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4. Kaiserlied, Schöpfung und Jahreszeiten.

(1793–1809)

Als im Juli 1792 Haydn zurückreiste und abermals Bonn berührte, gab ihm das kurfürstliche Orchester im nahen Godesberg ein festliches Frühstück, und dabei legte Beethoven ihm eine vermuthlich auf Leopolds II. Tod geschriebene Cantate vor, die der Meister besonders beachtete und die ihn veranlaßte »ihren Verfasser zu fortdauerndem Studium aufzumuntern«. Damals wurde ohne Zweifel auch die Verabredung getroffen, wonach bald darauf der junge Componist Haydns Schüler ward. Denn von Beethovens wunderbarem Clavierspiel war auch er damals geradezu überrascht worden.

In Wien und damit in ganz Deutschland stand jetzt, nachdem Gluck und Mozart gestorben waren, Haydn als erster Meister da. Schon im Frühling des Jahres 1792 hatte die Musikalische Correspondenz geschrieben, seine Verdienste seien so allgemein anerkannt und der Einfluß seiner zahlreichen Werke so wirksam, daß seine »Manier« gleichsam als das allgemeine Ziel der Componisten erscheine und sie selbst sich in dem Grade der Vollendung näherten, in welchem sie ihm nahe kämen. Der in England gewonnene Ruhm aber erstickte fortan auch allen Zweifel und Widerspruch. Jeder Gebildete habe jetzt den Namen Haydn mit einem Tone ausgesprochen, der ein Gefühl von Nationalstolz verrieth, sagt Dies, und das wird umsomehr der Fall gewesen sein, nachdem er am 22. und 23. Dezember im Burgtheater seine sechs neuen Symphonien aufgeführt hatte, auf die man natürlich in Wien besonders gespannt gewesen war. Es war dies obendrein zum Vortheil der gleichen Tonkünstlerwittwen-Casse geschehen, die ihn einst so grob behandelt hatte. Er ward darauf sogar »steuerfreies« Mitglied der Gesellschaft, hat sie aber niemals in Anspruch zu nehmen gebraucht.

Auch materiell hatte das »Land der Goldfüchse« ihn so wohl gestellt, daß er ein kleines Haus in »einsam stiller Lage« der Vorstadt Gumpendorf kaufte, welches seine Frau sich naiv genug als Wittwensitz ausersehen hatte, das aber im Gegentheil die Ruhestätte seines Alters werden sollte. Er ließ später einen Stock darauf setzen und bewohnte es bis an sein Ende, seine Frau um volle neun Jahre überlebend.

Componiren und Unterrichtgeben blieben jetzt nach wie vor sein gleichmäßig ruhiges Geschäft. Aber das letztere wurde ihm diesmal wenigstens bei einem Schüler ziemlich schwer. »Haydn hat hierher berichtet, er werde ihm große Opern aufgeben und selbst bald aufhören müssen zu componiren,« schreibt man schon zu Anfang des nächsten Jahres 1793 von Bonn aus über Beethoven. Und dieser Anschauung und dem ganzen Wesen des alten Meisters entspricht, daß er dem jungen Schüler rieth, von den drei Trios Op. 1, die in der gleichen Zeit in Haydns Gegenwart gespielt wurden und über die er selbst auch dem Componisten »viel Schönes« sagte, das 3. in Cmoll nicht herauszugeben: er fürchtete, daß solcher »Sturm und Drang«, gegen den allerdings im ersten Augenblick »alle andere Musik zahm und geistlos erschien«, ihm beim Publicum eher schaden als nützen könne. Auf den so leicht mißtrauenden Beethoven aber machte dies einen gar bösen Eindruck: er glaubte Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es nicht gut mit ihm. So erscheint denn auch der Unterricht, der ohnehin nicht viel Aussicht auf Erfolg hatte, weil dem ruhmgekrönten älteren Neuerer ein in noch höherem Grade revolutionärer jüngerer gegenübertrat, von Anfang an in seinem inneren Bestande gestört. Doch währte er bis zu Ende des Jahres 1793, – der größere Jünger vergaß nicht, was er dem großen Meister schuldig war. »Kaffee für Haydn und mich«, dergleichen Notizen in Beethovens Tagebuche von damals bezeugen, daß auch persönlicher Privatverkehr über den Unterricht hinaus unter ihnen bestand. Wirklich brach er diesen äußerlich erst ab, als Haydns zweite Reise nach London den schicklichen Vorwand dazu gab. Thatsächlich war er aber bereits damals der Schüler des aus Mozarts Biographie bekannten Schenk. Er hatte nämlich schon öfters gegen andere Musiker sich beklagt, daß er mit seinen Studien nicht vorwärts komme, da Haydn allzuviel beschäftigt seinen Arbeiten nicht die gewünschte Aufmerksamkeit schenken könne, und Schenk, der Beethoven bereits bei einem solchen Collegen, dem Abbé Gelinek phantasiren gehört hatte, war ihm dann eines Tags begegnet, als er gerade mit seinem Heft unterm Arm von Haydn kam, hatte einen Blick in dasselbe geworfen und gefunden, daß sehr viel Unrichtiges stehen geblieben war. Dies entschied für Beethovens Wechsel und Wahl.

Dennoch hörte man schon zu dieser Sommerzeit 1793 von Wien aus in Bonn, daß der junge Landsmann »große Fortschritte in der Kunst mache«, und dies fällt immerhin in die Wagschale Haydns, der eben mit Hilfe seines Fux und Ph. E. Bach das auf praktischem Wege erworbene gute theoretische Wissen des genialen Stürmers zu sammeln und zu ordnen verstand und dasselbe dadurch an sich schon wesentlich erhöhte. Wenn derselbe gleichwol nicht den begreiflichen Wunsch des Lehrers erfüllte, auf sein demselben gewidmetes erstes Sonatenwerk (Op. 2) »Schüler von Haydn« zu setzen, weil er, wie er sich rechtfertigte, »nie etwas von ihm gelernt habe«, so bezieht sich dies eben nur auf den höheren Compositionsunterricht, zu dem sie noch gar nicht mit einander vorgedrungen waren. Doch sehen wir ihn im Jahre 1793 mit Haydn nach Eisenstadt gehen und dieser hatte sogar die Absicht ihn im nächsten Winter mit sich nach England zu nehmen. Beethovens Schüler Ries sagt denn auch ausdrücklich, daß Haydn Beethoven »sehr geschätzt« habe, nur sei derselbe »immer so eigensinnig und selbstwollend« gewesen, weßhalb auch Haydn ihn den »Großmogul« nannte. Wie neidlos dieser an sich jüngere Künstler zu würdigen wußte, ersehen wir noch einmal gerade in diesen Tagen aus einem Billet an seinen Pathen Joseph Weigl, den späteren Componisten der »Schweizer Familie«. »Schon seit langer Zeit habe ich keine Musik mit solchem Enthusiasmus empfunden als Ihre gestrige Prinzessin von Amalfi,« schreibt er am 11. Januar 1794 an denselben. »Sie ist gedankenneu, erhaben, ausdrucksvoll, kurz ein Meisterstück. Ich nehme den wärmsten Antheil an dem gerechten Beifall, den man ihr gab. Erhalten Sie mich alten Knaben in Ihrem Andenken.« Immer aber hatte er dem jungen Schüler die edlen Musikkreise Wiens völlig erschließen geholfen und dieser konnte nun dort unbeirrt sein Glück suchen, als der Lehrer wieder in der Ferne weilte.

Zu dieser zweiten Reise aber die nöthigen Arbeiten zu beschaffen, war eben des alternden Mannes »zu viele Beschäftigung« gewesen. Und diese Reise mußte schon aus äußeren Gründen gemacht werden. Denn Haydn hatte darauf zu sehen, daß er auch in wirklich alten und arbeitslosen Tagen ohne Einengung auf seine an sich einfache Weise zu leben habe. Ein eigenwilliger junger Anfänger, der ohnehin den Unterricht nicht bezahlte, – denn er hatte von seinem Kurfürsten wol das Gehalt behalten, bezog aber keine weitere Unterstützung, – durfte also nicht zuviel von dieser kostbaren Zeit rauben. Auch war es solcher Begabung gegenüber genug, die Hauptdinge des Unterrichts zu betonen und ihn nicht durch stete Aufzeigung kleiner, zum Theil bloß nebensächlicher Fehler, die sich mit der Zeit von selbst verlieren, von jenen unnöthiger Weise abzulenken. Wir kennen ja Haydns Anschauung in solchen Dingen und vernehmen darüber noch eine charakteristische Aeußerung aus diesen späteren Tagen. Der Contrapunktist Albrechtsberger, Beethovens nachheriger Lehrer, der nach dessen witzigem Ausdrucke »die Kunst musikalische Gerippe zu schaffen aufs höchste getrieben hat«, wollte aus dem reinen Satze auch alle Quarten verbannt wissen. »Was heißt das?« erwiderte Haydn. »Die Kunst ist frei und soll durch keine Handwerksfesseln beschränkt werden. Solche Künsteleien haben keinen Werth, ich wünschte lieber, daß einer versuchte einen wahrhaft neuen Menuet zu componiren.« Beethoven that dies letztere wirklich und nannte es sogleich in seinem Op. 1 – Scherzo. Wie dem allen aber auch sei, – »Haydn kam selten ohne einige Seitenhiebe weg,« sagt F. Ries von Beethoven und wir werden diesem Gegensatz zwischen beiden Künstlern, der von wesentlich innerer Natur war, auch hier noch begegnen, aber ebenso erkennen, daß dies der Verehrung Beethovens gegen Haydn keinen eigentlichen Abbruch that.

Wir kommen jetzt zu der zweiten Londoner Reise.

Diesmal setzte der Fürst Hindernisse entgegen. Er verlangte zwar keine persönlichen Dienste, hatte aber Wohlgefallen an Haydn und seinem Ruhme und meinte, von diesem habe er genug erworben. Auch möge er sich als ein Sechziger nicht ferner den Gefahren der Reise und den Verfolgungen des Neides aussetzen. Haydn mißkannte nicht die darin waltende Wohlgesinntheit. Allein er fühlte sich noch kräftig und schätzte ein thätiges Leben mehr als die Ruhe, in die ihn sein Fürst versetzt hatte. Zudem wußte er, daß das englische Publicum »seiner Muse noch immer geneigt sei«, und hatte sich eben gegen Salomon zur Composition von sechs weiteren Symphonien verbindlich gemacht, auch mit verschiedenen Verlegern in London vorheilhafte Verträge abgeschlossen. So gab der Fürst denn nach und ließ Haydn reisen, – auf Nimmerwiedersehen, denn nach kurzer Zeit war er todt und Haydn hatte den vierten Esterhazy zum Gönner und Herrn, auf dessen Befehl er noch in London dem Verstorbenen ein Denkmal in einem Requiem setzte.

Am 19. Januar 1794 begann die Reise. Sogleich in Schärding geschah etwas, das so recht von Haydns gutem Humor zeugte. Die Grenzbeamten frugen nach seinem Stande. Haydn gibt ihn an. »Ein Tonkünstler, was ist das?« wiederholten die Herren. »Nun, ein Hafner«, (Töpfer, Thonkünstler), versicherte einer. »Allerdings,« bekräftigte Haydn, »und dieser (sein treuer Diener Elßler) ist mein Geselle.« In Wiesbaden aber empfand er mit vieler Genugthuung die Größe seines Ruhmes. In dem Gasthause ward im Zimmer nebenan sein Andante mit dem Paukenschlage gespielt, das so rasch beliebt geworden war. »Er hielt den Spieler für seinen Freund und trat mit Artigkeit in das Zimmer,« erzählt Dies. »Er fand einige preußische Offiziere, die alle große Verehrer seiner musikalischen Produkte waren und wie er sich endlich zu erkennen gab, nicht glauben wollten, daß er Haydn sei. ›Unmöglich, unmöglich, Sie Haydn? Ein schon so bejahrter Mann! Wie reimt sich dies mit dem Feuer in Ihrer Musik?‹ In dem Tone fuhren die Herren so lange fort, bis er den von ihrem Könige empfangenen Brief vorzeigte, welchen er zum Glück im Koffer bei sich führte. Nun überhäuften ihn die Offiziere mit Liebkosungen und er mußte bis spät nach Mitternacht in ihrer Gesellschaft bleiben.«

Haydn wohnte diesmal mehr in der Nähe seiner Freundin und Verehrerin, der Frau Schröter, doch vernehmen wir nichts näheres über ihren Verkehr. Ueberhaupt sind besonders hervorragende Nachrichten von diesem zweiten Aufenthalte nicht vorhanden, im wesentlichen wiederholen sich die Ereignisse des ersten. Doch blieb sein Name diesmal von Verunglimpfungen verschont. Vielmehr fand man seine Kräfte in ihrer Verwerthung wachsend und eine neue Symphonie sein bestes Werk. Auch durfte sein Name auf keinem Concertprogramm fehlen und das Wiederholen seiner Stücke war so häufig wie früher. »In Anmuth und Können, was ist ihm gleich?« sagt das »Orakel« vom 10. März 1794.

Eine hübsche Anekdote aus dieser Zeit erzählte dem Biographen Pohl noch 1866 der 90jährige Sir G. Smart, der damals bei Salomon Violinspieler war. Es fehlte bei der Probe an einem Paukenschläger. Haydn fragt: »Ist Niemand da, der Pauke schlagen kann?« »Ich kann's,« erwiderte rasch der junge Smart, der nie einen Schlägel in der Hand gehabt hatte, aber meinte, es genüge der bloße richtige Tact. Nach dem ersten Satze geht Haydn zu ihm, lobt ihn, meint aber, die in Deutschland gebrauchten den Schlägel so, daß die Schwingung des Felles nicht gehemmt sei. Zugleich nimmt er selbst den Schlägel und zeigt dem erstaunten Orchester ein ganz neues Talent. »Sehr wohl,« bemerkt unerschrocken der junge Smart, »wenn Sie es lieber so haben, wir können dies in England auch.« Wem fiele dabei nicht die erste Paukenstudie beim Herrn Vetter Franckh in Hainburg ein?

Am 12. Mai 1794 ward ein anderer Liebling aller Haydnfreunde zum ersten Mal aufgeführt, die »Militärsymphonie«, strotzend von fröhlichem Uebermuth und jovialer, oft auch innig humoristischer Laune. Nicht lange darauf erhielt er die Nachricht, der neue Fürst Nicolaus wolle die Capelle in Eisenstadt wiedererrichten und habe ihn aufs neue zu seinem Capellmeister ernannt. Haydn vernahm diese Nachricht mit großem Vergnügen. Hatte doch dieses Fürstenhaus ihm sicheres Brod und was jetzt wol als mehr werth erschien, Gelegenheit gegeben, sein Können als Componist völlig auszubilden. Zwar überstieg sein Gewinn hier in London bei weitem die Besoldung im Vaterlande und wir werden noch hören, wie sehr man ihn ganz an England zu fesseln strebte. Allein er beschloß, sobald seine hier eingegangenen Verpflichtungen zu Ende seien, in der That in die alte Stellung zurückzukehren.

Ein geheimer aber stark mitwirkender Grund mag dabei derselbe gewesen sein, der auch heute noch den größten spezifischen Tonkünstler F. Liszt, wo er auch weile, stets wieder für längere Zeit zu uns Deutschen treibt: es ist das Fludium der Musik selbst, das bei uns sozusagen das ganze Dasein in all seinen Fasern durchzieht und in dessen Thau unser tieferes Fühlen stets wieder »gesund sich badet.« Denn trotz der ausgezeichneten Leistungen der Capelle und der Virtuosen, die selbst zum größeren Theil Deutsche waren, fand der Meister der Töne eben London und England nicht eigentlich »musikalisch«. Wie er denn auch damals von einem Theater in sein Tagebuch schrieb: »Man macht da so elendes Zeug als in Sadler Well, ein Kerl schrie eine Arie so fürchterlich und mit so extremen Grimassen, daß ich am ganzen Leibe zu schwitzen anfing. NB. Er mußte die Arie wiederholen. O che bestie! (Was für Dummköpfe!)« Es lebte eben noch viel von den »englischen Reitern« auch in diesen musikalisch-theatralischen Productionen, und die Musik galt dem entsprechend in England auch noch lange nicht als etwas, das zu den geistigen Dingen gehört. So ist es auch, trotzdem Haydn selbst es nicht vernommen zu haben glaubte, völlig glaubhaft, daß der rohe Mob auf der Galerie unter Zischen und Pfeifen »Fidler, Fidler« geschrieen hat, als das Orchester ihn, einen Künstler und noch dazu Ausländer, bei seinem ersten Erscheinen im Theater durch Aufstehen geehrt hatte. Von solcher Ueberzeugung in Betreff des englischen Musiksinns konnte einen Haydn natürlich auch nicht die komische Erfahrung zurückbringen, die er praktisch von seinem eigenen Ruhm machte, wenn, wie Griesinger erzählt, zuweilen Engländer zu ihm traten, ihn von Kopf bis zu Fuß maßen und mit dem Ausrufe You are a great man (Sie sind ein großer Mann) verließen.

Auch mochte noch ein anderer Umstand dazu beitragen, daß er der österreichischen Heimat so unbedingt den Vorzug g ab. Er war im August des Jahres 1794 in den Ruinen der alten Abtei Wawerley. »Ich muß gestehen,« schrieb er in sein Tagebuch, »daß so oft ich diese schöne Wildniß betrachtete, mein Herz beklemmt wurde, wenn ich daran dachte, daß alles dieses einst unter meiner Religion stand.« Der ständige Aufenthalt unter Leuten einer Confession, die seiner katholischen so sehr entgegensteht wie der Protestantismus, würde in diesen späteren Lebensjahren des einfachen Mannes den Empfindungen und Vorstellungen störend geworden sein, in die er fast zwei Menschenalter hindurch sich auf das innerlichste eingelebt hatte. Dies ist eine Sache des persönlichen Gefühls und widerstreitet nicht der Duldsamkeit, die sonst auch in religiösen Dingen der schönen Art seines Gemüthes entsprach. Ebenso endlich war seinem patriarchalischen Wesen gerade dasjenige nicht zusagend, was England damals so groß machte, die politische Freiheit. Und während er von dem Vorzuge eines großen freien Volkslebens kein Wort sagt, kommt er auf das rohe Gebrüll und tolle Aufschreien jenes sweet mob (süßen Pöbels) in London bei Festen und im Theater mehrfach zu sprechen. Sozial genommen aber hing trotz seinem lieben Oesterreich der Zopf auch den Engländern noch hinten, ja die Schranken, welche die Stände dort trennen, sind bekanntlich noch heute sogut wie unübersteigbar. Ebenso ist die Sitte nirgend in der Welt formeller, – alles Gründe, ihn sein Vaterland um so inniger lieben zu lassen.

Sein Ruf in diesem Lande ward aber stets größer. Er heißt jetzt bereits ein Genius, der keinem weicht, und dies bei Erwähnung einer Aufführung des Hamlet, der er beigewohnt hatte. Sein schalkhafter Humor nähert ihn allerdings dem großen englischen Tragiker: wenn auch nicht so tief und zu Thränen erschütternd, stammt er doch zweifellos aus dem gleichen ächten Quell des Gemüths. Eines Streiches solcher Schalkhaftigkeit auch im Leben gerade hier in London erwähnte er selbst gegen Dies und Andere. Er stand in genauer Bekanntschaft mit einem Deutschen, der sich auf der Violine eine an Virtuosität grenzende Fertigkeit erworben hatte, aber die üble Gewohnheit besaß, sich immer in die höchsten Töne in der Nähe des Steges zu versteigen. Haydn wollte versuchen, ob dem Dilettanten nicht diese Schwäche zu verleiden und Gefühl für ordentliches Spiel beizubringen sei. Derselbe besuchte oft ein Fräulein Janson, die sehr fertig Clavier spielte und die er zu begleiten pflegte. Haydn schrieb also eine Sonate für beide, betitelte sie »Jakobs Traum« und sandte sie ohne Namen und versiegelt der Dame zu, die denn auch nicht säumte, das dem Anschein nach leichte Werkchen mit dem Geiger zu versuchen. Es dauerte nicht lange, so flog es nur so mit den Passagen, die in der 3. Position der Violine angebracht waren. Der Geiger schwelgte. »Sehr gut geschrieben, man sieht, der Componist kennt das Instrument,« murmelte er. Anstatt aber endlich in möglichere Regionen herabzusteigen, ging es zur 5., 6. und zuletzt gar zur 7. Position hinauf. Des Spielers Finger liefen immer zusammengedrängter wie Ameisen durcheinander. Auf dem Instrument herumkrabbelnd und die Passagen überstürzend rief er mit Angstschweiß auf der Stirne: »Ist das erhört, so etwas zusammenzuschmieren? Der Mensch versteht ja gar nicht für Violine zu schreiben!« Das Fräulein war bald auf die Spur gekommen, daß der Componist mit diesen hohen Passagen die Himmelsleiter, die Jakob im Traume sah hatte vorstellen wollen, und je mehr sie bemerkte, daß ihr Begleiter auf dieser Leiter bald schwerfällig unsicher stolpernd, bald taumelnd oder hüpfend auf- und abstieg, kam ihr die Sache so komisch vor, daß sie das Lachen nicht verbergen konnte, bis dann das Ungewitter losbrach, bei dem wir annehmen wollen, daß es den Dilettanten selbst von seiner thörichten Sucht heilte. Erst nach 5 bis 6 Monaten entdeckte es sich, wer der Componist sei, und Fräulein Janson schickte ihm nun ein Geschenk.

Haydns Wirkung auf das Publicum that sich bei diesem zweiten Aufenthalte in London ebenfalls noch bedeutend höher kund: Salomon durfte, wenn auch etwas verblümt, doch sogar öffentlich dem »stolzen England« sagen, daß diese Haydn-Concerte nicht ohne Einfluß auf das öffentliche Interesse, das heißt den Geschmack für und in Musik geblieben seien, und im Frühjahr 1795 sah denn auch das Königspaar Haydn mehrmals. Das erste Mal war es bei der so musikalischen jungen Herzogin von York, der Prinz von Wales stellte ihn vor. Der hannoversche Georg III. war sonst nur für Händel eingenommen. Schreibt doch 1786 Ph. E. Bach von ihm: »Das Possirlichste von allem ist die gnädige Vorsicht, wodurch Händels Jugendarbeiten bis aufs äußerste verwahrt werden!« Allein er zeigte an diesem Abend, wo unter Salomons Leitung von dem königlichen Orchester nur Werke Haydns, natürlich ganz vortrefflich gespielt wurden, viel Interesse auch für diese. »Dr. Haydn,« sagte er, »Sie haben viel geschrieben.« – »Ja Sire, mehr als gut ist.« – »Gewiß nicht, die Welt widerspricht dem.« Der König stellte ihn dann der Königin vor und sagte, er wisse, daß Haydn sonst ein guter Sänger gewesen sei, er möchte gern einige Lieder von ihm hören. »Ew. Majestät, meine Stimme ist jetzt nur noch so groß,« sagte auf das Gelenk seines kleinen Fingers deutend Haydn. Der König lachte und nun sang Haydn sein Lied »Ich bin der Verliebteste.«

Zwei Tage darauf war eine ähnliche Production beim Prinzen von Wales, wie er denn bei diesem sehr oft sein mußte.

»Bei dem Prinzen von Wales dirigirte er 26 Musiker und das Orchester mußte oft mehrere Stunden warten, bis der Prinz von der Tafel aufgestanden war,« erzählte Haydn selbst Griesinger. »Da diese Bemühung ganz unbelohnt blieb, schickte Haydn, als das Parlament jede Schuld des Prinzen bezahlte, auf Rath seiner Freunde von Deutschland aus eine Rechnung von 100 Guineen ein und erhielt diese Summe ohne Verzug.« Man hat dies dort Haydn sehr übel genommen. Wie er denn auch bei der ersten Begegnung im Jahre 1791 selbst aufgeschrieben hatte, der Prinz liebe die Musik außerordentlich, habe sehr viel Gefühl aber wenig Geld: ihn vergnüge aber mehr seine Güte als das Interesse. Allein er hatte, wie sein Testament zeigt, viel arme Verwandte, die ihn in Anspruch nahmen, und durfte er sie an dem Fürstensohne des reichsten Landes der Welt einbüßen lassen, was seine künstlerische Mühe ihm redlich verdient hatte? Gerade hier in London sollte er noch eine bittere Probe davon erhalten, was er an diesen Verwandten habe: er ward wegen Unvermögenheit eines angeheiratheten Neffen, der Esterhazyscher Hausmeister war, zur Bezahlung seiner Schuld »geradezu condemnirt«, und wir ersehen aus dem Testamente, daß diese Verwandten gar »durch seine außerordentliche Güte mehr als 6000 Fl. auf sein Conto verschwelgt hatten.« Diese außerordentliche Güte aber verpflichtete ihn nach seinem Gefühle so gut wie Andere ihr Adel oder ihr Genie, und so durfte er die Mittel sie nach Möglichkeit zu üben sich ohne Grund nicht entgehen lassen.

Bald ward er wiederholt auch zu den Concerten der Königin selbst eingeladen und von ihr sogar mit einem Händelschen Manuscripte »der Erlöser am Kreuze« beschenkt. Als Deutsche wünschten gar sie und der König ihn ganz an England zu fesseln. »Ich räume Ihnen des Sommers eine Wohnung in Windsor ein,« sagte die Königin, »und dann«, setzte sie schalkhaft gegen den König schielend hinzu, »machen wir zuweilen tête-à-tête Musik.« »O, auf Haydn eifre ich nicht, der ist ein guter ehrlicher deutscher Mann.« »Diesen Ruf zu behaupten, ist mein größter Stolz,« bestätigte rasch Haydn. Auf die wiederholten Zureden entgegnete Haydn, daß er durch Dankbarkeit an das Haus seines Fürsten gebunden sei und sich auch nicht auf immer von seinem Vaterlande und seiner Frau trennen könne. Der König erbot sich die letztere kommen zu lassen. »Die fährt nicht über die Donau, noch weniger übers Meer,« versetzte Haydn. Er blieb überhaupt in diesem Punkte unerbittlich und glaubte auch dies als Ursache nehmen zu müssen, daß er nie vom Könige beschenkt und vom Hofe überhaupt kein weiteres Interesse für ihn gezeigt worden sei. Die tieferen und eigentlichen Gründe seiner Weigerung aber haben wir bereits kennen gelernt.

Auch die Concerte waren das Jahr 1795 großartiger als je eingerichtet. Denn die politischen Ereignisse auf dem Continente störten mannichfach das Interesse. Haydn, Martin, Clementi und dazu die ausgezeichnetsten Sänger und Spieler aus aller Herren Länder, – ein glänzenderes Concertunternehmen hatte London nicht gesehen. Haydn eröffnete jedesmal die zweite Abtheilung des Concertes mit einer Symphonie. Das »Oracle« schreibt über eine derselben, sie zeige »den Styl und die Phantasie Haydns in Tönen, wie sie keinem andern Genius zu Gebote ständen.« Als er daher am 4. Mai 1795 sein Benefice gab, bei dem die Militärsymphonie und die letzte der 19 Londoner Orchesterschöpfungen, die Symphonie in Ddur gespielt wurden, konnte er in sein Tagebuch schreiben: »Der Saal war voll auserlesener Gesellschaft, die Gesellschaft war äußerst vergnügt und auch ich. Ich machte diesen Abend 4000 Fl., so etwas kann man nur in England machen.« Er faßte bei diesen erwünschten Erfahrungen auch damals schon die Idee, für England ein Werk derjenigen Gattung zu schreiben, die dort weitaus am beliebtesten und volksthümlichsten war, ein Oratorium, begann auch ein solches in englischer Sprache, ließ es jedoch liegen, weil er sich eben derselben nicht mächtig genug fühlen mochte.

Mancherlei Geschenke liefen diesmal ein, wie von Clementi ein Becher aus Cocosnuß mit silbernem Fuß und von einem gewissen Tattersall für die Mitwirkung an einer Arbeit zur Verbesserung des englischen Kirchengesanges eine fußbreite silberne Schale, und noch neun Jahre später that sich die Wirkung seines Londoner Aufenthaltes in der Zusendung von sechs paar wollenen Strümpfen kund, in welche sechs Themen von Haydn, wie das Andante der Symphonie mit dem Paukenschlag, »Gott erhalte Franz den Kaiser« u.s.w. eingewebt waren. Er war aber auch der Erste, der nach Händel wieder mit seiner Muse allseitig und dauernd in London durchdrang und die Zuhörer förmlich zur heiter-ernsten Aufnahme der Gebilde der Tonkunst zwang. Erst als dann Mozart und später Beethoven auch in London bekannt wurden, begann eine neue Dynastie: jetzt herrschte Haydn fast so unbedingt wie einst Händel. Er hatte diese Herrschaft aber auch durch eine sehr große Anzahl von Werken aller Gattungen befestigt. Griesinger gibt sein eigenes Verzeichniß an: es sind im Ganzen 768 Blätter, darunter außer der Oper Orpheus und jenen 12 Londoner Symphonien, deren Themen man in der Schrift »Haydn in London« findet, 6 Quartette, 11 Sonaten, zahlreiche Lieder, Tänze, Märsche, – denn man wollte ihm allüberall wiederbegegnen. Und was diese Herrschaft bald darauf fast absolut machen sollte, war »die Schöpfung«, deren Text ihm von Salomon schon jetzt in London, wo er sich ja auch »vielen Credit in der Singmusik« erworben hatte, gegeben worden war und die sozusagen den krönenden Abschluß des Londoner Aufenthaltes noch von der Heimat aus bilden sollte.

Im August 1795 kehrte Haydn über Hamburg und Dresden nach Wien zurück, am Rhein herrschten die Franzosen. Auch diesmal war die Reise wieder recht einträglich gewesen: zu den 12,000 Fl. der ersten Künstlerfahrt war die gleiche Summe von dieser zweiten gekommen und dabei blieben ihm noch die Honorare der Verleger in England wie in Deutschland und Paris. Er konnte den alten Tagen jetzt für seine Person mit sorgenfreiem Blick entgegensehen, er hatte, wenn auch bescheiden, doch sicher zu leben. »Haydn wiederholte öfters, daß er in Deutschland erst von England aus berühmt geworden sei,« sagt Griesinger. »Der Werth seiner Werke war anerkannt, aber jene lauten Huldigungen, welcher sich das überwiegende Talent sonst zu erfreuen hat, erfolgten erst spät.« Dafür heißt es aber jetzt auch »unser unsterblicher Haydn.« Er gab wieder in Wien mit den neuen Compositionen ein Concert (18. December 1795), diesmal jedoch zu seinem eigenen Vortheile. Es wurden darin drei neue Symphonien gespielt, und er selbst ward mit Huldigungen überhäuft, die Einnahme betrug mehrere Tausend Gulden. In diesem Concerte wirkte auch Beethoven mit, wir erkennen auch daraus das gute äußere Einvernehmen von Lehrer und Schüler in dieser Zeit.

»Wir möchten nun doch auch ein Oratorium von Ihnen hören, lieber Haydn,« sagte dann eines Tages der aus Mozarts und Beethovens Leben bekannte Baron van Swieten, den auch er schon seit zwanzig Jahren und länger kannte. »Er unterstützte mich zuweilen mit ein paar Ducaten und schenkte mir auch einen bequemen Reisewagen zur zweiten Reise nach England,« hat Haydn selbst erzählt. Der kaiserliche Bibliotheksdirector van Swieten war Secretair einer Adelsgesellschaft, deren Theilhaber den vollen Klang jener Namen zeigen, die den »allermusikalischsten Adel Europas« ausmachten, jene Esterhazy, Lobkowitz, Kinsky, Lichnowsky, Schwarzenberg, Auersperg, Trautmannsdorff u.s.w. Diese pflegten seit Jahren in dem schönen Bibliothekssaale der kaiserlichen Burg größere Gesangswerke aufzuführen: Händel war der bevorzugte Liebling, Mozart hatte für diese Concerte Acis und Galathea, die Cäcilienode, Alexanderfest und Messias bearbeitet. Man besaß oder kannte noch nichts Aehnliches für Deutschland denn S. Bach war, namentlich für Wien noch nicht entdeckt, Haydns Rückkehr des Tobias wie Mozarts Davidde penitente in einem Style geschrieben, den man schon in der Oper besaß, und das Requiem war zwar schon vorhanden und auch aufgeführt, stand aber eben einzig da. Dagegen zog die Zauberflöte jahraus jahrein Tausende ins Theater. Warum konnte man nicht ähnliche rein deutsche Musik auch im Concertsaal hören? War doch in diesem Werke ebenfalls sozusagen ein Stück Schöpfung mit allerhand Gethier und Wesen und dem Paradies in dem feierlich geprüften Liebespaare Pamina und Tamino gegeben, und wie viel mannichfaltiger erschienen die Lebensbilder in dem Schöpfungsgedichte Lidleys selbst, das Haydn in Händen und Swieten gezeigt hatte! Die Gesellschaft bot also ohne Zweifel auf Swietens Anregung ein Honorar von 500 Ducaten und dieser selbst machte sich an die Bearbeitung des englischen Textes. Drei Jahre später war das volksthümlichste aller Oratorienwerke, die Schöpfung »vollbracht«.

Dazwischen aber fällt, abgesehen von der 1796 entstandenen Messe in tempore belli (in Kriegszeiten), wo das Agnus dei mit Pauken einsetzt, »als höre man den Feind schon in der Ferne kommen« ein künstlerisches Ereigniß, das wenn auch nicht entfernt entscheidend für die Kunst der Töne als solche, doch ihren hehren Beruf, die Vorstellungen und Empfindungen ganzer Zeiten und Völker zusammenzufassen und auf ein hohes Gesammtziel zu lenken, in der schönsten Weise erfüllt: die Composition von »Gott erhalte Franz den Kaiser«.

Dieses Lied hat seinen Entstehungsgrund in den von Frankreich herüberdrängenden revolutionären Bewegungen dieser Jahre, die 1796 den k.k. Oberstkanzler Grafen Saurau bestimmten, ein Nationallied dichten zu lassen, das geeignet sei, »die treue Anhänglichkeit des österreichischen Volkes an seinen guten und gerechten Landesvater vor aller Welt kundzuthun und in den Herzen aller guten Oesterreicher jenen edlen Nationalstolz zu wecken, der zur energischen Ausführung jeder von dem Landesfürsten als nützlich erkannten Maßregel unentbehrlich ist.« Er habe sich dann »an ihren unsterblichen Landsmann« Haydn gewendet, den er allein fähig hielt, etwas zu machen, das dem englischen God save the king gleich komme. Nun in der That, weit über seine beschränkte Absicht hinaus hat dieser Minister hier den edelsten deutschen Volksgeist geweckt und in einem schönen Gefäß fixirt. Haydn hatte selbst auch schon die englische Nationalhymne in London gesetzt: es war ihm mehr als einmal bei öffentlichen Festen Gelegenheit geworden, die tiefe Anhänglichkeit der Engländer an ihr Königshaus, die Verkörperung ihres Staates, in ergreifender Weise kennen zu lernen. Er selbst hatte ebenso seine Treue gegen das Vaterland in mancher scharfen Prüfung bewähren müssen. Der wiederholte lange Aufenthalt in der Fremde war ferner nur geeignet, ihm völlig zum Bewußtsein zu bringen, was seine österreichische Heimat, was Deutschland ihm war. Obendrein bildete die Musik nicht blos seine eigene sondern ebenso seines Volkes ureigenste Sprache, und er, der schon in der Kindheit vom Volke selbst das Lied gelernt hatte, war auch der erste gewesen, der es in würdiger und allerfreuender Weise in die Kunstmusik einführte.

So war, wenn je, sein volles Herz bei dieser Composition, und der Auftrag dazu kam ihm ja sozusagen unmittelbar von seinem Kaiser. Noch weit über das God save the king hinaus ist daher auch dieses »Gott erhalte Franz den Kaiser« ein voller Ausbruch eines gesammten Volksempfindens, und wie nicht »Heil dir im Siegerkranz« oder sonst ein partikulares Vaterlandslied die deutsche Volkshymne werden konnte, sondern thatsächlich zunächst nur das Lied »Deutschland, Deutschland über alles« dies geworden ist, so ist dieses letztere auch zu Haydns Melodie gedichtet und ohne Zweifel vor allem dadurch so rasch und so allgemein als deutsche Volkshymne aufgenommen worden. Denn das deutsche Volk empfindet hier förmlich ein Stück seines Wesens, ja dieses ist in seinem innersten Kern ausgesprochen, so wie es eben die Musik vermag. In der That gibt es denn auch keine reichere und man möchte sagen empfindungsgesättigtere Volkshymne als diese. Das an sich so schöne God save the king, von dem doch Beethoven schrieb, er müsse den Engländern einmal zeigen, was für ein Segen in dieser Melodie sei, erscheint arm und mager gegen solche Fülle der melodisch-rhythmischen Gestaltung und modulatorischen Mannichfaltigkeit. Sogleich im zweiten Verse spricht die Melodie in schönster Erathmung jene wunderbare Erhebung aus, die das Innere ergreift, wenn es sich eins weiß mit dem besten Herzschlage seines Volkes, und die ihr entsprechende Stelle des zweiten Theils, der Gipfelpunkt des Ganzen, läßt eben dieses erhebende Gefühl wie mit tausend und abertausend Stimmen zum Dom des Ewigen emporschwellen. Der Bau der Melodie ist ein Meisterstück ersten Ranges. Nie ist in der Musik mit einfacheren Mitteln größere und sicherere Wirkung erzielt worden. »Gott erhalte Franz den Kaiser« steht als sozusagen weltlicher Choral neben »Ein' feste Burg«. Es spricht in der einfachst volksmäßigen aber zugleich in der ergreifendsten Weise aus, was überhaupt dieser innere Gemüthszustand unseres Volkes ist, und hat denselben auf kleinste Enge des Raumes zusammengedrängt in gleicher Weise dauernd gemacht, wie die Musik überhaupt uns Deutschen seit Jahrhunderten das Gefäß unserer reinsten und heiligsten Empfindungen geworden ist. Hätte Haydn nichts geschrieben als dieses Lied, alle Jahrhunderte deutschen Volkslebens würden seinen Namen kennen und nennen. Wir werden noch hören, wie hoch aber auch er selbst das Lied hielt. Und seinen besonderen musikalischen »Segen« hat nicht lange darauf er selbst in einem seiner bekanntesten Quartette, im sogenannten »Kaiserquartett« als Variationen des Themas entfaltet.

»1797, 28. Januar erhielt Haydns Volkshymne das Imprimatur (Druckpatent) vom Grafen Saurau,« sagt eine Chronologie seines Lebens. Das wahre Siegel der Allgemeingiltigkeit aber setzte das Volk selbst auf dieses Lied, indem es dasselbe eben sogleich als sein eigenstes Gut liebend und begeistert aufnahm. »12. Februar als dem Geburtstage des Kaisers Franz wurde Haydns Volkshymne in allen Theatern Wiens feierlich abgesungen, Haydn erhielt ein ansehnliches Geschenk zur Belohnung,« heißt es ferner. Ihn selbst in seiner ganzen Bescheidung aber vernehmen wir aus dem Billet an den Grafen Saurau: »Excellenz! Eine solche Ueberraschung und soviel Gnade, besonders über das Bild meines guten Monarchen, habe ich in Betracht meines kleinen Talents noch nie erlebt. Ich danke Ew. Excellenz von Herzen und bin erbietig in allen Fällen Euer Excellenz zu dienen.« Heute aber gibt es in ganz Deutschland kein allgemeines, gewiß aber kein patriotisches Fest, an dem nicht diese Melodie gesungen oder gespielt als Ausdruck ächt deutscher Gesammt- und Nationalempfindung erklänge. »Gott erhalte« ist also ein Stück unserer Geschichte, wie es ein Stück unseres Wesens ist. Erst R. Wagners Kaisermarsch-Lied entspricht in gleicher Weise wieder unserer Gesammtempfindung. Es ist aber wie als Dichtung gegen jenes bloße Lied eine Hymne, und zwar der männlich kräftigsten und schwungvollsten Art, so als Composition gleich der Marseillaise eine förmliche Scene, die erhöhte nationale Lebensbewegung unserer Tage wiederspiegelnd. Immer aber bleibt Haydns Lied der Ausdruck, wenn auch der mehr patriarchalischen Zeit der Nation, so doch unserer lichtesten und eigensten nationalen Empfindung.

Und dies galt es jetzt zuletzt auch im besonderen Gebiete der Kunst auszuführen: die Herzensweise des deutschen Volkes in einer größeren Composition auszusprechen und dadurch, so wie es bereits Mozart in der Zauberflöte gethan hatte, dieselbe in ein krystallenes Gefäß gefaßt auf immer für die Kunst zu gewinnen. Dies ist denn auch die geschichtliche Bedeutung von Haydns »Schöpfung«: sie bezeichnet zusammen mit Mozarts Zauberflöte den endgiltigen Sieg deutscher Musik und hat allmählich auch für den Tiefsinn der vorausgegangenen Epoche der norddeutschen Organistenschule, vor allem S. Bachs den Sinn erschließen wie den Weg zu dem hochüberragenden dramatischen Schaffen R. Wagners eröffnen helfen.

»Haydn componirte die Schöpfung im 65. Jahre seines Lebens mit einem Feuer, welches sonst nur die Brust eines Jünglings zu beleben pflegt,« sagt Griesinger. »Ich hatte das Glück Zeuge der tiefen Rührung und des lebhaftesten Enthusiasmus zu sein, welche mehrere Aufführungen unter Haydns eigener Direction bei allen Zuhörern bewirkten. Haydn gestand mir auch, daß er die Empfindungen nicht zu schildern vermöge, von denen er durchdrungen gewesen sei, wenn die Ausführung ganz seinen Wünschen entsprach und die Zuhörer in der größten Stille auf jeden Ton lauschten: bald war ich eiskalt am ganzen Leibe, bald überfiel mich glühende Hitze und ich befürchtete mehr als einmal plötzlich vom Schlage gerührt zu werden.« Und wie tief sein persönliches Innere gerade bei dieser Composition mitwirkend war, sagt das andere Wort: »Ich war auch nie so fromm als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete. Täglich fiel ich auf meine Kniee nieder und bat Gott, daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte.«

Man sieht, es war ihm Herzensangelegenheit. »Empfangen Sie dieses Oratorium mit Ehrfurcht und Andacht,« schrieb sein Bruder Michael, jetzt selbst längst ein angesehener Kirchencomponist. Aber nicht was Haydn, wie dieser sich ausdrückt, »in seinen Chören mit der Ewigkeit treibt,« ist das Außerordentliche, – dies hat Händel, hat gar Bach in unnennbar größerer Erhabenheit und überwältigender Geistesmacht geboten. Aber die herzliche Innigkeit dieser Sprache, die unvergleichliche Natürlichkeit, der selige Frohmuth und der ganze unschuldvolle Sinn, sowie Kinderaugen lächeln, dies ist hier das Neue und Schöne. Ein Springquell der ewigen Jugend sprudelt in Weisen wie »Nun beut die Flur das frische Grün«, »Und Liebe girrt das zarte Taubenpaar«, »Des Frühlings reizend Bild«. Und wie wahrhaft vom Geiste eingegeben ist so manche der viel beredeten »Malereien« in diesem Werke! Das Aufsteigen des Mondes zum Beispiel ist ebenso anschaulich wie fast wehmüthig rührend dargestellt. Und wie gut Haydn die Dissonanz zu verwerthen weiß, zeigt schon das einleitende »Chaos«. Ebenso aber gibt eben die Modulation überhaupt dem Ganzen besondere Wirkungen z.B. die kräftige Steigerung des Schlusses des Chors »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes.« Auch ist ihm die säulenartig aufbauende Dreiklangfolge der Alten im richtigen Augenblicke wohl zur Hand.

Diese neue Schöpfung unwillkürlichster Lebensregung aber, vom »reizenden Gesange« der Nachtigall bis zum unbefangenen Ausdruck herzlichen Liebesglücks in Adam und Eva, konnte nur aus einem Herzen kommen, dessen Grundzug Güte, Frömmigkeit und Reinheit der Gesinnung war. Es ist ein Schatz, den hier Oesterreich aus seinem innersten Gemüthe dem ganzen deutschen Volke gab, werthvoll wie unsere classische Dichtung und dauernd wie sie. Denn dieser bestehende Gehalt des Werkes geht über alles, was Aesthetik oder Verstandeskritik hier an Malerei nicht musikalischer Gegenstände auszusetzen oder gar zu bespötteln findet. Der Grundton ist durchweg musikalisch, denn er entstammt der Brust eines Mannes, der das Leben und die Schöpfung als etwas herrlich Schönes und Gutes erkannte und daher seinem Schöpfer mit kindlich reinem und dankbarem Gemüthe anhing.

»Er habe die Gottheit immer durch Liebe und Güte ausgedrückt,« hörte Dies ihn selbst ausdrücklich sagen. Diese letzte Kraft des menschlichen Daseins ist denn auch die Mutter der lieblichen Geschöpfe, die uns in den Melodien dieser »Schöpfung« umtanzen, »jedem Ohr klingend, keiner Zunge fremd.« Ein Urtheil jener Zeit über Haydns Messen lautet, es herrsche in ihnen eine heitere ausgesöhnte Andacht, ein beglückendes Sichbewußtwerden der himmlischen Güter. Dies paßt im Grunde auf alle Haydnsche Musik, am meisten aber auf die Schöpfung. Ebenso war er überhaupt überzeugt, daß ein unendlicher Gott sich doch gewiß seines endlichen Geschöpfes erbarmen werde, und dieser Gedanke gab ihm eine gewisse zuversichtliche Freudigkeit. Händel sei groß in den Chören, aber mittelmäßig im Gesang, sagte er selbst und bezeugte damit sein tiefes Gefühl für das unwillkürliche Leben und dessen individuelle Physiognomie. Doch bewahrt er sich andererseits in diesem rein lyrisch angelegten Werke vor allem dramatischen Pathos und hat Recht, wenn er dieses der Bühne überläßt. Gluck sei in seiner poetischen Intention und seiner dramatischen Kraft Andern überlegen, sagt er weiter in genauer Erkenntniß der verschiedenen Aufgaben und Absichten der Kunst. Er selbst wußte mit feinem künstlerischem Sinne Idealtypen des natürlichen Daseins zu skizziren und hauchte ihnen seinen lebendigen Odem ein, gab ihnen den zuckenden Strahl seines Auges und den so recht innerlich anmuthenden Ton seiner eigenen treu und seelenvoll liebenden Mannesbrust. Dies stellt ihn eben über die berühmten Vorgänger, Zeitgenossen und Nachfolger, einen Graun, Hasse, Ph. E. Bach, Salieri, Cherubini u. s. w. hoch hinaus und erhebt ihn auch auf diesem Gebiete zur Höhe des Classischen. Manche dieser Melodien werden denn auch gewiß so lange leben wie die deutsche Empfindung selbst, namentlich für die Jugend und das Volk, aus denen sich die Menschheit selbst ja stets neu ergänzt.

Dieser Meinung und Art des Werkes entsprach denn auch sogleich seine Aufnahme. Es ward zuerst mit unglaublichem Beifall im Schwarzenbergischen Palais, dann am 19. März 1799 im Burgtheater aufgeführt und brachte ihm hier nach Dies 9000, nach Anderen über 4000 Fl. ein. Ein Jahr später ward ebenfalls bei Schwarzenberg zuerst Beethovens vielbilderiges reizendes Septett gespielt und sehr bewundert. »Das ist meine Schöpfung«, soll Beethoven ebendamals gesagt haben. In der That ist hier Styl und Wesen der Schöpfungsmelodien völlig vorhanden, aber damit zugleich die Kraft gewonnen, sie zu höheren Gebieten emporzuführen. Und noch eine Art Schöpfung ward, vermuthlich durch den Erfolg von Haydns Werk veranlaßt, in dieser Zeit Beethoven zu componiren gegeben: das Ballet »die Geschöpfe des Prometheus«. Ja hier begegnen uns beide Componisten nochmals miteinander im Gespräche. »Nun gestern habe ich Ihr Ballet gehört, es hat mir sehr gefallen,« sagte Haydn, als im Jahre 1801 das Werk zur Aufführung gekommen war. Beethoven erwiderte: »O lieber Papa, Sie sind sehr gütig, – aber es ist doch noch lange keine Schöpfung.« Haydn, durch diese Antwort überrascht und beinahe verletzt, sagte nach einer kurzen Pause: »Das ist wahr, es ist noch keine Schöpfung, glaube auch schwerlich, daß es dieselbe je erreichen wird,« worauf sich beide etwas verblüfft gegenseitig empfahlen.

Sollte hier des alten Meisters Selbstgefühl gegen den stolzen »Großmogul« etwas zu lebhaft aufgebraust sein, so sehen wir ihn in einem Briefe an Breitkopf und Härtel, die Herausgeber der Allgemeinen musikalischen Zeitung, um so bescheidener. »Nur wünsche und hoffe auch ich alter Mann, daß die Herren Recensenten meine Schöpfung nicht allzustreng anfassen und ihr dabei zu wehe thun mögen,« schrieb er bei Uebersendung des Werkes im Sommer 1799. »Man wird zwar in einigen Stellen etwas anstoßen an der musikalischen Rechtschreibung und vielleicht auch an anderem, was ich als Kleinigkeiten anzusehen nun einmal seit soviel Jahren gewohnt bin: aber der ächte Kenner wird bei manchem die Ursache wie ich einsehen und solche Steine des Anstoßes mit gutem Willen an die Seite wälzen. Doch das ganz unter uns, man möchte es mir sonst für Einbildung und Hochmuth auslegen, wovor mich doch mein himmlischer Vater mein Lebelang bewahrt hat.«

In dem gleichen Briefe schreibt er: »Leider vermehren sich meine Geschäfte, wie sich meine Jahre vermehren, und doch ist es fast, als ob mit der Abnahme meiner Geisteskräfte meine Lust und der Drang zum Arbeiten zunähme. O Gott wieviel ist noch zu thun in dieser herrlichen Kunst, auch schon von einem Manne wie ich gewesen! Die Welt macht mir zwar täglich viele Komplimente, auch über das Feuer meiner letzten Arbeiten: aber niemand will mir glauben, mit welcher Mühe und Anstrengung ich dasselbe hervorsuchen muß, indem mich manchen Tag mein schwaches Gedächtniß und die Nachlassung der Nerven dermaßen zu Boden drückt, daß ich in die traurigste Lage verfalle und hierdurch viele Tage nachher außer Stande bin, nur eine einzige Idee zu finden, bis ich endlich durch die Vorsehung in meinem Herzen aufgemuntert mich wieder an das Clavier setzen und da zu hämmern anfangen kann. Da findet sichs denn wieder, Gott sei gelobt.« Von einem anderen Mittel sich in diesen späten Tagen zur Arbeit zu beleben und zu erfrischen hörte Griesinger. »Wenn es mit dem Componiren nicht so recht fort will, so gehe ich im Zimmer auf und ab, den Rosenkranz in der Hand, bete einige Ave und dann kommen mir die Ideen wieder,« sagte Haydn.

Und was entstand denn jetzt noch? Wir hörten von dem Kaiserquartett und wissen noch von mehreren anderen, unter denen das 82. ist, das nur aus 2 Sätzen besteht. »Es ist mein letztes Kind,« sagte er, »aber es sieht mir doch noch ähnlich.« Als Schluß gab er ihm im Jahre 1806 den Eingang seines Liedes »Hin ist alle meine Kraft«, das er auch als Visitenkarte hatte stechen lassen, um Freunden damit die Anfrage über sein Befinden zu beantworten. Ebenso schreibt er 1799 an Artaria von »12 neuen sehr prächtigen Menuets und 12 Trios.« Die Hauptsache aber war ein zweites Oratorium, welches nach dem ungemeinen Beifall der Schöpfung jene Adelgesellschaft wünschte, und zwar bearbeitete wieder van Swieten einen Text für ihn: es waren die »Jahreszeiten« nach Thomson.

»Haydn beklagte sich oft bitterlich über den unpoetischen Text und wie schwer es ihm werde, sich durch das ›Heisasa, Hopsasa, es lebe der Wein, es lebe das Faß, das ihn verwahrt, es lebe der Krug woraus er fließt‹, in Begeisterung zu setzen,« erzählt Griesinger. Er war oft über die vielen malerischen Nachäffungen ganz verdrießlich, und nur das ewige Einerlei derselben zu heben, kam er auf den Einfall, in der Schlußfuge dieses »Herbstes« die Trunkenheit darzustellen. »Mein Kopf war so voll von dem tollen Zeuge, daß ich alles drunter und darüber gehen ließ, ich nenne daher die Schlußfuge die betrunkene Fuge,« sagte er. Er mochte dabei einer Scene gedenken, die er bei dem Lordmayorfest in London gesehen hatte, wo »die Mannsbilder wie gewöhnlich die ganze Nacht hindurch wacker suffen und unter tollem Aufschreien und Schwenkung der Gläser mit dem Ruf hurrey, hurrey, hurrey! Gesundheiten getrunken wurden.«

Besonders aber mißfiel ihm das Froschgequak, er empfand das Erniedrigende, das darin für seine Kunst lag. Swieten holte aber ein altes Stück von Grétry hervor, worin »der Koax mit hervorstechendem Prunke gesetzt war.« Haydn meinte freilich, es wäre besser, wenn der ganze Quark nicht da wäre, willfahrte gleichwol Swietens Drängen, schrieb aber später, diese ganze Stelle der Nachahmung des Frosches sei nicht aus seiner Feder geflossen: »Es wurde mir aufgedrungen, diesen französischen Quark niederzuschreiben, mit dem Orchester verschwindet dieser elende Gedanke gar bald, aber als Clavierauszug kann derselbe nicht bestehen. Mögen die Recensenten nicht so strenge mit mir verfahren, ich bin ein alter Mann und kann das alles nicht noch einmal durchsehen.« Bei der Stelle »O Fleiß, o edler Fleiß, von dir kommt alles Heil« bemerkte er, er sei sein ganzes Leben ein fleißiger Mann gewesen, es sei ihm aber niemals eingefallen, den Fleiß in Noten zu setzen. Gleichwol wandte er seine ganze Kraft an das Werk, und zwar ist dies wörtlich zu nehmen. Denn kurz nach der Beendigung ward er von einem Kopffieber befallen, bei dem es seine größte Marter war, daß seine Phantasie sich unaufhörlich mit Musik beschäftigte. Es blieb dann eine Schwäche nach, die stetig zunahm. »Die Jahreszeiten haben mir dieses Uebel zugezogen, ich hätte sie nicht schreiben sollen, ich habe mich dabei übernommen,« sagte er zu Dies.

Wie hatte ihn aber auch der hochfahrende Swieten geplagt, der ja als Gelehrter und Kunstkenner alles besser zu verstehen meinte! So tadelte er die Arie, wo der Landmann hinter dem Pfluge die Melodie des Andante mit dem Paukenschlag trällert, und wollte dafür ein Lied aus einer recht populären Oper haben. Haydn empfand das Beleidigende dieser Zumuthung und antwortete mit berechtigtem Selbstgefühl: »Ich ändere nichts, mein Andante ist so gut und so bekannt wie irgend ein Lied aus jenen Opern.« Swieten nahm dies übel und besuchte Haydn nicht mehr. Nach 10 bis 12 Tagen ging dann, seiner unverwüstlichen Gutherzigkeit folgend, Haydn zu dem vornehmen Herrn selbst hin, ward aber eine starke halbe Stunde im Vorzimmer gelassen. Endlich verlor er die Geduld und wandte sich zur Thüre, als er zurückgerufen und eingelassen wurde. Er konnte jedoch seine Hitze nicht mehr mäßigen und ließ den hochmüthigen Herrn Director an: »Sie ließen mich noch zur rechten Zeit zurückrufen, beinahe hätte ich heute zum letzten Male Ihr Vorzimmer gesehen.« Gedenkt man dabei des »Großmoguls« und der Scene mit Goethe in Karlsbad, so fühlt man allerdings in sozialer Hinsicht ein volles Jahrhundert zwischen Haydn und Beethoven liegen: die Kunst war mündig geworden und mit ihr der Künstler. Haydn selbst aber hatte ihr die Zunge zum Reden von dem tieferen Bestande unseres Innern lösen helfen und sie dadurch auch als rein instrumentale Musik zu höherer Geltung gebracht. Swieten sollte denn Haydns Zorn auch noch recht persönlich erfahren. Jene briefliche Klage über den »Froschquark« war freilich ohne sein Zuthun in die Oeffentlichkeit gelangt, aber doch sehr aufrichtig gemeint. Swieten ließ ihn wol seine Entrüstung darüber lange Zeit hindurch empfinden, es zeigt sich aber nirgend eine Spur, daß Haydn es sich besonders zu Herzen genommen hätte.

Die erste Aufführung der »Jahreszeiten« fand am 24. April 1801 statt, die Meinungen über das Werk waren getheilt. In derselben Zeit fand die Begegnung Haydns mit seinem Schüler Beethoven und das Gespräch über den Prometheus statt, das ebendarum doppelt begreiflich erscheint. »Beethoven dachte sich bei seinen Compositionen oft einen bestimmten Gegenstand, obschon er über musikalische Malereien häufig lachte und schalt, besonders über kleinliche der Art. Hierbei mußten die Schöpfung und die Jahreszeiten manchmal herhalten, ohne daß Beethoven jedoch Haydns höhere Verdienste verkannte,« erzählt sein Schüler Ries. Am schönsten aber bestimmt Haydn selbst den Unterschied seiner beiden Oratorien. Kaiser Franz fragte ihn bei einer Aufführung der Jahreszeiten, welchem von beiden Werken er den Vorzug gebe. »Der Schöpfung,« entgegnete Haydn. »Und warum?« – »In der Schöpfung reden Engel und erzählen von Gott, aber in den Jahreszeiten spricht nur der Simon.« – »Im Munde was vom Philister,« sagte Lavater von Haydns Gesicht. Im Vergleich zu dem idealen Typus der Schöpfungsmelodien kehrt in den Jahreszeiten der Handwerker mit den melodischen und modulatorischen Wendungen der »guten alten Zeit« zurück und selbst der Humor ist hausbacken. Gleichwol herrscht noch viel ächt Haydnsche Heiterkeit und Frische auch in diesem seinem letzten Werke und in mancher der »Malereien« ist auch hier wieder viel Schöpferisches, sodaß wir immerhin in diesen beiden Oratorien Haydns und Mozarts Zauberflöte die entfernten Vorläufer der gewaltigen musikalischen Schöpfungsmalerei in R. Wagners »Ring des Nibelungen« zu erkennen haben.

Von jetzt an aber ist Haydns Biographie nicht mehr die Geschichte seines Schaffens sondern seines äußeren Daseins, jedoch auch stets mehr seines Ruhmes. Im Jahre 1798 ernannte ihn die Stockholmer Akademie zu ihrem Mitgliede, 1801 die Amsterdamer. Schon im Jahre 1800 verbreiteten sich die Abschriften der Schöpfung und schickten ihm die Musiker des Pariser Operntheaters, die sie zuerst aufgeführt hatten, eine große goldene Medaille mit seinem Bildniß. »Ich habe oft gezweifelt, daß mich mein Name überleben werde, allein Ihre Güte flößt mir Vertrauen ein und das Denkmal, womit Sie mich beehrt haben, berechtigt mich vielleicht zu glauben, daß ich nicht ganz sterben werde,« antwortete er. Mit anderen Medaillen folgte das dortige Institut national, das Concert des Amateurs und das Conservatorium. Im Jahre 1804 erhielt er das Bürgerdiplom der Stadt Wien, nachdem ihm schon das Jahr zuvor für die Aufführung seiner Werke zum Vortheil des Bürgerspitals die 12fache goldene Medaille zutheil geworden war. Diese Concerte hatten über 33,000 Fl. eingebracht, so groß war jetzt Haydns Popularität. Im Jahre 1805 ernennt ihn das Pariser Conservatorium zu seinem Mitgliede. Ebenso folgen weiter die Musikgesellschaften zu Laibach, Paris und Petersburg.

Er selbst aber gedenkt des Endes und macht 1806 sein Testament, das sich durch zahlreiche schöne menschliche Züge auszeichnet: niemand seiner Heimat und seiner jetzigen Umgebung ist vergessen, und doch waren ihrer gar viele, – man findet den Entwurf in den »Musikerbriefen«. Es schließt: »Meine Seele übergebe ich ihrem allergütigsten Erschaffer, mein Leib hingegen soll nach römisch-katholischem Gebrauch in die geweihte Erde bestattet werden, für meine Seele legire ich Nr. 1«, nämlich »Auf heilige Messen 12 Fl.«. »Ich bin der Welt zu nichts mehr nütze, ich muß mich wie ein Kind warten und pflegen lassen, es wäre wol Zeit, daß mich Gott zu sich riefe,« sagte er zu Griesinger. Die wohlthuende Abwechslung bei diesem einsamen Leben in seinem stillen Häuschen, seit seine Frau nicht mehr war, bot ihm eben, was an Ehrung, Freundschaft und Liebe in Besuchen oder Schreiben sich jetzt nahte. Eine schöne Bestätigung der Quelle, aus der sein Schaffen geflossen war, ist sein Brief vom Jahre 1802 nach dem fernen Rügen, wo man am Clavier die Schöpfung aufgeführt hatte. »Sie geben mir die süßeste Ueberzeugung, die der ausgibigste Trost meines Alters ist, daß ich öfters die beneidenswerthe Quelle bin, aus welcher Sie und so manche für herzliche Empfindung empfängliche Familie in häuslicher Stille ihr Vergnügen, ihre Zufriedenheit schöpft, wie beseligend ist nicht dieser Gedanke für mich!« schreibt er jenen Musikfreunden. »Oft wenn ich mit Hindernissen aller Art rang, wenn oft die Kräfte sanken und mir es schwer ward, in der angetretenen Laufbahn zu verharren, flüsterte mir ein geheimes Gefühl zu: es gibt hinieden so wenige der frohen und zufriedenen Menschen, überall verfolgt sie Kummer und Sorge, vielleicht wird deine Arbeit bisweilen eine Quelle, aus welcher der Sorgenvolle auf einige Augenblicke seine Erholung schöpft.«

Er mochte von seinem Jugend-Schaffen denn auch selbst nicht mehr viel wissen. »Liebster Elsler. Sei so gütig, mir bei allererster Gelegenheit die alte Symphonie, genannt die Zerstreute zu schicken, indem Ihre Majestät die Kaiserin den alten Schmarren (Kohl) zu hören ein Verlangen trägt,« schreibt er 1803 humoristisch nach Eisenstadt. Doch componirte er fortan nicht mehr. Er schickt zwar noch im Jahre 1805 zwölf Stücke an Artaria und meint, der alte Haydn habe dafür wol ein kleines Präsent verdient, sie werden jedoch aus den früheren Tagen stammen.

Im Frühjahr 1804 schreibt C. M. von Weber: »Ich war schon einigemal bei Haydn. Die Schwäche des Alters ausgenommen, ist er immer munter und aufgeräumt, spricht sehr gerne von seinen Begebenheiten und unterhält sich besonders mit jungen angehenden Künstlern gern. Das wahre Gepräge des großen Mannes, dies alles ist (Abbé) Vogler auch, nur mit dem Unterschied, daß sein Literaturwitz viel schärfer als der natürliche Haydns ist. Es ist rührend, die erwachsenen Männer kommen zu sehen, wie sie ihn Papa nennen und ihm die Hand küssen.« In den gleichen Tagen war von Berlin ein Brief von Goethes Freund Zelter gekommen, der ihn einlud zu hören, mit welcher »Ruhe, Andacht, Reinigkeit und Heiligkeit« seine Chöre von der Singakademie gesungen würden. »Ihr Geist ist in das Heiligthum göttlicher Weisheit eingedrungen, Sie haben das Feuer vom Himmel geholt, womit Sie irdische Herzen erwärmen und zu dem Unendlichen leiten. O kommen Sie zu uns! Sie sollen wie ein Gott unter Menschen empfangen werden,« so schreibt enthusiastisch entzückt der sonst ziemlich handwerksmäßig trockene Maurermeister, der aber eine besondere Eigenschaft der Haydnschen Muse, das Volksmäßige und bürgerlich Humoristische sicher zu würdigen wußte. Wie dieser selbst aber über falsche Verhimmelung dachte, sagt uns Griesinger. Ein Clavierspieler begann bei seinem Besuche: »Sie sind Haydn, der große Haydn, auf die Knie sollte man vor Ihnen fallen. Sie sollten im prächtigsten Palast wohnen u. s. w.« – »Ach mein lieber Herr,« antwortete Haydn, »reden Sie nicht so mit mir, sehen Sie mich als einen Mann an, dem Gott Talent und ein gutes Herz verliehen hat. Es ging mir in meiner Jugend sehr hart und schon damals bemühte ich mich soviel zu erwerben, um in alten Tagen frei von Nahrungssorgen zu sein. Ich habe meine bequeme Wohnung, Mittagsessen, ein gutes Glaserl Wein, ich kann mich in feines Tuch kleiden und wenn ich fahren will, so ist mir ein Miethwagen gut genug.«

Diese volle Ruhe der Existenz nun verdankte er vor allem seinem letzten Fürsten. »Die Freunde der Harmonie schmeichelten mir oft und ertheilten mir übertriebenes Lob. Wenn mein Name einer rühmlichen Auszeichnung werth ist, so trat die Epoche in jenem Augenblicke ein, womit der Fürst auch meiner Freiheit einen größeren Spielraum anwies,« sagte er selbst zu Dies, als dieser ihn fragte, wie er neben seinem Dienst noch zwei Oratorien habe schreiben können. Die Familie des erlauchten Gönners besuchte ihn auch manchmal selbst, ja sie brachten ihm, um ihn möglichst zu schonen, persönlich die Nachricht vom Tode seines geliebten Bruders Johann, der ebenfalls in ihren Diensten gestanden war. Im Jahre 1806 erhöhte der Fürst sein Gehalt noch um volle 600 Gulden, sodaß er sich jetzt jeder Bequemlichkeit zu erfreuen hatte. Sein braver Diener Elsler, der Vater der berühmten Tänzerin, pflegte seiner getreulich. Er besaß aber auch solch ein Gefühl liebender Verehrung für Haydn, daß er beim Ausräuchern des Krankenzimmers manchmal vor seines Herrn Bildniß stehen blieb und – ihm räucherte. Die ganze damalige Art und Erscheinung Haydns jedoch hat uns ein damals junger Musiker aus Prag, der aus dem Buche »Beethoven nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen« bekannte Wenzel Tomaschek überliefert, der ihn im Sommer 1808 besuchte.

Er saß im Sorgenstuhl. »Eine gepuderte mit Seitenlocken gezierte Perrücke, ein weißes Halsband mit goldener Schnalle, eine weiße reichgestickte Weste von schwerem Seidenstoff, dazwischen ein stattliches Jabot prangte, ein Staatskleid von feinem kaffeebraunen Tuche, gestickte Manschetten, schwarzseidene Beinkleider, weißseidene Strümpfe, Schuhe mit großer über den Rist gebogener silbernen Schnalle und auf dem zur Seite stehenden Tischchen neben dem Hut ein Paar weißlederne Handschuhe waren die Bestandtheile seines Anzuges, an welchem sich die Morgenröthe des 17. (?18.) Jahrhunderts abspiegelte,« sagt Tomaschek, und wir fügen dazu nach Griesingers Bemerkung: »Wenn er Besuche erwartete, so steckte er einen brillantenen Ring an den Finger und schmückte sein Kleid mit dem rothen Bande, woran die Bürgermedaille getragen wird.« »Doch das sanfte Gefühl, das sich beim Anblick des ruhmgekrönten Tondichters meiner bemächtigte, gab meinem Innern eine elegische Stimmung,« fährt Tomaschek fort. »Haydn klagte über sein dahinschwindendes Gedächtniß, weßhalb er das Componiren ganz aufgeben mußte: er vermochte keine Idee im Kopfe mehr bis zu ihrem Aufschreiben festzuhalten. Er forderte uns auf, mit ihm ins nächste Zimmer zu gehen, um seine Geschenke für die Schöpfung anzusehen. Eine Büste von Gyps veranlaßte mich Haydn zu fragen, wen sie darstelle. Der Arme in Weinen ausbrechend, winselte mehr als er sprach: ›Meinen besten Freund, den Bildhauer Fischer. O warum nimmst du mich nicht zu dir!‹ Der Ton, mit dem er dies sprach, durchschnitt mir das Herz und ich schmollte mit mir, ihn so traurig gestimmt zu haben. Doch beim Anblick seiner Kostbarkeiten ward er sogleich wieder heiter. Kurz der große Haydn war schon ein Kind, bei dem das Leid und die Freude einander oft in den Armen lagen.«

»Der 27. März war einer der größten Ehrentage, die Haydn bis jetzt erlebte. Der Greis liebte von jeher sein Vaterland, und er setzt einen unaussprechlichen Werth auf die im Vaterlande genossene Ehre,« so leitet Dies einen Bericht über die Aufführung der Schöpfung in italienischer Sprache ein, die unter Salieris Direction in diesem Jahre 1808 stattfand. Haydn wurde schon beim Aussteigen aus dem fürstlichen Wagen von »hohen Personen des Adels« und – seinem Schüler Beethoven empfangen. Das Gedränge war so groß, daß eine Militärwache Ordnung halten mußte. Er ward auf einem Armstuhle sitzend hoch emporgehoben in den Saal getragen und beim Eintritt unter Tuschgeschall mit dem freudigen Rufe: »Es lebe Haydn« begrüßt. Er mußte neben seiner Fürstin Platz nehmen, – der Fürst war an diesem Tage bei Hofe, – auf der anderen Seite saß seine Lieblingsschülerin Fräulein Kurzbeck. Der höchste Adel Wiens hatte die Sitze in seiner Nähe gewählt. Der französische Gesandte beobachtete, daß Haydn die Medaille des Pariser Liebhaberconcertes trug. »Nicht allein diese, Sie müssen alle Medaillen, die in Frankreich ausgetheilt werden, empfangen,« sagte er. Haydn glaubte ein wenig Zug zu verspüren. Die Fürstin nahm ihren Shawl und umhing ihn, mehrere Damen folgten diesem Beispiel und Haydn war in wenig Augenblicken mit Shawls bedeckt. Eibler, Gyrowetz, Hummel und sein Pathe Weigl waren ebenfalls anwesend. Es wurden ihm Gedichte von Collin und von Carpani, dem Uebersetzer des Textes überreicht. »Er konnte länger seiner Empfindung nicht gebieten, das gepreßte Herz suchte und fand Linderung in Thränen,« fährt Dies fort. »Er mußte eine Stärkung von Wein nehmen, um die ermatteten Lebensgeister zu erhöhen.« Als die Stelle »Und es ward Licht« kam und die Zuhörer wie gewöhnlich in lautesten Beifall ausbrachen, machte er eine Bewegung mit den Händen zum Himmel und sagte: »Es kommt von dort.« Er blieb jedoch in einer so wehmüthigen Stimmung, daß er sich zu Ende der ersten Abtheilung wegbegeben mußte. »Sein Abschied überwältigte ihn vollends, er hatte keine Worte und konnte den herzlichsten Dank nur mit abgebrochenen schwachen Worten und Segnungen ausdrücken. In jedem Gesichte las man tiefe Rührung, und bethränte Augen begleiteten ihn, als er weggetragen wurde, bis an den Wagen.«

»Es war als flösse heute elektrisches Feuer in Haydns Adern, so sehr hatten die Ereignisse der vergangenen Tage seine Lebensgeister gereizt,« sagt Dies von einem Besuche acht Tage darauf. Allein Tomaschek erzählt: »Der wüthende Beifall, den man der Schöpfung zollte, hätte dem greisen Tonsetzer bald das Leben gekostet.« Wir nahen denn auch merklichst diesem Ende. Doch zuvor sollte er auch noch einen anderen Ruhm, den Glanz seines Schülers Beethoven in dem großen Concert vom December desselben Jahres 1808 erleben.

»Als Haydns Kränklichkeit zunahm, besuchte ihn Beethoven immer seltener,« erzählt I. von Seyfried und setzt in genauer Kenntniß der Verhältnisse hinzu: »Hauptsächlich wol aus einer Art von Scheu, weil er bereits einen Weg eingeschlagen hatte, den jener nicht ganz billigte.« Dennoch erkundigte sich der liebenswürdige Greis häufig nach seinem Telemach und fragte oftmals: »Was treibt denn unser Großmogul?« Allerdings entsprach ihm persönlich mehr der ausgeprägtere Formalismus in einem künstlerischen Schaffen wie dem Cherubinis, der sich nach wiederholten Besuchen beim Abschied von Wien im Frühjahr 1806 eine seiner Partituren ausbat. »Erlauben Sie, daß ich mich Ihren musikalischen Vater und Sie meinen Sohn nenne,« sagte Haydn und Cherubini »zerfloß in Thränen.« Cherubini hatte nämlich im Jahre 1788 zuerst in Paris eine Haydnsche Symphonie gehört und war davon so heftig ergriffen worden, daß es ihn gewaltsam vom Stuhle riß. »Sein ganzer Körper erstarrte, seine Augen brachen und diese Krisis hielt noch lange an, nachdem die Symphonie zu Ende war,« heißt es darüber. »Dann löste sie sich in eine Erschlaffung, seine Augen füllten sich mit Thränen und von dem Augenblicke an war die Richtung seines Schaffens bestimmt.« Er mochte sich aber auch mit dem alten »Papa« um so leichter verständigen, als derselbe von der in diesem Jahre entstandenen Leonorenouverture Beethovens äußerte, er habe wegen dem Bunterlei der Modulationen die Haupttonart nicht zu erkennen vermocht.

Bezeichnender Weise berühren daher weder Dies noch Griesinger auch nur mit einem Worte Haydns Verhältniß zu Beethoven. Und doch waren die Quartette Op. 18 längst erschienen und neben denen Haydns und Mozarts in Wien beliebt. Fidelio und die ersten Symphonien hatten ebenfalls ihren Beifall gefunden, das Concert vom December 1808 aber brachte die 5. und die 6. Symphonie und gewiß haben die Freunde ihm von dem gewaltigen Schaffen des neuen Meisters erzählt, der wirklich »gedankenneu, erhaben, ausdrucksvoll« war und Haydns eigenen Ruhm als des Schöpfers der Gattung nur erhöhen konnte. Allein er selbst war bereits zu alt, um das Wesen eines Beethoven, der eine ganz neue Welt vertrat, richtig würdigen zu können. Vermochte er sich doch nicht einmal mehr in die Ideen und die Ausdrucksweise der Dichter seiner Zeit zu finden und war überhaupt diese letzten Jahre hindurch nicht mehr eigentlich geistig beschäftigt noch empfänglich.

Er vertrieb sich die oft drückende lange Weile durch Beten und durch Rückerinnerung an die früheren Erlebnisse, besonders an die Tage in England, die er zu den glücklichsten seines Lebens rechnete. Er besaß eine besondere Cassette, die mit den Geschenken der Potentaten und Musikgesellschaften gefüllt war. »Wenn mir das Leben zuweilen verdrießlich wird, so sehe ich das alles an und es freut mich in ganz Europa geehrt worden zu sein,« sagte er zu Griesinger. Dann las er auch Zeitungen und ging die kleinen Hausrechnungen durch, unterhielt sich mit den Nachbarn und den Dienstboten, besonders seinem treuen Elsler, und spielte abends mit ihnen Karten, sich freuend, wenn sie dabei ein paar Kreuzer gewannen. Sogar die Musik war ihm zuletzt zur Qual geworden und wir vernehmen bei dieser Nachricht eine sehr bemerkenswerthe Aeußerung über sein Kaiserlied. »Ich bin wirklich ein lebendiges Clavier,« sagte er 1806 zu Dies. »Schon seit mehreren Tagen spielt es in mir ein altes Lied ›O Herr, wie lieb ich dich von Herzen‹, wo ich gehe und stehe, überall höre ichs. Aber curios, wenn es mich so innerlich quält und nichts helfen will, um die Qual los zu werden und mir fällt nur mein Lied ›Gott erhalte Franz den Kaiser‹ ein, dann wird mir leichter, es hilft.« »Das wundert mich nicht, ich halte das Lied für ein Meisterstück,« entgegnete Dies. »Beinahe halte ich es selbst dafür, ob ichs gleich nicht sagen sollte,« schloß Haydn.

In diesem geistig wie körperlich geschwächten Zustande nun traf den 77jährigen Greis der österreichische Freiheitskrieg von 1809. »Der unglückliche Krieg drückt mich noch ganz zu Boden,« wiederholte er oft mit thränenden Augen. In der That kam es so. »Er war in den letzten Jahren mit dem Gedanken an seinen Tod ganz vertraut und bereitete sich dazu jeden Tag,« sagt Griesinger. So hatte er denn auch im April dieses Jahres schon seinen Dienstleuten das Testament vorgelesen und sie befragt, ob sie damit zufrieden seien: sie dankten alle mit Thränen, daß er so gut für ihre Zukunft gesorgt hatte. Am 10. Mai war man nun soeben beschäftigt ihn anzukleiden, als in der nahen Vorstadt Mariahilf plötzlich ein Kanonenschuß erschallte. Es überkam ihn ein heftiges Zittern. Noch drei weitere Schüsse und er verfiel in volle Convulsionen. Aber er faßte seine Kräfte zusammen und rief in fürchterlichen Tönen: »Kinder fürchtet euch nicht, wo Haydn ist, da kann nichts geschehen!« In der That konnte er die nächsten vierzehn Tage noch der gewohnten Lebensweise pflegen. Nur bemerkte man seit dem wirklichen Einrücken der Franzosen eine gewisse Schwermuth an ihm, die er für Augenblicke am Clavier zu vergessen trachtete, indem er sich seine Lieblingscomposition, das Kaiserlied vorspielte. Gleichwol nahm er, wie er schon lange gewohnt war ausgezeichnete Fremde bei sich zu sehen und Männer wie den Admiral Nelson und den Marschall Soult bei sich empfangen hatte, auch jetzt noch den Besuch mehrerer französischen Offiziere an, einen sogar, da er soeben seine Nachmittagsruhe hielt, im Bette, und dies blieb denn auch der letzte. Es war ein französischer Husarencapitain Sulemy. Er sang dem Meister, den er so grenzenlos verehrte, daß er sich gar hatte damit begnügen wollen, ihn bloß durchs Schlüsselloch zu sehen, die Arie »Mit Würd' und Hoheit angethan,« und zwar so schön, daß Haydn in Thränen ausbrach, ihn ganz erregt zu sich herabriß und mit Küssen bedeckte. Am 26. Mai aber spielte er selbst noch sein Kaiserlied drei Mal hintereinander »mit einem Ausdruck, über den er sich selbst wunderte.« Am 31. Mai 1809 war er todt. Schmerzlose Betäubung war sein letzter Zustand gewesen. Seine Leichenfeier war infolge der Kriegszeiten höchst einfach. Doch kündeten die französischen Behörden seinen Tod auf eine ehrenvolle Art an. Seine Leiche ward elf Jahre später nach Eisenstadt übergeführt.

Haydns Werke bestehen nach einem im Jahre 1805 von ihm selbst angelegten Verzeichnisse, das jedoch nicht vollständig ist, in 118 Symphonien, 83 Quartetten, 19 Opern, 5 Oratorien, 15 Messen und 10 kleinern Kirchenstücken, 24 Concerten für verschiedene Instrumente, 163 (?) Stücken für das Baryton, 44 Sonaten, 42 Liedern, 39 Canons, 13 mehrstimmigen Gesängen, 365 altschottischen Liedern und vielen 5 bis 9 stimmigen Compositionen in allerhand Instrumentalformen, wahrlich die ächte Fruchtbarkeit des schaffenden Geistes. »Es sind wohl und übel gerathene Kinder, und hier und da hat sich ein Wechselbalg eingeschlichen,« sagte er. Er wußte sich denn auch keine passendere Grabschrift als: Vixi, scripsi, dixi (Gelebt und gewebt!), äußerte jedoch selbst mit aller Bestimmtheit: »Ich war nie ein Geschwindschreiber und componirte immer mit Bedächtigkeit und Fleiß.« Allerdings verrathen dies seine Arbeiten dem Kenner, sie sind wirklich zum guten Theile »für die Dauer«. »Haydns Lebenslauf ist die Geschichte eines Mannes, der unter mannichfaltigem Druck zu kämpfen hatte und sich bloß durch die Macht seines Talentes und unermüdete Anstrengung zu dem Range der bedeutendsten Männer seines Faches emporarbeitete,« sagt einfach wahr Griesinger und bezeichnet ebenso richtig den Charakter seines Schaffens mit folgenden Worten: »Originalität und Reichthum der Ideen, inniges Gefühl, eine durch tiefes Studium geregelte Phantasie, Gewandtheit im Durchführen eines noch so einfachen Gedankens, Berechnung des Effects durch geschickte Vertheilung von Licht und Schatten, Ergießung der schalkhaftesten Laune, leichter Fluß und freie Bewegung des Ganzen.«

Und hätte man dieser allgemeinen Charakteristik seiner Muse noch etwas besonders Kennzeichnendes hinzuzufügen, so wäre es der ausgeprägt deutsche Charakter seiner Werke, welcher sich einerseits in jener erquickenden Herzlichkeit und Natürlichkeit, andrerseits in dem geistvollen Humore darstellt, der den Ernst und die Hoheit der beiden älteren Deutschen Bach und Händel wesentlich ergänzt und jene Epoche begründete, in welcher die deutsche Instrumentalmusik die Herrschaft der Welt gewann. Der Form wie dem Inhalte nach hat Haydn die Kunstart der Symphonie und des Quartetts geschaffen und ist zugleich, das wollen wir ihm ebenfalls nicht vergessen, derjenige gewesen, der aus seinem ächt volksmäßigen Empfinden heraus die erste deutsche Nationalhymne sang.

 

Ende.

 


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