du ihm glauben machen möchtest. Ihr Frauen werdet uns dergleichen zwar immer zur Sünde rechnen, aber vergeben müßt ihr es bald und mit Grazie vergessen können, sonst wenn ihr die Schranken zu eng zieht, verliert ihr uns erst recht.« – 114
Von außen einsam und mit mir in Herzen die Schmerzen. |
Jakobe saß mit dem kleinen David im Garten. Es war alles draußen im Walde, oder drinnen in der Wirthschaft. Heiß lag die Luft über dem Vogelnest.
Die Beiden saßen in der kühlen Geisblattlaube, wo der Wald mit dem Garten grenzte, umsummt von Käfern und Bienen, besucht von buntgeflügelten Schmetterlingen.
Die Alte sah ganz verwandelt aus – nett, ordentlich, sauber. – Sie lächelte dem rosigen Bengel zu, der in ihrem Schooß schlief.
Gute Kleider sind schon viel für den Menschen, selbst für den inneren. Sie geben ihm einen Halt, den der Zerlumpte nicht hat.
Eine Art Wohlgefühl wie in längstvergangenen Tagen kam über sie.
»S'ist grad als könnt' ich wieder von vorn anfangen, gut und fromm werden, wie du, Engelchen. Warum sollt ich jetzt noch lügen oder falsch Zeugniß reden – der Jakob ist fort über's Meer, es mag alles vergeben und vergessen sein«, schloß sie seufzend.
Sie sang und wiegte das Bübchen hin und her – die heiße Luft zitterte über den Gräsern, in der Schwüle nickte auch sie endlich ein.
Plötzlich schreckte sie empor; sie hatte geträumt, daß sie einer berührte. – Nein, sie hatte nicht geträumt, sie hätte schreien mögen, aber der Laut erstarb in ihrer Kehle und nur das Kind, halb geweckt, öffnete und schloß schläfrig seine unschuldigen Augen.
115 »Jakob!« stotterte sie endlich, »Du hier?«
»Nun ja, ich bin's – ich bin wieder hier, oder vielmehr gar nicht weggegangen, ich lasse mich nicht fortschaffen wie ein wildes Thier.«
Sie maß den liederlichen Burschen mit scheuem Blick und wiederholte: – »Nicht fort?! – Du bist nicht fort?!«
»Es wär besser, nicht wahr? am bequemsten, ich wär ersäuft wie so mancher im Meer, aber ich hatte noch keine Lust dazu – und hier bin ich wieder.«
»Was soll's«, fuhr sie heftig auf. »Wir sind getrennt, Du weißt, seit der letzten Geschichte hab ich mich von Dir losgemacht. – Such' Dein Brod allein.«
»Losgemacht! – als ob das so ginge – Sohn und Mutter. Wir zwei sind ineinander verwachsen, wie der Kern im Apfel und,« fügte er hinzu, »was die Verwandtschaft nicht thut, thut die Schuld, der Hehler wird doch den Stehler nicht verrathen.«
»Geh,« sagte sie, ihn drängend, »wenn man Dich sähe!«
»Ihr wäret verloren, das ist die Hauptsache, nicht wahr?«
»Nun ja,« sagte sie außer sich, »willst Du Deiner unglücklichen Mutter das bischen Ruhe nehmen, das bischen Wohlleben. Kann ich hier nicht sogar mehr für Dich thun als sonst.«
»Richtig,« antwortete er, »darum könntet Ihr wissen, daß ich nicht der Narr wäre, Euch hier zu verjagen. Bringt mir, was Ihr für mich habt, in die Waldschenke.«
116 »So in der Nähe?« sagte die Alte wieder ängstlich, »sie werden Dich finden.«
»Ich fürchte sie nicht,« antwortete der Taugenichts, »jetzt mögen sie mich fürchten. Meint Ihr, ich habe nichts gelernt? Wir haben uns zusammen gethan, lauter hübsche Kerle wie ich es bin. Es haust eine ganze Bande davon in der Waldschenke. Daß Ihr im Vogelnest dient, paßt mir grade. Also Euch Mutter, haben sie ihr jüngstes anvertraut, das Lamm dem Wolf, es ist ein Hauptspaß,« fuhr er fort und strich mit der schmutzigen Hand über des Kleinen Köpfchen.
»Rühr' mir das Kind nicht an!« rief die Alte ihn fortstoßend.
»Hab' ich die Pest etwa?« antwortete er trotzig. »Nicht anrühren! und Ihr habt's im Arm; Ihr gehört eben so gut an den Galgen wie ich.«
»Dir zu Liebe that ich's,« klagte die Alte, »hätt' ich die falschen Worte nie über meine Lippen gebracht. Was halfen sie Dir? und mir vergiften sie das Leben. Hinter mir schleicht's wie ein Gespenst, ich zieh' Sünd' und Schand' nach mir wie die Spinne den Faden, am Besten wär's, ich legte das Kind in sein Bett, ging auf den Boden und hinge mich auf, eh' ich Unglück über dies Haus gebracht.«
»Was geht uns ihr Unglück an,« sagte der Bursche, »haben sie je nach dem Unsern gefragt? Bleibt wo Ihr seid.« Damit verschwand er im Wald.
Der Alten fröstelte, so heiß die Sonne brannte.
117 »Die Sünde hat kein Ende,« murmelte sie vor sich hin; »wer mit ihr anbindet, wird sie nicht los.«
Sie sang das Kind ein, das wach geworden, denn wenn es sie mit seinen unschuldigen blauen Augen ansah, schienen sie zu sagen: »Ich bin still, aber ich weiß alles.«
Den Kopf in die Hand gestützt, saß sie oben an der Wiege. Sibille mußte sie mehrmals anreden, ehe sie Antwort bekam. Entschuldigend nannte sie sich krank – wie sie es heraus hatte, fühlte sie die Lüge und sich verstrickt in einem endlosen Gewebe von Falschheit und Schuld. Hin und her überlegte sie, Aufhängen ist leichter gesagt als gethan – fort aus dem Hause. – Aber wohin? Alt, gebrechlich wie sie war. Hier hatte sie gute Tage. – Was frieren, hungern, sich verbergen heißt, wußte sie nur zu gut. Sie hatte nicht den Muth, es noch einmal zu versuchen.
Dabei jauchzte ihr das Kindchen zu, das sie liebte, denn sie war freundlich mit ihm.
»Was schade ich ihnen,« schloß sie ihre Betrachtungen, »berührt sie mein Elend, steckt es an wie eine Krankheit?«
Sie nahm ihr bischen Geld und als es ganz dunkel war, machte sie sich auf nach der Waldschenke.
Der Junge schlief fast immer die Nacht durch und in einer halben Stunde konnte sie wieder da sein.
Freilich die Thür zum Zimmer der Mutter stand offen, aber weshalb sollte das Kind, satt wie es war, eben eingeschlafen, gleich wieder aufwachen.
Der Hofhund, der sonst immer Spectakel machte, leckte 118 ihr die Hand und ließ sie vorbei, weil er sie kannte. Als das Vieh so zutrauensvoll war, kam ihr der Gang wieder verrätherisch vor – sie stockte – kehrte aber doch nicht um, sondern ging weiter.
Die Schenke lag mitten im Walde, umgeben von bunten Gärtchen voll Stockrosen und Sonnenblumen. Ein Trost für Viele, die des Weges kamen. Im Winter zum Erwärmen, im Sommer zum Abkühlen und Ausruhn. Die Landstraße ging daher – kein anderer Weg führte so geradezu auf die große Stadt. Man kannte sie weit und breit – stritt über sie, so lange sie stand.
»Gesindel berge sich dort, vertrinke die Zeit«, sagten Viele, »und der dunkle Wald decke Manches, was das Licht scheue. Trunkenheit und schlechtes Leben komme von ihr her, es wäre ein fauler Fleck.«
Hin und her wurde geredet und geschrieben.
Bald hieß die Schenke der Segen, bald der Fluch der Gegend.
Sibille ging Andreas alle Tage an, sie eingehen zu lassen, aber er brachte es nicht über das Herz. »Birgt sie zehn Schlechte, so erquickt sie vielleicht doch einen Guten«, meinte er, »der ist sie alle werth. Meilenweit giebt es kein anderes Unterkommen. Nebenbei wär' der Wirth sammt seiner Familie ein verlorner Mann.
»Dafür zerstört sie wer weiß wie viel andere«, fuhr Sibille fort. »Denk' an den Schmiededietrich, der sich erhängte, an den jungen Bertel, der in's Zuchthaus kam. Haus bei Haus könnt' ich sie nennen, die durch die Schenke verloren gingen.«
119 »Mögen sie sich in Acht nehmen. Alle Gefahr kann man nicht aus dem Wege räumen.«
Die alte Jakobe ging ihren Weg vorwärts – es war eine duftige Mondnacht. Sein Zauberschleier umwob die Dunkelheit. Sie achtete nicht der Freundlichkeit der Natur. Käm's heraus, daß sie fort war', sie würde wieder lügen müssen, dachte sie und was daraus werden würde.
In die Schenke traute sie sich nicht hinein – stand und spähte durch die blinden Schreiben. Es war Licht in der Kammer – am Tisch bei schmutzigen Karten saß die saubere Gesellschaft. Wilde Gesellen, die keinen Hehl mehr aus ihrem Gewerbe machten, zwischen ihnen ihr Sohn – der das große Wort führte. –
Sie hatte ihn oft so gesehn – oft gestanden an dem kleinen Fenster, ohne den Muth zu haben ihn anzurufen. Eine Mutter, die den Sohn holt, es wär' ja lächerlich, und gekommen wär' er doch nicht. Sie schlich wieder heim, saß zu Haus, rang die Hände und verzweifelte.
»Halbtodtgeschlagen hätt' ich solch' einen Bengel!« sagte der Nachbar.
Die schwache kleine Frau sah hülflos zu ihm auf; »er ist mir über den Kopf gewachsen, ich kann's nicht.«
»Ihr habt die Zeit verpaßt, Mutter,« fuhr der Nachbar fort.
Die Alte nickte. »Wer weiß immer, wenn's Zeit ist,« sagte sie seufzend, »langsam glimmt's und plötzlich schlagen die Feuer über euch zusammen.«
Es wunderte sie also heut nicht, den Sohn dort zu sehn, im Gegentheil, sie erwartete ihn ja! etwas Anderes 120 fesselte ihren Blick. – Wie gebannt stand sie und starrte hinein.
Da saß ja ihres Herrn Sohn, der Gabriel.
Wenn das die Mutter wüßte! – Sagen wollte sie es ihr gleich – das durfte nicht sein. Aber wie? konnte sie sagen, wo sie ihn heut Nacht gesehen? Und wie er aussah – wahrhaftig! er trug schon das Zeichen derer, die zu Grunde gehn – so jung wie er war.
Jakob erblickte sie am Fenster, er hatte Luchsaugen. Die Gesellen sollten nicht sehen, daß er Geld bekam, darum trat er hinaus.
Ohne viel Federlesens steckte er die Münze ein, ohne Dank, ungeduldig weil die Alte mit den zitternden Händen den sorgsam eingehüllten Schatz nicht schnell genug heraus bekam.
»Ihr bebt ja wie die Maus in der Falle! habt keine Angst,« sagte er. »Noch ein paar Wochen und ich bin wirklich über alle Berge, freilich nicht wie ihr damals dachtet, sondern als reicher Herr.«
»Ich will nur thun, was ich in Ehren für Dich thun kann,« sagte sie mißtrauisch.
»In Ehren, ich weiß nicht, was bei uns Ehre heißt!«
»Jakob!« fuhr sie zaghaft fort, »ich will damit gesagt haben, daß ich keine neue Schlechtigkeit mehr tragen kann. Wie kommt meiner Herrschaft Sohn in eure Gesellschaft?«
»Weil er für sie paßt,« sagte er lachend, »weil er die Verwandtschaft merkt. O! der ist grad' wie für uns gemacht. Heut' ist's übrigens ein ehrlicher Handel, er kauft sich eine Schlange, es giebt hier genug. Es ist nicht das erste Mal, 121 daß er Nachts heimlich zur Waldschenke schleicht, ich fand ihn schon oft vor und wir haben immer gute Kameradschaft gehalten. Wahrhaftig, wenn Einer von den Hohen zum Teufel geht, grad' wie unser eins, das thut einem wohl.«
»Jakob,« hub sie wieder an – »laß den Jungen aus dem Spiel. Wie kann ich ihr Brod essen und denken . . .«
»Denke was Du willst,« unterbrach er sie, »ich brauche keine Sittenpredigt, am wenigsten von Dir –, der braucht keine Nachhülfe, er geht ganz allein zum Guckuck, es ist seine Natur.«
Seufzend trennte sich die Alte, schlich gebückt durch den Wald, auf leisen Sohlen hörte sie in Gedanken das Unheil heranschleichen, hörte es im Schrei des Käuzchens, im Aechzen der Zweige.
Als sie ein Stück gegangen war, sah sie den Gabriel kommen, schleichend, unsicher wie sie. In seinem blöden Aug' sah man schon die Spuren seiner Lebensart. Was war aus dem frischen Kind für eine klägliche Gestalt geworden – nach und nach. Man schob es auf Krankheit im Vogelnest. Sibille ahnte wol welche, aber der Bursch war ganz aus ihren Händen. –
Jakobe vertrat ihm den Weg. – Er erschrak und zitterte wie Espenlaub. –
»Was wollt Ihr?« rief er bös – »warum spionirt Ihr mir nach?« –
Ganz nah trat sie an ihn heran. – Sah sich scheu um, sie, die Verrätherin des Sohnes.
»Nehmet Euch in Acht!« flüsterte sie. »Traut den Burschen in der Waldschenke nicht. – Ich kenne sie!« –
122 »So,« sagte er hönisch, »darauf braucht Ihr Euch nichts zu gut zu thun. – Ich kenne sie auch und bin nicht so dumm wie Ihr meint. – Was gehts Euch an, wo ich meine Bekannten hernehme, seid Ihr etwa meine Kinderfrau? – oder hat Euch die Mutter geschickt? –«
Da fing sie an zu weinen und sagte: »Niemand hat mich getrieben als mein Gewissen. Ich rede gegen mein eigen Blut. Jakob ist mein Sohn. Nehmt Euch in Acht vor ihm, junger Herr. – Es kommt nichts Gutes von dem, und keine Freude von den heimlichen Wegen. – Nehmet nichts von ihm, – theilt nichts mit ihm!«
»Laßt mich zufrieden,« rief Gabriel und handthierte mit der Schlange, »was die heimlichen Wege anbetrifft, da habt Ihr Niemand etwas vorzuwerfen. Ihr solltet zu dieser Stunde doch auch wol nicht im Walde sein.«
»Ich konnte nicht anders, junger Herr,« antwortete die Alte, »mögt Ihr nie wie ich verkettet und verstrickt sein mit dem Bösen, wie die Fliege im Netz. Obgleich er mein Sohn ist, wollte Gott, ich hätte nichts mehr mit ihm zu thun.«
»Ich werde mich schon allein in Acht nehmen,« sagte der Bursch von oben her, »ich weiß was ich thue und laß mich nicht hin- und herziehen wie ein Frauenzimmer.«
Sie waren am Garten, von dieser Seite gab es kein Thor. »Wozu?« hatte Andreas gesagt, »dafür giebt es Hunde.«
Natürlich war Jakobe vermißt worden; das Kind schrie, Sibille ging hinein und fand es verlassen. Sie war außer 123 sich über die Alte, kündigte ihr sofort, alle Entschuldigungen kurz abbrechend mit dem Worte: »Du gehst.«
Jakobe schlich elend herum, wieder dachte sie an den Tod, aber je älter man wird, je mehr klammert man sich an das Leben. Wie eine Verdammte kroch sie umher. Andreas konnte es nicht mit ansehen.
Kann denn die Frau nicht Frieden halten mit den Leuten? dachte er.
»Ich finde es gar nicht so schrecklich, was die Alte gethan hat,« hub er an, »junge Kindermädchen laufen oft stundenlang weg, oder schwatzen unter der Hausthür. Dem Kind ist ja nichts geschehen, wie manches arme Wurm muß tagelang allein bleiben.«
»Sie, die verrufene Frau,« antwortete Sibille, »darf weniger ihre Pflicht verletzen als eine Andere. Sie ist und bleibt ein fauler Fleck im Haushalt. Auf mancher Lüge hab' ich sie schon ertappt und die anderen Mägde lernen es von ihr. Denk' an das Sprichwort – ein fauler Apfel machet schnell, daß ihm gleich wird sein Gesell. Thue sie weg, sie schadet uns.«
»Schäme Dich,« rief er, »wer gesund ist, wird den Kranken schon neben sich vertragen, ihm mit durchhelfen, ohne selbst ergriffen zu werden.«
»Eine wunde Stelle hat Jeder,« wiederholte sie wie damals.
»Ich fühle mich stark die Schwachen zu tragen,« antwortete er im Stolz seiner Rechtschaffenheit, »und mein Haus steht fest genug zu ihrem Schutz, überlaß es mir und versuch' es noch ein paar Wochen mit der Jakobe, bis 124 dahin findet sich hoffentlich Jemand, der barmherziger ist als Du.«
Sie schwieg beschämt, senkte den Kopf und Jakobe blieb im Haus.
Ich hatt' ihn ausgeträumet der Kindheit friedlichen Traum. |
Dorothee war jetzt sechzehn Jahr, lebendig wie ein sprudelnder Quell, weich und schwärmerisch, wie die Nachtigall. Die Mutter machte ihr längere Kleider, mit denen sie nur ganz anständig auf und ab gehen konnte unter den Bäumen, weder hinaufklettern, noch über Gräben setzen.
Es blieb ihr eine große Sehnsucht danach, und oft seufzte sie ganz melancholisch über all' die Kraft, die in ihr brach lag. Sie suchte nach Futter für ihre hungrige Seele, der das ewige Einerlei unerträglich schien. Was sie von Büchern habhaft werden konnte, verschlang sie. Ganz gegen ihre sonstige Art, saß sie jetzt stundenlang und las, versunken, als erlebte sie es, unbrauchbar für alles andere.
Getrennt von der Mutter durch die Verschiedenheit ihrer Natur war sie am liebsten bei dem Vater. Ging es dort laut zu, so war es doch nicht eintönig, sie füllte ihnen gern die Gläser, jeder hatte ein freundliches Wort für sie, ein Lob. Die Männer wurden galant auf ihre Weise, ein schönes Gesicht setzt mehr durch, als man denkt.
Der Vater war sehr stolz auf die junge Dorothee. Sie nahm alle Huldigungen vergnügt auf, als müßt' es so 125 sein. Von einem aber, dem Helden dieser Abende, Florian, traf es ihr das Herz.
Als sie noch ein Kind war, hatte er sie seine Braut genannt; sie hatte es nicht vergessen und wenn sie hörte, wie er den Mädchen ringsum gefiel, war's ihr, als lobe man ihr Eigenthum.
Auch er schien es nicht vergessen zu haben. Es war ein stilles, reizendes Einverständniß zwischen ihnen, eine stumme Liebe, die weder Zeichen noch Worte hatte, aber immer da war, wie die Luft, die sie umgab.
Seit einigen Wochen wußte Dorothee, daß sie liebte. Plötzlich wurde es ihr klar, inmitten ihrer kindischen Spiele, als er ihr einen Blüthenzweig reichte.
Wie alles schlief, stand sie noch, die weißen Blüthensterne betrachtend, am Fenster.
Es waren die ersten. Verschlafen probirten die Vögel ihre Frühlingslaute. Der Duft des jungen Grüns, der Erde, die ihre Tiefen erschloß zu neuem Leben, der Gruß träumerischer Blumen stieg zu ihr auf.
Leise zitterten die Blätter in der geheimnißvollen Frühlingsnacht und schwellende Knospen drängten sich schmeichelnd dazwischen wie eine Liebkosung.
Von da ab reihte sich Tag an Tag, jeder erfüllt von ihm. Eltern, Geschwister, alles wich in ihrer verzauberten Seele gegen den Geliebten wie Schatten zurück.
In ihrem jungen Herzen wuchs eine leidenschaftliche Sehnsucht, das Wort der Liebe zu hören und auszusprechen, das allein noch fehlte. Wäre nicht dies Schweigen gewesen, diese schwüle Gewitterluft, in der kein wohlthätiger Zufall 126 die Wolken zusammentrieb, daß die Luft wieder klar wurde, nie hätte sich ihr Gefühl zu dieser Höhe gesteigert. Es war wie ein Schmerz – wie eine zu hoch gespannte Saite.
Den ganzen Tag sann sie darauf, wie sie ihn genug sehn, genug von ihm hören könnte. Sie ging – ritt auf den Straßen, die er zu nehmen pflegte; ein Gruß war schon ein Glück, um vergnügt zu sein auf lange.
Sibille sah die dunkeln Wolken eine nach der andern sich sammeln über ihrem Haus. Sie warnte wieder.
»Ich kenne den Florian besser als Du,« antwortete Andreas auf ihre Klagen. »Zum Schwiegersohn paßt er mir weniger als Dir, daran denkt auch Niemand. Er ist ein köstlicher Gesellschafter, es läßt sich vortrefflich mit ihm leben, weiter geht es nicht. Glaube mir, Florian weiß das so gut wie ich, daß er ein reiches Mädchen braucht, so wie er's treibt. Nie hat er Dorothee ein Wort der Art gesagt, so schöne Redensarten auch die andern machten, im Gegentheil, sie macht ihm den Hof. –. Ich muß oft für mich lächeln, wenn das dumme Kind ihm zeigen möchte, daß sie ihm gut ist. – Mädchenträume. Hübsch genug ist er dafür. Weißt du nicht, solche jungen, unerfahrenen Dinger saugen sich wie die Schmetterlinge zuerst an den schönsten Blumen fest; solch ein anziehender Sünder ist artig und piquant. – Geheirathet wird hernach der Solide, das versteht sich von selbst. So ist es doch besser als umgekehrt.«
Dorothee aber lenkte heut wie alle Mal den Schimmel nach der Waldseite, von der der Geliebte gewöhnlich kam. Es war ein verlockender Tag.
Im Wald hämmerte der Specht, ein Vogel rief den 127 andern, der Schimmel wieherte lustig, die köstliche Luft tief in die Nüstern ziehend. Fröhlich trabte er durch die braune Haide, die Erde athmete Duft, und feuerfarbene Schmetterlinge stoben wie Funken vor ihnen auf.
Längs des Bachs bogen sie in den Wald. Hüglig, voll von Schluchten mußte man ihn genau kennen, um dort zu reiten.
Spielend lief der Bach, bekränzt von Blumen, am Wege her, aber Dorothee wußte recht gut. in welcher drohenden Tiefe, mit steilen Abhängen er seinen Lauf beschloß. – Sie würde sie schon vermeiden.
Gemächlich ritt sie Schritt für Schritt am Bach hin und träumte ihre wilden Träume.
Als sie die Augen aufhob, stand er auf dem anderen Ufer des Bachs drüben vor ihr zu Pferde wie sie.
Es wunderte sie nicht. Wie eine Ahnung hatte es in ihrer Seele gelegen, daß sie ihn treffen würde und daß endlich der ersehnte Augenblick gekommen sei.
Ihre Wangen glühten und wunderlicher Weise überkam sie eine Regung zu fliehen, wobei sich dem Schimmel die Bewegung mittheilte, so daß er einen kleinen Seitensatz machte, der sie zur Besinnung und den Florian mit einem kühnen Sprung zu ihr herüberbrachte. Es war kein lebensgefährliches Wagniß, denn das Wässerchen war hier seicht und nicht sehr breit, immerhin gefiel's ihr doch, daß er so ohne Besinnen ihr zu Hülfe kam.
Ihre schwärmerischen Augen lachten vor Vergnügen, als sie nebeneinander den duftigen Steig weiter ritten.
Zu einer Erklärung machte er nicht die geringste 128 Anstalt, ging die Naturgeschichte der Farren durch, zeigte schillernde Libellen, bog widrige Zweige zurück, war ritterlich auf's Aeußerste, sagte aber nichts, so verrätherisch auch seine Augen glänzten.
Es verdroß sie – immer nachdenklicher, schweigsamer ritt sie neben ihm her. Liebte er sie – liebte er sie nicht? – Gewißheit wollte sie. – Wie schnell er herüber kam. Wäre ich in Gefahr! dachte das tolle Mädchen, mit dem Schluß, den die Jugend immer zieht: ich komme glücklich durch. Wäre ich in Gefahr, ich würde es gleich wissen. Aber wer sich in Gefahr begiebt, kommt leicht darin um, sagt das alte Sprichwort. Ich will Gewißheit! stand immer fester in ihrem Geist, immer heißer steigerte sich ihre Empfindung an seiner Kälte. Wär' sie ein Sonnenstrahl, ihn zu bezwingen, aber Leidenschaft erwärmt keinen Andern, die hat nur mit sich selbst zu thun; so etwas bringt höchstens die treueste, selbstloseste Liebe dann und wann in diesem Leben fertig.
Ihre wilde Natur ging mit ihr durch. Sie gab dem Pferde einen Schlag, daß es sich hoch aufbäumte.
Zur selben Zeit durchbrach Grips, der Zigeunerhund, das Gebüsch – rasend stürzte der Schimmel von dannen über Klippen und Hügel – ihr war, als habe sie im Hazardspiel Alles an Alles gesetzt. Wie die tolle Jagd ging es dahin, Grips kläffend und anreizend, dem Abgrund zu, wie Dorothee wußte. –
Der Weg war jetzt zu schmal um vorbeizukommen, sonst hätte des Florians Rappe leicht den Vorsprung gewonnen, so gab es nur eine Rettung und das war ein tollkühnes 129 Wagniß. – Hinüber über den Bach und wieder mit einem Sprung quer vor den Weg, das sinnlose Thier hemmend.
An Muth fehlte es dem jungen Mann nicht, auch nicht an Geschick, man erzählte sich die tollsten Reiterstückchen von ihm.
Sein Pferd flog über den Abgrund, wie damals über die seichte Stelle, und den Zügel fassend, der Rappe von weißem Schaum bedeckt, stand er vor ihr.
Sie war außer sich, ihr Heldenmuth hatte sie ganz verlassen; – noch zitternd beim Gedanken, daß er ihrethalben den Tod hätte finden können, bekannte sie ihm in den aufgeregtesten Worten ihre Liebe.
Es war sehr reizend, wie sich ihre unschuldige liebeerfüllte Seele vor ihm enthüllte, als wären sie im Paradies.
Er zog sie in das Gras nieder, daß sie sich erholen möchte, schätzte gering was er gethan, und hörte offenbar gern ihre leidenschaftlichen Worte, aber die Antwort, die darauf gehörte, das Echo dieser Liebe gab er nicht.
Wie man ein Kind tröstet, brachte er ihr Beeren, Quellwasser, hob sie wieder auf das Pferd, sorgsam eine Leine knüpfend, durch welche er den Schimmel in seiner Gewalt hatte.
Sie bogen ab vom Bach auf die breite Straße, die Einsamkeit hörte auf. Holzwagen, Frauen, die im Walde Beeren gepflückt hatten, Dorfkinder begegneten ihnen.
»Wir waren tolle Kinder,« sagte Florian, »am besten 130 ist's, wir vergessen die Geschichte, was würden Deine Eltern sagen?«
Sie hing den Kopf und schwieg. Beschämt ritt sie an seiner Seite. –
»Nimm Dich in Acht,« fuhr er fort, er redete sie heut zum ersten Mal seit der Kindheit mit Du an. »Nimm Dich in Acht, Dein Schimmel geht leicht durch, er hat eine hitzige Gemüthsart und solche Freunde wie Grips richten auch nichts als Schaden an.«
»Die Thiere sind mir lieber als die Menschen,« sagte sie kurz, »und ich werde mich schon mit ihnen verständigen.«
Darauf ritten sie stumm weiter.
Wo der Wald sich lichtete, ließ er das Pferd los.
Wieder schien ihr, als wolle er reden, aber er sah sie nur noch einmal mit sprechenden Augen an, sagte ihr Lebewohl und ließ sie ungehindert ihren Weg nach dem Wohnhaus fortsetzen. Einmal sah sie sich um – da stand er noch immer.
Eine glühende Röthe, die wie Feuer brannte, stieg ihr in die Wangen, schneller ritt sie weiter – es war ihr, als möchte sie an der Welt Ende sein, um ihn nur nie wieder zu sehn.
Nicht er – sie hatte ihre Liebe bekannt – bekannt, ohne die Antwort zu bekommen, die allein solch' ein Geständniß rechtfertigt.
Ein ungekanntes Gefühl von Bitterkeit überkam sie, eine Empörung über das eigene Herz.
Grips schlich hinter ihr her, schuldbewußt wie sie. Ihr war, als schäme sie sich selbst vor dem Hund.
131 Nie durfte es Jemand erfahren. So versteckt als möglich kroch sie in das Haus. Vater und Leute waren auf dem Feld. Sie setzte sich an das Fenster; die Mutter sah gleich, daß etwas nicht recht sei. –
»Bist Du krank?« fragte sie.
Die dunklen Augen des Mädchens füllten sich mit zornigen Thränen. »Steht es mir denn wie ein Kainszeichen an der Stirn?« dachte sie empört.
»Laß mich in Ruh', Mutter!« rief sie ungeduldig, »wär' ich krank, ich nähme doch nicht den Kräutertrank, den Du für ein Universalmittel gegen alles Elend sammelst.«
»Es wundert mich nur,« fuhr Sibille fort, »daß Du bei dem herrlichen Abend so früh nach Haus kommst. Es ist ganz gegen Deine Art.«
»Meine Art« – wiederholte sie mißtrauisch, »ist denn meine Art anders wie die der anderen Leute.«
»Nun ja!« antwortete die Mutter, »sagt' ich es Dir nicht schon oft genug. Du vergißt alles, wenn's grad' so kommt.«
Sie nahm sich zusammen wie sie nur konnte, aber bei den Worten und dem Gedanken an das Erlebte, schoß ihr das Blut ungestüm und verrätherisch in die Wangen und bewegte ihr das Herz, daß sie glaubte, die Mutter müsse es klopfen hören.
Sie sollte eine harte Probe bestehen.
Schon lange hatte Sibille eine Rede in Florian's Angelegenheit im Sinn, bis jetzt nur immer noch zweifelnd, 132 ob's nicht gefährlicher wäre davon zu sprechen, als zu schweigen.
Das Ding beim Namen nennen, ist oft so gewagt als ob man einen Nachtwandler anruft. Heut aber ließ es ihr keine Ruh', da die Gelegenheit zu günstig war.
»Florian liebt Dich«, – sagte sie mit der Thür in's Haus fallend – »ich weiß es lange, hat er Dir davon gesprochen?«
»Nein,« sagte das Mädchen scharf, »wie kommst Du darauf? er hat mir nie ein Wort der Liebe gesagt.«
»Nu, nu!« begütigte Sibille, »sei nicht so verwundbar, er kommt gewiß noch damit, dafür ist mir gar nicht Angst; da ich aber Deine Schwäche für ihn kenne, will ich Dich warnen. Das ist kein Mann für Dich, kein Sohn für uns.« Und sie fing an ihn zu schildern, wie ihn ihre Seele erkannte.
Gesenkten Hauptes hörte Dorothee den Geliebten schmähen, ohne ein Wort der Widerrede, ihr Herz hatte andere Klagen über ihn – dies hörte sie kaum.
»Laß mich zufrieden mit dem,« rief sie endlich, »ich hasse ihn mehr als Du!«
Florian hatte noch am Waldrand gehalten, bis Dorothee seinen Blicken entschwand; ein Lächeln flog über seine hübschen Züge. –
»Sie ist Dein« – sagte er zu sich, »Du kannst sie haben, wann Du willst. Sie würde nicht zögern, wie ihre kalte Mutter, wenn ich sie stehlen wollte. Der Vater giebt sie mir schwerlich, besonders wenn er so Manches wüßte. Jetzt brauch' ich auch keine Frau. Ich bin nicht 133 so unvernünftig, wie mich das tolle Kind machen will. Die Versuchung war groß. Ich glaube, ich liebe sie mehr als ich es je gethan, und das ist ein sehr angenehmes Gefühl.«