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Kleine Verwaltung

Kleine Verwaltung.

Alle Wirkungen guter Krankenpflege, wie wir sie in diesen Bemerkungen umständlich erwähnten, können sehr beeinträchtigt oder gänzlich vereitelt werden, wenn es an der kleinen Verwaltung gebricht, oder mit andern Worten, wenn ihr nicht wißt, wie ihr es anzustellen habt, daß das, was in eurer Anwesenheit geschieht, auch in eurer Abwesenheit geschehe. Die hingebendste Freundin oder Krankenwärterin kann nicht immer bei ihrem Kranken sein. Es ist auch gar nicht wünschenswerth, daß sie es sein soll. Sie kann übrigens ihre Gesundheit opfern, und alle ihre andern Pflichten vernachlässigen, und doch, weil sie ihre Angelegenheiten nicht einzurichten versteht, nicht bald so wirksam sein, als eine Andere, die nicht halb so hingebend ist, aber die Kunst besitzt, sich zu vervielfältigen; das heißt: der Kranke der Ersteren wird in Wirklichkeit nicht so gut gepflegt sein, als der Kranke der Letzteren.

Es ist ebenso unmöglich, eine Person, welche die Aufsicht über einen Kranken hat, in einem Buche zu unterrichten, wie sie verwalten soll, als es unmöglich ist, sie darin zu unterweisen, wie sie den Kranken zu warten habe. Die Umstände sind nämlich nothwendig nach Maßgabe der verschiedenen sich darbietenden Fälle verschieden. Es ist jedoch möglich, die betreffende Person anzuregen, daß sie von selbst denke: Was fällt denn während meiner Abwesenheit vor? Ich bin genöthigt, am Dienstag abwesend zu sein, aber mein Kranker braucht am Dienstag frische Luft und Pünktlichkeit in der Abwartung ebenso gut, als er sie am Montag gebraucht hat. Oder: Um zehn Uhr des Abends bin ich nie bei meinem Kranken, aber Ruhe ist ihm um zehn Uhr eben so wichtig, als sie es zehn Minuten vor zehn war.

So seltsam es scheinen mag, so ist es doch wahr, daß solche nahe liegende Erwägungen verhältnißmäßig nur wenigen Krankenpflegerinnen in den Sinn kommen; kommen sie ihnen aber wirklich in den Sinn, so fühlt sich die hingebende Freundin oder Wärterin dadurch blos bewogen, einige Stunden oder Minuten weniger von ihrem Kranken entfernt zu bleiben, ohne daß sie zugleich daran dächte, es so einzurichten, daß ihr Kranker weder eine Stunde, noch eine Minute lang das Wesentliche ihrer Pflege vermisse.

Erläuterungen, wie nothwendig sie ist.

Nur sehr wenige Beispiele werden hier nicht als Vorschriften, wohl aber als Erläuterungen, hinreichen.

Fremde gerathen in das Krankenzimmer.

Eine fremde Waschfrau, die noch spät des Abends die schmutzige Wäsche abholen will, wird aus Irrthum in das Zimmer des Kranken platzen, als er eben einschlummerte, und verursacht ihm eine Erschütterung, deren Wirkungen unheilbar sind, obgleich er selbst über ihre Ursache lacht und ihrer wahrscheinlich nie erwähnt. Die Krankenwärterin war daneben, und zwar nach ihrem vollen Recht, bei ihrem Abendbrod, hatte aber keine Vorkehrung getroffen, daß die Waschfrau nicht ihren Weg verfehle, und in das unrechte Zimmer komme.

Das Krankenzimmer zur Auslüftung des ganzen Hauses benützt.

In dem Zimmer des Kranken ist vielleicht das Fenster stets offen; aber in dem Durchgang vor seinem Zimmer sind vielleicht die dort vorhandenen großen Fenster alle geschlossen. Man begreift nämlich nicht, daß die Aufsicht im Krankenzimmer sich auch auf die Aufsicht auf den Durchgang vor demselben erstrecken müsse. So macht es sich denn die Krankenwärterin, wie oft vorkommt, zum Geschäft, das Zimmer des Kranken zu einem Ventilationsschlauch für die verderbte Luft des ganzen Hauses zu machen.

Ein unbewohntes Zimmer verdirbt die Luft im ganzen Hause.

Lange verweilender Geruch vom Anstrich verräth Mangel an Sorgfalt.

Ein unbewohntes Zimmer, ein eben erst geweißtes Zimmer, Die ausgezeichnete Zeitschrift, » The Builder«, weist darauf hin, daß es mangelnde Auslüftung verrathe, wenn der Geruch der Farbe des Anstrichs Monate hindurch im Hause verspürt wird. Sicherlich! Wo es aber Fenster genug gibt, die man öffnen sollte, um den Geruch der Farbe des Anstrichs zu entfernen, aber nie öffnet, da gibt sich ohne Zweifel ein Fehler in der Verwaltung kund, welche die Mittel zur Ausrüstung unbenützt läßt. Natürlich bleibt der Geruch Monate hindurch. Warum sollte er sich entfernen? eine ungereinigte Kammer, oder ein schmutziger Speiseschrank kann oft für das ganze Haus ein Behälter verderbter Luft werden, weil die Krankenpflegerin nie daran denkt, es so einzurichten, daß diese Räume stets gelüftet, stets gereinigt würden; sie öffnet blos selbst das Fenster im Krankenzimmer, sobald sie dasselbe betreten hat.

Überbringung und Nichtüberbringung von Briefen und Botschaften.

Ein aufregender Brief, eine aufregende Botschaft kann dem Kranken mitgetheilt, ein wichtiger Brief, eine wichtige Botschaft ihm nicht überbracht werden; ein Besucher, den zu sehen von Einfluß für den Kranken war, kann abgewiesen, oder ein anderer, den nicht zu sehen für ihn von noch größerem Einfluß war, kann zugelassen werden, weil sich eben die abwartende Person nie die Frage stellt: Was geschieht, wenn ich nicht da bin? Warum laßt ihr euern Kranken je von andern Leuten, als Dieben überraschen? Bei uns kommen doch die Leute, es seien denn Diebe, nicht durch den Schornstein oder durch's Fenster in's Haus. Die Leute kommen durch die Hausthüre und Jemand muß sie ihnen öffnen. Der »Jemand« nun, der beauftragt ist, die Hausthüre zu öffnen, ist eine von zwei, drei oder höchstens vier Personen. Warum kann man nun diesen vier oder weniger Personen nicht auftragen, was geschehen müsse, wenn Jemand an der Hausthür schellt?
Die Schildwache auf einem Posten wird öfter gewechselt, als man irgend eine Dienstperson in einem Privathause oder Spital wechseln kann. Was aber sollten wir von einer Entschuldigung halten, die so lautete: der Feind habe einen solchen Posten überrumpelt, weil A. und nicht B. dort Schildwache stand? Dennoch hörte ich stets eine ähnliche Entschuldigung in Privathäusern, wie in Spitälern machen und annehmen, daß nämlich eine gewisse Person eingelassen oder nicht eingelassen, ein Packet unrichtig abgeliefert wurde oder verloren ging, weil A. und nicht B. die Hausthüre geöffnet habe!

Jedenfalls kann man mit aller Sicherheit sagen: eine Wärterin kann nicht zu einer und derselben Zeit bei dem Kranken sein, die Hausthüre öffnen, bei ihrem Essen verweilen und eine Botschaft ausrichten.

Fügen wir noch dazu, daß der Versuch, dies Unmögliche zu thun, mehr als irgend etwas Anderes die Gemüthsunruhe des Kranken erhöht und seine Nerven anstrengt.

Warum laßt ihr es zu, daß euer Kranker überrascht wird.

Man bedenkt nie, daß der Kranke sich aller dieser Dinge erinnert, wenn ihr sie vergeßt. Er hat dann nicht blos zu denken, ob der Besuch oder Brief eintreffen werde, sondern auch, ob ihr gerade an dem bestimmten Tage, und zur bestimmten Stunde, wo sie eintreffen können, am Platz sein werdet. So erhöhen eure einseitigen Maßregeln, selbst »stets am Platz zu sein,« nur die Nothwendigkeit, daß der Kranke selbst darüber nachdenke. Wenn ihr es aber nur so einrichten könntet, daß die Sache stets gethan würde, und zwar gleichviel, ob ihr anwesend oder abwesend seid, so hätte er auf keinen Fall je nöthig, selbst darüber nachzudenken.

Aus den oben angeführten Gründen ist es für den Kranken besser, das heißt, weniger beängstigend, daß er für sich selbst thue, was er nur immer thun kann, es sei denn, die ihn abwartende Person hätte Verwaltungsgeist.

Es ist für einen Kranken offenbar weniger anstrengend, einen Brief mit umgehender Post selbst zu beantworten, als vier Unterredungen zu haben, fünf Tage zu warten, sechsmal ängstlich besorgt zu sein, bevor er die Sache aus dem Sinn bringt, bevor die Person, welche den Briefe zu beantworten hat, dies auch gethan hat.

Besorgniß, Ungewißheit, Harren, Erwarten, Furcht, überrascht zu werden, schaden einem Kranken mehr, als irgend eine Anstrengung. Erinnere dich, er steht die ganze Zeit über seinem Feind gerade gegenüber, kämpft innerlich mit ihm, hat in seiner Phantasie lange Besprechungen mit ihm. Ihr denkt indessen an etwas ganz Anderes. »Befreit ihn schnell von seinem Gegner,« gilt als eine der ersten Regeln um den Kranken. Es gibt viele ärztliche Operationen, bei welchen ceteris paribus (bei übrigens gleichen Umständen) die Gefahr im geraden Verhältnisse zu der Zeitdauer der Operation steht, und cæteris paribus wird der Erfolg des Operateurs im geraden Verhältniß zu seiner Schnelligkeit stehen. Nun gibt es viele geistige Operationen (Handlungen) auf welche gerade bei dem Kranken genau dieselbe Regel anwendbar ist; cæteris paribus hängt (nämlich) ihre Fähigkeit, solche Operationen zu ertragen, von der Schnelligkeit, ohne Hast, ab, mit welcher sie durch sie hinweggelangen können.

Aus denselben Gründen sagt stets eurem Kranken, und sagt es ihm einige Zeit zuvor, wann ihr ausgehen und wann ihr zurückkehren werdet, gleich viel, ob ihr einen Tag, eine Stunde oder nur zehn Minuten ausbleiben wollt. Ihr bildet euch vielleicht ein, es sei besser für ihn, wenn er gar nicht bemerkt, daß ihr euch überhaupt entfernt, besser für ihn, wenn ihr euch nicht »allzuwichtig« für ihn macht; sonst könnt ihr es nicht über's Herz bringen, ihm die Pein oder Beängstigung der zeitweiligen Trennung von euch zu verursachen.

Laßt das bleiben. Ich will annehmen, daß ihr ausgehen müßt, daß Gesundheit oder Pflicht es gebieten, dann sagt es dem Kranken aufrichtig. Geht ihr ohne sein Wissen fort, und bemerkt er es, dann wird er sich nie wieder sicher suhlen, daß die Dinge, die von euch abhängen, auch in eurer Abwesenheit versehen werden, und in neun Fällen von zehn wird er Recht haben. Geht ihr aus, ohne ihm zu sagen, wann ihr zurückkehrt, so kann er in Betreff der Angelegenheiten, die euch beide angehen, oder die ihr für ihn verrichtet, keine Maßregel, keine Vorsicht treffen.

Einseitige Maßregeln, um stets selbst »am Platz« zu sein, erhöhen die Unruhe des Kranken, statt sie zu vermindern, weil sie eben nur einseitig wirken können.

Was ist die Ursache der Hälfte der vorgefallenen Unfälle.

In Spitälern versteht man die kleine Verwaltung besser als in Privathäusern. Welche Spitäler machen hier eine Ausnahme?

Krankenwartung in Regiments-Spitälern.

Blick ihr in die Berichte über gerichtliche Untersuchungen oder über Unfälle, und besonders in jene über Selbstmorde, oder lest ihr die medizinische Geschichte verhängnißvoller Krankheitsfälle, so ist es fast unglaublich, wie oft die ganze Sache sich um etwas dreht, das sich ereignete, weil »er,« oder öfter noch, weil »sie« nicht da war. Doch noch unglaublicher ist es, daß man diese Abwesenheit fast immer als einen hinlänglichen Grund, ja als eine Rechtfertigung annimmt. Die Person, welche den Dienst hatte, war ganz in ihrem Recht, wenn sie nicht da war; sie wurde aus einer ganz triftigen Ursache abgerufen, oder hatte sich aus einem unabweisbaren, täglich zurückkehrenden Bedürfniß entfernt, aber es war keine Vorkehrung getroffen worden, sie in ihrer Abwesenheit zu vertreten. Der Fehler lag nicht darin, daß sie »nicht da war,« wohl aber darin, daß es an einer Einrichtung fehlte, sie in ihrer Abwesenheit zu ersetzen. Wenn die Sonne vollständig verfinstert, oder des Nachts abwesend ist, zünden wir Kerzen an; aber es hat den Anschein, als ob es uns gar nicht einfalle, daß wir auch die Person, welche die Aufsicht über Kranke oder Kinder hat, ersetzen müssen, wenn sie zufällig oder regelmäßig von ihrem Posten abwesend ist. In öffentlichen Instituten, in welchen beim Mangel einer solchen Verwaltung viele Leben verloren gehen, und die Folgen eines solchen Mangels furchtbar und offenkundig sein würden, trifft man ihn auch weniger an, als in Privathäusern. Dies ist so wahr, daß ich zwei Fälle bei Frauen von sehr hohem Range erwähnen könnte, die beide aus dieselbe Art an den Folgen einer chirurgischen Operation, starben, und in beiden Fällen sagten mir die angesehensten Aerzte. daß sich dies verhängnißvolle Resultat in einem Londoner Spital nicht ergeben haben würde.
Was die Kunst der kleinen Verwaltung in Spitälern betrifft, so trifft man sie nicht in allen Militär-Spitälern, die ich kennen lernte. Ich spreche aus eigener Erfahrung, und erkläre feierlich, daß ich verhängnißvolle Unfälle kannte, wie Selbstmorde in delirium tremens, Verblutungen zu Tod, Fälle, in welchen sterbende Kranke von betrunkenen Leuten des ärztlichen Stabs-Corps aus ihren Betten geschleppt wurden, was Alles in Civilspitälern London's, wo Frauenzimmer die Kranken pflegen, nicht vorgefallen sein würde. Die ärztlichen Beamten sollten bei diesen Unfällen von allem Tadel freigesprochen werden. Wie kann auch ein Spitalarzt den ganzen Tag, die ganze Nacht über bei einem Patienten, z. B. in delirium tremens, Wache stehen? Der Fehler liegt darin, daß es dort kein organisirtes System der Abwartung gibt. Hätte ein Mann, der Vertrauen verdient, die Aufsicht über jeden Krankensaal, oder eine Reihe von Krankensälen, nicht als Kanzlei-Commis, sondern als Oberkrankenwärter (und Oberkrankenwärter ist nicht und kann bei dem Mangel an Anordnungen auch der beste Spital-Sergeant, oder Aufseher im Krankensaal, nicht sein), so wäre die Sache, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht vorgefallen. In andern Worten, so was fällt nicht vor, wo ein zuverlässiges Frauenzimmer wirklich die Aufsicht führt. Bei diesen Bemerkungen beziehe ich mich keineswegs blos auf Ausnahmszeiten von großen Nothfällen in Kriegsspitälern, sondern auch und mit demselben Nachdruck auf den gewöhnlichen Lauf in Militärspitälern zur Zeit des Friedens, oder auf eine Zeit im Kriege, in welcher unsere Armee wirklich gesünder als zu Hause in Friedenszeit war, und der Zudrang zu unsern Spitälern daher sehr abnahm.
Man sagt oft, daß die Kranken in Regiments-Spitälern einander selbst abwarten sollten; denn gibt es etwa zusammen blos dreißig Kranke, so ist vielleicht blos einer von ihnen ernstlich krank, die übrigen 29 sind es nur leicht, haben nichts zu thun, und sollen daher angehalten werden, den einen ernstlich Kranken zu pflegen. Dabei bringt man ferner vor, sind sie so zum Gehorchen abgerichtet, daß sie die gehorsamsten und daher die besten Krankenwärter abgeben werden, da sie auch, wie ihr hinzufügen sollt, gütig gegen ihre Kameraden sind.
Haben aber Jene, die so sprechen, auch erwogen, daß ihr, um gehorchen zu können, wissen müßt, wie ihr gehorchen sollt, und daß diese Soldaten gewiß nicht wissen, wie sie in der Krankenabwartung gehorchen sollen? Ich habe diese »gütigen« Burschen (und Niemand weiß so gut, wie ich, wie gütig sie sind) ihre Kameraden so wegschaffen sehen, daß in Einem Falle wenigstens der Mann dabei starb. Ich habe gesehen, wie die kameradschaftliche Güte eine Menge geistiger Getränke herbeischaffte, um sie insgeheim zu trinken. Glaube deshalb Niemand, daß wir hiemit sagen wollen, daß man weibliche Wärter in Regimentsspitälern anstellen solle oder könne. Je unerfahrener hier die Krankenwärter sind, desto wesentlicher, desto wichtiger ist es, daß ein Spital-Sergeant Oberkrankenwärter sei. Ohne Zweifel etablirt eine »Schwester« in einem Londoner Spital zuweilen einen Vorspann von Patienten, um einen gefährlichen Kranken zu bewachen, aber dies geschieht auch unzweifelhaft unter ihrer eigenen Oberaufsicht; sie wird auch herbeigerufen, sobald etwas gethan werden soll, und sie weiß, wie sie es thun soll. Die wachenden Patienten dürfen es, so »gütig« und willfährig sie auch sein mögen, nicht nach ihrem eigenen ununterstützten Genie thun.

Doch hier wie dort frage sich, wer immer die Aufsicht über den Kranken hat, still in Gedanken, nicht: wie kann ich stets diese gute Sache selbst thun, sondern: wie kann ich dafür sorgen, daß diese gute Sache nie unterlassen werde?

Wenn sodann infolge ihrer Abwesenheit, die, wie wir annehmen wollen, ganz gerechtfertigt war, wirklich irgend etwas Unrechtes vorfiel, so frage sie sich wieder: nicht, wie kann ich in Zukunft eine solche Abwesenheit vermeiden? (was weder möglich, noch wünschenswerth) sondern sie frage sich: welche Vorkehrungen kann ich treffen, daß nicht irgend etwas Unrechtes gerade in meiner Abwesenheit vorfalle?

Was es heiße die Aufsicht zu führen.

Wie wenige Männer oder selbst Frauenzimmer verstehen in großen, wie in kleinen Dingen, was es bedeute, »die Aufsicht haben« – wissen, meine ich, wie sie eine Aufsicht führen sollen.

Spürt man, was eigentlich selten geschieht, den Folgen der kolossalsten wie den kleinsten Unglücksfällen nach, so findet man oft ihre Ursache in der Abwesenheit einer Person, welche die Aufsicht führen sollte, oder darin, daß eine solche Person nicht hinlänglich wußte, wie sie ihr Amt zu verwalten hatte. Vor einiger Zeit barst das Dampfrohr-Gehäuse an Bord des schönsten und stärksten Schiffes, das je gebaut wurde, als das Schiff seine Probefahrt machte, vernichtete mehrere Menschenleben und brachte mehrere hundert andere in Gefahr. Dies Unglück veranlasste nicht irgend ein verborgener Fehler in den neuen unversuchten Maschinen, sondern ein Ventil, das geschlossen wurde, aber nicht geschlossen sein sollte. Das Unglück kam also von Etwas, das, wie jedes Kind weiß, den Theekessel seiner Mutter sprengen würde. Und dies geschah einfach, weil Niemand zu wissen schien, was es heißt, »die Aufsicht haben,« oder wer die Aufsicht hatte. Ja auch die Jury, welche die Sache untersuchte, verkannte dies ebenfalls, und war offenbar der Meinung, das Ventil habe Aufsicht gehabt, denn ihr Wahrspruch lautete: »Zufälliger Tod.«

Das ist die Bedeutung des Wortes im Großen.

Bei weitem nicht so ausgedehnt war das Unglück, das sich vor Kurzem ereignete, als eine wahnsinnige Person sich langsam und absichtlich zu Tode verbrannte, während ihr Arzt sie behandelte, und fast in Gegenwart ihrer Wärterin; doch weder den Einen, noch die Andere hielt man für tadelnswerth. Schon der Umstand, daß das Unglück sich ereignen konnte, sprach gegen beide deutlich genug. Man kann darüber nichts mehr sagen. Entweder, sie verstanden ihr Geschäft nicht, oder wußten nicht, wie sie es auszuüben hatten.

»Die Aufsicht haben« heißt gewiß nicht blos, daß ihr selbst die geeigneten Maßregeln trefft, sondern daß ihr auch darauf achtet, daß sonst jeder Andere dasselbe thue; es begreift auch, daß man darüber wache, daß Niemand aus Absicht oder Irrthum solche Maßregeln kreuze oder verhindere. »Die Aufsicht haben« verlangt auch nicht, daß ihr selbst Alles thuet, oder daß ihr eine Anzahl Personen für jede Dienstleistung anstellet, wohl aber, daß ihr euch versichert, daß Jeder den Dienst verrichte, für welchen er angestellt ist.

Dies ist die Bedeutung, welche vor Allen Jene, welche die Aufsicht über Kranke haben, mit dem Wort verbinden müssen, mögen diese Personen viele Kranke oder nur einen einzigen zu besorgen haben, wobei ich die Meinung ausspreche, daß diese Regel bei einzelnen Hauskranken am wenigsten verstanden wird.

Eine einzige kranke Person wird oft von vier Personen mit weniger Pünktlichkeit abgewartet und ist schlechter versorgt, als zehn Kranke, welche von einer einzigen Person gepflegt werden, oder wenigstens als vierzig, die von vier Personen gewartet werden, und dies Alles ergibt sich, weil es an dieser einzigen Person fehlt, die richtig die Aufsicht zu führen wüßte.

Warum gemiethete Krankenwärterinnen so viel Verdruß machen.

Man sagt oft: »Es gibt jetzt wenig gute Dienstboten« – ich sage: »es gibt jetzt wenig gute Dienstfrauen.« So wie die Jury der Meinung war, das Ventil habe über die Sicherheit des Schiffes zu wachen gehabt, so scheinen Hausfrauen jetzt zu glauben, daß das Haus die Aufsicht über sich selbst führen müsse. Sie verstehen weder, Befehle zu geben, noch ihre Dienstboten zu unterweisen, wie sie Befehlen gehorchen, das heißt, verständig gehorchen sollen, wie es der wahre Geist jeder Zucht verlangt. Man klagt oft, daß Krankenwärterinnen von Beruf, wenn sie bei vorfallenden Krankheiten in Privathäuser genommen werden, sich durch ihr »Herumbefehlen,« unter dem Vorwand, daß sie ihren Kranken nicht vernachlässigen könnten, unter den Dienstboten ganz unerträglich machen. Beides ist wahr. Der Kranke wird oft vernachlässigt und die Dienstleute werden oft ganz ungebührlich herumgehetzt. Der Fehler liegt aber gewöhnlich in der mangelhaften Leitung seitens der Person, welche die Oberaufsicht im Hause führt. Ihr käme es ohne Zweifel zu, es so einzurichten, daß die Wärterin, wenn sie sich von ihrem Posten entfernen muß, ersetzt und der Kranke nie vernachlässigt werde – Dinge, die mit einer kleinen Vorsicht leicht vereinbar, und in Wirklichkeit nur zusammen erreichbar sind. Der Wärterin kommt es gewiß nicht zu, unter der Dienerschaft »herumzubefehlen.«

Noch Eins. Leute, welche die Aufsicht führen, scheinen oft stolz in dem Gefühl, daß man sie vermissen werde, daß Niemand ihre Einrichtungen, ihr System, ihre Bücher, Rechnungen etc. verstehen oder fortführen könne. Es scheint mir nun, daß man lieber einen Stolz darin setzen sollte, in Betreff der Aufsicht über Vorräthe, Wandschränke, Bücher, Rechnungen etc. ein solches System zu befolgen, das jede Person verstehen und weiter führen kann, so daß man in Fällen der Abwesenheit oder Krankheit Andern Alles mit dem Bewußtsein zu übergeben vermöchte, daß Alles wie gewöhnlich vor sich gehen könne, und daß man nie vermißt werden würde.


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