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Es besteht ein merkwürdiger Widerspruch zwischen dem eingeborenen Naturgefühl der Deutschen und ihrer geringen Anteilnahme am Leben und Weben in der Natur. Alle lieben mit Inbrunst den Wald, aber wenige sind ihm auch geistig verbunden – die unerläßliche Vorbedingung, um ihm »in seine tiefste Brust wie in den Busen eines Freunds zu schauen«. Sie hören über sich einen Vogel im grünen Laub der Bäume singen und werden sich dessen gar nicht bewußt. Den Waldpfad stürmt eine große Libelle wie ein lebender Pfeil auf und ab, glitzernd und strahlend im Sonnenschein – sie schenken ihr kaum einen flüchtigen Blick. An allen Naturwundern rechts und links schreiten sie teilnahmslos vorbei, weil ihr Naturempfinden schlummert und ihre naturgeschichtliche Kenntnis zu armselig ist, um sie ahnen zu lassen, was hinter den Naturdingen steckt. Nicht stumpf sind die Sinne der Waldwanderer. Es braucht nur ein Anruf an sie zu ergehen, der irgendwie ein Bewußtes weckt, sei's ein Erlebnis, eine Erfahrung oder etwas Erlesenes. Sofort ist die Anteilnahme da. Wer aber ohne Anruf wandert und ohne alles Naturwissen ist, dem bleibt der Wald für immer stumm, wie vieltönig es in ihm klingen mag. Kein Tier erzählt ihm seine Geschichte und keine Pflanze flüstert ihm das Geheimnis ihres Lebens ins Ohr.
Dies Buch will dem Leser die Möglichkeit bieten, hinter der schönen Außenseite das Wesen des Waldes kennenzulernen, indem es ihm das Verständnis erschließt für das geheime Wirken und Weben, das sich kraft ewiger Gesetze im Innern der grünen Pflanzen vollzieht und all ihre Lebenstätigkeiten, ihr Werden, Sein und Vergehen bestimmt. Dem bloßen sinnlichen Erleben soll sich ein tieferes Erkennen der Lebenswunder des Waldes gesellen, das den Naturgenuß vertieft und ihm einen höheren Sinn verleiht. Durch Bild und Wort, durch Schauen und Lesen soll dem besinnlichen Naturfreund ein Wissensschatz vermittelt werden, der ihn befähigt, die Bäume und Sträucher, die augenfälligsten Bodenpflanzen und die zur Beobachtung lockenden Tiere entweder nach Aussehen und Lebensweise, nach ihren Stand- und Aufenthaltsorten oder – was für die Vögel gilt – nach Stimme und Gesang zu erkennen. Doch nicht nur belehren will das Buch. Sein Hauptwert soll nach dem Wunsch des Verfassers vielmehr in dem Anreiz zum Selbstbeobachten und zur Vertiefung des Erlesenen und Erfahrenen bestehen. Möchte es unserm deutschen Wald recht viele neue Verehrer werben.
Leipzig, Frühjahr 1935