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Es war Herbst geworden und die Blätter fielen von den Bäumen. Auf dem Edelhof Holleby waren die meisten Bäume schon kahl; einige standen noch in einem gelben Prachtgewand, und die Sonne funkelte in ihnen und in den Tropfen, die auf ihren 248 Blättern lagen. Den ganzen Morgen hatte es geregnet, und von Westen war der Sturmwind gekommen; nun wurde es ruhiger, und die Sonne schien lachend. Und doch gab es hier nicht viel zu lachen. Verfallen lag das einst stattliche Gutshaus; die Dächer waren schadhaft, und die Hütten der Hörigen schoben sich düster und freudlos zusammen, während das Hühnervolk mitten im Hof einherging und eine große Zahl von Enten und Gänsen im Gutsteich schnatterte.
Prädikant Lauritzen trat aus einer der armseligen Hütten. Er hatte seine Bibel unter dem Arm und in der Tasche seines geistlichen Rockes die heiligen Abendmahlsgeräte. Soeben hatte er einer jungen leibeigenen Frau die letzte Wegzehrung gegeben und gesehen, wie sie sanft eingeschlafen war mit ihrem gestern geborenen Kinde im Arm. Nun suchte er dem Ehemann einige Trostworte zu sagen.
»Du mußt dich in Gottes Willen schicken, Peter! Ich weiß, es ist schwer, und der Allmächtige verlangt auch nicht von dir, daß du nicht trauern sollst; aber du mußt an deine drei älteren Kinder denken und versuchen, ihnen ein guter Vater zu sein!«
Der also Angeredete, ein großer Mann mit finsterem Gesicht, fuhr mit der Hand über sein kurzes, struppiges Haar.
»Schon gut, Herr Prädikant, Ihr müßt mich ermahnen, ich weiß es, und das gehört zu Eurem Amt. Aber die Mühe des Predigens könnt Ihr Euch bei mir sparen. Ich freu mich, daß meine Karen tot ist und ihr Kleiner dazu, was würde sie noch vom Leben haben? Nach Holleby wird ein neuer Herr kommen, und wir werden es alle schlecht kriegen. Bei den 249 Rungholts hatten wir es gut, wenn sie auch den Hof arg vernachlässigten. Aber sie hatten was anderes zu tun, und Junker Kai ist immer unterwegs gewesen. Ich kannte ihn gut und bin ja lang mit ihm geritten, bis er mich nach Holleby schickte, weil ich den Schaden am Fuß kriegte und nicht mehr reiten konnte. Und nun haben sie ihn in Acht getan und ihm seinen Adel genommen. Der Amtsvogt von Hilleröd ist hier gewesen und hat es ausgeschrien. Auch, daß Holleby jetzt dem König gehört, oder natürlich Frau Uhlfeld. Und gleich ist ein neuer Verwalter hierher gesetzt, und wir Knechte sind versammelt worden und haben einen Eid schwören müssen, dem neuen Herrn gehorsam zu sein. Zwei von den Jüngsten sind schon ins Heer gekommen, um gegen die Schweden zu kämpfen, und wir andern kriegen wohl auch noch Musketen. Der König hat keine Soldaten und muß doch an allen Enden Krieg führen!«
Peter sprach aufgeregt, und der Geistliche hörte ihm bekümmert zu. »Ich weiß, Peter, es ist eine harte Zeit,« sagte er dann. »Vielleicht sind die gut daran, die jetzt sterben, weil große Wolken über Dänemark heraufziehen und kein Mensch wissen kann, wie es werden wird. Darum aber darfst du doch den Mut nicht verlieren und zufrieden sein, weil dein Weib das Zeitliche segnete. Du wirst sie bitter genug entbehren und noch oft Gott um Trost bitten.«
Aber Peter schüttelte trotzig den Kopf. »Das glaub' ich nicht, Herr. Ich bin's zufrieden, daß sie diese Welt verließ mit ihrem kleinen Buben, und wenn ich mich zu ihr legen könnte, würd' ich's mit Freuden tun.«
250 »Denke an deine drei Kinder!« rief der Prädikant, und Peter lachte kurz auf.
»Das tu ich ja, Herr! Wenn die nicht wären, liefe ich davon! Dorthin, wo mein Junker ist, den sie in Acht und Bann taten! So ein guter Junker! Niemals hat er mich geschlagen oder mir böse Worte gegeben. Nun ist er friedlos geworden und hat doch nur das getan, was verständig war.«
»Peter! Kennst du nicht Gottes Gebot?« rief der Geistliche entsetzt, aber der Knecht trat mit dem Fuß auf.
»Junker Klemens hat nie was getaugt. Und Ihr wißt doch selbst, Herr Magister, daß bei den Großen nicht nach den zehn Geboten gehandelt wird. Einmal stechen sie sich tot, und niemand fragt danach, und dann gibt es wieder ein großes Gericht für nichts und wieder nichts!«
»Peter! Peter!« Der Magister wußte nicht recht, was er sagen sollte, und der Knecht lachte noch einmal.
»Ich bin doch mit meinem Junker bei Hofe gewesen und hab manches gesehen, was Ihr, Herr Magister, nicht ahnt. Und das sag ich: ein böses Regiment ist jetzt in Dänemark, und wenn das gottlose Weib –«
Er hielt inne, denn der Magister faßte ihn am Arm und deutete nach dem Eingang des Hofes. Eine Schar von Reitern und Reiterinnen sprengte durchs Tor, und ein Trompeter auf einem Schimmel blies eine laute Fanfare.
Dann rief eine helle Stimme: »Die erlauchte Frau Gräfin Eleonore Uhlfeld, fürstliche Gnaden, betritt zum ersten Male ihr Erb und Eigentum, den Edelhof Holleby!«
251 »Es lebe die erlauchte Gräfin!« riefen mehrere Stimmen durcheinander, und die Gräfin Eleonore ritt vor und verneigte sich nach allen Seiten.
»Dank, edle Liebe und Getreue!« sagte sie mit klingender Stimme. »Ich nehme von diesem Hofe Besitz und werde ihn meinen Kindern und Kindeskindern erhalten!«
Ein Page half ihr vom Pferde, und der neue Verwalter trat katzbuckelnd aus dem Herrenhause.
»Möge Euer Eintritt gesegnet sein, hohe Frau!«
Er öffnete die beiden Flügel der Haustür, und man sah, daß in der Halle ein großes Feuer brannte. Die Junker und Damen lachten und schwatzten durcheinander.
»Hoffentlich hat der Mann genug Bier und Wein aufgefahren und etwas Ordentliches zu essen! Es war ein langer Ritt, und wir sind müde und hungrig!«
Neugierig drängten sie sich ins Haus, und ein kleiner Page lief hinter den Enten und Gänsen her, während ein größerer einen Jungen erwischte und ihn in das schmutzige Wasser des Teiches warf, daß er mit lautem Geschrei in der schmutzigen Brühe versank.
Da stieß der Magister einen Ruf der Empörung aus, und Peter sprang dem Jungen nach, um ihn gleich wieder aus dem Schlamm zu ziehen. Es war nicht ganz leicht, da der Teich tief und verschlickt war; aber der Magister holte eine lange Stange, und daran konnte sich Peter festhalten.
Die Hofleute waren wieder aus dem Haus gekommen und sahen dem Rettungswerk zu. Ein Junker schrie laut: »Was soll sich Mühe um einen elenden Jungen gegeben werden!« Aber die Gräfin Eleonore 252 stand plötzlich vor ihm und schlug ihn mit der Reitpeitsche ins Gesicht.
Sie war böse geworden; man sah es ihrem Gesicht an, als sie nun einen Befehl aussprach und gleich darauf der Magister vor sie geführt wurde. »Gut, daß du da bist, Schwarzrock!« sagte sie nachlässig. »Du kannst dem Junker, der den Bengel baden ließ, gleich zwanzig Hiebe aufzählen. Unser junges Volk ist zu übermütig geworden.«
Der Pastor sah ihr gerade in die Augen.
»Ihr habt recht, Frau Gräfin! Die Jugend kennt keine Ehrerbietung mehr. Aber woher soll sie kommen, wenn ihnen ein schlechtes Beispiel gegeben wird!«
Eleonore sah ihn ungläubig an.
»Was willst du damit sagen?«
Nun richtete er sich auf.
»Ich bin kein Höriger, den man du nennt; ich bin ein Diener des allmächtigen Gottes, den auch die Vornehmen achten müssen, wollen sie sich nicht selbst den Boden unter den Füßen abgraben!«
Die Gräfin wurde rot, aber behielt ihre Fassung.
»Ihr sprecht nicht übel, Herr Magister, und vielleicht seid Ihr im Recht. Es ist sonst eine Ehre, von der Gräfin Eleonore du genannt zu werden. Und nun laßt den Junker seine Hiebe kriegen. Ich stelle Euch meine Reitpeitsche zur Verfügung!«
Sie reichte ihm die mit Steinen besetzte Gerte, aber Lauritzen nahm sie nicht.
»Kleine Junker sollen von dem gezüchtigt werden, dem sie untergeben sind. Ich bin kein Profos und auch kein Pagenmeister!«
253 »Ich werde Euch wegen Ungehorsams verhaften und Eures Amtes entsetzen lassen!« rief die Gräfin zornig.
Wieder sah er sie fest an.
»Ich stehe zu Eurem Befehl. Aber bedenket, Frau Gräfin! In Seeland wird man viel von Eurem ersten Eintritt auf Holleby reden. Auf Holleby, das gerade jetzt in der Leute Mund ist!«
»Holleby hat keinen Herrn mehr und ist mir von Seiner Majestät geschenkt worden!« erwiderte die Gräfin trotzig. Aber sie wandte sich gleich ab und ließ den Magister stehen. Einen Augenblick sah er ihr nach, wie sie im Hause mit ihrem Troß verschwand, dann ging er noch einmal in Peters Hütte, half ihm aus seinem nassen Zeug und tröstete seinen ältesten Jungen, der von dem Junker in den Teich geworfen war.
»Laß das Weinen, Knud! Du hast weiter keinen Schaden genommen, und der kleine Junker wollte sich nur einen Spaß machen. Morgen kannst du zu mir kommen mit deinen Geschwistern, und meine Frau kocht Euch Haferbrei mit Pflaumen!«
Der Junge freute sich über diese Aussicht, aber Peter fluchte ingrimmig.
»Ja, Herr Magister, so sind die Großen, und besonders die Frau, die so stolz ist! Ich kriege sie noch einmal, und dann soll sie sich wundern!« Er erhob seine Fäuste gerade in dem Augenblick, als es an die Tür pochte.
Ihre fürstliche Gnaden, die Frau Gräfin, wollte den Herrn Magister noch einmal sprechen.
Mit dem Boten, einem älteren Edelmann, ging 254 Lauritzen in die Halle. Er sagte nichts auf dem kleinen Wege, aber der Edelmann suchte ihm Mut einzusprechen.
»Sie wird Euch nichts tun, Magister!« sagte er leise. »Nur ein wenig ängstigen, glaube ich. Das ist so ihre Art, und Ihr solltet es kennen. Man muß ihren Willen tun, sonst fährt man schlecht!«
Sie waren auf der Schwelle des Hauses angelangt, und Lauritzen warf den Kopf in den Nacken.
»Ich tue den Willen des, der mich gesandt hat!«
Der große Tisch in der Halle war mit Kannen und Bechern besetzt. Es funkelte von Silber, und große Wachskerzen brannten in hohen Leuchtern. Ein großer Silberschatz war im Hause, der den Rungholts gehört hatte. Jetzt betrachtete Frau Eleonore ihn mit Wohlgefallen. Ihre Stimmung war schon wieder besser geworden, und als der Magister eintrat, winkte sie ihn an ihre Seite.
»Nun, frommer Mann, seid Ihr noch so kampflustig? Setzet Euch zu mir und nehmt einen Becher Wein! Und dann prediget einmal meinem faulen Troß von den Pflichten, die sie gegen ihre Herrin haben sollten und nicht erfüllen!«
»Ja, ja, Herr Magister!« rief einer der Junker mit kläglicher Stimme. »Wir sind große Sünder und mangeln allen Ruhmes. Wollt uns einmal gehörig die Hölle heiß machen, damit wir weinen und Buße tun!«
Da bemerkte der Magister, daß die vornehmen Herrschaften ihren Witz mit ihm treiben wollten.
Gleichmütig sah er sich um und rührte den ihm gereichten vollen Becher nicht an.
255 »Mich dünkt, lieber Junker, daß Ihr keiner Bußpredigt bedürft, da Ihr Euch für einen armen Sünder haltet und auch von der heißen Hölle redet, die Euch erwartet, so Ihr nicht Buße tut und Euch bekehret. Mehr kann ich Euch auch nicht sagen.«
»Wir kommen nicht in die Hölle!« riefen einige trotzige Stimmen. »Wir sind dänische Edelleute; der Allmächtige weiß, was wir zu verlangen haben!«
»Dann braucht Ihr ja auch keine Buße zu tun! Und keine Rede zu hören!« entgegnete Lauritzen. »Dann lebt nur weiter, wie Ihr bis dahin lebtet!« Seine Stimme klang durchdringend, und die Gesellschaft ward still.
Ein junges Hoffräulein erhob sich und beugte sich über den Tisch zu dem Magister.
»Unser Magister zu Hause sagt, vor dem Allmächtigen gäbe es keine Edelleute, und im Himmel säßen die Hörigen mit ihnen an einem Tisch! Was sagt Ihr dazu, Herr Prädikant?«
Lauritzen sah in ihr erregtes Gesicht, und seine Augen nahmen einen freundlicheren Ausdruck an.
»Unser Herr Christus hat mit den Armen und Sündern an einem Tisch gesessen. Und er hat gesprochen: Selig seid ihr Armen, denn das Reich Gottes ist euer!«
»Wir wollen aber nicht arm sein!« rief ein Junker, und die Gräfin Eleonore, die bis dahin schweigend zuhörte, hob die Hand, damit Stille würde.
»Ihr habt genug gepredigt, Magister. Es freut mich, daß Ihr reden könnt, und ich hoffe, daß Ihr den Hörigen und Bauern von Holleby Gehorsam gegen 256 ihre neue Herrschaft verkündigt und alle Strafen der Hölle, sofern sie unbotmäßig sind. Und wenn ich mit Euch zufrieden bin, mache ich Euch vielleicht zum Hofprediger. Denn auch den Vornehmen muß einmal der Kopf gewaschen werden. Das ist ihnen gesund. Aber natürlich mit Maß und Wohlanständigkeit!«
Der Magister lächelte.
»Ich würde ein unbequemer Mann am Hofe sein, Frau Gräfin. Besser, ich bleibe bei meinen Bauern und Hörigen und tröste sie über den Krieg und über alles, was mit dem Krieg kommt. Sie seufzen über die Steuern und darüber, daß ihre Söhne vor den Feind geschickt werden und nicht wiederkehren.«
Die Gräfin hob die Schultern.
»Das ist der Lauf der Welt! Wofür sind denn die Hörigen da, wenn sie dem Könige nicht dienen wollen? Sie haben's nicht schlecht als Soldaten. Sie dürfen den Feind plündern und in seinem Lande brandschatzen, soviel es ihnen beliebt. Wenn sie tot sind, dann sind sie für ihren König gestorben! Nun aber trinkt Euren Wein, und dann will ich Euch noch ein Wörtlein sagen!«
Der Magister nippte vorsichtig an seinem Becher, und die Gräfin sah sich um. Ihr Hofgesinde unterhielt sich gut. Die Junker tranken große Mengen Weins, die Fräulein taten dasselbe, hatten rote Gesichter und lachten sehr laut. Abseits vom Herrentisch hatte der Verwalter Platz genommen und schenkte den Knechten eifrig Bier ein. Bratenduft erfüllte das Haus. Frau Eleonore hatte ihre Köche mitgebracht, und diese richteten die üppige Abendmahlzeit.
Die Gräfin ließ sich Wein in einen kleinen 257 goldenen Becher schenken, den sie immer bei sich trug. Ein großer Karneol war sein Boden, und er sollte springen, wenn ihn Gift berührte. Langsam trank sie ein wenig und wandte sich wieder zum Magister.
»Das Haus hier ist häßlich, und ich will ein neues bauen. Aber noch nicht. Ich habe Freunde, die hier wohnen dürfen, und sie werden vielleicht bald kommen. Ich selbst bleibe nur wenige Tage, um das mitzunehmen, was mir besonders gefällt, und dann gehe ich wieder zum Könige. Der Verwalter scheint gut zu sein, aber es wäre mir lieb, wenn Ihr mir manchmal Bericht erstattetet, wie alles hier geht. Viele Menschen sind jetzt unehrlich, und man kann nicht überall sein; wenn Ihr mir also öfters berichten wolltet, ob alles in Ordnung ist, so würde ich Euch meine Dankbarkeit beweisen!«
Lauritzen antwortete nicht gleich, und die Gräfin schien auch keine Antwort zu erwarten.
»Hörtet Ihr noch etwas von dem Rungholt, dem Brudermörder?«
»Ich sah weder, noch hörte ich von ihm!«
»Ihr sprecht die Wahrheit?« Die Gräfin sah forschend in das Gesicht des Prädikanten, und er sah sie mit klaren Augen an.
»Ich spreche die Wahrheit!«
»Es ist auch nicht geraten, mit ihm zu verkehren,« sagte Eleonore. »Seine Majestät hat ihn in die Acht erklärt, sein Gut eingezogen und ihn des Adels verlustig erklärt!«
Sie hielt inne, weil der Prädikant eine Bewegung machte. »Was habt Ihr?«
»Verzeiht, edle Frau, aber die Rungholts sind 258 ein deutsches Geschlecht und von deutschem Adel. Es steht nur beim Kaiser, Rungholt seines Adels verlustig zu erklären.«
»So werde ich dem Kaiser schreiben, daß er ihm den Adel nimmt!« rief Eleonore heftig.
»Weshalb haßt Ihr ihn so, edle Frau?« fragte Lauritzen. »Der junge Freiherr hat doch seinem König treu gedient. So lange, wie er dienen konnte. Schon als Knabe kam er an den Hof, Holleby hat ihn fast nie wiedergesehen, und er liebte doch so sehr seine Heimat. Weshalb hasset Ihr ihn so?«
Die Gräfin machte eine hochmütige Bewegung.
»Diese Frage ziemt sich nicht für Euch, Magister. Wenn ich hasse, so habe ich meine Gründe, und ich brauche sie niemand zu sagen. Aber ich will sie Euch sagen. Er war ein Brudermörder und hat seine Braut verraten! Ist das nicht Grund genug, um einen Menschen zu hassen?«
»Wer seinen Bruder hasset, der ist auch ein Totschläger!«
Sie fuhr auf. »Magister, wenn Ihr noch einmal solches sagt, dann lasse ich Euch einsperren! Ihr vergeßt, wen Ihr vor Euch habt!«
Weil sie laut sprach, wurde es am Tisch still, und alle sahen auf den Mann, der so furchtlos mit der mächtigen Frau sprach.
Er aber blieb ruhig sitzen. »Es ist der Herr Christus, der diese Worte sprach. Wollt Ihr ihn auch einsperren lassen?«
Einen Augenblick kämpfte die Gräfin mit ihrem Zorn. Dann wandte sie dem Magister den Rücken.
259 »Ihr mögt gehen! Mit Euch werde ich nicht ferner reden!«
Also durfte der Geistliche aufstehen und aus der Halle gehen. Die Knechte vor der Tür machten ihm Platz, und vom Herrentisch sah mancher ihm wohl mitleidig nach. Denn es war nicht gut, die hochmögende Tochter des Königs zu erzürnen, und mancher, der es getan, war urplötzlich verschwunden, und niemand wußte, wo er geblieben.
Es war tiefe Nacht, als der Magister auf den Hof trat. Die Sterne aber funkelten am Himmel, und über dem Walde stand der zunehmende Mond. Als Lauritzen sich umsah und halb in Gedanken auf das Stimmengewirr im Hause hörte, dazu den Weindunst spürte und den Essensgeruch, huschte eine dunkle Gestalt an ihm vorüber. Sie mußte neben der Tür, dicht bei den Knechten der Gräfin gestanden haben; nun verschwand sie wieder im Schatten der Häuser.
War es einer von denen, die im Sold der Gräfin standen, um ihre Feinde schnell und heimlich auf die Seite zu bringen? Das Volk begann sich Geschichten zu erzählen von der Rachsucht der einst so lieblichen Frau, und den Magister überlief es kalt.
Aber dann sprach er vor sich hin: »Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: ›Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!‹«
Peter stand plötzlich neben ihm.
»Ich bringe Euch ungefährdet durch den Wald!« flüsterte er. »Am Hoftor stehen Reiter, und eben ist ein Junker hinten aus dem Haus gelaufen, um ihnen 260 etwas zu sagen. Dieses Weib ist sehr böse!« setzte er grimmig hinzu.
So gingen der Magister und er ums Haus von der andern Seite herum, am Turm vorüber und dann auf einem verschwiegenen Pfad durch den Wald. Sie sprachen kein Wort, nur, als der Magister heil vor seinem bescheidenen Pfarrhaus neben der Kirche angelangt war, gab er dem Knecht die Hand.
»Vielen Dank, Peter; aber wenn Frau Uhlfeld mein Verderben will, wird sie mich auch hier zu finden wissen!«
»Ich glaub's nicht, Herr! Sie geht lieber krumme, als gerade Wege, und viel von sich reden machen darf sie nicht mehr.«
Er war im Dunkeln verschwunden, und der Magister trat über seine Schwelle und dann in sein kleines Studierstübchen, in dem eine Schale mit Milch und eine Brotschnitte auf ihn warteten. Seine Frau, die tagsüber hart arbeiten mußte, schlief schon bei ihren Kindern.
Lauritzen schlug Feuer und entzündete das Talglicht. Dann setzte er sich und faltete die Hände.
»In den Wein hatte sie mir auch etwas getan; ich merkte es an dem bittern Geschmack. Wollte sie mich trunken machen, daß ich ihr alles versprechen sollte, oder will sie eine ihrer Kreaturen in mein Amt setzen?«
Leise klopfte es an das Fenster, und der Magister fuhr zusammen.
»Sind Sie schon da?«
Aber dann stand er auf und öffnete den Laden. »Wer ist da, und was will man von mir?«
261 »Kajus Rungholt!« kam die Antwort, und der Magister öffnete die Tür seines Hauses.
»Tretet ein, Herr! Ihr seid friedlos, ich weiß es, und Ihr habt auch große Sünde begangen, aber ich will Euch den Schutz meines Daches nicht versagen, solange ich ein Dach über dem Kopfe habe!«
Kajus trat ein. Er trug ein unscheinbares Gewand und einen alten Hut, der sein Gesicht bedeckte. Dazu hatte er sich den Bart stehen lassen, und niemand hätte ihn gleich erkannt.
Lauritzen schob ihm einen Stuhl hin, und als er sah, daß die Augen des Friedlosen an der Milch und dem Brot hingen, schob er ihm beides hin.
»Eßt, Herr Rungholt, Ihr seht aus, als hättet Ihr lange nicht gegessen!«
Kajus legte seinen Hut ab und aß langsam, während der Geistliche ihn mitleidig betrachtete.
»Ihr seid zur unglücklichen Stunde gekommen!« sagte er nach einer Weile. »Gerade heute nahm Frau Uhlfeld Euer Gut in Besitz!«
»Ich weiß! Ich habe lange vor der Halle gestanden und hineingesehen. Ich war auch oben im Hause und holte mir etwas von meinem Eigentum.«
Er nahm aus seinem Lederwams einen schweren Beutel und stellte ihn vor sich hin.
»Sie hätten's doch nicht gefunden, da es in der Wand verborgen war!« setzte er hinzu. »Mein Vater sagte mir von diesem Versteck, eben vor seinem Tode, und ich kann Geld gut gebrauchen!«
»Ihr waret in Lebensgefahr!«
»Pah!« Kajus zeigte sein Pistol im Gürtel. »Es ist geladen und schießt gut; mein Leben hätte ich noch 262 eine Weile verteidigt und manchem einen Denkzettel geschrieben. Vielleicht auch der holdseligen Gräfin!«
»Ihr seid in schlechter Gemütsverfassung, Herr Rungholt! Denkt Ihr nicht an die Blutschuld, die Ihr auf Euch ludet? Das Blut Abels schreit zum Himmel!«
»Ich bin nicht Kain, und er war kein Abel!« entgegnete Kajus finster. »Er hat mich immer gehaßt und mir Übles getan, wo er nur konnte. Aber ich hätte ihn leben lassen, wenn es möglich gewesen wäre. Es ist aber nicht gegangen!«
»Euer Leben muß eine immerwährende Buße sein!« sagte der Geistliche streng, aber Kajus zuckte die Achseln.
»So redet Ihr, und das ist Euer Amt. Ich will Euch auch gestehen, daß ich schlecht schlafe und daß ich meinen Bruder manches Mal vor mir sehe, wie er ein Kind war und ich ihn mehr liebte als mein Leben. Aber ich bin hart geworden, und Ihr wollet es mir nicht verdenken!«
Er zog einen Becher aus der Tasche und stellte ihn vor Lauritzen hin. »Vor nicht langer Zeit gab mir der Gottorper Herzog dies Geschenk, und ich stifte ihn der Kirche zu Holleby. Meine Hand war noch rein, als ich ihn faßte, und meine Lippen haben ihn nie berührt. Wollt ihn auf den Altar stellen, wenn Ihr das Abendmahl reichet. Vielleicht schüttet Ihr einmal Wein hinein, und eine arme Seele trinkt daraus Vergebung der Sünden!«
Seine Stimme begann zu zittern, und er legte die Hand über die Augen.
Es blieb lange still zwischen den Männern, dann fragte Lauritzen:
263 »Was gedenket Ihr zu tun? Hier im Lande könnt Ihr doch nicht bleiben?«
»Ich kehre erst eben zurück!« entgegnete Kajus. »Nach meinem Strafgericht, denn ein solches war es, bin ich zu Schiff nach Norwegen geflohen. Bei den Fischern hab ich gelebt und manche gute Bekanntschaft gemacht. Jetzt kehrte ich nur zurück, weil ich das Geld haben wollte. Es ist mein Erbe, und Frau Uhlfeld nimmt mir schon genug.«
»Und dann?« Der Magister fragte es, weil Kajus schweigend vor sich hinstarrte. Nun fuhr er auf wie aus schwerem Traum.
»Und dann?« Er lachte. »Ich kann zu den Schweden gehen und dort Offizier werden. Aber ich bin nicht Korfiz Uhlfeld, der sein Vaterland verrät. Und ich kann nach Deutschland gehen, zum Kaiser. Er würde mich wohl aufnehmen, denn die Rungholts haben ihm immer treu gedient. Aber ich habe keine Lust mehr an höfischem Tand, an Falschheit und Intrige. Ich will frei sein und mich nicht mehr bücken vor einem König oder Kaiser. In Norwegen habe ich zwei Friesen gesehen. Sie kamen von den friesischen Inseln in der Nordsee. Die sagen: ›Lieber tot, als Sklav,‹ und sie nennen einen Sklaven den, der sich vor großen Herren bücken muß. Sie fahren auf das große Meer bis nach Island, und dann fangen sie Walfische. Jetzt habe ich Geld, mir ein Boot zu kaufen, und ich werde mich zu ihnen schlagen!«
»Wenn Ihr nicht vorher den Spähern hier in die Hände fallt!« warnte Lauritzen, und Kajus griff an seinen Gürtel.
264 »Lebend kriegen sie mich nicht!« sagte er trotzig, und der Magister glaubte ihm.
Eine Weile saßen die Männer schweigend, dann stand Kajus auf. »Ihr habt mich gespeist und mich bei Euch geduldet: ich danke Euch! Nun will ich weiterziehen!«
»Ihr solltet bis morgen warten, Herr,« sagte der Magister. »Ihr könnt hier schlafen; ich gehe in ein anderes Gemach. Und dann noch eins. Auf Holleby sitzt Euer einstiger Knecht Peter. Dem ist das Weib gestorben, und wenn er hier bleibt mit seinen drei Kindern, dann fürchte ich, daß er ins Heer gesteckt wird und seine Kinder dem Elend verfallen. Laßt mich ihm sagen, wo Ihr morgen zu finden seid; er wird mit Freuden Euch begleiten, und für Euch ist es gut, nicht allein zu sein!«
Kajus schüttelte zuerst den Kopf; als aber der Magister herzlich in ihn drang und ihm versprach, daß Peter niemals verraten sollte, wer sein Herr einst gewesen, da ließ sich der andere bereden.
Er streckte sich müde auf ein Fell und schlief gleich ein, während der Magister in sein eigenes Schlafgemach ging, aber die ganze Nacht wachte. Es geschah aber nichts, und als die Sonne aufging, stand Kajus in der Kirche zu Holleby und im Grabgewölbe. Dort war der Sarg seines Vaters, und die Silberbeschläge waren noch nicht angelaufen. Der Sohn faltete die Hände und betete; dann wandte er sich zu einem schmucklosen Sarg, der anscheinend eilig hineingestellt war und nun in der dunkelsten Ecke stand.
»Armer Klemi,« flüsterte er, »sie haben dir kein ordentlich Begräbnis gegeben und kein Lot Silber 265 an deinen Sarg gewandt; aber vielleicht schläfst du gerade so ruhig, als hättest du Samtdecken und Silberfransen. Vielleicht weißt du jetzt, daß ich es immer gut mit dir meinte, und vielleicht ist Gott dir gnädig!«
Dann kniete er am Sarg seiner Mutter und legte auch die Hand auf den Sarg seiner Stiefmutter.
»Besser, Ihr wäret nicht in dies Land gekommen!« dachte er und trat dann wieder hinaus in den Sonnenschein.
Da stand Peter und beugte das Knie vor ihm.
»Herr, darf ich mit Euch gehen? Wenn ich hier bleibe, werde ich ein Mörder und ein Aufrührer!«
»Du gehst mit einem Mörder!« entgegnete Rungholt bitter, aber der Knecht strich liebkosend über sein armseliges Gewand. »Junker, sie haben's zu arg mit Euch gemacht, da muß man ärgerlich werden! Aber Ihr nehmt mich mit? Zwei Jungen hab ich und ein Mädchen, und die Dienstboten der Frau Uhlfeld machen sie schon aufsässig und schlecht. Ich muß sie mitnehmen, sonst wissen sie nicht mehr, was gut und was böse ist!«
Lauritzen trat hinzu.
»Nehmt sie nur mit, Herr Rungholt! Ihr könnt schon treue Menschen brauchen, und treu werden sie Euch sein!« –
Um die Nachmittagsstunde war auf dem Edelhof großes Holla und Hussa. Der Reichshofmeister war gekommen, und er jagte den Hirsch mit seiner Frau Gemahlin und dem Hofgesinde. Laut klang Geschrei und Hörnerruf durch den Wald, und ein Reiter galoppierte bis an den Strand. In seinem Übermut griff er zu seinem Jagdgewehr und feuerte einen 266 Schuß auf das draußen schwimmende Fahrzeug. Er traf aber nicht. Dagegen schwirrte vom Wasser her eine Kugel, und er stürzte tot zu Boden.
»Peter,« rief Kajus streng, »das war kein guter Anfang!« Aber Peter lachte zufrieden.
»Herr Rungholt, dieser Junker warf gestern meinen Jungen ins Wasser, und heute war er hinter meinem kleinen Mädchen her. Solch Geschmeiß muß vernichtet werden. Sonst kann es noch mehr Schaden anrichten!«
* * *
Im Betzimmer zu Gottorp saß Herzog Friedrich und ließ sich von seinem Rat Kielmann Bericht erstatten über die Lage. Sie war übel genug. In Brömsebro saßen die dänischen und schwedischen Staatsmänner und berieten über den Frieden, und inzwischen ging das Kriegsleid seinen Gang weiter. Schweden verlangte viel Land von Dänemark, sein König wollte nichts abgeben. Also mußten immer neue Heere geschaffen werden, immer mehr Tränen fließen.
Friedrich seufzte, während er zuhörte. Er saß zwischen zwei Stühlen: die Schweden wollten ihn zum Freunde, und der König von Dänemark war sein Lehnsherr.
»Ich habe doch durch den Freiherrn Rungholt meine Antwort nach Kopenhagen schicken lassen!« sagte er unmutig, und Herr Kielmann entfaltete bedächtig ein Papier mit königlichem Insiegel.
»Hier ist die Nachricht, daß besagter Freiherr Rungholt wegen Brudermords in die Acht erklärt, 267 seines Adels und seines Besitzes verlustig erklärt ist! Seine Majestät spricht den Wunsch aus, daß Seine Fürstliche Durchlaucht besagtem Frevler kein Unterkommen in seinen Staaten geben, ihn auch nicht unterstützen möge, sondern daß er, falls er hier befunden wird, sogleich nach Dänemark ausgeliefert werde, zur Vollstreckung des Gerichtes!«
Der Herzog hörte aufmerksam zu.
»Ward der Freiherr nicht auf der Schleswiger Heide, in meinem Lande, von zwei dänischen Junkern attackiert?«
»Ganz recht, Eure Durchlaucht. Unser Junker Pogwisch hat dabei sein Leben lassen müssen, und der eine Angreifer soll der jüngere Rungholt, der Bruder des Freiherrn, gewesen sein. Es ist also anzunehmen, daß der Freiherr schwer gereizt gewesen ist, als er die Hand gegen den Bruder erhob. Auch –« er stockte und sprach erst weiter, als Friedrich ihn erwartungsvoll ansah.
»Es ist wohl eine Liebesgeschichte mit im Spiel, Eure Durchlaucht. Eine Liebesgeschichte mit dem Fräulein von Thienen aus dem Hause Wittmoldt bei Plön. Sie war bei der Gräfin Eleonore, und von ihr hat sie wohl die Falschheit gelernt. Ihr Bruder hat sie neulich von Kopenhagen holen müssen, wo sie schwer krank darniederlag, und ich habe ihm einen Geleitbrief für die Schweden ausstellen müssen, so daß er rasch nach Holstein zurückkehren konnte.«
Der Herzog neigte den Kopf vor und griff nach dem Schreiben des Königs.
»Mit solchen Dingen darf Seine Majestät die Zeit ausfüllen?«
268 »Der Herr Uhlfeld hat geschrieben, Durchlaucht. Der König ist krank; viele Jahre werden ihm nicht mehr beschieden sein!«
»Herr Uhlfeld sollte sich hüten!« Der Herzog war böse geworden, und sein Kanzler nahm den Brief an sich und legte ihn vorsichtig zusammen.
»Solange König Christian lebt, hat er die Macht!«
Schweigend saß Friedrich, dann lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und schloß die Augen.
»Sollte der Freiherr Rungholt durch unsere Lande kommen, so soll er in anständige Haft kommen und zu mir geführt werden. Ich werde sodann mit ihm reden und – ihn jedenfalls nicht den Dänen ausliefern!«
Der Kanzler verbeugte sich lächelnd. –
Aber, ob man im gottorpschen Lande auch eifrig nach Kajus Rungholt aussah, so fand man ihn nirgends. Und weil so viel, so unendlich viel geschah, so vergaß man ihn, wie vieles andere mehr.
Der dänische Erbprinz Christian starb noch vor seinem Vater, und als dieser sich zum Sterben legte, hieß der Dänenkönig Friedrich der Dritte. Derselbe, der die Uhlfelds haßte und gleich die Hand nach ihnen ausstreckte. Aber sie waren schon geflohen, und Korfiz Uhlfeld trat in die Dienste der Schweden. Er schürte das alte Feuer des Hasses zwischen Dänemark und Schweden, und er erlebte den Triumph, mit einer schwedischen Armee vor Kopenhagen zu stehen und den Dänen einen demütigenden Frieden zu diktieren. Aber die Österreicher, Brandenburger und Polen schlugen sich auf die Seite Dänemarks, und so wurden allmählich die Schweden vertrieben. Schleswig-Holstein blutete aus tausend Wunden, denn die 269 Polacken hausten wie die Teufel, und auch die Lande des Gottorpers wurden entsetzlich verwüstet; aber endlich war es wieder Frieden, und die unglücklichen Lande durften wieder aufatmen. Doch Kultur und feinere Sitte waren verschwunden. Rohes Faustrecht herrschte, und es dauerte Jahre, bis notdürftig geheilt war, was die Truppen elend zerstörten. Uhlfeld war in der Verbannung, und seine Gemahlin, die einst so mächtige Frau Eleonore, in der Gewalt des Dänenkönigs. Er war ihr Stiefbruder, aber sie hatte nicht schwesterlich an den Söhnen des Königs gehandelt; nun erhielt sie die Vergeltung.
Lebenslänglich wurde sie in den großen runden Turm eingesperrt, der noch heute in Kopenhagen steht, und hatte Muße, über sich selbst und ihre Taten nachzudenken.
König Friedrich hatte viele bittere Stunden erleben müssen, deshalb war er hart geworden. Er sorgte für sein ausgesogenes Land, so gut es ging, und suchte manche Wunde zu heilen; aber wer ihn einst beleidigt hatte, dem konnte er nicht vergeben. Und als er eines Sonntags von der Kanzel der Frauenkirche eine ernste Predigt über Barmherzigkeit und Vergebung der Sünden hörte, da war es ihm, als sähe sein Hofgesinde ihn verstohlen an, und als wäre die Predigt auf ihn gemünzt. Da ließ er den Hofprediger zu sich entbieten und fuhr ihn an:
»Herr Lauritzen, ich habe Euch nicht von Holleby aus zum Hofprediger gemacht, daß Ihr mir die Leviten lesen sollt. Ein König weiß immer, was er zu tun hat! Habt Ihr mich verstanden? Und meine Frau Gemahlin 270 hat große Beschwer über die Predigt empfunden, daß sie noch jetzt weint!«
Der Hofprediger sah den erzürnten Herrscher unerschrocken an.
»Eure Majestät, ich habe nur so im allgemeinen gesprochen, wie es der Text des Sonntags mit sich bringt. Wer sich aber in seiner Seele beschwert fühlt, den hat's wohl getroffen. Dafür kann ich nichts. Das ist der Heilige Geist, der in der Bibel ist, und der seine Wirkung tut an jedermann, sei er ein König oder ein Höriger!«
Der König räusperte sich. »Mit einem Hörigen braucht Ihr mich nicht in einem Atem zu nennen,« erwiderte er. »Aber ich will nicht mit Euch streiten, denn obgleich ich die Bibel gut kenne und mir meine Frau Gemahlin allabendlich ein Kapitel aus ihr vorliest, so bin ich doch nicht so spitzfindig wie Ihr, und kann meine Worte nicht so setzen. Das aber sage ich Euch: die Uhlfeld gebe ich nicht frei, auch nicht, wenn der Heilige Geist mir Unbehagen bereitet. Denn ich habe es meiner Frau Gemahlin gelobt, sie im Kerker zu halten, und seine Gelübde muß man halten.«
Lauritzen erwiderte nichts. Er kannte den König und seinen Eigensinn; er wußte auch, daß das Volk niemanden so haßte, wie Frau Uhlfeld. Es wäre vom König gewagt gewesen, sie in Freiheit zu setzen.
Das Schweigen des Hofpredigers befriedigte den König.
»Schon gut, Herr Lauritzen!« sagte er freundlicher. »Ich weiß, daß Ihr ein rechter Mann Gottes seid und auch für die bitten müßt, die große Sünder sind. Also 271 will ich Euch verstatten, Frau Uhlfeld einmal zu besuchen und ihr von der Welt zu sprechen.«
»Besser von der überirdischen Welt!« sagte der Prediger rasch, aber Friedrich achtete nicht auf ihn. Er zählte an den Fingern ab:
»Wie lange sitzt sie schon? Acht Jahre, nicht wahr? Wir hatten lange auf sie gefahndet, und es war schwer, ihr beizukommen, aber endlich ist es uns gelungen, die Sünderin zu fassen. Wir sind auch gnädig gewesen; wir haben sie nicht aufs Schafott gesendet, in Konsideration, da sie eine Tochter unseres in Gott ruhenden Vaters ist, aber wir haben mit sanfter Strafe ihr Herz zu rühren gesucht, daß sie nicht weiter in ihren Missetaten dahin lebte. Aber es ist uns betrübend, daß wir den Uhlfeld nicht haben vierteilen können! Solches wäre uns eine große Freude gewesen! So Ihr mit der Gattin redet, könnt Ihr dies von uns bestellen!«
Der Hofprediger war entlassen, und wie er traurig die Stufen des Königsschlosses hinabging, grübelte er darüber nach, wie schwer es war, das Herz der Großen dieser Erde milde und wahrhaft christlich zu machen. Aber er konnte sich nicht verhehlen, daß die Uhlfelds großes Elend über Dänemark gebracht hatten, und daß dem Herrscher dieses Landes nicht zu verdenken war, wenn er sagte: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹
Wenige Tage später stand er vor Eleonore Uhlfeld. Sie saß am Fenster ihres Kerkers und hielt eine feine Stickerei in der Hand. Bei seinem Eintritt hob sie unwillig den Kopf.
»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr? Ich habe Euch nicht gerufen!«
272 Er nannte ihr seinen Namen, und sie sah ihn gleichgültig an.
»Ein Hofprediger seid Ihr? Nun, so redet zum König, daß er mich freiläßt. Ich bin das Kind seines Vaters wie er!«
»Ich habe es schon getan,« entgegnete er, »aber es hat noch nichts geholfen!«
»Und wird auch nicht helfen! Friedrich ist falsch und eitel, und sein Weib –« Sie sagte ein häßliches Schimpfwort und lachte, als Lauritzen es ihr zu verweisen suchte.
»Ihr könnt gut predigen! Ihr seid frei und seht die Sonne, den Mond. Euch besucht keine Königin, die Euch auslacht, weil Ihr in ihrer Gewalt seid! Der Wind weht um Euer Angesicht, und der Regen macht Euch naß. Ich sehe ihn nur, und der Wind kühlt nicht meine Stirn!«
Ihre Stimme ging in ein Schluchzen über, dann warf sie den Kopf zurück und trocknete ihre Augen.
»Ich will nichts von Euch wissen!« murrte sie. »Gebt mir die Freiheit! Dänemark würde mich nie wiedersehen! Aber –« sie hob drohend die Hand.
»– – Korfiz Uhlfeld würde mich rächen! Wo ist Korfiz? Sie geben mir nie ein Zeichen von ihm, und er ist doch mein angetrauter Gemahl!«
Der Hofprediger wußte, daß der einst so mächtige Staatsmann friedlos von Land zu Land reiste. Jedermann fürchtete ihn und seine Gewissenlosigkeit. Und er wußte auch, daß er sich wieder verheiraten wollte. Aber er hütete sich, ein Wort zu sagen. Mitleidig sah er auf die einst so schöne stolze Frau. Sie hatte 273 schneeweiße Haare bekommen, und ihr Gesicht war finster und alt geworden.
Als er schweigend vor ihr stand, betrachtete sie ihn etwas genauer.
»Sah ich Euch nicht einmal? Es ist mir so.«
»Das war zu Holleby, edle Frau!«
»Zu Holleby!« Sie wiederholte den Namen. »Holleby war einst mein; der edle Bruder hat es an sich gerissen, wie er mir alles nahm!«
»Es gehörte den Rungholts!« sagte Lauritzen ernsthaft, aber sie begann schon wieder zu sticken.
»Den Rungholts – ja, ich entsinne mich. Der eine schlug den andern tot; da mußte er des Landes verwiesen werden. Er war ein guter Mann, nur reichlich dumm für einen Hofmann. Sagt dem König, daß er mir Holleby wiedergeben soll!«
»Ihr würdet wenig Freude daran haben, edle Frau! Die Schweden haben das Gut bis auf den letzten Stein zerstört, und die Kirche ist niedergebrannt. Kaum gelang es mir, die heiligen Geräte zu retten, und ich durfte sie nicht behalten. Die Schweden nahmen sie mir!«
»Dann will ich Holleby nicht haben!« erwiderte Frau Uhlfeld gleichgültig. »Meinetwegen kann der Rungholt das Gut wieder bekommen. Wo ist er nur? Oder ist er tot?«
Lauritzen wollte etwas erwidern, aber Frau Uhlfeld sprach schon von andern Dingen. Sie deutete auf einen Seidenbeutel, der an ihrem Holzstuhl hing, und lachte dabei.
»Wenn der König gnädig ist, darf ich wohl einen Brief erhalten. Dieser hier im Beutel ist zwei Jahre alt, und 274 jedermann am Hofe hat ihn gelesen. Aber ich freue mich doch, wenn ich aus der Welt höre und erfahre, daß ich nicht allein unglücklich bin. Gude von Thienen ist auch unglücklich geworden. Sie war ein dummes Frauenzimmer, eitel und flatterhaft. Einmal liebte sie den einen, dann den andern. Sie hat keinen gekriegt und sitzt nun im Kloster zu Preetz in Holstein. Dort, wo die adeligen Fräulein aus edlem Geschlecht Pfründen haben und ihr Brot essen, ohne zu arbeiten. Gude sollte zufrieden sein, aber sie scheint es nicht; sie hat mir geschrieben, daß sie mein gedächte, mir verziehe und viel für mich bete. Ich brauche kein Gebet. Sie soll die deutschen Fürsten bitten, daß ich wieder freikomme und mich an meinem Bruder rächen kann. Schreibt ihr das, Magister, denn ich darf nicht schreiben, und meldet auch, daß ich ihren Brief erst vor einem Monat erhalten habe. Und er ist vor zwei Jahren geschrieben.«
Sie lachte wieder und hörte nicht mehr auf Lauritzens sanfte Ermahnungen.
»Stolz ist sie und unbußfertig!« meldete er nachher dem König, als dieser ihn kommen ließ. »Aber sie sitzt in einem halbdunklen Zimmer, und ihre Nahrung ist schlecht!«
»Glaubt Ihr, daß sie besser mit uns umspringen würde, wenn sie die Macht über uns hätte?« erkundigte sich der König, und der Geistliche wußte keine Antwort. Er bat nur noch einmal um eine mildere Behandlung der Gefangenen, und der König versprach, ihr einen Tag in der Woche Fleisch und Wein geben zu lassen, und auch einmal frische Wäsche. 275 Denn darin wurde sie kurz gehalten. Aber Lauritzen konnte nicht erfahren, ob der Dänenfürst sein Versprechen hielt. Als er noch einmal versuchte, bei Frau Uhlfeld vorgelassen zu werden, erhielt er die Antwort, daß sie wieder ein übles Betragen gezeigt habe und den Besuch nicht verdiene.